welches wissen schafft das forschen von...
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Welches Wissen schafft das Forschen von Lehrenden?
Michael Schart
Keio Universität Tokyo
IVG Shanghai 2015
2
Wissen der Praktiker
von derWissenschaft generiertes
Wissen
Ausgangspunkt: Scheitern der Implementierungsidee
3
Wissenschafts-wissen
Handlungswissen von Lehrenden
• systematisch, detailliert, differenziert & abstrakt
• generalisierend• explizit• Logik
Differenz als Verschiedenartigkeit
• ganzheitlich• kontextgebunden, konkret• implizit („Wissen-in-der-Handlung“ )
auf Routinen beruhend• Intuition
→ zwei Arten sozialer Praxis mit unterschiedlichen Aufgaben und Erkenntnisinteressen→ betrachten Lehr- und Lernprozesse aus verschiedenen Perspektiven→ keine Wissensform mit privilegiertem Zugang zum Gegenstand
4
Konsequenzen für Lehrende
• Anspruchsniveau an Wissenschaft senken
• wissenschaftliches Wissen „übersetzen“ lernen
• durch strukturierte Reflexion eigenes Erleben und Handeln
hinterfragen → „forschender Habitus“ (Dewey: scientific
attitude)
→ systematisch neues Wissen über die eigene Praxis generieren
→ professionelles Selbstbewusstsein entwickeln, Teilhabe und Kontrolle über das Wissen im Bereich Lehren und Lernen anstreben
5
Wissenschafts-wissen
Handlungswissen von Lehrenden
Erfahrungswissen
• eher explizit• reflektiert• praktisch und theoretisch • systematisch und evidenzbasiert
Erfahrungswissen als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis
6
Erfahrungs-wissen
Berufsbiografie, beruflicher Alltag
Austausch mit anderen Lehrenden
datenbasierte Erkundungen im eigenen Arbeits-
umfeld
wissenschaftliches Wissen
(Inspiration & Methoden)
7
Erfahrungs-wissen
(datenbasiertes) reflektierenvon Handeln
umsetzen in Handeln
Unterrichts-
alltag
8
• dilettantisch
• ohne Distanz zum Gegenstand
• genügt nicht wissenschaftlichen Gütekriterien
• idiosynkratische Erkenntnisse
• Rad wird immer wieder neu erfunden
• stellt Lehrende ins Zentrum (nicht Lernende, Institution etc.)
• überfordert Lehrende
Kritik an Lehrerforschung
„Ist das noch Wissenschaft?“ (Altrichter 1990)
Lokales Wissen schaffen – ein Beispiel
9
• kontinuierlicher Forschungsprozess von Lehrenden in einem Intensivsprachprogramm seit ca. 10 Jahren
▫ www.id-keio.net/forschung
• Zielsetzungen:
1. eigenes Handeln verstehen/ Verantwortung übernehmen
2. Weiterentwicklung des Unterrichts/ des Programms
3. Stärkung der Profession
4. Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über aufgaben-
und inhaltsbasierten Unterricht (TBLT, CLIL)
Inhalt
• Intensivsprachprogramm an der Juristischen Fakultät der
Keio-Universität Tokio/ Yokohama
• Zielgruppe: Studierende in den BA-Studiengängen Jura und
Politikwissenschaft
• 4 UE à 90 Minuten pro Woche/ 4 Studienjahre
• grundlegende Idee: Fachstudium und Fremdsprachenlernen
verbinden, Sprach- und Sachkompetenz parallel entwickeln (Sambe 1996, Schart 2010)
Unterrichtskontext
Klasse GC
TBLT/CLIL
N= 10
Klasse GB
N= 14
Forschungskontext: 3 unterschiedliche Unterrichtskonzeptionen in Grundstufenklassen (A0)
Klasse GA
N= 12
grammatik-orientierter Unterricht
„studio D“
12
• Fokus auf linguistischen Aspekten,
Inhalte nachgeordnet
→ synthetisches Prinzip
→ strukturierter Input
• Präsentieren (induktiv/ deduktiv) –
Üben – (kontrolliertes) Anwenden
• korrekter Sprachgebrauch
• Lernen als individueller Prozess
• Fokus auf den Inhalten und
Themen, Formen nachgeordnet
→ analytisches Prinzip
→ komplexer L2-Input
• Beobachten – Hypothesen bilden –
in freier Anwendung prüfen
(aufgabengestützt)
• bedeutungsvoller Sprachgebrauch
• Lernen als kollektiver Prozess
(interaktiv-dialogisches Lernen,
individualisierter Unterricht)
• Aufmerksamkeit auf Formen über
Beschäftigung mit Inhalten (FoF)
Schwerpunkte der Forschungsprojekte 2009-2015
• sprachliche Entwicklung der Lernenden
• Wahrnehmung/ Meinungen der Lernenden
• Interaktionsmuster im Unterricht
1) Ergebnisse eines schriftlichen Tests am Ende des 2.
