wilhelm meisters lehrjahre

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1 Wilhelm Meisters Lehrjahre Johann Wolfgang Goethe Inhalt Erstes Buch ................................................................................................................................... 4 Erstes Kapitel .......................................................................................................................................................... 4 Zweites Kapitel ........................................................................................................................................................ 5 Drittes Kapitel ......................................................................................................................................................... 6 Viertes Kapitel ......................................................................................................................................................... 8 Funftes Kapitel ........................................................................................................................................................ 9 Sechstes Kapitel ..................................................................................................................................................... 10 Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................... 12 Achtes Kapitel ....................................................................................................................................................... 14 Neuntes Kapitel ..................................................................................................................................................... 16 Zehntes Kapitel ...................................................................................................................................................... 17 Eilftes Kapitel ........................................................................................................................................................ 19 Zwölftes Kapitel ..................................................................................................................................................... 21 Dreizehntes Kapitel ............................................................................................................................................... 22 Vierzehntes Kapitel ............................................................................................................................................... 25 Funfzehntes Kapitel ............................................................................................................................................... 28 Sechzehntes Kapitel ............................................................................................................................................... 31 Siebzehntes Kapitel ................................................................................................................................................ 32 Zweites Buch ................................................................................................................................37 Erstes Kapitel ........................................................................................................................................................ 37 Zweites Kapitel ...................................................................................................................................................... 38 Drittes Kapitel ....................................................................................................................................................... 42 Viertes Kapitel ....................................................................................................................................................... 43 Funftes Kapitel ...................................................................................................................................................... 51 Sechstes Kapitel ..................................................................................................................................................... 52 Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................... 53 Achtes Kapitel ....................................................................................................................................................... 55 Neuntes Kapitel ..................................................................................................................................................... 56 Zehntes Kapitel ...................................................................................................................................................... 59 Eilftes Kapitel ........................................................................................................................................................ 61 Zwölftes Kapitel ..................................................................................................................................................... 64 Dreizehntes Kapitel ............................................................................................................................................... 66 Vierzehntes Kapitel ............................................................................................................................................... 68 Drittes Buch .................................................................................................................................71 Erstes Kapitel ........................................................................................................................................................ 71 Zweites Kapitel ...................................................................................................................................................... 74 Drittes Kapitel ....................................................................................................................................................... 76 Viertes Kapitel ....................................................................................................................................................... 79 Funftes Kapitel ...................................................................................................................................................... 80 Sechstes Kapitel ..................................................................................................................................................... 81 Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................... 83 Achtes Kapitel ....................................................................................................................................................... 85 Neuntes Kapitel ..................................................................................................................................................... 88 Zehntes Kapitel ...................................................................................................................................................... 92 Eilftes Kapitel ........................................................................................................................................................ 94 Zwölftes Kapitel ..................................................................................................................................................... 96

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    Wilhelm Meisters Lehrjahre Johann Wolfgang Goethe

    Inhalt

    Erstes Buch ................................................................................................................................... 4 Erstes Kapitel ..........................................................................................................................................................4 Zweites Kapitel ........................................................................................................................................................5 Drittes Kapitel .........................................................................................................................................................6 Viertes Kapitel.........................................................................................................................................................8 Funftes Kapitel ........................................................................................................................................................9 Sechstes Kapitel.....................................................................................................................................................10 Siebentes Kapitel ...................................................................................................................................................12 Achtes Kapitel .......................................................................................................................................................14 Neuntes Kapitel .....................................................................................................................................................16 Zehntes Kapitel......................................................................................................................................................17 Eilftes Kapitel ........................................................................................................................................................19 Zwlftes Kapitel.....................................................................................................................................................21 Dreizehntes Kapitel ...............................................................................................................................................22 Vierzehntes Kapitel ...............................................................................................................................................25 Funfzehntes Kapitel ...............................................................................................................................................28 Sechzehntes Kapitel ...............................................................................................................................................31 Siebzehntes Kapitel................................................................................................................................................32

    Zweites Buch ................................................................................................................................37 Erstes Kapitel ........................................................................................................................................................37 Zweites Kapitel ......................................................................................................................................................38 Drittes Kapitel .......................................................................................................................................................42 Viertes Kapitel.......................................................................................................................................................43 Funftes Kapitel ......................................................................................................................................................51 Sechstes Kapitel.....................................................................................................................................................52 Siebentes Kapitel ...................................................................................................................................................53 Achtes Kapitel .......................................................................................................................................................55 Neuntes Kapitel .....................................................................................................................................................56 Zehntes Kapitel......................................................................................................................................................59 Eilftes Kapitel ........................................................................................................................................................61 Zwlftes Kapitel.....................................................................................................................................................64 Dreizehntes Kapitel ...............................................................................................................................................66 Vierzehntes Kapitel ...............................................................................................................................................68

    Drittes Buch .................................................................................................................................71 Erstes Kapitel ........................................................................................................................................................71 Zweites Kapitel ......................................................................................................................................................74 Drittes Kapitel .......................................................................................................................................................76 Viertes Kapitel.......................................................................................................................................................79 Funftes Kapitel ......................................................................................................................................................80 Sechstes Kapitel.....................................................................................................................................................81 Siebentes Kapitel ...................................................................................................................................................83 Achtes Kapitel .......................................................................................................................................................85 Neuntes Kapitel .....................................................................................................................................................88 Zehntes Kapitel......................................................................................................................................................92 Eilftes Kapitel ........................................................................................................................................................94 Zwlftes Kapitel.....................................................................................................................................................96

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    Viertes Buch...............................................................................................................................100 Erstes Kapitel ...................................................................................................................................................... 100 Zweites Kapitel .................................................................................................................................................... 103 Drittes Kapitel ..................................................................................................................................................... 106 Viertes Kapitel..................................................................................................................................................... 107 Funftes Kapitel .................................................................................................................................................... 109 Sechstes Kapitel................................................................................................................................................... 111 Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................. 112 Achtes Kapitel ..................................................................................................................................................... 113 Neuntes Kapitel ................................................................................................................................................... 115 Zehntes Kapitel.................................................................................................................................................... 116 Eilftes Kapitel ...................................................................................................................................................... 117 Zwlftes Kapitel................................................................................................................................................... 119 Dreizehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 119 Vierzehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 121 Funfzehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 123 Sechzehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 126 Siebzehntes Kapitel.............................................................................................................................................. 131 Achtzehntes Kapitel............................................................................................................................................. 132 Neunzehntes Kapitel ............................................................................................................................................ 135 Zwanzigstes Kapitel............................................................................................................................................. 136

    Funftes Buch ..............................................................................................................................139 Erstes Kapitel ...................................................................................................................................................... 139 Zweites Kapitel .................................................................................................................................................... 141 Drittes Kapitel ..................................................................................................................................................... 142 Viertes Kapitel..................................................................................................................................................... 144 Funftes Kapitel .................................................................................................................................................... 147 Sechstes Kapitel................................................................................................................................................... 148 Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................. 151 Achtes Kapitel ..................................................................................................................................................... 152 Neuntes Kapitel ................................................................................................................................................... 154 Zehntes Kapitel.................................................................................................................................................... 155 Eilftes Kapitel ...................................................................................................................................................... 158 Zwlftes Kapitel................................................................................................................................................... 159 Dreizehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 162 Vierzehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 164 Funfzehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 165 Sechzehntes Kapitel ............................................................................................................................................. 168

    Sechstes Buch.............................................................................................................................177 Bekenntnisse einer schnen Seele ........................................................................................................................ 177

    Siebentes Buch ...........................................................................................................................207 Erstes Kapitel ...................................................................................................................................................... 207 Zweites Kapitel .................................................................................................................................................... 209 Drittes Kapitel ..................................................................................................................................................... 211 Viertes Kapitel..................................................................................................................................................... 214 Funftes Kapitel .................................................................................................................................................... 217 Sechstes Kapitel................................................................................................................................................... 219 Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................. 227 Achtes Kapitel ..................................................................................................................................................... 231 Neuntes Kapitel ................................................................................................................................................... 240

    Achtes Buch ...............................................................................................................................244 Erstes Kapitel ...................................................................................................................................................... 244 Zweites Kapitel .................................................................................................................................................... 247 Drittes Kapitel ..................................................................................................................................................... 253 Viertes Kapitel..................................................................................................................................................... 259 Funftes Kapitel .................................................................................................................................................... 263 Sechstes Kapitel................................................................................................................................................... 270

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    Siebentes Kapitel ................................................................................................................................................. 274 Achtes Kapitel ..................................................................................................................................................... 280 Neuntes Kapitel ................................................................................................................................................... 282 Zehntes Kapitel.................................................................................................................................................... 289

    Einfhrung ................................................................................... Fehler! Textmarke nicht definiert.

    Kurzinhalt .................................................................................... Fehler! Textmarke nicht definiert.

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    ERSTES BUCH

    Erstes Kapitel Das Schauspiel dauerte sehr lange. Die alte Barbara trat einigemal ans Fenster und horchte, ob die

    Kutschen nicht rasseln wollten. Sie erwartete Marianen, ihre schne Gebieterin, die heute im Nach-spiele, als junger Offizier gekleidet, das Publikum entzckte, mit grerer Ungeduld als sonst, wenn sie ihr nur ein miges Abendessen vorzusetzen hatte; diesmal sollte sie mit einem Paket berrascht werden, das Norberg, ein junger, reicher Kaufmann, mit der Post geschickt hatte, um zu zeigen, da er auch in der Entfernung seiner Geliebten gedenke.

    Barbara war als alte Dienerin, Vertraute, Ratgeberin, Unterhndlerin und Haushlterin in Besitz des Rechtes, die Siegel zu erffnen, und auch diesen Abend konnte sie ihrer Neugierde um so weni-ger widerstehen, als ihr die Gunst des freigebigen Liebhabers mehr als selbst Marianen am Herzen lag. Zu ihrer grten Freude hatte sie in dem Paket ein feines Stck Nesseltuch und die neuesten Bnder fr Marianen, fr sich aber ein Stck Kattun, Halstcher und ein Rllchen Geld gefunden. Mit welcher Neigung, welcher Dankbarkeit erinnerte sie sich des abwesenden Norbergs! Wie lebhaft nahm sie sich vor, auch bei Marianen seiner im besten zu gedenken, sie zu erinnern, was sie ihm schuldig sei und was er von ihrer Treue hoffen und erwarten msse.

    Das Nesseltuch, durch die Farbe der halbaufgerollten Bnder belebt, lag wie ein Christgeschenk auf dem Tischchen; die Stellung der Lichter erhhte den Glanz der Gabe, alles war in Ordnung, als die Alte den Tritt Marianens auf der Treppe vernahm und ihr entgegeneilte. Aber wie sehr verwun-dert trat sie zurck, als das weibliche Offizierchen, ohne auf die Liebkosungen zu achten, sich an ihr vorbeidrngte, mit ungewhnlicher Hast und Bewegung in das Zimmer trat, Federhut und Degen auf den Tisch warf, unruhig auf und nieder ging und den feierlich angezndeten Lichtern keinen Blick gnnte.

