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Andreas Göller
Universitätsarchiv der TU Darmstadt
Andreas Göller
Von Luftschrauben und Luftschiffen –
Carl Eberhardt und die Anfänge der Darmstädter
Luftfahrtforschung
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2013 ist ein besonderes Jahr für die Luftfahrt-Fächer an der TU Darm-
stadt: vor 100 Jahren, im November 1913, wurde mit dem Diplom-
Ingenieur Carl Eberhardt erstmals ein außeretatmäßiger, außerordentli-
cher Professor berufen, der an der schon damals weltweit renommierten
TH Darmstadt das neue Gebiet der Luftschifffahrt und Flugtechnik in For-
schung und Lehre vertreten sollte. Fünf Jahre nach der vielbeachteten
Feier des hundertjährigen Jubiläums des Eulerflugplatzes kann die TU
Darmstadt damit erneut auf ein stolzes Datum in ihrer eigenen Luftfahrt-
geschichte zurückblicken. Beide Ereignisse stehen in einem engen Zu-
sammenhang zueinander und zeigen doch jeweils ihre eigenen Facetten
der damaligen technisch-wissenschaftlichen und politischen Entwicklung.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Luftfahrt einen enormen Auf-
schwung. Nahezu täglich war in der Presse von neuen Erfindungen,
Höchstleistungen oder abenteuerlichen Erlebnissen der Luftfahrtpioniere
zu lesen. Wenn auch die Überwindung der Schwerkraft durch den Auf-
stieg des ersten Heißluftballons der Gebrüder Montgolfier im Jahre 1783
schon weit mehr als 100 Jahre zurücklag, so erfreute sich das Thema
Fliegen nach der Jahrhundertwende allgemeiner und größter Aufmerk-
samkeit.
Wenige Jahrzehnte zuvor schien allein der Ballonflug eine realistische
Möglichkeit für das Vordringen in immer größere Höhen zu bieten. So-
wohl für das Militär, das im Deutsch-französischen Krieg den erfolgrei-
chen Einsatz französischer Ballons erleben konnte, als auch für die Wis-
senschaft ergab sich ein weites Feld an Nutzungszwecken. In der preußi-
schen Armee ist die Förderung des Ballonflugs vor allem mit der Person
des Offiziers Hermann Moedebeck verbunden, der seit 1883/84 den Auf-
bau einer einschlägigen militärischen Abteilung, gekoppelt mit der wis-
senschaftlichen Fortentwicklung der Luftfahrt, betrieb. Forschung und
Innovation verfolgten hier das Ziel, den Überblick aus der Luft für die
Feindaufklärung und Artillerieführung nutzbar zu machen. Von ziviler
Seite wurden dagegen vermehrt Fragen der naturwissenschaftlichen
Grundlagenforschung, allen voran auf dem Gebiet der Meteorologie, mit
großem Interesse bedacht. Vielbeachtete Ballonflüge, Fachpublikationen
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und Vorträge sowie ein sich ausbreitendes Netz an Fachvereinen förder-
ten die Begeisterung breiterer Bevölkerungsschichten für die wissen-
schaftliche und technische Entwicklung. Höhepunkte der Expeditionen in
die Luft waren die am Ausgang des 19. Jahrhunderts in größerer Zahl
durchgeführten Berliner wissenschaftlichen Ballonflüge, deren Ergebnisse
sich in einer Reihe von Publikationen, gleich der Erfahrungsberichte über
Reisen in ferne Länder, niederschlug. Hinsichtlich der Technik hatte sich
das aerostatische Prinzip, d.h. der Aufstieg unter Ausnutzung des Auf-
triebs von Fluggeräten „leichter als Luft“, erfolgreich etabliert. Fraglich
war allein die Form des Geräts und seine Fortbewegung, wobei man zwi-
schen den klassischen (Kugel-) Ballons und unterschiedlichen Typen von
Luftschiffen unterschied, von denen sich allerdings bis 1900 noch keines
durchgesetzt hatte.