Semesters (angelehnt an A2-Test GI, ergänzt durch
Übersetzungsaufgabe und freie Schreibaufgabe)
2) 4 mündliche Prüfungen („Gespräche“) in 18 Monaten
- Videoaufzeichnung und Transkription der Gespräche
- AS-Units (analysis of speech-units/ Foster et. al 2000)
Datenquellen
• Klassengrößen nicht vergleichbar
• schriftlichen Testaufgaben nur bedingt vergleichbar
• unterschiedliche Bedingungen bei den Prüfungsgesprächen
(Länge, Vorbereitung etc.)
Typische Probleme einer Forschung im „laufenden Betrieb“
16
Zeitpunkt UE Länge TN Inhalt Unterschiede
Gespräch 1 Ende 1. Semester
56 5-10 2 (+2L) Themas aus dem Unterricht
GA & GB LeinbezogenGC ohne L (5 Min.)
Gespräch 2 (Version 1)
Ende 2. Semester
112 15 3 Thema selbst gewählt, kurze Vorstellung (z.B.mit Foto), dann freies Gespräch
GA Lernende bereiten Texte vor
Gespräch 2 (Version 2)
Ende 2. Semester
112 7 2 Thema aus dem Unterricht
in GC andere S anwesend
Gespräch 3 Beginn 3. Semester
112 + 3 Wochen in Deutschland mit 30 UE + Projektarbeit
5-10 1 (+3L) Erfahrungen während Aufenthalt in Deutschland
Dauer variiert
Gespräch 4 Ende 3. Semester
ca. 200 UE 10 2-3 Thema aus dem Unterricht, alle S anwesend
• Fokus auf 5 Studierende je Klasse
• Konzentration auf vergleichbare Daten
• Vermeiden verfrühter Schlussfolgerungen
• keine Veröffentlichung
Kompromisse
18
a)
Klassen-
größe
b)
davon für die
Analyse
ausgewählt
c)
davon Teilnahme am Intensivkurs
bis Oberstufe (5 TN)
GA 12 5 2 (A1, A2)
GB 14 5 1 (B1) sowie zwei weitere aus a)
GC 10 5 4 (C1, C3, C4, C5) (C4 nur ein Semester in OS, dann Studium in D)
Überblick Studierende
0
10
20
30
40
50
60
GA1 GA2 GA3 GA4 GA5 GB1 GB2 GB3 GB4 GB5 GC1 GC2 GC3 GC4 GC5
Testergebnisse am Ende 2. Semesters(in % der Gesamtpunktzahl)
SD=4,32SD=5,52
40,437,0
SD=9,98
Schart, Hamano, Schütterle, Meyer (2010).
20
0
50
100
150
200
250
300
350
400
Gespräch 1 Gespräch 2 Gespräch 3 Gespräch 4
Gesamtwortzahl in den 4 Gesprächen(auf Grundlage der AS-Units)
21
0,020,10
0,230,31
0,25 0,240,29
0,440,47
0,77
0,34
0,98
0,00
0,20
0,40
0,60
0,80
1,00
1,20
Gespräch 1 Gespräch 2 Gespräch 3 Gespräch 4
Komplexität(komplexe Strukturen pro AS-Unit, nach Gruppen)
GA GB GC
(Schart 2015)
22
88,5%
83,5% 84,5%
73,6%
85,5% 86,3%
96,3%
75,5%80,2%
69,9% 71,8%
78,1%
0,0%
20,0%
40,0%
60,0%
80,0%
100,0%
GA1 GA2 GA3 GA4 GB1 GB2 GB3 GB4 GC1 GC2 GC3 GC4
Anteil korrekter Verbformen an allenverwendeten Verben (nach Gruppen)
23
40,0%
50,0%
60,0%
70,0%
80,0%
90,0%
100,0%
A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 C1 C2 C3 C4 C5
Anteil korrekter Verbformen an Gesamtzahl der verwendeten Verben
(nach Lernenden)
Gespräch 1 Gespräch 2 Gespräch 3 Gespräch 4
24
3
14
40
32
13 13
30
47
23
68
19
0,0%
35,7% 40,0%
12,5%
38,5%
69,2%
66,7%
75,0%
42,9%
34,8%
64,7%
52,6%
0,0%
10,0%
20,0%
30,0%
40,0%
50,0%
60,0%
70,0%
80,0%
0
10
20
30
40
50
60
70
80
GA1 GA2 GA3 GA4 GB1 GB2 GB3 GB4 GC1 GC2 GC3 GC4
verw
end
ete
Ver
gan
gen
hei
tsfo
rmen
insg
esa
mt
Anteil angemessener Verwendung von Vergangenheitsformen
(nach Gruppen)
Vergangenheitsformen insgesamt Anteil angemessener Vergangenheitsformen
(Waychert, Meyer, Schart u.a. 2010)
25
• dilettantisch
• ohne Distanz
• Gütekriterien
• Idiosynkrasie
• das Rad wird immer
wieder neu erfunden
• Lehrende im Zentrum
• Überforderung
Nein, das ist (oft) keine Wissenschaft, aber trotzdem wird bedeutsames Wissen geschaffen!
Fazit• Entwicklungsprozess
• ohne Distanz!