    Was hast du, Liebchen? rief die Alte verwundert aus. Ums Himmels willen, Tchterchen, was gibts? Sieh hier diese Geschenke! Von wem knnen sie sein, als von deinem zrtlichsten Freunde? Norberg schickt dir das Stck Musselin zum Nachtkleide; bald ist er selbst da; er scheint mir eifriger und freigebiger als jemals.

    Die Alte kehrte sich um und wollte die Gaben, womit er auch sie bedacht, vorweisen, als Mariane, sich von den Geschenken wegwendend, mit Leidenschaft ausrief: Fort! Fort! heute will ich nichts von allem diesen hren; ich habe dir gehorcht, du hast es gewollt, es sei so! Wenn Norberg zurck-kehrt, bin ich wieder sein, bin ich dein, mache mit mir, was du willst, aber bis dahin will ich mein sein, und httest du tausend Zungen, du solltest mir meinen Vorsatz nicht ausreden. Dieses ganze Mein will ich dem geben, der mich liebt und den ich liebe. Keine Gesichter! Ich will mich dieser Lei-denschaft berlassen, als wenn sie ewig dauern sollte.

    Der Alten fehlte es nicht an Gegenvorstellungen und Grnden; doch da sie in fernerem Wort-wechsel heftig und bitter ward, sprang Mariane auf sie los und fate sie bei der Brust. Die Alte lachte berlaut. Ich werde sorgen mssen, rief sie aus, da sie wieder bald in lange Kleider kommt, wenn ich meines Lebens sicher sein will. Fort, zieht Euch aus! Ich hoffe, das Mdchen wird mir ab-bitten, was mir der flchtige Junker Leids zugefgt hat; herunter mit dem Rock und immer so fort alles herunter! Es ist eine unbequeme Tracht, und fr Euch gefhrlich, wie ich merke. Die Achsel-bnder begeistern Euch.

    Die Alte hatte Hand an sie gelegt. Mariane ri sich los. Nicht so geschwind! rief sie aus, ich habe noch heute Besuch zu erwarten.

    Das ist nicht gut, versetzte die Alte. Doch nicht den jungen, zrtlichen, unbefiederten Kauf-mannssohn? Eben den, versetzte Mariane.

  • 5

    Es scheint, als wenn die Gromut Eure herrschende Leidenschaft werden wollte, erwiderte die Alte spottend; Ihr nehmt Euch der Unmndigen, der Unvermgenden mit groem Eifer an. Es mu reizend sein, als uneigenntzige Geberin angebetet zu werden.

    Spotte, wie du willst. Ich lieb ihn! ich lieb ihn! Mit welchem Entzcken sprech ich zum erstenmal diese Worte aus! Das ist diese Leidenschaft, die ich so oft vorgestellt habe, von der ich keinen Beg-riff hatte. Ja, ich will mich ihm um den Hals werfen! ich will ihn fassen, als wenn ich ihn ewig halten wollte. Ich will ihm meine ganze Liebe zeigen, seine Liebe in ihrem ganzen Umfang genieen.

    Migt Euch, sagte die Alte gelassen, migt Euch! Ich mu Eure Freude durch ein Wort un-terbrechen: Norberg kommt! in vierzehn Tagen kommt er! Hier ist sein Brief, der die Geschenke begleitet hat.

    Und wenn mir die Morgensonne meinen Freund rauben sollte, will ich mirs verbergen. Vierzehn Tage! Welche Ewigkeit! In vierzehn Tagen, was kann da nicht vorfallen, was kann sich da nicht ver-ndern!

    Wilhelm trat herein. Mit welcher Lebhaftigkeit flog sie ihm entgegen! mit welchem Entzcken umschlang er die rote Uniform! drckte er das weie Atlaswestchen an seine Brust! Wer wagte hier zu beschreiben, wem geziemt es, die Seligkeit zweier Liebenden auszusprechen! Die Alte ging mur-rend beiseite, wir entfernen uns mit ihr und lassen die Glcklichen allein.

    Zweites Kapitel Als Wilhelm seine Mutter des andern Morgens begrte, erffnete sie ihm, da der Vater sehr

    verdrielich sei und ihm den tglichen Besuch des Schauspiels nchstens untersagen werde. Wenn ich gleich selbst, fuhr sie fort, manchmal gern ins Theater gehe, so mchte ich es doch oft verwn-schen, da meine husliche Ruhe durch deine unmige Leidenschaft zu diesem Vergngen gestrt wird. Der Vater wiederholt immer, wozu es nur ntze sei? Wie man seine Zeit nur so verderben kn-ne?

    Ich habe es auch schon von ihm hren mssen, versetzte Wilhelm, und habe ihm vielleicht zu hastig geantwortet; aber ums Himmels willen, Mutter! ist denn alles unntz, was uns nicht unmittel-bar Geld in den Beutel bringt, was uns nicht den allernchsten Besitz verschafft? Hatten wir in dem alten Hause nicht Raum genug? und war es ntig, ein neues zu bauen? Verwendet der Vater nicht jhrlich einen ansehnlichen Teil seines Handelsgewinnes zur Verschnerung der Zimmer? Diese sei-denen Tapeten, diese englischen Mobilien, sind sie nicht auch unntz? Knnten wir uns nicht mit geringeren begngen? Wenigstens bekenne ich, da mir diese gestreiften Wnde, diese hundertmal wiederholten Blumen, Schnrkel, Krbchen und Figuren einen durchaus unangenehmen Eindruck machen. Sie kommen mir hchstens vor wie unser Theatervorhang. Aber wie anders ists, vor diesem zu sitzen! Wenn man noch so lange warten mu, so wei man doch, er wird in die Hhe gehen, und wir werden die mannigfaltigsten Gegenstnde sehen, die uns unterhalten, aufklren und erheben.

    Mach es nur mig, sagte die Mutter, der Vater will auch abends unterhalten sein; und dann glaubt er, es zerstreue dich, und am Ende trag ich, wenn er verdrielich wird, die Schuld. Wie oft mute ich mir das verwnschte Puppenspiel vorwerfen lassen, das ich euch vor zwlf Jahren zum Heiligen Christ gab und das euch zuerst Geschmack am Schauspiele beibrachte!

    Schelten Sie das Puppenspiel nicht, lassen Sie sich Ihre Liebe und Vorsorge nicht gereuen! Es waren die ersten vergngten Augenblicke, die ich in dem neuen, leeren Hause geno; ich sehe es diesen Augenblick noch vor mir, ich wei, wie sonderbar es mir vorkam, als man uns, nach Empfang der gewhnlichen Christgeschenke, vor einer Tre niedersitzen hie, die aus einem andern Zimmer hereinging. Sie erffnete sich; allein nicht wie sonst zum Hin- und Widerlaufen, der Eingang war durch eine unerwartete Festlichkeit ausgefllt. Es baute sich ein Portal in die Hhe, das von einem

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    mystischen Vorhang verdeckt war. Erst standen wir alle von ferne, und wie unsere Neugierde grer ward, um zu sehen, was wohl Blinkendes und Rasselndes sich hinter der halb durchsichtigen Hlle verbergen mchte, wies man jedem sein Sthlchen an und gebot uns, in Geduld zu warten.

    So sa nun alles und war still; eine Pfeife gab das Signal, der Vorhang rollte in die Hhe und zeig-te eine hochrot gemalte Aussicht in den Tempel. Der Hohepriester Samuel erschien mit Jonathan, und ihre wechselnden, wunderlichen Stimmen kamen mir hchst ehrwrdig vor. Kurz darauf betrat Saul die Szene, in groer Verlegenheit ber die Impertinenz des schwerltigen Kriegers, der ihn und die Seinigen herausgefordert hatte. Wie wohl ward es mir daher, als der zwerggestaltete Sohn Isai mit Schferstab, Hirtentasche und Schleuder hervorhpfte und sprach: Gromchtigster Knig und Herr Herr! es entfalle keinem der Mut um deswillen; wenn Ihro Majestt mir erlauben wollen, so will ich hingehen und mit dem gewaltigen Riesen in den Streit treten. Der erste Akt war geendet und die Zuschauer hchst begierig zu sehen, was nun weiter vorgehen sollte; jedes wnschte, die Musik mchte nur bald aufhren. Endlich ging der Vorhang wieder in die Hhe. David weihte das Fleisch des Ungeheuers den Vgeln unter dem Himmel und den Tieren auf dem Felde; der Philister sprach Hohn, stampfte viel mit beiden Fen, fiel endlich wie ein Klotz und gab der ganzen Sache einen herrlichen Ausschlag. Wie dann nachher die Jungfrauen sangen: Saul hat tausend geschlagen, David aber zehntausend!, der Kopf des Riesen vor dem kleinen berwinder hergetragen wurde und er die schne Knigstochter zur Gemahlin erhielt, verdro es mich doch bei aller Freude, da der Glcks-prinz so zwergmig gebildet sei. Denn nach der Idee vom groen Goliath und kleinen David hatte man nicht verfehlt, beide recht charakteristisch zu machen. Ich bitte Sie, wo sind die Puppen hinge-kommen? Ich habe versprochen, sie einem Freunde zu zeigen, dem ich viel Vergngen machte, in-dem ich ihn neulich von diesem Kinderspiel unterhielt.

    Es wundert mich nicht, da du dich dieser Dinge so lebhaft erinnerst: denn du nahmst gleich den grten Anteil daran. Ich wei, wie du mir das Bchlein entwendetest und das ganze Stck auswen-dig lerntest; ich wurde es erst gewahr, als du eines Abends dir einen Goliath und David von Wachs machtest, sie beide gegeneinander perorieren lieest, dem Riesen endlich einen Sto gabst und sein unfrmliches Haupt auf einer groen Stecknadel mit wchsernem Griff dem kleinen David in die Hand klebtest. Ich hatte damals so eine herzliche mtterliche Freude ber dein gutes Gedchtnis und deine pathetische Rede, da ich mir sogleich vornahm, dir die hlzerne Truppe nun selbst zu berge-ben. Ich dachte damals nicht, da es mir so manche verdrieliche Stunde machen sollte.

    Lassen Sie sichs nicht gereuen, versetzte Wilhelm; denn es haben uns diese Scherze manche vergngte Stunde gemacht.

    Und mit diesem erbat er sich die Schlssel, eilte, fand die Puppen und war einen Augenblick in je-ne Zeiten versetzt, wo sie ihm noch belebt schienen, wo er sie durch die Lebhaftigkeit seiner Stimme, durch die Bewegung seiner Hnde zu beleben glaubte. Er nahm sie mit auf seine Stube und verwahr-te sie sorgfltig.

