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HS Pronomina / W. Schulze © 2012
Zusammenfassung 4. Sitzung
Was heißt ‚PRO‘ ? – Teil 1: Pro-Nomina
Zuordnung der Dimension ‚Pronomina‘/Pro-Formen zu den Aristotelischen Causa-Domänen:
Selten ist lex.
Quelle er- „PRO“
kennbar Effiziens Finalis
Keine durch- Formalis Materialis Selten bis
gängige keine spez.
strukturelle lautliche
Einpassung in Syntax Gestalt
Causa effiziens:
Grammatikalisierung von Pro-Formen aus lexikalischen Einheiten, in einzelfällen belegt, aber
kein durchängiges System. Oft sind solche formen ‚ersatzformen‘ für gegebene Pro-Formen:
e.g. Spanisch usted (2.SG:[+honor]) < vuestra merced ‚euer Gnaden‘ ), vgl. ALVAR, Manuel; POTTIER, Bernard. 1983. Morfología Histórica del Español, Madrid: Gredos.
ANIPA, Kormi. 2001. A Critical Examination of Linguistic Variation in Golden-Age Spanish. New York: Peter Lang Publishing, Inc. BELLO, Andrés. 1860/1988. Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos. Con las notas de Rufino José Cuervo. Ed. de Ramón Trujillo. Vol. II. Madrid: Arco/Libros. DE JONGE, Bob. 2000. "Estudio analítico del signo lingüístico. Teoría y descripción". Bob de Jonge (ed.) Estudio analítico del signo lingüístico. Teoría y descripción, Foro Hispánico 17, pp. 7-14. KROTHOFF, George. 1963. "A Possible Arabic Ingredient in the History of Spanish usted", Romance Philology, XVII:2, pp. 328-330. LAPESA, Rafael. 1970. "Personas gramaticales y tratamientos en español". Revista de la Universidad de Madrid (Homenaje a R. Menéndez Pidal, IV), XIX, pp. 141-167. ------. 1981. Historia de la Lengua Española. Madrid: Gredos. MENÉNDEZ PIDAL, Ramón. 1904/1982. Manual de gramática histórica española, Madrid: Espasa Calpe. NAVARRO TOMÁS, Tomás. 1923. "vuesasted" 'usted', Revista de Filología Española, X, pp. 310-311. PLA CÁRCELES, José. 1923a. "La evolución del tratamiento "vuestra-merced"" Revista de Filología Española, X, pp. 245-280. ------. 1923b. "vuestra merced > usted", Revista de Filología Española, X, pp. 402-403 VÁZQUEZ CUESTA, Pilar; LUZ, María Albertina Mendes da. 1971. Gramática da língua portuguesa, Lisboa: Edições 70.
Indogermanisch: Versuch der lexikalischen Fixierung von Personalpronomina (meist
DEIXIS>PERS). Zwei Beispiele:
G. Schmidt 1978. Stammbildung und Flexion der indogermanischen
Personalpronomina. Wiesbaden: Harrassowitz), p.110 zu Idg. *eĝ(H)- ‚ich‘: “e- ist der als
Nom. dienende (vgl. idg. *so 'der') Stamm des Pronomens, woran zunächst die Partikel *-ĝ angetreten
ist, später erst zur Verdeutlichung der Kasusfunktion die Nom.-Endung *-H (und noch später *- om” [=
“dieser-deiktische Partikel”]”.
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G. Liebert 1957.Die indoeuropäischen Personalpronomina und die Laryngaltheorie.
Lund: Gleerup, p. 55f.: Laryngal der Rekonstrukte der 1.Sg und 2.Sg reflektiert eine Art
Sprechaktmarkierung : *eĝ(H)- zu *ej- gestellt (> lat. i- usw.), der als “allgemein- deiktischer
Deutestamm” verbunden wird mit -H1 als “determinative Erweiterung (ohne das Geschlecht
anzuzeigen)”, ähnlich für *tu-H1: Die deiktische Partikel *tu ist als “allgemein gegenüberstellend, sowohl
zeitlich (...) als auch örtlich, auf das dem Sprecher Gegenüberbefindliche verweisend. Mit -H1 (...) wurde
die Deixis von *tu-H1 auf die dem Sprecher insbesondere gegenüberbefindliche Person, also den
Angeredeten, bezogen, und so wurde das Pronomen der 2.P. gebildet”.
Schematisch:
Deixis Sprechakt
**ej “hier” + *-H1 > *eĝ- > EGO
**tu “da(gegen)” + *-H1 > *tū / tu- > TU
Vgl. allgemein Hagège 1993 The Language Builder, Amsterdam/Philadelpha:
Benjamins, pp. 216-217: „Languages which use spatial adverbs with the meaning of personal pronouns: Japanse kotira ‘here’
often refers to the speaker, Vietnamese đây ‘here’ and đây (or đó ‘there’) are used with the meanings of
‘I’ and ‘you’ respectively when one wants to avoid the hierarchical or affective connotations linked to
the use of personal pronouns…”
Weitere Beobachtungen sind (vgl. Heine/Kuteva 2002, s.v.):
Distale Deixis < ‘GO’, vgl. Mopun (West-Tschad) ’di ‘gehen’ > Distal, Süd-!Xun
tȍ‘à (tòàh) ‘to go’ > Distal (Heine/Kuteva 2002:159)
Vgl. aber Heine/Kuteva 2002:159: ”there is an alternative view according to which
demonstratives are diachronically, so to speak, “semantic primitives”; that is, (…) they
themselves cannot be historically derived from other entities like lexical items”.
Indefinita < ‘THING’, ‘MAN’, ‘PERSON’, ‘ONE’
Nahua itlaa ‘Sache’ > ‘etwas’, Swahili ki-tu ‘Sache’ > ‘etwas’
3.SG Anapher < THING’, ‘MAN ‘
ǁAni khó(e)-mà ‘man, male’ > khóm ‚er’ usw.
