wer sprach das erste wort?€¦ · vier buchstaben bezeichen mir gott; einige striche eine million...

13

Upload: others

Post on 19-Oct-2020

3 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

  • WER SPRACH DAS ERSTE WORT?

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 1

  • 01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 2

  • MARTIN KUCKENBURG

    WER SPRACH DASERSTE WORT?DIE ENTSTEHUNG VON SPRACHE UND SCHRIFT

    Zweite, aktualisierte Auflage

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 3

  • Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

    Umschlaggestaltung: Neil McBeath, Stuttgart,

    unter Verwendung einer Zeichnung von Martin Kuckenburg.

    2., aktualisierte Auflage 2010

    © Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2004

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat und Bildredaktion: Dr. Volker Held, Ludwigsburg

    Satz: UMP Utesch Media Processing GmbH, Hamburg

    Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

    ISBN 978-3-8062-2330-9

    DANKSAGUNGMein herzlicher Dank gilt Jürgen Beckedorf und Dr. Wolf-Heinrich Kulkevom Konrad Theiss Verlag, die diese Neuausgabe ermöglicht und redaktio-nell betreut haben; Dr. Volker Held für sein umsichtiges und kompetentesLektorat; und Dr. Peter Vértesalji für hilfreiche Auskünfte zu Fragen der alt-orientalischen Chronologie.

    Tübingen im April 2004 Martin Kuckenburg

    Meinem Vater Heinz Kuckenburg in dankbarer Erinnerung gewidmet.

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 4

  • Die Bezeichnung durch Töne und Stricheist eine bewundernswürdige Abstraktion.Vier Buchstaben bezeichen mir Gott;einige Striche eine Million Dinge.Wie leicht wird hier die Handhabungdes Universums, wie anschaulichdie Konzentrizität der Geisterwelt!Ein Kommandowort bewegt Armeen;das Wort Freiheit Nationen.

    Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 5

  • INHALT

    DIE ENTSTEHUNG DER SPRACHE

    DER URSPRUNG VON SPRACHE UND SCHRIFT 10ÜBER DIE ERSTAUNLICHE AKTUALITÄT EINES ALTEN THEMAS

    Auf der Suche nach dem Ursprung der Sprache – „Im Anfang war dasWort“ – Sprachursprungsdebatte im Zeichen der Aufklärung – Spekula-tive und wissenschaftliche Sprachursprungshypothesen – EinForschungszweig gerät ins Zwielicht – Neue Fragestellungen

    EXKURS 21Die Debatte um das Indoeuropäische

    GRILLENZIRPEN, VOGELGESANG UND AFFENGEKREISCH 26KOMMUNIKATIONSSYSTEME IM TIERREICH

    Ein Universum an Ausdrucksformen – Die Philosophen und die Tierspra-che – Reine Reflexlaute? – Komplexe Tierkommunikation – Der Vogelge-sang – Die Tanzsprache der Honigbiene – Überraschende Beobachtungen –Die Sprache, ein „offenes“ System – Kreativität und Ordnung

    EXKURS 41Sprachversuche mit Menschenaffen

    SPRACHORGANE, GEHIRN UND DIE ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES MENSCHEN 45Haeckels „sprachloser Affenmensch“ – Unklare Anfänge – Die GattungHomo tritt auf den Plan – Streit um Neandertaler und Homo sapiens –Aufrechter Gang und erste Steingeräte – Die Herausbildung des mensch-lichen Gehirns – Die Sprache als Entwicklungsfaktor – Die Stunde derGehirnforscher – Schädelabgüsse geben Aufschluss – Ein „Rubikon derSprachfähigkeit“? – Die Anatomie der menschlichen Lautbildung – Zun-genbewegung und Sprache – Eine neue Wissenschaftsdisziplin – Gewan-delte Anschauungen – Der Neandertaler, ein sprachloses Wesen? – EinNeandertaler mit modernem Zungenbein

    EXKURS 66Auf der Suche nach dem „Sprach-Gen“

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 6

  • SPRACHENTSTEHUNG UND DIE HERAUSBILDUNG VON TECHNIK UND KULTUR 69Künstliche Arbeitsgeräte – Tradition statt Vererbung – Kontroversen über das „Wann“ – Genetischer Urknall als Ursprung der Kultur? – Ver-gleich zweier Steinbearbeitungstechniken – Die Faustkeile des Homoerectus – Komplexe Technologien – Eine „Paläontologie der Sprache“? –Gezähmte Naturkraft Feuer – Lagerplätze mit Behausungen – Einleistungsfähiges Kulturpaket – Organisierte Großwildjagd – Künstlichestatt angeborener Waffen – Anfänge geistiger Kultur – „Protokunst“ vor400 000 Jahren? – So alt wie die Menschheit