Nach der Jahrhundertwende erhielt der technologische Fortschritt durch
einige bahnbrechende Erfindungen neue Impulse: 1900 betrat mit dem
Luftschiff des Grafen Zeppelin ein neuartiges Luftfahrzeug die Bühne der
Welt, das in den kommenden Jahrzehnten insbesondere in Deutschland
eine enorme Mobilisierung der Bevölkerung hervorrief. Von der Presse
umfassend informiert, nahm die Öffentlichkeit regen Anteil an allen Er-
folgen und Rückschlägen des schwäbischen Grafen und ging dabei soweit,
im Falle des drohenden Scheiterns mit Geldsammlungen den Luft-
schiffgedanken am Leben zu halten. Auch wenn der Luftschiffbau nicht
auf Deutschland beschränkt war, so wurde er hier doch mit großem Pa-
thos als nationale Angelegenheit betrachtet. In den folgenden Jahren wa-
ren die verschiedenen Luftschiffe aus dem Hause Zeppelin, wie auch die
Produkte konkurrierender Hersteller in aller Munde. Jeder Aufstieg wur-
de von Menschenmengen beobachtet, während sich Ansichtskarten und
Fotografien von Luftschiffen vor Städten größter Beliebtheit erfreuten.
Einen weiteren Anschub, allerdings in eine andere Richtung, erhielt der
Luftfahrtgedanke durch die zunehmenden Erfolge der Anhänger des ae-
rodynamischen Prinzips, d.h. des Betriebs von Fluggeräten „schwerer als
Luft“ mit Hilfe von leistungsstarken Verbrennungsmotoren. 1896 bezahlte
der deutsche Flugpionier Otto Lilienthal seine Versuche noch mit dem Le-
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ben, doch schon 1903 gelang es den Gebrüdern Wright, mit ihrem neuar-
tigen Flugzeug abzuheben und wieder zu landen. Damit hatte sich eine
Alternative zur Luftschifffahrt eröffnet, auch wenn sie zu Beginn noch
kaum leistungsfähig war und mit den Einsatzmöglichkeiten der etablier-
ten Luftfahrzeuge nicht konkurrieren konnte. In Deutschland verzichtete
man daher auch zunächst von offizieller Seite auf die Fortführung der
Forschung auf diesem Gebiet und widmete sich ganz der Weiterentwick-
lung des Luftschiffwesens. Erst der unmittelbare Vergleich mit den be-
nachbarten Großmächten führte schließlich zu einem Umdenken der mili-
tärisch-politischen Führung. Um den erheblichen Vorsprung Frankreichs
auf diesem Gebiet aufzuholen, schenkten seit etwa 1908 auch die Militärs
dem Flugzeug eine größere Aufmerksamkeit. Von nun an traten auch in
Deutschland das aerostatische und das aerodynamische Prinzip in einen
offenen Wettbewerb um die stets anwachsenden öffentlichen Budgets wie
auch um die Anerkennung und Wertschätzung der Gesellschaft. Während
die allgemeinen Presseorgane nach wie vor bereitwillig jede Nachricht
druckten, begann sich in der Vereinslandschaft und in den Fachorganen
eine Spezialisierung abzuzeichnen. Neue Periodika wie die von Oskar
Ursinus herausgegebene Zeitschrift „Flugsport“ propagierten massiv die
Entwicklung und den Gebrauch der oft noch als „Flugapparate“ oder
„Fluggeräte“ bezeichneten Flugzeuge. In dieser Zeit trat eines der zentra-
len Probleme bei der Bewertung der Luftfahrt und ihrer technischen Mög-
lichkeiten zunehmend in Erscheinung: die Ambivalenz zwischen militäri-
scher und ziviler Nutzung. Da im Prinzip alle aus dem Luftbild gewonne-
nen Erkenntnisse von militärischer Bedeutung sein konnten, war eine rein
zivile Luftfahrt von vornherein schwer vorstellbar. Strenge Regeln sollten
den Missbrauch zum Nachteil des Landes verhindern, allerdings war eine
diesbezügliche Kontrolle nur schwer vorstellbar.
