von der wiege bis zur bahre?
TRANSCRIPT
4/15 Mai/Juni D, A, CH: Euro 14,40 | ISSN 1618-002Xwww.digital-engineering-magazin.de
Innovative Lösungen für Konstrukteure, Entwickler und Ingenieure
CENIT: G anzheit l icher Anbieter für PLM und D igitale Fabrik
Wettbewerbsfähiger durchProzessoptimierung und Beratung
ExpertentalkAdditive Fertigung
beeinflusst Konstruktion
SensorikVorausschauende Wartung
mit Datenfusion vorantreiben
KostenvorteilDurchgängige Verbindung
zwischen PLM und Produktion
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Industrie 4.0 | Internet der Dinge
Kurt Bengel, Sprecher des Vorstands bei der CENIT AG, erläutert im Gespräch, wie Unternehmen ihre Geschäftsprozesse mit digitalen Mitteln schlanker und e"zienter gestalten können.
Frankfurt am Main, 17. – 20.11.2015formnext.de
International tool makingand additive technologiesexhibition and conference
Weitere Informationen unter
+49 711 61946-825 oder [email protected]
Am internationalsten.
Am besten.
Am Main.Der Werkzeug- und Formenbau, die Additiven Technologien/3D-Druck sowie
deren Zulieferer und Partner zeigen vom 17. – 20. November auf der formnext 2015
in Frankfurt am Main Fachbesuchern aus aller Welt was sie können.
Profitieren auch Sie vom neuen und hochattraktiven Messekonzept in einer der
spektakulärsten Messehallen der Welt.
Where ideas take shape.
| EDITORIAL | 003
Liebe Leser, in dieser Ausgabe !nden Sie unter anderem
Fachartikel zum Thema additive Fertigung.
Additive Herstellungsverfahren entwickeln
sich – je nach Anwendung – für viele Industri-
en zu einer echten Alternative zu konventionel-
len Technologien beziehungsweise bieten eine
sinnvolle Ergänzung. Mit dem industriellen 3D-
Druck lassen sich heute schon funktionsfähige
Einzelteile oder Kleinserien #exibel und werk-
zeuglos fertigen. Die Einsatzgebiete sind viel-
fältig und prädestiniert für zahlreiche Branchen.
Beispielsweise kann man Flugzeugkomponen-
ten im additiven Fertigungsverfahren ebenso
herstellen wie Ersatzteile für Sondermodelle und
Vorserien im Automobilbau. Auch in der Medi-
zintechnik gibt es zahlreiche Einsatzzwecke für
den 3D-Druck. So sind patientenspezi!sche Im-
plantate keine Zukunftsmusik mehr, sondern
heute schon Realität.
Die additive Fertigung adressiert nicht nur
die Produktionsfachleute, sondern auch Kon-
strukteure. Schließlich haben die innovativen
Herstellungsverfahren große Auswirkungen
auf die Produktentwicklung. Dem Konstrukteur
bieten sie mehr Freiheit in der geometrischen
und konstruktiven Gestaltung. Allerdings wirk-
lich erst dann, wenn er sich von den bisherigen
fertigungstechnischen Zwängen und Kompro-
missen löst. Konstrukteure bekommen nämlich
mehr Designfreiheit, zum Beispiel lassen sich
über additive Fertigungsverfahren komplexe
Geometrien oder bionisch optimierte Bauteile
herstellen. Logischerweise wird das 3D-Druck-
gerechte Konstruieren in Zukunft auch immer
wichtiger und Konstrukteure sind gefordert, sich
dieses Wissen anzueignen.
Der 3D-Druck hat auch das Potenzial, die
Wertschöpfung im Unternehmen zu verändern.
Diese wird sich mehr und mehr von der Ferti-
gung in die Bereiche Konzeption und Konstruk-
tion verschieben. Schließlich kommt auf die Ent-
wickler eine immer wichtigere Rolle zu, da sich
das Design und die Konstruktionsdetails künf-
tig stärker auf die Herstellungskosten auswirken
werden als bisher.