    AKTUELLE SPEKULATIONEN ÜBER DIE „URSPRACHE“ 87Die Sprache des Neandertalers – Der frühmoderne Homo sapiens, einMensch wie wir – Die Sprache der Eiszeit – Die Kultur war der Schlüssel –Besitzt der Mensch einen Sprachinstinkt?

    EXKURS 94Sprachfamilien und „Urwörter“

    DIE ENTSTEHUNG DER SCHRIFT

    FELSBILDER UND ZÄHLKERBEN 98ÜBER DIE VORSTUFEN UND VORLÄUFER DER SCHRIFT

    Komplexe Erinnerungstechniken – Es begann mit dem Kerbstock –Rechenstäbe und Jagdmarken – Mondkalender vor 30 000 Jahren? – Der„Adorant“ aus dem Geißenklösterle – Knotenschnüre und Rosenkranz –Eine eiszeitliche Landschaftsskizze? – Eine bildliche „Ode an den Früh-ling“ – Die Rätsel der Bilderhöhlen – Die „La Pasiega-Inschrift“ – Eineindianische Stammeschronik

    EXKURS 121Schriftsysteme in der Steinzeit

    DIE SCHRIFT 125EIN KOMMUNIKATIONSMITTEL DER HOCHKULTUREN

    Das Prinzip der „Ideenschrift“ – Das „Bild der Stimme“ – Das „schrift-liche Gedächtnis“ – Die Geburt der Geschichtsschreibung – Lob undTadel der Schrift – Schriftentwicklung und Hochkultur – Die Schriftals Organisationsmittel

    VON DER ZÄHLMARKE ZUM ZAHLENTÄFELCHEN 135FRÜHE BUCHFÜHRUNG IN VORDERASIEN

    Eine geheimnisvolle Tonhülle – Ein ausgefeiltes Buchführungssystem –Zurück ins 8. Jahrtausend v. Chr. – Güterzählung mit Tonmarken – EinResultat der „neolithischen Revolution“ – Das Tonmarkensystem wirdvielschichtiger – Handelsdokumente oder Steuerbelege? – MarkierteTonhüllen und Zahlentäfelchen – Von der Tonhülle zur Schrift

    I N H A LT 7

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 7

  • DIE HERAUSBILDUNG DER MESOPOTAMISCHEN KEILSCHRIFT 150Eine ideographische Schrift – Vom Bild zum Keilschriftzeichen – Nüch-terne Anfänge – Tönerne Aktenvermerke – Ein eigenartiges Zahlensystem –Tonmarken als Vorbilder für Zahlzeichen? – Schriftzeichen und token-Formen – Was kam zuerst? – Erfindung oder allmähliche Entwicklung? –Die Herausbildung der klassischen Keilschrift – Das phonetische Prinzip –Der Aufstieg zum universellen Ausdrucksmittel

    DIE ÄGYPTISCHEN HIEROGLYPHEN 173DAS ÄLTESTE SCHRIFTSYSTEM DER WELT?

    Die Narmer-Palette – Lautschriftzeichen und „Schriftgemälde“ – Das Grab „U-j“ in Oberägypten – Die ältesten Schriftzeugnisse der Welt? – Älter als die mesopotamische Keilschrift? – Frühe Phonetisierung am Nil –Verwaltungsschrift auch in Ägypten – Wesentliches für immer verloren –Eine bildhafte, aber keine Bilderschrift – Monumentaler und alltäglicherSchriftgebrauch

    EXKURS 192Die Entwicklung der Schrift in Asien

    SCHRIFT UND GESELLSCHAFTLICHE MACHT 198DIE FRÜHE SCHREIBKUNST ALS HERRSCHAFTSMITTEL UND

    SOZIALES PRIVILEG

    Wie viele Schriftkundige gab es? – Unbedingter Gehorsam und Respekt –Rigide Erziehungsmethoden – Wissen bringt Macht – Schreiber alsStaatsbüttel – Segen oder Fluch?