Die Heroisierung der frühen Luftfahrtpioniere hingegen, die ihre Leistun-
gen nicht selten mit dem Leben bezahlen mussten, kannte zunächst kaum
nationale Grenzen. In den deutschsprachigen Zeitungen wurde den Erfol-
gen der französischen Flieger viel Raum gegeben, und auch die Vorfüh-
rungen ausländischer Piloten bei deutschen Flugtagen wurden mit gro-
ßem Beifall bedacht. Regelmäßig berichteten die Korrespondenten der
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Zeitschrift „Flugsport“ ausführlich über Neuigkeiten aus der englischen
und vor allem der französischen Luftfahrt. Aus militärischer Sicht dage-
gen galt es, den Rückstand des Deutschen Reiches aufzuholen und eine
nationale Luftfahrtstrategie zu entwickeln. Auf der Internationalen Luft-
fahrtausstellung in Frankfurt war 1909 mit August Euler lediglich ein
deutscher Flugzeugproduzent vertreten, und auch dieser stützte sich auf
die Lizenzen französischer Hersteller. Dem setzte das Deutsche Reich in
den nächsten Jahren ein massives Aufrüstungsprogramm entgegen, das
durch den Ausbau von Landungsplätzen und Militärstützpunkten, die Or-
ganisation von überregionalen Flugwettbewerben und medialen Inszenie-
rungen wie der „Nationalflugspende“ in die Mitte der Gesellschaft getra-
gen wurde. In dieser Epoche der deutschen Luftfahrtgeschichte spielte
Darmstadt eine bedeutende Rolle. Neben den weit verbreiteten Vereinen
waren es einige lokale Faktoren, welche die Stadt in die erste Reihe der
deutschen Luftfahrtstandorte führte.
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Das Großherzogtum Hessen bot neben einem technikinteressierten
Staatsoberhaupt ein günstiges industrielles Umfeld und eine innovations-
freudige Technische Hochschule. Den entscheidenden Impuls lieferte al-
lerdings ein privater Unternehmer, der sich 1908 für die Fertigung von
Flugzeugen an der Peripherie der hessischen Hauptstadt entschied: Au-
gust Euler. Sein Geschäftsmodell sah vor, auf Lizenzbasis französische
Flugzeuge nachzubauen und die dafür erforderlichen Komponenten nach
der Produktion auf dem Truppenübungsplatz Darmstadt-Griesheim zu-
sammenzusetzen und zu erproben. Euler erhielt die Genehmigung, am
Rande des Militärgeländes eine Halle zu errichten und die Flugzeuge auf
dem Areal einzufliegen. Dies war die Geburtsstunde des August Euler-
Flugplatz, der damit zunächst einen rein gewerblichen Charakter erhielt.
Die Flugversuche Eulers, darunter sein Auftritt auf der Internationalen
Luftfahrtausstellung in Frankfurt 1909, wurden in der Presse und der
Öffentlichkeit aufmerksam beobachtet und bei mangelndem Erfolg zum
Teil auch hämisch kommentiert.
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Wichtiger noch als die eigene Produktion, die stets hinter den Ergebnissen
der großen Mülhausener und Berliner Fabriken zurückblieb, wurde für
Euler und den Standort Darmstadt-Griesheim der Betrieb einer Flugschu-
le. Indem sie den Bruder des deutschen Kaisers, den weithin als technisch
aufgeschlossen geltenden Prinzen Heinrich von Preußen, unterrichtete
und im November 1911 zum sicheren Erwerb des Flugzeugführerscheins
führte, erwarb sich Eulers Lehranstalt eine enorme Reputation. Der im-
mer noch primär wirtschaftlich genutzte Flugplatz gewann in den großen
Flugwettbewerben wie auch bei den zunehmenden militärischen Über-
landflügen als Etappenziel zunehmend an Bedeutung und wurde zum
festen Orientierungspunkt auf der sich ausbildenden Luftverkehrskarte
des Deutschen Reiches. Diese Stellung war schon nach wenigen Jahren
bereits derart gefestigt, dass auch die Verlagerung der Eulerschen Flug-
zeugproduktion auf ein neugebautes Fluggelände in Frankfurt der Ent-
wicklung des Darmstädter Flugwesens keinen Abbruch tat.