    Drittes Kapitel Wenn die erste Liebe, wie ich allgemein behaupten hre, das Schnste ist, was ein Herz frher

    oder spter empfinden kann, so mssen wir unsern Helden dreifach glcklich preisen, da ihm ge-gnnt ward, die Wonne dieser einzigen Augenblicke in ihrem ganzen Umfange zu genieen. Nur wenig Menschen werden so vorzglich begnstigt, indes die meisten von ihren frhern Empfindun-gen nur durch eine harte Schule gefhrt werden, in welcher sie, nach einem kmmerlichen Genu, gezwungen sind, ihren besten Wnschen entsagen und das, was ihnen als hchste Glckseligkeit vor-schwebte, fr immer entbehren zu lernen.

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    Auf den Flgeln der Einbildungskraft hatte sich Wilhelms Begierde zu dem reizenden Mdchen erhoben; nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand sich im Besitz einer Person, die er so sehr liebte, ja verehrte: denn sie war ihm zuerst in dem gnstigen Lichte theatrali-scher Vorstellung erschienen, und seine Leidenschaft zur Bhne verband sich mit der ersten Liebe zu einem weiblichen Geschpfe. Seine Jugend lie ihn reiche Freuden genieen, die von einer lebhaften Dichtung erhht und erhalten wurden. Auch der Zustand seiner Geliebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche seinen Empfindungen sehr zu Hlfe kam; die Furcht, ihr Geliebter mchte ihre brigen Verhltnisse vor der Zeit entdecken, verbreitete ber sie einen liebenswrdigen Anschein von Sorge und Scham, ihre Leidenschaft fr ihn war lebhaft, selbst ihre Unruhe schien ihre Zrtlichkeit zu vermehren; sie war das lieblichste Geschpf in seinen Armen.

    Als er aus dem ersten Taumel der Freude erwachte und auf sein Leben und seine Verhltnisse zu-rckblickte, erschien ihm alles neu, seine Pflichten heiliger, seine Liebhabereien lebhafter, seine Kenntnisse deutlicher, seine Talente krftiger, seine Vorstze entschiedener. Es ward ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorwrfen seines Vaters zu entgehen, seine Mutter zu beruhigen und Marianens Liebe ungestrt zu genieen. Er verrichtete des Tags seine Geschfte pnktlich, entsagte gewhnlich dem Schauspiel, war abends bei Tische unterhaltend und schlich, wenn alles zu Bette war, in seinen Mantel gehllt, sachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lin-dors und Leanders im Busen, unaufhaltsam zu seiner Geliebten.

    Was bringen Sie? fragte Mariane, als er eines Abends ein Bndel hervorwies, das die Alte in Hoffnung angenehmer Geschenke sehr aufmerksam betrachtete. Sie werden es nicht erraten, ver-setzte Wilhelm.

    Wie verwunderte sich Mariane, wie entsetzte sich Barbara, als die aufgebundene Serviette einen verworrenen Haufen spannenlanger Puppen sehen lie. Mariane lachte laut, als Wilhelm die verwor-renen Drhte auseinanderzuwickeln und jede Figur einzeln vorzuzeigen bemht war. Die Alte schlich verdrielich beiseite.

    Es bedarf nur einer Kleinigkeit, um zwei Liebende zu unterhalten, und so vergngten sich unsre Freunde diesen Abend aufs beste. Die kleine Truppe wurde gemustert, jede Figur genau betrachtet und belacht. Knig Saul im schwarzen Samtrocke mit der goldenen Krone wollte Marianen gar nicht gefallen; er sehe ihr, sagte sie, zu steif und pedantisch aus. Desto besser behagte ihr Jonathan, sein glattes Kinn, sein gelb und rotes Kleid und der Turban. Auch wute sie ihn gar artig am Drahte hin und her zu drehen, lie ihn Reverenzen machen und Liebeserklrungen hersagen. Dagegen wollte sie dem Propheten Samuel nicht die mindeste Aufmerksamkeit schenken, wenn ihr gleich Wilhelm das Brustschildchen anpries und erzhlte, da der Schillertaft des Leibrocks von einem alten Kleide der Gromutter genommen sei. David war ihr zu klein und Goliath zu gro; sie hielt sich an ihren Jona-than. Sie wute ihm so artig zu tun und zuletzt ihre Liebkosungen von der Puppe auf unsern Freund herberzutragen, da auch diesmal wieder ein geringes Spiel die Einleitung glcklicher Stunden ward.

    Aus der Sigkeit ihrer zrtlichen Trume wurden sie durch einen Lrm geweckt, welcher auf der Strae entstand. Mariane rief der Alten, die, nach ihrer Gewohnheit noch fleiig, die vernderlichen Materialien der Theatergarderobe zum Gebrauch des nchsten Stckes anzupassen beschftigt war. Sie gab die Auskunft, da eben eine Gesellschaft lustiger Gesellen aus dem Italienerkeller nebenan heraustaumle, wo sie bei frischen Austern, die eben angekommen, des Champagners nicht geschont htten.

    Schade, sagte Mariane, da es uns nicht frher eingefallen ist, wir htten uns auch was zugute tun sollen.

    Es ist wohl noch Zeit, versetzte Wilhelm und reichte der Alten einen Louisdor hin. Verschafft Sie uns, was wir wnschen, so soll Sies mit genieen.

    Die Alte war behend, und in kurzer Zeit stand ein artig bestellter Tisch mit einer wohlgeordneten Kollation vor den Liebenden. Die Alte mute sich dazusetzen; man a, trank und lie sichs wohl sein.

  • 8

    In solchen Fllen fehlt es nie an Unterhaltung. Mariane nahm ihren Jonathan wieder vor, und die Alte wute das Gesprch auf Wilhelms Lieblingsmaterie zu wenden. Sie haben uns schon einmal, sagte sie, von der ersten Auffhrung eines Puppenspiels am Weihnachtsabend unterhalten; es war lustig zu hren. Sie wurden eben unterbrochen, als das Ballett angehen sollte. Nun kennen wir das herrliche Personal, das jene groen Wirkungen hervorbrachte.

    Ja, sagte Mariane, erzhle uns weiter, wie war dirs zumute? Es ist eine schne Empfindung, liebe Mariane, versetzte Wilhelm, wenn wir uns alter Zeiten

    und alter unschdlicher Irrtmer erinnern, besonders wenn es in einem Augenblick geschieht, da wir eine Hhe glcklich erreicht haben, von welcher wir uns umsehen und den zurckgelegten Weg -berschauen knnen. Es ist so angenehm, selbstzufrieden sich mancher Hindernisse zu erinnern, die wir oft mit einem peinlichen Gefhle fr unberwindlich hielten, und dasjenige, was wir jetzt entwi-ckelt sind, mit dem zu vergleichen, was wir damals unentwickelt waren. Aber unaussprechlich glck-lich fhl ich mich jetzt, da ich in diesem Augenblicke mit dir von dem Vergangnen rede, weil ich zu-gleich vorwrts in das reizende Land schaue, das wir zusammen Hand in Hand durchwandern kn-nen.

    Wie war es mit dem Ballett? fiel die Alte ihm ein. Ich frchte, es ist nicht alles abgelaufen, wie es sollte.

    O ja, versetzte Wilhelm, sehr gut! Von jenen wunderlichen Sprngen der Mohren und Moh-rinnen, Schfer und Schferinnen, Zwerge und Zwerginnen ist mir eine dunkle Erinnerung auf mein ganzes Leben geblieben. Nun fiel der Vorhang, die Tre schlo sich, und die ganze kleine Gesell-schaft eilte wie betrunken und taumelnd zu Bette; ich wei aber wohl, da ich nicht einschlafen konnte, da ich noch etwas erzhlt haben wollte, da ich noch viele Fragen tat und da ich nur un-gern die Wrterin entlie, die uns zur Ruhe gebracht hatte.

    Den andern Morgen war leider das magische Gerste wieder verschwunden, der mystische Schleier weggehoben, man ging durch jene Tre wieder frei aus einer Stube in die andere, und so viel Abenteuer hatten keine Spur zurckgelassen. Meine Geschwister liefen mit ihren Spielsachen auf und ab, ich allein schlich hin und her, es schien mir unmglich, da da nur zwo Trpfosten sein sollten, wo gestern so viel Zauberei gewesen war. Ach, wer eine verlorne Liebe sucht, kann nicht unglckli-cher sein, als ich mir damals schien!

    Ein freudetrunkner Blick, den er auf Marianen warf, berzeugte sie, da er nicht frchtete, jemals in diesen Fall kommen zu knnen.

    Viertes Kapitel Mein einziger Wunsch war nunmehr, fuhr Wilhelm fort, eine zweite Auffhrung des Stcks zu

    sehen. Ich lag der Mutter an, und diese suchte zu einer gelegenen Stunde den Vater zu bereden; al-lein ihre Mhe war vergebens. Er behauptete, nur ein seltenes Vergngen knne bei den Menschen einen Wert haben, Kinder und Alte wten nicht zu schtzen, was ihnen Gutes tglich begegnete.

    Wir htten auch noch lange, vielleicht bis wieder Weihnachten, warten mssen, htte nicht der Er-bauer und heimliche Direktor des Schauspiels selbst Lust gefhlt, die Vorstellung zu wiederholen und dabei in einem Nachspiele einen ganz frisch fertig gewordenen Hanswurst zu produzieren.

    Ein junger Mann von der Artillerie, mit vielen Talenten begabt, besonders in mechanischen Arbei-ten geschickt, der dem Vater whrend des Bauens viele wesentliche Dienste geleistet hatte und von ihm reichlich beschenkt worden war, wollte sich am Christfeste der kleinen Familie dankbar erzeigen und machte dem Hause seines Gnners ein Geschenk mit diesem ganz eingerichteten Theater, das er ehmals in migen Stunden zusammengebaut, geschnitzt und gemalt hatte. Er war es, der mit Hlfe eines Bedienten selbst die Puppen regierte und mit verstellter Stimme die verschiedenen Rollen her-

  • 9

    sagte. Ihm ward nicht schwer, den Vater zu bereden, der einem Freunde aus Geflligkeit zugestand, was er seinen Kindern aus berzeugung abgeschlagen hatte. Genug, das Theater ward wieder aufge-stellt, einige Nachbarskinder gebeten und das Stck wiederholt.

    Hatte ich das erstemal die Freude der berraschung und des Staunens, so war zum zweiten Male die Wollust des Aufmerkens und Forschens gro. Wie das zugehe, war jetzt mein Anliegen. Da die Puppen nicht selbst redeten, hatte ich mir schon das erstemal gesagt; da sie sich nicht von selbst bewegten, vermutete ich auch; aber warum das alles doch so hbsch war und es doch so aussah, als wenn sie selbst redeten und sich bewegten, und wo die Lichter und die Leute sein mchten, diese Rtsel beunruhigten mich um desto mehr, je mehr ich wnschte, zugleich unter den Bezauberten und Zauberern zu sein, zugleich meine Hnde verdeckt im Spiel zu haben und als Zuschauer die Freude der Illusion zu genieen.

