wdr 3 kulturfeature · schwester ist 1817, da war schumann sieben jahre alt, in die irrenanstalt...
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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben
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WDR 3 Kulturfeature
Robert Schumann in Düsseldorf – Warum der Sachse im Rheinland scheitern
musste
MUSIK: Robert Schumann
Tr.10: „Fast zu ernst“ (aus Kinderszenen op.15)
Album: KINDERSZENEN * KREISLERIANA –
Martha Argerich, Klavier.
Robert: Lieber Hiller!
Dein Brief macht mir immer mehr Lust auf Düsseldorf. Sei nun so gut,
mir zu schreiben, bis wann du glaubst, dass die Herren Vorstände einen
bestimmten Entschluss von mir wünschen. Noch eines: Ich suchte
neulich in einer alten Geographie nach Notizen über Düsseldorf und
fand da unter den Merkwürdigkeiten angeführt: drei Nonnenklöster und
eine Irrenanstalt. Die ersteren lasse ich mir gefallen allenfalls; aber das
letztere war mir ganz unangenehm zu lesen.
Ansage:
Robert Schumann in Düsseldorf.
Warum der Sachse im Rheinland scheitern musste.
Ein Feature von Eva Weissweiler
Musik ENDE
1.) Entscheidung für Düsseldorf
Autorin: Dresden, im November 1849. Robert Schumann, 39 Jahre alt,
verheiratet mit Clara, einer berühmten Konzertpianistin, Vater der Kinder
Marie, Elise, Julie, Ludwig und Ferdinand, erhält einen Brief, der sein
Leben gründlich verändern soll. Er stammt von Ferdinand Hiller, einem
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guten Freund, derzeit städtischer Musikdirektor in Düsseldorf, der ihm
vorschlägt, sein Nachfolger zu werden, da er selbst ins benachbarte
Köln wechseln wolle.
Zitator: (Ferdinand Hiller)
Die Stadt besitzt einen überaus angenehmen Künstlerkreis, einen
vortrefflichen Chor sowie ein tüchtiges und sehr routiniertes Orchester.
Das Verhältnis zu den Vorständen der musikalischen Vereine ist ein
durchaus freundliches – die Verpflichtungen bestehen in einer
wöchentlichen Gesangsübung, sechs bis zehn Konzerten und drei bis
vier Kirchenmusiken jährlich zu dirigieren, sind also wirklich sehr wenig
zeitraubend. Das Gehalt beträgt 750 Taler.
Autorin: Schumanns Frau Clara ist sofort begeistert.
Clara: Wir gehen sehr wahrscheinlich im Juni nach Düsseldorf, wo man dem
Robert eine Musikdirektorstelle angeboten hat.
Autorin: Schreibt Clara Schumann an eine Freundin.
Clara: Ist nun auch die Stelle seines Ranges als Künstler nicht würdig, so muss
ja doch ein Jeder einmal erst anfangen. Dabei nun eröffnet sich auch mir
ein neuer Wirkungskreis, ich kann dort mehr Stunden geben als hier,
kann in Konzerten spielen, kann die umliegenden Rheinstädte
besuchen, schnell einmal in Holland sein. Gott gebe seinen Segen zu
unserem neuen Leben, das mit dieser Stellung beginnt, und beschütze
meinen geliebten Robert, der mein höchstes Glück ausmacht.
O-Ton 1: Uwe Henrik Peters
Sie war es ja wohl gewesen, die überhaupt sehr stark dafür war, dass er
nach Düsseldorf ging.
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Autorin: Uwe Henrik Peters, Psychiater, Neurologe und Psychotherapeut, der
sich seit langem mit dem Leben und Werk Robert Schumanns befasst.
O-Ton 2: Uwe Henrik Peters
Es war aber eine herausragende Stellung, und das war genau das, was
Clara brauchte. Sie hing sehr an dieser Position und den damit
verbundenen großen Ehren und „Assembleen“, wie ihr Vater sagte, also
Gesellschaften zu geben, private Konzerte zu geben, während er eher in
der Stille für sich alleine in seinem Zimmer komponieren würde oder
Briefe schreiben würde. Er musste seine Ruhe dafür haben.
Autorin: Und zwar nicht nur, weil er Komponist und kein Podiums-Star war, so
Thomas Synofzik, Direktor des Robert-Schumann-Hauses in Zwickau
und Herausgeber der seit 2005 erscheinenden neuen Briefausgabe, die
auf 50 Bände angelegt ist und besonders auf die Düsseldorfer Zeit
neues Licht wirft:
O-Ton 3: Thomas Synofzik
Es gab zwei Punkte, die ihn so’n bisschen störten. Zum einen der
Freund Mendelssohn, der zu der Zeit ja schon tot war, der hatte 1833 –
1835 ja in Düsseldorf gewirkt, und hatte erzählt, dass die Musiker ein
bisschen unprofessionell sind, ja vielleicht sogar „maliziös“ und nicht
gebildet. Der andere Punkt ist etwas pikanter. Schumanns einzige
Schwester ist 1817, da war Schumann sieben Jahre alt, in die
Irrenanstalt auf dem Sonnenstein in Pirna hier in Sachsen gekommen.
Das heißt, Schumann war wirklich von früher Kindheit mit
Geisteskrankheit konfrontiert. Und sie hat sich dann auch später selbst
das Leben genommen. 1847, da war er in Maxen nahe Dresden und
hatte da aus seinem Fenster den Blick auf diese Irrenanstalt auf dem
Sonnenstein in Pirna und konnte das nicht ertragen. Und das muss man,
glaube ich, als Kontext dazu wissen, um solche Äußerungen zu
verstehen, dass er Angst hatte, weil es eine Irrenanstalt in Düsseldorf
gab.
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MUSIK: Tr.20: „Sehr rasch“ (aus Kreisleriana op.16)
Album: Robert Schumann KINDERSZENEN * KREISLERIANA –
Martha Argerich, Klavier.
Autorin: Doch es gab auch Vieles, was für Düsseldorf sprach, denn nach der
gescheiterten Revolution von 1848 hatte sich das künstlerische Klima in
Dresden stark zum Nachteil verändert.
O-Ton 4: Michael Heinemann
Schumann hatte sich von Dresden sehr viel versprochen, weil hier
Wagner war, und weil hier Semper war.
Autorin: Michael Heinemann, Professor für Musikwissenschaft in Dresden,
Mitherausgeber der neuen Schumann-Briefausgabe.
O-Ton 5: Michael Heinemann
Und diese beiden Protagonisten sind eben nach 1848 nicht mehr da. Die
haben sich an der Revolution beteiligt, sie sind beide nach Zürich
exiliert. Und Schumann stand ganz alleine. Schumann hat sich aufs
Land zurückgezogen und hat sich nicht an den politischen Dingen aktiv
beteiligt. Hatte aber hier in Dresden auch gar keinen Ansprechpartner
mehr, mit dem er Ideen neuer Zukunftsmusik hätte bedenken können.
Und da, denk‘ ich, kam ihm das Angebot „Düsseldorf“ ganz gelegen…
MUSIK ENDE
Autorin: … zumal auch der Rhein als nationales Symbol schon seit seiner
Jugend große Faszination auf ihn ausübte:
MUSIK: Robert Schumann, Rheinische Symphonie
Sinfonie Nr 3 Es-dur, op 97. 1. Satz „Lebhaft“
New York Philharmonic / Leonard Bernstein
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O-Ton 6: Thomas Synofzik
Schumann hatte auch schon in Leipzig Rheinlieder geschrieben, zum
Beispiel in der „Dichterliebe“, „Im Rhein, im heiligen Strome“, wo es um
das Lochner-Altar-Bild im Kölner Dom geht, oder „Sonntags am Rhein“,
op. 36, von Robert Reinick. Vielleicht war das auch vorbestimmt, dass er
dann irgendwann mal da landen würde.
