volker michels thomas mann und hermann hesse · "spitzbübischer spötter" hat hermann...
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Volker Michels
"Spitzbübischer Spötter" und "treuherzige Nachtigall"?
Thomas Mann und Hermann Hesse
Der Schweizer Literaturkritiker Otto Basler (1902-1984) hat tos eiae
charakteristische Anekdete überliefert. Er war mit den beiden Dichtern so gut
befreundet, daß sie ihn sogar in seinem Herrn im Aargau besuchten. Als
Thomas Mann am 6. Juli 1950 vor seiner Haustür stand, begrüßte ihn Otto
Basler mit dem Schiller-Zitat: "Ein werter, treuer Gast, kein bessrer Mann ist
über diese Schwelle noch gegangen." Daraufhabe Thomas Mann einen ,
Augenblick gestutzt, seinen Fuß von der Stufe zurückgezogen und vÄwunHert
geantwortet: "Aber sagen Sie, lieber Freund, ist nicht kürzlich Hermann Hesse
dagewesen?" "Ja, das schon", antwortete Otto Basler "aber er betrat das Haus
von der anderen Seite." "Ach so," erwiderte Thomas Mann und trat daraufhin «
»unter ein.
Bis es zu dieser Wertschätzung kam, dauerte es wohl zwanzig Jahre.
"Spitzbübischer Spötter" hat Hermann Hesse seinen Kollegen genannt, und
eine Nachtigall unter all den Kanarienvögeln in den Käfigen deutscher Haus-
backenheit war Hesse für Thomas Mann. Was hat die beiden zuerst getrennt,
um sie dann schließlich auf eine Weise zu verbinden, die, wie Thomas Mann
einmal sagte, "aus Verschiedenheiten so gut ihre Nahrung zog wie aus
Ähnlichkeiten"?
Unsere Herkunft, werden wir nicht los, so sehr wir uns auch davon zu
emanzipieren und abzuheben versuchen. Die Weichenstellungen der Kindheit
bleiben erhalten, welches Fortbewegungsmittel man später auch immer
benützt. In der deutschen Literatur unseres Jahrhunderts läßt sich das kaum
besser studieren, als am Schicksal und Werk von Thomas Mann und Hermann
Hesse, ihrer mittlerweile in aller Welt wohl wirkungsvollsten Vertreter. Bis
hinein in ihren Lebensstil sind auch sie trotz aller Emanzipation zeitlebens
geblieben, was ihre Väter waren: norddeutscher Großbürger und auf
öffentliche Selbstdarstellung bedachter Senatorensohn der eine, süddeutscher
Asket und Missionszögling der andere. Beide aus dem Nest gefallen und
deshalb von den zurückbleibenden Hütern der Herkunft als Nestbeschmutzer
bezichtigt. Doch was haben sie aus ihrer Mitgift gemacht!
Was seit Generationen nur auf die materielle Bereicherung eines Lübecker
Kaufmannsgeschlechtes bedacht war, wurde durch Thomas Mann aus der
Sphäre des sippengebundenen Eigennutzes auf eine Weise ins Menschheitliche
resozialisiert, daß Millionen von Menschen davon profitieren konnten. Und
was bei den Vorfahren Hermann Hesses mit ihrer sogenannten Heidenmission
auf eine Bekehrung uijd religiöse Unterwerfung Asiens angelegt war, führte
bei ihm zu einer Revision jeder eurozentrischen, konfessionellen und ' ; »
kolonialen Anmaßung. Es bewirkte im Westen eine Popularisierung
buddhistischen, hinduistischen und taoistischen Gedankengutes, dank einer.. fit"! V' •'•-V-ll. v- A Z :- l -t
poetischen Überzeugungskraft' die den Alleingültigkeitswahn der christlichen
Kirchen durch neinschaösfordernde Brückenschläge zu überwinden noch
immer in vollem Gang ist. Daß die vita activa, also der aggressive Wettlauf um
Profit und Karriere in zivilisatorischem Selbstmord münden muß ohne die vita
contemplativa, die Gegensteuerung dessen, was Lebensqualität und
Menschlichkeit ausmachen, ist selten konfessionsübergreifend-glaubwürdiger
vorgelebt und in so einprägsame dichterische Gleichnisse gebracht worden wie
vom entlaufenen Theologensohn Hermann Hesse.
Die Wirkungsgeschichte von Thomas Mann und des um zwei Jahre jüngeren
Hermann Hesse hat also, was iteÄ-feeider weltweite Wertschätzung betrifft,
manches gemeinsam, wenn sich auch ihr Leserpublikum in aufschlußreicher
Weise unterscheidet. Sind es vor allem die Vierzehn- bis Fünfunddreißig-
j ährigen, ganz gleich, ob mit oder ohne Hochschulbildung, die Hermann Hesse
lesen, und dann wieder ältere Menschen, sobald sie das Berufsleben und die
damit verbundenen Anpassungszwänge hinter sich haben, so ist es bei Thomas
Mann eher die akademische Jugend, sind es die Berufstätigen und Karriere-
bewußten aller Altersstufen, die zu seinen Büchern greifen. Das-hal, wie wil
,^AiüagenmdJhres-AnspruehesTiegen. Und doch waren, so unterschiedlich sieh4- ,' !_, ,f.jj kt^djtg.^,
Ausgangskonstellatiönen^^efßlüffend ähn-
lich.
Ein Glückwunschbrief Thomas Manns zu Hermann Hesses 75. Geburtstag
schließt mit den Worten: "Auf Wiedersehen lieber alter Weggenosse durchs
Tal der Tränen, worin uns beiden der Trost der Träume gegeben war, des
Spieles und der Form."
Der Trost der Träume? Wie Thomas Mann war auch Hermann Hesse von
Kindesbeinen an darauf angewiesen, sich herauszuträumen aus einem Alltag,
mit dem er sich nur schwer abfinden konnte. Schon die Erwartungen der Eltern
und der Schule machten beiden zu schaffen. Sie nicht erfüllen zu können, war
das lebensbestimmende Trauma, das Thomas Mann und Hesse verband. Was
sie bereits am Gymnasium scheitern ließ, war das Gegenteil dessen, was man
ihnen dort ins Zeugnis schrieb. Es war nicht ein Mangel an Begabung und
Gutwilligkeit, sondern deren Übermaß, was sie daran hinderte, den
Zukunftsplänen der Familie und den Bildungsvorstellungen der Schule zu ent-
sprechen und sich mitflormativer Schnellfertigkeit fcÄdafctik gymnasialen
Wissensvermittlung zu fugen. Wer den Drill nicht ertrug, in einem MinimumWVb iTiii rjfii'^'
an Zeit, ein Maximum unterschiedlichsten Wissensstoffes unreilelfeert zu' i /
speichern und automatenhaft abruf bar zu haben, galt als faul oder als renitenter
Träumer. Wen aber das Gelernte beschäftigte und aufwühlte, wie die Odyssee
des Homer den jungen Hans Giebenrath in Hesses Unterm Rad oder Schillers
Don Carlos den Tonio Kroger in Thomas Manns gleichnamiger Erzählung, der
blieb zurück und verpaßte den Anschluß. Denn die Überflutung mit immer
neuen; Informationen behindert das Bedürfnis,-sie zu durchdringen. Und nicht
zuletzt die Abneigung gegen solche Schnellfertigkeit nötigte Thomas Mann
wie Hermann Hesse, das Gymnasium schon mit Sekundareife zu verlassen;
Hesse mit sechzehn, Thomas Mann mit achtzehn Jahren, weil er zwei Klassen
wiederholen mußte. Ein folgenreiches Stigma für beide, denn die Demütigung
des Selbstwertgefühls, die daraus entsprang, brachte sie dazu, alsbald den
Gegenbeweis anzutreten, also den Vorwurf der Träumerei und Trägheit zu
widerlegen und durch ein Lebenswerk zu rechtfertigen, das als Erkenntnis-,
Fleiß- und Bildungsleistung alles übertrifft, was durch gymnasiale und
akademische Wissensvermittlung erreicht werden kann. Wie unauslöschlich
dieses frühe Trauma gewesen sein muß, zeigt sich unter anderem darin, daß
noch der 76jährige Thomas Mann in seinem letzten Werk, Felix Krull, das
bereits 1909 konzipierte Hochstaplermotiv wieder aufgreift und Hesse
gleichfalls im Alter von mehr als siebzig Jahren immer noch träumt, die drei
letzten Schulklassen bis zum Abitur nachholen zu müssen, um - wie er sagt
"vielleicht doch noch etwas Rechtes zu werden".
Die Triebfeder für Thomas Manns erzählerisches Werk war eine Form, wie er
es nannte, "sublimer Rache an der Wirklichkeit". Sie spornte ihn an, sich auf
eigene Faust Kenntnisse aus fast allen akademischen Disziplinen und Wissens-
gebieten anzueignen, um es in seinen Büchern denen zeigen zu können, die
sich angemaßt hatten, ihn in der Schule zweimal sitzen zu lassen. So lesen sich
Romane wie Königliche Hoheit aufweite Strecken wie ein Exkurs in
Volkswirtschaft, Der Zauberberg wie eine Enzyklopädie der Medizin und
geistigen Strömungen der zwanziger Jahre, die Josephs-Romane wie eine
archäologisch-völkerkundliche Kulturgeschichte, wofür denn auch die
Fachwissenschaftler Thomas Mann einen oft geradezu neidischen Respekt
gezollt und ihn mit Ehrendoktorhüten der verschiedensten Disziplinen
eingedeckt haben, natürlich zu dessen größtem Vergnügen und verschmitzter
Genugtuung.
