wie könnte sich die sozialpsychiatrie im besten und im … · 2017-03-21 · • die wohnsituation...
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Jahrestagung 2017
Zukunftswerkstatt Sozialpsychiatrie
Wie könnte sich die Sozialpsychiatrie
im besten und im schlechtesten Fall entwickeln?
PD Dr. med. Holger Hoffmann
“Mein Herz gehört der Gegenwart,
meine Träume gehören der Zukunft."
Marcel Marceau, 1969
"Wirklich reich ist, wer mehr Träume in seiner Seele hat, als
die Realität zerstören kann."
Hans Kruppa
Das Pinelsche Pendel
Asmus Finzen, 1998
Das Pinelsche Pendel
Asmus Finzen, 1998
Wunschtraum
Asmus Finzen, 1998
Albtraum
Asmus Finzen, 1998
Wunschtraum
Asmus Finzen, 1998
Albtraum
Asmus Finzen, 1998
Wunschtraum
Asmus Finzen, 1998
Unsere Anstrengungen, Stigmatisierung, soziale Exklusion
und Randständigkeit von Menschen mit psychischen
Erkrankungen abzubauen, zeigen keine Erfolge.
Soziale Exklusion
Situation in Grossbritannien
2004
Social Exclusion Unit Report
Psychisch Kranke: • 2 x so hohe Chance Stelle zu verlieren • 3 x so hohes Risiko sich zu verschulden • 3 x so hohes Risiko geschieden zu werden • 24% haben Arbeitsstelle • 25% haben Mietrückstände • 25% unternehmen keine Aktivitäten in der Gemeinde • 40% der gemeindepsychiatrisch Betreuten haben
ausschliesslich Kontakte zu Patienten und Betreuern • 80% fühlen sich isoliert
Eikelmann et al. 2005
Produktion
Rohstoff + Energie = Produkt + Abfall
Wasted Lives - Modernity and its Outcasts
Zygmunt Bauman 2004
Das Risiko,einer Randgruppe anzugehören und damit ausgegrenzt
zu werden, wird um so grösser, je höher der Entwicklungsstand der
Produktionsgesellschaft
Randgruppenzugehörigkeit
Die Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention
sind umgesetzt und unsere Gesellschaft wird inklusiv.
Inklusion
Integration und Inklusion
• Integration strebt die Eingliederung beeinträchtigter / behinderter Menschen in die bestehende Gesellschaft an.
• Inklusion will die Veränderung bestehender Strukturen und Auffassungen dahingehend, dass die Unterschiedlichkeit der einzelnen Menschen die Normalität wird.
Das System und seine Grenzen
Inklusion
Inklusion heißt Gemeinsamkeit von Anfang an. Sie beendet das aufwendige Wechselspiel von Exklusion (= ausgrenzen) und Integration (= wieder hereinholen).
Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011
RAND RAND
Der Rand stützt die Norm
Der Sandhaufen als Beispiel einer normalverteilten Gesellschaft
Mein Wunschtraum
Psychisch Kranke sind trotz ihrer Beeinträchtigungen vollintegrierter Teil der
Gesellschaft.
Anderssein ist Teil der Normalität!
Die Empowerment-, Recovery- und
Ex-In-Bewegung gewinnt weiter an
Bedeutung.
Empowerment & Recovery
Gelassenheit
Wenn es gelingt, psychisch Kranke an allen Bereichen unserer Gesellschaft uneingeschränkt teilhaben zu lassen,
werden Vorurteile und Stigmata abgebaut und wir können ihren
Eigenheiten mit grösserer Gelassenheit begegnen.
Institutionszentrierte Behandlung
Die institutionszentrierte Behandlung in Grosskliniken
wird auch weiterhin trotz aller guter Vorsätze
gegenüber einer personenzentrierten dominieren.
Schwerpunkt liegt in der Gemeinde
Der Schwerpunkt psychiatrischer Aktivitäten wird zukünftig in der
Gemeinde liegen und nur in Ausnahmefällen in der Klinik!
bezgl. Risiken fragen Sie Ihren ...
Gemeindepsychiatrie =
Psychiatriegemeinde
Ghettoisierende Parallelwelten
Gemeindepsychiatrische Institutionen übernehmen die Asylfunktion von der
Klinik. Anstelle der angestrebten Inklusion findet entstehen
ghettoisierende Parallelwelten, die den Chronifizierungsprozess weiter fördern.
Auseinandertriften von
Psychiatrie
Psychotherapie
Sozialwesen
Rehabilitation
Integrierte Behandlung
Integrierte Behandlung wird sich zunehmend durchsetzen.
Integrierte Behandlung
Verflüssigung der Grenzen zwischen: • stationärer, • halbstationärer, • ambulanter Behandlung und • Rehabilitation
Ganzheitlicher, personenzentrierter Ansatz
Integrierte Behandlung
• Behandlungskontinuität: - unité de doctrine
- unité d‘équipe • Synergien (Personal, Räume, Finanzen)
• Frühintervention, Akut- & Langzeitbehandlung
• Sekundär- & Tertiärprävention
• Einbezug des Umfeldes • Case Management / ACT /Home Treatment
Regionale Globalbudgets
Regionale Globalbudgets (nach dem Vorbild von Itzehoe)
und Sozialraumorientierung sind Standard geworden.