    EXKURS 209Die altamerikanischen Schriftsysteme

    AM ENDE DAS ALPHABET 213DIE ENTSTEHUNG UND AUSBREITUNG DER BUCHSTABENSCHRIFT

    Ein Schmelztiegel der Sprachen und Kulturen – Ein Abkömmling derHieroglyphenschrift? – Die „Herrin des Türkis“ – Die protokanaanäischeSchrift – Ursprung in den Hieroglyphen oder im Hieratischen? – DasKeilschriftalphabet von Ugarit – Die phönizische Schrift und ihreAbkömmlinge – Frühe ägäische Schriftsysteme – Die griechische Über-nahme des Alphabets – Konsonanten und Vokale – Die Demokratisierungder Schreibkunst – Fortbestehen mündlicher Traditionen

    EXKURS 234Die altgermanischen Runen – ein sagenumwobenes Schriftsystem

    LITERATURVERZEICHNIS 238

    ANMERKUNGEN 242

    BILDNACHWEIS 251

    PERSONEN-/ORTSREGISTER 252

    8 I N H A LT

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 8

  • I DIE ENTSTEHUNG DERSPRACHE

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 9

  • DER URSPRUNG VON SPRACHEUND SCHRIFTÜBER DIE ERSTAUNLICHE AKTUALITÄT E INES ALTEN

    THEMAS

    Noch vor 15 Jahren galt die Frage nach dem Ursprung unserer wichtigstenKommunikationsmittel Sprache und Schrift zumindest hierzulande als einesoterisches Außenseiterthema, und ein Buch darüber stellte eine ausge-sprochen extravagante Unternehmung dar.1 Mittlerweile hat sich das jedochgründlich geändert: Der Fragenkomplex gehört heute zu den Lieblingsthe-men von Wissenschaftszeitschriften und -magazinen, eine ganze Reihe po-pulärer Sachbücher sind darüber erschienen, und eine im Oktober 2002 ver-öffentlichte Titelgeschichte des „Spiegel“ zum Sprachursprung beschertedem Nachrichtenmagazin eine der am besten verkauften Nummern des Jah-res.

    Der Blick auf unsere Ursprünge hat angesichts unsicherer Weichenstel-lungen für die Zukunft offenkundig wieder Konjunktur, und die beispielloseRevolution, die sich während der letzten Jahrzehnte im Bereich der Kom-munikations- und Datenspeicherungstechniken vollzog, hat ein breitesInteresse an der Geschichte dieser Techniken geweckt.

    Gleichzeitig ist die Frage nach der Entstehung von Sprache und Schriftaber auch in den Sog allgemeinerer und grundsätzlicherer Debatten überunsere Ursprünge geraten. Eines ihrer zentralen Themen ist die Frage,seit wann man eigentlich mit Fug und Recht vom Menschen als handeln-dem Subjekt der Natur- und Kulturgeschichte sprechen kann. Trifft dieseBezeichnung bereits auf unsere älteren Vorfahren vor 400 000 oder 1 Mil-lion Jahren zu, oder betrat erst vor 150 000 bis 40 000 Jahren mit demmodernen Homo sapiens ein Wesen die Erdenbühne, das über die charak-teristischen Merkmale des Menschseins – Sprache und Kultur – verfügte?Und: Entstanden diese für uns so kennzeichnenden Merkmale nur einmalund in einer einzigen Region der Erde, nämlich im südlichen Afrika, vonwo aus sie sich mit ihren Trägern in großräumigen Wanderungsbewegun-gen über die ganze restliche Welt verbreiteten? Oder ist ihre gleichzeitigeEntstehung in mehreren Erdteilen und unter ganz verschiedenen Früh-menschengruppen denkbar – ähnlich, wie ja zum Beispiel auch die Ge-wohnheit des Fleischverzehrs und der Jagd nicht nur ein einziges Mal inder Urgeschichte entstanden sein wird und wie auch das Gehirn unserer Ur-ahnen in den verschiedenen Weltregionen zur gleichen Zeit wuchs? (vgl. S.53–55).