Hesse dagegen hat ein kulturkritisches Werk von etwa dreitausend
Buchbesprechungen hinterlassen, worin er von der Jahrhundertwende bis in die
50er Jahre hinein die deutsche Publizistik auf eine Weise kommentiert,
begleitet und befruchtet hat, daß sogar der unbestechliche Kurt Tucholsky
nicht umhin kam, in der Zeitschrift "Die Weltbühne" festzustellen: "Hesses
Buchkritiken haben in Deutschland kein Gegenstück. Aus jeder kann man
etwas lernen, sehr viel sogar." Hesse selbst hat dieses riesige bildungspolitische
Panorama, das - wenn es einmal komplett veröffentlicht sein wird -, wohl fünf
Bände mit insgesamt viertausend Seiten füllt, nie in Buchform zusammen-
gefaßt. Diese Schriften erschienen zu seine Lebzeiten verstreut in etwa sechzig
verschiedenen deutschen und ausländischen Blättern und gehören zu den
imponierendsten Überraschungen seines Nachlasses. Auf ganz andere Weise
als Thomas Mann, doch in Wirkung und pädagogischem Eros durchaus
vergleichbar, hat Hesse damit sein Defizit an fahrplanmäßiger Ausbildung
durch eine Leistung wettgemacht, die jeden Akademiker beschämen müßte.
Eine sehnsüchtige Eifersucht auf die Unbeschwertheit und Grazie der
Leichtlebigen und ein Insuffizienzgefühl gegenüber den Normalen und An-
passungsfähigen, denen ihr dickes Fell und ihre Sendungslosigkeit das Leben
so sehr erleichtert, ist eines der in den verschiedendsten Verkleidungen wieder-
kehrenden Hauptmotive der Bücher Thomas Manns. Es ist das Los des kleinen
Hanno Buddenbrook, der in der Musik einen Schutz sucht vor den Gewaltsam-
keiten der Schule und dem karrierebestimmten Erwartungsdruck seines Vaters,
unter dem er zerbricht. Es ist auch das Los des lebenslinkischen Tonio Kroger,
der nie von den um ihrer Unbeschwertheit so sehnsüchtig geliebten Hans
Hansen und Inge Holm als ihresgleichen akzeptiert und wiedergeliebt werden
kann, weil seine schwerblütige Nachdenklichkeit ihrem rechenschaftslosen
Charme nicht gewachsen ist. "Ich bin so dumm, immer die zu lieben, die
clever sind, obwohl ich doch auf Dauer nicht mitkann", bekennt Thomas Mann
1901 seinem Bruder Heinrich. Dasselbe Motiv kehrt dann wieder in Königliche
Hoheit, dem Roman des Dreißigjährigen, der nach dem Erfolg der Budden-
brooks so sehr an Selbstbewußtsein gewonnen hat, daß er von nun an seine
Insuffizienzgefühle nicht mehr als Makel, sondern als repräsentative Auszeich-
nung zu erkennen und zu stilisieren beginnt. So ist sein Prinz Klaus Heinrich <-
aus Königliche Hoheit nicht mehr wie Hanno Buddenbrook und Tonio Kroger
ein in die Kunst geflohener Bürger, sondern Thronfolger. Sein Makel ist ein
körperliches Gebrechen. Ein verkrüppelter Arm nimmt ihm die Unbeschwert-
heit der Normalen, und um diesen Mangel auszugleichen, verlangt er sich
selbst, ganz wie sein Autor, ein Äußerstes an Leistung und gewissenhafter
Pflichterfüllung ab. Außerdem schafft er es durch die Heirat einer millionen-
schweren, doch ansonsten unbeschwerten Industriellentochter, sowohl die
Degeneration als auch die hoffnungslose Finanzlage des Fürstenhauses
aufzufangen. Die lebensgeschichtlichen Parallelen zwischen dem Helden und
seinem Erfinder sind offensichtlich. Damals hatte Thomas Mann die aus
vermögender Professorenfamilie stammende Abiturientin Katja Pringsheim
geheiratet, deren ungebrochene Lebenstüchtigkeit seinen eigenen MangelCl ' " ( !
daran stabilisierte und deren bildungsbürgerliche Herkunft den gescheiterten
Gymnasiasten nun auch ins akademische Großbürgertum aufsteigen ließ. Wie
sein Prinz Klaus Heinrich hat der Leistungsethiker Thomas Mann dies nach
und nach auf eine Weise gerechtfertigt, daß selbst sein künftiges Liebäugeln
mit der Rolle als Nach- und Thronfolger Richard Wagners, Schillers und
Goethes, ja, schließlich gar sein Selbstbewußtsein als Präzeptor Germaniae
wohl heute nur noch von Analphabeten als anmaßend empfunden werden(^V.-fvlt-fv-"-.» «'•, ' «!.'f
kann. (Wir kennen ja seinen kühnen, doch keineswegs ungerechtfertigten
Ausspruch: "Wo ich bin, ist die deutsche Kultur" aus seiner Exilzeit in den
USA.) /
Das Muster vom weltfremden Simplicissimus, der dank seines Min-
derwertigkeitsgefühls gezwungen ist, sich die Welt genauer anzuschauen^ als
jede der gängigen Weltanschauungen es vermag, setzt sich dann fort in dem
von jeder Schulbildung unbeleckten, doch um so wissensbegierigeren Hoch-
stapler Felix Krull, beim ahnungslosen Hans Castorp auf dem Zauberberg,
beim verträumten, und deshalb allen Träumen gewachsenen Joseph der gleich-
namigen Romane, beim Doktor Faustus, den sein Teufelspakt mit eter t H Z f
Geschlechtskrankheit zum Genie werden läßt, und schließlich bei dem in
Sünde gezeugten und den Inzest fortsetzenden Gregorius, einem
Unglückswurm, den Makel und Sünde zum Erwählten und schließlich zum
Papst aufsteigen lassen.
Welthaltiger und ambitionierter hat niemand eine Schwäche in Stärke,
Minderwertigkeitsgefühle in Mehrwert uifä?i8&»e«©jzu läutern verstanden.
Und dies auf einem Niveau, das nicht nur stimmig, sondern auch tröstlich und
anspornend ist. - Soweit Thomas Mann.
Der aus vergleichsweise ärmlichen, kleinstädtisch-schwäbischen Verhältnissen
stammende Hermann Hesse dagegen kam aus ohne Königliche Hoheiten,
Hochstapler, Pharaonen und Päpste. Er hat dasselbe Problem ohne Anspruch
auf Glanz und Repräsentanz gemeistert und sein unfreiwilliges Außenseitertum
durchaus nicht als stolze Auszeichnung bewirtschaftet, sondern als leidvolle,
doch funkensprühende Reibung an den Spielregeln einer von Profitstreben,
Bigotterie, kolonialem, industriellem und nationalem Größenwahn korrum-
pierten Gesellschaft, die jedem das Leben zur Hölle macht, der es wagt, ein
Original zu bleiben und sich nicht verbiegen zu lassen von einer Anpassung
ans Übliche.
Die Figuren semer Erzählungen und Romane vom zivilisationsüberdrüssigen
Peter Camenzind, zum Landstreicher Knulp bis hin zum Steppenwolf sind
keine Helden, die sich siegreich hervortun aus der Sphäre ihrer Herkunft,
sondern sie bleiben Gebeutelte, Einzelgänger und Sonderlinge, die sich jeder
auf seine Weise zur Wehr setzen, sobald Konvention und Fremdbestimmung
sie daran hindern, ihre Anlage und Eigenständigkeit zu behaupten. Es sind
Outsider, Abenteurer, Vaganten und Heimatlose, mitunter auch aus irgendeiner
Not heraus straffällig Gewordene und nicht zuletzt solche, die mit alternativen
Existenzformen experimentieren, wie Hesse selbst, der sich dreißigjährig in die
Lebensreformerkolonie auf dem Monte Verita begab, um auszuprobieren, ob
deren übrigens schon damals ökologisch und ganzheitlich orientierte Methoden
eines "Zurück zur Natur" noch trag- und zukunftsfähig seien. Undenkbar, sich
den Verfasser der Königlichen Hoheit vorzustellen in dieser Freikörper-
Komune von Aussteigern, vegetarischen Kohlrabi-Aposteln, Magnetopathen
und Sektierern. Nach knapp einem Monat war Hesse kuriert vom
Anachronismus solcher Experimente, um sich daraufhin erstmals mit
asiatischen Gegenmodellen zum militanten Imponiergehabe des -,-./
WHfeelminisehenJ^lüsGh'--und Pomp-Zeitakers zu befassen und wenige Jahre
später den indischen Subkontinent zu bereisen, auf der Suche nach humaneren
Spielarten des Zusammenlebens. Daß er sie auch im dortigen Alltag nur noch
in Spurenelementen fand, hat nichts zu besagen, lieferten sie ihm doch
Anstöße, die er in Büchern wie Demian, Siddhartha, Die Morgenlandfahrt und
dem Glasperlenspiel mit den humanistischen Traditionen des Abendlandes in
Einklang zu bringen und zu einem Kontrastprogramm auszubauen verstand,
dessen Aktualität die fulminante Wirkungsgeschichte seiner Bücher beweist.Vt x* = l ^ •"" ' * '
Mittlerweile sind sie rund um den Globus in -annähernd hundert Millionen
Exemplaren verbreitet, ein Phänomen, das einzigartig ist in der Geschichte der
deutschen Literatur.
Bei Hesse also kein genüßliches Abbilden und spöttisches Kratzen am
Lack der bestehenden Verhältnisse, sondern ein ruheloses, auf deren Humani-
sierung bedachtes Ungenügen. Getreu seiner Devise: "Damit das Mögliche ent-
steht, muß immer wieder das Unmögliche versucht werden." Bein!
kleinstädtichen Pfarrerssohn also: Sympathie mit dem Schicksal der kleinen
Leute, ganz in der auf Weltverbesserung zielenden Tradition seiner
missionierenden Vorfahren.
Beim hanseatischen Patritziersohn Thomas Mann dieselbe Verkettung mit der
Herkunft: also wahlverwandtschaftliches Identifizieren mit Repräsentanten,
parodistischer Abstand vom Durchschnittsmenschen. Dichtung als Selbststili-
sierung, aber mit gedeckten Schecks, ohne falsche Anmaßung.