Lesen Sie mehr über additive Fertigungsver-
fahren auf den Seiten 27 bis 33. Unter anderem
haben sechs Experten aus der Branche unsere
Fragen beantwortet.
Ihr
Rainer Trummer, Chefredakteur
Rainer TrummerChefredakteur
Neue Potenziale – auch für Konstrukteure
PDM.PLM.
CIM DATABASE steht für hervorragendes Produktdatenmanagement
und Product Lifecycle Management – von der Konzeption und Planung
bis zur Industrialisierung. Das System unterstützt Unternehmen und
deren Ingenieure dabei, ihre wichtigste Arbeit noch besser zu machen:
erfolgreiche, innovative Produkte zu entwickeln.
25 Jahre Bremen | 17.–18. Juni User Meeting 2015
DIGITAL ENGINEERING Magazin 04-2015
004 | INHALT |
Titelstory: CENIT möchte Feritungsunternehmen mit Lösungen fürs Enterprise Information Ma-nagement und einem neuen Consulting-Bereich !t für die Zukunft machen 16
AKTUELL
WirtschaftstickerMacher und Märkte 6
Hannover Messe 2015Wir blicken zurück 8
Simulations-Event im JuniAnwender und Entscheider netzwerken bei CADFEM und Ansys 8
Nafems lädt zum World CongressDie Simulationsszene tri%t sich in San Diego 9
Trends und TechnologieNeue Produkte und Verfahren 10
VeranstaltungskalenderWas, wann, wo? 14
MANAGEMENT
Titel-Interview: Mehr als PLMCENIT: Mit Lösungen fürs Enterprise Information Management und einem neuen Consulting- Bereich !t für die Zukunft 16
In neuen BahnenRe-Engineering abgekündigter elektronischer Leiterplatten durch die Deutsche Bahn 18
Product Carbon FootprintEchter Umweltschutz erfordert ein durch- gängiges Management des CO2-Ausstoßes über alle Stufen des Produktlebenszyklus 21
Prozessgrenzen abbauenKonstruktion, Qualitätssicherung, Lieferketten, Fertigung, Logistik und Kundenmanagement – wie Software hilft, Prozesse zu verheiraten 24
SPECIAL: ADDITIVE FERTIGUNG
3D-Druck-Mekka in ErfurtDie Rapid.Tech steht Anfang Juni im Kalender, parallel zur Enthusiasten-Messe FabCon 3D 27
Expertentalk zur additiven FertigungKnow-how-Träger aus Industrie und Forschung sagen, was Sache ist 28
3D-Druck bei LamborghiniZeit und Geld bei der Entwicklung von Prototypen und Serienfahrzeugen sparen 32
<Sensoren sind immer und überall: Mit Erscheinen dieses Heftes startet auch die Messe für Sensor- und Messtechnik, Sensor+Test. Deshalb haben wir dem Themenkomplex Sensorik & Bildverarbei-tung ab Seite 38 elf Seiten gewidmet. Von Feed-backsystemen über die intelligente Anbindung von Sensoren und Highspeed-Bildverarbeitung in der Forschung bis hin zur Fusion von Sensordaten zeichnen wir die Vielfalt dieser Querschnittsbran-che nach.
>Grenzen abbauen: Das Management der Pro-duktentwicklung wird zunehmend komplexer. Ideen wie Industrie 4.0 regen zur Diskussion an, ob Management-Systeme wie PLM weiterhin an Ab-teilungs- und Unternehmensgrenzen haltmachen dürfen (Seite 16, Seite 24) und ob künftig nicht auch der CO2-Ausstoß eines Produktes über den kompletten Lebenszyklus bestimmt werden müss-te (Seite 21). Bleibt die Frage: Wer ist da operativ der Kapitän? Die Entwicklungsleitung wäre sicher nicht die schlechteste Wahl – laufen hier doch heu-te schon viele Fäden zusammen.