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Schon zuvor hatte sich gezeigt, dass auch auf dem Gebiet des Flugmo-
torenbaus einige südhessische Firmen zu einem Engagement bereit wa-
ren. Wichtigster Abnehmer für die Produkte der wachsenden Luftfahrtin-
dustrie war in den Anfangsjahren die Militärverwaltung. Während sich
Freiballons in den Luftfahrtvereinen einer großen Beliebtheit erfreuten,
gab es zunächst nur wenige Vereine, die über eigene Flugzeuge verfüg-
ten. Privatleute, die ein Flugzeug besaßen und fliegen konnten, waren
höchst selten. Einer der Privatflieger war der Diplom-Ingenieur Carl Wil-
helm Witterstätter, der nach dem Maschinenbaustudium an der TH
Darmstadt in der Flugschule August Eulers den Flugschein erwarb und
regelmäßig auf dem Griesheimer Sand Flüge absolvierte. Kurios erscheint
die Nachricht von seinen Kurzstreckenflügen zwischen Weiterstadt und
Griesheim, da in Weiterstadt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kei-
nerlei Landeplatz bekannt geworden ist.
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Lange Zeit konzentrierte sich das deutsche Militärflugwesen auf die Fort-
entwicklung der großen Luftschiffe. In Berlin wurde ein Preußisches Luft-
schifferbataillon aus der Taufe gehoben, das erstmals der militärischen
Luftfahrt einen einheitlichen organisatorischen Rahmen gab. Zu den
Fachleuten aus der Industrie, die damals in die Militärverwaltung hin-
überwechselten, zählte auch der junge Ingenieur Carl Eberhardt.
Er wurde 1877 in Bayreuth als Sohn von Andreas und Kathinka Eberhardt
geboren, die seit 1876 in der Opernstraße ein Mode- und Putzgeschäft
betrieben. In seiner Heimatstadt absolvierte er die Realschule (das heuti-
ge Graf-Münster-Gymnasium), danach folgten als weitere Stationen der
Besuch der Industrieschule Nürnberg und das Studium an der Mechani-
schen Abteilung der Technischen Hochschule München. Ab dem 1. Okto-
ber 1901 diente er als Einjährig-Freiwilliger beim 7. Infanterieregiment in
Bayreuth, bevor er zwischen 1902 und 1904 als Assistent für maschinen-
technische Fächer an der Baugewerkschule in Stuttgart beschäftigt war.
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Danach arbeitete er in der kriegs- und schiffahrtstechnischen Abteilung
der Siemens-Schuckert-Werke in Berlin, bis er 1906 als Ingenieur in das
Luftschifferbataillon eintrat. Eberhardt blieb Zivilist, machte aber in der
Militärluftfahrt rasch Karriere. 1907 wurde er zum stellvertretenden
Oberingenieur und später zum Leitenden Ingenieur und Vorstand des
Konstruktionsbüros befördert. Das Luftschifferbataillon ernannte ihn im
September 1906 zum Freiballon-Führer, woraufhin er bis 1911 45 Ballon-
fahrten unternahm, davon 37 als Ballonführer. Für Eberhardt war der
Ballonflug untrennbar mit der Luftschifffahrt verbunden. In einer seiner
Publikationen der Berliner Jahre hob er diese enge Beziehung ausdrück-
lich hervor: „Für den Konstrukteur von Motorluftschiffen dürfte es eine
selbstverständliche Notwendigkeit sein, daß er mit der Konstruktion und
Ausrüstung eines ohne Motor, frei dem Winde überlassenen Kugelballons,
sowie mit dessen Verhalten in der Luft und an der Erde, womöglich aber
auch mit seiner selbständigen Führung, vollkommen vertraut ist. Es ist
diese Notwendigkeit vor allem schon deshalb gegeben, weil das Motor-
luftschiff jederzeit bei Motordefekten in die Lage eines Freiballons ver-
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setzt werden kann, und weil ferner ein Motorluftschiff in seinen stati-
schen Gleichgewichtsverhältnissen sowie im Verhalten seiner Gasfüllung
sich von einem Freiballon prinzipiell in nichts unterscheidet.“ Auch neben
seinen dienstlichen Tätigkeiten war Eberhardt in der Luftfahrt aktiv. Als
außerordentliches Mitglied des Kaiserlichen Aeroclubs gehörte er einem
besonders exklusiven Verein an, in dem neben Wissenschaftlern, Vertre-
tern des Hochadels und des Berliner Bürgertums auch Offiziere der Luft-
schifftruppen den fachlichen und luftsportlichen Austausch pflegten.
