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TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Pat zelt Vorlesung Das politische System der Bundesrepublik Deutschland Teil III: Die intermediären Institutionedn

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Vorlesung. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland Teil III: Die intermediären Institutionedn. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland: ‚Wanderkarte‘ entlang GG. Länder und Bund Bundesinstitutionen Bundesrat Bundestag Bundesregierung Bundespräsident - PowerPoint PPT Presentation

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Vorlesung

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland

Teil III: Die intermediären Institutionedn

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Länder und Bund Bundesinstitutionen

Bundesrat Bundestag Bundesregierung Bundespräsident Rechtswesen und Bundesverfassungsgericht

Kommunen intermediäres System

Interessengruppen Parteien Medien

Deutschlands Einordnung in supranationale Regierungsstrukturen

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland: ‚Wanderkarte‘ entlang GG

Ein wie gut oder wie schlecht konstruiertes politisches System ist das nun?

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Massenmedien

Art. 5(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort,

Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

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weitere rechtliche Bestimmungen zu den Medien

Auskunftspflicht der Behörden gegenüber publizistischen Organen

Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten, die ihre Informanten auch vor Gericht nicht nennen müssen

Unzulässigkeit wirtschaftlicher Boykottmaßnahmen gegen Presseunternehmen gilt nur oberhalb der Schwelle politischer Boykottaufrufe, die nicht

von wirtschaftlichen oder gewalttätigen Pressionen begleitet sind) Binnenpluralität (‚inhaltliche Ausgewogenheit‘) im Rundfunk:

Herkunft: Rundfunkurteile des BVerfG von 1961 und 1971 zu den – früher monopolartigen – öffentlich-rechtlichen Medien

Folge: Parteien- und Gruppenproporz in den Rundfunkgremien; parteipolitisches ‚Austarieren‘ journalistischer Spitzenpositionen

seit BVerfG-Urteil von 1981 auch für private Sender verlangt: Progammangebot entsprechend der bestehenden Meinungsvielfalt, Mindestmaß inhaltlicher Ausgewogenheit verlangt

allerdings mit reduzierten Pluralitätsforderungen im Vergleich zu den für die ‚Grundversorgung‘ zuständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten

‚Außenpluralismus‘ bei den Printmedien

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(politische) Funktionen von Massenmedien

Information über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur

Hilfestellung für persönliche Meinungs- und Urteilsbildung

Kontrolle politischer Akteure

Unterhaltung (‚Infotainment‘)

Über die Wirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt erfährt

man etwas nur über die Medien oder vom Hörensagen !

zentrale politische Rolle gerade

in einer Demokratie !

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politisch folgenreichste Medien

für jedermann: Hörfunknachrichten

(Reichweite: 73% der Deutschen) Fernsehnachrichten

(Reichweite: 62% der Deutschen) Lokalzeitung / sonstige

Tageszeitung(Reichweite: 54% der Deutschen)

zusätzlich für politisch Aktiveund für politische Meinungsführer: politische Qualitätspresse (FAZ, SZ, FR, WELT, ZEIT ...) politische Wochenmagazine (SPIEGEL, FOCUS, STERN) politische Fernsehmagazine

Weiterwirkung des Informations-

verhaltens und der Informations-

quellen von Meinungsführern im

zweistufigen politischen

Kommunikationsprozeß

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Mediennutzung der Bürger

hochgradig selektiv: meist nur eine einzige Zeitung

(in der Regel: die Lokalzeitung) hauptsächliche allgemeine politische Information

aus Hörfunk- und Fernsehnachrichten

überwiegend so, daß vor allem der eigenen Meinung Entsprechendes zur Kenntnis und ernstgenommen wird

akzeptiert und behalten werden eher Bilder als Argumente und Fakten (‚Traue nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast!‘)

reale Pluralität der Medien kommt

beim Großteil der Bürger nicht an

Darstellungsdifferenziertheit der

Qualitätsmedien kommt beim Großteil der

Bürger nicht an

deren Konstruktionsmerkmale prägen das Bild von der Politik – und die eigene Reaktion darauf !

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medienspezifische Darstellungszwänge

Platzmangel in Printmedien, Zeitmangel in Fernsehen und Hörfunk Komplexes wird fragmentarisch dargestellt und bleibt darum

in seiner Gesamtstruktur unverstanden Trivialisierung des verläßlich Mitgeteilten und Verstandenen

unterschiedliche Darstellungschancen selbst gleichermaßen des Berichtenswerten gute Chancen: Skandalisierbares, Dramatisierbares,

Personalisierbares, Visualisierbares schlechte Chancen: Strukturelles, langfristig Wirkendes,

nur anhand systematisch-abstrakter Begriffe angemessen Beschreibbares; darunter auch: Sachpolitik

Sonderproblem dessen im Fernsehen: Bild/Ton-Schere adressatenorientierte Darstellungsgrenzen bei nötiger

Zielgruppenbindung

reale Wichtigkeit

der Kenntnisnahme

meist genau anders herum!

Massenmedien ‚desinformieren‘ auch

ohne Absicht und aus guten Gründen!

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Gefahr: Entkoppelungvon Medienwirklichkeitund Operationswirklichkeit

Selbstbezüglichkeit von Massenmedien

Bevölkerung sieht die (politische) Welt durch die

(politische) Brille der Meinungsführer unter den Journalisten

Politiker richten sich genau darauf ein:

‚aufschaukelnde‘ Rückkopplung

nur wenige Medien unterhalten ausgedehnte Korrespondentennetze, was sie überwiegend abhängig macht von einer recht kleinen Gruppe von Nachrichtenagenturen und Bilder- bzw. Filmdiensten

Journalisten sind oft nicht weniger unsicher als ihr Publikum in ihren Prioritätensetzungen und Bewertungen, was dazu führt, daß sie sich überaus stark orientieren ... an der ‚herrschenden Meinung‘ unter Journalisten an (nationalen) Leitmedien (etwa: SPIEGEL, BILD).

wirtschaftlicher Wettbewerb der Medien führt dazu, daß sich immer wieder die meisten Redaktionen und Journalisten denselben Themen widmen, um nicht der Konkurrenz ein wirkungsvolles Thema zu überlassen (‚Rudeljournalismus‘)

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typische Verzerrungsquellen der Medienwirklichkeit

Thema verschwindet – Problem bleibt

Problem gelöst – niemand erfährt‘s

Thema wird aufgedrängt –

zu Lasten eines anderen ThemasThema wird entwunden -

wem zum Vorteil?

ungleiche Ausgangslage im

Kampf um die diskursive

Hegemonie bei den

Meinungsführern

Risse zwischen öffentlicher

und privater KommunikationNötig:‚Dekodierungskompetenz‘(durch Medienpädagogik)

Nachrichtenwerte Vorrang des Außer-

gewöhnlichen Negativismus Neophilie

Eigendynamik von Themenkarrieren Agenda setting und Agenda cutting

(verschärft durch anwaltschaftlichen Journalismus) Linksverschiebung des politischen

Einstellungsspektrums vonJournalisten im Vergleich mit demBevölkerungsdurchschnitt

medienspezifischeDarstellungszwänge

ins

Negative und sich rasch Wandelnde verze

rrtes

Bild der Operationswirklichkeit

folgenreich für die Wahrnehmungvon Politik und die Reaktion auf sie !