Diktat der Ökonomie
Das Diktat der Ökonomie fordert weiterhin eine Konzentration aufs
Kerngeschäft, d.h. auf die stationäre Versorgung.
• Oekonomisierung und Enthumanisierung der Psychiatrie
• KK und Pharmafirmen übernehmen zunehmend Steuerfunktionen
• Zunahme von administrativen Aufgaben
• Zunahme des Ärztemangels
• Akademisierung der anderen Berufsgruppen
• Konzentration aufs Kerngeschäft: Akutklinik
• Gemeinde übernimmt Asylfunktion von Klinik
Ressourcenverknappung
ambulant vor stationär!
30 Jahre nach der Psychiatrie-Enquète
Den Schweizern sind die Betten teuer!
stationär vor ambulant!
Wohin fliesst zukünftig das Geld?
• In die Kliniken?• In die biologische Forschung?• In die Forensik?• In die Heime?• Ins Sozialwesen?
Money should follow the Patients!M. Knapp
Haltungen wie:
„Wir wollen nicht, dass sich die Patienten bei uns zu wohl fühlen, sondern dass sie schnell gesund
werden!“
dominieren den Klinikalltag
Effizienz vs. Milieutherapie
Milieutherapie
Milieutherapie, in den letzten Jahren vielerorts unterbewertet,
findet wieder vermehrt Beachtung in der stationären
Behandlung.
Die verschiedenen Soterias
• Soteria House 1971 - 1983 • Emanon 1974 - 1980 • Crossing Place 1977 - ? • Soteria Bern seit 1984 • Soteria Nacka 1993 - 1997 • McAuliffe House 1990 - ? • Soteria Gütersloh 1993 - 2000 • Soteria Frankfurt/Oder 1997 - 1999 • Soteria Gießen 1998 - 2014 • Soteria Zwiefalten seit 1999 • Soteria München seit 2003
Die verschiedenen Soterias 2
• Soteria Friedberg seit 2003 • Soteria Hannover 2004 - 2014 • Soteria Aachen 2004 - 2014 • Soteria Hamm ? - 2014 • Soteria Langenfeld ? - 2014 • Soteria Tokyo seit 2005 • Soteria Alaska 2007 - 2013 • Soteria Gangelt Lukas seit 2008 • Soteria Bremen-Nord seit 2010 • Soteria Nederland seit 2011 • Soteria Reichenau seit 2012
Die verschiedenen Soterias 3
• Soteria Bonn seit 2012 • Soteria Gangelt seit 2013 • Soteria Berlin seit 2013 • Soteria Jerusalem seit 2013 • Soteria Hamburg 2014 - 2016
Alle Klinikstationen und
Wohnheime werden
dauerhaft offen geführt!
Offen geführte Stationen
Zwangsbehandlungen
Ansteigen der forensischen und
Zwangsbehandlungen infolge gestiegenem
Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und als
Ausdruck von Hilflosigkeit.
Bedeutet Ent-Hospitalisierung auch Ent-Institutionalisierung?
Bitter et al. 2009
Transinstitutionalisierung
Priebe et al. 2008
Transinstitutionalisierung
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
Schweiz
1
9902002
2006
Spanien 1
9902002
2006
Niederlande
1990
20022006
Italie
n 1
9902002
2006
Irland
1990
20022006
Deutschland
19902002
2006
England 1
9902002
2006
Dänemark
1
9902002
2006
Österre
ich
1990
20022006
vollstationäre Versorgung Forensik betreutes Wohnen
260 250
182
115115
4359
40
0
50
100
150
200
250
300
Riggisberg Frienisberg Bärau Sonvielier
Bett
en
alle Bewohner psychisch Behinderte
GEF 2006
Grosswohnheime im Kanton Bern
44% 17% 32% 35%
n = 217
Transinstitutionalisierung
Mit dem Abbau von Klinikbetten geht unmerklich ein Anstieg der kostengünstigeren, aber auch
psychiatrisch schlechter betreuten Wohnheimbetten einher.
Entbetonisierung
Entbetonisierung der Psychiatrie sollte nicht nur im Kopf stattfinden.
