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Von Nürnberg nach Den Haag: Lehren aus der Vergangenheit -
Herausforderungen für die Zukunft
Vorgeschichte: Zur Zivilisierung des Krieges
Die Bemühungen, die Auswirkungen kriegerischer Auseinandersetzungen zu begrenzen,
reichen bis weit in das 19. Jahrhundert zurück. Ein Wendepunkt kam mit den Erfahrungen
Henry Dunants in Italien 1859: Über 30.000 Tote und Verwundete waren nach der Schlacht
von Solferino nicht versorgt oder beerdigt worden. Zwar bemühte sich Dunant vor Ort um die
Verwundeten und Toten, konnte aber nur sehr begrenzt helfen. In der Folge warb er für die
Gründung einer neutralen Instanz zur Versorgung von Verwundeten, ein Anliegen, das auf
breite Zustimmung stieß. 1863 gegründet, nahm diese Instanz 1876 den Namen
„Internationales Komitee vom Roten Kreuz“ (IKRK) an. Schon im August 1864
verabschiedeten zwölf Staaten das erste Genfer Abkommen betreffend die Linderung des
Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen (I. Genfer Konvention). Das Rote
Kreuz und die Genfer Konvention hatten allerdings „nur“ die Kriegsfolgen wie Verwundung
der Soldaten oder Kriegsgefangenschaft im Blick, nicht die Kriegführung an sich (ius in bello)
oder das Recht zum Führen eines Krieges (ius ad bellum).
Zehn Jahre später wurde auf der Brüsseler Konferenz (August 1874) auf internationaler
Ebene über die „Gesetze und Gebräuche des Krieges“ verhandelt. Zwar trat das Brüsseler
Vertragswerk mangels ausreichender Ratifizierungen nicht in Kraft, aber mit dem darauf
aufbauenden Vertragswerken, den Haager Abkommen von 1899 und 1907, gelang 25 Jahre
später der Durchbruch. In der Haager Landkriegsordnung wurden bestimmte Mittel und
Methoden der Kriegsführung verboten, sie kann als ein Versuch gewertet werden, die
Kriegsführung selbst zu zivilisieren. Über das Verbot hinaus enthielten diese
völkerrechtlichen Verträge jedoch keine Strafandrohungen.
Dass diesem Ansatz noch die notwendige Durchsetzungskraft fehlte, zeigte sich nicht zuletzt
bei den im Ersten Weltkrieg begangenen Verbrechen sowie deren juristischer Aufarbeitung.
Abgesehen davon, dass Kaiser Wilhelm II. trotz der Vorgaben des Versailler Vertrages für
die unter seinem Oberkommando verübten Kriegsverbrechen letztlich nicht zur
Verantwortung gezogen wurde, wurden über tausend Personen, die verdächtig waren
Kriegsverbrechen begangen zu haben, nicht strafrechtlich verfolgt. Von den 17 „Leipziger
Prozessen“ von 1921 bis 1927, in denen auf Druck der Alliierten deutsche Kriegsverbrecher
bestraft werden sollten, endeten sieben nach fragwürdigen Verfahren vor dem Reichsgericht
mit Freisprüchen.1 Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Ersten Weltkriegs war
1 Vgl. Hankel, Gerd: Leipziger Prozesse. Hamburg 2003. S. 97ff. und öfters. Vgl. Safferling, Christoph: Lernen von
Nürnberg. In: Rechtsgeschichte (RG). Band 14 (2009). S. 150 f.
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damit gescheitert. Dass eine nationale – in diesem Falle deutsche – Strafverfolgung sich als
ungeeignet und unzureichend erwiesen hatte, war ein Grund dafür, dass nach dem Zweiten
Weltkrieg die Alliierten selbst die Verfolgung der deutschen Kriegsverbrechen übernahmen.2
Der Zweite Weltkrieg
Das Internationale Militärtribunal: Der Nürnberger Prozess
Spätestens seit Oktober 1941 erwogen die Alliierten, die von Deutschland und Japan
begangenen Kriegs- und Menschheitsverbrechen strafrechtlich zu verfolgen.3 Zur
Vorbereitung entsprechender Verfahren wurde am 20. Oktober 1943 die United Nations War
Crimes Commission (UNWCC) in London gegründet.4 Zehn Tage später, am 30. Oktober
1943, erklärten die Alliierten die Verfolgung von Kriegsverbrechen mit der Moskauer
Deklaration zum Kriegsziel. Es wurde festgelegt, dass Kriegsverbrecher an diejenigen
Staaten auszuliefern seien, in denen die Verbrechen begangen worden waren. Unbeschadet
dessen, behielten sich die Alliierten vor, die deutschen Verbrechen, die nicht ortsgebunden
begangen wurden, auf der Grundlage einer gemeinsamen Entscheidung der Siegermächte
zu bestrafen.5 Konkret besprochen wurde die Verfolgung der Hauptkriegsverbrecher auf der
Londoner Konferenz ab dem 26. Juni 1945.6 Mit dem dort am 8. August 1945 beschlossenen
Statut des Internationalen Militärtribunals (IMT) gelang der Konferenz der Durchbruch für die
Verfolgung der deutschen Hauptkriegsverbrecher, die Konstituierung des IMT und ein
historisches Dokument von weitreichender Bedeutung. Nach dem Statut sollte das IMT
„zwecks gerechter und schneller Aburteilung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der
europäischen Achse gebildet werden.“7 Angeklagt werden sollten Verbrechen gegen den
Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.8
Das Internationale Militärtribunal war von der Idee getragen, mit der strafrechtlichen
Verfolgung dieser Verbrechen auf der Grundlage eines rechtsstaatlichen Verfahrens einen
Beitrag zur Sicherung der Menschenrechte und des Friedens zu leisten. Durch die
strafrechtliche Verfolgung des Angriffskrieges sollte das Verbot des Kriegs als Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln effektiver werden.
2 Der US-amerikanische Chefankläger Justice Robert H. Jackson führte dieses Scheitern in seiner Nürnberger
Eröffnungsrede ausdrücklich zur Begründung der Einrichtung des Internationalen Militärtribunals an. 3 Vgl. u.a. Safferling, Christoph: Lernen von Nürnberg. In: Rechtsgeschichte (RG). Band 14 (2009). S. 151.
4 Vgl. United Nations War Crimes Commission: History of the United Nations War Crimes Commission and the
Development of the Laws of War. London 1947. S. 112 ff. insbes. 119. Die Sowjetunion allerdings war wegen Auseinandersetzung über die Beteiligung einzelner Sowjetrepublik nicht Mitglied der UNWCC geworden. Vgl. ebenda. S.158f. 5 Moscow Conference, Joint Four-Nation Declaration vom 30. Oktober 1943, Abschnitt Statement on Atrocities.
Mit ausdrücklichem Bezug auf die Moskauer Deklaration rief die UN-Resolution 3/I vom 13. Februar 1945 zu entsprechenden Auslieferungen auf. Zwar war die Frage der Verfolgung von Kriegsverbrechern sowohl bei der Teheraner Konferenz (Dezember 1943) als auch bei der Konferenz von Jalta (Februar 1945) Thema, jedoch wurde dort sachlich nichts Entscheidendes beschlossen. 6 Vgl. Jackson, Robert H.: International Conference on Military Trials. London 1945.
7 Art. 1 IMT Statut.
8 Art. 6 IMT Statut.
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Am 18. Oktober 1945 wurde mit der Entgegennahme der Anklageschrift durch das Tribunal
das Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher in Berlin eröffnet.9 Angeklagt wurden 24
hochrangige Repräsentanten und sieben Organisationen des NS-Regimes.10 Das Verfahren
selbst fand in Nürnberg statt. Die am 21. November 1945 dort gehaltene Eröffnungsrede des
Chefanklägers der USA beim IMT, Robert H. Jackson, ist bis heute eine bedeutende
Erklärung zur Verfolgung von Kriegsverbrechern. Wie bereits erwähnt, wies Jackson schon
zu Beginn seiner Rede darauf hin, dass der Prozess notwendig sei, um eine Wiederholung
der Untaten des Nazi-Regimes zu verhindern:
„Mit dieser gerichtlichen Untersuchung wollen [...] vier der mächtigsten
Nationen, unterstützt von weiteren siebzehn Nationen, praktisch das
Völkerrecht nutzbar machen, der größten Drohung unserer Zeit
entgegenzutreten: dem Angriffskrieg. Die Vernunft der Menschheit verlangt,
daß das Gesetz sich nicht genug sein läßt, geringfügige Verbrechen zu
bestrafen, die sich kleine Leute zuschulden kommen lassen. Das Gesetz muß
auch die Männer erreichen, die eine große Macht an sich reißen und sich ihrer
mit Vorsatz und in gemeinsamem Ratschlag bedienen, um ein Unheil
hervorzurufen, das kein Heim der Welt unberührt läßt.“11
Das Ende der Straflosigkeit als Gebot der Vernunft und als zwingende normative Grundlage
jeder in die Zukunft gerichteten Ordnung der Völkergemeinschaft nahm für Jackson eine
zentrale Stellung auch über das aktuelle, gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher
gerichtete Verfahren hinaus ein:
„Dieses Gesetz wird hier zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt, es
schließt aber ein und muß, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder
anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen die, die jetzt hier zu Gericht
sitzen. Wir können im Innern Gewaltherrschaft, Willkür, Zwang und Überfall
derer, die gegen die Rechte ihres eigenen Volkes an der Macht sind, nur
beseitigen, wenn wir jedermann vor dem Gesetz verantwortlich machen.
Dieser Prozeß ist der verzweifelte Versuch der Menschheit, die Strenge des
Gesetzes auf die Staatsmänner anzuwenden, die ihre Macht im Staate
9 Vgl. Internationaler Militärgerichtshof: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen
Militärgerichtshof. Amtliche Sammlung. Band 1, Nürnberg 1947. (im Folgenden: IMT Bd. 1). S. 26 ff. 10
Vgl. IMT Bd. 1. S. 30 ff., 45 f., 46 ff. und 70 ff. Angeklagt wurden Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Franz von Papen, Arthur Seyß-Inquart, Albert Speer, Konstantin von Neurath und Hans Fritzsche. Angeklagt waren weiterhin Robert Ley (Suizid am 25. Oktober 1945, also vor Verhandlungsbeginn), Martin Bormann (gegen den in Abwesenheit verhandelt wurde) und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (wegen Krankheit prozessunfähig). Die angeklagten Organisationen und Institutionen waren das Reichskabinett, das Korps der Politischen Leiter der NSDAP, die SS, der SD, die SA, die Gestapo und das OKW (inklusive dem Generalstab). Vgl. IMT Bd. 1. S. 29. 11
Vgl. IMT Bd. 2. S. 115.