Bei Hesse dagegen Dichtung als Bekenntnis und Selbsttherapie in Seelen-
biographien, welche die individuelle Misere nicht überhöhen, sondern
schonungslos bloßlegen. Bei Hesse Introversion, Extrovertiertheit bei Thomas
Mann, der seine Gestalten mit seitenlangen Beschreibungen ihres Äußeren zu
charakterisieren versteht. Bei Hesse stattdessen ein an Identifikation grenzen-8". i, ' , * < • • • , • - T ; '- -*•• {_/-<«•»
des Einfühlungsvermögen in seine Figuren und der^n-V^erhaltensbedingungen.
Distanzierter Beobachter der eine, Verkörperung jugendlichen Aufbegehrens
und idealistischer Ungenügsamkeit der andere.
Können so unterschiedliche Naturelle zusammenfinden, der auf Sympathie
heißhungrige und deshalb auf Anerkennung durch das Establishment bedachte
Preceptor germani^e und der jede Kumpanei mit den jeweiligen Machthabern
meidende Steppenwolf?
Doch weil in der Kunst in erster Linie das Können zählt, fiel es dem
neidloseren Hermann Hesse nicht schwer, einen Zugang zu gewinnen. Er ist es
denn auch, der das spannende Spiel mit dem Kollegen eröffnet: 1903 in Form
einer Empfehlung von Thomas Manns Novellenband Tristan.
"Man könnte glauben", heißt es 1903 in der ersten öffentlichen Äuße-
rung des damals 26jährigen Hesse über den Kollegen, Thomas Mann habe den
Ehrgeiz eines Tausendkünstlers. "In den Buddenbrooks war er der Athlet, der
kaltblütig und sicher mit der Zentnerlast eines Riesenstoffes arbeitete, im
Tristan zeigt er sich nun als zierlicher Jongleur, als Meister der Bagatelle."O->"Vw»'
Diese neuen Novellen seien zum Lachen ernsthaft und zum Weinen komisch.
"Wer solche Mischungen braut, ist niemals bloß Artist, sondern muß schon tief
aus den Schalen des Ungenügens getrunken haben, ohne die kein Artist zum
Dichter wird." Und dann nochmals 1909: "Thomas Mann ist vielleicht der
einzige unter den Intellektuellen in der schönen Literatur, bei dem ein großes
Darstellungsvermögen dem geübten skeptischen Verstand die Waage hält.
Seme Novellen sind weniger Erzählungen als Charakterstudien, aber sie sind
alle bis in das einzelne Wort hinein eigentümlich, scharf geprägt und überlegt,
eine Feinschmeckerkunst ohne alle Falschheit."
Ob der in München lebende Thomas Mann diese u<ar in der "Neuen Zürcher
Zeitung" veröffentlichten Besprechungen je zu Gesicht bekommen hat, ist
ungewiß. Den Autor des Peter Camenzind jedoch hat er vier Monate später
kennengelernt, in einem Münchner Hotel, wohin ihr gemeinsamer Verleger
Samuel Fischer die beiden neuen Hoffnungsträger seines Verlages eingeladen
hatte, an einem der ersten Apriltage des Jahres 1904. "Beide waren wir noch
Junggesellen", erinnert sich Hesse. "Im übrigen freilich waren wir einander
nicht sehr ähnlich, man konnte es uns schon an Kleidung und Schuhzeug
ansehen."
Was wteii^erterJBffl^^^^Ttes-Äsop die elegante Stadtmaus Thomas
Mann von der unscheinbaren Feldmaus Hermann Hesse damals gehalten haben
muß, klingt nach in einem Antwortschreiben, welches er im Februar 1907 an
den Herausgeber von S. Fischers Zeitschrift "Die Neue Rundschau" gerichtet
hat auf dessen Besorgnis hin, sein Mitarbeiter Thomas Mann werde abwandern
in Hesses soeben gegründete Münchner Kulturzeitschrift "März": "Seien Sie
unbesorgt", heißt es in dieser ersten bisher auffindbaren Äußerung Thomas*.. '. -,.t - ' c ' - f - f . ' »
Manns über Hesse, "ich finde den >März< philiströs und ruppig. Politisch:
süddeutsch-demokratisch und litterarisch: Hermann Hesse - nun, ich bin kein
Ästhet, aber das ist mir zu treuherzig." Damals schrieb Thomas Mann gerade
seine Königliche Hoheit, dieses virtuose, dieh-noch ganz demokratieferne
Selbstportrait, Welten entfernt von Hesses meinetwegen treuherzigem Peter
Camenzind oder von Unterm Rad mit seinen Ausfällen gegen den Kaiser und
die Präpotenz der preußischen Hohenzollern mit ihren blanken Kanonen, doch
nicht mehr so weit entfernt von der Künstlerproblematik des Musikerromans
Gertrud, an dem Hesse damals etwa gleichzeitig schrieb. Hesse äußerte sich
über die erste Begegnung mit Thomas Mann schon in einem Brief vom
November 1904 an Alexander von Bernus: "In München war ich einmal einen
Abend mit ihm zusammen und fand ihn fein und sympathisch."
1910 erschien in der Zeitschrift "März" Hesses zweite öffentliche Äußerung
über den Kollegen, eine dreiseitige, nicht ganz unkritische Empfehlung von
Königliche Hoheit unter dem Titel "Gute neue Bücher".
Diese wollen wir etwas genauer ansehen, nicht ihrer kritischen Vorbehalte
wegen, sondern weil sie die Unterschiede zwischen Hesses vermeintlicher
Treuherzigkeit und der durchtriebeneren Erzählweise Thomas Manns sehr
schön aufzeigt. Wieder beginnt Hesse seine Besprechung mit einer Referenz an
die Buddenbrooks, die er als ein Werk bezeichnet, das man im Lauf der Jahre
mit eigenem Erleben verwechseln könne. "Die Buddenbrooks waren so
absichtslos, unerfunden, natürlich und überzeugend wie ein Stück Natur, man
verlor ihnen gegenüber den ästhetischen Standpunkt und gab sich hui wie dem
Anblick eines natürlichen Geschehens." Königliche Hoheit dagegen sei "nur
ein Roman, etwas Gewelltes, dem wir mit Interesse, Liebe, Bewunderung, aber
nicht mit solch selbstvergessener Hingenommenheit folgen". Thomas Mann
habe zwar eine Sicherheit des Geschmacks, die auf höchster Bildung beruht,
nicht aber die traumwandlerische Sicherheit des naiven Genies. Dieses denke
überhaupt nicht an die Leser. Thomas Mann jedoch, der mißtrauische
Intellektuelle, suche sein Publikum auf Distanz zu halten, indem er es
einerseits ironisiere, ihm andererseits aber wieder Erleichterungen und
Eselsbrücken baue. Dazu gehöre die boshafte Manier, jede Figur bei ihrem
Wiederauftreten ihre stereotypen Attribute vorzeigen zu lassen und ein etwas
geschmackloses Spiel mit Namen und Masken zu treiben. "Er bringt einen
Doktor Überbein mit grüner Gesichtshaut und rotem Bart, ein Fräulein
Unschlitt, die Tochter eines Seifensieders, auch einen Herrn Schustermann mit
seinen Zeitungsausschnitten", Figuren, die nichts als Masken seien. Wenn man
dagegen eine von Thomas Manns unglaublich liebevollen Naturbetrachtungen
oder einen seiner leuchtenden Sätze über Kunst gelesen habe, begreife man
nicht, wie derselbe Mensch seine Kunst so mißbrauchen könne. Denn mit
seinen gewiß witzigen, amüsanten und heimlich befriedigenden Antreibereien
des Publikums räume er dem gemeinen Leser eine Art Überlegenheit ein, um
ihm alles Feine, Ernsthafte, Sagenswerte dafür zu unterschlagen, denn das saget*VMl«-w-
er zwar auch, aber so zart und nebenbei, daß j«»sr es nicht mehr merke. "Wir
möchten einmal", so schließt Hesses Besprechung, "ein Buch von Thomas
Mann lesen, in dem er an den Leser gar nicht denkt, in dem er niemand zu
verlocken und niemand zu ironisieren trachtet. Wir werden dieses Buch nie
bekommen. Denn jenes Spiel mit der Maus gehört bei Thomas Mann zum
Wesen." Gleichwohl sei Königliche Hoheit ein Anlaß zur Freude. Denn selbst
das Unscheinbarste, was von diesem feinen Schriftsteller komme, stehe immer
noch hoch über dem Üblichen.
Das "März"-Heft mit dieser Kritik hat Hesse dem ihm inzwischen ja persönlich
bekannten Thomas Mann zugeschickt, verbunden mit einer erneuten Einladung
zur Mitarbeit jener von ihm und Ludwig Thoma herausgegebenen Zeitschrift,
die Thomas Mann nun befolgte.
In seiner Antwort bestreitet Thomas Mann ein bewußtes Liebäugeln mit dem
Publikum und rechtfertigt sowohl seine karikierenden Namen als auch das
stereotype Wiederholen immer derselben äußeren Attribute bei Nebenfiguren
mit seiner Vorliebe für die "demagogische Kunst" Richard Wagners, die ihn,
wie er schreibt, "vielleicht für immer beeinflußt, um nicht zu sagen korrum-
piert ha^er"
Es ist Richard Wagners auf Rausch, Monumentalität und suggestive
Überwältigung bedachter Trend zum Gesamtkunstwerk und die
Kompositionstechnik des Leitmotives •ajte'Selbstzitqt, auf die Thomas Mann
hier verweist und von der er tatsächlich niemals lassen konnte bis in seine
letzten Romane hinein. Denn die Prägung durch diesen Tonkünstler, dem er in
solcher Haßliebe verfallen war, daß er ihn als "pathetischen Theatraliker"
10
bezeichnen konnte, war Thomas Manns frühestes Bildungserlebnis, das ihm im
Guten wie im Problematischen künftig noch viel zu schaffen machen sollte.
Wagnersches Nibelungen-Muskelspiel rumort auch im romantisierenden
Patriotismus seiner Stellungnahmen zum Ersten Weltkrieg, die auf eine
Verhöhnung der Gegner Deutschlands, insbesondere, der von seinem Bruder
Heinrich so hochgeschätzten französichen Nachbarn hinausliefen.