2.) Die Ankunft
Clara: Montag, den 2. September 1850, abends sieben Uhr, kamen wir in
Düsseldorf an, das wider unser Erwarten freundlich liegt, sogar auch von
einem kleinen Bergrücken umgeben ist, und wurden von Hiller und dem
Konzertdirektorium empfangen. MUSIK ENDE
Autorin: Aus Tagebüchern von Clara und Robert Schumann.
Robert: Abends Ständchen. Die Damen. Sehr fröhliches Fest im Geisler’schen
Saal.
MUSIK: Robert Schumann
Tr. 2: „Genoveva-Ouvertüre Op.81“
Polish National Radio Symphony Orchestra – Johannes Wildner
Clara: Beim Eintritt wurde Robert mit einem dreimaligen Tusche empfangen,
und bald begann die Genoveva-Ouvertüre, die in Betracht einer einzigen
Probe ganz leidlich ging. Nach dem Konzerte ging’s zum Souper, wo es
sehr lebendig zuging. Wir saßen mit Schadows, Hillers, Dr. Müllers,
Hasenclevers und anderen zusammen. - Überhaupt sind die Leute hier
immer lustig, besonders fällt einem das heitere, ungezwungene Wesen
der Damen auf, was wohl freilich auch zuweilen die Grenzen des
Anstandes überschreiten mag; das eheliche Leben soll hier mehr
französischer, leichter Art sein … MUSIK ENDE
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Autorin: Düsseldorf, eine Stadt mit 40 000 Einwohnern, im Vergleich zu Dresden
mit seinen knapp 100 000 relativ klein; seit 1815 preußisch;
Garnisonsstadt; viel Militär; viele hohe Beamte; Sitz des preußischen
Provinziallandtags und einer bedeutenden Kunstakademie; große
öffentliche Parks; einige Fabriken am Stadtrand; trotzdem zum Teil noch
sehr ländlich wirkend mit unbefestigten Straßen und einem Kälbermarkt
mitten in der Stadt; viele Tagelöhner, Bettler und Arbeitslose; Kinder, die
bis zu vierzehn Stunden am Tag in der Fabrik stehen; die Einwohner zu
mehr als 80 Prozent katholisch; zwei große katholische Stadtkirchen;
Prozessionen, Schützenfeste, Gesangvereine; bescheidene Häuser, die
den an das königliche Dresden gewohnten Schumanns finster und
trostlos vorkommen …
Clara: Alle unkomfortabel, ungemütlich große Fenster, ganz flache Mauern, die
Höfe durch garstige große Wände verbaut, für die Hausfrau auch gar
keine Bequemlichkeiten, kurz, wir waren sehr enttäuscht, denn da
Düsseldorf so im Grünen liegt, konnten wir nicht denken, dass es schwer
halten würde, ein Logis im Grünen und mit Garten zu bekommen.
O-Ton 7: Thomas Synofzik
Und von daher mussten sie dann quasi als Notlösung, nachdem sie drei
oder vier Tage gesucht hatten, erst mal dann schnell eine Wohnung
nehmen, die ihnen überhaupt nicht zusagte, eigentlich nur, um die Möbel
unterzukriegen.
Robert: Beischlaf. Räumerei. Unbehagliches Befinden. Schrecklicher
Straßenlärm und Hausärger. Gedanken an eine Logisänderung.
Clara: Die Hauptsorge aber war, dass Robert durch das fortwährende
Geräusch auf der Straße, Leierkasten, schreiende Buben, Wagen usw.,
in eine höchst nervöse, gereizte Stimmung geriet, die von Tag zu Tag
zunahm; arbeiten konnte er fast gar nichts und das wenige mit doppelter
Anstrengung.
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Autorin: Viermal in dreieinhalb Jahren werden die Schumanns in Düsseldorf
umziehen, mit fünf, später sechs kleinen Kindern keine ganz einfache
Prozedur: Allee-Ecke-Grabenstraße, Königsallee, Herzogstraße,
Bilkerstraße. Mal sind ihnen die Wohnungen zu dunkel, mal zu teuer,
mal zu feucht, mal zu laut, mal zu weit draußen. Aber ist wirklich nur
„Düsseldorf“ an diesen vielen Umzügen schuld?
O-Ton 8: Thomas Synofzik
In Dresden waren’s auch immerhin drei, also es war nicht ganz so
ungewöhnlich.
O-Ton 9: Uwe Henrik Peters
Es war ja das Problem, dass sie beide eigentlich nicht in die Wohnung
hineinpassten. Clara wollte spielen, er wollte komponieren, und dabei
kann er nicht noch jemand anderen Klavier spielen hören!
3.) Köln und der Katholizismus
Clara: Sonntag, den 29. September 1850, fuhren wir zu unserer Zerstreuung
nach Köln, das uns gleich beim ersten Anblick von Deutz aus entzückte,
vor allem aber der Anblick des grandiosen Domes, der auch bei näherer
Betrachtung unsere Erwartungen übertraf.
Robert: Nach Köln. Deutz. Der Dom. Tolles Gesindel.
O-Ton 10: Uwe-Henrik Peters
Und dieser erhabene gotische Dom, diese große Höhe hat ihn
außerordentlich beeindruckt als eines der größten Bauwerke der
Christenheit.
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O-Ton 11: Michael Heinemann
Und Schumann hat am Katholizismus auch der Kult begeistert. Und
dieses Schwärmen für den Katholizismus, das Sie ja bei E. T. A.
Hoffmann auch finden, die Musik von einer anderen Welt, diesen
Kirchenraum, auch für den Weihrauch, der entsteht, für dieses Kultische.
Rheinische Symphonie – langsamer Satz - das ist fast wie eine
Prozession.
MUSIK Robert Schumann
Sinfonie Nr 3 Es-dur, op 97. 3. Satz „Feierlich“
New York Philharmonic / Leonard Bernstein
Autorin: Immer wieder werden die Schumanns in diesen Jahren nach Köln
fahren, werden Konzerte dort geben und hören, Freunde besuchen,
weite Spaziergänge am Rhein machen, von wo sie bei klarem Wetter bis
aufs Siebengebirge sehen können.
Robert: So hoffen wir denn auf angenehme Tage und nach Kräften ersprießlich
zu wirken.
Autorin: Robert Schumann an Ferdinand Whistling in Leipzig, einen der
Hauptverleger seiner musikalischen Werke, dem er in großer Vorfreude
mitteilt, was er in Düsseldorf alles aufzuführen gedenkt:
Robert: Morgen über 14 Tage dirigiere ich die erste katholische Messe! Ein ganz
prächtiges Programm hab‘ ich mir für die Winterkonzerte gemacht:
Gades Comala, „Israel in Ägypten“ von Händel, die Johannes-Passion
von Bach, siebte Symphonie von Beethoven, G moll von Mozart,
Adventlied von mir, doppelchöriger Psalm von Mendelssohn, und
Altitalienisches von Palestrina wie auch Orlando di Lasso.
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4.) Der Musikverein
Autorin: Schumann bezieht sein Gehalt von der Stadt Düsseldorf, die sich in die
Programmgestaltung nicht weiter einmischt, sondern ihm und der
Direktion des Musikvereins freie Hand lässt. Man ist stolz, einen der
bekanntesten Komponisten Deutschlands am Pult zu haben. Außerdem
weiß man, dass er mit einer gefeierten Pianistin verheiratet ist, die der
Stadt zu neuem musikalischem Glanz verhelfen könnte. Über seine
Eignung für diese Stelle hat man wenig nachgedacht.
