vivian dörrenhaus: desire of revenge - leseprobe

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Vivian Dörrenhaus Desire of revenge - (Arbeitstitel) Es ist der Hass, der mich am Leben hält Erscheinungstermin Herbst/Winter 2016 Taschenbuch, ca. 200 Seiten, 11,90 €

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind

zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:www.papierfresserchen.de

© 2016 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbROberer Schrannenplatz 2, 88131 Lindau

Telefon: 08382/[email protected] Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2016

Lektorat: Melanie WittmannHerstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

www.literaturredaktion.de

Titelbild: XXXXXDruck: Bookpress

Gedruckt in der EU

ISBN: 978-3-86196-651-7

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Vivian Dörrenhaus

Desire of revengeEs ist der Hass, der mich am Leben hält

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Ein explodierendes Auto. Die hilflosen Schreie meiner Familie und ... meine Schreie.Die Angst, keine Luft zu kriegen. Es ist wie ein Albtraum, der nicht enden will.

Ich ringe nach Luft und öffne unter stechenden Schmerzen meine Augen. Mein ganzer Körper zittert. Es ist, als würde je-mand ein Messer immer und immer wieder durch meine Haut bohren.

Meine Augen versuchen, die Situation zu begreifen. Ich liege auf einem einzelnen Bett, umgeben von tickenden Maschinen. Mehrere Nadeln stecken in meinen Armen, die irgendeine Flüs-sigkeit in meinen Körper pumpen.

Leute in weißer Kleidung machen sich an mir zu schaffen. Ihre Kittel schleifen fast am Boden und sie sind so sehr auf ihre Arbeit fixiert, dass sie mich gar nicht beachten, bis es eine dickliche Frau endlich bemerkt und laut ausspricht.

„Sie ist aufgewacht. Holt sofort den Doktor!“ Als hätte sie das Stichwort gegeben, rennen alle aus dem Zim-

mer.Ich habe pochende Kopfschmerzen, unter denen ich qualvoll

nach Antworten suche. Weshalb bin ich hier? Wieso weiß ich nicht mal meinen Namen? Was ist mit mir passiert?

Je länger ich versuche, Antworten zu finden, desto mehr ver-wirrt mich meine Situation. Wenn ich an meine Vergangenheit denke, ist da nur eine riesengroße Leere, die mich zu zerreißen droht. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ihn jemand mit Watte gefüllt.

Kapitel 1

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Ich habe Angst.Angst vor der Unwissenheit. Ich kneife in meinen Finger, um mich von meinen inneren

Schmerzen zu befreien, und zwinge meinen Körper, sich zu beru-higen. Die Angst abzuschütteln.

Die Angst ist ein Dieb, sie stiehlt das Heute, indem sie einen lehrt, das Morgen zu fürchten.

Das Knarren einer Tür holt mich in die Wirklichkeit zurück. Ein nett aussehender Mann mit blondem Haar und einem strah-lenden Lächeln betritt den Raum. Er scheint mir sympathisch zu sein, obwohl irgendetwas an ihm mich verunsichert.

„Hallo, ich bin Doktor Marley und sozusagen dein Wiederher-steller.“ Er lacht. Ein widerliches, gurgelndes Gegacker, welches mich fast zum Würgen bringt. Doch schnell fasst er sich wieder und hustet, als hätte er etwas verraten, das keiner wissen darf. Hastig spricht er weiter: „Dein Name ist Jennifer Barrymore und du bist 17 Jahre alt. Wir haben bei dir eine Amnesie festgestellt. Das heißt, du kannst dich an nichts mehr erinnern, was mit deiner Vergangenheit zu tun hat. Bis auf ein paar Einzelheiten ist alles weg. Schuld daran ist eine Schädigung der Hippocam-pi, das sind wichtige Gehirnbestandteile, die dafür verantwort-lich sind, Erinnerungen zu einem kompletten Bild zusammen-zufügen. Leute, die unter Gedächtnisverlust leiden, entwickeln stärkere Emotionen. Mit den dem Patienten nicht zugänglichen Erinnerungen sind stets Gefühle verbunden und abgespeichert, die sich im Verhalten ausdrücken. Es ist also wichtig, dass du darauf achtest, wie du in verschiedenen Situationen reagierst, um eventuell ein paar Erinnerungen zu wecken. Da nicht alle Hirn-strukturen angegriffen wurden, wird dein Gedächtnis im Laufe der Zeit vermutlich zurückkehren. Leider kann ich dir das nicht garantieren. Aber keine Sorge, ich bin da, um deine Erinnerun-gen anzukurbeln.“ Er lacht. Schon wieder dieses gurgelnde Ge-gacker, das meinen Körper sofort dazu bringt, sich zu versteifen und keuchend nach Luft zu ringen.