    Das Stck war zu Ende, man machte Vorbereitungen zum Nachspiel, die Zuschauer waren aufge-standen und schwatzten durcheinander. Ich drngte mich nher an die Tre und hrte inwendig am Klappern, da man mit Aufrumen beschftigt sei. Ich hub den untern Teppich auf und guckte zwi-schen dem Gestelle durch. Meine Mutter bemerkte es und zog mich zurck; allein ich hatte doch soviel gesehen, da man Freunde und Feinde, Saul und Goliath und wie sie alle heien mochten, in einen Schiebkasten packte, und so erhielt meine halbbefriedigte Neugierde frische Nahrung. Dabei hatte ich zu meinem grten Erstaunen den Lieutenant im Heiligtume sehr geschftig erblickt. Nun-mehr konnte mich der Hanswurst, sosehr er mit seinen Abstzen klapperte, nicht unterhalten. Ich verlor mich in tiefes Nachdenken und war nach dieser Entdeckung ruhiger und unruhiger als vorher. Nachdem ich etwas erfahren hatte, kam es mir erst vor, als ob ich gar nichts wisse, und ich hatte recht: denn es fehlte mir der Zusammenhang, und darauf kommt doch eigentlich alles an.

    Funftes Kapitel Die Kinder haben, fuhr Wilhelm fort, in wohleingerichteten und geordneten Husern eine

    Empfindung, wie ungefhr Ratten und Muse haben mgen: sie sind aufmerksam auf alle Ritzen und Lcher, wo sie zu einem verbotenen Naschwerk gelangen knnen; sie genieen es mit einer solchen verstohlnen, wollstigen Furcht, die einen groen Teil des kindischen Glcks ausmacht.

    Ich war vor allen meinen Geschwistern aufmerksam, wenn irgend ein Schlssel steckenblieb. Je grer die Ehrfurcht war, die ich fr die verschlossenen Tren in meinem Herzen herumtrug, an de-nen ich wochen- und monatelang vorbeigehen mute und in die ich nur manchmal, wenn die Mutter das Heiligtum ffnete, um etwas herauszuholen, einen verstohlnen Blick tat, desto schneller war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachlssigkeit der Wirtschafterinnen manchmal treffen lie.

    Unter allen Tren war, wie man leicht erachten kann, die Tre der Speisekammer diejenige, auf die meine Sinne am schrfsten gerichtet waren. Wenig ahnungsvolle Freuden des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hineinrief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich dann einige gedrrte Pflaumen entweder ihrer Gte oder meiner List zu danken hatte. Die aufgehuften Schtze bereinander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer Flle, und selbst der wunderliche Geruch, den so mancherlei Spezereien durcheinander aushauchten, hatte so eine leckere Wirkung auf mich, da ich niemals versumte, sooft ich in der Nhe war, mich wenigstens an der erffneten Atmosphre zu weiden. Dieser merkwrdige Schlssel blieb eines Sonntagmorgens, da die Mutter von dem Gelute bereilt ward und das ganze Haus in einer tiefen Sabbatstille lag, stecken. Kaum hatte ich es bemerkt, als ich etlichemal sachte an der Wand hin- und herging, mich endlich still und fein andrngte, die Tre ffnete und mich mit einem Schritt in der Nhe so vieler langgewnsch-ter Glckseligkeit fhlte. Ich besah Ksten, Scke, Schachteln, Bchsen, Glser mit einem schnellen,

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    zweifelnden Blicke, was ich whlen und nehmen sollte, griff endlich nach den vielgeliebten gewelkten Pflaumen, versah mich mit einigen getrockneten pfeln und nahm gengsam noch eine eingemachte Pomeranzenschale dazu: mit welcher Beute ich meinen Weg wieder rckwrtsglitschen wollte, als mir ein paar nebeneinander stehende Kasten in die Augen fielen, aus deren einem Drhte, oben mit Hkchen versehen, durch den bel verschlossenen Schieber heraushingen. Ahnungsvoll fiel ich dar-ber her; und mit welcher berirdischen Empfindung entdeckte ich, da darin meine Helden- und Freudenwelt aufeinandergepackt sei! Ich wollte die obersten aufheben, betrachten, die untersten her-vorziehen; allein gar bald verwirrte ich die leichten Drhte, kam darber in Unruhe und Bangigkeit, besonders da die Kchin in der benachbarten Kche einige Bewegungen machte, da ich alles, so gut ich konnte, zusammendrckte, den Kasten zuschob, nur ein geschriebenes Bchelchen, worin die Komdie von David und Goliath aufgezeichnet war, das obenauf gelegen hatte, zu mir steckte und mich mit dieser Beute leise die Treppe hinauf in eine Dachkammer rettete.

    Von der Zeit an wandte ich alle verstohlenen einsamen Stunden darauf, mein Schauspiel wieder-holt zu lesen, es auswendig zu lernen und mir in Gedanken vorzustellen, wie herrlich es sein mte, wenn ich auch die Gestalten dazu mit meinen Fingern beleben knnte. Ich ward darber in meinen Gedanken selbst zum David und Goliath. In allen Winkeln des Bodens, der Stlle, des Gartens, unter allerlei Umstnden studierte ich das Stck ganz in mich hinein, ergriff alle Rollen und lernte sie aus-wendig, nur da ich mich meist an den Platz der Haupthelden zu setzen pflegte und die brigen wie Trabanten nur im Gedchtnisse mitlaufen lie. So lagen mir die gromtigen Reden Davids, mit de-nen er den bermtigen Riesen Goliath herausforderte, Tag und Nacht im Sinne; ich murmelte sie oft vor mich hin, niemand gab acht darauf als der Vater, der manchmal einen solchen Ausruf bemerkte und bei sich selbst das gute Gedchtnis seines Knaben pries, der von so wenigem Zuhren so man-cherlei habe behalten knnen.

    Hierdurch ward ich immer verwegener und rezitierte eines Abends das Stck zum grten Teile vor meiner Mutter, indem ich mir einige Wachsklmpchen zu Schauspielern bereitete. Sie merkte auf, drang in mich, und ich gestand.

    Glcklicherweise fiel diese Entdeckung in die Zeit, da der Lieutenant selbst den Wunsch geuert hatte, mich in diese Geheimnisse einweihen zu drfen. Meine Mutter gab ihm sogleich Nachricht von dem unerwarteten Talente ihres Sohnes, und er wute nun einzuleiten, da man ihm ein Paar Zimmer im obersten Stocke, die gewhnlich leer standen, berlie, in deren einem wieder die Zuschauer sit-zen, in dem andern die Schauspieler sein, und das Proszenium abermals die ffnung der Tre ausfl-len sollte. Der Vater hatte seinem Freunde das alles zu veranstalten erlaubt, er selbst schien nur durch die Finger zu sehen, nach dem Grundsatze, man msse den Kindern nicht merken lassen, wie lieb man sie habe, sie griffen immer zu weit um sich; er meinte, man msse bei ihren Freuden ernst schei-nen und sie ihnen manchmal verderben, damit ihre Zufriedenheit sie nicht bermig und bermtig mache.

    Sechstes Kapitel Der Lieutenant schlug nunmehr das Theater auf und besorgte das brige. Ich merkte wohl, da

    er die Woche mehrmals zu ungewhnlicher Zeit ins Haus kam, und vermutete die Absicht. Meine Begierde wuchs unglaublich, da ich wohl fhlte, da ich vor Sonnabends keinen Teil an dem, was zubereitet wurde, nehmen durfte. Endlich erschien der gewnschte Tag. Abends um fnf Uhr kam mein Fhrer und nahm mich mit hinauf. Zitternd vor Freude trat ich hinein und erblickte auf beiden Seiten des Gestelles die herabhngenden Puppen in der Ordnung, wie sie auftreten sollten; ich be-trachtete sie sorgfltig, stieg auf den Tritt, der mich ber das Theater erhub, so da ich nun ber der kleinen Welt schwebte. Ich sah nicht ohne Ehrfurcht zwischen die Brettchen hinunter, weil die Erin-

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    nerung, welche herrliche Wirkung das Ganze von auen tue, und das Gefhl, in welche Geheimnisse ich eingeweiht sei, mich umfaten. Wir machten einen Versuch, und es ging gut.

    Den andern Tag, da eine Gesellschaft Kinder geladen war, hielten wir uns trefflich, auer da ich in dem Feuer der Aktion meinen Jonathan fallen lie und gentigt war, mit der Hand hinunterzugrei-fen und ihn zu holen: ein Zufall, der die Illusion sehr unterbrach, ein groes Gelchter verursachte und mich unsglich krnkte. Auch schien dieses Versehn dem Vater sehr willkommen zu sein, der das groe Vergngen, sein Shnchen so fhig zu sehen, wohlbedchtig nicht an den Tag gab, nach geendigtem Stcke sich gleich an die Fehler hing und sagte, es wre recht artig gewesen, wenn nur dies oder das nicht versagt htte.

    Mich krnkte das innig, ich ward traurig fr den Abend, hatte aber am kommenden Morgen allen Verdru schon wieder verschlafen und war in dem Gedanken selig, da ich, auer jenem Unglck, trefflich gespielt habe. Dazu kam der Beifall der Zuschauer, welche durchaus behaupteten: obgleich der Lieutenant in Absicht der groben und feinen Stimme sehr viel getan habe, so peroriere er doch meist zu affektiert und steif; dagegen spreche der neue Anfnger seinen David und Jonathan vortreff-lich; besonders lobte die Mutter den freimtigen Ausdruck, wie ich den Goliath herausgefordert und dem Knige den bescheidenen Sieger vorgestellt habe.

    Nun blieb zu meiner grten Freude das Theater aufgeschlagen, und da der Frhling herbeikam und man ohne Feuer bestehen konnte, lag ich in meinen Frei- und Spielstunden in der Kammer und lie die Puppen wacker durcheinanderspielen. Oft lud ich meine Geschwister und Kameraden hinauf; wenn sie aber auch nicht kommen wollten, war ich allein oben. Meine Einbildungskraft brtete ber der kleinen Welt, die gar bald eine andere Gestalt gewann.

    Ich hatte kaum das erste Stck, wozu Theater und Schauspieler geschaffen und gestempelt waren, etlichemal aufgefhrt, als es mir schon keine Freude mehr machte. Dagegen waren mir unter den Bchern des Grovaters die Deutsche Schaubhne und verschiedene italienisch-deutsche Opern in die Hnde gekommen, in die ich mich sehr vertiefte und jedesmal nur erst vorne die Personen ber-rechnete und dann sogleich ohne weiteres zur Auffhrung des Stckes schritt. Da mute nun Knig Saul in seinem schwarzen Samtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius spielen; wobei zu bemerken ist, da die Stcke niemals ganz, sondern meistenteils nur die fnften Akte, wo es an ein Totstechen ging, aufgefhrt wurden.