MUSIK ENDE
O-Ton 12: Thomas Synofzik:
Er hatte dann, als er seine erste Symphonie komponiert hatte, ab und zu
mal Gelegenheit zu dirigieren seine eigenen Werke, aber hat sich
irgendwie da nie besonders geübt – und von daher unvergleichbar z.B.
mit Felix Mendelssohn Bartholdy, der das von Kind auf wirklich alles
gelernt hatte, und der da reingewachsen ist.
Autorin: In der Direktion des Musikvereins, einem ehrenamtlichem Komitee, wirkt
die kulturelle und politische Elite der Stadt mit: ein Notar, ein
Rittergutsbesitzer, ein Advokat, mehrere Schriftsteller, ein Hofrat, ein
Kreisphysikus, Professoren der Kunstakademie, ein Druckerei-Inhaber,
ein Lehrer und ein Landgerichtspräsident. Es sind Rheinländer und
Preußen darunter, Sympathisanten und Gegner der Revolution, die in
Düsseldorf genauso heftig ausgetragen worden ist wie in Dresden und
sich hauptsächlich gegen die als Diktatur empfundene preußische
Fremdherrschaft gerichtet hat.
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Zitatoren: (Demonstrationen)
Freiheit, Gleichheit, Republik! Wär’n wir doch die Preußen quitt!
Arbeiter aller Gewerbe, die ihr kümmerlich von dem Werke eurer Hände
lebt, haltet fest zusammen! Vereinigt euch zur Beratung eurer
Interessen!
Autorin: Arbeiter und Handwerker, aber auch viele Kunstmaler, besonders
Mitglieder der sozialkritischen „Düsseldorfer Malerschule“, haben sich
der Bewegung angeschlossen und zum Boykott der Regierung
aufgerufen, die reagierte mit Erschießungen und Massenverhaftungen,
Belagerungszustand, Versammlungsverbot usw. Nun scheint Ruhe zu
herrschen. Aber unter den Arbeitern und Dienstboten ist eine Stimmung,
die Clara als aufmüpfig und frech empfindet:
Clara: Sie betrachten sich ganz unseresgleichen, nicht guten Tag geben sie
einem – es ist, als müsste man es für eine Gnade ansehen, wenn sie
einem etwas machen, und von Wort halten wissen sie alle nichts.
Autorin: Dem Düsseldorfer Musikverein gehören zeitweilig mehr als hundert
Sänger an, darunter viele Kunstmaler und ihre Frauen, 27 Streicher,
acht Holzbläser, sieben Blechbläser, das Ensemble gemischt aus Laien,
Militärmusikern und wenigen Professionellen. Nur zwei Tage vor der
Aufführung findet die erste Orchesterprobe statt, und zwar in typisch
rheinländischer lockerer Runde im Geisler’schen Saal, der einem
Hofkonditor gehört.
Über die Zusammensetzung von Chor und Orchester hat sein Vorgänger
Hiller ihm wenig verraten, so dass Schumann mit einem äußerst
inhomogenen Apparat konfrontiert wird, nicht nur in musikalischer,
sondern auch in politischer Hinsicht. Gegner, ja Erzfeinde sitzen hier
nebeneinander, Vertreter der preußischen Staatsgewalt neben
Sympathisanten der Revolution, die durch das Band der Musik versöhnt
werden sollen. Eine Aufgabe, auf die Schumann nicht vorbereitet ist,
zumal er nach Abschnitt sieben des rheinpreußischen
Verwaltungsgesetzes als „Ausländer“ gilt, denn er ist in Zwickau geboren
und somit „königlich-sächsischer Untertan“!
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5.) Das erste Konzert
MUSIK: Felix Mendelssohn Bartholdy,
Klavierkonzert g-Moll, 1. Satz. Op. 25.
Solist: Hough, Stephen {Klavier}
Orchester: City of Birmingham Symphony Orchestra
Dirigent: Foster, Lawrence
Autorin: Das erste Düsseldorfer Konzert unter Schumanns Leitung findet am 24.
Oktober 1850 statt. Er dirigiert. Seine Frau Clara sitzt mit Mendelssohns
G-Moll-Konzert am Klavier. Der Saal ist brechend voll. Musikfreunde aus
der ganzen Region sind gekommen. Clara hat riesigen Erfolg und ist
glücklich.
Clara: Es gelang mir alles vortrefflich, und nie kann ich mich eines so
allgemeinen Beifalls erinnern, als ich heute fand. Seit vielen Jahren ist
es das erste Mal wieder, dass ich ein Orchesterstück öffentlich
auswendig spielte. Sollte die Jugendkraft und Frische wohl noch einmal
wiederkehren? MUSIK ENDE
Autorin: Über Schumann dagegen sind die Urteile zwiespältig, vor allem über
seine eigene Komposition, „Adventlied“ für Chor und Orchester, das, so
die Presse …
MUSIK: Robert Schumann: Der Rose Pilgerfahrt op. 112
WDR Eigenproduktion: Das neue Orchester
Dirigent: Christoph Sperring - Chorus Musicus Köln
Zitator: (zeitgenössische Presse)
… wegen zu schwacher Besetzung und nicht genügender Festigkeit des
Chores, besonders in den Männerstimmen, bei schwer abzuleugnender
Unsangbarkeit einzelner Solostellen, den Eindruck nicht hervorbringen
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konnte, welchen es durch manche großartigen Chormomente sicherlich
erzielen kann.
Autorin: Schumann wird also als Dirigent und als Komponist kritisiert, was ihn
besonders getroffen haben muss…
O-Ton 14: Thomas Synofzik
Er hatte ja zum ersten Mal in seiner Karriere Orchester und Chor gleich
zur freien Verfügung, konnte also Werke, die er für solche Besetzungen
schrieb, dann auch gleich ausprobieren.
Autorin: Doch was nützte das, wenn die Direktion des Musikvereins ihm für so
komplizierte Uraufführungen nur zwei Orchesterproben gewährte, sei es
aus Sparsamkeit, Unkenntnis oder weil die Laien unter den Musikern
nicht mehr Zeit für ihr Ehrenamt hatten? So konnten die Werke fast nie
richtig zur Geltung kommen und erhielten deshalb oft schlechte Kritiken.
MUSIK ENDE
6. Beginn einer Krise
Autorin: Das Jahr geht zu Ende und die ersten Konflikte werden deutlich.
Zwischen Schumann und der nicht immer begeisterten Fachpresse, aber
auch zwischen den Eheleuten, die sich in musikalischen Fragen oft
uneins sind.
MUSIK: Robert Schumann
„Mit Feuer“ Klaviertrio d-Moll op. 63, 4. Satz
Solist: Alexander Schneider (Violine), Pabloa Casals (Violincello),
Mieczyslaw Horszowski (Klavier)
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Autorin: 9. November 1850. Claras erster Kammermusikabend in Düsseldorf. Sie
begleitet einige Lieder am Klavier und spielt sein Klaviertrio d-Moll aus
dem Jahr 1847, das nur mäßigen Beifall erhält. Robert ist wütend.
Clara: Ich weiß kaum noch, wie ich spielen soll! Während ich mich bemühe,
den Sänger möglichst zart zu begleiten, spricht Robert, meine
Begleitung ist ihm schrecklich! Müsste ich nicht mein Spiel auch
benutzen, um auch etwas zu verdienen, ich spielte wahrhaftig keinen
Ton mehr öffentlich, denn was nützt mir der Beifall der Leute, wenn ich
ihn nicht befriedigen kann.