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Ich versuche, mich zu beruhigen, obwohl mir in diesem Mo-ment klar wird, dass meine komplette Vergangenheit ausgelöscht ist. Mit einem Wimpernschlag ist alles weg, was ich jemals erlebt habe.

Unsere Erinnerungen machen uns vollständig und zu dem Menschen, der wir sind. Ohne sie fühle ich mich auseinander-gerissen. Ich fühle mich kalt, leer und hilflos.

Wenn ich mich so in meinem Krankenzimmer umschaue, bemerke ich, dass ich jedem Gegenstand, sei es nun Tisch oder Fenster, seinen richtigen Namen zuordnen kann. Diese Din-ge sind noch gespeichert. Doch der Rest ist vollkommen ver-schwunden.

Es ist komisch, ich weiß, dass ich in einem Krankenhaus lie-ge, aber weder, ob ich schon einmal in einem Krankenhaus war, noch mit wem oder weswegen.

Ich kann den Gegenständen um mich herum den passenden Namen zuordnen, aber ich weiß nichts über meine Familie, mei-ne Freunde ... einfach gar nichts.

Habe ich überhaupt Freunde? Erneut reißt Doktor Marley mich aus meinen Gedanken. „Es

tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du bist die einzige Überlebende der Familie Barrymore. Deine Eltern und deine Schwester sind leider gestorben. Du kannst dich nicht erinnern, aber ihr wurdet monatelang systematisch von fünf Männern mit schwarzen Mänteln und bunten Clownsmasken terrorisiert.“

***

Es war an meinem sechsten Geburtstag. Die Sonne schien und alles war wunderbar.

Den kompletten Vormittag ließ mein Dad sich nicht blicken, was mir zu jenem Zeitpunkt allerdings ziemlich egal war, weil ich viel zu beschäftigt war.

Mit Kuchenessen und Auf-der-Hüpfburg-Springen ...

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Plötzlich ertönten Sirenen und ein unheimliches Gelächter ließ alle Anwesenden verstummen.

Ein kleiner, süßer Clown kam auf mich zu und hob mich hoch. Ich bekam Panik, kreischte und versuchte, mich zu befreien.

Es war eigentlich eine nett gemeinte Überraschung meines Vaters, doch seit jenem Tag hatte ich panische Angst vor Clowns.

***

Ich zucke zusammen. Das war meine erste Erinnerung. Es fühlt sich an, als würde man träumen. Man sieht jeden der Betei-ligten von außen, auch sich selbst, dennoch hat man die Gefühle und Gedanken im Kopf.

„Du hast panische Angst vor Clowns, was?“ Doktor Marley starrt mich an, während ich damit beschäftigt bin, meine Ge-danken zu ordnen. Er scheint gar keine Antwort zu erwarten, denn er spricht einfach weiter. „Die fünf Männer haben dich und deine Familie psychisch misshandelt. Sie haben euch mit Dingen konfrontiert, vor denen ihr panische Angst hattet. Dabei wäret ihr schon mehrere Male fast ums Leben gekommen. Beim letzten Anschlag allerdings hatten die Täter Erfolg: Deine Eltern und deine Schwester wurden getötet. Du hingegen wurdest schwer verletzt zu uns ins Krankenhaus gebracht. Wir Ärzte halten es nicht für vorteilhaft, dir zu erläutern, wie deine Familie gestorben ist. Es tut mir leid, aber du bist nun allein. Ganz allein.“

Ganz allein? Schon wieder bekomme ich kaum Luft. Mein ganzer Körper fängt plötzlich an zu zittern und ich kann es nicht kontrollieren.