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Negativismus: Bewertung von Regierungsmitgliedern

MedienTenor 122 / 2002, S. 14

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Negativismus:Bewertung von Parteien 2002/I

MedienTenor 122 / 2002, S. 40f

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Negativismus: Bewertung der wirtschaftlichen Lage 1995-1997

MedienTenor 70 / 1998, S. 13

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Negativismus:Medien im Vergleich

MedienTenor 104 / 2001, S. 23

‚Jedermanns-Medien‘

‚Eliten-Medien‘

Frage: Wenn sich Entscheidungsträger und Elitenangehörige über Deutschland und seine Lage weniger erregen als das ‚gesunde Volksempfinden‘ – worauf mag das unter anderem rückführbar sein?

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‚Linksverschiebung‘ der deutschen Journalisten

Quelle: ** Internationale Journalistenumfrage 1991* Allensbacher Archiv, IfD Untersuchung 5076 1993

* Einstufung gemessen auf einer 100er - Skala: 0: links; 50: mitte; 100: rechts** Einstufung gemessen auf einer 7er Skala: 1: links; 4: Mitte; 7: rechts

1

21,1

37,3

24,7

11,7

3,90,30,6 1,3

4,4

10,7

16,1

33,5

13

8,76,5

2,2 1

1 2 3 4 5 6 70

10

20

30

40

50Prozent

Bevölkerung*

Journalisten**

0* 50* 100*25* 75*

SELFDTL.PRS

Vergleich: Bevölkerung und Journalisten in Deutschland

Selbsteinschätzung im politische Links - Rechts - Spektrum mittlere

‚Linksverschiebung ‘ der Massenmedien

völlig einflußlos auf die politischen Ansichten und auf die politische Selbstverortung der Deutschen?

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Parteipräferenzen der deutschen Journalisten

Es ist unwahrscheinlich, daß dies bei gemäß ihren

Überzeugungen berichtenden und kommentierenden

Journalisten ganz ohne Folgen bleibt!

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Nah- und Fernbild I: innerhalb und außerhalb der Lebenswelt

zur persönlichen wirtschaftlichen Lage

zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage

allgemeine wirt

schaftliche Lage =

Summe der persönlichen

wirtschaftli

chen Lagen !!

Wie erklärt sich der Widerspruch?

Lebenswelt = Information aus eigener ErfahrungOperationswirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt = Information aus MassenmedienMassenmedien: geprägt durch ‚Negativismus‘

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Nah- und Fernbild II: innerhalb und außerhalb der Lebenswelt

zur persönlichen wirtschaftlichen Lage

zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage

allgemeine wirtschaftlic

he Lage =

Summe der persönlichen

wirtschaftlic

hen Lagen !!

Wie erklärt sich der Widerspruch?

Lebenswelt = Information aus eigener ErfahrungOperationswirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt = Information aus MassenmedienMassenmedien: geprägt durch ‚Negativismus‘

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Worin besteht die politische Macht von Massenmedien?

sind (Mit-) Konstrukteure von politischer Wahrnehmungs- und Redewirklichkeit

formen öffentliche Meinung – und zwarweitgehend ‚hinter dem Rücken‘ der Öffentlichkeit Mediennutzung, Medienkompetenz

ändern ‚normale‘ politische Prozesse allein schondurch ihre Existenz

durch ‚Medialisierung‘ (auch: ‚Mediatisierung‘) derPolitik entsteht Pseudo-Politik graduelle Abkoppelung des wechselbezüglichen

Medien- und Politiksystem von realen Problemlagen

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Effekte der Formung öffentlicher Meinung durch Massenmedien

Prägung der Wahrnehmung dessen,was ein Problem ist (‚Themenkarriere‘)was wie zu bewerten wärewas andere denken (‚sozialoptische Täuschungen‘)

wirklichkeitskonstruktiver Anschlußmechanismus: Schweigespirale / Redespirale

Negativismus bei der Wahrnehmung von Wirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt (= negativeres Fernbild, positiveres Nahbild)

d.h.: von jenem Teil Operationswirklichkeit, für dessen Ausgestaltung die Verantwortung nicht bei einem selbst, sondern bei ‚den Politikern‘ liegt!

Folgen: Politik- und

Politikerverdrossenheit, abnehmendes

Systemvertrauen, Entlegitimierung

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Medialisierung / Mediatisierung

= politische Klasse paßt sich den neuen Rahmenbedingungen an, welche das Mediensystems setzt, zumal in demokratischen Systemen -

Differenzierung nach Arbeits-, Durchsetzungs- und Darstellungskommunikation

Selektion von Personen und Positionen nach Gesichtspunkten massenmedialer Vermittelbarkeit (‚Ersetzung von Demokratie durch Demoskopie‘)

Politiker/Journalisten-Symbiosen Erscheinungsform abhängig vom (zu erwartenden)

Rangplatz in der Kommunikationshierarchie

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Pseudo-Politik

geplantes Kommunikationsmanagement und bewußte, nicht selten überlegt gestylte Kommunikationsdramaturgie (‚spin doctoring‘) von vorbereitenden Hintergrundgesprächen über ein

vereinbartes Timing von Artikeln und Interviews bis hin zur ‚Lichtregie‘ auf Parteitagen

Schaffung von Pseudoereignissen von ‚Sommerreisen‘ über als wichtig avisierte

Pressekonferenzen bis hin zu Gipfeltreffen als Medienspektakeln

Inszenierung symbolischer Politik Ersetzung (nicht nur Begleitung) instrumentell wirksamen

Handelns durch kommunikativ beeindruckendes HandelnSo entsteht: ‚Mediokratie‘

idealerweise bewerkstelligt ...- auf demoskopischer Grundlage- durch ‚bestellte‘ journalistische Begleitung

Folge: Zeit und Kraft werden vom Umgang

mit Realproblemen abgezogen!