3D-Druck und allgemein die additive Fertigung entwickeln sich etwa so rasant, wie sich die Autos einer ihrer
Anwender fahren (Seite 32) – mit ein Grund, sich die Termine im Kalender anzustreichen: Anfang Juni #nden
in Erfurt mit Rapid.Tech und FabCon 3D gleich zwei additive Messen zum 3D-Druck statt (Seite 27). Wer so
lange nicht warten will oder kann, die aktuellen Trends zu erfahren, schaut bei unserem Expertentalk zum
Thema rein (Seite 28).
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| INHALT | 005
SIMULATION & VISUALISIERUNG
Interview: 35 Jahre in der SimulationCAE- und CFD-Anbieter CD-adapco feiert Jubi-läum und plaudert aus dem Nähkästchen 34
Nicht wirklich, aber realZunehmend !nden Design-Prozesse im virtuellen Raum statt 36
SENSORIK & BILDVERARBEITUNG
Feedback für den AntriebPermagnet-Nonius-Feedback-Technologie verein-facht die Integration von Feedback-Systemen 38
Forschen gegen HexenschussBelastungssimulator zur Erforschung der Ursachen von Bandscheibenvorfällen 40
Drehgeber mit BiSSDie BiSS-Schnittstelle kommt in dynamischen Anwendungen an 42
Am Anfang der NahrungsketteBildverarbeitung und Strömungsmechanik helfen bei der Erforschung der Ruderfußkrebse 44
Wenn Sensordaten fusionierenEin neuer Ansatz nutzt alle Anlagendaten für die vorausschauende Wartung 46
HARDWARE & PERIPHERIE
Die neuen Großformatdrucker von HP Schnell in Farbe und Schwarzweiß – bis zu 30 DIN-A1-Seiten pro Minute drucken 50
Von der RolleSchnell, trocken, wasserfest: Canon stellt neue Großformatdrucker vor 51
Wirtschaftlich plottenEpsons Neue können optional auch scannen im Großformat 52
Zwei Mäuse, ein TreiberDer Ingenieur hat zwei Hände: CADMouse ergänzt SpaceMouse auf dem Schreibtisch 53
CAD & DESIGN
CAM: Was passt, das passtMastercam im Einsatz bei Finke Formenbau 54
CT setzt architekonisches ZeichenCAD-Schnittstellen werkeln oft im Verborgenen – 2015 bringt viel Neues 56
ELEKTROTECHNIK & AUTOMATION
Alle an einem Kabelifm verheiratet RFID-Technologie mit dem Ein-Leiter-Sensor-Aktor-Bus AS-Interface 58
Ein Servoregler für allesLenze liefert Servoregler für Dosieranlagen in der Parfüm- und Aromenindustrie 60
Ventile richtig regelnI/O-Module für Proportionalventile in Pneumatik- und Hydraulik-Systemen 62
24-Volt-Netzteile Die neue Generation nimmt weniger Platz im Schaltschrank weg 63
EDITORIAL 3
MARKTPLATZ 65
DIGITAL ENGINEERING SOLUTIONS 64
IMPRESSUM 66
VORSCHAU 66
Titelthemen
REDAKTIONELL ERWÄHNTE FIRMEN UND INSTITUTIONEN
3Dconnexion [S. 53], Ansys [S. 8], Arburg
[S. 10, 28], AS-Interface [S. 58], B&R [S. 6],
Ballu$ [S. 38], Baumüller [S. 12], Beckho$
[S. 12], CADFEM [S. 8], Canon [S. 51], CD-adapco
[S. 34], Cenit AG [S. 16], Co$ee Solution [S. 10],
Comsol [S. 12], CoreTechnologie (CT) [S. 56],
Dassault Systèmes [S. 6], Deutsche Bahn AG
[S. 18], Deutsche Messe [S. 8], Epson [S. 52],
Festo [S. 6, 10], Finke Formenbau [S. 54], HP
[S. 50], ifm electronic [S. 58], Inneo [S. 6],
Institut für industrielle Informationstechnik
(inIT) der Hochschule Ostwestfalen-Lippe
[S. 46], Intercam [S. 54], Kübler [S. 42], Leichtbau
BW GmbH [S. 29], Lenze [S. 13], Lenze [S. 60],
Leuze [S. 40], Makerbot [S. 6, 29], Mastercam
[S. 54], MHP [S. 21], Mikrotron [S. 44], MSC
Software [S. 6], Murrelek tronik [S. 63], NAFEMS
[S. 9], Open Mind [S. 13], PTC [S. 6], Rapid.Tech
[S. 27], Rockwell [S. 10], RS Components [S. 29],
Siemens Industry [S. 7], Siemens PLM Software
[S. 24], SKF [S. 10], Stratasys [S. 30, 32], Thing-
worx [S. 12], Verein Deutscher Ingenieure e.V.