Autorin: Schumann zieht sich zurück, spricht mit ihr kaum noch über seine
Kompositionspläne, das Violoncello-Konzert, die Rheinische Symphonie,
die Ouvertüre zur „Braut von Messina“, zu „Julius Cäsar“, (MUSIK
ENDE) wahrscheinlich, weil auch sie öfter angemerkt hat, Vieles darin
sei ihr „nicht recht klar“.
Mit gerade Vierzig setzt er sein künstlerisches Testament auf, in dem er
nicht Clara, sondern zwei Musikerfreunden das Verfügungsrecht über
seine Werke einräumt:
Robert: Da wir alle sterblich sind, möchte ich in Hinsicht meiner
zurückbleibenden Kompositionen anordnen, dass Gade oder, ist dieser
verhindert, Julius Rietz über etwa noch herauszugebende Werke,
natürlich im Einvernehmen mit meiner lieben Clara, entscheiden möchte.
Autorin: Zwar erwähnt das Haushaltsbuch immer noch jeden ehelichen Verkehr,
der etwa alle zwei bis drei Tage stattfindet. Aber die Stimmung ist
trotzdem sehr angespannt, auch den fünf Kindern Marie, Elise, Julie,
Ludwig und Ferdinand gegenüber, die 1850 zwischen neun Monaten
und neun Jahre alt sind:
MUSIK: Tr.11: „Fürchtenmachen“ (aus Kinderszenen op.15)
Album: Robert Schumann KINDERSZENEN * KREISLERIANA
– Martha Argerich.
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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
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Zitatorin: (Marie Schumann)
Die Eltern waren den Nachmittag nicht zu Hause gewesen, und ich hatte
unserer Haushälterin nicht gefolgt.
Autorin: Marie, Schumanns älteste Tochter, in ihren Erinnerungen.
Zitatorin: (Marie Schumann)
Als die Eltern abends heimkehrten, erzählte sie ihnen sogleich, wie
unartig ich gewesen. Als ich das hörte, versteckte ich mich auf einem
kleinen Hof. Mein Vater kam an die Hoftüre und rief mich. Zögernd
näherte ich mich. Er haschte nach mir, und da ich in demselben
Augenblicke zu entweichen suchte, traf er mich so unglücklich, dass ich
am anderen Tage ein ganz geschwollenes Gesicht und Auge hatte. Die
armen Eltern entsetzten sich, und die Mutter ging mit mir zum Arzt. Sie
erzählte, sie habe mich geschlagen. Das rührte mich sehr.
Autorin: Dieser Arzt, Wolfgang Müller von Königswinter, der nicht nur Mediziner,
sondern auch Dichter ist und in Schumanns „Singekränzchen“, einem
kleinen Privatchor, mitwirkt, macht sich Sorgen um die Familie und
schreibt an einen Freund:
Zitator: (Müller von Königswinter)
Schumanns leben hier sehr still und abgeschlossen. In engerer
Geselligkeit könnte man viel mehr von ihnen haben und auch im
größeren Zirkel könnte ihre musikalische Vermittlung bedeutsamer sein.
Es liegt viel an der Frau, die ihren Mann zu ängstlich hütet und ihm die
männliche Entschiedenheit nimmt. MUSIK ENDE
7.) Unangenehme Störungen
Robert: 17. März 1851. Drei Lieder von Lenau. Einsamkeit. Bedenken wegen
längeren Bleibens in Düsseldorf. 28. März 1851. Abends Verein.
Elender. 3. April. Ewige Ärgernisse. Schulgeld für Marie, Lieschen und
Julie 36 Taler. 16. April. Karfreitag. Frühling. Nachtigallen.
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MUSIK: Robert Schumann
Tr.8 : „Nicht schnell“ aus Drei Romanzen, op. 102
Nicolas Altstaedt (Violoncello), José Gallardo (Klavier)
Autorin: Spätestens im Frühjahr 1851, knapp sechs Monate nach Schumanns
Ankunft in Düsseldorf, ist selbst seinen engsten Freunden und Verehrern
klar, dass er seiner Position nicht recht gewachsen ist.
Zitator: (Wasielewski)
Es fehlte ihm das Vermögen, sich mit größeren Kreisen in engen
Rapport zu setzen, ihnen seine Intentionen klar und anschaulich zu
machen …
Autorin: So der Geiger Wilhelm Joseph von Wasielewski, den Schumann als
Konzertmeister nach Düsseldorf engagiert hatte.
Zitator: (Wasielewski)
Das Letztere darum, weil er entweder gar nicht oder doch so leise
sprach, dass er nur selten verstanden wurde.
O-Ton 15: Michael Heinemann
Die Anweisungen an das Orchester verstand nur einer, das war sein
Dirigierstab, und den hielt er vor den Mund.
O-Ton 16: Uwe Henrik Peters
Man musste ganz dicht an ihn ran treten, um mit ihm zu kommunizieren.
Und dadurch hat sich das denn auch entwickelt, dass er das
Sprechorgan nicht weiter übte.
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O-Ton 17: Thomas Synofzik
Eine Sache ist sicherlich auch die Dialektfrage. Schumann war Sachse,
er konnte sich einfach nicht verständlich machen, weil die im Rheinland
Rheinländisch sprachen und er eben Sächsisch.
Zitator: (Wasielewski)
Dann auch mangelte ihm die physische Ausdauer und Energie zu einem
Direktorialposten. Er war immer sehr bald erschöpft und musste von Zeit
zu Zeit ausruhen im Verlauf einer Probe.
O-Ton 18: Michael Heinemann
Das Zweite war, dass Schumann ja kurzsichtig war und eine Brille hätte
tragen müssen, auch beim Dirigieren, was er aber unterlassen hat. Und
das kann ich mir lebhaft vorstellen, hat dann die Einsätze in eine
unbestimmte Richtung gegeben, so dass die Leute gar nicht wussten,
wer möglicherweise gemeint war.
Autorin: Die bislang um Höflichkeit bemühte Presse nimmt nun kein Blatt mehr
vor den Mund. Von „misslungenen“ Aufführungen ist die Rede, von
„unangenehmen Störungen durch Hornverstöße“, ja von
„Unglücksabenden“. Und das Schlimmste ist: Die Schumanns vermuten
enge Freunde unter den Autoren, die ihre Namen aus Feigheit nicht zu
nennen wagen.
MUSIK ENDE
8.) Guter Hoffnung
Autorin: Es werden Pläne gemacht, die Stadt wieder zu verlassen. Aber wohin?
Berlin und Wien sind im Gespräch. Manchmal auch England. Doch
immer, wenn sie konkretere Formen annehmen, stellt Clara fest, dass
sie wieder schwanger ist, wie z.B. im Frühjahr 1851 mit ihrem sechsten
Kind, der Tochter Eugenie.
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Clara: Bei uns ist sonst alles wohl, auch Robert, soweit es überhaupt sein sehr
reizbares Gemüt zulässt.
Autorin: Clara Schumann an ihre Schwägerin Pauline.
Clara: Mir geht es jetzt nicht so wohl, doch dies hat seinen guten Grund, ich bin
wieder einmal guter Hoffnung und leide seit vierzehn Tagen an
fortwährendem Übelsein, was mir wohl das Leben verbittert. Ich hätte
wohl gerne noch etwas Ruhe gehabt, doch der Himmel will es nun
einmal so, und dass ich noch nicht fertig bin, dachte ich mir wohl immer!
MUSIK: Robert Schumann
Tr. 4: „I. Nicht schnell, mit Innigkeit“ Dénes Várjon (Piano)
Aus: Bunte Blätter, op. 99
Autorin: Nach außen hin nimmt alles seinen gewohnten Gang, ein ganz
normales, beinahe biederes Familienleben.
Zitator: (Wasielewski)
Vormittags bis gegen zwölf Uhr arbeitete er, dann unternahm er
gewöhnlich in Begleitung seiner Gattin und des einen oder anderen
näheren Bekannten einen Spaziergang.