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Medienmacht als Faktum Medienmacht ist – wie wirtschaftliche Macht – zwar große, doch

keine demokratisch legitimierte Macht. ‚Macht ohne entziehbares Mandat‘ – ganz im Unterschied zur

politischen Macht! Im freiheitlichen Staat ...

verbieten sich ... Zensur zensurähnliche Journalistenkontrolle

gibt es keine massenwirksam kontrollierende Gegengewalt, weil die zu kontrollierenden Journalisten doch selbst den Zugang zur ihnen Macht spendenden Öffentlichkeit kontrollieren

funktionales Äquivalent zur fehlenden ‚Kontrolle der Kontrolleure‘: ‚Geschäfte auf Gegenseitigkeit‘ zwischen Politik und Journalismus:

gute Behandlung gegen gute Information wirtschaftliche und administrative Einflußnahme von (gewählten!)

Politikern auf Medienunternehmen

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Medienmacht als Problem Medienmacht verzerrt den politischen

Willensbildungsprozeß... durch die Eigentümlichkeiten der Konstruktion von

Medienwirklichkeit durch eher anwaltschaftlichen als moderierenden Journalismus

Dennoch gibt es keine ... mit Pluralismus und Freiheit vereinbaren institutionellen

Mechanismen zur Korrektur jener Verzerrungen sinnvolle Alternative zu jener Rolle, die Massenmedien derzeit

spielen. einzige ‚Aushilfen‘:

politische Bildung der Bürgerschaft mit Medienkompetenz als Ziel Pflege eines journalistischen Professionsethos, welches die

behandelten Probleme ernstnimmt und gering hält

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Struktur des deutschen Mediensystems

Vielfalt privatrechtlich verfaßter Druckerzeugnisse (Tageszeitungen, Wochenschriften usw.) dabei: Zielkreis ist meist die gesamte Bürgerschaft, nicht ein

einziges politisches Lager kleinere Gruppen der …

öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten privaten Rundfunkanstalten

aus historischen Gründen

im Besitz umfangreicher

Beteiligungen: SPD

Entstehungsgrund: früher knappe Frequenzen und hohe Investitionen ließen es geboten erscheinen, den Rundfunk weder allein in die Hand von finanzkräftigen Privaten in die des Staates gelangen zu lassen Folgen:

Vertreter von Parteien, kommunalen Spitzenverbänden, von gesellschaftlichen Organisationen und aus dem Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturbereich in den Aufsichtsgremien; politische Ausbalancierung journalistischer Spitzenpositionen

Konkurrenz und ‚Ausbalancierung‘

der öffentlich-rechtlichen Anstalten

Binnenpluralism

us

Außenpluralismus

aktuelle Zahlen in Rudzio, S. 394

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Struktur derdeutschen Presse

überregionale Tageszeitungen mit akzentuierter politischer Linie und anspruchsvollem Niveau (Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt …)

regionale Tageszeitungen mit hoher Auflage und landespolitischem Gewicht; meist politische Mitte oder flaches politisches Profil

lokale Tageszeitungen; zentral für Abgeordnete und Kommunalpolitik

Boulevardblätter mit magerem Informationsgehalt und großer Wirkung (v.a.: BILD)

politische Wochenschriften mit akzentuierter politischer Tendenz (SPIEGEL / Focus, ZEIT / Rheinischer Merkur)

Illustrierte mit speziellen Zielgruppen; darunter politisch relevant: STERN (linksorientiert)‚Flaggschiffe‘, an denen

sich Journalisten orientieren Tagesschau und Tagesthemen

heute und heute-Journal

erhebliche Konzentrationsprozesse,

politisch problematisch v.a. im Bereich

der Lokalpresse (‚Ein-Zeitungs-Kreise‘)

aktuelle Zahlen in Rudzio, S. 388f

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InteressengruppenArt. 9(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und

Gesellschaften zu bilden.(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den

Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

Verbot ausgesprochen von ... Landesinnenminister, wenn Tätigkeit der Vereinigung in nur einem Bundesland Bundesinnenminister, wenn Tätigkeit der Vereinigung in mehreren Bundesländern Mitglieder der verbotenen Vereinigung können sich gerichtlich wehren!

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Arten deutscher Interessengruppen

Unternehmen und Selbständige freie Branchenverbände (BDI, Bauernverband, Zentralverband des Deutschen

Handwerks …): Einfluß auf wirtschafts-, steuer- und sozialpolitische Entscheidungen Arbeitgeberverbände: Interessenvertretung gegenüber den Gewerkschaften öffentlich-rechtliche Kammern (Anwaltskammer, Handwerkskammer …):

Zugehörigkeit kraft Gesetz gesetzlich vorgegebene Aufgaben: Stellungnahmen und Informationen zur Lage ihrer

Wirtschaftszweige bzw. Berufsgruppen, Kontrolle der Berufsausbildung, Abnahme berufsqualifizierender Prüfungen usw.

abhängig Beschäftigte Gewerkschaften im DGB Beamtenbund, DAG, Flugleiterverband usw.

Verbraucherverbände schwach entwickelt, z.B. Verbraucherzentralen

Verbände im sozialen Bereich etwa Rotes Kreuz, Caritas, Haus- und Grundbesitzerverbände, Bund der

Steuerzahler, Arbeitslostenverband, Anonyme Alkoholiker … Freizeitvereinigungen, etwa ADAC (vor allem Binnenorientierung) ideelle Vereinigungen, darunter Kirchen Umweltschutzverbände

aktuelle Zahlen: Rudzio, S. 59ff

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Organisatorische Merkmale von (deutschen) Interessengruppen

häufig territoriale Gliederung (z.B. Kreis-, Landes-, Bundes-, übernationale Gliedverbände)

Mitglieder in der Regel interessiert an ... Mitmachen auf niedriger Organisationsebene (Sportverein,

Feuerwehr, Kulturverein ...) Dienstleistungen der Verbandsführung oder des professionellen

Verbandsapparats Aus genau diesem Grund: verbandspolitische Initiative und

Gestaltungsaktivität in der Regel von oben nach unten (‚ehernes Gesetz der Oligarchie‘): Weichenstellungen für Entscheidungen in kleineren und oft

mitgliederfernen Gremien (Präsidien, Vorstände, Ausschüsse) Eigengewicht der Verbandsbürokratie (Geschäftsführungen,

hauptberufliche Funktionäre) Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Regel nach

informellem Proporzprinzip ( Vetomöglichkeiten), nicht nach offenem Mehrheitsentscheid

‚Vollversammlungen‘ von Mitgliedern funktionieren

nicht; ‚Delegierte‘ sind meist Funktionäre

‚Apathie‘

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Interessengruppen in Deutschland

eingetragene Vereine: ca. 200.000 Berufsverbände: rund 6800 echte Interessenverbände

(ohne Freizeitvereine): ca. 3500-4000

überaus wichtige Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation unterschiedlichste Organisationsgrade Anlaufstellen (vor-) politischer Beteiligung ‚vorpolitischer‘ Raum: zentrales ‚Wurzelwerk‘, das die politischen Organisationen und Institutionen im engeren Sinn (Parteien, Parlamente) mit der deutschen Gesellschaft verbindet

politische Wichtigkeit laut Lobbyliste des Bundestages:

unter den dort eingetragenen Interessengruppen vertreten …

64,5% wirtschaftliche I.