Wissenschaftlich trat er seit 1908 als Verfasser von mehreren Aufsätzen
hervor, in denen er sich mit Fragen der Luftschrauben und des Luftschiff-
baus beschäftigte. Seine Bekanntheit in Fachkreisen steigerte sich, als er
1911 in der 3. Auflage von „Moedebecks Taschenbuch zum praktischen
Gebrauch für Flugtechniker und Luftschiffer“ einen Beitrag zur „Höhen-
navigation im Luftschiff“ veröffentlichte. 1910 war zudem sein Buch
„Theorie und Berechnung der Luftschrauben“ erschienen.
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Anhand der Vermessung von Schraubenflügeln gelang es ihm, seine
mathematisch-theoretischen Berechnungen über die Beziehung zwischen
Dimension und Leistung der bekannten Luftschrauben zu beweisen. Bei-
spielhaft analysierte er die Luftschrauben der erfolgreichen zeitgenössi-
schen Flugzeuge, wie der Wrigth’schen Flugmaschine oder des Bléri-
ot’schen Eindeckers No. 9 und verglich die Leistungen der Flugzeuge
exemplarisch mit den Eigenschaften schneller und langsamer Sport- und
Motorballons (=Luftschiffe).
Seine Ausführungen zeigen, dass Eberhardt in seiner beruflichen Praxis
Zugang zu den unterschiedlichen Luftfahrtgeräten hatte und die Konkur-
renzprodukte eingehend untersuchen konnte. Die Gegenüberstellung von
Flugzeugen und Luftschiffen brachte ihn zu der Erkenntnis, „daß es
durchaus keine Schwierigkeiten bietet, Motorballons zu bauen, die so-
wohl an Geschwindigkeit, als auch an Nutzeffekt sich getrost mit der
Flugmaschine messen können.“ 1911/12 setzte Eberhardt seine produk-
tive Publikationsphase fort und brachte mit der „Theorie und Berechnung
von Motor-Luftschiffen“ ein Konstruktionshandbuch als Ergebnis seiner
„nunmehr sechsjährigen Praxis auf dem Gebiet des Motorballonbaues“
heraus. Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Entwicklung der Luft-
schrauben wurde ihm der Preußische Kronenorden IV. Klasse verliehen.
In Fachkreisen war Eberhardt damit kein Unbekannter, als auch an der
TH Darmstadt der Ausbau des Fachgebiets Luftfahrt zunehmend an Kon-
turen gewann.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts steckte die Luftfahrt als wissenschaftliche
Disziplin noch in ihren Anfängen. An den technischen Hochschulen des
Deutschen Reiches wie auch an den Universitäten übten luftfahrttechni-
sche Fragestellungen eine große Faszination aus, das Lehrangebot be-
schränkte sich aber vielfach auf Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten
und die interessierte Öffentlichkeit. Ein Fachstudium oder eine Schwer-
punktbildung war dagegen noch nicht vorgesehen. Die Lehrveranstaltun-
gen wurden in der Regel von Professoren benachbarter Fachgebiete oder
Lehrbeauftragten bestritten. Dies änderte sich erst in der zweiten Hälfte
des ersten Jahrzehnts, als die Fortschritte auf dem Gebiet der Flugtechnik
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und des Luftschiffwesens eine Ausweitung der wissenschaftlichen For-
schung erforderlich machten. Am bekanntesten ist das Beispiel des Göt-
tinger Professors Ludwig Prandtl, der 1904 zunächst als Professor für
Technische Physik, dann seit 1907 für Angewandte Mechanik, die Strö-
mungslehre in Deutschland maßgeblich beeinflusste und zum Begründer
der deutschen Hochschulforschung auf dem Gebiet der Luftfahrt wurde.