Hesses musikalische Vorlieben dagegen galten dem 15. bis 18. Jahr-
hundert, den kristallinen Ordnungen der Harmonielehre Bachs, der Barock-
musik, Mozart bis Chopin und dem auch von Thomas Mann geliebten Franz
Schubert. Über Thomas Manns Verhältnis zur Musik schrieb Hesse 1949 in
einem Brief an Karl Dettinger: "Es ist ein romantisch-sentimentales, und er hat
mit ungeheurem Fleiß ein intellektuelles daraus gemacht." Über Wagner
sollten die beiden bei ihren späteren Zusammenkünften noch viel debattieren.
Und als die Nationalsozialisten im März 1934 in Leipzig Wagner-Festspiele
inszenierten, wobei nun auch Hitler sich intim mit dem Komponisten verglich,
schrieb Hesse dem Kollegen beinah schadenfroh: "Sie wissen ja, daß ich in
dem, was Sie Abschätziges und Kritisches über Wagners Theatralik und
Großmannssucht sagen, sehr mit Ihnen übereinstimme, während Ihre Dennoch-
Liebe zu Wagner mir zwar ehrwürdig und auch rührend, aber doch nur halb
verständlich ist... Ich kann ihn, offen gesagt, nicht ausstehen. Und vermutlich
empfand ich bei dem Blick auf jene Zeitung mit Hitlers Superlativen über
Wagner Ihnen gegenüber etwas wie: >Da haben Sie Ihren Wagner<NDieser
gerissene und gewissenlose Erfolgmacher ist genau der Götze, der ins jetzige
Deutschland paßt!";-. IL-.J. CrL~', i ':' •'•-'•
Doch eine im zarten Alter von neun Jahren begonnene Leidenschaft wie
diejenige Thomas Manns zu Richard Wagner ist unbeirrbar, sogar noch vom
Mißbrauch durch Bruder Hitler, wie Thomas Mann den verhinderten Maler
und darüber größenwahnsinnig gewordenen Politkomplexling 1939 in einem
glänzenden Essay aus guten Gründen nannte^^Manche^ojiüse^eft;ä-
Unglücksgeslalte^^ederTKJmische Kaiser-Nero~ödei unter den
Nationalsozialisten auch Joseph Goebbels, waren ja gescheiterte Künstler,• £ •-- l / "* s ** -" " : f' isSä-&uhe-sämWtstelterische Versuche von den Vorlagen abgelehnt-^wurden.)
Und so hat es fast etwas Rührendes, wenn Thomas Mann den in seiner
Wagner-Skepsis völlig unanfechtbaren Hesse noch 1947 zu einem gemein-
samen Ausflug nach Tribschen ins dortige Wagnermuseum zu bewegen sucht.
In einem Brief Hesses lesen wir darüber: "Es war ganz eigen, mit ihm durch
diese schönen Räume mit Erinnerungsstücken meist schrecklich geschmack-
loser Art zu gehen. Ich, ohne kritische Worte, er, dennoch sich verpflichtet
fühlend, seinen Helden zu entlasten und das trotz allem Große an ihm zu
11
würdigen... Dagegen sah ich in einem Nebenraum einige Stücke von
Nietzsche, wegen dem ich als Jüngling öfter von Basel für einen Sonntag nach
Luzern fuhr, die mir den Besuch reichlich lohnten."
Mit Nietzsche war man wieder auf dem Boden der Gemeinsamkeiten. Denn für
den Verfasser des Doktor Faustus wie für den Autor von Zarathustras
Wiederkehr ist Nietzsche ein lebensbestimmender Kompaß gewesen. Thomas
Mann verehrte in Nietzsche den erfahrensten Psychologen der Dekadenz,
Hesse den Anti-Patrioten und Kritiker jedes Kollektivismus, für den nur das
Gewissen die höchste Instanz war. Diese bei aller Liebe doch wieder recht
verschiedene Form ihrer Nietzsche-Aneignung war es denn auch, was die
lange Sendepause ihres eben erst begonnenen Zwiegespräches bis in den
Ersten Weltkrieg hinein erklärt.
Hesse hatte Deutschland 1912 verlassen und war mit seiner Familie
zurück in die Schweiz, ffl3as^erloffiftsland"semef-Frau, nach Bern über-
siedelt, nicht zuletzt aus einem Unbehagen an den realen königlichen Hoheiten
in Berlin, gegen deren prahlerisches Regiment seine Mitarbeit an den Zeit-
schriften "Simplicissimus" und "März" gerichtet war. Den Ausbruch des Ersten
Weltkriegs erlebte Hesse also bereits im Exil, während Thomas Mann ihn von
München aus verfolgte. Das mag zu der ganz unterschiedlichen Weise beige-
tragen haben, womit sie damals auf diese rauschhafte Heimsuchung reagierten.
Zwar war auch Hesse bis 1915 keineswegs frei von solidarischen Sympathien
zu seinen Landsleuten, wie wir inzwischen aus seinen Briefen und Tagebuch-
notizen wissen, aber die nationalistische Selbstzerfleischung Europas empfand
er als barbarisch und rückständig. Einzig die Hoffnung, daß der Krieg endlich
der Monarchie den Garaus machen und Deutschland eine sozialere Gesell-
schaftsordnung bescheren werde, ließ ihn noch eine Zeitlang über die Zweck-
mäßigkeit des Gemetzels schwanken. Seine öffentlichen Stellungnahmen
jedoch, vom Aufruf "O Freunde nicht diese Töne" im Oktober 1914 bis bin zu
Zarathustras Wiederkehr im Januar 1919, waren alle gegen die deutsche
Kriegsführung gerichtet.
| DeFI SScH verstorbene Schweizer Thomas Mann-Forscher Hans Wysling hat
in seinem Hauptwerk, der in jeder Hinsicht gewichtigen Thomas Mann-
Bildbiographie Hesse zu den Propragandisten des Krieges gezählt, in einem
Zug mit Thomas Mann, Hofmannsthal, Hauptmann, Musil, Döblin, Kerr und
vielen anderen. Um dies zu belegen, faksimilierte er neben Thomas Manns
Gedanken im Kriege eine ganzefDoppelseite mit zwölf ähnliehen
publizistischen Hymnen anderer "Autoren auf die große Zeit, doch für Hesse
blieb er den Beleg schuldig. Denn es gibt keinen. Sein Hinweis darauf, daß
12
neben Thomas Mann auch andere Intellektuelle damals dem patrlojlschen
Fieber erlegen sind, mag diesen entlasten. Aber pian ver4eckf eine der
entscheidenden Grundlagen seiner künftigerjtBezlehung zu Hesse, wenn man
die Unterschiede in ihrem Verhältnis^ Deutschland verwischt. Solidarität mit
dem "Zauberer" in Ehren^jdotSi unter den Zauberlehrlingen von Peter de
Mendelssohn über-Inge und Walter Jens, Hermann ldrjö|kejbis Marcel Reich-
Ranicki gibt es eine fatale Tendenz, die politischen Differenzen zu frisieren,•-- • . ... , - . " • •• - • - •• - • - -,B^CT-«r_Tj.^fti"W "M. mj^^
w^mit atieh ^"fbürrrasrMsBftH-^Pöf SShungl^Sri.gedient sein*kaS^Es nimmt
Thomas Mann nichts von seiner Größe, wenn man die Quelle der in seinem
Leben verfänglichen, im Werk jedoch ungemein produktiv gewordenen
Konflikte in seinem Bedürfnis nach Repräsentanz erkennt, ob er sie sich nun
erfindet als Personalunion mit der Königlichen Hoheit des monarchistischen
Deutschland, im Ersten Weltkrieg mit dem Soldatenkönig Friedrich dem
Großen, oder ob er sie selber praktiziert, in der Weimarer Republik als
Aushängeschild der Preußischen Akademie, als Sprecher der Emigranten im
Exil oder im Kalten Krieg der Ost-West-Spannung als Überbrücker des
Eisernen Vorhangs mit seinen Vortragsreisen sowohl ins kapitalistische wie ins
kommunistische Deutschland 1947 und 1955 zu den Goethe- und Schiller-
Feiern.
Jeder dieser Rollen war Thomas Mann auf glanzvolle Weise gewachsen, hat er
doch zu ihrer weltanschaulichen Rechtfertigung auf subtilere und gescheitere
Weise argumentiert als alle Politiker. Nicht aus Opportunismus, wie seine
Gegner ihm vorwerfen, sondern durch eine leidvolle politische Entwicklung
aus patriarchalischer Traditionsverbundenheit und aristokratischem Künstler-
bewußtsein ("Demokratie sei die Bestimmung des Niveaus von unten her",
sagte er im Ersten Weltkrieg) bis schließlich zur virtuosen Parteinahme für die
Demokratie und Überwindung der ideologischen Schranken.
Daß diese Entwicklung bei Hermann Hesse ungleich früher einsetzte,
ist nicht verwunderlich. Uneitel, fern von allen schaustellerischen Ambitionen,
weit weg von den Metropolen, von Wettbewerbs- und Profilierungsbedürf-
nissen, öffentlichkeitsscheu und unbestechlich wie er war, sind ihm viele der
Verstrickungen und Umwege Thomas Manns erspart geblieben. Aber auch das
hatte seinen Preis in der geringeren Welthaltigkeit, Durchtriebenheit,
Intellektualität und Komplexität seines Werkes, das wie ein Volkslied anmutet,
verglichen mit der raffiniert symphonischen Umsetzung der übrigens oft
verblüffend ähnlichen Motive und Themen bei Thomas Mann.
Doch zurück in den Ersten Weltkrieg. Als Missionarssohn begründete
Hesse 1915 die Mission seiner Kriegsgefangenenfürsorge, zu einem Zeitpunkt,
als der Kaufmannssohn Thomas Mann noch dafür plädierte, daß Deutschland
13
zu seiner Radikalität im Geistigen nun endlich auch die realpolitische hin-
zugewinnen müsse. Das hielt ihn freilich nicht davon ab, den Kollegen Hesse
bei seiner Sozialarbeit zu unterstützen.