16,2% soziale I.

11,4% kulturelle I.

3,1% ökologische I.

2,9% politische I.

2% Freizeitinteressen

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Organisationsgrad = Anteil der Mitglieder von Interessenorganisationen an der Zahl derjenigen, die vertreten werden sollen

Bauern-, Ärzte- und Handwerkerorganisationen: über 90% Unternehmensverbände der Industrie: 70-85% Arbeitnehmerorganisationen: knapp 40%, mit drastisch mit

abnehmender Tendenz bei Gewerkschaften (derzeit an die 18%) am stärksten: Beamte, Großbetriebe in der Industrie am schwächsten: Angestellte

nicht wenige Interessen werden ohnehin ‚advokatorisch‘ vertreten, nämlich von Personen, die vom entsprechenden Problem gar nicht selbst betroffen sind: etwa Sozialhilfeempfänger, vielfach auch Arbeitslose

Ursachen geringer Organisationsgrade: unterschiedliche Organisierbarkeit: Verhältnis von nötigen

Anstrengungen, aufbringbarem Sozialkapital und Honorierung von Engagement

‚Trittbrettfahrer-Effekt‘: Nutzen wird auch ohne Einsatz realisiert

Organisationsgradedeutsche Interessengruppen

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Strategien des Verbandseinflusses

Einwirken auf die Öffentlichkeitnormale Öffentlichkeitsarbeitsymbolische und spektakuläre AktionenHandlungsdruck entfaltende Aktionen:

Demonstrationen, Streiks, ‚ziviler Ungehorsam‘Vernetzung mit politischen Entscheidungsträgern

Allianzen von InteressengruppenVernetzungen und Beziehungspflege in Parteien,

Parlamenten, Regierungen und deren Verwaltungen ‚Neokorporatismus‘ (Runde Tische, ‚Bündnis für ...‘,

‚Konzertierte Aktion‘, Tripartismus usw.)

wichtig: Organisationsfähigkeit

Konfliktfähigkeit

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Öffentlichkeitsarbeit von Verbänden

Wege: Kontaktpflege zu Journalisten (Presseerklärungen,

Einladungen zu Veranstaltungen …) eigene Publikationen aller Art Demonstrationen Einflußnahme in den Aufsichtsgremien öffentlich-

rechtlicher Rundfunkanstalten typische Argumentationsfigur:

‚Die Verbandsinteressen dienen dem Gemeinwohl; sie zu erfüllen, entspricht allgemein akzeptierten Werten!‘

Folge: Duktus von Heuchelei und rhetorischem Kitsch

zentral: langfristig

angelegte Meinungspflege!

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Verbände und Parteien

wechselseitige Nähe von einzelnen Verbänden und Parteien aufgrund gemeinsamer Geschichte oder gemeinsamen Überzeugungen:SPD und Gewerkschaften, Union/FDP und

Unternehmensverbände, GRÜNE und BUNDSpezialverhältnis Gewerkschaften-SPD:

Rekrutierungsbasis ‚Hand- und Spanndienste‘ im Wahlkampf

versuchte Einflußnahme auf Wahlverhalten ‚Wahlprüfsteine‘ der GewerkschaftenWahlhirtenbriefe der katholischen Bischöfe

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Verbände und Parlamente

beim Bundestag rund 1700 Verbände mit Tausenden(1990er: rund 9000) von Vertretern registriert, teils hauptamtlich oder als Selbständiger, teils im

Nebenerwerb oder als Angestellter einer ‚Lobby-Firma‘was Anspruch auf Anhörung durch Organe des Bundestages und der Bundesregierung begründet

weniger wichtig: Verbandsmitgliedschaften von Abgeordneten

viel wichtiger: dauerhafter Kontakt zwischen den Verbandsvertretern und den Fachpolitikern der Fraktionen (Arbeitskreise, Sprecher für Politikbereiche, Obleute in Ausschüssen) Zweck: informiert sein & (zielgerichtet) Informationen geben dabei: mitunter einander neutralisierende ‚cross pressures‘ auf

Fraktionen und einzelne Abgeordnete wichtig für Urteil: ‚Lobbyismus‘ ist nicht illegitim, sondern die Nutzung des ganz

selbstverständlichen Rechts, seine Interessen im Kontakt mit Politikern zu voranzubringen!

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traditionelles ‚Verbandsherzogtum‘

‚Fleischtöpfe des Sozialstaats‘

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Verbände und Regierungen zentraler Einflußadressat der Verbände: Ministerien

1985/86 gingen von 232 BDI-Eingaben 67% an die Bundesregierung, knapp 16% an den Bundestag, 8% an EG-Kommission

Ziele: Kontakt halten: informiert sein & (zielgerichtet) Informationen geben Einflußnahme auf Gesetzentwürfe möglichst schon im ‚Referentenstadium‘

Wege: Beiräte der Ministerien (Expertengremien, dicht besetzt mit Vertretern von

Verbänden) leichter Zugang der wichtigsten Verbände zu Regierungschefs und Ministern

(Gewerkschaften, BDI …); (neo-)korporatistische Politikmuster persönliche Vernetzungen zwischen Ministerialbürokratie und

(nahestehenden) Verbänden mißlich für Parlament:

wird zwischen (federführendem) Ministerium und Verbänden ein Gesetzentwurf schon ‚verbandsfest‘ gemacht, dann sind das schwer zu ignorierende Vorentscheidungen für die parlamentarische Phase des Gesetzgebungsverfahrens

Reaktion von Parlamenten: Versuch einer Verdichtung der Kommunikation mit (relevanten) Verbänden

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(Neo-) Korporatismus

Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und gesellschaftlichen Verbänden dergestalt, daß … Produzenten-/Arbeitgeberinteressen in starken