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benutzt haben, die Grundlagen des Weltfriedens anzugreifen und die
Hoheitsrechte ihrer Nachbarn durch Übergriff und Überfall zu verletzen.“12
Da der Zweite Weltkrieg kaum Neutrale hinterlassen habe, so Jackson, sei es Aufgabe der
Siegermächte, die Verbrechen des NS-Regimes zu verfolgen – wolle man dies nicht, wie
nach dem Ersten Weltkrieg, den Besiegten selbst überlassen.13 Jackson war klar, dass dem
Nürnberger Prozess in Zukunft weitere Prozesse gegen völkerrechtliche Verbrechen folgen
würden, die sich an den Maßgaben von Nürnberg orientieren würden:
„Denn wir dürfen niemals vergessen, daß nach dem gleichen Maß, mit dem
wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte
gemessen werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen,
bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu bringen.“14
Sollte es beim Hauptkriegsverbrecherprozess von Nürnberg bleiben, so impliziert Jackson,
mache sich nicht nur die Staatengemeinschaft unglaubwürdig, sondern auch das IMT selbst,
werde delegitimiert.15
Nicht nur Jackson, sondern wohl die meisten am Prozess Beteiligten waren sich der
Bedeutung des Nürnberger Verfahrens bewusst. Jedoch formulierte Jackson dies in seiner
Eröffnungsrede am deutlichsten. Bezogen auch auf vorbereitende Dokumente und
Beschlüsse wie die Moskauer Deklaration oder das IMT-Statut, ergab sich für Jackson die
historische Bedeutung des Nürnberger Prozesses aus folgenden Aspekten:
Mit dem Nürnberger Prozess werde erstmalig wegen schwerer völkerrechtlicher Verbrechen
(Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit) gegen Individuen verhandelt.16
Ebenfalls würden erstmalig (hochrangige) Vertreter eines Staates, von dem völkerrechtliche
Verbrechen ausgegangen waren, angeklagt. Ein Abwälzen der Verantwortung auf den
„Staat“ sei damit unmöglich gemacht worden, Immunität qua Amt sei kein
Strafausschlussgrund mehr.17
Der Prozess sei das erste Verfahren, in dem, vor allem strafprozessual, Elemente
verschiedener Rechtssysteme zum Tragen kämen.18
12
Vgl. IMT Bd. 2. S. 182. 13
Vgl. IMT Bd. 2. S. 118. 14
Vgl. IMT Bd. 2. S. 118. 15
Vgl. IMT Bd. 2. S. 183 u.ö. 16
Vgl. IMT Bd. 2. S. 115. 17
Vgl. IMT Bd. 2. S. 177. 18
Vgl. IMT Bd. 2. S. 180.
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Der Prozess diene der Implementierung jener Rechtssetzung der internationalen Politik, mit
der perspektivisch Krieg überhaupt kriminalisiert werden sollte.19
Im Gegensatz zu denkbarer und im Vorfeld teils auch diskutierter Rache- und Lynchjustiz
finde eine strafrechtliche Verfolgung mittels eines rechtsstaatlichen Verfahrens statt, was
auch als Beitrag zur Sicherung der Menschenrechte nicht zuletzt der Angeklagten gewertet
werden müsse.20
Im Kern ging es also darum: Durch Verfolgung der völkerrechtlichen Straftatbestände durch
ein internationales Strafgericht sollte das Völkerrecht zu einer wirksamen und verlässlichen,
auf der Grundlage rechtsstaatlicher Verfahren funktionierenden Rechtsordnung ausgebaut
werden.
Mit den Urteilssprüchen vom 1. Oktober 1946 wurden drei Angeklagte freigesprochen,21
sieben zu Freiheitsstrafen zwischen zehn Jahren und lebenslang und zwölf der 22
Angeklagten zum Tod durch den Strang verurteilt.22
Trotz aller Bemühungen um ein rechtsstaatliches Verfahren, trotz der Dimensionen der
verfolgten Verbrechen und trotz mangelnder Alternativen: Unumstritten war auch der
Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess nicht. Schon während des Verfahrens kritisierte
vor allem die Verteidigung den Prozess als „Siegerjustiz“. Kritik richtete sich in diesem
Zusammenhang beispielsweise gegen die überwiegend aus Vertretern der Alliierten
zusammengesetzten Kammern und Anklagevertretung. Vielfach wurde auch die angebliche
Verletzung des Grundsatzes nullum crimen sine lege gerügt, da bis dato ungeklärt gewesen
sei, ob die strafrechtliche Verantwortung für die unter die Jurisdiktion der IMT fallenden
Tatbestände völkerrechtlich anerkannt war.23 Weiterhin wurde die Regelung der
Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im IMT-Statut kritisiert. Art. 8 des Statuts sah
vor, dass das Handeln auf Befehl zwar keinen Strafausschluss, jedoch eine Strafmilderung
begründen konnte. Dadurch werde dem Angeklagten die Berufung auf einen
„Befehlsnotstand“ als Ausdruck seiner aussichtslosen Lage verwehrt. Ein weiterer Kritikpunkt
betraf den Umgang mit Organisationsverbrechen, da die mögliche Verurteilung aufgrund der
Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation mit dem Grundsatz der
Individualverantwortlichkeit, normiert in Art. 6 des Statuts, unvereinbar sei, wenn bereits die
reine Mitgliedschaft eine unwiderlegliche Vermutung der Teilnahme an den verbrecherischen
19
Vgl. IMT Bd. 2. S. 183. 20
Vgl. IMT Bd. 2. S. 119. Siehe hierzu auch die Bemerkungen des US-amerikanischen Kriegsministers Henry L. Stimson zu einer möglichen summarischen Bestrafung der NS-Täter. Vgl. Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse. München 2006. S. 58. Zu Racheplänen von Opfern des NS-Regimes an NS-Tätern vgl. Tobias, Jim G. / Zinke, Peter: Nakam. Berlin 2003. 21
Vgl. IMT Bd. 1. S. 350, 370 und 383. 22
Vgl. IMT Bd. 1. S. 412 f. 23
Vgl. Eser, Albin: Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg aus deutscher Perspektive. In: Reginbogin, Herbert R. / Safferling, Christoph J.M. (Hg.): Die Nürnberger Prozesse. München 2006. S. 55 f.
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Taten der Organisation darstelle. Weitere Defizite, so die Kritiker, zeigten sich im Hinblick auf
die Verteidigung der Angeklagten. So sei der Verteidigung nicht nur weniger Zeit zur
Vorbereitung gegeben, sondern auch nur ein Teil der Akten, auf die die Anklage
zurückgreifen konnte, zur Verfügung gestellt worden24. Diese Situation habe die
„Waffengleichheit“ der Parteien in Frage gestellt.25 Doch auch im größeren Zusammenhang
zeigten sich Widersprüche, und die Kritik am Nürnberger Verfahren entzündete sich nicht
zuletzt am Ausschluss von Fragen zu Vorwürfen gegen die Alliierten, beispielsweise wegen
der Flächenbombardierung deutscher Städte durch britische und US-amerikanische
Bomberverbände, der Ermordung polnischer Offiziere in Katyn durch die Rote Armee oder
des vom französischen Militär verübten Massakers im algerischen Setif im Mai 1945.26
Gerade die letztgenannten Kritikpunkte verweisen auf ein grundlegendes Problem des
Nürnberger Prozesses, das sich daraus ergab, dass die rechtlichen Prinzipien und
Maßstäbe, die das Nürnberger Verfahren leiteten, zwar universalistisch und menschheitlich
begründet wurde, in der Folgezeit aber keine internationale und allgemeine Verbindlichkeit
erhielten.27
Das International Military Tribunal for the Far East: Der Tokioter Prozess
Ein dem Nürnberger IMT vergleichbarer Prozess fand mit dem International Military Tribunal
for the Far East (IMTFE) für den pazifischen Kriegsraum des Zweiten Weltkrieges zwischen
dem 3. Mai 1946 und 12. November 1948 in Tokio statt. Allerdings bestanden zwischen dem
IMT und dem IMTFE bedeutende Unterschiede. Der Oberbefehlshaber der alliierten Truppen
im Pazifik, US-General Douglas MacArthur, übte großen Einfluss auf das Gericht und das
Verfahren aus: Er setzte das von der Anklagebehörde erarbeitete Statut sowie das Gericht
per Anordnung ein und hatte die Urteile zu bestätigen sowie deren Vollzug anzuordnen.28 Die
Auswahl der elf Richter war insofern problematisch, als mit Ausnahme des indischen
Richters kein Richter Erfahrung im Völkerrecht hatte, und weder der französische noch der
sowjetische Richter die Sprachen des Gerichts – Japanisch und Englisch – verstanden.
Außerdem muss die Neutralität des philippinischen Richters, der selbst ein japanisches
Massaker überlebt hatte, und des australischen Vorsitzenden Richters, der zuvor für seine
Regierung einen Bericht über japanische Kriegsverbrechen verfasst hatte, angezweifelt
24
Vgl. Mangold, Christoph: Die völkerstrafrechtliche Verfolgung von Individuen durch internationale Strafgerichtshöfe. Frankfurt/M. 2007. S. 22. 25
Vgl. Safferling, Christoph / Graebke, Philipp: Strafverteidigung im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 123 (2011). S. 73 ff. 26
Vgl. u.a. Echternkamp, Jörg: Nach dem Krieg. Zürich 2003. S. 170 und Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse. München 2006. S. 56 f. 27
Vgl. Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse. München 2006. S. 57. 28
Vgl. Osten, Philipp: Tokioter Kriegsverbrecherprozess und die japanische Rechtswissenschaft. Berlin 2003. S. 52, 70 u.ö. Diese Kompetenzen erinnern an die Rolle des Gerichtsherrn oder Confirming Officer, die in der Militärjustiz westlicher Armeen gängig waren. Insofern war das IMTFE viel näher an einem gängigen Militärgericht, als der IMT.
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werden.29 Weil zudem das Gericht über Beweisanträge der Verteidigung restriktiver als über
solche der Anklage entschied,30 muss es fraglich erscheinen, ob es sich in Tokio um ein
faires und akzeptables Verfahren handelte.
Auch die Nichtverfolgung des in Japan bis 1945 gottgleich verehrten Tennō Hirohito stellte
die Prämisse, alle Verbrecher, auch Staatsoberhäupter, wegen schwerer
Völkerrechtsverbrechen verfolgen zu wollen, in Frage. Wenn es auch kurzfristig sinnvoll
gewesen sein mag, Hirohito zum Bannerträger der zu errichtenden Demokratie in Japan zu
machen, langfristig hat diese Nichtverfolgung in Japan sowohl der Akzeptanz des IMTFE als
auch der Glaubwürdigkeit des Anspruchs die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen
geschadet.31 Ähnliches gilt auch für die unter dem Aspekt des fairen Verfahrens zum Teil
problematischen nachgeordneten Prozesse32 sowie für die Entlassungspolitik der
japanischen Regierung nach dem Friedensvertrag von 1952, die dazu führte, dass bis Ende
1958 alle Kriegsverbrecher entlassen worden waren. Mit Mamuro Shigemitsu, der vom
IMTFE zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, übernahm ein verurteilter
Kriegsverbrecher sogar ein Ministeramt.33 „Vor diesem Hintergrund“, resümiert Philipp Osten,
„breitete sich ab Mitte der 1950er Jahre eine Sichtweise des Tokioter Prozesses als
kurzatmige Siegerjustiz aus, das Opferbewusstsein in der japanischen Bevölkerung nahm
zu.“34
Trotz ihrer bedeutsamen Stellung in der Geschichte des Völkerstrafrechts agierten sowohl
das Nürnberger IMT als auch das IMTFE in einem Spannungsfeld zwischen politischer und
juristischer Legitimation und der moralischen Verantwortung der Alliierten, die Verbrechen
der Achsenmächte juristisch aufzuarbeiten. Die Tribunale von Nürnberg und Tokio waren
wichtige Schritte in der Entwicklung des Völkerstrafrechts und der Bemühungen gegen die
Straflosigkeit von Makroverbrechen. Die Probleme und Defizite dieser Verfahren ändern
daran nichts.