Zunahme der Obdachlosigkeit
Entbetonisierung der Psychiatrie
• Personen- statt Institutionenzentrierung
• Flexibilisierung durch Mietobjekte
• Virtualisierung der Therapieorte
Virtualisierung der Therapieorte
• Virtualisierung der Klinikbetten: Home Treatment
• Virtualisierung geschützter Arbeitsplätze: Supported Employment
• Virtualisierung von Heimplätzen: Supported Housing
• Psychotherapie im Cyberspace
Supported Employment
Paradigmawechsel von
„First train - then place“ zu
„First place - then train“
Supported Employment
• Kompetitiver Arbeitsplatz in freier Wirtschaft
• Betreuung durch einen „Job Coach“
• Zeitlich unbeschränkt
• Tariflich entlöhnt
• Anreizsystem für Arbeitgeber
Hoffmann et al., Acta Psychiatr Scand 2012
Jemals Anstellung in freier Wirtschaft
nach Bond et al. 2012
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
IPS Control
JCP 2 Jahre
JCP 5 Jahre
Kontroll 5 Jahre
Kontroll 2 Jahre
2 & 5-Jahres-Outcome Supported Employment vs. Kontrollgruppe
p < 0.001 22%
30%37%
52%
26%
22%
35%
27%
7%
11%
30%
17%
0%0%
15%
28%
17% 13%
2%
4%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
freie Wirtschaft
JCP
in Ausbildung
in WfbM
ohne Arbeit
22% 30%
37%
52%
26% 22%
35%
31%
7% 2%
11%
4%
30% 17%
15% 28%
17% 13%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
freie Wirtschaft JCP in Ausbildung in WfbM ohne Arbeit
p < 0.001
JCP 2 Jahre
JCP 5 Jahre
Kontroll 5 Jahre
Kontroll 2 Jahre
2 & 5-Jahres-Outcome Supported Employment vs. Kontrollgruppe
Qualität des Supported Employment?
Nicht überall wo
Job Coaching oder Arbeitsassistenz
draufsteht, ist auch
Supported Employment drin!
• Die Wohnsituation wird nicht zugewiesen, sondern kann frei gewählt werden.
• Die Person wird als Gemeindemitglied gesehen, als Mieter und Bürger und nicht als Patient, Bewohner oder Programmteilnehmer.
• Die Person ist nicht „Behandelter“ sondern „Handelnder“, d.h. es findet ein Rollenwechsel vom Patienten zum Auftraggeber statt.
• Soziale Inklusion statt Ghetto von Behinderten.
Supported Housing
nach Tabol et al. 2010
• Trennung von Wohnen, Betreuung und Behandlung, d.h. trotz Änderung des Betreuungsaufwandes bleibt die Wohnform unverändert. (Die Wohnform bleibt unangetastet bei Veränderung des Betreuungs- und/oder Behandlungssettings).
• In vivo Lernen in dauerhaften statt in Vorbereitungs-Settings.
Supported Housing 2
nach Tabol et al. 2010
• Anstelle des Stufenleitermodells der Wohnrehabilitation tritt betreutes Wohnen in den eigenen vier Wänden.
• Eigenes Budget bis hin zur Assistenzentschädigung, Selbstbestimmung und Hoffnung sind feste Bestandteile des Supported Housing.
Supported Housing 3
nach Tabol et al. 2010
Das iPhone als (Co-)Therapeut
E-Mental-Health und Telepsychiatrie werden Allgemeingut
• Chat, Video-Chat, Onlineberatung, Onlineforen• Selbsthilfegruppen im Internet• Virtuelle Therapiegruppen z.B. für Migranten • Interventionsprogramme, z.B. Panic Online• oder Overcoming Depression on the Internet • oder Interapy bei posttraumatischem Stress• COGPACK bei Schizophrenie• PC-Einsatz in Kinder- und Jugendpsychiatrie
Siegeszug der biologischen Psychiatrie
• Bessere Diagnostik • Modelle werden im Computer simuliert
• Neue Medikamente
• Intracranielle Stimulation
• Cy-borgs
Zukünftige Psychiatrieversorgung
The Future of Psychiatry lies with Biology
Eric Kandel
Sozialen, systemischen, psycho-dynamischen, milieutherapeutischen und
Recovery-Aspekten wird in der Versorgung psychisch kranker Menschen nicht der Stellenwert eingeräumt, die für
das Verständnis ihrer Störungen und deren Genesungsprozess nützlich wären.
Fortbestehen der Dominanz der neurobiologischen Psychiatrie
Lehre & Forschung
Auch der letzte sozialpsychiatrische Lehrstuhl
wird durch einen Neurowissenschaftler besetzt.
Personalmangel
Zunahme des Personalmangels bei Ärzten und Pflegenden, da ihre Arbeit an Attraktivität verliert.
Psychiatrie ist attraktiver Arbeitsort
Sollten meine vorangehenden Wunschträume in Erfüllung gehen,
habe ich keine Sorge, dass die Psychiatrie ein attraktiver Arbeitsort
sein wird.
Zukünftige Psychiatrieversorgung
Psychiatrie Abbild der Gesellschaft und des Zeitgeistes: • Globalisierung
• Neoliberalisierung & Schuldenkrise
• Zunahme der Arbeitslosigkeit
• Öffnen der sozialen Schere
• Einfluss der IT-Technologie
Zukünftige Psychiatrieversorgung
• Religiöser Fundamentalismus
• zunehmende Migration
• Alterspyramide: Gerontopsychiatrie
• Suchtverhalten
• Seuchen wie AIDS
• Zunahme psychiatrischer Erkrankungen
Danke!
P.S.:
Eine Methode, um regelmäßig auftretende Albträume positiv zu
beeinflussen, kann darin bestehen, dass man sich des albtraumhaften Zustandes bewusst wird, über den
Traum nachdenkt und dann Lösungen sucht, ihn im Wachen positiv enden zu
lassen.