    Auch war es natrlich, da mich die Oper mit ihren mannigfaltigen Vernderungen und Abenteu-ern mehr als alles anziehen mute. Ich fand darin strmische Meere, Gtter, die in Wolken herab-kommen, und, was mich vorzglich glcklich machte, Blitze und Donner. Ich half mir mit Pappe, Farbe und Papier, wute gar trefflich Nacht zu machen, der Blitz war frchterlich anzusehen, nur der Donner gelang nicht immer, doch das hatte so viel nicht zu sagen. Auch fand sich in den Opern mehr Gelegenheit, meinen David und Goliath anzubringen, welches im regelmigen Drama gar nicht an-gehen wollte. Ich fhlte tglich mehr Anhnglichkeit fr das enge Pltzchen, wo ich so manche Freu-de geno; und ich gestehe, da der Geruch, den die Puppen aus der Speisekammer an sich gezogen hatten, nicht wenig dazu beitrug.

    Die Dekorationen meines Theaters waren nunmehr in ziemlicher Vollkommenheit; denn da ich von Jugend auf ein Geschick gehabt hatte, mit dem Zirkel umzugehen, Pappe auszuschneiden und Bilder zu illuminieren, kam mir jetzt wohl zustatten. Um desto weher tat es mir, wenn mich gar oft das Personal an Ausfhrung groer Sachen hinderte.

    Meine Schwestern, indem sie ihre Puppen aus- und ankleideten, erregten in mir den Gedanken, meinen Helden auch nach und nach bewegliche Kleider zu verschaffen. Man trennte ihnen die Lpp-chen vom Leibe, setzte sie, so gut man konnte, zusammen, sparte sich etwas Geld, kaufte neues Band und Flittern, bettelte sich manches Stckchen Taft zusammen und schaffte nach und nach eine Theatergarderobe an, in welcher besonders die Reifrcke fr die Damen nicht vergessen waren.

    Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern fr das grte Stck versehen, und man htte denken sollen, es wrde nun erst recht eine Auffhrung der andern folgen; aber es ging mir, wie es den Kin-dern fter zu gehen pflegt: sie fassen weite Plne, machen groe Anstalten, auch wohl einige Versu-che, und es bleibt alles zusammen liegen. Dieses Fehlers mu ich mich auch anklagen. Die grte

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    Freude lag bei mir in der Erfindung und in der Beschftigung der Einbildungskraft. Dies oder jenes Stck interessierte mich um irgendeiner Szene willen, und ich lie gleich wieder neue Kleider dazu machen. ber solchen Anstalten waren die ursprnglichen Kleidungsstcke meiner Helden in Unord-nung geraten und verschleppt worden, da also nicht einmal das erste groe Stck mehr aufgefhrt werden konnte. Ich berlie mich meiner Phantasie, probierte und bereitete ewig, baute tausend Luftschlsser und sprte nicht da ich den Grund des kleinen Gebudes zerstrt hatte.

    Whrend dieser Erzhlung hatte Mariane alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm aufgeboten, um ihre Schlfrigkeit zu verbergen. So scherzhaft die Begebenheit von einer Seite schien, so war sie ihr doch zu einfach und die Betrachtungen dabei zu ernsthaft. Sie setzte zrtlich ihren Fu auf den Fu des Geliebten und gab ihm scheinbare Zeichen ihrer Aufmerksamkeit und ihres Beifalls. Sie trank aus seinem Glase, und Wilhelm war berzeugt, es sei kein Wort seiner Geschichte auf die Erde gefallen. Nach einer kleinen Pause rief er aus: Es ist nun an dir, Mariane, mir auch deine ersten jugendlichen Freuden mitzuteilen. Noch waren wir immer zu sehr mit dem Gegenwrtigen beschftigt, als da wir uns wechselseitig um unsere vorige Lebensweise htten bekmmern knnen. Sage mir: unter wel-chen Umstnden bist du erzogen? Welche sind die ersten lebhaften Eindrcke, deren du dich erin-nerst?

    Diese Fragen wrden Marianen in groe Verlegenheit gesetzt haben, wenn ihr die Alte nicht so-gleich zu Hlfe gekommen wre. Glauben Sie denn, sagte das kluge Weib, da wir auf das, was uns frh begegnet, so aufmerksam sind, da wir so artige Begebenheiten zu erzhlen haben und, wenn wir sie zu erzhlen htten, da wir der Sache auch ein solches Geschick zu geben wten?

    Als wenn es dessen bedrfte! rief Wilhelm aus. Ich liebe dieses zrtliche, gute, liebliche Ge-schpf so sehr, da mich jeder Augenblick meines Lebens verdriet, den ich ohne sie zugebracht habe. La mich wenigstens durch die Einbildungskraft teil an deinem vergangenen Leben nehmen! Erzhle mir alles, ich will dir alles erzhlen. Wir wollen uns wo mglich tuschen und jene fr die Liebe verlornen Zeiten wiederzugewinnen suchen.

    Wenn Sie so eifrig darauf bestehen, knnen wir Sie wohl befriedigen, sagte die Alte. Erzhlen Sie uns nur erst, wie Ihre Liebhaberei zum Schauspiele nach und nach gewachsen sei, wie Sie sich gebt, wie Sie so glcklich zugenommen haben, da Sie nunmehr fr einen guten Schauspieler gelten knnen. Es hat Ihnen dabei gewi nicht an lustigen Begebenheiten gemangelt. Es ist nicht der Mhe wert, da wir uns zur Ruhe legen, ich habe noch eine Flasche in Reserve; und wer wei, ob wir bald wieder so ruhig und zufrieden zusammensitzen?

    Mariane schaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm nicht bemerkte und in seiner Erzhlung fortfuhr.

    Siebentes Kapitel Die Zerstreuungen der Jugend, da meine Gespanschaft sich zu vermehren anfing, taten dem ein-

    samen, stillen Vergngen Eintrag. Ich war wechselweise bald Jger, bald Soldat, bald Reiter, wie es unsre Spiele mit sich brachten: doch hatte ich immer darin einen kleinen Vorzug vor den andern, da ich imstande war, ihnen die ntigen Gertschaften schicklich auszubilden. So waren die Schwerter meistens aus meiner Fabrik; ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein geheimer Instinkt lie mich nicht ruhen, bis ich unsre Miliz ins Antike umgeschaffen hatte. Helme wurden verfertiget, mit papiernen Bschen geschmckt, Schilde, sogar Harnische wurden gemacht, Arbeiten, bei denen die Bedienten im Hause, die etwa Schneider waren, und die Nhterinnen manche Nadel zerbrachen.

    Einen Teil meiner jungen Gesellen sah ich nun wohlgerstet; die brigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausstaffiert, und es kam ein stattliches Korps zusammen. Wir marschierten in

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    Hfen und Grten, schlugen uns brav auf die Schilde und auf die Kpfe; es gab manche Mihellig-keit, die aber bald beigelegt war.

    Dieses Spiel, das die andern sehr unterhielt, war kaum etlichemal getrieben worden, als es mich schon nicht mehr befriedigte. Der Anblick so vieler gersteten Gestalten mute in mir notwendig die Ritterideen aufreizen, die seit einiger Zeit, da ich in das Lesen alter Romane gefallen war, meinen Kopf anfllten.

    Das befreite Jerusalem, davon mir Koppens bersetzung in die Hnde fiel, gab meinen herum-schweifenden Gedanken endlich eine bestimmte Richtung. Ganz konnte ich zwar das Gedicht nicht lesen; es waren aber Stellen, die ich auswendig wute, deren Bilder mich umschwebten. Besonders fesselte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Tun und Lassen. Die Mannweiblichkeit, die ruhige Flle ihres Daseins taten mehr Wirkung auf den Geist, der sich zu entwickeln anfing, als die gemachten Reize Armidens, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete.

    Aber hundert- und hundertmal, wenn ich abends auf dem Altan, der zwischen den Giebeln des Hauses angebracht ist, spazierte, ber die Gegend hinsah und von der hinabgewichenen Sonne ein zitternder Schein am Horizont heraufdmmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln und Tie-fen die Nacht hervordrang und der klingende Ton der Grillen durch die feierliche Stille schrillte, sag-te ich mir die Geschichte des traurigen Zweikampfs zwischen Tankred und Chlorinden vor.

    Sosehr ich, wie billig, von der Partei der Christen war, stand ich doch der heidnischen Heldin mit ganzem Herzen bei, als sie unternahm, den groen Turm der Belagerer anzuznden. Und wie nun Tankred dem vermeinten Krieger in der Nacht begegnet, unter der dstern Hlle der Streit beginnt und sie gewaltig kmpfen! Ich konnte nie die Worte aussprechen:

    Allein das Lebensma Chlorindens ist nun voll, Und ihre Stunde kommt, in der sie sterben soll!, da mir nicht die Trnen in die Augen kamen, die reichlich flossen, wie der unglckliche Liebha-

    ber ihr das Schwert in die Brust stt, der Sinkenden den Helm lst, sie erkennt und zur Taufe be-bend das Wasser holt.

    Aber wie ging mir das Herz ber, wenn in dem bezauberten Walde Tankredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fliet und eine Stimme ihm in die Ohren tnt, da er auch hier Chlorinden verwunde, da er vom Schicksal bestimmt sei, das, was er liebt, berall unwissend zu verletzen!

    Es bemchtigte sich die Geschichte meiner Einbildungskraft so, da sich mir, was ich von dem Gedichte gelesen hatte, dunkel zu einem Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergestalt einge-nommen war, da ich es auf irgendeine Weise vorzustellen gedachte. Ich wollte Tankreden und Rei-nalden spielen und fand dazu zwei Rstungen ganz bereit, die ich schon gefertiget hatte. Die eine, von dunkelgrauem Papier mit Schuppen, sollte den ernsten Tankred, die andere, von Silber- und Goldpapier, den glnzenden Reinald zieren. In der Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erzhlte ich alles meinen Gespanen, die davon ganz entzckt wurden und nur nicht wohl begreifen konnten, da das alles aufgefhrt, und zwar von ihnen aufgefhrt werden sollte.

    Diesen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab. Ich disponierte gleich ber ein paar Zimmer in eines benachbarten Gespielen Haus, ohne zu berechnen, da die alte Tante sie nimmermehr hergeben wrde; ebenso war es mit dem Theater, wovon ich auch keine bestimmte Idee hatte, auer da man es auf Balken setzen, die Kulissen von geteilten spanischen Wnden hinstellen und zum Grund ein groes Tuch nehmen msse. Woher aber die Materialien und Gertschaften kommen sollten, hatte ich nicht bedacht.

    Fr den Wald fanden wir eine gute Auskunft: wir gaben einem alten Bedienten aus einem der Huser, der nun Frster geworden war, gute Worte, da er uns junge Birken und Fichten schaffen mchte, die auch wirklich geschwinder, als wir hoffen konnten, herbeigebracht wurden. Nun aber fand man sich in groer Verlegenheit, wie man das Stck, eh die Bume verdorrten, zustande brin-gen knne. Da war guter Rat teuer! Es fehlte an Platz, am Theater, an Vorhngen. Die spanischen Wnde waren das einzige, was wir hatten.

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    In dieser Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir eine weitlufige Beschrei-bung von der Herrlichkeit machten, die es geben sollte. Sowenig er uns begriff, so behlflich war er, schob in eine kleine Stube, was sich von Tischen im Hause und der Nachbarschaft nur finden wollte, aneinander, stellte die Wnde darauf, machte eine hintere Aussicht von grnen Vorhngen, die Bu-me wurden auch gleich mit in die Reihe gestellt.