Kontrollratsgesetz Nr. 10 – die nationale Seite der Strafverfolgung
Die etwa 15.000 Verfahren, die vor nationalen Gerichten weltweit wegen Kriegsverbrechen
während des Zweiten Weltkriegs durchgeführt wurden, hatten insbesondere in Deutschland,
aber auch in einigen anderen europäischen Staaten, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10)
zur Grundlage. Dieses Gesetz war das Äquivalent zum IMT-Statut für die nationalstaatliche
Verfolgung der entsprechenden völkerrechtlichen Straftatbestände. Verabschiedet am 20.
29
Vgl. Boister, Neil / Cryer, Robert: The Tokyo International Military Tribunal. Oxford 2008. S. 83 f. 30
Vgl. Boister, Neil / Cryer, Robert: The Tokyo International Military Tribunal. Oxford 2008. S. 104 f. 31
Vgl. Osten, Philipp: Tokioter Kriegsverbrecherprozess und die japanische Rechtswissenschaft. Berlin 2003. S. 105ff. 32
Vgl. Osten, Philipp: Tokioter Kriegsverbrecherprozess und die japanische Rechtswissenschaft. Berlin 2003. S. S. 25. 33
Vgl. Boister, Neil / Cryer, Robert: The Tokyo International Military Tribunal. Oxford 2008. S. 252 und 317. 34
Osten, Philipp: Tokioter Kriegsverbrecherprozess und die japanische Rechtswissenschaft. Berlin 2003. S. 124.
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Dezember 1945, griff es in Artikel 2 Abs. 1 lit. d die Tätigkeit des IMT insofern ausdrücklich
auf, als die Mitgliedschaft zu einer vom IMT als „verbrecherisch“ qualifizierten Organisation
kriminalisiert wurde. Auch das in Artikel 7 des IMT-Statuts geregelte Verbot einer
strafrechtlichen Immunität für Staatsoberhäupter wurde übernommen.35
Angewandt wurde dieses Gesetz nicht zuletzt in den Nürnberger Nachfolgeprozessen. Vor
allem der Ärzteprozess (1946/47) hatte nachhaltige Bedeutung. In diesem Prozess wurde
wegen Menschenversuchen in Konzentrationslagern, Euthanasiemorden und anderer
Verbrechen gegen insgesamt 24 Ärzte und andere an solchen Verbrechen Beteiligte
Anklage erhoben. Sieben Ärzte wurden am 20. August 1947 zum Tode durch den Strang
verurteilt und am 2. Juni 1948 hingerichtet. Im Urteil formulierte das Gericht bis heute
geltende medizinethische Grundsätze für die Durchführung medizinischer und
psychologischer Experimente, die vor allem auf die Freiwilligkeit der Teilnahme und die
Verpflichtung zur geringstmöglichen Schädigung der Teilnehmer abzielen.36 Diese als
„Nürnberger Kodex“ bekannt gewordenen Richtlinien stellen eines der anhaltend wirksamen
Ergebnisse der Nürnberger Nachfolgeprozesse dar.37 Das KRG 10 wurde auch in den
„Dachauer Prozessen“ (US-Zone), in einigen Prozessen in Rastatt und Baden-Baden
(französische Zone), in den Curiohaus-Prozessen in Hamburg (britische Zone) und vom
Obersten Gerichtshof für die britische Zone angewandt.38 In der US-Zone wurde über die
Angeschuldigten später in aller Regel von den Spruchkammern auf Grundlage des
Befreiungsgesetzes vom 5. März 1946 geurteilt. Auch wenn die große Mehrheit der in der
Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR verfolgten Kriegsverbrecher nach
Gesetzen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) verfolgt wurden, so
sind dort auch mehr als 120 Kriegsverbrecher nach dem KRG 10 verurteilt worden.39
Es bleibt festzuhalten, dass die Zweigliedrigkeit von internationaler und nationaler
Strafverfolgung schwerer Völkerrechtsverbrechen im besetzten Deutschland umgesetzt
35
Vgl. Art. 2 Abs. 4 KRG 10. Vgl. auch Werle, Gerhard: Bestrafung von NS-Unrecht in Westdeutschland. In: Marxen, Klaus / Koichi, Miyazawa / Werle, Gerhard (Hg.): Der Umgang mit Kriegs- und Besatzungsunrecht in Japan und Deutschland. Berlin 2001. S. 139. 36
Vgl. Wortportokoll des Nürnberger Ärzteprozesses, S. 11587. Veröffentlicht in Dörner, Klaus / Ebbingshaus, Angelika / Linne Karsten (Hg.): Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. (Mikrofiche-Edition) München 1999. Fiche 122. 37
Vgl. Eckart, Wolfgang U.: Fall 1: Der Nürnberger Ärzteprozeß. In: Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. 2. Aufl. Frankfurt/M. 2000. S. 73 ff., insbes. S. 75 und 83, sowie und Ebbinghaus, Angelika: Einleitung. In: Dörner, Klaus / Ebbingshaus, Angelika / Linne Karsten (Hg.): Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. München 2000. S. 68 f. 38
Vgl. u.a. Ostendorf, Heribert: Die Bedeutung der Nürnberger Prozesse für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen durch die UN. In: Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. 2. Aufl. Frankfurt/M. 2000. S. 264 ff. 39
Vgl. Wentker, Hermann: Justiz in der SBZ / DDR 1945-1953. München 2001. S. 400, sowie und Marxen, Klaus: Bestrafung von NS-Unrecht in Ostdeutschland. In: Derselbe / Koichi, Miyazawa / Werle, Gerhard (Hg.): Der Umgang mit Kriegs- und Besatzungsunrecht in Japan und Deutschland. Berlin 2001. S. 162.
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wurde, das für die nationale Ebene vorgesehene KRG 10 aber nur in der britischen
Besatzungszone konsequent angewandt wurde.40
Seit Beginn der 1950er Jahre fanden keine größeren Verfahren wegen NS-Verbrechen mehr
statt. Die internationale Strafgerichtsbarkeit war nach dem Ende des IMT aus dem
Handlungsbereich der internationalen Staatengemeinschaft geraten. Die Verfahren der
Alliierten, inklusive der Entnazifizierungsverfahren, waren weitgehend beendet, und die
deutsche Strafjustiz beschäftigte sich in aller Regel mit einzelnen oder nachgeordneten
Verbrechen, nicht aber mit größeren zusammenhängenden Verbrechenskomplexen. Erst der
Ulmer-Einsatzgruppenprozess, der mit dem am 29. August 1958 verkündeten Urteil beendet
wurde, machte auch der Öffentlichkeit klar, dass viele Verbrechenskomplexe, die
systematische und sachkundige Ermittlungsarbeiten erfordern würden noch nicht in den
Fokus der Justiz gerückt waren. Vor diesem Hintergrund wurde in der Bundesrepublik die
„Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer
Verbrechen“ in Ludwigsburg gegründet.41 Auch die folgenden, in diesem Zusammenhang
bedeutenden Verfahren, wie z.B. der Frankfurter Ausschwitzprozess (1963-65) oder der
Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975-81) fanden vor deutschen Landgerichten, also
nationaler in Gerichtsbarkeit statt.
Die Festschreibung globaler Standards durch die Nürnberger Prinzipien
Auf internationaler Ebene hatte das IMT-Statut von 1945 anfänglich große Bedeutung
erlangt. Das von den vier alliierten Siegermächten abgeschlossene Londoner Abkommen
wurde bei Prozessbeginn in Nürnberg von insgesamt 19 weiteren Staaten aller Kontinente
unterstützt.42 Schon damit wird deutlich, dass das im Nürnberger Prozess vertretene
Anliegen völkerrechtliche Verbrechen zu ahnden, für weit mehr Staaten als nur die vier
Siegermächte von Bedeutung war. 23 der 51 Gründungsstaaten der Vereinten Nationen
unterstützten das IMT. Die UN-Generalversammlung bekräftigte mit der Resolution 95/I vom
11. Dezember 1946 die durch das Statut des IMT aufgestellten Prinzipien des internationalen
Strafrechts und beauftragte mit Resolution 177 vom 21. November 1947 die neu gegründete
International Law Commission (ILC) der Vereinten Nationen mit der Ausformulierung der
Nürnberger Prinzipien. Die von der ILC der UN-Generalversammlung 1950 schließlich
vorgelegten Prinzipien tragen den Titel „Nürnberg Principles“:
40
Dort wurden über 27.000 Verfahren von den Spruchgerichten durchgeführt. Vgl. Römer, Sebastian: Mitglieder verbrecherischer Organisationen. Frankfurt/M. 2005. S. 25. 41
Vgl. Weinke, Annette: Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Darmstadt 2008. S. 10 ff. 42
Das sind Griechenland, Dänemark, Jugoslawien, die Niederlande, Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Äthiopien, Australien,Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neuseeland, Indien, Venezuela, Uruguay und Paraguay. Vgl. die Anmerkung zu Artikel 5 des Londoner Abkommens in: IMT Bd. 1. S. 8 und Safferling, Christoph: Lernen von Nürnberg. In: Rechtsgeschichte (RG). Band 14 (2009). S. 149, Anm. 9. Darauf geht auch Jackson in seiner Eröffnungsrede ein: vgl. IMT Bd. 2. S. 115.
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“Principle I
Any person who commits an act which constitutes a crime under international
law is responsible therefore and liable to punishment.
Principle II
The fact that internal law does not impose a penalty for an act which
constitutes a crime under international law does not relieve the person who
committed the act from responsibility under international law.
Principle III
The fact that a person who committed an act which constitutes a crime under
international law acted as Head of State or responsible Government official
does not relieve him from responsibility under international law.
Principle IV
The fact that a person acted pursuant to order of his Government or of a
superior does not relieve him from responsibility under international law,
provided a moral choice was in fact possible to him.
Principle V
Any person charged with a crime under international law has the right to a fair
trial on the facts and law.
Principle VI
The crimes hereinafter set out are punishable as crimes under international
law:
(a) Crimes against peace:
(i) Planning, preparation, initiation or waging of a war of aggression or a
war in violation of international treaties, agreements or assurances;
(ii) Participation in a common plan or conspiracy for the accomplishment
of any of the acts mentioned under (i).
(b) War crimes:
Violations of the laws or customs of war include, but are not limited to,
murder, ill-treatment or deportation to slave-labour or for any other
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purpose of civilian population of or in occupied territory, murder or ill-
treatment of prisoners of war, of persons on the seas, killing of
hostages, plunder of public or private property, wanton destruction of
cities, towns, or villages, or devastation not justified by military
necessity.
(c) Crimes against humanity:
Murder, extermination, enslavement, deportation and other inhuman
acts done against any civilian population, or persecutions on political,
racial or religious grounds, when such acts are done or such
persecutions are carried on in execution of or in connexion with any
crime against peace or any war crime.