Causa formalis:
Wenn sich alle Pro-Formen von anderen lexikalischen Einheiten über die causa formalis
abgrenzen würden, müssten sie ein durchgängiges, eigenständiges ‚Verhalten‘ in
syntaktischen Konstruktionen zeigten (mit formalis = die Form der Einheit in einer
strukturellen Fügung (Syntax). Kandidaten sind z.B. spezifische ‚pronominale‘ Kasus-
Paradigmata, vgl. Udi (Ostkaukasisch, Ausschnitt):
Nominal Pro-Formen
Nomen1 Nomen2 PersPro RelPro IntPro IndefPro
‚Mensch‘ ‚Mond‘ ‚ich‘ ‚welch-‘ ‚wer?‘ ‚jemand‘
NOM adamar xaš zu man-o šu šu-k‘al
ERG adamar-en xaš-n-en zu ma-t‘-in š-in šu-k’al-en
GEN adamar-un xaš-n-ay be-z-i ma-t’-ay š-i šu-k’al-i
DAT adamar-a xaš-n-u z-a ma-t’-u š-u šu-k’al-a
Historisch: ‘pronominale’ Kasus, ‘nominale’ Kasus
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Im Udi haben sich beide Paradigmata gekreuzt (ähnlich wie es in einigen idg. Sprachen, e.g.
Latein geschehen ist) [vgl. W. Schulze 2005. From Case to Case in Udi. In: Dag Haug & Eirik Welo (eds.)
Haptachaptaitish, FS Fridrik Thordarson, 251-266. Olso: Novus]
Indogermanisch (stark vereinfachtes Rekonstrukt, hier nur Singular, ohne Instrumental, ohne
Suppletivismus usw.):
Pro-Formen
Nominal PersPro Deixis1 Deixis2 Ind/Rel/Int-Pro
Hum nHum Hum nHum Hum nHum Hum nHum
NOM -s/-Ø -m -Ø -Ø -d -s -d -s -d
AKK -m -m -Ø usw. -m -d -m -d -m -d
GEN -e/os variant -s-yo -s-yo -s-yo
ABL -e/os -e/od -d -sm-od -sm-od -sm-od
DAT -ei -e/oi -sm-ei -sm-ei -sm-ei
LOK -i --- -sm-i -sm-i -sm-i
Auch hier finden sich Überschneidungen, sodass von einer vollständigen paradigmatischen
Opposition nicht gesprochen werden kann.
Causa materialis:
These: Alle Pro-Formen haben einen lautlichen Aspekt, der sie von allen anderen
lexikalischen Einheiten trennt, vgl. tendenziell Englisch
wh-o, wh-at, wh-ere, wh-ich, usw.: Klassifizieren aber nur eine Untergruppe (Rel/Int) [und
sind zudem nicht exklusiv mittels wh- markiert, vgl. white, whip usw.) .
Causa materialis ist selten ein (i.d.R. kein) Abgrenzungskriterium.
Causa finalis:
Grundfrage: Wozu ‚dienen‘ Pro-Formen?
Funktionale Abgrenzung.
NOTA: Die definitorische Festlegung, wonach ‚Pro-Formen‘ für etwas stehen, ist keine
funktionale Beschreibung, sondern lediglich eine deskriptive Zuordnung von Pro-Formen.
(a) INDEFINIT/INTERROGATIV (referentiell ~ nominal)
Beobachtung: Wer kommt? [‚Konstituentenfrage‘]
vs. Kommt wer? [‚Satzfrage‘]
vs. ich hab‘ wen gesehen [‚Assertion‘]
Was siehst du?
vs. Ich hab‘ was gesehen.
Vermutung: One form – one (basic) meaning, wobei Polysemien in weitem Sinne zugelassen
sind. Homonymien sind danach eher die Ausnahme als die Regel.
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Ergo: wer bzw. was in obigen Beispielen ist sind sprachliche Zeichen für jeweils eine (basale)
konzeptuelle Entität. wer bzw. was ‚bedeuten‘ in den Beispielen zunächst also ‚dasselbe‘.
These: Interrogation ist i.d.R. die modale ‚Anreicherung‘ einer ‚Assertion‘:
ÄußerungASS + INT ÄußerungINT
Grundlage: ‚Anregung‘ (Stimulierung) einer Ereignisvorstellung
‚Feststellung‘, dass keine unmittelbare Abbildung der EV im Wissen
gegeben ist (memory mismatch)
Emergenz des ‚Bedürfnisses‘, diesen mismatch aufzuheben (‚kognitive
Not‘)
Expression dieser ‚kognitiven Not‘ qua sprachlichem Zeichen
(‚Interrogation‘), i.d.R. gekoppelt mit Appell an den ‚Anderen‘, diese kognitive
Not zu beheben (zu ‚antworten‘).
[vgl. ausführlicher: W. Schulze 2007. Communication or Memory Mismatch? Towards a
cognitive typology of questions. In: Radden, Günter, Klaus-Michael Köpcke, Thomas Berg and
Peter Siemund (eds.) Aspects of Meaning Construction, 247–264. Amsterdam/Philadelphia:
Benjamins].
Ergo: Wenn eine Pro-Form in ASS ( Indefinitpronomen) und in INT (
Interrogativpronomen) erscheint, ist INDEF basaler:
PROINDEF + INT PROINT
e.g. (et)was + Q was?
Sekundäre Ersatzformen für PROINDEF sind häufig, vgl. Deutsch wer ~ jemand.