    Indessen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angezndet, die Mgde und Kinder sa-en auf ihren Pltzen, das Stck sollte angehn, die ganze Heldenschar war angezogen; nun sprte aber jeder zum erstenmal, da er nicht wisse, was er zu sagen habe. In der Hitze der Erfindung, da ich ganz von meinem Gegenstande durchdrungen war, hatte ich vergessen, da doch jeder wissen msse, was und wo er es zu sagen habe; und in der Lebhaftigkeit der Ausfhrung war es den brigen auch nicht beigefallen: sie glaubten, sie wrden sich leicht als Helden darstellen, leicht so handeln und reden knnen wie die Personen, in deren Welt ich sie versetzt hatte. Sie standen alle erstaunt, fragten sich einander, was zuerst kommen sollte, und ich, der ich mich als Tankred vornean gedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verse aus dem Heldengedichte herzusagen an. Weil aber die Stelle gar zu bald ins Erzhlende berging und ich in meiner eignen Rede endlich als dritte Person vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war, nicht herauskommen wollte, so mute ich unter gro-em Gelchter meiner Zuschauer eben wieder abziehen: ein Unfall, der mich tief in der Seele krnkte. Verunglckt war die Expedition; die Zuschauer saen da und wollten etwas sehen. Gekleidet waren wir; ich raffte mich zusammen und entschlo mich kurz und gut, David und Goliath zu spielen. Einige der Gesellschaft hatten ehemals das Puppenspiel mit mir aufgefhrt, alle hatten es oft gesehn; man teilte die Rollen aus, es versprach jeder, sein Bestes zu tun, und ein kleiner drolliger Junge malte sich einen schwarzen Bart, um, wenn ja eine Lcke einfallen sollte, sie als Hanswurst mit einer Posse auszufllen, eine Anstalt, die ich, als dem Ernste des Stckes zuwider, sehr ungern geschehen lie. Doch schwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieser Verlegenheit gerettet wre, mich nie, als mit der grten berlegung, an die Vorstellung eines Stcks zu wagen.

    Achtes Kapitel Mariane, vom Schlaf berwltigt, lehnte sich an ihren Geliebten, der sie fest an sich drckte und in

    seiner Erzhlung fortfuhr, indes die Alte den berrest des Weins mit gutem Bedachte geno. Die Verlegenheit, sagte er, in der ich mich mit meinen Freunden befunden hatte, indem wir ein

    Stck, das nicht existierte, zu spielen unternahmen, war bald vergessen. Meiner Leidenschaft, jeden Roman, den ich las, jede Geschichte, die man mich lehrte, in einem Schauspiele darzustellen, konnte selbst der unbiegsamste Stoff nicht widerstehen. Ich war vllig berzeugt, da alles, was in der Er-zhlung ergtzte, vorgestellt eine viel grere Wirkung tun msse; alles sollte vor meinen Augen, alles auf der Bhne vorgehen. Wenn uns in der Schule die Weltgeschichte vorgetragen wurde, zeich-nete ich mir sorgfltig aus, wo einer auf eine besondere Weise erstochen oder vergiftet wurde, und meine Einbildungskraft sah ber Exposition und Verwicklung hinweg und eilte dem interessanten fnften Akte zu. So fing ich auch wirklich an, einige Stcke von hinten hervor zu schreiben, ohne da ich auch nur bei einem einzigen bis zum Anfange gekommen wre.

    Zu gleicher Zeit las ich, teils aus eignem Antrieb, teils auf Veranlassung meiner guten Freunde, welche in den Geschmack gekommen waren, Schauspiele aufzufhren, einen ganzen Wust theatrali-scher Produktionen durch, wie sie der Zufall mir in die Hnde fhrte. Ich war in den glcklichen Jah-ren, wo uns noch alles gefllt, wo wir in der Menge und Abwechslung unsre Befriedigung finden. Leider aber ward mein Urteil noch auf eine andere Weise bestochen. Die Stcke gefielen mir beson-ders, in denen ich zu gefallen hoffte, und es waren wenige, die ich nicht in dieser angenehmen Tu-schung durchlas; und meine lebhafte Vorstellungskraft, da ich mich in alle Rollen denken konnte,

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    verfhrte mich zu glauben, da ich auch alle darstellen wrde; gewhnlich whlte ich daher bei der Austeilung diejenigen, welche sich gar nicht fr mich schickten, und wenn es nur einigermaen an-gehn wollte, wohl gar ein paar Rollen.

    Kinder wissen beim Spiele aus allem alles zu machen; ein Stab wird zur Flinte, ein Stckchen Holz zum Degen, jedes Bndelchen zur Puppe und jeder Winkel zur Htte. In diesem Sinne entwickelte sich unser Privattheater. Bei der vlligen Unkenntnis unserer Krfte unternahmen wir alles, bemerk-ten kein qui pro quo und waren berzeugt, jeder msse uns dafr nehmen, wofr wir uns gaben. Lei-der ging alles einen so gemeinen Gang, da mir nicht einmal eine merkwrdige Albernheit zu erzh-len brigbleibt. Erst spielten wir die wenigen Stcke durch, in welchen nur Mannspersonen auftreten; dann verkleideten wir einige aus unserm Mittel und zogen zuletzt die Schwestern mit ins Spiel. In einigen Husern hielt man es fr eine ntzliche Beschftigung und lud Gesellschaften darauf. Unser Artillerielieutenant verlie uns auch hier nicht. Er zeigte uns, wie wir kommen und gehen, deklamie-ren und gestikulieren sollten; allein er erntete fr seine Bemhung meistens wenig Dank, indem wir die theatralischen Knste schon besser als er zu verstehen glaubten.

    Wir verfielen gar bald auf das Trauerspiel: denn wir hatten oft sagen hren und glaubten selbst, es sei leichter, eine Tragdie zu schreiben und vorzustellen, als im Lustspiele vollkommen zu sein. Auch fhlten wir uns beim ersten tragischen Versuche ganz in unserm Elemente; wir suchten uns der Hhe des Standes, der Vortrefflichkeit der Charaktere durch Steifheit und Affektation zu nhern und dnk-ten uns durchaus nicht wenig; allein vollkommen glcklich waren wir nur, wenn wir recht rasen, mit den Fen stampfen und uns wohl gar vor Wut und Verzweiflung auf die Erde werfen durften.

    Knaben und Mdchen waren in diesen Spielen nicht lange beisammen, als die Natur sich zu regen und die Gesellschaft sich in verschiedene kleine Liebesgeschichten zu teilen anfing, da denn meisten-teils Komdie in der Komdie gespielt wurde. Die glcklichen Paare drckten sich hinter den Thea-terwnden die Hnde auf das zrtlichste; sie verschwammen in Glckseligkeit, wenn sie einander, so bebndert und aufgeschmckt, recht idealisch vorkamen, indes gegenber die unglcklichen Neben-buhler sich vor Neid verzehrten und mit Trotz und Schadenfreude allerlei Unheil anrichteten.

    Diese Spiele, obgleich ohne Verstand unternommen und ohne Anleitung durchgefhrt, waren doch nicht ohne Nutzen fr uns. Wir bten unser Gedchtnis und unsern Krper und erlangten mehr Geschmeidigkeit im Sprechen und Betragen, als man sonst in so frhen Jahren gewinnen kann. Fr mich aber war jene Zeit besonders Epoche, mein Geist richtete sich ganz nach dem Theater, und ich fand kein grer Glck, als Schauspiele zu lesen, zu schreiben und zu spielen.

    Der Unterricht meiner Lehrer dauerte fort; man hatte mich dem Handelsstand gewidmet und zu unserm Nachbar auf das Comptoir getan; aber eben zu selbiger Zeit entfernte sich mein Geist nur gewaltsamer von allem, was ich fr ein niedriges Geschft halten mute. Der Bhne wollte ich meine ganze Ttigkeit widmen, auf ihr mein Glck und meine Zufriedenheit finden.

    Ich erinnere mich noch eines Gedichtes, das sich unter meinen Papieren finden mu, in welchem die Muse der tragischen Dichtkunst und eine andere Frauengestalt, in der ich das Gewerbe personifi-ziert hatte, sich um meine werte Person recht wacker zanken. Die Erfindung ist gemein, und ich erin-nere mich nicht, ob die Verse etwas taugen; aber ihr sollt es sehen, um der Furcht, des Abscheues, der Liebe und der Leidenschaft willen, die darin herrschen. Wie ngstlich hatte ich die alte Hausmut-ter geschildert mit dem Rocken im Grtel, mit Schlsseln an der Seite, Brillen auf der Nase, immer fleiig, immer in Unruhe, znkisch und haushlterisch, kleinlich und beschwerlich! Wie kmmerlich beschrieb ich den Zustand dessen, der sich unter ihrer Rute bcken und sein knechtisches Tagewerk im Schweie des Angesichts verdienen sollte!

    Wie anders trat jene dagegen auf! Welche Erscheinung ward sie dem bekmmerten Herzen! Herr-lich gebildet, in ihrem Wesen und Betragen als eine Tochter der Freiheit anzusehen. Das Gefhl ihrer selbst gab ihr Wrde ohne Stolz; ihre Kleider ziemten ihr, sie umhllten jedes Glied, ohne es zu zwngen, und die reichlichen Falten des Stoffes wiederholten wie ein tausendfaches Echo die reizen-den Bewegungen der Gttlichen. Welch ein Kontrast! Und auf welche Seite sich mein Herz wandte, kannst du leicht denken. Auch war nichts vergessen, um meine Muse kenntlich zu machen. Kronen und Dolche, Ketten und Masken, wie sie mir meine Vorgnger berliefert hatten, waren ihr auch hier

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    zugeteilt. Der Wettstreit war heftig, die Reden beider Personen kontrastierten gehrig, da man im vierzehnten Jahre gewhnlich das Schwarze und Weie recht nah aneinander zu malen pflegt. Die Alte redete, wie es einer Person geziemt, die eine Stecknadel aufhebt, und jene wie eine, die Knig-reiche verschenkt. Die warnenden Drohungen der Alten wurden verschmht; ich sah die mir verspro-chenen Reichtmer schon mit dem Rcken an: enterbt und nackt bergab ich mich der Muse, die mir ihren goldnen Schleier zuwarf und meine Ble bedeckte.

    Htte ich denken knnen, o meine Geliebte! rief er aus, indem er Marianen fest an sich drckte, da eine ganz andere, eine lieblichere Gottheit kommen, mich in meinem Vorsatz strken, mich auf meinem Wege begleiten wrde; welch eine schnere Wendung wrde mein Gedicht genommen ha-ben, wie interessant wrde nicht der Schlu desselben geworden sein! Doch es ist kein Gedicht, es ist Wahrheit und Leben, was ich in deinen Armen finde; la uns das se Glck mit Bewutsein genie-en!