Principle VII
Complicity in the commission of a crime against peace, a war crime, or a crime
against humanity as set forth in Principle VI is a crime under international
law.”43
Damit sollten die wichtigsten Grundlagen des IMT-Statuts und der IMT-Rechtsprechung in
verallgemeinerter Form für die internationale Rechtsprechung als verbindlich festgehalten
werden.44 Eine förmliche Annahme der 1950 vorgelegten ausformulierten Prinzipien durch
die Generalversammlung kam jedoch vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Ost-
West-Konflikts nicht zustande, die Versammlung gab den Mitgliedsstaaten lediglich die
Gelegenheit, sich zu diesen zu äußern.45
Blockade völkerstrafrechtlicher Anstrengungen im Zeichen des Kalten Krieges
In Deutschland und in Japan zeugten zahlreiche Begnadigungen und Haftentlassungen
verurteilter Kriegsverbrecher von der deutlich nachlassenden Intensität der Strafverfolgung.
Auch verstärkte sich in beiden Ländern der Vorwurf der „Siegerjustiz“. Deutlich wurde die
Infragestellung der Nürnberger Prinzipien bei der deutschen Ratifikation der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) am 5. Dezember 1952. Die Bundesrepublik erklärte
damals einen Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 EMRK, (nach dem eine Handlung auch dann
verfolgbar ist, wenn sie zur Tatzeit zwar im nationalen Recht nicht ausdrücklich verboten,
aber „nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen
strafbar war”). Der Vorbehalt sollte deutlich machen, dass die Bundesrepublik Deutschland
43
Yearbook of the International Law Commission 1950. Vol. II. New York 1957. S. 374 ff. 44
Vgl. Cassese: Affirmation of the Principles of International Law, Part 1 (Introduction). In: http://untreaty.un.org/cod/avl/ha/ga_95-I/ga_95-I.html (29.03.2011). 45
Vgl. Cassese: Affirmation of the Principles of International Law, Part 2 (The Formulation). In: http://untreaty.un.org/cod/avl/ha/ga_95-I/ga_95-I.html (29.03.2011).
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im vergangenheitspolitischen Klima der 1950er Jahre mit dieser sogenannten „Nürnberg-
Klausel“ nicht den Nürnberger Prozess rechtfertigen wollte.46
Die sich verhärtenden Fronten im Kalten Krieg bewirkten unterdessen auch anderenorts eine
zunehmende Lähmung der Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien. Sobald machtpolitische
und geostrategische Überlegungen und Interessen berührt waren, zeigten weder der Westen
noch der Osten eine wirkliche Bereitschaft, sich für die Implementierung des
Völkerstrafrechts und der Nürnberger Prinzipien einzusetzen. Der Wille, eigene
Souveränitätsrechte an neue Institutionen des Völkerstrafrechts abzugeben, hatte
weitgehend nachgelassen.47 Ein Beleg hierfür ist das Durchsetzungsregime der Genfer
Konventionen von 1949. Als Folge der verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges
auf die Zivilbevölkerung bestand die damals wichtigste Erweiterung in dem Genfer
Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (IV. Genfer Konvention).
Allerdings sah man davon ab, für die als „grave breaches“ in den Konventionen definierten
„schweren Verstöße“, eine internationale Strafgerichtsbarkeit zu schaffen. Stattdessen legte
man die Strafverfolgung, zu der sich die Unterzeichner des Abkommens verpflichteten, in die
Hände der nationalen Gerichte.48
In den militärischen Auseinandersetzungen während der Entkolonialisierung der 1950er und
frühen 1960er Jahre, beispielsweise in Indochina und Algerien, entfernte sich die
internationale Staatengemeinschaft weiter von der Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien.
Schwerste Menschenrechtsverletzungen wurden kaum verfolgt, auch nicht von nationalen
Gerichten. Vielmehr wurden sie als Vorwurf an die jeweils andere Seite funktionalisiert, wenn
es den jeweiligen propagandistischen Zwecken dienlich schien. Die Sowjetunion versuchte
beispielsweise so, die nach Unabhängigkeit strebenden Kolonien der Westmächte in das
eigene politische Lager zu ziehen.49 Auch das International War Crimes Tribunal von
1966/67, besser bekannt als „Russell-Tribunal“50, fungierte nicht als ein internationales
Strafgericht. Allerdings wurden dadurch auf internationaler Ebene, zumindest was die
Zusammensetzung des Tribunals mit Intellektuellen betrifft, erstmals wieder schwere
Völkerrechtsverbrechen öffentlichkeitswirksam thematisiert. So wurde das militärische
Eintreten der USA auf Seiten Südvietnams als Verbrechen gegen den Frieden und der
Einsatz von Splitterbomben als Kriegsverbrechen eingestuft. Mitten im Kalten Krieg konnte
damit zwar politisch Aufsehen erregt werden, jedoch blieb das Russell-Tribunal (wie auch die
46
Vgl. Safferling, Christoph: Lernen von Nürnberg: In: Rechtsgeschichte (RG). Band 14 (2009). S. 152. Dieser Vorbehalt wurde erst lange nach dem Ende des Kalten Krieges, nämlich 2001 zurückgenommen. 47
Vgl. Ferencz, Benjamin B.: Von Nürnberg nach Rom. Bonn 1998. S. 4. 48
Vgl. Art. 146 Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten. 49
Vgl. Klose, Fabian: Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. München 2009. S. 53. 50
Benannt nach seinem Gründer dem Mathematiker, Philosophen und Friedensaktivisten Bertrand Russell
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drei nachfolgenden Tribunale) auf staatlicher Ebene hinsichtlich der Verfolgung von
schweren Völkerrechtsverbrechen, national wie international, weitgehend folgenlos.51
Die Veröffentlichung von Bildern der Massaker im Vietnamkrieg schärfte aber das
Bewusstsein dafür, dass insbesondere die Zivilbevölkerung von der modernen Kriegführung
stark betroffen war. Proteste gegen diese Art der Kriegsführung in Vietnam, 1,2 Millionen
Tote im Biafra-Krieg in Nigeria von 1967 bis 1970, und andere ähnlich exzessive Kriege
veranlassten auch die internationale Politik zu vorsichtigen Korrekturen.52 Die von der UN-
Generalversammlung am 19. Dezember 1968 verabschiedete Resolution 2444 „Respect for
Human Rights in Armed Conflicts“ kann als erster vorsichtiger Schritt zu einem Wandel
gedeutet werden. Sie bekräftigte die bereits 1965 auf der 20. Internationalen Konferenz des
Roten Kreuzes in Wien verabschiedeten Grundsätze des humanitären Völkerrechts, wonach
die zulässigen Mittel und Methoden der Kriegführung beschränkt sind, dass die
Zivilbevölkerung vor Angriffen zu schützen und zwischen Kombattanten und Zivilisten zu
unterscheiden ist. Die Resolution 2444 forderte den UN-Generalsekretär auf, in
Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz weitere Schritte zur Vereinheitlichung des
humanitären Völkerrechts zu unternehmen. Dies war Ausgangpunkt für eine internationale
Konferenz von 1974 bis 1977, die mit der Annahme des ersten und zweiten Zusatzprotokolls
zu den Genfer Konventionen von 1949 abgeschlossen wurde. Das erste Zusatzprotokoll
spezifizierte die Regelungen der Genfer Konventionen und integrierte die Anforderungen der
Resolution 2444 als rechtsverbindliche Garantien in die Genfer Konvention. Darüber hinaus
sollten im Zweifelsfall „feststehende Gebräuche“, die „Grundsätze der Menschlichkeit“ und
das „öffentliche Gewissen“53 als Handlungsmaximen im bewaffneten Konflikt gelten. Das
zweite Zusatzprotokoll spezifizierte die in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten
anwendbaren Regeln des humanitären Völkerrechts, fand jedoch in der Praxis kaum
Anwendung.54
Wegen ihrer schweren Menschenrechtsverbrechen gerieten auch die lateinamerikanischen
Diktaturen, die bis Ende der 1980er Jahre demokratischen politischen Systemen wichen, in
den Fokus des internationalen Strafrechts.55 Der Übergangsprozess in Ländern wie
Argentinien beinhaltete jedoch nicht selten Amnestien für die unter der Diktatur begangenen
51
Vgl. Limqueco, Peter / Weiss, Peter (Hg.): Prevent the Crime of Silence. London 1971. S. 10 f., 59 f., S. 66 und S. 369-372. 52
Vgl. Best, Geoffrey: Humanity in Warfare. New York 1980. S. 316. 53
Art. 1 Abs. 2 Zusatzabkommen zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opferinternationaler bewaffneter Konflikte vom 08.06.1977. 54
Vgl. Menz, Simon: Verantwortlichkeit der Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsunternehmen. Berlin 2011. S. 89ff. Der Verweis auf dieses zweite Protokoll im Statut des ICTR (Art. 4 Statut des ICTR) blieb eine Ausnahme. 55
Neben langjährigen Diktaturen in u.a. Paraguay (1954 bis 1989/92), Brasilien (1964 bis 1985) erregten insbesondere die Diktatur unter Augusto Pinochet in Chile (1973 bis 1990) und die argentinische Militärdiktatur von 1976 bis 1983 mit ihren brutalen Verfolgungsmaßnahmen auch im Ausland Aufsehen und Unmut.
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Taten.56 Dies wurde vielfach damit begründet, dass Strafprozesse gegen die Täter des
„alten“ Regimes den Übergangsprozess von der Diktatur zur Demokratie hätten gefährden
können. Um zumindest das Schweigen über begangene Verbrechen zu durchbrechen,
wurden sogenannte „Wahrheitskommissionen“ eingesetzt.57 Die in diesen Kommissionen
gewonnenen Erkenntnisse waren frei zugänglich, und konnten später, als die Amnestien
aufgehoben wurden,58 auch als Beweismaterial in Strafverfahren (beispielsweise in
Argentinien) verwertet werden.59 Ähnlich bedeutend ist die mit den Transitional Justice-
Prozessen einhergehende Erinnerungskultur. Transitional Justice steht dabei für Versuche,
massive Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten aufzuarbeiten, um den Übergang zu
einer nachhaltig friedlichen, meist demokratischen Gesellschaftsordnung zu ermöglichen.
