wem gehörte der aufschwung? - hans böckler stiftung · 2020. 1. 30. · • im november 2007:...
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Wem gehörte der Aufschwung?Und wie kommen wir über konjunkturelle Delle,
die auf uns zukommt?
Prof. Michael C. Burda, Ph.D.Humboldt-Universität zu Berlin
IMK Konjunkturforum
Berlin, 18.Februar 2008
Überblick
• Der jüngste Aufschwung in Deutschland • Exkurs: Was ist die Konjunktur? Die Suche nach
den Gesetzmäßigkeiten • Wem gehört(e) der Aufschwung? Warum ist die
Frage interessant? • Wie geht man mit dem Abschwung um?
Die trübe Stimmung in Deutschland war gerade vorbei…
• Reales BIP-Wachstum 2006: 2,7%;2007:>2,5%? Wenig oder viel?
• 2001-2005: 0,6% p.a.; 1997-2007: 1,5% p.a. • Wachstum im letzten Jahrzehnt war bei den
europäischen Partnern deutlich höher (F: 2.2%, DK: 2.1%, GB: 2.8%, NL: 2.4%, S: 3.2%)
• Die schwache Wachstumsphase in Deutschland hat tiefe Spuren hinterlassen
Exkurs: Was ist die Konjunktur? • Das Auf und Ab der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung um einen Trend• Eugen Slutsky: Die Wirtschaft entwickelt sich
wellenartig, aber unregelmäßig: „Gott würfelt!“ • Kann man konjunkturelle Entwicklungen
überhaupt prognostizieren? • Beim FTD - Konjunkturprognostikerwettbewerb
war die Korrelation zwischen Rangplätze für 2004 und 2003: -0,03!
Die Suche nach Gesetzmäßigkeiten
Ökonomen sind keine Physiker – Jedoch wird erwartet, dass wir..…die wirtschaftliche Entwicklung quantifizieren... nicht kaltherzig im Umgang mit Menschen sind ... und auch keine Experimente durchführen dürfen!
Unser Ansatz: Induktiv – aufgrund von Beobachtungen und statistischen Methoden – und deduktiv – durch die Anwendung von Theorien und Modellen – an die Wahrheit herantasten
Was sind die Frühindikatoren?
• Aktienpreise • Zinsstruktur • Reale Geldmenge • Vorratsinvestitionen • Vakanzen (offene Stellen)
Welche Indikatoren sind nachlaufend?
• Beschäftigung • Arbeitslosigkeit • Konsum • Inflation • Löhne, real und nominal
Wem könnte der jüngster Aufschwung gehören?
Kandidaten: • der Weltwirtschaft• der Weltmeisterschaft• der Reformprogramm Schröders „Agenda 2010“
und die damit einhergehende Wiederherstellung von Wettbewerbsfähigkeit
Es kann nicht nur an der Weltwirtschaft liegen
• Der Boom in der Weltwirtschaft ist schon seit einem Jahrzehnt im Gang
• Deutschland ist seit lange Exportweltmeister…• …aber auch inzwischen ein Importweltmeister
geworden
„Exportweltmeister?“Ausgabenkomponenten des BIP,
Deutschland
0
50000
100000
150000
200000
250000
300000
350000
1991
Q119
91Q4
1992
Q319
93Q2
1994
Q119
94Q4
1995
Q319
96Q2
1997
Q119
97Q4
1998
Q319
99Q2
2000
Q120
00Q4
2001
Q320
02Q2
2003
Q120
03Q4
2004
Q320
05Q2
Quartal/Jahr
Mill
. EU
R _
Konsum Investitionen Staatskäufe Exporte Importe
C
XZ
IG
„Exportweltmeister?“Ausgabenkomponenten des BIP,
Deutschland
0
50000
100000
150000
200000
250000
300000
350000
1991
Q119
91Q4
1992
Q319
93Q2
1994
Q119
94Q4
1995
Q319
96Q2
1997
Q119
97Q4
1998
Q319
99Q2
2000
Q120
00Q4
2001
Q320
02Q2
2003
Q120
03Q4
2004
Q320
05Q2
Quartal/Jahr
Mill
. EU
R _
Konsum Investitionen Staatskäufe Exporte Importe
Auslegung: Arbeitsteilung
C
X
ZI
G
Es kann nicht nur an der Weltwirtschaft liegen
• Der Boom ist schon seit langem im Gang • Deutschland ist lange Exportweltmeister…• …aber auch inzwischen ein Importweltmeister
geworden• Eher die Globalisierung, die die Exporte im Zuge
der effizienteren Arbeitsteilung ermöglicht • Kaum ein Zeichen der Nachfrageschwäche • Deutschland = Kalifornien?