Der Krieg nahm seinen Laufund bescherte Hesse damals schon das,
was Thomas Mann erst 2wanzig Jahre später erleben sollte: die politische
Ächtung der deutschen Presse als Vaterlandsverräter. Hesses politische Mahn-
rufe zwangen diesen ab 1917 sogar dazu, sich für seine zeitkritischen Ver-
öffentlichungen einen Decknamen zuzulegen, ein Purgatorium, das er schließ-
lich nur noch mit Hilfe der Psychoanalyse bewältigen konnte. Das Fegefeuer
für Thomas Mann waren die Betrachtungen eines Unpolitischen, eine
o- •-..virtuoses, mit allen Wassern der Dialektik gewaschenes Rechtfertigungs- und
Rückzugsgefecht vom Aristokraten zum Demokraten, das erst 1924 im
Zauberberg seinen Abschluß fand.
Die Selbsttherapie für Hesse war der Demian, 1917 geschrieben und zwei
Jahre später pseudonym erschienen, bezeichnenderweise unter demselben
Decknamen, den er auch für seine politischen Mahnrufe im Ersten Weltkrieg
verwendet hatte: Emil Sinclair.
Thomas Mann war einer der ersten Leser des Buches und notierte am
29.5.1919 in sein Tagebuch: "Las die Erzählung von Sinclair weiter, mit
größter Achtung und auch Unruhe, weil mir das psychoanalytische Element
darin entschieden geistiger und bedeutender verwendet scheint als im Zauber-
berg, aber stellenweise auf merkwürdig ähnliche Art." Weil er den Verfasser
nicht erriet, schrieb er einige Tage später dem gemeinsamen Verleger S.
Fischer: "Sagen Sie mir bitte: wer ist Emil Sinclair? Wie alt ist er, wo lebt er?
Sein Demian hat mir mehr Eindruck gemacht, als irgendetwas Neues seit
langem. Das ist eine schöne, kluge, ernste, bedeutende Arbeit. Ich las sie mit
größter Bewegung und Freude... Auf so bedeutende Art hat noch keiner eine
Erzählung in den Krieg münden lassen."
In den Krieg münden sollte fünf Jahre später auch Thomas Manns Zauberberg,
dessen begonnenes und wegen der Betrachtungen eines Unpolitischen beiseite
gelegtes Manuskript er damals gerade wieder hervorgeholt hatte.
Als Otto Flake dann ein Jahr später, auf einen Wink seiner Frau hin (denn diei (U W-ft^.v-7
Frauen sind^meist die besseren Leser), das Sinclair-Pseudonym lüftete,
vermerkt Thomas Mann in einem Brief an Philipp Witkop: "Sollte Demian,
den ich sehr liebe wirklich von Hesse sein? Daß er dem Freudianismus so
zugänglich war, sollte mich wundern. Und warum dieses Versteckspiel - in
einem Augenblick wo er sein Äußerstes und Bestes gab?" Noch Jahrzehnte
später in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe des Demian vergleicht
14
Thomas Mann die Erzählung mit Goethes Leiden des jungen Werther, weil sie
"mit geheimnisvoller Genauigkeit den Nerv der Zeit traf und eine ganze
Jugend, die wähnte, aus ihrer Mitte sei ihr ein Künder ihres tiefsten Lebens
entstanden, zu dankbarem Entzücken hinriß."
Im Januar 1924, zehn Monate vor dem Zauberberg, erschien unter dem
Titel Psychologia Balnearia Hesses Kurgast, der in seiner ironischen Selbst-
persiflage zu Thomas Manns Lieblingsbüchern zählte, weil er ihm vorkam, wie
er sagte, "als wärs ein Stück von mir", obwohl Hesses Humor ja eher auf seine
eigenen Kosten geht als auf Kosten anderer wiec4>ei=¥fe0iHas^äBI. Anfang
Oktober 1926 fuhr Thomas Mann dann selber nach Baden an den Schauplatz
der Geschichte und schrieb dem Kollegen auf einer Postkarte: "Unmöglich,
lieber Herr Hesse, hier nicht Ihrer und Ihres entzückendsten Buches zu
gedenken! Nehmen Sie die erinnerungsvollen dankbaren Grüße dreier in Ihren
Spuren wandelnder Touristen: Thomas Mann, Katja Mann und Ernst Bertram."
In einem verlorengegangenen Brief muß er, wohl auf den Kurgast hin, Hesse
zu sich nach München eingeladen haben, ein Angebot, auf das dieser erstaun-
licherweise 1925 im Verlauf seiner Nürnberger Reise einging. Denn höchst
selten besuchte Hesse von sich aus irgendwelche Schriftstellerkollegen, die ihn
ihrerseits dafür um so hartnäckiger auch in seinen entlegensten Domizilen auf-X, . I _ ^ '•* ; -s. ? ;
zufinden verstanden. AW2S44.1925 berichtet Hesse über die Visite an Emmy
Ball-Hennings: "Gestern abend war ich zum Abendessen und zwar bis spät in
die Nacht hinein bei Thomas Mann, den ich wohl seit sechzehn oder siebzehn
Jahren nicht mehr gesehen hatte, der sich aber nicht im mindesten verändert
hat und mir in seiner gepflegten, wohlgelaunten Art wieder außerordentlich
sympathisch war." Kurz zuvor hatte Hesse das jüngste Buch von Thomas
Mann verteidigt in einer seiner zahlreichen Antworten auf Zuschriften von
Lesern, die ihm auf Kosten von Thomas Mann um den Bart zu gehen suchten:
"Über den Zauberberg kann ich mich nicht so ablehnend äußern wie Sie.
Zuweilen erinnert ja gewiß die Begabtheit und Beredtheit dieses Buches ein
wenig an das Gleichnis vom tönenden Erz. Aber in unserer so furchtbar
dünnen, armen Literatur von heute müssen wir froh sein, diese Qualität zu
besitzen, denn wenn es Thomas Mann vielleicht manchmal an der wahren
Frömmigkeit und Liebe zu mangeln scheint, so hat er doch in hohem Grad die
Liebe, Ehrfurcht und Opferwilligkeit für das eigene Werk und Handwerk. Das
ist heute schon außerordentlich viel."
Nicht verwunderlich in diesem Schreiben des Theologensprößlings ist
der Hinweis auf das biblische Gleichnis vom tönenden Erz, der auf das
Gepränge mit meist angelesenen und dann poetisch verschmolzenen Bil-
15
dungswissen zielt, womit Thomas Mann, ganz im Gegensatz zu Hesse geffist,
seine Erzählungen mitunter überfrachtet. Verglichen mit Thomas Mann scheint
jmr_ persönlich Hesse der spontanere Erzähler zu sein, der durch die Wucht
seiner Anliegen auch ohne wissenschaftlich-kulturphilosophischen Überbau
auskommt, um zu überzeugen. Das zeigt auch die ganz unterschiedliche
Arbeitsweise der beiden. Hesse war kein Leistungsethiker, der sich mitv - . •- . -! • '
uhrenhafter Zuverlässigkeit von morgens neun bis mittags eins an den
Schreibtisch setzte, um den Pegasus herbeizuzwingen, sondern vergleichsweise
undiszipliniert. Er schrieb nur dann, wenn es ihn dazu drängte, oder - wie er
sagte - wenn der Zaubervogel ihm sang. Da dies jederzeit, auch mitten in der
Nacht, sein konnte, muß er für seine Angehörigen eine Zumutung gewesen
sein. Denn dann schrieb er eruptiv und reagierte ungehalten auf jede Störung.
Ahnlich ärgerlich war ihm das ständige Ausgespieltwerden auf Kosten von
Thomas Mann. "Ich bin betrübt darüber", schrieb er einem dieser Schmeichler,
"daß auch Sie, ein scheinbar so guter Leser, Hesse nicht schätzen können, ohne
Thomas Mann dafür herabzusetzen. Ich habe dafür gar keinen Sinn, und jede
solche Bemerkung eines Lesers, der mich besonders loben möchte, entwertet
mir alles, was er sagt. Wenn Sie die Gabe haben, Hesse zu verstehen, Thomas
Mann aber nicht, so ist das Ihre Sache. Wenn Ihnen das Organ fehlt, diese
entzückende und höchst einmalige Erscheinung im Raum der deutschen
Sprache erfassen und ihr gerecht werden zu können, so ist das einzig Ihr
eigener Schaden und geht mich nichts an. Aber daß ich, der ich ... ein treuer
Bewunderer von Thomas Mann bin, ständig dazu herhalten soll, gegen ihn
ausgespielt zu werden, ist mir höchst widerlich." Das war 1947. In den
zwanziger Jahren jedoch gab es zwischen den beiden noch erhebliche
politische Unterschiede. Auf jene Zeit zurückblickend schrieb Hesse 1933 an
R. J. Humm: " Thomas Mann ist mir befreundet, doch die wenigen Male, wo er
mit mir auf Soziales zu sprechen kam, stand er, bei aller intellektuellen Billi-
gung des Sozialismus, mit seinem Herzen so viel weiter rechts als ich, war in
seinem gepflegten, feinen Wesen so unangegriffen vom klaffenden Riß der
Welt, daß es mich schauderte."
Dies zeigte sich auch schon in der Weimarer Republik, als Hesse Thomas
Mann zuliebe 1926 schweren Herzens die Wahl in die Preußische Akademie
für Sprache und Dichtung akzeptierte, der einzigen offiziellen Zugehörigkeit,
auf die er sich je einließ und die er vier Jahre später wieder aufkündigte, weil
er nach und nach den Eindruck gewonnen habe (wie es in seinem
Begründungsschreiben hieß): "Beim nächsten Krieg wird diese Akademie
wieder viel zu der Schar jener neunzig oder hundert Prominenten beitragen,
16
welche das Volk erneut wie 1914 im Staatsauftrag über alle lebenswichtigen
Fragen belügen werden."