Autorin: Schumanns Konzertmeister Wasielewski in seinen Erinnerungen.
Zitator: (Wasielewski)
Um ein Uhr speiste er, und arbeitete dann nach kurzer Erholung bis fünf
oder sechs Uhr. Hierauf besuchte er meist einen öffentlichen Ort oder
eine geschlossene Gesellschaft, deren Mitglied er war, um Zeitungen zu
lesen. Am gemütlichsten befand er sich im engeren Freundeskreise bei
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einer Zigarre und einem Glase guten Bieres oder Weines, von welchem
letzterem er dem Champagner den Vorzug gab.
MUSIK ENDE
MUSIK: Robert Schumann
Tr. 1: -1- Mit leidenschaftlichem Ausdruck“
Aus Sonate Nr. 1 en la mineur pour piano et violon, op. 105
Robert Zimansky (Violon), Christoph Keller (Piano)
9.) Kompositionsrausch
Autorin: Schumann „arbeitete“ – damit meinte Wasielewski nicht etwa, dass er
mit dem Orchester probte oder Werke für die nächsten Konzerte
studierte, sondern dass er tat, was sein eigentliches Leben war:
Komponieren. In rasendem Tempo bringt er während der Düsseldorfer
Zeit ein Drittel seines Gesamtwerks zu Papier, in nahezu allen
denkbaren musikalischen Gattungen, Symphonien, Solokonzerte,
Ouvertüren, Lieder, Klavierstücke, Chorballaden, Violinsonaten, sogar
eine Messe und ein Requiem.
O-Ton 20: Michael Heinemann
Wenn man die Tagebücher sieht, wenn man sieht, was er alles tagsüber
gemacht hat, wenn man sieht, was er komponiert hat, wenn man seine
Korrespondenz sieht, wenn man weiß, mit welchen Leuten er Kontakt
hatte, und wenn man vielleicht auch noch eine gewisse Geselligkeit bis
zum Alkoholkonsum in Rechnung stellt, dann fragt man sich, wie hat der
Mann das eigentlich alles organisatorisch, logistisch auf die Reihe
gekriegt? Das ist wirklich verblüffend.
O-Ton 21: Uwe Henrik Peters
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Mein Ergebnis ist eigentlich, dass das eine Flucht war. Jeder kreative
Mensch kennt das. Dann ist man in einer ganz anderen Welt und fühlt
sich wunderbar in dieser Welt. Und so kann ich mir das eigentlich nur
erklären, dass das also ein Abwehrmechanismus war, um die
Gegenwart ertragen zu können.
Autorin: Clara macht sich allerdings große Sorgen, weil er so viel komponiert und
schreibt an ihre Schwägerin Pauline in Schneeberg:
MUSIK ENDE
Clara: Ich zittere wohl manchmal, wenn ich seinen Geist so unaufhaltsam fort
schaffen und denken sehe!
10.) Häusliche Sorgen
MUSIK: Ludwig van Beethoven
„Leonoren-Ouvertüre“ aus Nr , op 138
Wiener Phiharmoniker
Dirigent: Claudio Abbado
Autorin: 8. Januar 1852. Konzert des Düsseldorfer Musikvereins. Die „Rheinische
Zeitung“ schreibt über die Leistung des Orchesters unter Robert
Schumann:
Zitator: (Zeitgenöss. Presse)
Die mächtige Leonoren-Ouvertüre ward feurig und präzise durchgeführt.
Sehr störend jedoch wirkte, dass im Anfang die Holzblasinstrumente ihre
rechte Stimmung noch nicht erlangt hatten, woher denn die ganze
Einleitung durchaus unrein klang. Fänden die Herren Musiker sich früh
genug vor Beginn der Musik ein, so könnte solch eine Störung nimmer
vorkommen.
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MUSIK ENDE
Clara: Bei uns geht sonst alles gut.
Autorin: Clara Schumann an ihre Mutter, die Cembalistin Marianne Bargiel in
Berlin.
Clara: Die kleine Eugenie gedeiht ganz prächtig. Sie hat Füßchen und
Beinchen, als ob sie schon drei Monat alt wäre.
Mir geht es auch so weit gut, nur kann ich noch gar nicht spielen, weil
mir die Brust zu angegriffen ist. Die Milch ist noch nicht ganz fort, und
bei jeder Bewegung der Hände bekomme ich Schmerzen. Mit Stunden-
Geben fange ich jetzt wieder an, das greift die Brust doch nicht so an,
als selbst spielen.
Autorin: Die Anzahl der Schwangerschaften und Entbindungen war bekannt.
Aber nicht die Leiden, die damit verbunden waren. Sie werden erst aus
der neuen Briefausgabe, besonders aus den Briefen an ihre Mutter,
deutlich.
Clara: Mein Unwohlsein war noch Folge des bösen Wochenbetts, es war viel
Blut zurückgeblieben, und so bekam ich, nachdem ich schon wieder
einmal meine Periode gehabt, nach dem Konzert am 28. Oktober
plötzlich wieder Blutverlust, der sich zu fürchterlichen Blutungen
steigerte, so dass ich mich legen musste und vier Wochen lag, bis dann
endlich kalte Sitzbäder wohltätig wirkten. Dass das Übel überhaupt so
schlimm geworden, lag wohl daran, dass ich trotz dieses unzeitigen
Blutverlustes mit Robert, der jetzt Wasser trinkt und viel laufen muss,
alle Tage drei Mal spazieren musste, und damit hatte ich den Unterleib
zu sehr angestrengt.
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O-Ton 23: Thomas Synofzik
Sie hat das ganz phantastisch gemeistert, das alles zu tun, ist ja wirklich
eine einzigartige Karriere im 19. Jahrhundert – als Künstlerin auf der
Bühne zu stehen, Heirat, Schwangerschaften, auch den kranken Mann
dann noch zu versorgen, Geld zu verdienen, die Kinder zu ernähren und
sich selbst, das ist wirklich einzigartig.
Autorin: April 1852. Umzug auf die Herzogstraße, der dritte innerhalb von
anderthalb Jahren. Eugenie, das jüngste Kind, ist gerade fünf Monate
alt, Ferdinand etwas über zwei Jahre. Clara besorgt wie immer den
ganzen Umzug.
Clara: Nun endlich ist alles im Logis und eben will ich Roberts Zimmer
einräumen, als nebenan Fingerübungen ertönen, und mein Mann, ganz
außer sich, sich entschließen muss, in ein Zimmer im Hinterhaus zu
ziehen.
Kaum acht Tage darin, sagt er, er könne es da nicht aushalten, denn es
sei ihm zu hoch, also muss ich ihm die gute Stube einräumen und nach
hinten ziehen, mein Instrument aber ganz hinten in ein kleines
Zimmerchen stellen, wo es so feucht ist, dass der Schimmel auf der
Tapete sitzt. Auch ist die Amme furchtbar teuer, sechs Taler monatlich,
und was sind die Lebensmittelpreise gestiegen! Das Pfund Rindfleisch
kostet jetzt bei uns vier Silbergroschen!
Am liebsten zögen wir ganz fort von hier, sage mir nur, liebste Mama,
wäre denn in Berlin gar nichts für Robert zu wirken? Z.B. so eine Stelle
als Direktor am Domchor? Robert würde sich gar nicht sträuben,
deshalb an den König selbst zu schreiben, überhaupt wird er gern alles
tun, was sich mit seiner Künstlerehre verträgt.