[S. 30], Virtual Dimension Center (VDC) Fellbach
[S. 36], Wago [S. 62], Yaskawa Europe [S. 7].
DIGITAL ENGINEERING Magazin 04-2015
nen wichtigen Orientierungspunkt könnte
dabei der Product Carbon Footprint (PCF)
– also der CO2-Fußabdruck – bieten. Denn
dieser weist nicht nur aus, wie viel Treib-
hausgas ein Produkt unmittelbar bei der
Herstellung erzeugt. Vielmehr summiert
der PCF alle Emissionen entlang des ge-
samten Lebenszyklus auf – vom Abbau der
Rohsto%e bis zur Entsorgung – und gibt da-
mit Auskunft darüber, wie klimafreundlich
das Produkt wirklich ist.
Im Dezember 2014 trafen sich Vertreter
von 195 Staaten zur Weltklimakonferenz
der UNO in der peruanischen Hauptstadt
Lima. Verständigt haben sie sich darüber,
wie die Erderwärmung zu begrenzen ist.
Unstrittig war dabei, dass sich dieses Ziel
nur erreichen lässt, wenn die CO2-Emissio-
nen global sinken.
Weniger Einigkeit herrscht jedoch über
die Anstrengungen der einzelnen Länder. So
kritisiert Bundesentwicklungsminister Gerd
Müller die wenig ambitionierten Klimaziele
der USA und Chinas: Die Amerikaner wollen
den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2015
um 26 bis 28 Prozent im Vergleich zu 2005
verringern. China will überhaupt erst 2030
mit Minderungen beginnen.
Individuellen und monetären Zielen zum
Trotz fällt der Politik wie immer die Aufga-
be zu, Gesetze und Rechtsverordnungen
zu formulieren, die das Verhalten von Ge-
sellschaft und Wirtschaft beein#ussen. Ei-
G A N Z H E I T L I C H E R M A N A G E M E N T - A N S A T Z
B E S T I M M T D I E „ E C H T E “ K L I M A F R E U N D L I C H K E I T V O N P R O D U K T E N
Von der Wiege bis zur Bahre?Bleistift, Smartphone, Auto. Wie klimafreundlich sind unsere Produkte wirklich? Ein Gradmesser ist der Product Carbon
Footprint (PFC). Doch bislang weist ihn kaum ein Unternehmen aus, denn es fehlt ein durchgängiger Management-Ansatz.
VON THOMAS DIETZ
Product Carbon Footprint | MANAGEMENT | 021
Schon bevor das Produkt da ist, entsteht CO2
für Rohsto$e, Energie und Vorprodukte, die bei seiner Produktion benötigt werden – und das Le-ben endet auch nicht mit dem Wurf in den Eimer.Bild: Dirk [email protected]
DIGITAL ENGINEERING Magazin 04-2015
weil es bereits heute mithilfe erprobter Mo-
delle und Methoden sämtliche Phasen des
Lebenszyklus eines Produktes ganzheitlich
betrachtet und steuert – indem alle Infor-
mationen und Daten organisiert und den
Beteiligten zur Verfügung gestellt werden.