Thomas Mann sah den politischen Kurs damals weniger skeptisch und
versuchte Hesse 1931 zu bewegen, seinen Austritt rückgängig zu machen. "Ich
bin nicht mißtrauisch gegen den jetzigen Staat", antwortete ihm Hesse, "weil er
neu und republikanisch ist, sondern weil er mir beides zu wenig ist"; und er
sehe in dem Versuch, die freien Geister in einer Akademie zu vereinigen, die
Absicht der Regierung, diese oft unbequemen Kritiker leichter im Zaum zu
halten. Hierauf Thomas Mann, ohne auf das Politische einzugehen, stattdessen
das Persönliche betonend: "Ich weiß sehr gut, daß Ihnen das Gesellschaftlich-
Offizielle, das4ffi-fctterarisch=Korf)orativeii immer-liegt, von Grund aus
widersteht. Aber", fügt er hinzu, "wem ginge es anders?" Über diese Frage
mag Hesse geschmunzelt haben, wie wir es tun, die wir von Thomas Manns
diplomatischer Elastizität und Lust an repräsentativer Selbstdarstellung wissen. '
Kein Wunder, daß Hesse hinwiederum auf diesen Punkt Jiicht einging, sondern ,
erneut zur Sache kam: "Also, der letzte Grund meines Unvermögens zur "f r
Einordnung in eine offizielle deutsche Korporation ist mein tiefes Mißtrauen
gegen die deutsche Republik. Dieser halt- und geistlose Staat ist entstanden aus
dem Vakuum, aus der Erschöpfung nach dem Krieg. Die paar guten Geister
der Revolution, welche keine war, sind totgeschlagen unter Billigung von
99 % des Volkes. Die Gerichte sind ungerecht, die Beamten gleichgültig, das
Volk vollkommen infantiL^Die kleine Minderheit gutgewillter Republikaner* i—- !j~ .-*
halte-er- für machtlos. Es werde eine blutige Welle faschistischen Terrors
kommen.
Und als dies genau ein Jahr später eintraf, gab Thomas Mann noch vier
Wochen vor Hitlers Machtergreifung in einem Brief an Hesse folgende
Entwarnung: "Wir sind aber, glaube ich, über den Berg. Der Gipfel des
Wahnsinns scheint überschritten, und wenn wir alt werden, können wir noch
ganz heitere Tage sehen." Acht Wochen später brannte der Reichstag, und
Thomas Mann - dank eines glücklichen Zufalls damals gerade auf
Vortragsreise in Amsterdam, Brüssel und Paris - sollte von nun an vierzehn
Jahre lang keinen deutschen Boden mehr betreten. Im März 1933 depechierte
nun auch er seinen Austritt aus der Preußischen Akademie und notiert am Tag
darauf ins Tagebuch: "Zunehmender Erregungs- und Verzagtheitszustand...
Ratlosigkeit, Muskelzittern, fast Schüttelfrost und Furcht, die vernünftige
Besinnung zu verlieren." Drei Tage später telefoniert seine Frau Katja mit
Hesse, ihr Mann sein noch ganz gebrochen und liege im Bett. Er stehe an erster
Stelle auf der schwarzen Liste derer, die von der neuen Terrorregierung als
Volksfeind angeprangert und als vogelfrei erklärt sind. Am liebsten käme er
17
jetzt nach Lugano zu einer Lagebesprechung mit Hesse. Am 26. März traf er
ein und blieb einen Monat. "Es war gut", heißt es im Tagebuch, "daß wir
gleich den ersten Abend mit Hesses verbrachten, in dem schönen eleganten
Hause, das ihnen sein Züricher Freund Bodmer geschenkt hat." Um dieses
Haus hat er den Kollegen sehr beneidet. Noch 1941, in Amerika, schrieb er an
Agnes E. Meyer von der "Washington Post": "Meinem Freunde Hermann
Hesse hat ein reicher Schweizer Mäzen in Montagnola ein schönes Haus
gebaut, worin ich ihn oft besucht habe. Der Gute wollte es nicht einmal zum
Besitz haben... Das Haus bleibt dem Erbauer, und Hesse wohnt nur eben mit
seiner Frau auf Lebzeiten darin. Warum ist in diesem Lande nie eine Stadt,
eine Universität auf den Gedanken gekommen, mir etwas ähnliches
anzutragen, um sagen zu können >we have him, he is ours<?"
Etwa zehnmal in den ersten Wochen seiner Emigration war Thomas
Mann, mitunter sogar mit seiner ganzen Familie, bei Hesse, der freilich auch
von anderen Naziflüchtlingen stark in Anspruch genommen wurde. Einer
davon war Bertolt Brecht, der um dieselbe Zeit nach Montagnola kam, doch
eine Begegnung mit Thomas Mann tunlichst vermied. "Inzwischen waren
Thomas Manns öfter bei uns", berichtet Hesse Ende März 1933 dem
befreundeten Pharmakologen Arthur Stoll, "und ich sehe mit Freude, daß er
die erste schwere Depression langsam überwindet. Wir verbrachten halbe Tage
miteinander. Bei ihm herrscht ja keine materielle Not. Was aus seinem Haus
und seinen Kindern in München werden soll, weiß er nicht, und dieser Tage
läuft sein Paß ab und wird ihm von keinem deutschen Konsulat auch nur
provisorisch erneuert. Er wendet sich an den Völkerbund."
Kurz darauf aus Südfrankreich, der nächsten Station seines Exils,.,-• • :.;\,>-;/
schreibt Thomas Mann: "Ich vermisse die Möglichkeit der Unterredung mit
Ihnen"... EsJSße nichts Wohltuenderes, Heilsameres in jenen verworrenen
Tagen gegeben, als das Gespräch mit Ihnen... "Sie haben mich in der
Vermutung bestärkt, die allmählich in mir dämmert, daß etwas, was als
schwerer Schock und Schrecken begann, mir am Ende noch zum reinen;-.--""!"' J • ' • = = . - -
Gewinn werden kann." ¥nd-Hesse: Er könne Thomas Manns Heimweh
verstehen, wenn er daran denke, wie schwer es ihm selber im Ersten Weltkrieg
gefallen sei und wie lang auch er gebraucht habe, um mit dem sentimentalen
Teil seiner Deutschlandliebe aufzuräumen. Aber ihr Weg müsse nun einmalo,-"' „ ty* rtf"
herausführen "aus der Schemgeborgenheit der nationalen Zugehörigkeit, durch
Vereinsamung und Verfehmung hindurch bis in die saubere und etwas kühle
Luft des Weltbürgertums."
Rückblickend hat sich Thomas Mann oft und gern an diese ersten Besuche in
Montagnola erinnert und Hesse bis 1938, solange er noch in Europa war,
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häufig wiedergesehen, sei es im Tessin, in Baden oder seinem eigenen Heim in
Küsnacht. Schon 1930, kurz nachdem er selbst den Nobelpreis erhalten und
somit für diese Auszeichnung vorschlagsberechtigt wurde, hat er Hesse, der
ihm, wie er sagte, bald "zum Nächsten und Liebsten" unter den zeitgenössi-
schen Schriftstellerkollegen werden sollte, auf dessen Roman Narziß und
Goldmundhin gleichfalls für diese Ehrung vorgeschlagen. Er wiederholte die
Empfehlung 1933 in einem Brief an Fredrik Bööks: "Ich habe schon Jahr und
Tag meine Stimme für Hermann Hesse, den Dichter des Steppenwolfes
abgegeben, indem Sie in wählten, würden Sie die Schweiz, zusammen mit dem
älteren, wahren, reinen, geistigen, ewigen Deutschland ehren. Die Welt würde
das wohl verstehen und auch das Deutschland, das heute schweigt und leidet,
würde Ihnen von Herzen danken." Freilich mußte er den Vorschlag noch oft
erneuern, bis 1946 endlich auch in Stockholm der Groschen fiel.
Daß der öffentlichkeits- und medienscheue Hesse Thomas Mann nicht,
wie zum Beispiel die imposante Allgegenwart Gerhart Hauptmanns, störte bei
seinen internationalen Auftritten als Nachfolger Goethes und Repräsentant des
geistigen Deutschland, mag zu diesem Wohlwollen beigetragen haben. Aber es
gab noch tiefere Gründe für diese Sympathie. Weder Hesse noch Thomas
Mann waren Neutöner. Mit dem "dernier cri" hatten sie beide nichts im Sinn
und waren alles andere als darauf versessen, durch einen neuen sound die
Tradition aus den Angeln heben und mit sich selbst ein neues Zeitalter ein-
läuten zu wollen. Beide, tief verwurzelt in der Tradition, waren sie der fdentf- '•-*< J,v»< ? ! f
täf zwischen Moral und Geist, Ethik und Ästhetik verpflichtet - durch rück-
wärtige Bindungen, bei Hesse in die deutsche Romantik, bei Thomas Mann zu
den Erzählern des Naturalismus. Sie machten das Überlieferte äfctaeil, pf äzis
und kompatibel, besonders Thomas Mann, dem es auf eine exzessive ; - , ' '
Vertiefung und Nutzanwendung historischer Stoffe ankam. Eine
Rekordleistung darin ist sein Josephs-Roman, dessen Stoff im Alten Testament
knapp 30 Seiten einnimmt und von Thomas Mann auf 1350 Seiten
ausgeleuchtet wird. Dabei habe er, äußerte Hesse, "nicht das Geringste dazu
erfunden. Manchmal sieht man, daß wir Dichter doch nicht ganz überflüssig
sind". Thomas Mann wiederum betonte anläßlich des Demian: "Die besten
Diener des Neuen sind doch stets diejenigen, die das Alte kennen und lieben
und es ins Zukünftige hineintragen."
"Maß und Wert" nannte Thomas Mann denn auch eine 1937 von ihm
herausgegebene Zeitschrift, denn Maß war für ihn gleichbedeutend mit Ord-
nung und Licht.
19
"Ich bin ein Mann des Gleichgewichtes", schrieb er im Februar 1935 an Karl
Kerenyi, "und lehne mich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu
kentern droht, und umgekehrt."
JJajiüVJvie^Gh'diesesiied*M^ «— *^
äußerte, hier nur zwei Beispiele: 1930, anläßlich der Kritiken zu semer soeben
erschienenen Erzählung Narziß und Goldmund, bemerkte dieser: "Jetzt
kommen die gleichen Leute, die dem Steppenwolf eine des Dichters unwürdige
Aktualität vorgeworfen haben und sprechen beim Gpldrnund von einer >Flucht./*'
in die Vergangenheit^ Ich aber habe ich diesemJBuch der Idee von
Deutschland und deutschem Wesen, die ich seit Kindheit in mir trage, einmal
Ausdruck gegeben und ihr meine Liebe ge'standen - gerade weil ich alles, was
heute spezifisch deutsch ist, so sehr hasse."