Diese Erinnerungskultur geht mit Gedenkstätten zumindest erinnerungspolitisch die
Aufarbeitung der Vergangenheit an und weist darauf hin, dass die eine fortgesetzte
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit notwendig bleibt.60
Fraglich bleibt, ob derartige Transitional Justice-Prozesse, einschließlich der
Wahrheitskommissionen, geeignet sind, die Probleme im Übergang zu friedlichen und
demokratischen Gesellschaften zu lösen. Zweifel ergeben sich aus den Erfahrungen der
Truth and Reconciliation Commission (TRC) in Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Dort
wurde die Wahrheitsfindung eng mit der Gewährung von Amnestien verknüpft, so dass im
Fall öffentlicher Schuldbekenntnisse selbst schwerste Straftaten straffrei blieben.61 Auch
wenn die TRC das enorme Ausmaß der Apartheidsverbrechen erst fassbar gemacht hat,
deuten neuere Studien darauf hin, dass dies bei zwei Dritteln der Bevölkerung im Nachhinein
als die Konfliktlinien verschärfend empfunden wurde.62 Die Straffreiheit und Veröffentlichung
des Ausmaßes der Verbrechen führten weiterhin dazu, dass die soziale Spaltung zwischen
den Ethnien in Südafrika perpetuiert wurde. Die Spaltung der Gesellschaft, die nicht
56
Vgl. Müller-Plantenberg, Urs: Abgang am Tag der Menschenrechte. In: Lateinamerikanachrichten. Ausgabe 391 vom Januar 2007. (http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/1013.html, 18.05.2011). 57
Beispielsweise wurde erst durch die Wahrheitskommission das Ausmaß der guatemaltekischen Verbrechen bekannt (200.000 Tote und 626 Massaker), was schockierend auf die Bevölkerung wirkte. Vgl. Buckley-Zistel, Susanne: Handreichung Transitional Justice. Berlin 2007. S. 4 f. 58
Zum Beispiel in Brasilien (vgl. Russau, Christian: Der Schatten der Operation Condor erreicht Brasilien. In: Lateinamerikanachrichten Nr. 405 vom März 2008 (http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/2715.html, 18.05.2011), Argentinien (Amnestie für Junta-Mitglieder gekippt. In: Süddeutsche Zeitung vom 14.07.2007 (http://www.sueddeutsche.de/politik/argentinien-amnestie-fuer-junta-mitglieder-gekippt-1.843858, 18.05.2011) und Chile (Chile kippt Diktatur-Amnestie. In: Die Tageszeitung (taz) vom 16.12.2006. (http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/12/16/a0118, 18.05.2011). 59
Vgl. Buckley-Zistel, Susanne: Transitional Justice als Weg zu Frieden und Sicherheit. Berlin 2008. S. 6 f. 60
Vgl. zu den lateinamerikanischen Entwicklungen Aguilar, Paloma: The Timing and the Scope of Reparation, Truth and Justice Measures. In: Ambos, Kai / Large, Judith / Wierda, Marieke (Hg.): Building a Future on Peace and Justice. Berlin 2009. S. 511 f., sowie S. 524. Als Beispiele wären u.a. der Parque de la Memoria am Rio de la Plata in Argentinien und das Museo de la Solidaridad Salvador Allende in Santiago de Chile zu nennen. 61
Vgl. Abrahamsen, Therese / van der Merwe, Hugo: Reconciliation through Amnesty? Ohne Ort (Johannesburg / Kapstadt) 2005 und Valji, Nahla: Truth and Reconciliation. In: http://www.csvr.org.za/index.php?option=com_content&view=article&id=2305:truth-and-reconciliation--lessons-from-the-south-african-context&catid=139:media-articles&Itemid=37 (18.05.2011). 62
Vgl. Buckley-Zistel, Susanne: Handreichung Transitional Justice. Berlin 2007. S. 5.
http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/1013.htmlhttp://www.csvr.org.za/index.php?option=com_content&view=article&id=2305:truth-and-reconciliation--lessons-from-the-south-african-context&catid=139:media-articles&Itemid=37http://www.csvr.org.za/index.php?option=com_content&view=article&id=2305:truth-and-reconciliation--lessons-from-the-south-african-context&catid=139:media-articles&Itemid=37
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Gegenstand des Transitional Justice-Konzepts war, stellt bis heute auf Grund ihrer
delegitimierenden Wirkung eine Bedrohung für die junge südafrikanische Demokratie dar.63
Nach dem Ende des Kalten Krieges
Die Desintegration des Ostblocks fand mit dem Ende des Kalten Kriegs 1989/90 und der
Geburt zahlreicher neuer Staaten ihren Schlusspunkt. Diese Entwicklung ging einher mit
dem immer lauter werdenden Ruf nach der strafrechtlichen Ahndung schwerer
völkerrechtlicher Verbrechen.
Die Ad hoc-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda
Denn die Auflösung oktroyierter Ordnungen führte nicht immer in eine friedliche Zukunft. So
löste der Jugoslawienkonflikt mit seinen schwerwiegenden Menschrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen ab Oktober 1991 auf UN-Ebene eine Dynamik aus, welche schließlich zur
Errichtung des International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) führte. Ab Juli
1992 bezog der Sicherheitsrat konkret Stellung und bestätigte die individuelle strafrechtliche
Verantwortlichkeit der Täter.64 Daraufhin erfolgte die Einsetzung einer Expertenkommission
unter der Leitung von Frits Kalshoven zur Untersuchung möglicher
Menschenrechtsverletzungen bzw. Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.65 Die
Kommission bestätigte den Verdacht schwerwiegender Verbrechen und empfahl die
Errichtung eines Ad hoc-Tribunals zur juristischen Aufarbeitung der begangenen
Verbrechen. Auf Grundlage des Berichts stellte der Sicherheitsrat am 22. Februar 1993 den
Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit fest und beschloss die Schaffung
eines internationalen Tribunals zur Verfolgung der begangenen Verbrechen unter der
vorbereitenden Ägide des Generalsekretärs.66 Nachdem das Generalsekretariat einen
Satzungsentwurf für ein Tribunal vorgelegt hatte, verabschiedete der Sicherheitsrat am 25.
Mai 1993 einstimmig die Resolution 827, welche den Gerichtshof unter Berufung auf Kapitel
VII der UN-Charta ins Leben rief und den Satzungsentwurf des Generalsekretariats
unverändert übernahm. Damit einher ging eine Rückbesinnung auf die Nürnberger
Prinzipien. So wurde in den Begründungen des Statuts ausdrücklich auf das IMT
verwiesen.67 Seit der Aufnahme seiner Tätigkeit am 15. November 1993 hat das Tribunal bis
Juni 2011 insgesamt 161 Personen angeklagt und bislang 126 Verfahren endgültig
63
Vgl. u.a. Hamber, Brandon / Maepa, Traggy / Mofokeng, Tlhoki / van der Merwe, Hugo / Centre for the Study of Violence and Reconciliation: Survivors‘ Perceptions of the Truth and Reconciliation Commission and Suggestions for the Final Report. In: www. http://www.csvr.org.za/wits/papers/papkhul.htm (14.09.2011), Madlingozi, Tshepo: Good Victims, bad victims. In: le Roux, Wessel / van Marle, Karin (Hg.): Law, memory and the legacy of apartheid. Pretoria (Pretoria University Law Press) 2007. S. 107-127 und Valji, Nahla: Gerichtsverfahren und Wahrheitskommissionen. In: Utz, Britta (Hg.): Handbuch der Menschenrechtsarbeit. Edition 2010 / 2011. CD-ROM. Berlin 2010. 64
Vgl. Resolution des Sicherheitsrates Nr. 764. 65
Vgl. Resolution des Sicherheitsrates Nr. 780. 66
Vgl. Resolution des Sicherheitsrates Nr. 808. 67
Vgl. Report of the Secretary-General Pursunant to paragraph 2 of the Security Council Resolution 808 (1993) vom 3. Mai 1993. Para. 42 und 47.
http://www.csvr.org.za/wits/papers/papkhul.htm
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abgeschlossen.68 Mit der Verhaftung von Goran Hadžić wurde am 22. Juli 2011 die letzte
flüchtige Person gefasst.
Ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit
erfolgte in Reaktion auf den Bürgerkrieg in Ruanda, dessen Brutalität und Geschwindigkeit
die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf das ostafrikanische Land zog.
Dem Völkermorde in Ruanda fielen 1994 innerhalb von drei Monaten etwa 800.000
Menschen zum Opfer.69 Nach überwiegender Tatenlosigkeit während des Konflikts reagierte
im Juli 1994 der Sicherheitsrat der UN mit der Einrichtung einer Expertenkommission,
welche die Vorgänge in Ruanda untersuchen sollte. Die zugrunde liegende Resolution 935
betonte wie bereits im Falle Jugoslawiens die individuelle Verantwortlichkeit der Täter für die
Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Wie bei ihrem Vorbild, der „Karlshoven-
Kommission“ in Jugoslawien, oblag es der Kommission in Ruanda, vor allem Beweise für die
Verletzungen des humanitären Völkerrechts und die Begehung von Völkermord zu sammeln.
Sie stellte sowohl Verbrechen gegen die Menschlichkeit als auch völkerrechtliche
Verbrechen fest und forderte den Sicherheitsrat auf, die Voraussetzungen für eine
strafrechtliche Verfolgung zu schaffen. Die Kommission sprach sich für ein Tribunal aus und
schlug vor, das Statut des ICTY mit leichten Modifikationen zu Grunde zu legen. Die
rechtliche Grundlage für die Errichtung des International Criminal Tribunal for Rwanda
(ICTR) legte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 995 vom 8. November 1994 mit der
erneuten Bezugnahme auf Kap. VII der UN-Charta. Entgegen den Kommissionsvorschlägen
entschied sich der Sicherheitsrat für ein eigenständiges Tribunal, das aufgrund von
Sicherheits- und Infrastrukturerwägungen im tansanischen Arusha seinen Sitz fand. Um den
von der Kommission angestrebten Synergien Rechnung zu tragen, sah das Statut die
Zusammenlegung einiger Organe von ICTY und ICTR, insbesondere der Berufungskammer,
in Den Haag vor. Mit der Ernennung der Richterkandidaten konnte das ICTR am 27. Juni
1995 seine Arbeit aufnehmen. Bis heute wurden 78 Verfahren vor dem ICTR durchgeführt,
von denen sich noch zwei im Vorverfahren und 16 im Hauptverfahren befinden. Von den
abgeschlossenen Verfahren wurden 51 mit Strafaussprüchen, acht durch Freisprüche und
zwei durch den Tod der Angeklagten beendet.70
Die konkrete Bilanz der beiden Ad hoc-Tribunale fällt trotz ihres unbestreitbaren Beitrags zur
Fortentwicklung des Völkerstrafrechts gemischt aus. Bereits im Abstimmungsprozess zur
Errichtung des ICTY zeigte sich eines der Kernprobleme der juristischen Aufarbeitung von
Makroverbrechen durch internationale Strafgerichte: die politische Dimension des
68
Vgl. http://www.ICTY.org/sections/TheCases/KeyFigures, Stand: August 2011. 69
Vgl. Jones, Bruce D.: Peacemaking in Rwanda. Boulder 2001. S. 17 f. und Organization of African Unity: The Report of the Panel of Eminent Personalities to Investigate the 1994 Genocide in Rwanda and the Surrounding Events. Addis Abeba 2000. Abschnitt 16.15. 70
Vgl. www.unictr.org, Stand Juni 2011.