Dachverbänden organisiert sind, Gewerkschaften eine politische Schlüsselstellung besitzen, diese Verbände intern hierarchisch strukturiert sind und –

innerhalb ihrer funktional differenzierten Zuständigkeit – ein faktisches Repräsentationsmonopol haben,

Parteiensystem und – so ausgestaltetes – Verbändesystem eng miteinander vernetzt sind,

die Beziehungen zwischen Verbänden und Regierung(en) institutionalisiert sind (z.B. ‚konzertierte Aktion‘, ‚Bündnis für …),

die Regierung eine Art Gewährsträgerschaft für die ausgehandelten Ergebnisse übernimmt.

kennzeichnend für Deutschland!

d.h.: Bürger werden in ihrer Eigenschaft als Träger spezifischer Interessen kontinuierlich und wirksam, wenn auch in funktionaler Engführung, gegenüber Parlament und Regierung vertreten

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Außenfunktionen von Interessengruppen

Entdecken und Bewußtmachen von Mitgliederinteressen Widerspiegelung gesellschaftlicher Interessenheterogenität

Interessenselektion Setzung von Prioritäten für den politischen Streit

Interessenaggregation Bündelung von Interessen zu plausiblen

Handlungsprogrammen und entscheidbaren Alternativen Interessenartikulation

Gang an die Öffentlichkeit, Herantreten an Entscheidungsträger

Ringen um die Durchsetzung von Interessen Herbeiführen und Durchstehen von Konflikten

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Nutzen von Interessengruppen für ein pluralistisches politisches System

Einbringen von Initiative, Sachverstand und Kontrolle in den politischen Prozeß

Erzwingen von Responsivität des politischen Systems, mit verbesserter gesellschaftlicher Integration als Folge

Beitrag zur Problemerkennungs- und Steuerungskapazität des politischen Systems durch … gesellschaftliche Problemdiagnose und Ausarbeitung politischer

Therapievorschläge Mitwirkung an Rechtsetzung, Rechtsanwendung und Rechtsauslegung

Akzeptanzsicherung und Legitimitätssteigerung des politischen Systems durch ... Wirken als ‚Frühwarnsystem‘ Einbindung in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und

somit in die Führungsverantwortung (‚delegierte Führungsleistungen‘)Steigerung der Lernfähigkeit und Lernleistung des Systemsaber nur, wenn die jeweils machtvollsten Interessengruppen selbst lernfähig sind!

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Verbände als‚mitregierende Korporationen‘

Verbandsbeteiligung an … Rechtsetzung: Beiräte der Ministerien,

Verwaltungsräte von Behörden … Ausführung von Gesetzen: TÜV bei Überwachung

technischer Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände in der Sozialhilfe … freie Wohlfahrtsverbände unterhalten – mit öffentlichen

Zuschüssen – die Mehrheit der Kindergärten, Jugend- und Erziehungsheime, zahlreiche Krankenhäuser; insgesamt rund 93.000 Sozialeinrichtungen mit rund 1,1 Millionen Beschäftigten

Auslegung von Recht: Benennung der Beisitzer in Arbeits- und Sozialgerichten durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften

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Rechtsgrundlagen der deutschen Parteien und deren Regelungsbereiche

Grundgesetz

Parteiengesetz

BVerfG-Entscheidungen

Wahlgesetze

= Partei (anders als eine sonstige Vereinigung) darf nur vom BVerfG, also einem unabhängigen Gericht, und nicht von einem Innenminister, also von der – von einer konkurrierenden Partei geführten – Exekutive verboten werden

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Parteien

Art. 21(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung

des Volkes mit.Ihre Gründung ist frei.Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen.Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft ablegen.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(3) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

Parteiengesetz erst 1967 beschlossen

zuvor: wichtige Urteile des BVerfG,

v.a. zur Parteienfinanzierung

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Aufgaben der Parteien(laut Parteiengesetz)

als die demokratisch AM BESTEN von allen legitimierte Institutionen!

• faktisches Monopol: ohne

Aufstellung durch eine Partei

so gut wie keine Chance auf

ein Wahlamt oberhalb der

kommunalen Ebene!

• Parteien = ‚Selektorat‘,

Volk = ‚Elektorat‘

in Konkurrenz mit Interessengruppen, Medien, Unternehmen, angesehenen Einzelnen

Führungsfunktion

angehalten zur Erfüllung der Responsivitätsfunktion

Beteiligung an Wahlen durchKandidatenaufstellung Personalmarktsfunktion: Rekrutierung,

Kandidatenpräsentation Formulierung politischer Ziele in Gestalt von

Programmen Einfluß auf die öffentliche Meinung

und die politische Willensbildung Einflußnahme auf die Politik in

Parlament und Regierung

Vernetzungsfunktion

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Wahlrecht für Bundestagswahlen (Wahlgesetz, ursprünglich von 1956)

‚personalisiertes Verhältniswahlrecht‘ mit zwei Stimmen pro Wähler: 299 Bundeswahlkreise

je ein ‚Direktabgeordneter‘ Gewinn des Mandats nach relativem Mehrheitswahlrecht (‚Erststimme‘)

299 Abgeordnete ziehen über die Landeslisten der Parteien in den Bundestag ein (‚Listenmandate‘, vergeben durch ‚Zweitstimme‘)

Sitzverteilung im Bundestag insgesamt (Listenmandate plus Direktmandate) bestimmt sich proportional zum Zweitstimmenanteil (Hare-Niemeyer-Verfahren)

eine Partei, die weniger als 5% der gültigen Stimmen erhält, kann keine Abgeordneten in den Bundestag entsenden (‚Sperrklausel‘)

erhält eine Partei mindestens drei Direktmandate, so gilt für sie jene Sperrklausel nicht

wer ein Direktmandat erhält, zieht auf jeden Fall in den Bundestag ein erhält eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach dem Hare-Niemeyer-

Verfahren zustehen, so behält sie diese ‚überzähligen‘ Direktmandate (‚Überhangmandate‘)

theoretische Chance für Einzelbürger, als erfolgreiche Direktkandidaten in den Bundestag einzuziehen

in den meisten Bundes-ländern: grob analog !