• eigene Kriterien
• lokales Wissen
• eigene Erkenntnis (Hypothesen und
neue Fragen)
• Missverständnis (Allwright & Hanks 2009)
• Herausforderung
26
• Allwright, Dick; Hanks, Judith (2009): The developing language learner. An introduction to exploratory practice. New York: PalgraveMacmillan.
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27
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Materialien zu den Forschungsprojekten: www.id-keio.net/forschung
Forschung im Intensivsprachprogramm an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokyo
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Transkription AS-unit
false starts und hast du ah kennst du andere beispiel↑ und kennst du andere beispiel↑
sentence in sentence S: aber in japan wir müss mit die internet gute informationen was ist (Handbewegung für sammeln) ah kann ich über japanische sprechen↑was ist atsumeru auf deutsch↑l: sammelnS zusammen↑l: sammelnS: ja wir muss eh wir müss eh in japan mit die internet interessante information sammeln so je mehr info- gute information sammeln desto besser unsere projekt werden ich denke
aber in japan wir müssen mit die internet gute informationen sammelnkann ich über japanische sprechen↑was ist auf deutsch↑so je mehr gute information sammeln desto besser unsere projekt werden ich denke
repetitions S1: ich ich denke telefonieren ist viele geldS2: teuerS1: teuer teuer ja teuer das
S1: ich denke telefonieren ist teuerS2: teuerS1: -
self-corrections deine hotel mama ist wie↑we- we- welche typ↑ deine hotel mama ist welche typ↑
interruption S1: meine pläneS2: pläne, ach soS1: oder träume
S1: meine pläne oder träumeS2: -
”An AS-unit is a single speakers`s utterance consisting of an independent clause, or sub/clausal unit, together with any subordinate clause(s) associated with either.“ (Foster, Tonkyn & Wigglesworth 2000:365).
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Transkription AS-unit
scaffolding S1: das ist fo-formlich↑S2: formlich? was ist formlich↑S1: formlich ist nicht, mhm, fo-form ist fo-formlich↑
S1: das ist förmlich↑S2: was ist förmlich↑S1: form ist förmlich↑
one-word minor utterances
S1: hab- hast du andere vorteil↑S2: vorteil mhm vorteil ah
S1: hast du andere vorteil↑S2: -
echo-responses S1: ah, ich habe, mhm, in tokyo dome, tokyo dome, ah, jobben, gejobbt.S2: gejobbt
S1: ich habe in tokyo dome gejobbt.S2: -
Japanese・English wir haben ein thema von hotel mama und wgund nandake
wir haben ein thema von hotel mama und wg
continuers/fillers
S1: ich weiß das, dass dass sie eh dass du kann kannst nichts käm kämpfen janai putzen in deine raum. S2: ah ja entschuldigung.
S1: ich weiß, dass du kannst nichts putzen in deine raum. S2: entschuldigung.
30
1,41,8 1,8
2,12
1,2
1,9
1,21,8
1,3 1,5
2,11,8
4,9
6,06,6
7,9
4,4
5,75,3
8,0
5,5 5,7
6,7
8,7
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
GA1 GA2 GA3 GA4 GB1 GB2 GB3 GB4 GC1 GC2 GC3 GC4
Länge der Redebeiträge(Vergleich der 4 Gespräche, nach Gruppen)
AS-Units/ Redebeitrag Wörter/AS-Unit
31
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
1,2
1,4
1,6
1,8
A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 C1 C2 C3 C4 C5
Komplexität(komplexe Strukturen pro AS-Unit, nach Lernenden)
Gespräch 1 Gespräch 2 Gespräch 3 Gespräch 4
32
155
187
116
173
86
181
90
115100 104
138
116
4
20 22
53
22
44
21
4740
73
52
110
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
GA1 GA2 GA3 GA4 GB1 GB2 GB3 GB4 GC1 GC2 GC3 GC4
Komplexität (Anzahl der AS-Units & komplexe Strukturen, nach
Gruppen)
AS-Unit komplexe Strukturen
33
56,8 55,8 57,2
45,6
68,6
57,4
69,2
52,655,4
59,8
54,249,8
6,2
10,8 11,0
16,7
0
5,06
9,2
6,2
15,2
0
7,48,4
14,4
15,9
0
10
20
30
40
50
60
70
80
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
GA1 GA2 GA3 GA4 GB1 GB2 GB3 GB4 GC1 GC2 GC3 GC4
Wö
rte
r p
ro R
edeb
eit
rag
Länge der Redebeiträge & Lexikvarianz(Vergleich der 4 Gespräche)
Lexikvarianz Wörter/Redebeitrag
34
16
20
10
17
23
14
6
1211
17
25
13
32
22
25
62,5
0,0
30,1
58,8
4,3 0
64,3
100,0
66,7
54,5
57,1
0
64,069,2
34,4
50,0
72,0
0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
0
5
10
15
20
25
30
35
A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 C1 C2 C3 C4 C5
Anteil angemessen verwendeter Vergangenheitsformen
(nach Lernenden, alle 4 Gespräche)
Vergangenheitsformen insgesamt Anteil angemessener Vergangenheitsformen