Auch in Deinem ein Jahr später begonnenen Alterswerk Das Glasperlenspiel,
an dessen Entstehung er den Kollegen passagenweise teilhaben ließ, setzte
Hesse dieses Kontrastprogrämm fo|t. Seine gegen den deutschnationalen
Mythos ^on Blut und Boden gerichtete Tendenz hat Thomas Mann denn auch
sofort bemerkt. Das zeigt sein Tagebucheintrag über das Regenmacher-Kapitel
vom 6.5U934: "Die Novelle ist schön gearbeitet und betreut das Primitive auf
eine humane Art, ohne es zu verherrlichen." Etwas ganz Ahnliches unternahm
damals auch Thomas Mann mit dem Vergangenheitstrip seiner Josephs-
Romane/deren übernationale Tendenz er 1941 in einem Brief an Karl Kerenyi
so charakterisierte: "Man muß dem intellektuellen Faschismus den Mythos
wegnehmen und ihn ins Humane umfunktionieren. Ich tue längst nichts
•anderes mehf." Wie aber reagierten die neuen Machthaber darauf?
Die ersten beiden J„Qsephsr,Romane 'wären trotz Thomas Manns unfreiwilliger "
Exöterang noch im Berliner S. Fischer Verlag erschienen, der ja auch
Hermann Hesses publizistische Heimat war. Noch kurz vor seinenvTod im
Oktober 1934 hatte Samuel Fischer seinen,Schwiegersohn Gottfried Bermannl/i/C'HsXit.' r*-- -f
Fischer und Peter Suhrkamp als leineJ^aehfolger bestimmt. Obwohl als Jude
unerwünscht, versuchte Bermann Fischer solange wiejtnöglich die Stellung in
Berlin zu halten, bis schließlich auch er dem Druck'der politischen
Verhältnisse weichen und mit seiner FamiliejMs nazistisch gewordene
Deutschland verlassen mußte. Es grenzt aaein Wunder, daß er noch 1936
emigrieren konnte und neben einer finanziellen Entschädigung (200 Tsd. RM)
sogar die kompletten Buchbestände'(780 Tsd. Bände) der politisch mißliebigen
Verlagsautoren (zu denen inzwischen auch Thomas Mann zählte) mit nach
Österreich in seinen ersten Exilverlag nehmen konnte. Das hatte er den
geschickten Verhandlungen Peter Suhrkamps mit der
20
Reichsschriftturnskammer zu verdanken, die jenen Verlagsteil freilich nur
unter der Bedingung freigab, daß das Werk des gleichfalls in den Exilverlag
drängenden "arischen" Dichters Hermann Hesse im Berliner Stammhaus blieb.
"Was Sie gelten", schrieb Thomas Mann am 7.3.1936 nicht ohne einen Anfiug
von Neid an Hermann Hesse, "zeigt sich ja darin, daß man Ihr bisheriges Werk
durchaus nicht mit hinauslassen will. Es muß im Lande bleiben ... Meins darf
hinaus, und es wird sich dann eben nur fragen, ob es [vom Exil aus] wird
eingeführt werden dürfen." K *,<•!.'• !_> -• $JJ <i'f ' ' -,.'
Hesse war mit dieser britopeMtisehen Nötigung durchaus nicht einverstanden.
Das zeigt sein Versuch vom April 1936, die Verlagsrechte an seinen Büchern
aus dem Berliner Stammhaus herauszjikaufen. Vergebens - denn dies hätte,
wie Peter Suhrkamp ihm am 6.5.1936; schrieb, die Weiterexistenz des Verlags
in "äußerste Gefahr" gebracht. Für Hejsses Bücher folgte von nun an jene
Gratwanderung "zwischen Duldung und Sabotage", die alles andere als
beneidenswert war. Denn bald schon stellte sich heraus, daß keines seiner
zeitkritischen Werke mehr nachgedruckt werden durfte, und die kümmerlichen
Honorare, welche seine noch geduldeten Bücher einbrachten, wurden auf
deutsche, Sperrkonten eingefroren, so daß Hesse, wie schon im Ersten'•• ' '. -?-- :-> '-•• .-* ' '•*'"
Weltkrieg und den Inflationsjahren, auf die rhäzenatische Hilfe seiner'! '; f Vu i, <•
schweizer Freunde angewiesen war, um die Zeit des Nationalsozialismus
finanziell zuXiberleben. Ganz anders Thomas Mann, dessen künftig in Wien,
Stockholm und den USA erscheinende Bücher ihm auch im Exjl einen
Lebensstil erlaubten, der sich kaum vom vorherigen unterschied, uch Hesses
pädagogischer Gegenentwurf zum totalitären Zeitalter, Das Glasperlenspiel,
konnte im damaligen Deutschland nicht erscheinen, so daß er sich genötigt sah,
das Werk erst Ende 1943 mit einem Jahr Verspätung, in der Schweiz zu
veröffentlichen! wo4hm vergleichsweise minimale Marktchancen beschieden
.waren.
Obwohl Thomas Mann bereits große Teile des-Buches kannte, war er dann
doch merkwürdig beunruhigt, als im März 1944 die beiden Bände des
Glasperlenspiels in seinem kalifornischen Exil eintrafen. Er schrieb damals
gerade seit einem Jahr am Doktor Faustus. Seine erste Reaktion im Tagebuch:
"Gewissermaßen erschrocken. Dieselbe Idee der fingierten Biographie. Die
Erinnerung, daß man nicht allein auf der Welt ist, immer unangenehm" ... "das
Meine sehr viel zugespitzter, schärfer und komisch-trauriger. Das Seme
philosphischer, schwärmerischer, religiöser, obgleich auch nicht ohne
Herausgeber-Humor und Namens-Komik." Und am selben Tag in einem Brief
an seine amerikanische Gönnerin Agnes E. Meyer: "Für meine arme Seele war
21
es etwas wie ein heilsamer Schock, als gestern aus der Schweiz das große
Spätwerk des alten Hermann Hesse eintraf, an dem er länger als ein
Jahrzehnt... gearbeitet hat. Das Glasperlenspiel, etwas völlig Versponnenes,
Einsames, Tiefsinniges, Keusches und Dollar-Fernes, unübersetzbar, enorm
deutsch. Dabei hat es, schon als fingierte Biographie, aber auch durch die
Rolle, die die Musik darin spielt etc., eine unheimliche, geisterhaft-brüderliche
Verwandtschaft mit meiner gegenwärtigen Schreiberei. Es ist immer eine
eigentümlich verletzende Entdeckung, daß man nicht allein auf der Welt ist.
Goethe fragt einmal unverfroren: >Lebt man denn, wenn andere leben?<"
Und noch im Jahr 1948, drei Monate nachdem der Doktor Faustus
erschienen war, lesen wir in einem Brief Thomas Manns an Otto Basler, der
ihm Hesses Musikalische Betrachtungen geschickt hatte: "Dank für seine
Musikalien, die charmant bis zum Bezaubernden sind. Es ist wohl gut, daß ich
sie nicht zur Zeit des Faustus las; leicht hätten sie mich entmutigen können.
Diese Gefahr bestand übrigens auch beim Glasperlenspiel und wurde nur nicht
akut, weil dieses in der himmlischen Sphäre der Musik spielt, aus der sie durch
Beethoven ins Menschliche fiel, um durch Leverkühn ins Höllische zu fallen.
Wie verwandt stehen diese beiden Hauptleistungen des heutigen Romans in der
Zeit - und wie so gar nicht berühren sie sich auch wieder und sind einander im
Wege! Das ist sehr gut. "..."Es sind ja Bruderwerke bei aller Verschiedenheit,
und die Deutschen sollten wieder einmal froh sein, daß sie zwei solche Kerle
haben, sie wissen aber nie, was sie haben."
Von nun an begann auch Thomas Mann den Kollegen zu verteidigen, wenn
man Hesse herabsetzte, um ihn selbst zu rühmen, so zum Beispiel in einer Ent-
geg^nung vom Dezember 1947 auf abfällige Äußerungen des Historikers und
Kulturphilosophen Erich von Kahler: "Hesse, glaube ich, tun Sie unrecht. Es
ist das doch ein wohltuend außerdeutsches Deutschtum... Narziß und Gold-
mund war ein schönes Buch, auch Demian hatte etwas den Nerv Treffendes,
und aus dem Glasperlenspiel spricht eine verträumte Kühnheit in der Realisie-
rung geistiger Dinge mich an... als Werk gehört es doch zu dem wenigen
Wagemutigen und eigensinnig-groß Konzipierten, was unsere verprügelte,
verhagelte Zeit zu bieten hat."
weil ja auch heute noch, selbst unter Akademikern verbreiteten-Gegen-
einanderausspielen der beiden, in einem Schreiben vpafS.7.47 an Thomas
Mann: Soeben habe er endlich einmal einen prief bekommen "mit einer völlig
gleichmäßigen Verteilung der Liebe für Sie und mich, während ich allzu oft
von biederen Wandervögeln für ihresgleichen genommen und zu hören und zu
lesen bekommen mußte, wie sehr man es an mir schätze, daß ich nicht ein so
kühler und geschniegelter Weltmann sei. Ich bin gewiß, daß Sie ebenso oft
22
Htddigungen empfangen haben, die sich durch ehrenvolle Vergleiche mit dem
blauäugigen schwäbischen Idylliker mehr Würze zu geben strebten." -*
Endlich im Oktober 1947, vier Jahre nach Hesses Glasperlenspiel, war
auch der Doktor Faustus erschienen, und in das Exemplar, das der Verfasser
seinem Kollegen schickte, notierte er die Widmung: "Hermann Hesse - dies
Glasperlenspiel mit schwarzen Perlen von seinem Freunde Thomas Mann".