Ein anderer Exponent dieser noch jungen Wissenschaft, diesmal ange-
bunden an den Maschinenbau, war der 1910/11 auf eine Professur für
Luftschifffahrt, Flugtechnik und Kraftfahrtwesen an die TH Stuttgart be-
rufene Alexander Baumann. In dieser Aufbruchstimmung sah sich auch
die TH Darmstadt zu einer Ausdehnung des Fächerspektrums veranlasst.
Bislang hatten einige Lehraufträge das Fachgebiet einigermaßen abge-
deckt, eine Profilbildung war dagegen noch ausgeblieben. Der Geodät
und auf dem Feld der Photogrammetrie erfahrene Privatdozent Max Gas-
ser bot regelmäßig einige Veranstaltungen zur Aeronautik an.
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Hinzu kamen Vorlesungen des Aschaffenburger Professors Ludwig Schlei-
ermacher über Aerodynamik. Dieses Angebot entsprach allerdings kaum
mehr den gestiegenen Bedürfnissen. Sowohl in der Hochschule, dort
getragen durch das Engagement des Maschinenbauprofessors
Max Gutermuth, dessen Sohn Hans sich aktiv am Aufbau des Darmstädter
Luftfahrtwesens beteiligte, als auch in Wirtschaft und Politik setzte sich
die Überzeugung durch, das neue Fachgebiet auch in Darmstadt zu etab-
lieren.
Auf Initiative der Industrie, namentlich der von Alumni der TH Darmstadt
geführten Maschinenbaufirmen Kleyer in Frankfurt und Opel in Rüssels-
heim, wurden Drittmittel für luftfahrtechnische Studien in der Abteilung
für Maschinenbau gestiftet. Von staatlicher Seite wurden vorerst jedoch
nur Gelder für Lehraufträge bereit gestellt, die hingegen kaum attraktiv
genug waren, um eine der wenigen Größen des Faches nach Darmstadt
zu locken.
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Nachdem kein geeigneter Bewerber gefunden werden konnte, bewilligte
die Zweite Kammer der hessischen Stände schließlich die Einrichtung ei-
ner außerplanmäßigen Professur. Mit dem Hinweis auf die heimische In-
dustrie und die Nähe zum mittlerweile als Militärflugplatz etablierten
Griesheimer Sand ließ sich dieser Schritt leicht begründen und ohne Ge-
genstimmen im Parlament durchsetzen.
Vor diesem Hintergrund überschlugen sich im Herbst 1913 die Ereignisse:
Mitte Dezember 1913 vermeldete das Großherzoglich-Hessische Regie-
rungsblatt in seiner Beilage nüchtern unter der Rubrik Dienstnachrichten:
„Seine königliche Hoheit der Großherzog haben Allergnädigst geruht (...)
am 19. November (...) den Diplomingenieur Karl Eberhardt aus Bayreuth
zum außerordentlichen Professor an der Technischen Hochschule zu
Darmstadt zu ernennen.“ Aufmerksamen Zeitungslesern war unterdessen
nicht entgangen, dass Eberhardt bereits einige Tage vor seiner Ernen-
nung, am 13. November 1913 „vor einem zahlreichen Auditorium seine
Antrittsvorlesung über das Thema Die Betriebssicherheit unserer heutigen
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Flugmaschine“ an der Technischen Hochschule gehalten hatte. Es ging
also hektisch zu in den ersten Wochen des Wintersemesters 1913/14.