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Folgen für Abgeordnete

Nur ‚große‘ Parteien haben Chancen auf Direktmandate. Wer ein Direktmandat hat und Chancen hat, renominiert und

wiedergewählt zu werden, ist von der Basis seiner Wahlkreispartei und vor allem von der Wählerschaft im Wahlkreis abhängig. nötig: Absicherung ‚nach außen‘ (= Wählerschaft)

und gegenüber der regionalen Parteibasis Wer ein Listenmandat hat und keine Chancen besitzt, ein

Direktmandat zu erringen, ist von den landesweiten Nominierungsgremien seiner Partei abhängig, insbesondere davon, einen guten Listenplatz zu erhalten, und ferner vom Abschneiden seiner Partei insgesamt. nötig: Absicherung ‚nach innen‘ (d.h.: gegenüber der Gesamtpartei)

Die meisten ‚Listenabgeordneten‘ sind unterlegene Direktkandidaten. bei CDU/CSU und SPD, in den neuen Bundesländern auch bei der PDS,

verhalten sich Listenabgeordnete bezüglich ihrer Wahlkreisbetreuung wie Direktabgeordnete

Rechtlich gibt es keinerlei Unterschiede zwischen Direkt- und Listenabgeordneten.

Wiederwahlmechanismus !

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Die Bindeglied- bzw. Netzwerkfunktion von Parteien

vertikale Vernetzung in / über ... Sozialmilieus, in denen die Parteien (noch) wurzeln vorpolitischen Raum der Bürgerinitiativen, Vereine und Verbände Gliederungsebenen der Parteien:

Ort – Kreis/Unterbezirk – Land – Bund – Europa horizontale Vernetzung mit / von ...

(auf der jeweiligen Ebene) Lebenswelten der Bürger Kommunen Interessengruppen Medien Verwaltungsbehörden anderen Parteien Parlamenten Regierungen

Nicht jede Partei muß alles leisten –

doch alle zusammen sollten das

schaffen!

Ohne diese Leistungen fehlt es einem

komplexeren politischen System an den

Voraussetzungen für effiziente, responsive

politische Führung!

Mittel: Mehrfachmitgliedschaft von Parteiführern in

unterschiedlichsten Gremien, v.a.: Verbindung von

Parteiamt und Parlamentsmandat!

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Personalmarktsfunktion von Parteien

Parteien sind in einem modernen politischen System die zentralen Institution der ... Rekrutierung Ausbildung Vermittlung

politischen Führungspersonals zu jenen Stellen,die einer Partei – aufgrund ihres Wahlergebnisses – zur Machtausübung auf Zeit zufallen.

Parteien sind also Karrierevehikel für Personen, die sich dauerhaft politisch betätigen wollen.

Es hängt von der Struktur des Gesamtsystems ab, in welchem Grad diese ‚Personalmarktsfunktion‘ von Parteien zu übernehmen ist.

in Deutschland: zentral !

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Kandidatenpräsentationsfunktionvon Parteien

Parteien wirken als Selektorat für Personen, die sich mit Aussicht auf Erfolg dem Elektorat stellen wollen Wer politische Macht ausüben will, muß zunächst einmal

Gleichgesinnte hinter sich bringen!(Parteien = erste ‚Filterstelle‘ für politisches Personal)

Parteien präsentieren den Wählern Kandidaten, für die sie selbst eine Art ‚Qualitätskontrolle‘ garantieren und sozusagen die ‚Produkthaftung‘ übernehmen Parteien werden zu Recht nach jenen (Spitzen-) Kandidaten beurteilt,

über welche sie jene Inhalte ‚personalisieren‘, für die sie stehen Parteien übertragen ihr eigenes Ansehen als ‚eingeführte Marken‘

auf ihre Kandidaten Wer gewählt ist, verdankt das in der Regel eher dem Ansehen seiner

Partei als seiner Person – weswegen er sein Amt meist verlieren wird, sobald sich seine Partei nicht länger mit ihm identifiziert:funktionslogische Grenze des ‚freien Mandats‘!

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Die Führungsfunktion von Parteien

Zielfindungsfunktion: zu lösende Probleme erkennen lohnenswerte Ziele vorschlagen

Programmentwicklungsfunktion: Interessen und Problemlösungsmöglichkeiten so bündeln, daß –

durch Versuch und Irrtum a posteriori zu erkennen – auf das Gemeinwohl ausgerichtete und zugleich die Wiederwahl der Partei sichernde Politik entstehen kann

Programmdurchführungsfunktion: Umsetzung des Programms in konkrete Entscheidungen nach

Maßgabe der Mehrheitsverhältnisse Lernen aus der Praxis samt nötiger Programmveränderung

Erklärungs- und Werbungsfunktion (‚explaining policy‘): Erläuterung der ergriffenen Maßnahmen gegenüber Bürgern Auseinandersetzung mit Kritik

Maßstäbe für Parteienkritik !

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(klientelspezifische) Aufnahme von Problemen, Sorgen, Wünschen Anregungen aus der Gesellschaft Im Unterschied zu Interessengruppen müssen Parteien die

Interessen verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen bündeln, wenn sie mehrheitsfähig werden oder bleiben wollen!

Einbringung all dessen in den Prozeß der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung durch ... Programmbildung der Parteien Verschränkung der innerparteilichen Willensbildung mit der

innerstaatlichen Willensbildung in Parlament und Regierung Erfüllung der Netzwerkfunktion erzeugt Responsivitätsketten

Funktionale Äquivalente zur staatlichen Responsivitätssicherung durch politische Parteien: ‚aufgeklärte Obrigkeit‘ Revolten, Revolutionen

Die Responsivitätsfunktionvon Parteien

wenig wünschenswert,

da viel höhere Transaktionskosten!

= Verbindung von Parteiamt

und Parlamentsmandat

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Mittel der Responsivitätssicherung

bezüglich Parteien und Parteiführern: periodische freie Wahlen in Verbindung mit dem ‚Wiederwahlmechanismus‘ öffentliche Meinung und Demoskopie

bezüglich politischem System insgesamt: staatliche Ämter erreicht man nur getragen von einer bei den Wahlen

erfolgreichen Partei ( Verbindung von Parteiamt und öffentlichem Amt). aufgrund der Verbindung von staatlichem Amt und Parteiführungsfunktion

rechnen die Bürger (Fehl-)Leistungen des politischen Systems stark jenen Parteiführern und deren Parteien zu, die jeweils wichtige Ämter innehaben.

Wessen Politik zu Wahlniederlagen führt, verliert nicht nur sein öffentliches Amt, sondern wird meist auch als Parteiführer abgelöst.

Darum haben Parteiführer große Anreize, die Parteipolitik so auszugestalten, daß die parteipolitisch geprägte Staatspolitik im großen und ganzen für jene Wählergruppen akzeptabel ist, von denen die machtpolitische Stellung der Partei abhängt.