Dadurch lassen sich unter anderem
Trade-o%-Situationen – also phasenüber-
greifende Abhängigkeiten und Implikati-
onen – erkennen. Bislang geschieht das
vornehmlich hinsichtlich der Funktionen
eines Produktes, seiner Eigenschaften,
der Qualität und natürlich der Kosten. Es
spricht aber nichts dagegen, auch ökolo-
gische Faktoren wie den CO2-Ausstoß zu
berücksichtigen.
Wichtig dabei ist, schon bei der Entwick-
lung anzusetzen. Denn zu diesem Zeit-
punkt werden etwa 80 Prozent der künf-
tigen Umweltauswirkungen – und der
Kosten – eines Produktes festgelegt. Hier
getro%ene Entscheidungen später zu revi-
dieren, ist mit einem erheblichem Zeit- und
Kostenaufwand verbunden.
Das führt zu einer besonderen Heraus-
forderung: Wenn klimafreundliche Produk-
te mit einem niedrigen PCF-Wert entste-
hen sollen, müssen schon ganz zu Beginn
alle ökologischen Auswirkungen des jewei-
ligen Produkts bekannt sein. Das wiederum
setzt voraus, dass alle Komponenten des
jeweiligen Produkts sowie die zugehörigen
Prozesse entlang des gesamten Lebenszyk-
lus eindeutig de!niert sind und dass jeweils
exakte Emissionswerte zugewiesen werden
können.
Produktmodell und
Ökobilanz kombiniert
Um den ersten Teil dieser Forderung zu er-
füllen, kann das für das Product Lifecycle
Management zentrale Produktmodell ge-
nutzt werden. Dieses weist nicht nur alle
Komponenten aus, sondern ordnet diesen
auch die spezi!schen Stamm- und Struk-
turdaten zu. Die Stammdaten zeigen dabei
die Merkmale des jeweiligen Einzelteils an,
die Strukturdaten die Beziehungen der Ein-
zelteile untereinander.
Mit Blick auf den PCF-Wert scha%t das
zum einen die Möglichkeit, diesen zu-
nächst auf Komponenten-Ebene zu be-
stimmen und dann für das fertige Produkt
zu aggregieren. Zum anderen lässt sich an-
hand des Produktmodells und unter Be-
rücksichtigung der an das Produkt gestell-
ten Anforderungen prognostizieren, mit
welchen Emissionen bei der Nutzung und
der Entsorgung zu rechnen ist.
Rechtlicher Rahmen
Unternehmen stehen vor der Frage, ob sie
für ihre Produkte einen eindeutigen PCF-
Wert errechnen und dann auch aktiv ver-
ringern möchten. Eine umfängliche ge-
setzliche Anforderung besteht dazu zwar
(noch) nicht, einige Vorschriften zielen aber
explizit auf die CO2-Emission von Produkten
und deren stetiger Reduzierung ab – in der
Automobilindustrie zum Beispiel der Flot-
tengrenzwert.
Außerdem treibt die Europäische Kom-
mission intensiv die Initiative „Single Market
for Green Products“ voran. Deren Ziel ist es,
die unterschiedlichen Regelungen zur De-
klaration von Umweltinformationen inner-
halb der EU zu vereinheitlichen und eine für
alle Staaten verbindliche Vorgabe durchzu-
setzen. Der PCF spielt dabei eine entschei-
dende Rolle. Neben den rechtlichen Rah-
menbedingungen sollten Unternehmen
auch die sich wandelnde Haltung vieler
Verbraucher berücksichtigen.
Verbraucher-Haltung
Eine Studie von IBM kommt beispielsweise
zu dem Schluss, dass die Kaufentscheidung
bei Fahrzeugen stark von den Faktoren
Kraftsto%e'zienz und Umweltfreundlich-
keit getrieben wird. Wie die grundsätzliche
Entscheidung von Unternehmen ausfällt,
hängt sicher auch davon ab, inwieweit sie
den PCF-Wert beein#ussen können.