Nota: Zusätzliche Fokussierung der referentiellen Dimension bewirkt
‚Konstituentenfrage‘, e.g. Deutsch:
Intrans.: Fokusfeld V NP
es kommt wer [Assertion, mit Dummy-Fokus]
kommt wer? [Polare ‚Satzfrage‘]
wer kommt? [‚Konstituentenfrage‘]
Trans.: Fokusfeld V NP NP
er macht was [Assertion]
macht er was? [‚Satzfrage‘]
was macht er? [‚Konstituentenfrage‘]
Folgerung: Der Komplex der Pro-Formen INDEF~INT basiert auf INDEF. ‚PRO‘ heißt hier: Starke bis
maximale Kodierung der Annahme der ‚Gegebenheit‘ eines Referenten ohne weitergehendes
Wissen um diesen Referenten (Präsupposition i.w.S.d.W.). Die Annahme der Gegebenheit wird
gesteuert durch die aktivierte Ereignisvorstellung:
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Beispiel: Ich sehe, dass ein Fenster geschlossen ist, von dem ich weiß (vorher wahrgenommen,
angenommen habe), dass es offen ‚war‘.
Aktivierung der Ereignisvorstellung:
SCHLIESSENAO
:A :OFENSTER
‚Präsupposition‘ (de facto: Inferenz): Gegebenheit von :A.
Memory mismatch:
Keine ‚Erfahrung von/Wissen um :A in SCHLIESSEN(:A/:OFENSTER)
Ausdruck des mismatch: wer?
SCHLIESSENAO
:A :OFENSTER
[wer]NP [schließen]VP [Fenster]NP
NOTA: Die Textur (semantische Struktur) der EV bedingt häufig eine Einschränkung der
Inferenz ( Kategorisierung), e.g.
SCHLIESSEN wer schloss das Fenster?
?was schloss das Fenster?
was schloss der Mann?
*wen schloss der Mann?
GEBÄREN wer [ [hum:fem]] gebar das Kind?
*was gebar das Kind?
ESSEN was hast du gegessen?
*wen hast du gegessen?
SCHLAGEN womit [-anim] hast du ihn geschlagen?
*mit wem hast du ihn geschlagen?
Daraus folgt: Inferentiell erstellte Annahmen können durch die Textur der EV
subkategorisiert werden. Theoretisch (!) würden in einer Sprache mit Differenzierung PROINT1[hum,mask], PROINT2[hum,fem],
PROINT3[-hum,anim], PROINT4[-anim] ohne unmarkierte‚ allgemeine‘ Version einer der PROINT alle
EVs hinsichtlich dieser Subkategorien typisiert sein ( Cultural Linguistics).
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Beispiel für Genus-Kategorisierung:
Gotisch
M ‚wer‘ N ‚was‘ F ‚wer‘
NOM ƕas ƕa ƕō
ACC ƕana
GEN ƕis *ƕizōs
DAT ƕamma ƕizái
Beispiel für Numerus-Kategorisierung in einigen ostkaukasischen Sprachen:
[hum] [-hum]
SG PL SG PL
Tabasaran fuž fužur fi fiyar
Rutul wuš wušer šiw šidəbər
Archi kʷiri kʷibi
Beispiel für Unterspezifikation [±hum]: Litauisch kas ‚wer/was?‘
{PROINDEF~PROINT} sind also sprachliche Zeichen, die eine starke bis maximale Präsupposition über die
Gegebenheit eines Referenten () symbolisieren, vgl. stark vereinfacht (ohne Berücksichtigung von
Definitheit usw.):
Präsupposition von
Generischer Zunahme der referentiellen Spezifikation
‚Konkreter ‘
NAME
Etwa: Präsupposition ich habe jemanden/wen gesehen
Generisch ich habe eine Frau gesehen
‚Konkret‘ ich habe deine Freundin gesehen
Name ich habe Eva gesehen
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(b) PHORISCH/DEIKTISCH (referentiell ~ nominal)
Das Kriterium der ‚Gegebenheit‘ ist ebenfalls zentral für PRO-Formen des Typs PROPHOR / PRODX:
PROPHOR = Phorisch; sprachliche Zeichen, die einen Bezug auf ein anderes
sprachliches Zeichen oder eine nicht-sprachliches ‚Objekt‘ herstellen
(Griechisch φέρω ‚ich trage (hin)‘).
PRODX = Deixis; räumlich/zeitlich kategorisierte PROPHOR
Gegenüber PROINDEF/PROINT fehlt die Dimension der Präsupposition/Inferenz, vgl.:
Phorisch: Evas Mutter kam nach Hause. Sie stellte ihre Tasche ab…..
Paul fuhr nach München. Dort nahm er sich ein Zimmer und….
Das Spielzeug, das ich gestern gekauft habe…
Deiktisch: Ich nehme den Kuchen da. [Selten rein nominal]
PROPHOR/DX stellen also den Bezug zu einer gegebenen (oder nachfolgend gegebenen) Wissensebene
wieder her ohne sie selbst erneut zu symbolisieren.
Grundgliederung: Endophorisch (Ko-Text), Exophorisch (Kontext)
PHORISCH
Endophorisch Exophorisch
Anaphorisch Kataphorisch
Deiktisch Nicht-deiktisch Deiktisch Nicht-deiktisch
Vgl. für die Endophorika:
Anaphorisch Kataphorisch
Nicht-Deiktisch Die Frau kam nach Hause. Sie stellte die Tasche ab und….
Ich habe ihn gesehen, den Paul.
Deiktisch Die Frau sah die Freundin. Die(se) hatte Tränen in den Augen.
Ich hab‘ den gesehen, den Wagen.