http://www.icty.org/sections/TheCases/KeyFigureshttp://www.unictr.org/
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Vorhabens. Insbesondere die Entwicklungsländer kritisierten, dass der Sicherheitsrat mit der
Errichtung des Jugoslawienstrafgerichtshofs über seine eigentliche Kompetenz hinaus
gegangen sei.71 Darüber hinaus kämpfte der ICTR in den ersten Jahren mit bürokratischen
Hürden, chronischer Unterfinanzierung durch die Vereinten Nationen, einem Mangel an
qualifiziertem Personal und ernsthaftem Missmanagement.72 Problematisch gestaltete sich
für beide Spruchkörper auch die Kooperation mit den betroffenen Staaten. Obwohl der
Jugoslawienkrieg mit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 offiziell sein Ende fand, blieb die
Zusammenarbeit mit den jugoslawischen Nachfolgestaaten für das ICTY, mit Ausnahme
Bosnien-Herzegowinas, schwierig bis unmöglich.73 Auch das Verhältnis des ICTR zur
ruandischen Regierung, die notwendige Kooperation mit dem Tribunal immer wieder als
Druckmittel einsetzt, um Ermittlungen und ggf. Verurteilungen im eigenen Lager zu
verhindern, ist hoch problematisch.74 Diese praktischen Zwänge haben den Tribunalen auf
Seiten ihrer Gegner den Vorwurf der „Siegerjustiz“ bzw. der ethnischen und/oder politischen
Parteilichkeit eingebracht.75 Weiterhin erschwerte die inkonsistente Strategie der
Peacekeeping-Truppen im de facto auch nach 1995 nicht befriedeten ehemaligen
Jugoslawien die Arbeit des ICTY, da sie lange Zeit ihre Aufgabe nicht in der Unterstützung
des Tribunals sahen, mit der Folge, dass zahlreiche Fahndungserfolge erst nach
mehrjähriger Tätigkeit des ICTY eintraten.76
Auch aus der Arbeitsweise der Tribunale ergaben sich zahlreiche Kritikpunkte. So zogen und
ziehen sich die Verfahren vor beiden Tribunalen trotz aller Bemühungen oftmals derart in die
Länge, dass das Recht des Angeklagten auf ein zügiges Verfahren in Frage steht.77 Kritisch
bewertet wurde auch der Umgang sowohl des ICTY als auch des ICTR mit den Opfern. Hier
kam es nicht selten zu einer Nichteinhaltung grundlegender Standards und zur Verletzung
von Opferrechten.78 Schwierig erwies sich für das ICTR auch der Umgang mit
Freigesprochenen, da diese aus Angst vor Vergeltung oftmals nicht nach Ruanda
zurückkehren können, das Tribunal jedoch Drittstaaten nicht zur Aufnahme dieser Personen
verpflichten kann. Dies führt dazu, dass die Betroffenen weiterhin abgeschottet in
71
Vgl. Ratner, Steven R. / Abrams, Jason S. / Bischoff, James L.: Accountability for Human Rights Atrocities in International Law. 3. Aufl. Oxford 2009. (Im Folgenden: Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities). S. 214. 72
Vgl. Bericht des Generalsekretärs über die Aktivitäten des Office of Internal Oversight Services vom 06.02.1997 (UN GA-Res. A/51/789). 73
Vgl. Stroh, Dagmar Patricia: Die nationale Zusammenarbeit mit den Internationalen Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. Berlin 2002. S. 364. 74
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 228. 75
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 222 und 229. 76
Vgl. Safferling, Christoph / Melčić, Dunja: Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Rechtsgrundlage und Entwicklung. In: Melčić, Dunja (Hg.): Der Jugoslawien-Krieg. 2. Aufl. Wiesbaden 2007. S. 511. 77
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 252. 78
Vgl. Cryer, Robert / Friman, Hakan / Robinson, Darryl / Wilmshurst, Elizabeth: An Introduction to International Criminal Law and Procedure. Cambridge 2007. S. 141.
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geschützten Unterkünften des Tribunals leben müssen.79 Während die juristische
Begründungsleistung der Urteile und Entscheidungen des ICTR variiert, muss sich das ICTY
eine in der Gesamtschau nicht immer juristisch nachzuvollziehende Strafzumessungspraxis
vorwerfen lassen.80 Im Zuge der von den Vereinten Nationen vorgesehenen Beendigung
(sog. Completion Strategy) haben beide internationale Tribunale in den vergangenen Jahren
zunehmend Verfahren an nationale Gerichte abgegeben. Dies hat in beiden Fällen zu einer
deutlichen Entlastung der Gerichte geführt, aber gerade im Falle des ICTY haben die
nationalen Gerichte der Nachfolgestaaten mehrfach die Verfahrensrechte der Angeklagten
nicht gewahrt.81 Schließlich muss auch der Einfluss der Tribunale auf die betroffenen
Bevölkerungen und Gesellschaften kritisch hinterfragt werden. So führte die geografische
Entfernung der Tribunale (Den Haag/Niederlande bzw. Arusha/Tansania) auch dazu, dass
die betroffenen Gesellschaften sich nicht mit den internationalen Strafbemühungen
identifizierten. Die Arbeit der Tribunale konnte daher nur in bescheidenem Umfang zur
Versöhnung der Gesellschaften und der Verbesserung der nationalen Justizsysteme
beitragen. Auch ein Abschreckungseffekt auf potenzielle Täter kann nur sehr bedingt
festgestellt werden. Das Prinzip, nur einen geringen Prozentsatz der Täter anzuklagen, ist
dafür sicher eine der Ursachen. Schließlich müssen auch die Versuche zur Entkräftung des
Vorwurfs der Parteilichkeit oder der „Siegerjustiz“ als gescheitert betrachtet werden, da die
eingeleiteten Outreach-Programme zur Einbindung der Bevölkerung kaum greifbare Erfolge
erzielen konnten.82
Zusammenfassend lässt sich vor allem feststellen: Eine Neuauflage der Ad hoc-Tribunale
wird es kaum geben, denn nach fast 20-jähriger Tätigkeit dieser Gerichtshöfe hat sich eine
gewisse Müdigkeit eingeschlichen. Diese bezieht sich sowohl auf den politischen Willen, eine
unter UN-Mandat stehende Bürokratie vom Ausmaß des ICTY und des ICTR zu errichten,
als auch auf die damit einhergehenden finanziellen Verpflichtungen. Es ist zu bezweifeln,
dass die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen bereit sind, weiterhin so kostspielige und
langwierige Aufgaben mit ihren Pflichtbeiträgen zu finanzieren.
Gemischte und internationalisierte Gerichte: Der Sondergerichtshof für Sierra Leone
und die Außerordentlichen Kammern in den Gerichten von Kambodscha
Nach einem Jahrzehnt, in dem zehntausende Menschen ihr Leben verloren, ging 2000 einer
der grausamsten und blutigsten Bürgerkriege der jüngeren Vergangenheit zu Ende. Auch
wenn der Hauptschauplatz in Sierra Leone lag, war eine Reihe von Staaten wie Liberia, die
Elfenbeinküste und Guinea ebenfalls beteiligt. Kennzeichnend für diesen Konflikt waren vor
79
Vgl. Heller, Kevin Jon: What happens to the Aquitted? In: Leiden Journal of international Law (LJIL). Vol. 21 (2008). S. 664. 80
Vgl. Drumbl, Mark A.: Atrocity, Punishment and International Law. Cambridge 2007. S. 59 ff. 81
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 221. 82
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 223.
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allem der verbreitete Einsatz von Kindersoldaten, die besondere Grausamkeit gegenüber der
Zivilbevölkerung in der Form massenhafter Amputationen zur Bestrafung, und die
Anwendung anderer Mittel zur Terrorisierung der Menschen.83 Nach einer Phase der
Abkühlung des Konflikts und der Wiederherstellung eines brüchigen Friedens durch britische
Einsatzkräfte und Truppen der Vereinten Nationen von 2000 bis 2002 schlossen die
Vereinten Nationen und die Regierung Sierra Leones am 16. Januar 2002 einen
völkerrechtlichen Vertrag zur Errichtung eines gemischt international-nationalen Gerichts.84
Aufgabe dieses Gerichts sollte es sein, die Hauptverantwortlichen für die während des
Bürgerkriegs begangenen Verbrechen abzuurteilen. Der daraus erwachsene Special Court
for Sierra Leone (SCSL) mit Sitz im sierraleonischen Freetown hat nach seinem Statut
konkurrierende Zuständigkeit, wobei der SCSL bezüglich der Verfolgung der im Statut
aufgeführten Taten jedoch Vorrang vor den nationalen Gerichten genießt.85 Darüber hinaus
ist der SCSL spezifisch nicht als Bestandteil des sierraleonischen Justizsystems ausgeformt,
was sich auch in der internationalen Besetzung von Anklagebehörde und Richterkammern
niederschlägt. Nach den notwendigen innerstaatlichen Umsetzungsakten konnte der SCSL
bereits im Juli 2002 seine Arbeit aufnehmen. Bis zum heutigen Tage wurden 13 Personen
angeklagt, davon acht verurteilt, drei Personen sind im Laufe des Verfahrens verstorben und
eine Person gilt weiterhin als flüchtig.86
Eine vorläufige Bewertung der Arbeit des SCSL zeigt eine Reihe von Problemen, auch wenn
in diesem Fall innerhalb der Gemengelage von politischen und praktischen/juristischen
Faktoren der Schwerpunkt eher bei den praktischen Defiziten liegt. Wie bereits im Falle des
ICTY und des ICTR, bereitet auch dem SCSL die Umsetzung einer effizienten
Staatenkooperation erhebliche Schwierigkeiten.87 Da der SCSL als hybrides Gericht nicht auf
Grundlage einer Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII der UN-Charta geschaffen wurde
und sich auch keine entsprechenden Regelungen im Statut des SCSL finden,88 fehlt es an
einer rechtlichen Verpflichtung der anderen Staaten, mit dem SCSL zu kooperieren.89
Ebenfalls problematisch ist, dass der SCSL zwar Vorrang vor den nationalen Gerichten
Sierra Leones genießt, dies jedoch nicht auf die nationalen Gerichte der Nachbarstaaten
zutrifft. Dabei waren gerade auch die Nachbarstaaten Sierra Leones direkt und indirekt in
den Konflikt verwickelt, und sowohl die politischen als auch faktischen geografischen
83
Vgl. Akin, Wanda M.: Nuremberg, Justice and the Beast of Impunity. In: Reginbogin, Herbert R. / Safferling Christoph J.M. (Hg.): Die Nürnberger Prozesse. München 2006. S. 257. 84
Vgl. Bohlander, Michael / Winter, Renate: Internationalisierte Strafgerichte auf nationaler Ebene. In: Kirsch, Stefan (Hg.): Internationale Strafgerichtshöfe. Baden-Baden 2005. S. 271. 85
Art. 8 SCSL Statut. 86
Vgl. www.sc-sl.org, Stand Juni 2011. 87
Vgl. Cryer, Robert / Friman, Hakan / Robinson, Darryl / Wilmshurst, Elizabeth: An Introduction to International Criminal Law and Procedure. Cambridge 2007. S. 198. 88
Es findet sich weder eine positiv formulierte Verpflichtung, noch eine Vorschrift zu Konsequenzen von Nichtkooperation. 89
Auch aus dem Völkergewohnheitsrecht ist bislang keine derartige Verpflichtung erwachsen Vgl. Seibert-Fohr, Anja: Prosecuting Serious Human Rights Violations. Oxford 2009. S. 257 ff.
http://www.sc-sl.org/
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Grenzen verlaufen fließend. Die Flucht in ein Nachbarland liegt daher für die Täter nahe.90
Weiterhin stellen sich in einem strukturschwachen Land wie Sierra Leone zahlreiche
praktische Probleme für die Arbeit des Gerichts, aber auch der Verteidigung. Bereits das
Fehlen rudimentärer und vor allem fortgesetzter Verwaltungsstrukturen wie beispielsweise
das Führen eines Geburtenregisters zieht gravierende Folgen nach sich. Art. 7 des SCSL
Statuts sieht eine Strafmündigkeit erst ab einem Alter von 15 Jahren zur Zeit der
Tatbegehung und für das Alter von 15 bis 18 Jahren einen erzieherischen Ansatz für die
Strafzumessung vor. Fällt der Täter also in eine der beiden Altersgruppen ist das für ihn
vorteilhaft. Aufgrund des häufig deutlich jünger erscheinenden Aussehens und der Tatsache,
dass viele Personen selbst ihr Alter nur ungefähr oder gar nicht kennen, gibt es keinen
Schutz vor Missbrauch der Altersregelungen. Zugleich erschwert dies aber auch die
Verteidigung91 und wirkt sich damit negativ auf die Gewährleistung der Angeklagtenrechte
aus. Schwierig in Bezug auf die Stellung des Angeklagten ist das Fehlen von Regelungen
zur Prozesskostenhilfe, welche eine angemessene Verteidigung der häufig wenig begüterten
Angeklagten sicherstellen könnte.92
Auch die Zuständigkeit des Gerichts beginnt sich als zunehmend problematisch zu erweisen.