Ganz nebenbei hatte das Großherzogtum deutsche Wissenschaftsge-
schichte geschrieben. Mit der Einstellung Eberhardts, der ein halbes Jahr
später zum „außerordentlichen Professor für Flugtechnik“, wie das Regie-
rungsblatt schreibt, oder für „Luftschiffahrt und Flugtechnik“, wie die
vollständige Bezeichnung des Fachgebiets in den zeitgenössischen Publi-
kationen der Hochschule lautet, ernannt wurde, hatte Hessen die erste
ausschließlich den luftfahrttechnischen Fächern gewidmete Professur in
Deutschland ins Leben gerufen. Dies ist sicherlich auf die starke Position
der wenigen Bewerber zurückzuführen, unterstreicht aber auch das rich-
tige Gespür von Staat und Hochschule, hier eine zukunftsorientierte tech-
nologische Wissenschaft auf Dauer zu etablieren. Auf zusätzliche Fachan-
teile wurde verzichtet, so dass man sich bereitwillig dem ungewissen Ri-
siko der ferneren Entwicklung des Luftfahrtwesens auslieferte. Eine Hin-
tertür, den neuen Professor im Falle des Niedergangs der Disziplin auf
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dem Gebiet der Naturwissenschaften oder des Kraftfahrzeugwesens ein-
zusetzen, blieb so verschlossen.
Für die Lehre bedeutete die Berufung Eberhardts einen großen Fort-
schritt. In dem letzten Hochschulprogramm vor dem Ersten Weltkrieg
wurde ein großzügiges Lehrangebot präsentiert. Eberhardt vertrat das ge-
samte Gebiet der Luftschifffahrt und Flugtechnik und veranstaltete neben
den Vorlesungen praktische Übungen. Auch Exkursionen zum nahe gele-
genen Flugplatz waren Bestandteil der Hochschullehre. Ergänzend wurde
auch die Flugmeteorologie gelesen, für die der in Frankfurt tätige Meteo-
rologe Franz Linke, der durch seine Tätigkeit auf der Internationalen Luft-
fahrtausstellung 1909 einem breiten Publikum bekannt geworden war,
einen Lehrauftrag erhalten hatte.
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Diese günstige Konstellation wurde 1914 durch den Kriegsausbruch jäh
unterbrochen. Wie an den übrigen deutschen Hochschulen und Universi-
täten wurde der Lehrbetrieb an der TH Darmstadt in den luftfahrttechni-
schen Fächern nur noch sehr eingeschränkt aufrecht erhalten. Im Som-
mersemester 1917 stand allein die Vorlesung Schleiermachers über die
Aerodynamik in Beziehung zur Luftschifffahrt auf dem Programm. Als er-
fahrener Luftschiffkonstrukteur hatte Eberhardt die Hochschule verlassen,
um an militärischen Projekten mitzuarbeiten. Erst nach dem Rückgang
der Luftschiffaktivitäten und Konzentration auf die Flugzeugentwicklung
nahm er 1917 seine Lehrtätigkeit wieder auf. In den folgenden Jahren
erlebte er den Niedergang und Paradigmenwechsel der deutschen Luft-
fahrtforschung aus nächster Nähe. Nach der französischen Besetzung des
Rheinlandes war Griesheim ein Teil des rechtsrheinischen Brückenkopfs
und stand somit für die hessische Fliegerei nicht mehr zur Verfügung.
Ohnehin wurde die motorisierte Luftfahrt in Deutschland durch den Ver-
sailler Vertrag unterbunden, so dass sich die wissenschaftliche und in-
dustrielle Forschung neuen Zielen zuwenden musste. Die Folge war die
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massive Stärkung des Segelflugs, die u.a. in der Gründung der Akademi-
schen Fliegergruppe 1920 ihren Ausdruck fand.
Zu Beginn der 1920er Jahre hatte sich die Situation grundlegend geän-
dert: Waren es vor dem Krieg begeisterte junge Menschen gewesen, die
vom Fliegen nur träumen konnten und an der Hochschule das wissen-
schaftliche Rüstzeug zu erlangen hofften, so waren es nach 1919 vielfach
Angehörige der Kriegsgeneration mit eigenen Erfahrungen aus der Mili-
tärluftfahrt, die nun die Hochschule bevölkerten. Ihre Begeisterung war
ungebrochen, sehr zum Nutzen für die ehrenamtlich tätige Akaflieg, die
in den 1920er Jahren eine Reihe hervorragender Segelflugzeuge und
Flieger hervorbrachte.
Unterstützt wurde Eberhardt seit 1921 durch den Professor für Mechanik,
Wilhelm Schlink, der zuvor in Braunschweig das Luftfahrtwesen maßgeb-
lich mitgestaltet hatte.