Eben war noch alles in Ordnung, doch jetzt sind die Worte Doktor Marleys in meinem geschädigten Gehirn angekommen. Meine Familie ist tot, ich bin allein auf dieser Welt und kann mich an nichts mehr erinnern.

Ich versuche, ruhig ein- und auszuatmen. Irgendetwas zu tun. Ich habe die einzigen Menschen verloren, von denen ich mit Si-

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cherheit weiß, dass ich sie liebe und sie mich. Ich habe kein Bild meiner Familie im Kopf. Ich weiß weder, wie sie aussehen, noch wie sie waren. Dennoch handelt es sich um meine Familie und aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass ich sie geliebt habe.

Nein, dass ich sie immer noch liebe.Und nun sind sie tot.Amnesie hin oder her, jetzt bin ich das Mädchen, das seine

Familie verloren hat. Das ganz allein ist.Wo soll ich hin?Ich werde mit einem Mal hysterisch und schreie mir die Seele

aus dem Leib, als würde ich versuchen, mich aus meinem Leben zu befreien. Alle Maschinen um mich herum fangen an, wie wild zu piepen, was den Albtraum komplett macht. Ich verliere voll-ends die Kontrolle.

Es dauert keine fünf Sekunden, bis die Helfer in den weißen Kitteln wieder durch die Tür gerannt kommen und versuchen, mich zu beruhigen.

Ich kann Gut und Böse nicht mehr unterscheiden. Mag sein, dass diese Personen mir nur helfen wollen, aber das möchte ich nicht. Ich sehe sie als Bedrohung an. Ich sehe jeden als Bedrohung an, der mir wehtun könnte. Mein Kampfgeist erwacht. Ich kratze und beiße jeden, der mir zu nahe kommt. Wie wild schlage ich um mich, bis eine Nadel durch meine Haut sticht und ich das Bewusstsein verliere.

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„Wir können sie nicht ewig hierbehalten. Wir haben andere, noch schlimmere Fälle. Auf psychische Störungen ist unser Kran-kenhaus nicht spezialisiert.“

Ich höre die Worte verzerrt und undeutlich. Dennoch kann ich ihren Sinn entnehmen. Sie wollen mich hier raushaben. Aber wohin soll ich denn?

Panisch reiße ich die Augen auf und erschrecke dadurch die Menschen, die an meinem Bett stehen. Zwei Krankenschwes-tern und Doktor Marley fahren schuldbewusst zu mir herum, als hätte ich sie auf frischer Tat ertappt.

„Hör mal, Prinzessin“, setzt der Arzt an und nimmt meine Hand, woraufhin sich mein Körper instinktiv verkrampft. Er merkt es und lässt mich schnell wieder los, aber seine tiefblauen Augen fangen jede meiner Bewegungen und Reaktionen ein. „Wir können dich nicht länger hierbehalten. Deine psychischen Probleme können wir nicht behandeln. Nicht therapieren. So leid es mir tut.“

Meine Stimme ist zittrig und rau, als ich die ersten Worte nach dem Tod meiner Familie spreche, aber dennoch klar zu ver-stehen. „Sie können mich doch nicht allein lassen! Wo soll ich denn hin?“ Tränen steigen mir in die Augen und ich sehe, wie die Krankenschwestern Mitleid bekommen.

Doch der Chef bleibt hart. „Das hier ist kein Hotel. Ergreife doch die Chance, dein Leben selbst in die Hand zu nehmen und es neu zu formen.“

Ich will mein Leben jedoch gar nicht neu formen. Und selbst wenn ich es wollte, mir fehlen die Mittel und die nötige Kraft, um mich zurückzukämpfen.

Kapitel 2

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Ich bete zu Gott, dass mich jemand besucht hat. Dass wenigs-tens eine Person für mich da ist. Ich spreche die Frage aus, wobei meine Stimme dieses Mal nicht mehr ganz so deutlich zu ver-stehen ist.