Schwarze Magie also im Pakt des modernen Faustus mit dem Teufel, weiße
Magie im Glasperlenspiel, einer Versuchsanordnung zur künftigen Vermei-
dung solcher Teufeleien. -
Gespannt lauerte Thomas Mann nun auf alles, was seine Kollegen über
diesen seinen neuesten Hochseilakt äußerten. Hesse tat es direkt und mit wohl-
begründetem Beifall in einem ausführlichen Schreiben vom Dezember 1947 an
den Verfasser. Aber Thomas Mann traute diesem ihm gar zu gut duftenden
Braten nicht recht und schrieb an den gemeinsamen Freund Otto Basler:
"Unter uns, es ist mir ziemlich deutlich, daß Hesse nicht sehr angetan ist vom
Faustus. Wenn er direkt davon spricht, läßt er sich nichts merken. Aber vorher,
als von der Fortsetzung des Krull die Rede ist, freut er sich bedeutsam auf den
>Spaziergang in artistischer Höhenluft< und auf das >Spiel mit einer von
aktuellen und makaberen Problemen freien Materie<. Ja, ja, der Faustus ist
aktuell und makaber, eine blutige Angelegenheit, - bei der ich, wie Hesse aus
Höflichkeit behauptet, >kaum jemals die gute Laune, den Spaß am Theater
verloren< habe. >Kaum jemals< ist sehr zart gesagt."
So ganz unrecht hatte Thomas Mann mit seinem Argwohn nicht. Der
Frau des Verlegers Bermann Fischer schrieb Hesse damals zwar, daß er abends
mit hohem Genuß den Leverkühn lese, und an Albrecht Goes, daß der umfang-
reiche neue Roman ihn ergötze, er sei "scheinbar weitschweifig-versponnen im
Einzelnen aber in jedem Satz präzis und klar geschliffen, so daß man
aufpassen muß wie bei polyphoner Musik, um möglichst wenig zu überhören."
Aber nach Beendigung der Lektüre gab es doch auch Vorbehalte. So lesen wir
in Hesses Brief vom 20.1.48 an Otto Basler: "Vermutlich hat Thomas Mann
das >faustisch< Deutsche, wie er es kannte, und wie er es in sich selber trägt,
einmal von seiner diabolischen Seite betrachten wollen und zwar im Bild der
deutschen Musikalität, die ja einerseits eine hohe Begabung, andererseits auch
ein Laster ist, so wie Thomas Mann selber vermutlich seine tiefe Liebe zu
Wagner als problematisch und gefährlich empfindet. Das wäre das Primäre.
Hinzugetan hat er dann noch das andere, das Stück Zeitgeschichte und
Schlüsselroman, den schlechteren aber auch amüsanteren Teil des Werkes, und
hat insofern ins Schwarze getroffen, als München in der Geschichte der reak-
tionären Tendenzen wirklich eine führende Rolle gespielt hat und vermutlich
23
auch heute noch spielt." Doch als Süddeutscher und Alemanne relativiert er
auch^wieder was er an Thomas Manns norddeutscher Herablassung als
ungerecht empfindet und bemerkt: "Thomas Mann hat das Süddeutsche stets
beinahe nur parodistisch gesehen, wenn auch oft sehr gut beobachtet, aber
ohne Herzensbeziehung, und als großer Arbeiter und von seinem Werk
Besessener hat er Vieles vereinfachen müssen, was wir komplizierter nehmen".
Und über ihrer beider Verhältnis in diesem Zusammenhang: "Wenn ich für ihn
ein scheinbar etwas ländlicher und harmloser kleiner Bruder bin, so spürt und
kennt er doch das fremde Zentrum, um das ich schwinge, ganz gut." (am
20,7.1950 an Ludwig Renner)
Thomas Mann zögerte lange bis er aus seinem kalifornischen Exil nach Europa
zurückkehrte. Das Gift, das man in den zwölf Jahren des großspurigen
Tausendjährigen Reiches gegen ihn verspritzt hatte, wirkte noch lange nach,
selbst bei den in Deutschland verbliebenen Autorenkollegen, der sogenannten
Inneren Emigration, von denen nur ganz wenige, obenan Ernst Penzoldt,
Albrecht Goes und Alfred Andersen, sich öffentlich zu ihm zu bekennen
wagten.
Um das Terrain zu sondieren, ließ er sich 1947, 1949 und 1950 auf kurze
Vortragsreisen in seine alte Heimat ein, um sich dann 1952 aus guten Gründen
nicht in München niederzulassen, wo er bis zur Bedrohung durch Hitler drei
Jahrzehnte gelebt hatte, sondern dort, wo auch Hesse war, in der Schweiz.
Hier trafen sie sich nun alljährlich wieder, in Montagnola zumeist und
1954 auch für einige Wochen im Engadin, in Nietzsches Sils Maria. Dort
bewohnten sie im selben Hotel den gleichen Flügel, Katja und Thomas Mann
ein Stockwerk höher, Ninon und Hermann Hesse die Zimmer darunter. Man
las sich vor, spaßte und wunderte sich über die Kapriolen deutscher Ver-
gangenheitsbewältigung, sei es nun durch die Besatzungsmächte mit dem Ver-
such des amerikanischen Pressesprechers Hans Habe, Hesse im Nachkriegs-
deutschland mundtot zu machen, oder über den Amoklauf des damaligen
Rektors der Basler Universität Walter Muschg, der Thomas Mann vorwarf, er
habe durch seine nihilistische Schreiberei Deutschland dem Nationalsozialis-
mus in die Arme getrieben.
Als Thomas Mann durch Dritte erfuhr, aufweiche Weise sich Hesse schon
Jahre zuvor, gleich nach der Veröffentlichung dieser Äußerungen in Muschgs
Tragischer Literaturgeschichte (1948) gewehrt hatte, schrieb er an Otto Basler,
dieser Hesse sei doch ein kurioser Mann: "Immer stellt er sich als uralt,
abgenutzt, weit- und meinungsmüde dar, und dann plötzlich schlägt er drein
wie ein junger Kämpe, daß die Funken sprühen. Es ist ein Vergnügen."
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Angriffe auf Thomas Mann schmerzten Hesse nicht weniger als die deutsche
Restauration und Wiederbewaffnung. Sie erregten ihn zuweilen mehr als gegen
ihn selbst gerichtete Attacken. Das lag für ihn alles auf einer Ebene. Wie auch
die Schmähungen Alfred Döblins, der den Erzählstil Thomas Manns als groß-
bürgerliche "Degeneration" und "Bügelfaltenprosa" abgetan und Hesse
schlichtweg als "langweilige Limonade" bezeichnet hatte. Als
Eifersuchtsreaktion auf den Nobelpreis war das vielleicht noch einzuordnen,
nicht aber die Angriffe Manfred Hausmanns und die überheblichen
Absetzmanöver der Kriegsheimkehrergeneration mit ihrer
"Kahlschlagliteratur" und die der "Gruppe 47".
"Das Versagen der deutschen Leser Thomas Mann gegenüber", schrieb
Hesse noch 1951 i-a=@iaem^BrJbfeatt^^te4i^^ffl^Hfl, "ist auffallend. Die
deutsche Jugend kennt als Gegenmittel zu der ihr eingeborenen Sentimentalität
nur noch den Heroismus und Zynismus, nicht aber die Ironie." Thomas Manns
höhere Heiterkeit, seine Methode des ironischen Distanzierens, hielt Hesse für
eine Art Abwehr des Ergriffenwerdens, der Faszination. Dies, meinte er, zeige
sich auch in der Art seines Vorlesens. Thomas Mann sei, berichtet er, nachdem
er ihm im Mai 1950 zwei Kapitel aus dem Erwählten zum besten gegeben
hatte, "unglaublich frisch und unverändert in seiner adretten und leicht
mokanten Art. Ihn sprechen zu hören, ist schon rein sprachlich ein Genuß."
"So wie er liest, spricht er auch, stets genauestens akzentuierend, mit etwas
Mimik, viel Distanz und Ironie und stets mit einer Spaßigkeit und
Spitzbüberei, für die man ihn gern hätte, wenn man es nicht schon aus anderen
Gründen täte."
"Sterben Sie ja nicht vor mir!" schrieb Thomas Mann zu Hesses 75.
Geburtstag, "Erstens wäre es naseweis, denn ich bin der nächste dazu. Und
dann: Sie würden mir furchtbar fehlen in dem Wirrsal, denn Sie sind mir darin
ein guter Gesell, Beistand, Beispiel, Bekräftigung, und sehr allein würd ich
mich ohne Sie fühlen." Und daraufhin Hesse: "Sollten Sie etwa vor mir das
Zeitliche segnen - ein schönes Wort, das genau genommen ja nichts andreres
meint als ein Preisen der Vergänglichkeit - so würde ich mich allerdings kaum
zu einem Preisen oder Segnen aufzuraffen imstande sein, sondern einfach sehr
betrübt werden." Und als Thomas Mann dann tatsächlich vor ihm starb, sprach
Hesse von einem Gefühl der Leere und des Alleingebliebenseins wie zwei
Jahre zuvor beim Verlust seiner letzten Schwester. In tiefer Trauer nehme er
Abschied, schrieb Hesse 1955 in der "Neuen Zürcher Zeitung": "Von diesem
Meister der deutschen Prosa, dem trotz allen Ehrungen und Erfolgen viel Ver-
kannten. Was hinter seiner Ironie und Virtuosität an Herz, an Treue, Verant-
wortlichkeit und Liebesfähigkeit stand, jahrzehntelang unbegriffen vom großen
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deutschen Publikum, das wird sein Werk und Andenken weit über unsere ver-
worrenen Zeiten hinaus lebendig erhalten."
So ist es denn auch gekommen, wie andererseits auch Thomas Manns
Vorhersage eingetroffen ist, daß Hermann Hesse, freilich erst nach seinem
Tod, auf wahrhaft grenzüberschreitende Weise die "Sympathie der
Menschheit" gewonnen hat, mit einem Werk, das, wie Thomas Mann betonte,
"seinesgleichen sucht an Vielschichtigkeit und Beladenheit mit den Problemen
von Ich und Welt".