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11.) „Nervöse Krämpfe“
MUSIK: Robert Schumann,
“Berg und Burgen schaun herunter” aus: Liederkreis, op. 24
Solist: Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), Christoph Eschenbach
(Klavier)
Robert: 28. Juni 1852. Früh um acht Uhr Fahrt ins Ahrtal. Gewitterhafter Himmel,
sehr unstetes Wetter. Ahrweiler, Walportsheim. Dann wildere
Felspartien, etwas an das Münstertal der Schweiz erinnernd. Die Ruine
von Altenahr bestiegen. MUSIK ENDE
Dienstag, den 29. Juni 1852. Früh um halb acht mit Clara zu Fuß nach
der Apollinariskirche und danach über Rolandseck nach Königswinter.
Freundlicher Weg und Freude an Clara, die sehr tapfer marschiert. –
Donnerstag, 1. Juli. Große Hitze. Viel am „Pagen und der Königstochter“
gearbeitet. Zu viel. Freitag, 2. Juli. Desgleichen. Schlimmer Anfall in
Plittersdorf.
Autorin: Was genau geschehen ist, wird nirgends vermerkt. Von
„hypochondrischen Gedanken“ und „nervösen Krämpfen“ ist die Rede.
Marie, die älteste Tochter, selbst erst elf Jahre alt, wird gerufen. Zwei
junge Musikerfreunde eilen herbei.
Robert: Zurück nach Düsseldorf. Noch sehr krank.
Clara: Nun sagt der Arzt, er habe gar keine Sorge, sein Körper sei ganz
gesund, er solle aber entweder ins Seebad oder in eine Kalt-Wasser-
Anstalt. Zu beidem hat er keine Lust.
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O-Ton 24: Uwe Henrik Peters
Damals hat man gesagt: Das ist Überarbeitung! Und hat ihn dann zum
Schwimmen und zu Badekuren geschickt und zu Ruhe auf dem Lande.
Heute nennt man das Burn-Out.
Autorin: Doch je mehr er sich zur Erholung zurückzieht, um so mehr entgleiten
ihm Orchester und Chor. Er muss sich vertreten lassen, wichtige Proben
versäumen. Die Unzufriedenheit mit ihm wächst. Selbst Freunde
reagieren mit Besorgnis und Befremden, obwohl er sich immer wieder
redlich bemüht, ein „guter“ Rheinländer zu sein, in die Brauhäuser und
sogar auf Karnevalsfeste geht, wo er sich als Zigeuner oder Herr mit
Domino verkleidet.
Robert: Fastnachtsdienstag. Instrumentation der Messe. Fleißig. Furchtbarer
Schnupfen. Sehr fleißig. Stürmische Konferenz. Abends Probe. Friseur
…
12.) Resignation
MUSIK: Robert Schumann
Tr.7: „Coquette“ aus Carnaval, Op. 9
Andrei Gavrilov (Klavier)
Autorin: Herbst 1852. Vierter und letzter Umzug, diesmal auf die Bilker Straße,
gegenüber dem heutigen Heinrich-Heine-Institut. Endlich scheinen sie
es einmal gut getroffen zu haben.
Clara: Roberts Zimmer ist sehr freundlich und still gelegen, so dass er wie in
einem Kästchen sitzt. Die größte Annehmlichkeit ist noch die, dass ich
mein Studierzimmer im zweiten Stock habe, wo Robert nichts hören
kann. Zum ersten Male nach unserer Verheiratung treffen wir es so
glücklich!
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Autorin: Doch Robert scheint sich nicht recht zu erholen, sondern teilt der
Direktion des Musikvereins mit, sein Arzt habe ihm gesagt …
Robert: … dass ich einige Zeit noch größere Anstrengungen vermeiden müsse
und den Singverein noch nicht dirigieren könne.
MUSIK ENDE
Autorin: Außerdem sei es für einen Komponisten wie ihn unzumutbar, nach
getaner schöpferischer Arbeit auch noch die Übungen eines Dilettanten-
Chores zu leiten! Er selbst schlägt einen Vertreter vor, Julius Tausch,
einen jungen Mann von 25 Jahren, der schon öfter für ihn
eingesprungen ist und sich beim Chor großer Beliebtheit erfreut.
Autorin: Am 14. Dezember 1852 geht eine Antwort ein, aus der Feder von
Wilhelm Wortmann, Beigeordneter, Leutnant und Oboist, Mitglied der
Musikvereins-Direktion, langjähriger Amateur-Musiker im Orchester.
Robert: Frecher Brief des Herrn Wortmann. Aufregung Claras.
Autorin: Von größtem Unmut im Gesangsverein ist die Rede. Von einer
Versammlung, auf der Schumanns Absetzung beschlossen werden
könne. Ob er nicht freiwillig und auf Dauer abtreten wolle? Zumindest als
Chordirigent?
O-Ton 25: Uwe Henrik Peters
Leider haben beide die Überzeugung gehabt, dass das nicht an ihnen
selbst liegt, auch nicht an Schumann selbst liegt sondern an den
Menschen, mit denen sie zusammen waren. Und dauernd schimpfen sie
über diese bösen Menschen, die sich falsch verhalten. Natürlich ist er
gemobbt worden. Der Chor wird unzufrieden. Der sagt sich: Er mag ein
Genie sein, aber jetzt soll er mal ordentlich einen Chor dirigieren!
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Autorin: Noch hat Schumann Freunde im Musikverein, die ihn unterstützen,
Wortmanns Brief als respektlos und unpassend ansehen und aus
Protest von ihren Ämtern im Vorstand zurücktreten, so dass ein neuer
gewählt werden muss. Der beschließt, dass Julius Tausch in Zukunft die
Chorproben leiten solle, Schumann aber die öffentlichen Konzerte, um
keinen Image-Verlust zu erleiden.
13.) Ende der Romantik
Autorin: Schon im Winter 1852 hat sich in Düsseldorf ein „Anti-Musikverein“
gebildet …
Zitator: (zeitgenöss. Presse)
… dessen Wirken gegen schlechte und schlecht aufgeführte Musik
gerichtet ist.
Autorin: Berichtet ausgerechnet die „Neue Zeitschrift für Musik“, die 1834 von
Schumann selbst begründet und zehn Jahre lang von ihm redigiert
worden ist. Hinter diesem „Anti-Musikverein“, einem karnevalistischem
Stammtisch, stehen Mitglieder der sozialkritischen „Düsseldorfer
Malerschule“, Künstler wie Andreas Achenbach oder Johann Peter
Hasenclever, in deren Kreis schon lange über Schumann gespöttelt
wird, weil er sich einfach nicht integriert, nicht in Düsseldorf „ankommt“
und nach zwei Jahren immer noch so stark sächselt, dass man Mühe
hat, ihn zu verstehen:
O-Ton 26: Thomas Synofzik
Es gibt von der Düsseldorfer Malerschule eine Monatsschrift, die
„Düsseldorfer Monatshefte“, da würde man heute sagen, eine Cartoon-
Zeitschrift, und da gibt’s eine sehr witzige Zeichnung, da kommt ein
kleiner Junge an den Düsseldorfer Bahnhof, und möchte eine Fahrkarte
ins heimische Pirna kaufen. Er kann sich aber leider überhaupt nicht
verständlich machen, weil er sagt, er will nach „Pörna“ und nach „Bärnä“
und auch Buchstabieren hilft nicht.