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 10

  • Ähnliche Fragen stellen sich auch im Hinblick auf unser zweites grundle-gendes und sehr viel jüngeres Kommunikationsmittel – die Schrift. Wurdesie nur einmal oder mehrmals in der Menschheitsgeschichte erfunden, undwo geschah dies zum ersten Mal? Gilt noch der alte Lehrsatz, nach dem dieWiege des Schriftgebrauchs und der Zivilisation in Mesopotamien, an denUfern von Euphrat und Tigris, stand? Oder besaßen die alten Ägypter unddie vorgeschichtlichen Völker des Balkanraums bereits lange vor den Meso-potamiern erste Schriftsysteme, wie man dies in den letzten Jahren immerwieder lesen und hören konnte?

    Was waren schließlich die entscheidenden Motive für die Erfindung die-ses gänzlich neuen, visuellen Kommunikationsmittels? Stand dahinter einspirituelles Streben nach persönlicher Verewigung, ein historisches Bemü-hen um die Fixierung von Ideen und Ereignissen oder aber ein eher prakti-sches Bedürfnis nach nüchterner Datenspeicherung, wie sie uns im heutigenComputerzeitalter ja gigabyteweise zur alltäglichen Selbstverständlichkeitgeworden ist?

    Fragen über Fragen, die alle seit ungefähr zehn Jahren mit verstärktemInteresse diskutiert werden. Die Ansätze zu ihrer Beantwortung sind dabeivöllig unterschiedlich, denn während das Problem des Sprachursprungsheute zunehmend von Naturwissenschaftlern mit den ihnen eigenen nüch-ternen Fragestellungen und technisch-präzisen Methoden angegangen wird,speist sich das Interesse an den alten Schriften immer noch großenteils ausder Aura des Geheimnisvollen und Erhabenen, die ihre glyphischen Zeichenumgibt.

    Doch einerlei, welche Motive im Vordergrund stehen mögen – ent-scheidend ist, dass diese alten Fragen endlich in unserer Zeit „angekom-men“ sind, dass sie wieder ein breites Interesse unter den Wissenschaftlernwie in der Öffentlichkeit finden und dass man ihnen mit den heute zur Ver-fügung stehenden, vielfach phantastisch erweiterten Möglichkeiten auf derSpur ist.

    A U F D E R S U C H E N A C H D E M U R S P R U N G D E R S P R A C H E Und um sehr alte Fragen mit einer zum Teil Jahrtausende zurückreichendenGeschichte handelt es sich zumindest bei der Sprachursprungsdiskussion inder Tat. Schon im 7. Jahrhundert v. Chr. führte der ägyptische König Psam-metich I., wie der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet, ein Ex-periment durch, um herauszufinden, welches die älteste Sprache und das äl-teste Volk der Menschheit sei. Er ließ zwei neugeborene Knaben in einer ein-samen Hütte aussetzen, bei einem Hirten, der nicht mit ihnen sprechendurfte, sondern nur zu bestimmter Zeit die Ziegen zu ihnen führte, damit sievon deren Milch tranken. „Das tat und befahl Psammetichos“, so Herodot,„weil er bei diesen Knaben hören wollte, was für ein Wort, wenn das un-deutliche Lallen vorüber wäre, sie zuerst von sich geben würden.“ Er hoffte,sie würden ohne Beeinflussung durch andere Menschen in der Sprache ihrer

    D E R U R S P R U N G V O N S P R A C H E U N D S C H R I F T 11

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 11

  • ältesten Vorfahren zu reden beginnen, die – so seine Überzeugung – noch inihnen schlummere.

    Als die beiden Knaben nach zwei Jahren immer wieder einen Laut aus-stießen, der wie das phrygische Wort bekos (Brot) klang – tatsächlich abervielleicht nur dem Meckern der Ziegen nachempfunden war-, hielt der Königden Fall für entschieden: Das Phrygische musste die Ursprache der Mensch-heit sein, und die Phryger in Kleinasien (und nicht, wie zuvor angenommen,die Ägypter) waren das älteste Volk. „So gaben es die Ägypter denn zu undrichteten sich darin nach diesem Geschehnis, dass die Phryger älter seien alssie selber“, schließt Herodot nicht ohne Ironie seinen Bericht.2

    Jüngeren Quellen zufolge wurde dieser grausame Menschenversuch imMittelalter noch zweimal wiederholt, und zwar im 13. Jahrhundert vondem Stauferkaiser Friedrich II. und um 1500 von Schottlands König JakobIV. Im ersten Fall starben die Kinder, im zweiten Fall gaben sie nach einigerZeit Laute von sich, die man als hebräisch deutete. Später soll das Experi-ment von einem indischen Großmogul wiederholt worden sein, und nochim 18. Jahrhundert forderten europäische Gelehrte eine erneute Durchfüh-rung.