Immer wieder persönliches und institutionelles Lernen nötig / aufgezwungen!

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Entstehung und Endeeiner Partei

Entstehung: durch Anmeldung zu einer Landtags-, Bundestags- oder

Europawahl beim zuständigen Wahlleiter, i.d.R. dem Präsidenten des Landes- oder Bundesamtes für Statistik

vorzulegen: Parteiprogramm; Kandidatenliste; eidesstattliche Erklärung, daß die Kandidaten in geheimen Abstimmungen bei Delegierten- oder Mitgliederversammlung aufgestellt wurden; eine (geringe) Mindestanzahl von Unterschriften, die diesen Wahlvorschlag unterstützen

Ende: Parteiengesetz: „Eine Vereinigung verliert ihre

Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Vorschlägen teilgenommen hat“.

Verbot durch BVerfG

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schematischer Aufbau einer deutschen Partei

machtpolitische Basis der Partei i.d.R. geführt von Abgeordneten

wichtig für Kommunalpolitik und Verankerung im vorpolitischen Raum

Tätigkeitsbereich der (vollberuflichen) Spitzenpolitiker auf Landes- und Bundesebene

zentrale Sorgen: attraktiv für Wähler und aktive Mitglieder sein Geschlossenheit bewahren regierungsfähig sein

ferner: Jugend-, Senioren-

und Fachvereinigungen,

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eher:

• in Normalzeiten ‚lose verkoppelte Anarchien‘

mit mehr oder minder heftigen Richtungskämpfen

• zeitweise: dominante Parteiführer

Ergebnis: ‚ehernes Gesetz der (informellen) Oligarchie?‘

Innerparteiliche Demokratie ?

Partizipations- und Interessemängel der meisten Parteimitglieder (nur 20-25% aktiv, Rest ‚Karteileichen‘, wobei nur jeder zweite Beitretende überhaupt die Absicht hat, persönlich aktiv zu werden)

viel Partizipationspotential gebunden durch kommunalpolitische Tätigkeit Parteiarbeit ab Kreis- oder Unterbezirksebene: faktische Vollzeitaufgabe

von Berufspolitikern Abgeordnete, hauptamtliche Parteiangestellte, hauptamtliche

Verbandsfunktionäre gute Parteiführung = antizipatives Eingehen auf Meinungen und Wünsche

der Parteibasis Wer ist ‚Basis‘? Wähler, Karteileichen, Aktivisten, Hauptamtliche … ?

Wissens- und Vernetzungsvorsprünge der Aktiven, was nur fallweises Engagement wenig wirkungsvoll macht

Kommunikationshierarchien: Spitzenpolitiker beherrschen über die Massenmedien die innerparteiliche Diskussion

Ventil: Mitgliederbefragungen, ‚Abstrafungen‘ auf Mitgliederversammlungen und Parteitagen – sowie deren Vorauswirkung

Bevölkerung wünscht: Geschlossenheit !

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Parteienfinanzierung 1949-1958: wenig regulierte Verfahren

ab 1952 sammeln Fördergesellschaften Spenden aus Wirtschaft und Gesellschaft, um sie nach wenig transparenten Schlüsseln auf die Parteien zu verteilen

besonderer Anreiz ab 1954: unbegrenzte steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden 1958 erklärt BVerfG unbegrenzte steuerliche Abzugsfähigkeit für verfassungswidrig;

Folge: unregulierte staatliche Finanzierung der Parteien 1967-1983:

BVerfG erklärt 1966 globale Staatsfinanzierung der Parteien für verfassungswidrig und führt die Rechtsfiktion der ‚Wahlkampfkostenerstattung‘ ein, 1968 mit Absenkung des dafür zu erringenden Mindestanteils der gültigen Stimmen (0,5%)

Finanzbedarf der Parteien steigt weiter; Ausweg: Spenden werden über gemeinnützige Organisationen, Berufsverbände, Parteistiftungen steuerlich abzugsfähig gemacht und über diese ‚Geldwaschanlagen‘ an die Parteien weiter geleitet

1983-1993: komplexe Neuordnung mit Wahlkampfkostenpauschale, Sockel- und Chancenausgleichsbeiträgen, Ausweitung der Steuerfreiheit von Spenden und Mitgliedsbeiträgen und erhöhten Publizitäts- und Rechenschaftspflichten

1993: nach Klage der GRÜNEN erklärt BVerfG so gut wie alle Regelungen für verfassungswidrig und bestimmt: absolute Obergrenze für staatliche Zuwendungen an Parteien: 0 Mio DM, nur der

Preisentwicklung angepaßt Senkung von Grenzen für Anzeigepflicht und steuerliche Begünstigung Bindung der staatlichen Zuwendungen sowohl an Wählerzahl als auch an Spenden-

und Beitragseinnahmen (an Stelle der früheren Wahlkampfkostenerstattung)

ein objektiv schwieriges Labyrinth mit pfiffigen Parteischatzmeisternund einem wankelmütigen BVerfG als Pfadfindern

Zweck: Parteien sollen auch finanziell in der Gesellschaft verankert sein

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Die Einnahmen der Parteien

Mitgliedsbeiträge

Spenden

staatliche Mittel

ferner indirekt:

Fraktionsfinanzierung Abgeordnetenfinanzierung Parteistiftungen

Adenauer Stiftung: 98,3 Mio € Naumann-Stiftung: 35,1 Mio €

GRÜNE

9,5

4,3

8,3

Union

65,9

35,4

49,2

PDS

9,0

3,5

7,1

FDP

5,6

8,5

7,4

SPD

77,6

12,6

47,8

- Wessen politische Schlagkraft beeinträchtigt eine Rechtslage, die vor Parteispenden abschreckt, am klarsten?- Sind diese Beeinträchtigungen ‚politisch ausgewogen‘?

- Kann es einen Zusammenhang zwischen Vorschlägen zur Regelung von Parteispenden und den Konkurrenzinteressen der Parteien geben?

Parteien mit Spendenaffären

im Jahr 2000, in Millionen €

aktuelle Zahlen: Rudzio, S. 104ff

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Staatliche

Mittelzuweisungen

an die

Bundestagsparteien

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Entwicklung des Spendenaufkommens

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Leitgedanken der Rechtsstellung der Parteien

Parteien … sind zwar integrierende Bestandteile des

Verfassungsaufbaus, aber keine Staatsorgane haben eine vermittelnde Stellung zwischen Staat und

Gesellschaft müssen innerparteiliche Demokratie praktizieren sollen dazu angehalten werden, sich um intensive

gesellschaftliche Verankerung zu bemühen müssen staatsunabhängig sein, letzteres möglichst auch

finanziell sollen ökonomisch funktionsfähig sein müssen nach Vermögen und Finanzierung transparent sein müssen gleiche Wettbewerbschancen haben müssen unterschiedliche Macht je nach Wahlergebnissen

haben (‚Demokratieprinzip‘)

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Ein ‚Parteienstaat‘?