„Hat mich denn keiner besucht, als ich bewusstlos war? Dann könnte ich vielleicht dorthin“, will ich wissen, ohne den Blick von Marley zu wenden.

„Ach, Liebes, ich habe dir doch gesagt, dass deine komplette Familie ausgelöscht worden ist“, gibt der Arzt die harte und nie-derschmetternde Antwort.

Ehe ich mich versehe, stehe ich in der Eingangshalle des Kran-kenhauses und fühle mich wie bestellt und nicht abgeholt.

Als ich an einem Fenster vorbeilaufe, erhasche ich einen Blick auf mein Spiegelbild und bin entsetzt. Das, was mich da an-starrt, ist keinesfalls ein gesundes junges Mädchen. Meine langen braunen Haare sind strohig und verfilzt. Es ist schwierig, diese strähnige Mähne überhaupt noch als Haare zu bezeichnen. Mein Gesicht ist entstellt, voller blauer Flecke und Kratzer. Ich bin sehr groß, mindestens 1,80 Meter.

Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass ich nie besonders viel von Diäten oder magersüchtigen Models gehalten habe. Ich finde es schrecklich, in einer Welt zu leben, in der man immer nur per-fekt aussehen muss. Jeder muss schlank sein, jeder muss hübsch sein. Und wenn man es nicht ist, wird man von der Gesellschaft verstoßen und für das gehasst, was man verkörpert.

Aus diesem Grund versucht man zwanghaft sich zu verändern, jemand zu sein, der man eigentlich gar nicht ist. Man betrügt sich selbst, nur um gemocht zu werden. Dabei zählen doch die inneren Werte. Das, was man ausstrahlt. Das, was man ist. Im Herzen.

Wenn ich mich so betrachte, fällt mir auf, dass mein Körper gezeichnet ist von all den Qualen der letzten Monate, dass ich sehr dünn bin. Ich kann meine Rippen einzeln fühlen und zäh-

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len. Man sieht mir an, dass es mir nicht gut geht. Wenn Doktor Marley das wiederherstellen nennt, dann hat er seinen Job nicht besonders gut gemacht.

Ich schäme mich für mein Aussehen, obwohl mir das ziemlich egal sein sollte. Ich habe andere Sorgen.

Schnell wende ich mich von dem Etwas im Fenster ab, das ich gerade entdeckt habe, und gehe durch die große Eingangstür nach draußen.

Es ist ein wunderschöner Frühlingstag. Ich weiß, dass dies die Lieblingsjahreszeit der alten Jennifer gewesen ist. Die angenehm warme Sonne und die Blumen, die langsam zu blühen beginnen. Alles erwacht nach einem traurigen Winter zu neuem Leben.

Ich schaue mich um. Überall stehen Leute herum, die mit einem Blumenstrauß auf ihre Liebsten warten. Dieser Anblick versetzt mir einen Stich.

Wenn man Doktor Marley Glauben schenken darf, dann hat mich wirklich niemand besucht. Das würde auch erklären, wes-halb kein Mensch mit einem Blumenstrauß und einem Ausdruck der Freude im Gesicht auf mich wartet.

Ich beobachte eine Mutter, die mit einem Strahlen ihr Kind in die Arme schließt, bis eine Männerstimme meine Aufmerksam-keit erregt.

„Meine Damen und Herren, hier lag Jennifer Barrymore, die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von Cooperstown, vier Wochen lang auf Station. Laut ihres behandelnden Arztes wird sie heute entlassen. Ihr psychischer Zustand ist labil, obwohl sie körperlich gesund ist. Wir werden ihre ersten Schritte ins neue Leben live übertragen und ...“ Der Journalist stockt, als er mich entdeckt.

Verdammt! Hastig drehe ich mich um und versuche davon-zulaufen, vergeblich.

Der Journalist hat mich bereits eingeholt, samt seinem Kame-rateam. „Jennifer, wie geht es dir? Wie kommst du mit deinem Verlust klar? Und wie wird es weitergehen?“

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Ich starre ihn an. Er sieht gut aus. Mit seinen braunen Haaren und braunen Augen kommt er mir vage bekannt vor. Ich habe jedoch keine Ahnung, ob mich mein Gefühl vielleicht trügt. Ich hoffe auf eine Erinnerung, aber es geschieht nichts.