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Exophorische ‚Gegebenheit‘:
‚Ich nehme die(se)‘ +
Die Differenzierung ‚deiktische‘ vs. ‚nicht-deiktische‘ Anapher kann in vielen Sprachen genutzt
werden um die pronominale Dimension ‚3.Person‘ zu grammatikalisieren, vgl. Deutsch:
Als der Mann seinen Freund traf, sagte er… [nicht-deiktisch, 3.Person, Koreferenz in Bezug auf
‚Vordergrund‘]
Als der Mann seinen Freund traf, sagte der…. [deiktisch, Switch Reference in Bezug auf
Vordergrund]
Da PROPHOR/DX auf gegebene Referenzen ‚hinweisen‘, können sie stärker subkategorisierend wirken:
(a) Kategorisierung nach Referenz
Deutsch: Der Mann fuhr in die Stadt. Er ging …..
Die Frau fuhr in die Stadt. Sie ging…..
Das Kind fuhr in die Stadt. Es ging…..
Die Leute fuhren in die Stadt. Sie gingen….
Neben Genus/Sexus/Human weitere Subkategorisierungsoptionen e.g. Einzelelement vs. Menge,
begrenztes vs. nicht-begrenztes ‚Objekt‘, Objektgestalt (Fläche, Container usw.
Nominalklassifikation)
(b) Kategorisierung nach ‚Raum/Zeit‘ (Lokalisierung von )
Deutsch: Proximal: Ich nehme den hier ( ~ diesen)
Distal: Ich nehme den da (~ jenen)
Prototypische Kategorisierung:
Oben
Wahrnehmende Proximal Medial Distal Nicht
sichtbar
Unten
Reale bis imaginierte Distanz
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Beispiele: (a) Chamalal, Ostkaukasisch, Awaro-Andi, zweigliedrig PROX/DIST)
uɬō Oben
aɬō
Wahrnehmende adō udō udō
ažō
užō Unten
Reale bis imaginierte Distanz
(b) Yarki-Dialekt des Lezgi (Ostkaukasisch, Lezgi, dreigliedrig, Daten leicht vereinfacht)
awni
wini Oben
Wahrnehmende i a at‘a ha āt’a
ağa
āğa
Unten
Reale bis imaginierte Distanz
Vgl. dagegen Standarddeutsch:
PROX DIST
Nicht-emphatisch der/die/das hier der/die/das da
Emphatisch diese/r/s hier diese/r/s da
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Nota: Die räumliche Dimension ‚fern nicht sichtbar‘ kann weitergeführt werden zu ‚unbekannt,
neu‘, mit dann PROX ‚bekannt, gesagt‘. In solchen Systemen kann dann der PROX als Anapher
erscheinen. Sonst ist der Distal häufige Quelle für die Anapher.
Zusammenfassend: Das ‚PRO‘ bei PROPHOR/DX
(c) ‚Relativpronomina‘
Nota: Hier sollen nur Angaben zum Relativpronomen selbst erfolgen, nicht zur ‚Konstruktion‘ von
Relativsätzen, vgl. dazu neben vielen anderen
http://dare.uva.nl/document/66278
http://odur.let.rug.nl/dvries/pdf/proefschrift-mdevries.pdf (generative Perspektive!)
und natürlich Christian Lehmann 1984. Der Relativsatz. Typologie seiner Struktur, Theorie seiner
Funktionen, Kompendium seiner Grammatik. Tübingen: Narr.
Klassische Relativpronomina (mit head noun) haben anaphorische Funktion, vgl.:
die Frau, die ich gestern gesehen habe….
Sie nehmen also eine referentielle ‚Gegebenheit‘ wieder auf (analog zu PROPHOR) und betten diese in
eine zweite EV ein, die i.d.R. eine Spezifizierung des Referenten anzeigt.
Die kann geschehen (u.a.) restriktiv (einen Referenten aus einer Menge von Referenten qua
Relativsatz herauslösend) oder appositiv/explanativ (dem gegebenen Referenten eine weitere
Qualifikation hinzufügend), vgl.:
Restriktiv: Gestern traf er die[jenige]/eine Frau, die ein rotes Kleid an hatte.
Explanativ: Gestern traf er seine alte Freundin, die diesmal ein rotes Kleid an hatte.
In einigen Sprachen können hierfür unterschiedliche PROREL eingesetzt werden, e.g. Englisch
(Präferenz).
Restriktiv Explanativ
HUM -HUM HUM -HUM
who (~ that) that who which
Nota: Neben vielen anderen Aspekten unterscheiden sich wh-PROREL und that im Englischen
dahingehend, dass that ‚prepositional stranding‘ erlaubt, wh- aber nicht (‚pied piping‘), vgl.:
‘Stranding’ ‘Pied piping’
The house that I live in *The house in that I live
*The house which I live in The house in which I live
Nota: ‘Pied piping’ [nach pied piper ‘Scheckiger Pfeifer’ = Rattenfänger [von Hameln]] (als generativistischer Begriff): PROREL
‚zieht die Präposition zu sich heran‘.
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Scheinbar können PROREL auch ‚Sätze‘ als Kopf haben, vgl.
Englisch: He voted for Bush, which surprised me.
Aber: Hier bezieht sich which auf eine ‘gedachte’ Referenz, etwa:
*He voted for Bush, a fact, which/that surprised me.
Im Deutschen steht hier formal PROINT/INDEF und nicht PROREL:
Peter kam zu spät zur Arbeit, was mich nicht sonderlich überraschte.
Relativpronomina können das head noun subkategorisieren (i.d.R. nach Genus/Klasse und/oder
Numerus), vgl. Latein (Differenzierung ergibt sich auch aus Kasusparadigma):
Singular Plural
m f n m f n
NOM quī quae quod
quī quae quae
ACC quem quam quōs quās
Grammatikalisierung von PROREL als Hinweis auf PRO-Dimension?