    Durch den Druck seines Armes, durch die Lebhaftigkeit seiner erhhten Stimme war Mariane er-wacht und verbarg durch Liebkosungen ihre Verlegenheit: denn sie hatte auch nicht ein Wort von dem letzten Teile seiner Erzhlung vernommen, und es ist zu wnschen, da unser Held fr seine Lieblingsgeschichten aufmerksamere Zuhrer knftig finden mge.

    Neuntes Kapitel So brachte Wilhelm seine Nchte im Genusse vertraulicher Liebe, seine Tage in Erwartung neuer

    seliger Stunden zu. Schon zu jener Zeit, als ihn Verlangen und Hoffnung zu Marianen hinzog, fhlte er sich wie neu belebt, er fhlte, da er ein anderer Mensch zu werden beginne; nun war er mit ihr vereinigt, die Befriedigung seiner Wnsche ward eine reizende Gewohnheit. Sein Herz strebte, den Gegenstand seiner Leidenschaft zu veredeln, sein Geist, das geliebte Mdchen mit sich emporzuhe-ben. In der kleinsten Abwesenheit ergriff ihn ihr Andenken. War sie ihm sonst notwendig gewesen, so war sie ihm jetzt unentbehrlich, da er mit allen Banden der Menschheit an sie geknpft war. Seine reine Seele fhlte, da sie die Hlfte, mehr als die Hlfte seiner selbst sei. Er war dankbar und hinge-geben ohne Grenzen.

    Auch Mariane konnte sich eine Zeitlang tuschen; sie teilte die Empfindung seines lebhaften Glcks mit ihm. Ach! wenn nur nicht manchmal die kalte Hand des Vorwurfs ihr ber das Herz ge-fahren wre! Selbst an dem Busen Wilhelms war sie nicht sicher davor, selbst unter den Flgeln sei-ner Liebe. Und wenn sie nun gar wieder allein war und aus den Wolken, in denen seine Leidenschaft sie emportrug, in das Bewutsein ihres Zustandes herabsank, dann war sie zu bedauern. Denn Leichtsinn kam ihr zu Hlfe, solange sie in niedriger Verworrenheit lebte, sich ber ihre Verhltnisse betrog oder vielmehr sie nicht kannte; da erschienen ihr die Vorflle, denen sie ausgesetzt war, nur einzeln: Vergngen und Verdru lsten sich ab, Demtigung wurde durch Eitelkeit, und Mangel oft durch augenblicklichen berflu vergtet; sie konnte Not und Gewohnheit sich als Gesetz und Rechtfertigung anfhren, und so lange lieen sich alle unangenehmen Empfindungen von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tage abschtteln. Nun aber hatte das arme Mdchen sich Augenblicke in eine bessere Welt hinbergerckt gefhlt, hatte wie von oben herab aus Licht und Freude ins de, Ver-worfene ihres Lebens heruntergesehen, hatte gefhlt, welche elende Kreatur ein Weib ist, das mit dem Verlangen nicht zugleich Liebe und Ehrfurcht einflt, und fand sich uerlich und innerlich um nichts gebessert. Sie hatte nichts, was sie aufrichten konnte. Wenn sie in sich blickte und suchte, war es in ihrem Geiste leer, und ihr Herz hatte keinen Widerhalt. Je trauriger dieser Zustand war, desto heftiger schlo sich ihre Neigung an den Geliebten fest; ja die Leidenschaft wuchs mit jedem Tage, wie die Gefahr, ihn zu verlieren, mit jedem Tage nherrckte.

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    Dagegen schwebte Wilhelm glcklich in hheren Regionen, ihm war auch eine neue Welt aufge-gangen, aber reich an herrlichen Aussichten. Kaum lie das berma der ersten Freude nach, so stellte sich das hell vor seine Seele, was ihn bisher dunkel durchwhlt hatte. Sie ist dein! Sie hat sich dir hingegeben! Sie, das geliebte, gesuchte, angebetete Geschpf, dir auf Treu und Glauben hingege-ben; aber sie hat sich keinem Undankbaren berlassen. Wo er stand und ging, redete er mit sich selbst; sein Herz flo bestndig ber, und er sagte sich in einer Flle von prchtigen Worten die er-habensten Gesinnungen vor. Er glaubte den hellen Wink des Schicksals zu verstehen, das ihm durch Marianen die Hand reichte, sich aus dem stockenden, schleppenden brgerlichen Leben herauszurei-en, aus dem er schon so lange sich zu retten gewnscht hatte. Seines Vaters Haus, die Seinigen zu verlassen schien ihm etwas Leichtes. Er war jung und neu in der Welt, und sein Mut, in ihren Weiten nach Glck und Befriedigung zu rennen, durch die Liebe erhht. Seine Bestimmung zum Theater war ihm nunmehr klar; das hohe Ziel, das er sich vorgesteckt sah, schien ihm nher, indem er an Ma-rianens Hand hinstrebte, und in selbstgeflliger Bescheidenheit erblickte er in sich den trefflichen Schauspieler, den Schpfer eines knftigen Nationaltheaters, nach dem er so vielfltig hatte seufzen hren. Alles, was in den innersten Winkeln seiner Seele bisher geschlummert hatte, wurde rege. Er bildete aus den vielerlei Ideen mit Farben der Liebe ein Gemlde auf Nebelgrund, dessen Gestalten freilich sehr ineinanderflossen; dafr aber auch das Ganze eine desto reizendere Wirkung tat.

    Zehntes Kapitel Er sa nun zu Hause, kramte unter seinen Papieren und rstete sich zur Abreise. Was nach seiner

    bisherigen Bestimmung schmeckte, ward beiseite gelegt; er wollte bei seiner Wanderung in die Welt auch von jeder unangenehmen Erinnerung frei sein. Nur Werke des Geschmacks, Dichter und Kriti-ker, wurden als bekannte Freunde unter die Erwhlten gestellt; und da er bisher die Kunstrichter sehr wenig genutzt hatte, so erneuerte sich seine Begierde nach Belehrung, als er seine Bcher wieder durchsah und fand, da die theoretischen Schriften noch meist unaufgeschnitten waren. Er hatte sich, in der vlligen berzeugung von der Notwendigkeit solcher Werke, viele davon angeschafft und mit dem besten Willen in keines auch nur bis in die Hlfte sich hineinlesen knnen.

    Dagegen hatte er sich desto eifriger an Beispiele gehalten und in allen Arten, die ihm bekannt worden waren, selbst Versuche gemacht.

    Werner trat herein, und als er seinen Freund mit den bekannten Heften beschftigt sah, rief er aus: Bist du schon wieder ber diesen Papieren? Ich wette, du hast nicht die Absicht, eins oder das ande-re zu vollenden! Du siehst sie durch und wieder durch und beginnst allenfalls etwas Neues.

    Zu vollenden ist nicht die Sache des Schlers, es ist genug, wenn er sich bt. Aber doch fertigmacht, so gut er kann. Und doch liee sich wohl die Frage aufwerfen, ob man nicht eben gute Hoffnung von einem jun-

    gen Menschen fassen knne, der bald gewahr wird, wenn er etwas Ungeschicktes unternommen hat, in der Arbeit nicht fortfhrt und an etwas, das niemals einen Wert haben kann, weder Mhe noch Zeit verschwenden mag.

    Ich wei wohl, es war nie deine Sache, etwas zustande zu bringen, du warst immer mde, eh es zur Hlfte kam. Da du Direktor unsers Puppenspiels warst, wie oft wurden neue Kleider fr die Zwerggesellschaft gemacht, neue Dekorationen ausgeschnitten? Bald sollte dieses, bald jenes Trau-erspiel aufgefhrt werden, und hchstens gabst du einmal den fnften Akt, wo alles recht bunt durcheinanderging und die Leute sich erstachen.

    Wenn du von jenen Zeiten sprechen willst, wer war denn schuld, da wir die Kleider, die unsern Puppen angepat und auf den Leib festgenht waren, heruntertrennen lieen und den Aufwand einer

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    weitlufigen und unntzen Garderobe machten? Warst dus nicht, der immer ein neues Stck Band zu verhandeln hatte, der meine Liebhaberei anzufeuern und zu ntzen wute?

    Werner lachte und rief aus: Ich erinnere mich immer noch mit Freuden, da ich von euren theat-ralischen Feldzgen Vorteil zog wie Lieferanten vom Kriege. Als ihr euch zur Befreiung Jerusalems rstetet, machte ich auch einen schnen Profit wie ehemals die Venezianer im hnlichen Falle. Ich finde nichts vernnftiger in der Welt, als von den Torheiten anderer Vorteil zu ziehen.

    Ich wei nicht, ob es nicht ein edleres Vergngen wre, die Menschen von ihren Torheiten zu heilen.

    Wie ich sie kenne, mchte das wohl ein eitles Bestreben sein. Es gehrt schon etwas dazu, wenn ein einziger Mensch klug und reich werden soll, und meistens wird er es auf Unkosten der andern.

    Es fllt mir eben recht der, Jngling am Scheidewege` in die Hnde, versetzte Wilhelm, indem er ein Heft aus den brigen Papieren herauszog, das ist doch fertig geworden, es mag brigens sein, wie es will.

    Leg es beiseite, wirf es ins Feuer! versetzte Werner. Die Erfindung ist nicht im geringsten lo-benswrdig; schon vormals rgerte mich diese Komposition genug und zog dir den Unwillen des Vaters zu. Es mgen ganz artige Verse sein; aber die Vorstellungsart ist grundfalsch. Ich erinnere mich noch deine personifizierten Gewerbes, deiner zusammengeschrumpften, erbrmlichen Sibylle. Du magst das Bild in irgendeinem elenden Kramladen aufgeschnappt haben. Von der Handlung hat-test du damals keinen Begriff; ich wte nicht, wessen Geist ausgebreiteter wre, ausgebreiteter sein mte als der Geist eines echten Handelsmannes. Welchen berblick verschafft uns nicht die Ord-nung, in der wir unsere Geschfte fhren! Sie lt uns jederzeit das Ganze berschauen, ohne da wir ntig htten, uns durch das Einzelne verwirren zu lassen. Welche Vorteile gewhrt die doppelte Buchhaltung dem Kaufmanne! Es ist eine der schnsten Erfindungen des menschlichen Geistes, und ein jeder gute Haushalter sollte sie in seiner Wirtschaft einfhren.

    Verzeih mir, sagte Wilhelm lchelnd, du fngst von der Form an, als wenn das die Sache wre; gewhnlich verget ihr aber auch ber eurem Addieren und Bilanzieren das eigentliche Fazit des Lebens.