Die Suche nach dem Ansatz
In welcher Phase am meisten CO2 ent-
steht, ist von Produkt zu Produkt sehr un-
terschiedlich. Ein Dieselmotor mit einer
Lebensdauer von zehn Jahren emittiert
den größten Anteil von Treibhausgasen
während seiner Nutzung. Energiesparen-
de Fertigungsverfahren oder eine opti-
mierte Logistik wirken sich in der Bilanz
also kaum aus. Stattdessen kommt es auf
entscheidende Ideen der Ingenieure für
einen e'zienteren Motor an.
Beim Bleistift ist es genau andersher-
um. Hier könnte beispielsweise der kli-
mafreundliche Abbau des Gra!ts zu einer
deutlichen Reduzierung führen.
PCF und PLM kombinieren
Wenn sich Unternehmen dafür entschei-
den, sich mit dem PCF auseinanderzuset-
zen, müssen sie zunächst klären, wie sie
dabei vorgehen. Und das ist gar nicht so
einfach. Denn trotz einzelner Methoden
hat sich bislang noch kein durchgängiger,
systematischer und integrierter Manage-
ment-Ansatz etabliert.
MHP schlägt ein Product Carbon Foot-
print Management vor, das sich am Product
Lifecycle Management orientiert, schon
während der Entwicklungsphase ansetzt
und das Produktmodell und die Ökobilanz
kombiniert. Das Product Lifecycle Manage-
ment bietet sich als Ausgangspunkt an,
022 | MANAGEMENT | Product Carbon Footprint
Eine Ökobilanz entsteht in vier Phasen: Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens, Erstellung der Sachbilanz, Abschätzung der Auswirkungen und eine kritische Betrachtung. Bild: MHP
DIGITAL ENGINEERING Magazin 04-2015
Product Carbon Footprint | MANAGEMENT | 023
Für den zweiten Teil der Forderung – also
die Zuweisung der CO2-Werte – lässt sich
auf die Ökobilanz zurückgreifen. Das Kon-
zept ist in den Normen DIN EN ISO 14040
und ISO 14044 beschrieben und formuliert
die Anforderungen und Rahmenbedingun-
gen für die Bilanzierung von Umweltaus-
wirkungen. Diese läuft grundsätzlich in vier
Schritten ab:
Festlegung des Ziels und des Untersu-
chungsrahmens: Im ersten Schritt wird de-
!niert, für was die Umweltauswirkungen
betrachtet werden sollen und wie detail-
liert das geschehen soll.
Sachbilanz: Im zweiten Schritt werden alle
erforderlichen Daten erhoben und validiert.
Das umfasst: alle im Produkt enthaltenen
Rohsto%e, die bei der Herstellung der Roh-
sto%e ausgestoßenen Treibhausgase, den
Transport der Rohsto%e zur Produktionsan-
lagen, die Produktion des untersuchten Pro-
duktes, der Transport des Produktes von der
Produktionsanlage zum Handel usw.
Wirkungsabschätzung: Im dritten Schritt
wird analysiert, wie sich die erhobenen Da-
ten tatsächlich auf die Umwelt auswirken.
Auswertung: Zuletzt sollen die drei vor-
angegangenen Schritte kritisch überprüft
werden, um bei Bedarf nachbessern zu
können.
IT-Landschaft aufbauen
Um ein Product Carbon Footprint Manage-
ment entlang des Produktmodells und der
Ökobilanz zu etablieren, bedarf es zunächst
einer Modi!kation der Organisation und der
Prozesse. Von zentraler Bedeutung ist zudem
die IT-Unterstützung, ohne die eine solch
umfassende Bilanzierungsaufgabe nicht zu
bewältigen wäre. Eine ganzheitliche Stan-
dard-Lösung ist dafür aktuell nicht verfügbar
und wird wohl auch sobald nicht am Markt
eingeführt werden. Daher bleibt den Unter-
nehmen nur, aus einzelnen Komponenten
eine individuelle Architektur aufzubauen.