Beobachtungen: PROREL sind häufig analog zu oder identisch mit
(a) PROPHOR/DX: E.g. Deutsch der, die, das. Dies ist der ‚natürliche‘ Grammatikalisierungsweg,
da er die Funktion des phorischen Elements einfach weiterführt.
(b) PROINT/INDEF: Musterbeispiel Indogermanisch, hier u.a. in folgenden Sprachzweigen belegt
(spätere Neuerung nicht berücksichtigt):
PROREL parallel zu PROINT/INDEF PROREL parallel zu PROPHOR/DX
*kʷi- *yo- < *i-o-
Anatolisch Indoarisch
Tocharisch Griechisch
Italisch Phrygisch
Keltisch Slawisch
Germanisch
Vgl. Latein:
M F N
INT REL INT REL INT REL
NOM quis quī quis quae quid quod
GEN cuius
DAT cui
ACC quem quam quid quod
ABL quō quā quō
PROREL werden immer wieder neu auf der Basis von PROINT/INDEF gebildet:
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English (East Anglia): our shovels what they used to feed the boiler with were all steel shovels. [Tanja Herrmann 2003. Relative clauses in dialects of English – a typological approach. PhD Diss. Freiburg.
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/830/pdf/TH11ENDe.pdf]
Alemannisch: dr ma, wo miar d brilla verkauft hät. [http://cahenzli.wordpress.com/category/swissness/schweizerdeutsch/]
Zu PROINT/NDEF > PROREL vgl. noch (Zufallsauswahl):
Indogermanisch
Deutsch welche/r/s
Albanisch kush
Bulgarisch koj-to
Französisch qui, que
Holländisch wat
Persisch ke
Russisch kotoryj usw.
Spanisch qué
Tschechisch ktery usw.
Nicht-Indogermanisch
Arabisch (Tunis) wîn
Baka là
Bambara min
Bhasa Indonesia siapa
Pirahã go
Tamazight (Berber) naa
Tseltal te mač’a
Alan Libert & Christo Moskovsky 2003. A Survey of Relative Pronouns and their Uses in Natural and
Artificial Languages. Journal of Universal Language 4:61-116, hier p.71:
“Typological studies (….) readily recognize the fact that in many languages interrogative and RelPs (=
PROREL, W.S.] are the same (or similar) not only in form, but also in syntactic behavior, which would
suggest that they share a common conceptual core, but relevant literature seems to be remarkably
uninformative in this regard.” (Hervorhebung W.S.)
Ausgangspunkt möglicherweise nicht INT, sondern INDEF, vgl. headless relative clauses (HLRC) des
Typs:
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
~ Das Leben bestraft jemanden, der zu spät kommt…..
Hier steht wer im Sinne von wer (auch) immer und fungiert de facto als Indefinitpronomen. HLRCs
können auch restriktiv sein (nicht generalisierend), etwa:
Was ich im Laden gekauft habe, war ziemlich teuer.
Hier steht was für das, was (mit PROREL = PROINT/INDEF). Nota: Varianten im Deutschen:
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HEAD PROREL
der/die(jenige) der/die
der/die/das welche/r/s
*das das
das was
der/die der/die wo
der/die wo
Ø wer
Ø was
Beobachtung Deutsch: PROREL haben nicht die gleiche Wortstellung wie PROINT zur Folge, sondern
wie PROINDEF:
HEAD PRO O A V A
Der Hut welchen ich kaufte
welchen Hut kaufte ich?
Und nicht: *der Hut welchen Ø kaufte ich
Aber Englisch:
HEAD REL V ADV
The man who is old
who is old?
Systematisch auch in do-Konstruktion in INT:
HEAD REL:A V O
The man who saw the cat
who did see the cat?
Wenn aber HEAD in dem Relativsatz keine Vordergrund-Funktion hat (‘Subjekt’), dann steht:
HEAD REL:O V1 A V2
The man whom you met
whom did you meet?
Hypothese: PROREL, die aus PROINT/INDEF abgeleitet sind, reflektieren die INDEF-Komponente von
PROINT/UNDEF. Ausgangspunkt wären dann headless relative clauses. Modellhaft ergibt sich:
INDEFINIT someone stole my car + sold it to the car dealer
who(ever) stole my car sold it to the car dealer
SPEZIFZIERUNG he who stole my car sold it to the car dealer
REREFERNZERSTELLUNG the man who stole my car sold it to the car dealer
Dieses Muster könnte unterstützt werden durch die Parallelität zu Interrogativ-Sätzen rhetorische
Frage:
E.g.: Who stole my car? He sold it to the car dealer!
who stole my car sold to it to the car dealer.
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Analog dann: Who is old? The man….
the man who is old…..
Ergebnis: Das PRO in PROREL verweist auf eine Gegebenheit die durch das ‚Head‘ konkretisiert wird.
(d) Reflexivpronomina
Definition: Reflexivität stellt ein Zentrierungsverfahren dar, dessen referentielle bzw. logophorische
Bezugsgröße entweder durch ein pragmatisches (diskursives) ‚Zentrum’ konstituiert wird oder
(hieraus grammatikalisiert) durch einen Cluster grammatischer Relationen (meist {S,A})
Reflexiva gründen nicht auf einer wortartenspezifische Kategorie! Reflexivität ist eine syntaktisch-
semantische Dimension, die ‚pronominal‘ repräsentiert sein kann, aber nicht sein muss:
Mögliche Ausdrucksformen des ‚reflexiven‘ Bezugs unter anderem:
(a) Nomina
(b) ‚Pronomina‘
(c) Verbmorphologie (Medium/Reflexiv, Fokuskonstruktionen usw.)
(d) Lexikalisch (‚introverted‘ verbs)
(a) Nomina: ‚Reflexivpronomina‘ (PROREFL) sind in vielen Sprachen generalisierte nominale Ausdrücke,
vgl.