„Hallo, Jennifer? Möchtest du nicht antworten?“Ich erwache aus meiner Starre. Journalist hin oder her, so kann

er definitiv nicht mit mir reden. Wut steigt in mir auf und ich will ihm gerade sagen, dass er sich seine Antworten sonst wo hin-stecken kann, als eine Stimme hinter mir erklingt, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

„Da ist ja meine kleine Prinzessin!“Ich blicke in das Gesicht des Journalisten, der mit vor Schreck

geweiteten Augen abwechselnd den Mann hinter mir und mich anstarrt. Ganz langsam drehe ich mich um und schaue in fünf grinsende Clownsgesichter. Die Clownsmasken sind komplett weiß, die Augen starr und blutunterlaufen. Der Münder sind zu einem gehässigen Lächeln verzogen, das spitze gelbe Zähne ent-blößt. Die Gestalten verkörpern das genaue Gegenteil von lusti-gen Clowns. Mir wird schwindelig und ich taumele zurück. Ich habe Angst umzukippen, doch der Journalist ist sofort zur Stelle und hält mich am Arm fest.

Die Kerle sind abscheulich. Eingehüllt in grotesk lange schwar-ze Mäntel, die bis zum Boden reichen. Vier silberne Knöpfe hal-ten die Umhänge vorne zusammen.

Der größte der Finsterlinge ist ein paar Schritte aus der Reihe der anderen vier hervorgetreten und steht mir am nächsten. Er scheint der Anführer der Bande zu sein. Nun tritt er noch ein Stück näher an mich heran und beugt sein Gesicht zu meinem.

„Wie geht es dir, Süße? So ohne Familie?“Der Körper des Journalisten neben mir verkrampft sich, doch

ich versuche, dem starren Blick der Maske standzuhalten. Der Kerl ist jetzt so nah an meinem Gesicht, dass sich unsere Na-senspitzen fast berühren, doch ich versuche trotz meiner Angst, nicht zurückzuweichen.

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„Du siehst schrecklich aus. Aber deine wunderschönen grü-nen Augen strahlen immer noch. Ich erkenne darin eindeutig den Willen, wieder ins Leben zurückzukehren. Das hast du von deinem Vater. Nie aufgeben. Immer da sein. Hundert Prozent geben.“

Ich weiche seinem Blick aus. Er ist zu gewaltig. Zu schrecklich.Der Anführer kramt in seiner Umhängetasche und überreicht

mir ein Foto, auf dem vier glückliche Familienmitglieder freund-lich in die Kamera lächeln.

Nun ist es endgültig vorbei mit meiner Selbstbeherrschung. Zum ersten Mal sehe ich meine Familie. Vier strahlende Men-schen. Mit Ausnahme des kleinen, zerbrechlichen Mädchens, das sich mit seinem blonden Haar deutlich von den anderen unter-scheidet, werden ihre Gesichter von braunen Strähnen umrahmt.

Wir sind offenbar das, was man unter einer perfekten Familie versteht.

Es zerreißt mir das Herz und mir wird klar, dass die Grau-samkeit dieser fünf Männer grenzenlos ist. Selbst jetzt noch ver-suchen sie, mich zu brechen, obwohl ich schon in tausend Ein-zelteile zerborsten bin.

„Diese drei Personen“, der Anführer zeigt auf meine Eltern und meine kleine Schwester, „hast du über alles geliebt und sie dich. Dennoch hast du es nicht geschafft, sie zu retten. Ebenso wenig wie es dir gelingen wird, dich selbst zu retten. Es wird erst vorbei sein, wenn wir deine Leiche mit ins Grab der Familie Barrymore werfen.“

Ich starre auf das Bild in meiner Hand, während mir Tränen über die Wangen rinnen.

Noch einmal kramt der Anführer in seiner Tasche und holt etwas daraus hervor. Sacht pustet er mir eine Handvoll schwarzer Rosenblätter unheilvoll ins Gesicht. Der Geruch nach Blut und Tod bringt mich zum Würgen. Ich zittere am ganzen Körper und sinke kraftlos auf die Knie.