Dabei sind zwei Komponenten unver-
zichtbar: ein PLM-System und eine LCA-
Lösung (Life Cycle Assessment). Mithilfe
des PLM-Systems kann das Produktmodell
erstellt, Änderungen dokumentiert und
nachvollzogen werden. Der Einsatz solcher
Systeme ist in den meisten Unternehmen
gängige Praxis, die Berücksichtigung von
PCF-spezi!schen Anforderungen dürfte da-
her kaum Probleme bereiten.
Die eigentliche Erhebung und Zuwei-
sung der CO2-Emissionen erfolgt über die
LCA-Lösung. Die großen PLM-Anbieter ha-
ben den Bedarf an solchen Anwendungen
erkannt und treiben die Entwicklung ent-
sprechender Module intensiv voran. Mo-
mentan geht es ihnen o%enbar darum, sich
eine herausragende Position in diesem sich
neu entstehenden Markt zu sichern. Parallel
zu den Anbietern von PLM-Systemen etab-
lieren sich auch Spezialisten, die Online-Da-
tenbanken aufgebaut haben, über die sich
PCF-Werte und Compliance-Informationen
abrufen lassen.
Auf solche Dienste greifen die LCA-Lösun-
gen der PLM-Anbieter zu, um die Daten zu
erhalten, die sie für die konkrete Bilanzierung
des Product Carbon Footprint benötigen.
Lieferanten einbeziehen
Noch genauer lässt sich der PCF-Wert für
ein Produkt bestimmen, wenn auf eigene
Daten zurückgegri%en wird. Mit Blick auf
die Bescha%ung von Rohsto%en und Vor-
produkten bietet das in den meisten Un-
ternehmen ohnehin praktizierte Lieferan-
tenmanagement den geeigneten Hebel.
So ließe sich mit den Zulieferern verein-
baren, dass bei jeder Lieferung auch Infor-
mationen über die zurückgelegte Distanz,
das Transportmittel, den Energieverbrauch
sowie über die Menge und das Gewicht
der Ladung übermit-
telt werden. Mithilfe
dieser Angaben ließe
sich dann für die spezi-
!schen Güter die PCF-
Werte kalkulieren, die
dann im ERP-System als
Stammdaten abgelegt
werden.
Damit Unternehmen
den Carbon Footprint
ihrer Produkte nicht
nur genau berechnen,
sondern auch senken
können, hat MHP den
Ansatz Green Stream
Analysis entwickelt.
Ausgangspunkt ist da-
bei das im Lean Ma-
nagement gängige
Wertstromdesign, mit
dessen Hilfe sich Lo-
gistik- und Produk-
tionsprozesse nach
ökonomischen Ge-
sichtspunkten optimal
gestalten lassen – etwa
durch eine hohe Aus-
lastung von Maschinen
und geringe Durchlauf-
zeiten. Dieses Vorgehen
wird nun um ökologische Aspekte wie den
Ressourcenverbrauch oder die Emissionen
ergänzt.
Der Clou: Die Umweltaspekte werden
durch das Vorgehen unmittelbar in die Ef-
!zienz-Überlegungen integriert. Das führt
dazu, dass sich ökonomische und ökologi-
sche Ziele nicht mehr unversöhnlich gegen-
überstehen, sondern gegenseitig ergänzen.
Minimalkompromiss in Lima
In Lima haben sich die beteiligten Länder
nach zähem Ringen (zunächst) auf einen
Minimalkompromiss verständigt. Dieser
soll die Basis für einen neuen Weltklimaver-
trag bilden, der im Dezember 2015 in Pa-
ris verhandelt wird. Ob dieser tatsächlich
entscheidende Fortschritte bringt, bleibt
abzuwarten. Umso mehr sollten die Unter-
nehmen von sich aus aktiv werden und Kli-
maschutz zur Management-Aufgabe ma-
chen. Die systematische Bilanzierung des
Product Carbon Footprint kann dazu einen
wertvollen Beitrag leisten. J B I |
Thomas Dietz ist Manager im Competence Center
PLM bei der Prozess- und IT-Beratung MHP.
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Rapid.Tech
Stand 2-121