Es war auch nicht die WM
• Konsum hat erst viel später angezogen, ist immer noch ziemlich bescheiden
• Die direkt betroffenen Sektoren sind vom Umfang her eher insignifikant
These: Es war die Agenda 2010
• Frühindikator Aktienpreis
• Aktienpreise gehören zu den zuverlässigen Frühindikatoren des Konjunkturzyklus
Die deutschen Aktienpreise haben es richtig antizipiert
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100150200250300350400
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x (M
ar20
03=1
00) Germany (DAX)
France (CAC-40)
Italy (MibTel)
March 2003
These: Es war die Agenda 2010
• Frühindikator Aktienpreis • Warum März 2003? Am 14. März 2003 fand
Kanzler Schröders Rede statt: Agenda 2010• Danach kräftiger Auftrieb – nur Zufall? • Aktienkurserholung war deutlich schwächer
in Frankreich und Italien • Die Hartz-Reformen haben Wirkung gezeigt,
aber auch die Reformfähigkeit des Landes
Quelle: Handelsblatt, IAB3.66
Die Arbeitslosigkeit
Der Abbau der Arbeitslosigkeit
• Im November 2007: 3.378.000 registrierte Arbeitslose in Deutschland.
• Ein Rückgang von 1.150.000 ggü. November 2005.
• Dieser Rückgang ist sensationell! Seit 1963 gab es noch nie einen vergleichbaren Rückgang dieses Ausmaßes – weder absolut noch prozentual. Warum?
Der Strukturwandel überlagert die Konjunktur
• Das schwache Wirtschaftswachstum in Deutschland im letzten Jahrzehnt war nichtkonjunktureller natur!
• Die schwache Wachstumsphase geht einher mit dem Strukturwandel und der Globalisierung (vor allem gegenüber Europa)
• Auffällige Zunahme des Außenhandels mit Osteuropa
Strukturwandel: Anteil am BIP im verarbeitenden Gewerbe (%)
1980 1990 2001
Germany 28.0 26.1 20.1
Spain 19.9 18.5 18.7
Source: ECB Occasional Paper No 19 July 2004
Strukturwandel: Anteil am BIP im verarbeitenden Gewerbe (%)
1980 1990 2001
Germany 28.0 26.1 20.1
Spain 19.9 18.5 18.7
Source: ECB Occasional Paper No 19 July 2004
Strukturwandel: Anteil am BIP in Dienstleistungen (%)
1980 1990 2001
Germany 36.6 41.5 48.0
Spain 44.9 44.8 45.7
Source: ECB Occasional Paper No 19 July 2004
Strukturwandel: Anteil am BIP in Dienstleistungen (%)
1980 1990 2001
Germany 36.6 41.5 48.0
Spain 44.9 44.8 45.7
Source: ECB Occasional Paper No 19 July 2004
Turbulenz in Westdeutschland : Sektorale Beschäftigungsanteile
Quelle: Bachmann/Burda (2006)
Turbulenz in Westdeutschland: „Entropie“
Quelle: Bachmann/Burda (2006)
Kann eine kräftige Lohnerhöhung etwas an diesen Fakten ändern?• Das Argument ist bestechend: Mehr Lohn
in die Tüte = Mehr Geld zum Ausgeben• Damit werde man die Nachfrageschwäche
behoben• Wird von Gewerkschaften, aber indes von
angesehenen Politikern aufgegriffen• Die Haushalte sind aber keine Automaten!
Kann eine kräftige Lohnerhöhung etwas daran ändern?
• Milton Friedman: Konsumiere nach dem permanenten (nachhaltigen) Einkommen
• Eben so wichtig geht die Beschäftigung in das permanente Einkommen
• Wirtschaftlich ungerechtfertigte Lohnerhöhungen können auch Arbeitsplätze gefährden, also kontraproduktiv sein
Löhne sind in der Praxissehr schwach zyklisch
Durchschnittlicher nominale Stundenlohn (8 OECD-Länder, 1965-2003, Tief=1,0)
0.77
0.87
0.97
1.07
1.17
1.27
-10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10
Source: OECD
Löhne sind in der Praxis sehr schwach zyklisch
Durchschnittlicher nominaler Stundenlohn(Deutschland, 1965-2003 Tief=1,0)
0,630,730,830,931,031,131,231,331,431,53
-10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10
Germany
Source: OECD-National Accounts
Sozialversicherungs-beiträge Arbeitgeber
Struktur der Lohnkosten ist hauptsächlich schuld
Sozialversicherungs-beiträge Arbeitnehmer
Lohn- bzw. Einkommenssteuer
Nettolohn
Source: Bundesagentur für Arbeit
Schlussbemerkungen
• Die Diskussion um die Herkunft des letzten Aufschwungs ist nicht uninteressant
• Der Aufschwung war da, aber die Anzeichen eines Abschwungs vermehren sich
• Die Nachhaltigkeit der Fortschritte der letzten vier Jahre wird von der Nachhaltigkeit der strukturellen Reformen, und nicht von der Konjunktur- oder gar Lohnpolitik, abhängen