Der Anführer lacht. Ein widerliches, gurgelndes Gegacker.

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Ich würge noch einmal und übergebe mich schließlich auf den Asphalt.

***

Ein heißer Sommertag. Meine Mutter, meine Schwester und ich warteten darauf, dass

mein Dad endlich nach Hause kam. An diesem Tag sollte sich ent-scheiden, ob er neuer Bürgermeister von Cooperstown wurde oder nicht.

Ich hatte keine Zweifel. Mein Vater, unsere ganze Familie, war sehr beliebt in unserer kleinen Stadt. Dennoch saßen wir nervös auf unserem knallgrünen Sofa und Mom machte uns ganz kirre.

„Oh, wann kommt er denn endlich? Er müsste schon längst wieder zurück sein!“ Diese Sätze wiederholte sie ständig.

Ich versuchte, sie zu beruhigen, als die Haustür aufflog und mein Vater endlich in der Tür stand.

Er sagte nichts, bis meine Schwester das Schweigen brach. „Dad?“Er grinste verschmitzt. „Vielleicht solltet ihr mich ab heute lieber

Bürgermeister von Cooperstown nennen.“Jubelnd fielen wir ihm um den Hals.„Das müssen wir feiern“, meinte er und lud uns in ein schickes

Restaurant ein.Es wurde ein fantastischer Abend. Wir lachten viel und führten

tiefgründige Gespräche, die uns vier, wie ich fand, noch enger zu-sammenschweißten.

In unserer Familie war es immer besonders wichtig, viel mit-einander zu reden. Wir sprachen über alles. Gefühle. Ängste. Er-innerungen.

Und ich wusste immer, wenn ich ein offenes Ohr brauchte, wäre meine Familie für mich da und würde mir zuhören.

Ebenjenes Gefühl, jemanden zu haben, dem man vertrauen konn-te, war mir unglaublich wichtig und etwas, das ich immer in mir tragen wollte.

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Ich vertraute meinen Eltern alles an und wünschte mir, dass mei-ne eigenen Kinder irgendwann genauso über alles mit mir sprechen würden. Mir vertrauen würden.

Es war nicht übertrieben zu sagen, dass meine Eltern meine größ-ten Vorbilder waren. Sie hatten mich und meine Schwester zu den Menschen gemacht, die wir waren. Und sie waren stets für uns da, obwohl sie genügend anderen Stress hatten.

Ich wünschte jedem so eine großartige Familie, wie ich sie hatte.

Etwa eine Woche später waren wir erneut abends ausgegangen, um noch einmal zu feiern, wie mein Vater sagte. Welchen Anlass es dafür genau gab, sagte er uns nicht. Doch als wir fröhlich unsere Gartenpforte passierten, merkten wir sofort, dass etwas nicht stimm-te.

Meine Mom sah es als Erste. Auf unserer Terrasse waren über-all schwarze Rosenblätter verteilt worden, die nach Blut und Tod rochen.

Es war für mich ein Rätsel, wie man den Geruch einer Rose derart verändern konnte, dass dieser widerliche Gestank entstand. Ich über-legte fieberhaft, bis mir eine Idee kam.

Verschiedene Duftkomponenten konnten miteinander reagieren und aufgrund spezieller chemischer Verbindungen ein neues Aroma erzeugen, das es so eigentlich nicht gab. Diese Reaktion konnte man mit ein bisschen Wissen in jedem Chemielabor durchführen.

Es war natürlich nur eine Vermutung und musste rein gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Dennoch gab es für mich keine andere logische Erklärung.

Es war widerlich, doch mein Dad tat es zunächst als eine Art Scherz ab, bis wir näher kamen und ich mich fast vor Ekel überge-ben musste. Unser Hund lag mit einem Messer im Rücken in einer riesigen Blutlache, umgeben von schwarzen Rosen.

Meine Schwester brach in Tränen aus und meine Mutter brachte sie schnell ins Haus, nur weg von diesem Anblick.

Wir waren entsetzt, dass jemand zu so etwas fähig sein konnte.