    Die Frage nach der „Ursprache“ und damit nach den Anfängen der arti-kulierten Verständigung hat die Menschen also seit jeher bewegt und durchdie Jahrtausende hindurch nicht mehr losgelassen. Die dazu verfasste Lite-ratur ist immens: Eine Bibliographie von 1975 führt nicht weniger als 11 000historische und moderne Arbeiten zu diesem Themenkreis auf,3 und seithersind, wie erwähnt, zahlreiche neue hinzugekommen. Die Art und Weise, wieman sich dem Problem näherte und es zu lösen versuchte, hing dabei vomWeltbild und den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen in den verschie-denen Epochen und Kulturkreisen ab und war höchst unterschiedlich.

    Die einfachste Antwort auf die Frage, wie die Sprache entstand, ist dieAnnahme, sie sei überirdischen Ursprungs, ein Werk der Götter, von denensie der Mensch bei seiner Erschaffung fertig verliehen bekam. Und in der Tatkannten die meisten frühen Kulturen einen Schöpfungsmythos, der – ebensowie den Ursprung der Welt und des Menschen – auch die Sprachentstehung,ja oft sogar die Benennung der einzelnen Dinge und damit die Herkunft derWörter aus göttlichem Wirken erklärte. Für die alten Ägypter waren dieSprachenspender der Gott Ptah, „der den Namen aller Dinge verkündet hat“,Amun, der „seine Rede inmitten des Schweigens öffnete“, oder der Schrei-ber- und Wissensgott Thot. Nach dem babylonischen WeltschöpfungseposEnuma elisch traten alle Dinge – Himmel, Erde und Götter – ins Dasein, alsder Schöpfergott Apsu ihnen Namen gab: „Mit Namen wurden sie genannt.“Im Rigveda, einem Hymnenbuch aus dem Indien des späten 2. Jahrtausendsv. Chr., heißt es: „Die Göttin Vac (die Rede) haben die Götter erzeugt“, undin einem anderen altindischen Hymnus wird der Gott Brahma als der Schöp-fer der menschlichen Sprachfähigkeit verehrt: „In Kinnladen die vielge-wandte Zunge baut er, der Rede Kunst in sie zu legen.“ Nach der germani-schen Snorra-Edda wurden die Menschen von den göttlichen Söhnen des All-

    12 D I E E N T S T E H U N G D E R S P R A C H E

    01_S001-025 15.10.2009 11:17 Uhr Seite 12

    CoverINHALTI DIE ENTSTEHUNG DER SPRACHEDER URSPRUNG VON SPRACHE UND SCHRIFT: ÜBER DIE ERSTAUNLICHE AKTUALITÄT EINES ALTEN THEMASGRILLENZIRPEN, VOGELGESANG UND AFFENGEKREISCH: KOMMUNIKATIONSSYSTEME IM TIERREICHSPRACHORGANE, GEHIRN UND DIE ENTWICKLUNGS-GESCHICHTE DES MENSCHENSPRACHENTSTEHUNG UND DIE HERAUSBILDUNG VON TECHNIK UND KULTURAKTUELLE SPEKULATIONEN ÜBER DIE „URSPRACHE“

    II DIE ENTSTEHUNG DER SCHRIFTFELSBILDER UND ZÄHLKERBEN: ÜBER DIE VORSTUFEN UND VORLÄUFER DER SCHRIFTDIE SCHRIFT: EIN KOMMUNIKATIONSMITTEL DER HOCHKULTURENVON DER ZÄHLMARKE ZUM ZAHLENTÄFELCHEN: FRÜHE BUCHFÜHRUNG IN VORDERASIENDIE HERAUSBILDUNG DER MESOPOTAMISCHEN KEILSCHRIFTDIE ÄGYPTISCHEN HIEROGLYPHEN: DAS ÄLTESTE SCHRIFTSYSTEM DER WELT?SCHRIFT UND GESELLSCHAFTLICHE MACHT: DIE FRÜHE SCHREIBKUNST ALS HERRSCHAFTSMITTEL UNDSOZIALES PRIVILEGAM ENDE DAS ALPHABET

    LITERATURVERZEICHNISANMERKUNGENBILDNACHWEISPERSONEN- UND ORTSREGISTER