Roma (Kalderesh; Indoarisch):
vo kam-è-l núma pes
he.NOM love-PRES-3Sg.PRES only REFL
‘He loves only himself.’ Demeter, R.S. & Demeter P.S. 1990. Cygansko-russkij i russko-cyganskij slovar’ (kelderarskij dialekt). Moskva:
Russkij jazyk, p.118
Sarykol (Pamir, Iranisch):
xəbaθ wi činúr χuv-d
REFL.ABS 2Sg.POSS chinar lie.PAST-3Sg.PRES
‘He himself lay down in your chinar to sleep.’ Paxalina, T.I. 1966. Sarykol’skij jazyk. Issledovanie i materialy. Moskva: Nauka, p.37
Koryak (Luorovatlan, ‘Paläoasiatisch’):
winjwe oweke-ŋ iwi qaqo
quiet REFL-DAT say.PAST Qaqo
‘Qaqo said quietly to himself…’ Žukova, A.N. 1972. Grammatika kajaskogo jazyka. Fonetika; morfologija. Leningrad: Nauka, p.193
Baskisch:
aita-k bere buru-a hil d-u
father-ERG his head-ABS kill 3Sg-have
‘Vater hat sich selbst getötet.’ (Saltarelli 1988: 104)
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zeure buru-ak egin z-a-itu-Ø esklabo.
dein Kopf-ERG gemacht 2Sg.O-PRES-haben-3Sg.A Sklave
’Du selbst hast dich zum Sklaven gemacht.’ (Saltarelli 1988: 113)
Typischerweise ‚Body Part Reflexives‘ (body, head usw.) (vgl. Schladt, Mathias 2000. The typology and
grammaticalization of reflexives. Zygmunt Fraizyngier & Traci C. Curl (eds.), Reflexives: Forms and functions.
Amsterdam/Philadelphia: Benjamins, 103-124.), daneben ‘Person Reflexives’ (person, soul, owner usw.)
“[a]t least a majority of the reflexive markers must have derived from nominal sources, most
probably ‘body’ or the like.” (Schladt 2000: 117)
Folgerung: Nomen-basierte Reflexiva sind keine Pronomina. Sie verweisen nicht auf eine
Gegebenheit, sondern selegieren eine typische Domäne einer Referenz und erlauben so eine
inferentielle Zuordnung:
REFL.NOMEN
(b) ‚Pronomina‘
Beispiel: Die Katze sah sich im Spiegel.
Typischerweise als Beleg angeführt: Idg. *s(ʷ)e- und seine Ableitungen. Hypothese nach O.
Semerényi Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft (hier nach Ed. 1970: 204):
Ableitung aus *swe-/swo- ‚Geschlecht‘ < *sū- ‚gebären‘, daraus *swo-s ‚dem Geschlecht
zugehörig = eigen‘. Daher historisch keine Subkategorisierung, also (mittels Russisch imitiert):
Я видел себя в зеркале.
‚Ich sah mich im Spiegel.‘ < *‘ich sah das Gens-eigene (*s(w)e-) im Spiegel.‘
Ты видел себя в зеркале.
‘Du sahst dich im Spiegel.’ < *‘du sahst das Gens-eigene (*s(w)e-) im Spiegel.‘
Онa виделa себя в зеркале.
‚Sie sah sich im Spiegel.‘ < *‘sie sah das Gens-eigene (*s(w)e-) im Spiegel.‘
Dagegen:
Онa виделa eё в зеркале.
‚Sie sah sie im Spiegel.‘ < *‘sie sah die nicht-Gens-eigene im Spiegel.‘
Analog z.B. Litauisch:
Papasakok apie save!
‘Erzähl von dir (selbst)!’
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Mes pakvieteme drauga, su savimi.
‘Wir luden einen Freund bei uns ein.’
Nachfolgend müsste dann in den meisten idg. Sprachen eine graduelle Umwandlung hin zu einer
‚personalen‘ Interpretation des Bezugspunktes erfolgt sein sowie eine Angleichung an das übrige
‚pronominale‘ System (bis zu vollständigen Aufgabe, vgl. Russisch gegen Deutsch und Afrikaans
(Akkusativ):
Russisch Deutsch Afrikaans
1Sg
себя
mich my
2Sg dich jou ~ u
3Sg sich ihn/sie/es hon / haar / dit
1Pl uns ons
2Pl euch jul(le) ~ u
3Pl sich sie hul(le)
Nota: Auch im Deutschen Aufgabe der REFL-Dimension bei Possessiva:
Eri verkaufte seini/j Auto.
Vgl. Afrikaans:
hy sien hon
he.NOM see.PRES he.ACC
‘He sees him ~ himself.’
Nota: Einzelsprachlich kann die ‘Reichweite’ des Reflexivums über den Satz hinaus gehen (long
distance reflexivization), vgl.
Mittelhochdeutsch:
er bat sich wisen zuo zir grabe
‚er bat (sie), ihm (lit.: sich) den Weg zu ihrem Grab zu zeigen.‘ [Tristan 18648]
Altisländisch:
þá biður hann húsfreyju að hún skipti hestum við sig
‚Dann bittet er die Hausherrin mit ihm (lit.: sich) die Pferde zu tauschen.‘
[Gísla saga Súrssonar, § 19]
Aufgrund ihres (späteren?) deiktischen Charakters erscheinen die *s(w)e-basierten Formen oft in
Analogie zu (a) Demonstrativa oder (b) Personalpronomina.
Nota: ‚Reflexivpronomina‘ können die ‚Introvertierung‘ (subjectification i.w.S.d.W.) einer EV in bezug
auf das ‚Zentrum‘ signalisieren (und kommen damit medial-reflexiven Konstruktionen des Verbs
nah), vgl.