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MUSIK: Robert Schumann
Tr. 7: „Einfach, innig“ aus Drei Romanzen, op. 94
Nicolas Altstaedt (Violoncello), José Gallardo(Klavier)
Autorin: Ein Gemälde von Hasenclever, „Musikalische Abendunterhaltung“,
nimmt genau jene Soireen und Hauskonzerte aufs Korn, die bei den
Schumanns so häufig stattfanden: ein Pianist hingegossen am Flügel,
auf dem Noten mit der Überschrift „Ob ich dich liebe“ stehen, eine
Sängerin im roten Ballkleid, ein preußischer Offizier, der sie lüstern
anstarrt, dicke Frauen mit Teetassen, Mädchen, die sich Luft zu fächern,
ein Hund, der an einem schlafenden Kind hochspringt, Kristall-Lüster,
Samtportieren, Ahnenporträts …
Es ist, scheint dieses Bild zu sagen, das Ende der Romantik gekommen,
das Ende der Soireen, Singekränzchen und Sentimentalitäten.
Schumann wird in Düsseldorf zunehmend als weltfremd
wahrgenommen, als jemand, der nur in seiner eigenen Welt lebt.
MUSIK ENDE
MUSIK: Robert Schumann
Tr. 5: „Sehr langsam“ aus Kreisleriana op.16 ,
Maurizio Pollini, Klavier
Zitator: (Wasielewski)
Als ich im Mai 1853 eines Nachmittags in Schumanns Zimmer eintrat,
lag er auf dem Sofa und las in einem Buche.
Autorin: Wilhelm Joseph von Wasielewski in seinen Erinnerungen.
Zitator: (Wasielewski)
Auf mein Befragen, was der Inhalt des letzteren sei, erwiderte er mit
gehobener, feierlicher Stimme:
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Robert: Oh! Sie wissen noch nichts vom Tischrücken?
Zitator: (Wasielewski)
Wohl! sagte ich in scherzendem Tone. – Hierauf öffneten sich weit seine
für gewöhnlich halb geschlossenen Augen, die Pupille dehnte sich
krampfhaft auseinander und mit eigentümlich geisterhaftem Ausdrucke
sagte er unheimlich und langsam:
Robert: Die Tische wissen alles!
Zitator: (Wasielewski)
Dann rief er seine zweite Tochter herbei und fing an mit ihr und einem
kleinen Tische zu experimentieren, wobei er den letzteren auch den
Anfang der C-moll-Symphonie von Beethoven markieren ließ. Die ganze
Szene hatte mich aber aufs Äußerste erschreckt, und ich erinnere mich
genau, dass ich meine Besorgnisse sogleich gegen Bekannte äußerte.
14.) Widersprüche
Autorin: Wasielewski ist, wie viele seiner Zeitgenossen, der Meinung, dass
Schumann schwer krank, geisteskrank sei und macht sich Sorgen um
seinen Freund, der sich auch im Musikverein immer seltsamer gibt.
MUSIK ENDE
Zitator: (Wasielewski)
Bei einer Komitee-Sitzung sollte ein Beschluss gefasst werden, mit dem
Schumann nicht einverstanden war. Ohne ein Wort zu sprechen, griff er
nach seinem Hute und verließ das Sitzungslokal …
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Autorin: Andererseits gibt es gerade aus dieser Zeit viele klar und gut formulierte
Briefe, in denen er mit seinen Verlegern selbstbewusst über den Verkauf
seiner Werke verhandelt:
MUSIK: Robert Schumann
Tr.14: “Im Anfang ruhiges, im Verlauf bewegtes Tempo”
aus: Gesänge der Frühe, op. 133, Maurizio Pollini (Klavier)
Robert: Geehrter Herr Dr. Arnold, einen Vorschlag habe ich, der sich vielleicht
Ihres Beifalls erfreuen wird. Ich möchte die Fughetten wegen ihres meist
melancholischen Charakters nicht erscheinen lassen und biete Ihnen ein
anderes, vor Kurzem beendigtes Werk an, „Gesänge der Frühe“, fünf
charakteristische Stücke für Pianoforte, der Dichterin Bettina gewidmet.
Es sind Musikstücke, die die Empfindungen beim Herannahen und
Wachsen des Morgens schildern.
O-Ton 27: Thomas Synofzik
Das ist ein Mann, der konnte wirklich im besten Sinne „schachern“, und
konnte immer noch ein bisschen mehr herauskitzeln und war sich auch
völlig bewusst, was er eigentlich wert ist..
Robert: Da nun diese Komposition unbezweifelt größere Teilnahme als die
Fughetten finden wird, so mach ich mir noch ein Honorar von 10
Friedrich d‘or zur Bedingung, und bitte Sie, geehrter Herr, mir darüber
eine baldige Antwort zukommen zu lassen, da ich die Gelegenheit habe,
die Komposition auch in Leipzig unterzubringen zu einem höheren
Honorar, das ich auch nur deshalb so billig gestellt habe, um Ihnen das
Geschäft zu einem akzeptablen zu machen.
MUSIK ENDE
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15.) Neue Bahnen
Autorin: In das Jahr 1853 fällt Schumanns Begegnung mit Joseph Joachim,
einem begnadeten jungen Geiger aus Hannover, und dessen Freund,
dem zwanzigjährigen Komponisten Johannes Brahms, die ihn beide
beglücken und faszinieren werden. Über Brahms schreibt er in der
„Neuen Zeitschrift für Musik“ einen hymnischen Aufsatz, „Neue Bahnen“:
MUSIK: Johannes Brahms
“Sonate Nr 1 C-dur, op 1” Detlef Kraus (Klavier)
Robert: Ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten.
Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen:
Das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er an, wunderbare
Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise
hineingezogen. Es waren Sonaten, mehr verschleierte Sinfonien, Lieder,
deren Poesie man ohne Worte verstehen würde.
Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister.
Schließt den Kreis fester, dass die Wahrheit der Kunst immer klarer
leuchte, überall Freude und Segen verbreitend!
Autorin: Damit habe Schumann, so meinen Viele, deutlich gemacht, dass seine
Zeit zu einem Ende gekommen sei, dass er sein Vermächtnis an einen
Jüngeren, Johannes Brahms, weiterreichen wolle. Tatsächlich
komponiert er nach dem Klavierzyklus „Gesänge der Frühe“ nur noch
sporadisch und schreibt an den Geiger Joseph Joachim:
MUSIK ENDE
Robert: Zwischen diesen Zeilen steht eine Geheimschrift, die später
hervorbrechen wird. Die Musik schweigt jetzt, wenigstens äußerlich. Nun
will ich schließen. Es dunkelt schon.
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16.) Finale
MUSIK: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert, 1. Satz
Konzert D-dur, op 61
Dirigent: Wilhelm Furtwängler, Solist: Erich Röhn
Berliner Philharmoniker
Autorin: Am 27. Oktober 1853 hat Schumann seinen letzten öffentlichen Auftritt
als Dirigent in Düsseldorf. Auf dem Programm steht u.a. Beethovens
Violinkonzert mit Joseph Joachim als Solist. Es kommt, wie schon kurz
vorher in der Maxkirche, fast zur Revolte im Publikum. Ein Orchester-
und Direktionsmitglied referiert:
Zitator: (Wilhelm Wortmann)
Der eine nannte die Direktionsweise eine Menschenquälerei. Der
andere, ein höherer Offizier, sagte, er habe viel gereist und mitunter
schlechte Dirigenten gesehen, aber noch keinen unfähigeren; er sei
überzeugt, dass in der ganzen preußischen Armee kein Infanterie-
Kapellmeister oder Stabstrompeter sei, der nicht seinen Chor besser
dirigiere als unser Herr Direktor, und wenn ein solcher es so mache,
würde man ihn entfernen.
MUSIK ENDE
Autorin: Am 7. November erscheinen zwei Mitglieder der Musikvereinsdirektion
auf der Bilker Straße und bitten um ein Gespräch mit Schumann. Sie
wollen ihm vorschlagen, künftig nur noch seine eigenen Werke zu
dirigieren und alles andere Julius Tausch zu überlassen.