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Als weitere wichtige Weichenstellung erwies sich der Ausbau der Flugme-
teorologie unter Walter Georgii, der mit der Rhön-Rossitten-Gesellschaft
eine zusätzliche Forschungseinrichtung in Darmstadt ansiedelte. In die-
sem Rahmen bewegten sich die Lehre und Forschung Eberhardts bis zu
seinem Tode im März 1932. In mehreren Aufsätzen stellte er die Vorzüge
der unterschiedlichen Luftfahrzeuge heraus, wobei eine deutliche Ten-
denz zu Gunsten des Luftschiffs als Verkehrsmittel hervortritt. Zwei Bän-
de in der Sammlung Göschen unterstreichen seine Bedeutung als Verfas-
ser von Studienliteratur.
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Als wichtiger Vertreter der Darmstädter Luftfahrtforschung war er 1930
auch an der 1. Wissenschaftlichen Segelflugtagung beteiligt, die in der
Verantwortung der Rhön-Rossittengesellschaft an der TH Darmstadt ver-
anstaltet wurde. Neben Schlink und Georgii gehörte auch Eberhardt zu
den Referenten der Tagung, allerdings wurde sein Vortrag „Das Verhalten
der Luftfahrzeuge in Inversionsschichten“ nicht in der Tagungspublikation
abgedruckt. Die international gut besuchte Veranstaltung endete mit der
Vorführung von Flugzeugen und Flügen, die Eberhardt zu einer gelunge-
nen Demonstration nutzte: „Die Veranstaltungen begannen pünktlich um
3 Uhr mit dem Aufstieg des Herrn Professor Eberhardt im Freiballon
‚Darmstadt‘. Der Start des ‚Darmstadt‘ vollzog sich bei besten Wetterver-
hältnissen sehr glatt. Trotz der Belastung mit vier Personen stieg der Bal-
lon sehr bald auf 500-600 Meter, kurz darauf auch über 1000 Meter und
verschwand in nordöstlicher Richtung.“
Zwei Jahre später starb Eberhardt im Alter von 55 Jahren. Die Zeppelin-
katastrophe von Lakehurst wie auch die politische Instrumentalisierung
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der Fliegerei durch den Nationalsozialismus, an der sich u.a. auch sein
Schüler Werner von Langsdorff aktiv beteiligte, blieben dem ersten Pro-
fessor für Luftschifffahrt und Flugtechnik auf diese Weise erspart.
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Literaturhinweise:
Helmut Böhme: „Die Geschichte der Luftfahrttechnik und Darm-
stadts Technische Hochschule“, in: Arbeitskreis Luftverkehr der
Technischen Universität Darmstadt (Hrsg.): Zehntes Kolloquium
Luftverkehr an der Technischen Universität Darmstadt.
WS 2002/2003 (Kolloquium Luftverkehr an der Technischen Uni-
versität Darmstadt 10), Darmstadt 2003.
Ursula Eckstein: „August-Euler-Flugplatz Darmstadt - der Grieshei-
mer Sand“, Experimentierfeld für viele Flugpioniere, Darmstadt
2008.
Andreas Göller, Annegret Holtmann (Hgg.): „Ein Jahrhundert Luft-
fahrtgeschichte zwischen Tradition, Forschung und Landschafts-
pflege. Der August-Euler-Flugplatz in Darmstadt-Griesheim“
(WB-Edition Universität mit der Carlo und Karin Giersch-Stiftung
der Technischen Universität Darmstadt), Darmstadt 2008.
Sabine Höhler: „Luftfahrtforschung und Luftfahrtmythos“. Wissen-
schaftliche Ballonfahrt in Deutschland 1880 – 1910, Frankfurt/Main
2001.
Helmut Schubert (Red.): „Anfänge der Luftfahrt im Raum Darm-
stadt und Frankfurt“ (Blätter zur Geschichte der deutschen Luft-
und Raumfahrt 14), Bonn 2002.
Helmuth Trischler: „Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland:
1900 – 1970. Politische Geschichte einer Wissenschaft“ (Studien zur
Geschichte der deutschen Großforschungseinrichtungen 4),
Frankfurt/Main 1992.