Begriff von Gerhard Leibholz, Staatsrechtlerund langjähriger Bundesverfassungsrichter

Grundgedanken: Parteien sind die zentralen und unmittelbar demokratisch

legitimierten politischen Handlungseinheiten Abgeordnete sind „gebundene Parteibeauftragte“, die im

Parlament die in den Parteien getroffenen Entscheidungen ‚nachvollziehen‘

Parteienstaat = „rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie“

Abgeordnete sind die

FÜHRER ihrer Parteien !

Parteien werden (meist) von

ihren Parlamentsfraktionen

aus geführt !

den Abgeordneten macht – wann immer er die

Folgen seines Handelns tragen will –

UNABHÄNGIG von den ‚höheren Parteiführern‘ …

• Art. 38 GG (imperatives Mandat funktionierte

auch bei den GRÜNEN nicht!)• die Unterstützung der ihn (re-)nominierenden Parteiorganisation

in Person von Abgeordneten als für den Wahlerfolg ihrer Parteien persönlich haftenden Parteiführern:

VERSCHRÄNKUNG der Willensbildung in Parlament, Partei und Wahlvolk

ein von starken Parteien getragener Staat !

Ja !

Nein !Nein !

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geht zurück auf 19. Jhdt:Liberale – Konservative – Sozialisten

Entstehung und Entwicklung des deutschen Parteiensystems

Zäsuren der NS-Diktatur (Einheitspartei)und der Besatzungszeit (Lizensierung von Parteien)

Diskreditierung der Weimarer Extremlager: der Rechten durch das Scheitern des Nationalsozialismus, der Linken durch das abschreckende Beispiel des osteuropäischen und ostdeutschen Realsozialismus Restbestände von rechts- und linksradikalen Parteien werden

‚weggewählt‘ oder (wie SRP und KPD) verboten im neuen Gewand: Fortbestand und alsbaldige Monopolstellung

der ‚Weimarer Koalition‘: SPD SPD Zentrum (um protestantische und [liberal-]

konservative Gruppen erweitert) CDU und CSU Liberale FDP

1983-1990: Zwei Parteigruppen-System nach Aufkommen der GRÜNEN und deren Akzeptanz durch SPD

1990 – heute: Hinzutreten eines andersartigen ostdeutschen Parteiensystems (‚Pseudo-West plus PDS‘)

• Konzentration 1952-1961• eingespieltes Zweieinhalb- Parteiensystem 1961-1983

ab und zu: Protestparteien

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Parteimitglieder(in tausend)

Generell:

• Höhepunkt der Parteimitgliedschaft in den 1970ern und frühen 1980ern

• bis auf GRÜNE: allgemeiner Rück- gang der Mitglieder- zahlen nach der Wiedervereinigung

• sehr geringe Mitgliedschaften in den neuen Bundesländern

SPD:

• Höhepunkt in Brandt-Zeit

• Zuwächse ‚abge- schöpft‘ von den GRÜNEN

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aktuelle Zahlen: Rudzio, S. 155

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Probleme von Parteien

Sicherung ihrer Verankerung in der Gesellschaft bei Erosion von deren soziomoralischen Milieus: wessen Interessen dauerhaft vertreten? auf wen die Wahlprogrammatik ausrichten?

Rekrutierung leistungsfähiger und leistungswilliger Mitglieder mangelnde Attraktivität speziell parteipolitischen Engagements Mobilität von Leistungsträgern vs. Territorialität von

Parteistrukturen gegebenenfalls: geringe Chancen für qualifizierte Quereinsteiger

mangelnde Bürgerakzeptanz jenes pluralistischen Streits, den die Parteien arbeitsteilig für die Gesellschaft austragen Kritik am ‚Streiten statt Handeln‘ vs. Kritik an der

‚Austauschbarkeit‘ parteipolitischer Positionen (Selbst-) Überforderung von Parteien

Politikillusion vs. Politikverdrossenheit

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Einbettung in übernationale Regierungsstrukturen

Art. 24(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf

zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens

einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.

(3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.

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Einbettung in die Europäische Union

Art. 23(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die

Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet.Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen.Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen möglich werden, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3. [Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat, Ewigkeitsklausel]

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Aufbau der Vorlesung Die Bundesrepublik Deutschland in der Geschichte der deutschen Regierungssysteme Die normativen Grundlagen des deutschen politischen Systems Verfassungsrechtliche Bestimmungen und reale Funktionsweise

Überblick Länder und Bund Bundesinstitutionen

Bundesrat Bundestag Bundesregierung Bundespräsident Rechtswesen und Bundesverfassungsgericht

Kommunen intermediäres System

Interessengruppen Parteien Medien

Deutschlands Einordnung in supranationale Regierungsstrukturen Themen im Kontext – nicht in der Vorlesung behandelt, doch über

herunterladbare Foliensätze erschließbar Geschichte deutscher Staatlichkeit Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland: Umstände und Folgen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Sozioökonomische Grundlagen: Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland Deutschlands politische Kultur

... möglicherweise aus Zeitgründen nicht mehr behandelbar!

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(innen-) politische Herausforderungen Deutschlands

Kern: Sicherung politischer Führungsfähigkeit Denn: nicht Erkenntnisdefizit, sondern Vollzugsdefizit

wegen ...

Systemblockaden Bundestag ↔ Bundesrat: Politikverflechtungsfalle Neokorporatismus und Konsensfalle

Versickern von Verantwortung und Beeinflußbarkeit

‚Demokratiefalle‘ Wahlmarathon unter den Bedingungen der Mediokratie

Partizipationsungleichgewicht verdrossen / dagegen / spontan aktiv: viele tatendurstig / pro-aktiv / langfristig engagementbereit:

wenige

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Damit sollte klar sein,

wie das politische System der Bundesrepublik Deutschland im großen und ganzen aufgebaut ist

welche Leitideen und sonstigen Faktoren seine Teile und deren Zusammenwirken im großen und ganzen prägen

welche verfassungsrechtlichen Bestimmungen dieses System wie genau normieren

wie dieses politische System ‚im Normalbetrieb‘ funktioniert

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Vorlesung: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland

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