Clara: Das war eine infame Intrige und eine Beleidigung für Robert, die ihn
zwingt, seine Stelle gänzlich niederzulegen, was ich den Herren auch
sogleich antwortete, ohne Robert gesprochen zu haben. Abgesehen von
der Frechheit, die zu solch einem Schritte einem Manne wie Robert
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gegenüber gehörte, so war es auch eine Verletzung des Kontraktes, die
Robert sich in keinem Fall gefallen lässt. O, es ist ein niederträchtiges
Volk hier. Die Gemeinheit herrscht hier, und die Gutgesinnten, ziehen
sich zurück, missbilligend, aber tatlos. Was hätte ich darum gegeben,
hätte ich mit Robert gleich auf und davon gehen können, doch wenn
man sechs Kinder hat, ist das so leicht nicht.
Autorin: Schumann kündigt seinen Vertrag und geht mit Clara, die mit Felix, dem
siebten Kind schwanger ist, auf Konzertreise, zunächst nach Holland,
dann nach Hannover, wo sie Johannes Brahms und Joseph Joachim,
ihre neuen Musikerfreunde, wiedertreffen, die mit ihnen feiern, lachen
und musizieren, als sei nichts geschehen.
Robert: Sehr fröhlich. Viel getrunken. Zu viel. Unruhige Nacht.
Autorin: Am 30. Januar 1854 sind sie wieder zurück in Düsseldorf. Bald darauf
setzen bei Schumann Gehörstäuschungen und „Kopfleiden“ ein, die der
Psychiater Uwe Henrik Peters als Alkoholdelir deutet.
O-Ton 28: Uwe Henrik Peters
Er war ein Hemmungstrinker, einer, der sich lösen musste mit Alkohol,
aber er ist nie volltrunken gewesen. Er ist nie durch Volltrunkenheit
aufgefallen. Aber er hat auch später noch in Endenich gesagt, jeden
Abend vor dem Essen wäre er erst mal was trinken gegangen. Das zieht
sich durch das ganze Leben.
Autorin: Eine These, die Thomas Synofzik bestreitet:
O-Ton 29: Thomas Synofzik
Es gab sicherlich in Robert Schumanns früher Zeit ganz viele
Alkoholexzesse in Leipzig um 1830, aber auch da, denk‘ ich, ist
Schumann im Laufe seines Lebens sehr gereift. Und er ist zwar auch in
den frühen Ehejahren sicher auch manchmal abends ausgegangen und
hat in der Kneipe gesessen und ein bisschen vielleicht was getrunken,
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aber dass das jetzt wirklich Exzesse waren, da gibt’s für die späten
Jahre überhaupt keine Belege mehr.
MUSIK: Robert Schumann
Tr.33: „Thema mit Variationen“ Es-Dur für Klavier
Eric Le Sage (Klavier)
Autorin: Während er mit der Niederschrift seiner „Geistervariationen“ beginnt,
einer der letzten von ihm überlieferten Kompositionen, ruft Clara einen
Arzt, der strenge Ruhe verordnet. Tochter Marie und ein Wärter passen
auf ihn auf.
Autorin: Am 27. Februar 1854, einem kalten, regnerischen Rosenmontag, kann
er in Schlafrock und Filzpantoffeln entkommen. Einer immer wieder
tradierten Legende nach ist er von einer Brücke in den Rhein
gesprungen, von zwei Schiffern gerettet und von einer johlenden Menge
zurückgebracht worden, nachdem er vorher seinen Ehering in den Rhein
geworfen habe. Aber das kann nach neueren Forschungen nicht
stimmen. MUSIK ENDE
O-Ton 30: Thomas Synofzik
Die Brücke über den Rhein, von der sich Schumann angeblich gestürzt
hat, war eine Ponton-Brücke, da kann man sich gar nicht runterstürzen.
Das Wasser war eisig kalt im Februar, das hat Uwe Henrik Peters
herausgefunden, find‘ ich ganz toll, da haben wir Wettermeldungen in
den Zeitungen, 2 ½ Grad war es an dem Morgen, also Schumann hätte
es nicht überlebt, wenn er wirklich da ins Wasser gesprungen wäre.
O-Ton 31: Uwe Henrik Peters
Ich habe Jahre lang nach Belegen gesucht dafür. Weil ich dachte, es
muss irgendwo stehen. Ich hab‘ das nicht in den Polizeiberichten
gefunden, nicht in den Zeitungsberichten gefunden, nicht in Briefen
gefunden, nicht in Tagebüchern gefunden, ich habe einfach keinen
Beleg dafür gefunden.
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O-Ton 36: Thomas Synofzik
Das lässt aber nicht das eigentliche Faktum eines Selbstmordversuches
bezweifeln, es ist nur die Frage, in welcher Form ist denn der erfolgt.
O-Ton 32: Michael Heinemann
Pantoffel, Februar, Karneval, glitschig, er ist nicht aufgefallen im Betrieb,
er ist durch die Stadt gegeistert, und er ist dann, an der Rheinbrücke in
den Rhein gefallen.
O-Ton 33: Thomas Synofzik
Ich denke, es war eine Verzweiflungstat. Die Dinge spitzten sich
zu.
O-Ton 34: Uwe Henrik Peters
Dadurch, dass der Vertrag gelöst wurde mit Düsseldorf. Das ist eine
Situation, die wirklich schwer zu ertragen ist. Wenn man plötzlich das
Ansehen verliert, das man vorher hatte.
O-Ton 35: Michael Heinemann
Krankenhaus, Irrenhaus, Anstalt – das ist das Schlimmste, was
passieren konnte! Es gibt dieses Trauma schon aus den frühen Jahren,
wo er den Blick auf die Irrenanstalt, den Sonnenstein in Pirna,
vermeiden wollte. Ich suggeriere das jetzt einfach von der Situation,
dass er dann wirklich in einer Kurzschlussreaktion aus dem Haus
gelaufen ist.
MUSIK: Robert Schumann
Tr.: 27 „Sieben Fuguetten Op.126
Eric Le Sage (Klavier)
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Autorin: Am 4. März 1854 wird Schumann mit einer Pferdekutsche nach Bonn-
Endenich gebracht, wo sich die private psychiatrische Heilanstalt eines
Doktor Franz Richarz befindet. Zunächst versucht er, Briefe zu
schreiben und weiter zu komponieren. Oft hört man, dass er „Lüge!
Lüge!“ schreit. Da er lange Zeit keine Nachrichten von zu Hause
bekommt, glaubt er, Düsseldorf sei untergegangen. Sein dringender
Wunsch nach Entlassung wird nicht erhört. Er wehrt sich gegen seine
Wärter und verweigert die Nahrung. Am 29. Juli 1856 stirbt er
nachmittags gegen vier. Er ist sechsundvierzig Jahre alt. In einer seiner
letzten Düsseldorfer Notizen heißt es:
Robert: Man hüte sich, als Künstler den Zusammenhang mit der Gesellschaft zu
verlieren. Sonst geht man unter wie ich.
MUSIK ENDE
MUSIK: Robert Schumann
Tr. 13: “Der Dichter spricht” (Kinderszenen) Martha Argerich, Klavier
Absage:
Robert Schumann in Düsseldorf.
Warum der Sachse im Rheinland scheitern musste.
Ein Feature von Eva Weissweiler
Es sprachen:
Jens Harzer als Robert Schumann,
Martina Gedeck als Clara Schumann.
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Sowie:
Leonie Renée Klein, Martin Bross, Gerrit Jansen,
Henning Freiberg, Reinhard Becker
und als Erzählerin Kornelia Boje.
Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch und Steffen Jahn
Regieassistenz: Fahri Shahin Sarimeshe
Regie: Claudia Johanna Leist
Redaktion: Dorothea Runge
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2016