(a) mit PROPHOR
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unz er ime gnûch geweinote... [Gen 4627]
‚Und als er (für sich) viel geweint hatte…‘
(b) mit PROREFL
dô sprach sich Gernot… [NL (D) 1483,1]
‚da sagte (sich) Gernot…‘
ûf spranc sich Wîcramm-es sun [Virginal 381,1]
Der Sohn von Wîcramme sprang (sich) auf….‘
vgl. Nhd:
Er trank sich ein Bier.
Folgerung: Reflexivpronomina sind i.d.R. keine Pronomina.
(c) Verbmorphologie (Medium/Reflexiv, Fokuskonstruktionen usw.), relativ häufig in den Sprachen
der Welt, vgl.:
Khalkha-Mongolisch:
John ehner-tei-gee ajil deer-ee uulz-san.
John wife-COM-REFL work at-REFL meet-PAST
‘John met his wife at his work.’
Bi ehner-tei-gee ajil deer-ee uulz-san.
I wife-COM-REFL work at-REFL meet-PST
‘I met my wife at my work.’ (Dolgor Guntsetseg 2011)
Altgriechisch:
louo-mai hetoimazo-mai
‘ich wasche mich’ ‘ich bereite mich….’
Georgisch:
da-v-i-ban mo-v-i-mzad-eb
‚Ich wasche mich’ ‘ich bereite mich….’
Übergangsformen zwischen (b) und (c), wenn ein PROREFL systematisch mit dem Verb fusioniert (vgl.
Genusiene, E. 1987. The Typology of Reflexives. Berlin-New York: de Gruyter).
Beispiel:
Russisch: REFL/MED
я одеваю -сь ‘I dress myself’
ты одеваешь -ся ‘you dress yourself’
она одевает -ся ‘she dresses herself’
Analog:
улыбать -ся ‘to smile’
смеять -ся ‚to laugh‘
надеять -ся ‘to hope, to wish’
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‘Personale Subkategorisierung’ kommt PROREFL am nächsten, e.g.
Tohono O'odham (‚Papago‘) (Uto-Aztekisch)
Kategorisierung nach 1.Person (SG vs. PL) vs. nicht-1.Person:
SG PL
1 ñ- t-
2 ’e-
3
’a:ñi ’añ ñ-gegosid
I.TOP AUX.1Sg.IMPERF REFL.1-feed
‘I am/was eating’ (feeding myself)
hegam ’o ’e-hu:kajid
they AUX.3.IMPERF REFL.n1 -warming
‘they are/were warming themselves’
a:cim ’ac t-e’eñigadad
we AUX.1Pl.IMPERF REFL.1-dress
‘We are/were getting dressed’ [Zepeda, Ofeila 1983. A Papago Grammar. Tucson, Ar.: Univ. of Arizona Press, p.43]
Vgl. ähnliche Kategorisierung (1Sg vs. nicht-1Sg) im Isländischen:
kalla-sk ‚sich nennen’, ‚genannt werden’, Präsens:
1sg kollu-mk (< *mik)
2/3sg kalla-sk
(< *sik) 1pl kollum-sk
2pl kalle-zk
3pl kalla-sk
(d) Lexikalisch (‚introverted‘ verbs)
Verben mit reflexiver Bedeutungskomponente ohne formale Markierung (English to wash, to
wonder usw.)
Zusammenfassend ergibt sich in Bezug auf die funktionale Zuordnung von PROREFL ( ‚PRO‘):
PROREFL haben keine den anderen Pro-Formen analoge Funktion. Sie sind ‚selbstreferentiell‘ in dem
Sinne, dass sie eine ‚eigene‘ Referenz-Dimension symbolisieren. Diese Dimension kann aufgrund ihrer
relationalen Eigenschaften (stets Kopplung mit einem ‚Anderen‘, i.d.R. [aber nicht immer]
‚Vordergrund/Subjekt) deiktische ‚Züge‘ erhalten.
X /POSS Y
REFL Ko-
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Etwa: Georgisch: k’ac-ma tav-i moik‘la
man-ERG REFL(<*head).ABS kill.PAST.3Sg
‘Der Mann tötete sich selbst.’
mit k’aci + tavi = ‚Kopf (des) Mann(es)‘
Lexikalisiert oft über die Einfügung ko-referentzieller Possessivpronomina, e.g. English myself < *my
self ‚mein Eigenes‘
She killed her- self POSS Anapher Nota: Personensplit im Englischen nach GEN- vs. DAT-Possession:
GEN DAT
1Sg my-self
2Sg your-self
3Sg him-self/her-self
1Pl our-selves
2Pl your-selves
3Pl them-selves
Nota: Der Grad der Anbindung wird über die grammatische Relationen gesteuert. Sie reicht z.B. (in
satzinterner ‚Reflexivisierung‘) von ‚ganz nah an ‘ ‚(Emphase) bis ‚ganz weit von ‘ (Objective).
In der Emphase kann REFL dann für selbst im Sinne einer Anapher eintreten, vgl.:
Udi
ič-en ič-ux t’ap’-ne-xa
REFL-ERG REFL-DAT2 hit-3Sg-LV.PRES
‚Er (selbst) schlägt sich (selbst).‘
Alternativ stehen unterschiedliche (aber verwandte) Einheiten für Teilbereiche dieses Kontinuums:
EMPH IO POSS O
Sie sah sich (selbst)
Sie sah ihren (eigenen) Vater
Sie nahm sich (selbst) das Brot
Sie selbst sah den Vater
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Vgl. Udi (gleiche Satzsemantik) mit durchgängigem REFL (ič):
šet’in ičux beneˁğe
šet’in ič babax beneˁğe
šet’in śumax iču-ne aq‘e
(šet’in) ičen babax beneˁğe
Zusammenfassend:
Bezug auf Wissen um Referenz
PROPHOR/DX Gegeben/wahrgenommen
PROINDEF/INT Hypothetisch/konstruiert
PROREFL Selbstreferentiell Gegeben
(e) ‚Pronominaladverbien‘
Pronominaladverbien sind i.d.R. nominale Pro-Formen des Typs PROPHOR/DX oder PROINT/INDEF mit
spezieller ‚kasueller‘ Wertigkeit!