Dies ist auf die Verfolgung der Hauptverantwortlichen des Bürgerkriegs beschränkt, und die
mittleren und niedrigen Kommandoränge sind der nationalen Strafverfolgung unterworfen.
Die Zahlen für die Täter der mittleren und niedrigen Stufe gehen in die Tausende.93 Trotzdem
stehen der Strafverfolgung auf nationaler Ebene gewichtige Hindernisse entgegen. Zunächst
sieht der Friedensvertrags von Lomé von 1999 für alle Konfliktparteien eine Generalamnestie
vor, die zwar nicht den SCSL, jedoch die nationalen Gerichte bindet.94 Hinzu kommt, dass,
obwohl wichtige Justizreformen angestoßen sind wurden, das sierraleonische Justizsystem
selbst in grundlegenden Bereichen erhebliche rechtsstaatliche Defizite aufweist.95 Und
schließlich steht auch das Strafrecht Sierra Leones noch immer nicht im Einklang mit den
internationalen Menschenrechtsgarantien.96
Anders stellte sich die Ausgangssituation in Kambodscha dar. Im Gegensatz zu Sierra Leone
dauerte es in dem südasiatischen Land fast drei Jahrzehnte, bis die juristische Aufarbeitung
90
Vgl. Staggs, Michael: Second Interim Report on the Special Court for Sierra Leone. Berkeley 2006. S. 23. 91
Beispielhaft dazu: Akin, Wanda M.: Nuremberg, Justice and the Beast of Impunity. In: Reginbogin, Herbert R. / Safferling Christoph J.M. (Hg.): Die Nürnberger Prozesse. München 2006. S. 262 f. 92
Vgl. Cassese, Antonio: Role of Internationalized Courts and Tribunals in the Fights Against Criminality. In: Romano, Cesare P.R. / Nollkaemper, André / Kleffner, Jann K. (Hg.): Internationalized Criminal Courts and Tribunals. Oxford 2004. S. 10. 93
Vgl. Statistical Appendix to the Report of the Truth and Reconciliation Commission of Sierra Leone. A Report by the Benetech Human Rights Data Analysis Group to the Truth and Reconciliation Commission. Appendix 1 to the Report of the Truth and Reconciliation Commission of Sierra Leone. Palo Alto 2004. S. 15. 94
Art. IX Lomé Peace Accord. 95
Vgl. Human Rights Commission of Sierra Leone: The State of Human Rights in Sierra Leone 2009. Ohne Ort, ohne Jahr (Freetown 2010) und US Department of State: 2010 Human Rights Report Sierra Leone. Ohne Ort (Washington), ohne Jahr. S. 8. 96
Vgl. Human Rights Watch: Bringing Justice: the Special Court for Sierra Leone. New York 2004. S. 38
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der Taten der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 eine solche Dringlichkeit erreicht hatte,
dass sich der Staat zum Handeln entschloss. Die Herrschaft der Roten Khmer unter Pol Pot
hatte 1,7 Millionen Kambodschaner durch Tötung, Folter, Zwangsarbeit und Hunger das
Leben gekostet. Doch erst 1997 wandte sich das Land an die Vereinten Nationen mit der
Bitte um Unterstützung bei der juristischen Aufarbeitung der verübten Verbrechen. Im
Frühjahr 1998 entsandte der Generalsekretär eine Expertenkommission nach Kambodscha,
welche die Möglichkeiten zur Umsetzung des Vorhabens überprüfen sollte. Nach fast
einjähriger Tätigkeit gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass eine nationale Lösung
auszuschließen sei, da die unzureichenden Bedingungen des kambodschanischen
Justizsystems keine fairen Verfahren garantieren könnten. Ebenfalls untauglich sei die
Verfolgung einer hybriden Lösung, da die daraus resultierende Abhängigkeit von der
Kooperationsbereitschaft Kambodschas das gesamte Unternehmen gefährden würde.
Stattdessen empfahl die Kommission die Errichtung eines neuen Ad hoc-Tribunals unter der
Ägide der Vereinten Nationen.97 Die kambodschanische Regierung bestand jedoch auf einer
nationalen Lösung, so dass die Verhandlungen mit den Vereinten Nationen 2002 vorerst
abbrachen. Dennoch forderte die Generalversammlung der Vereinten Nationen noch im
selben Jahr den Generalsekretär auf, unter der Prämisse einer nationalen Lösung die
Verhandlungen wieder aufzunehmen. Diese Verhandlungen endeten schließlich am 13. Mai
2003 mit der Annahme eines Vertrags zwischen den Vereinten Nationen und Kambodscha
durch die UN-Generalversammlung und der Ratifizierung des Vertrags durch das
kambodschanische Parlament im Oktober 2004. Die in diesem Vertrag begründeten
Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC) sind Teil des nationalen
Justizsystems, was sich nicht nur in der Anwendbarkeit nationalen Rechts, sondern auch in
der Dominanz kambodschanischer Richter und Anklagevertreter zeigt. Aufgenommen haben
die ECCC ihre Tätigkeit im Juli 2007 mit der Einleitung der ersten Verfahren gegen frühere
Führungspersonen der Roten Khmer. Bislang wurden fünf Personen angeklagt und eine
Person in erster Instanz verurteilt.98
Obwohl für die Defizite der ECCC auch praktische und juristische Faktoren verantwortlich
sind, steht hier doch die politische Dimension als negativer Impulsgeber eindeutig im
Vordergrund. Bereits grundlegende Entscheidungen wie der Aufbau und die Organisation
der Kammern oder die personelle Reichweite der Strafverfolgung (nur die
hauptverantwortlichen Khmer Rouge–Führer) zeugen von dem Ausmaß des (partei-
)politischen Einflusses auf die Tätigkeit der ECCC. Sowohl die Verfahrens-, als auch die
Berufungskammern, besetzt mit je drei kambodschanischen und zwei internationalen bzw.
97
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 350 f. 98
Vgl. www.eccc.goc.kh. Stand Juni 2011.
http://www.eccc.goc.kh/
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vier kambodschanischen und drei internationalen Richtern,99 sind national dominiert. Kommt
die notwendige qualifizierte Mehrheit von vier bzw. fünf Stimmen für eine Entscheidung nicht
zustande, besteht die Gefahr des Verfahrensstillstands. Aufgrund der stark nationalen
Prägung des kambodschanischen Strafrechts werden die Ermittlungen von zwei
Ermittlungsrichtern, einem kambodschanischen und einem internationalen Richter,
gemeinsam geführt. Im Falle der Uneinigkeit der Ermittlungsrichter ist die Frage der
Vorverfahrenskammer vorzulegen, welche ebenfalls mehrheitlich mit kambodschanischen
Richtern besetzt ist.100 Der identische Mechanismus greift für das Amt des Anklagevertreters,
für das ebenfalls je ein Kambodschaner und ein Ausländer als Co-Prosecutor ernannt
werden.101
Anlass zur Hinterfragung bietet auch die Ernennungskompetenz für die Richter und
Anklagevertreter. Sämtliche Richter und Anklagevertreter werden vom Cambodian Supreme
Council of Magistracy ernannt, wobei ausländische Richter und Anklagevertreter einer Liste
des UN-Generalsekretariats zu entnehmen sind.102 Sowohl der organisatorische Aufbau als
auch der Ernennungsmechanismus sind anfällig für politische Einflussnahme, sei es im
Hinblick auf die Eröffnung von Ermittlungsmaßnahmen oder auf die Besetzung der Posten
der kambodschanischen Richter und Anklagevertreter. Beide Faktoren stellen nicht nur die
Effektivität der Kammern, sondern auch die richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
in Frage.
Auch die Begrenzung der Verfolgung auf die höchsten Führungskader der Roten Khmer ist
politisch einzuordnen. Die offizielle Parteilinie der Regierungspartei in Kambodscha basiert
nicht unwesentlich auf der Behauptung, dass aktuelle Funktionsträger nicht in die
Verbrechen der Roten Khmer verwickelt gewesen seien.103 Vor dem Hintergrund dieser
Prämisse ist das Interesse der kambodschanischen Regierung an einer umfassenden und
objektiven Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer zumindest fraglich.
Weiterhin verzeichnen auch die ECCC Schwierigkeiten beim Aufbau einer effektiven
Kooperation mit anderen Staaten. Zum einen hat Kambodscha mit vielen Staaten keine
Auslieferungsabkommen getroffen, zum anderen kann es auch nicht auf eine freiwillige
Kooperation bauen, da seine Nachbarländer entweder in den 1970er Jahren die Roten
Khmer unterstützten oder bis heute von den in einigen Grenzgebieten noch immer starken
Roten Khmer abhängig sind.104 Unter den aufgezeigten Voraussetzungen stellt sich die
99
Vgl. Art. 4 UN-Cambodia Agreement. 100
Vgl. Art. 5 UN-Cambodia Agreement. 101
Vgl. Art. 6 UN-Cambodia Agreement. 102
Vgl. Art. 3 Abs. 5, Art. 5 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 5 UN-Cambodia Agreement. 103
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 342 f. und 360. 104
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 359 f.
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Frage, ob die Sonderkammern in Kambodscha dem Anspruch einer effektiven und fairen
Verfolgung von Makroverbrechen gerecht werden können.
Beiden Gerichten, dem Sondergerichtshof für Sierra Leone und den Außerordentlichen
Kammern in den Gerichten Kambodschas, ist überdies ein gewichtiges strukturelles Problem
gemein. Beide sind aufgrund einer chronischen Unterfinanzierung und ihrer Abhängigkeit
von freiwilligen Spenden durch Geberländer im Laufe ihrer Tätigkeit an den Rand der
Funktionsunfähigkeit gelangt. Auch wenn dieses Szenario in beiden Fällen abgewendet
werden konnte, bleibt dies ein grundsätzliches Problem, welches alle internationalen und
internationalisierten Gerichte betrifft. Dabei ist zu beobachten, dass sich das finanzielle
Problem mit Zunahme der Integration in nationale Justizsysteme und mit der „Entfernung“
von den Vereinten Nationen deutlich verschärft.
Die Sonderkammern zur Verfolgung schwerster Verbrechen in Ost-Timor/ Iraqi High
Tribunal
Nach der Durchführung eines Referendums, bei dem 80 Prozent der Bevölkerung für die
Unabhängigkeit gestimmt hatten, eskalierte die angespannte politische Lage in Ost-Timor im
August 1999. Ab diesem Zeitpunkt errichteten pro-indonesische Milizen mit Unterstützung
des indonesischen Militärs eine Gewaltherrschaft. Obwohl die Notwendigkeit der juristischen
Aufarbeitung der begangenen Menschenrechtsverletzungen offensichtlich war und eine
Expertenkommission den Vereinten Nationen ausdrücklich die Schaffung eines weiteren Ad
hoc-Tribunals empfahl, fand sich dafür keine Mehrheit im Sicherheitsrat.105 Stattdessen
installierte die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNTAET) 2002
Sonderkammern zur Verfolgung schwerster Verbrechen (Special Panels for Serious Crimes)
innerhalb des timoresischen Justizsystems.106 Bis zum Ende seiner Tätigkeit am 20. Mai
2005 wurden 391 Personen angeklagt und davon 84 verurteilt.
Im Irak war die jahrzehntelange Herrschaft Saddam Husseins von der Unterdrückung der
Bevölkerung, massenhaften Menschenrechtsverletzungen und den Kriegen gegen Iran und
Kuwait geprägt. Im Zuge seiner Entmachtung durch die westlichen Koalitionstruppen wurde
durch die irakische Übergangsregierung (Iraqi Interim Governing Council) am 10. Dezember
2003 das Irakische Sondertribunal (Iraqi Special Tribunal (IST)) errichtet. Dieses Gericht
sollte als Sondergericht Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen aburteilen. Ermächtigt wurde die irakische Übergangsregierung dazu
weder von den Vereinten Nationen noch durch einen völkerrechtlichen Vertrag. Vielmehr
wurde es durch das Ausführungsorgan der Besatzungsmächte, die Coalition Provisional
105
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 248 f. 106
United Nations Transitional Administration in East Timor, the Special Representative of the Secretary-General: Regulation No. 2000/15 on the Establishment of Panels with Exclusive Jurisdiction over serious Criminal Offences (UNTAET/REG/2000/15) vom 06.06.2000.
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Authority (CPA), die die Übergangsregierung auch ernannt hatte, dazu ermächtigt. Das
Statut des IST war mit vielfältiger internationaler Unterstützung zustande gekommen. Erste
Kritik an der Legitimation des Gerichts wurden nach der Integration des dann folgend als
Iraqi High Tribunal (IHT) bezeichneten Spruchkörpers in das nationale Justizsystem durch
das irakische Übergangsparlament 2005 laut.107 Das IHT ist primär vor den nationalen
Strafgerichten für die genannten Verbrechen zuständig, soweit diese von irakischen
Staatsangehörigen zwischen dem 16. Juli 1968 und dem 1. Mai 2003 begangen worden
sind. Seine Arbeit hat es mit dem Verfahren gegen Saddam Hussein im Jahre 2005
aufgenommen. Bislang wurden circa 90 Verfahren eingeleitet, von denen 59 mit
Strafaussprüchen und 20 mit Freisprüchen endeten.108
Die Sonderkammern zur Verfolgung schwerster Verbrechen in Ost-Timor sind ein
klassisches Beispiel für das Aufeinandertreffen von politischen und juristischen Defiziten. So
war die Unterstützung, gerade auch finanzieller Art, sowohl von Seiten der Vereinten
Nationen als auch der timoresischen Regierung, ausgesprochen gering. Hinzu kam, dass die
Kammern, welche stets mit zwei internationalen und einem timoresischen Richter besetzt
waren, fachlich nicht ausreichend kompetent waren. Dies führte zu einer Vielzahl juristisch
zweifelhafter Urteile, welche bis 2003 mangels eines Berufungsgerichts nicht angegriffen
werden konnten. Doch auch nach der Arbeitsaufnahme durch das Berufungsgericht im Jahre
2003 konnte keine signifikante Qualitätsverbesserung erreicht werden. Auch in der
Folgeinstanz offenbarten viele Urteile grobe juristische Fehler,109 welche durch den Konflikt
zwischen der nationalen Rechtslage und den anerkannten Standards des Völkerstrafrechts,
die auf die angeklagten Verbrechen anzuwenden waren, zustande kamen.110 Problematisch
muss ebenfalls die Rolle Indonesiens111 bei der Zusammenarbeit mit den Sonderkammern
gesehen werden. So befanden und befinden sich von den 391 Angeklagten über 300
Personen auf indonesischem Hoheitsgebiet, ohne eine Auslieferung fürchten zu müssen.
Daher konnten bis zur Einstellung der Tätigkeit lediglich 84 Fälle, meist aus den niederen
Rängen der Milizen, verhandelt werden; die 84 Angeklagten wurden alle verurteilt.112
Der Fall des Iraqi High Tribunal zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten der Strafverfolgung in
instabilen politischen Situationen und bei nicht beendeten Konflikten. Aufgrund der
107
Vgl. Cryer, Robert / Friman, Hakan / Robinson, Darryl / Wilmshurst, Elizabeth: An Introduction to International Criminal Law and Procedure. Cambridge 2007. S. 194. 108
Vgl. US Department of State: Human Rights Report 2009: Iraq. Ohne Ort (Washington) 2009 und US Department of State: Human Rights Report 2010: Iraq. Ohne Ort (Washington) 2010. S. 17 und 18. 109
So z. B. wurde Anklage aufgrund von Taten erhoben, welche als Straftatbestände nicht existierten. 110
Vgl. Cassese, Antonio: Role of Internationalized Courts and Tribunals in the Fights Against Criminality. In: Romano, Cesare P.R. / Nollkaemper, André / Kleffner, Jann K. (Hg.): Internationalized Criminal Courts and Tribunals. Oxford 2004. S. 8. 111
Vgl, Cassese, Antonio: Role of Internationalized Courts and Tribunals in the Fights Against Criminality. In: Romano, Cesare P.R. / Nollkaemper, André / Kleffner, Jann K. (Hg.): Internationalized Criminal Courts and Tribunals. Oxford 2004. S. 9. 112
Vgl. Ratner, Abrams, Bischoff, Accountability for Human Rights Atrocities in International Law, S. 249.
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unsicheren Lage, angesichts einer rein national besetzten Kammer und fehlender
rechtsstaatlicher Strukturen konnte das Tribunal weder die gerichtliche Unabhängigkeit noch
ein faires Verfahren garantieren.113 Darüber hinaus führte die Aufnahme der Todesstrafe in
den Strafenkatalog zur Aufkündigung oder Weigerung der Zusammenarbeit mit
internationalen Menschenrechtsgruppen und -experten außerhalb der USA.114 Der folglich
fehlende Zustrom an internationaler Expertise und die mangelnde Erfahrung mit den hoch
komplexen Fragen des Völkerstrafrechts und humanitären Völkerrechts, trugen zu einer
weiteren Verschärfung der Lage bei.115
Paradigmenwechsel zur Jahrtausendwende: der Internationale Strafgerichtshof
und künftige Herausforderungen für die Staatengemeinschaft
Der Internationale Strafgerichtshof
Der Wunsch nach einem internationalen Strafgericht lässt sich bis ins 19. Jahrhundert
zurückverfolgen.116 Bis zu einem ersten ernsthaften Versuch, eine solche Institution auf der
Basis eines völkerrechtlichen Vertrages zu errichten, sollte es aber noch bis zum Ende der
1930er Jahre dauern. Doch auch 1937, nachdem auf Initiative des Völkerbundes die
Konvention zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshof fertiggestellt war, wurde
diese lediglich von einem Staat ratifiziert und trat daher nie in Kraft.117 Die Bemühungen
erlebten erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Tribunalen von Nürnberg und
Tokio eine Renaissance. Auf Initiative der Vereinten Nationen sollte mit der 1948
verabschiedeten Völkermordmordkonvention ein internationales Gericht begründet werden.
Das Generalsekretariat legte schon 1947 zwei Entwürfe vor, welche die Errichtung eines
internationalen Strafgerichts für die Zukunft in Aussicht stellten. Darüber hinaus beauftragte
die Generalversammlung die International Law Commission (ILC) mit der Prüfung der
Möglichkeiten zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs, dessen sachliche
Zuständigkeit Völkermord umfassen sollte. Zwar gelangten die Arbeiten der ILC 1950 bis in
das Stadium eines Statutenentwurfs für ein solches Gericht, jedoch begannen sich die
politischen Fronten des Kalten Krieges bereits zu verhärten und ein geschlossenes
Vorgehen der internationalen Gemeinschaft war nicht länger möglich. Dies führte zu einem
fast 40 Jahre dauernden Stillstand der Entwicklung und erst 1989 stieß Trinidad und Tobago
die Diskussion um ein internationales Strafgericht erneut an. Auch wenn die Intention des
Inselstaates sich primär auf die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels richtete, war
113
Vgl. Kelly, The Ghosts of Halabja, S. 61ff., 105 ff.;Malekian, Emasculating the Philosophy of International Criminal Justice in The Iraqi Special Tribunal, 38 Cornell International Law Jounal (2005), S. 720f. 114
Vgl. Parker, Tom: Prosecuting Saddam. In: Cornell International Law Journal. Vol. 38 (2005). S. 908. 115
Vgl. Cryer, Robert / Friman, Hakan / Robinson, Darryl / Wilmshurst, Elizabeth: An Introduction to International Criminal Law and Procedure. Cambridge 2007. S. 194. 116
Vgl. Moreno-Ocampo, Luis: The Tenth Anniversary of the ICC and Challenges of the Future: Implementing the Law. Rede vom 08.10.2008 in London. S. 3, abrufbar unter http://www.iccnow.org/documents/20081007LuisMorenoOcampo.pdf (27.06.2011). 117
Vgl. Ratner et al.: Accountability for Human Rights Atrocities. S. 230.
http://www.iccnow.org/documents/20081007LuisMorenoOcampo.pdf
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die Initiative Anstoß, um die Frage eines permanenten internationalen Strafgerichtshof
erneut in den Fokus der Vereinten Nationen zu rücken. Nahm man sich des Themas
zunächst eher zögerlich an, brachte die Eskalation des Konfliktes im ehemaligen
Jugoslawien ab 1991 die notwendige Dynamik und zugleich eine Fokussierung auf die dort
begangen Verbrechen. Bereits 1994 legte die ILC einen ersten Entwurf für ein Statut eines
internationalen Strafgerichtshofs vor, welcher weitreichende sachliche Zuständigkeiten118
erhalten sollte. Obwohl diese Entwicklungen in eine Zeit fielen, die ganz im Zeichen der
Stärkung des Menschenrechtsschutzes und der Euphorie über das Ende des Kalten Krieges
stand, stieß der Entwurf der ILC doch auf so viel Skepsis, dass sich die UN-
Generalversammlung zu einer Überprüfung und Weiterentwicklung des Textes genötigt sah.
In einem zu diesem Zweck gegründeten Arbeitsausschuss bildete sich schließlich eine
Staatengruppe heraus, die das gemeinsame Ziel der Errichtung eines internationalen
Strafgerichtshofs verband und die auch die notwendige politische Durchsetzungsfähigkeit
besaß, dieses Ansinnen in die Tat umzusetzen. Diese Gruppe vereinbarte daher 1998 eine
Zusammenkunft in Rom, auf Basis der Vorarbeiten der ILC einen internationalen
Strafgerichtshof zu schaffen. Die fünfwöchigen Verhandlungen in Rom waren von einer
Vielzahl ganz unterschiedlicher politischer und juristischer Probleme gekennzeichnet, waren
zugleich aber geprägt von der Anwesenheit vieler zivilgesellschaftlicher Akteure sowie
einiger noch lebender ehemaligen „Nürnberger“ Ankläger. Doch schließlich gelang es den
Verhandlungsparteien, einen Statutentext fertigzustellen. Dieser wurde auf der
Schlussversammlung angenommen und würde nach der Ratifizierung und dem Beitritt von
60 Staaten in Kraft treten. Diese Hürde wurde überraschend schnell genommen, so dass d