Vgl. Deutsch(Auswahl, DX = da)
PHOR/DX INT
HUM -HUM HUM -HUM
NOM (d)er/die/sie das/es wer was
GEN dessen wessen
DAT dem/ihm/ihr dem/ihm wem
ACC den/ihn/sie das/es wen was
ABL ALLG von him/ihr davon von wem wovon
IN aus ihm/ihr daraus aus wem woraus
ALL
IN in ihn/sie darein in wen worein
SUPRA über ihn/sie darüber über wen worüber
SUB unter hin/sie darunter unter wen worunter
SUPER auf ihn/sie darauf auf wen worauf
POST hinter ihn/sie dahinter hinter wen wohinter
AD an ihn/sie daran an wen woran
ESS
ALLG da wo
IN in ihm/sie darin in wem worin
SUPER auf ihm/ihr darauf auf wem worauf
SUB unter ihm/ihr darunter unter wem worunter
SUPRA über ihm/ihr darüber über wem worüber
POST hinter ihm/ihr dahinter hinter wem wohinter
AD an wem daran an wem woran
Nota: In vielen Sprachen werden basale (bes. räumliche) ‚Pronominaladverbien‘ rein lexikalisch
ausgedrückt, d.h. ohne Markierung ihrer kasuellen Wertigkeit, vgl. Russisch здесь ‚hier‘ vs. там
‚da/dort‘, Deutsch hier vs. da usw. gegen Udi mi-a < *mi- + DAT ‚hier‘ (= PROX.DAT) vs. t’i-a < *t’i- +
DAT ‚da‘ (DIST.DAT).
Zum Ganzen vgl. auch: Diessel, Holger 1999. Demonstratives. Form, function, and grammaticalization. Amsterdam & Philadelphia: Benjamins.
Fillmore, Charles J. 1982. Towards a Descriptive Framework for Spatial Deixis. Robert J. Jarvella & Wolfgang Klein (eds.).
Speech, Place, and Action. Studies in Deixis and Related Topics, 31-59. Chichester et al.: John Wiley & Sons.
Rauh, Gisa 1984. Aspekte der Deixis. Sprachwissenschaft 9:23-84.
Sennholz, Klaus 1985. Grundzüge der Deixis. Bochum: Brockmeyer (Bochumer Beiträge zur Semiotik 9).
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Weissenborn, Jürgen & Klein, Wolfgang (eds.) 1982. Here and there. Cross-linguistic Studies on Deixis and Demonstration.
Amsterdam: Benjamins.
Da Pronominaladverbien immer einen referentiellen Bezugspunkt haben (endophorisch oder
exophorisch), stellen sie keine gesonderte ‚Klasse‘ von Pronomina dar.
(f) Indefinita sui generis
Eigentliche Indefinita sind solche sprachlichen PRO-Formen, die kein ‚interrogatives Korrelat‘ haben.
Dabei sind Indefinita i.d.R. (gradierte) Markierungen der referentiellen Un(ter)bestimmtheit:
Deutsch: M/F N
irgendjemand/wer irgend(et)was
irgendwo
irgendwie
Nota: irgend < *jo-hwar-gin ‚je-wer-INDEF‘
jemand < *jo-man ‚je-Mann‘ beide mit *jo- = LOK eines Nomens ‚Zeit‘ (Got. aiws
‚Zeit‘), also etwa ‚in (jeglicher) Zeit‘ o.ä.
Vgl. : Martin Haspelmath 1997. Indefinite Pronouns (Oxford Studies in Typology and Linguistic Theory). Oxford: Oxford
Univ Press.
Viele Indefinita basieren auf der Fortentwicklung von PROINT, vgl. Deutsch irgend-wer mit zweifachem
PROINT (synchron gelesen, also (imitiert) *jo-hwar-gin-hwar), Udi šu-k’al- < ‚wer+ ‚zu sagen‘‘, e-k’al <
*‚was ‚zu sagen‘‘, Franz. quelqu’un < ‚welcher/einige einer‘.
Aber Englisch some-one, some-thing, any-one(body, any-thing usw. mit some < AE sum
‚some‘ < Germanisch *sumas < Idg. *sem- ‘one, as one’ und any < AE ænig ‘any, anyone’, <
Germanisch *ainagas (Deutsch einig) < Idg. *oi-no- ‘one, unique’ . -y vielleicht Diminutiv’?
Negative Indefinita werden i.d.R. entweder über Satznegation oder durch eine Negationsderivation
gebildet, vgl. Udi vs. Deutsch:
Udi: šuk’al-en me śum-ax te-ne-kä-y
INDEF.HUM-ERG PROX bread-DAT2 NEG-3Sg-eat.PAST-PAST
‘Keiner/niemand hat dieses Brot gegessen’
Nota: kein < nih-ein mit nih- < ni-uh ‚nicht auch‘, vgl. Lat. ne-que)
Später zunächst verstärkt durch de- (ni dehein), dann Verlust von ni
dehein > dechein > kein
niemand entspricht (imitierend) *ni-jo-man ‚NEG-je-MANN‘
nirgend- entspricht (imitierend) *ni-jo-whar-gin ‚NEG-je-wer-ein‘
Eine eigenständige negative Form hat z.B. Persisch hič-kas ‚niemand‘ (kas ‚jemand‘).