    Leider siehst du nicht, mein Freund, wie Form und Sache hier nur eins ist, eins ohne das andere nicht bestehen knnte. Ordnung und Klarheit vermehrt die Lust zu sparen und zu erwerben. Ein Mensch, der bel haushlt, befindet sich in der Dunkelheit sehr wohl; er mag die Posten nicht gerne zusammenrechnen, die er schuldig ist. Dagegen kann einem guten Wirte nichts angenehmer sein, als sich alle Tage die Summe seines wachsenden Glckes zu ziehen. Selbst ein Unfall, wenn er ihn ver-drielich berrascht, erschreckt ihn nicht; denn er wei sogleich, was fr erworbene Vorteile er auf die andere Waagschale zu legen hat. Ich bin berzeugt, mein lieber Freund, wenn du nur einmal einen rechten Geschmack an unsern Geschften finden knntest, so wrdest du dich berzeugen, da man-che Fhigkeiten des Geistes auch dabei ihr freies Spiel haben knnen.

    Es ist mglich, da mich die Reise, die ich vorhabe, auf andere Gedanken bringt. O gewi! Glaube mir, es fehlt dir nur der Anblick einer groen Ttigkeit, um dich auf immer zu

    dem Unsern zu machen; und wenn du zurckkommst, wirst du dich gern zu denen gesellen, die durch alle Arten von Spedition und Spekulation einen Teil des Geldes und Wohlbefindens, das in der Welt seinen notwendigen Kreislauf fhrt, an sich zu reien wissen. Wirf einen Blick auf die natrli-chen und knstlichen Produkte aller Weltteile, betrachte, wie sie wechselsweise zur Notdurft gewor-den sind! Welch eine angenehme, geistreiche Sorgfalt ist es, alles, was in dem Augenblicke am meis-ten gesucht wird und doch bald fehlt, bald schwer zu haben ist, zu kennen, jedem, was er verlangt, leicht und schnell zu verschaffen, sich vorsichtig in Vorrat zu setzen und den Vorteil jedes Augenbli-ckes dieser groen Zirkulation zu genieen! Dies ist, dnkt mich, was jedem, der Kopf hat, eine gro-e Freude machen wird.

    Wilhelm schien nicht abgeneigt, und Werner fuhr fort: Besuche nur erst ein paar groe Handels-stdte, ein paar Hfen, und du wirst gewi mit fortgerissen werden. Wenn du siehst, wie viele Men-schen beschftiget sind; wenn du siehst, wo so manches herkommt, wo es hingeht, so wirst du es gewi auch mit Vergngen durch deine Hnde gehen sehen. Die geringste Ware siehst du im Zu-

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    sammenhange mit dem ganzen Handel, und eben darum hltst du nichts fr gering, weil alles die Zir-kulation vermehrt, von welcher dein Leben seine Nahrung zieht.

    Werner, der seinen richtigen Verstand in dem Umgange mit Wilhelm ausbildete, hatte sich ge-whnt, auch an sein Gewerbe, an seine Geschfte mit Erhebung der Seele zu denken, und glaubte immer, da er es mit mehrerem Rechte tue als sein sonst verstndiger und geschtzter Freund, der, wie es ihm schien, auf das Unreellste von der Welt einen so groen Wert und das Gewicht seiner ganzen Seele legte. Manchmal dachte er, es knne gar nicht fehlen, dieser falsche Enthusiasmus ms-se zu berwltigen und ein so guter Mensch auf den rechten Weg zu bringen sein. In dieser Hoffnung fuhr er fort: Es haben die Groen dieser Welt sich der Erde bemchtiget, sie leben in Herrlichkeit und berflu. Der kleinste Raum unsers Weltteils ist schon in Besitz genommen, jeder Besitz befes-tigt, mter und andere brgerliche Geschfte tragen wenig ein; wo gibt es nun noch einen rechtm-igeren Erwerb, eine billigere Eroberung als den Handel? Haben die Frsten dieser Welt die Flsse, die Wege, die Hfen in ihrer Gewalt und nehmen von dem, was durch- und vorbeigeht, einen starken Gewinn: sollen wir nicht mit Freuden die Gelegenheit ergreifen und durch unsere Ttigkeit auch Zoll von jenen Artikeln nehmen, die teils das Bedrfnis, teils der bermut den Menschen unentbehrlich gemacht hat? Und ich kann dir versichern, wenn du nur deine dichterische Einbildungskraft anwen-den wolltest, so knntest du meine Gttin als eine unberwindliche Siegerin der deinigen khn ent-gegenstellen. Sie fhrt freilich lieber den lzweig als das Schwert; Dolch und Ketten kennt sie gar nicht: aber Kronen teilet sie auch ihren Lieblingen aus, die, es sei ohne Verachtung jener gesagt, von echtem, aus der Quelle geschpftem Golde und von Perlen glnzen, die sie aus der Tiefe des Meeres durch ihre immer geschftigen Diener geholt hat.

    Wilhelmen verdro dieser Ausfall ein wenig, doch verbarg er seine Empfindlichkeit; denn er erin-nerte sich, da Werner auch seine Apostrophen mit Gelassenheit anzuhren pflegte. brigens war er billig genug, um gerne zu sehen, wenn jeder von seinem Handwerk aufs beste dachte; nur mute man ihm das seinige, dem er sich mit Leidenschaft gewidmet hatte, unangefochten lassen.

    Und dir, rief Werner aus, der du an menschlichen Dingen so herzlichen Anteil nimmst, was wird es dir fr ein Schauspiel sein, wenn du das Glck, das mutige Unternehmungen begleitet, vor deinen Augen den Menschen wirst gewhrt sehen! Was ist reizender als der Anblick eines Schiffes, das von einer glcklichen Fahrt wieder anlangt, das von einem reichen Fange frhzeitig zurckkehrt! Nicht der Verwandte, der Bekannte, der Teilnehmer allein, ein jeder fremde Zuschauer wird hingeris-sen, wenn er die Freude sieht, mit welcher der eingesperrte Schiffer ans Land springt, noch ehe sein Fahrzeug es ganz berhrt, sich wieder frei fhlt und nunmehr das, was er dem falschen Wasser ent-zogen, der getreuen Erde anvertrauen kann. Nicht in Zahlen allein, mein Freund, erscheint uns der Gewinn; das Glck ist die Gttin der lebendigen Menschen, und um ihre Gunst wahrhaftig zu emp-finden, mu man leben und Menschen sehen, die sich recht lebendig bemhen und recht sinnlich ge-nieen.

    Eilftes Kapitel Es ist nun Zeit, da wir auch die Vter unsrer beiden Freunde nher kennenlernen; ein paar Mn-

    ner von sehr verschiedener Denkungsart, deren Gesinnungen aber darin bereinkamen, da sie den Handel fr das edelste Geschft hielten und beide hchst aufmerksam auf jeden Vorteil waren, den ihnen irgend eine Spekulation bringen konnte. Der alte Meister hatte gleich nach dem Tode seines Vaters eine kostbare Sammlung von Gemlden, Zeichnungen, Kupferstichen und Antiquitten ins Geld gesetzt, sein Haus nach dem neuesten Geschmacke von Grund aus aufgebaut und mbliert und sein briges Vermgen auf alle mgliche Weise gelten gemacht. Einen ansehnlichen Teil davon hatte er dem alten Werner in die Handlung gegeben, der als ein ttiger Handelsmann berhmt war und

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    dessen Spekulationen gewhnlich durch das Glck begnstigt wurden. Nichts wnschte aber der alte Meister so sehr, als seinem Sohne Eigenschaften zu geben, die ihm selbst fehlten, und seinen Kindern Gter zu hinterlassen, auf deren Besitz er den grten Wert legte. Zwar empfand er eine besondere Neigung zum Prchtigen, zu dem, was in die Augen fllt, das aber auch zugleich einen innern Wert und eine Dauer haben sollte. In seinem Hause mute alles solid und massiv sein, der Vorrat reichlich, das Silbergeschirr schwer, das Tafelservice kostbar; dagegen waren die Gste selten, denn eine jede Mahlzeit ward ein Fest, das sowohl wegen der Kosten als wegen der Unbequemlichkeit nicht oft wiederholt werden konnte. Sein Haushalt ging einen gelassenen und einfrmigen Schritt, und alles, was sich darin bewegte und erneuerte, war gerade das, was niemanden einigen Genu gab.

    Ein ganz entgegengesetztes Leben fhrte der alte Werner in einem dunkeln und finstern Hause. Hatte er seine Geschfte in der engen Schreibstube am uralten Pulte vollendet, so wollte er gut essen und womglich noch besser trinken, auch konnte er das Gute nicht allein genieen: neben seiner Fa-milie mute er seine Freunde, alle Fremden, die nur mit seinem Hause in einiger Verbindung standen, immer bei Tische sehen; seine Sthle waren uralt, aber er lud tglich jemanden ein, darauf zu sitzen. Die guten Speisen zogen die Aufmerksamkeit der Gste auf sich, und niemand bemerkte, da sie in gemeinem Geschirr aufgetragen wurden. Sein Keller hielt nicht viel Wein, aber der ausgetrunkene ward gewhnlich durch einen bessern ersetzt.

    So lebten die beiden Vter, welche fter zusammenkamen, sich wegen gemeinschaftlicher Ge-schfte beratschlagten und eben heute die Versendung Wilhelms in Handelsangelegenheiten be-schlossen.

    Er mag sich in der Welt umsehen, sagte der alte Meister, und zugleich unsre Geschfte an fremden Orten betreiben; man kann einem jungen Menschen keine grere Wohltat erweisen, als wenn man ihn zeitig in die Bestimmung seines Lebens einweiht. Ihr Sohn ist von seiner Expedition so glcklich zurckgekommen, hat seine Geschfte so gut zu machen gewut, da ich recht neugierig bin, wie sich der meinige betrgt; ich frchte, er wird mehr Lehrgeld geben als der Ihrige.

    Der alte Meister, welcher von seinem Sohne und dessen Fhigkeiten einen groen Begriff hatte, sagte diese Worte in Hoffnung, da sein Freund ihm widersprechen und die vortrefflichen Gaben des jungen Mannes herausstreichen sollte. Allein hierin betrog er sich; der alte Werner, der in praktischen Dingen niemanden traute als dem, den er geprft hatte, versetzte gelassen: Man mu alles versu-chen; wir knnen ihn ebendenselben Weg schicken, wir geben ihm eine Vorschrift, wornach er sich richtet; es sind verschiedene Schulden einzukassieren, alte Bekanntschaften zu erneuern, neue zu machen. Er kann auch die Spekulation, mit der ich Sie neulich unterhielt, befrdern helfen; denn ohne genaue Nachrichten an Ort und Stelle zu sammeln, lt sich dabei wenig tun.

    Er mag sich vorbereiten, versetzte der alte Meister, und so bald als mglich aufbrechen. Wo nehmen wir ein Pferd fr ihn her, das sich zu dieser Expedition schickt?

    Wir werden nicht weit darnach suchen. Ein Krmer in H, der uns noch einiges schuldig, aber sonst ein guter Mann ist, hat mir eins an Zahlungs Statt angeboten; mein Sohn kennt es, es soll ein recht brauchbares Tier sein.

    Er mag es selbst holen, mag mit dem Postwagen hinberfahren, so ist er bermorgen beizeiten wieder da, man macht ihm indessen den Mantelsack und die Briefe zurechte, und so kann er zu An-fang der knftigen Woche aufbrechen.

    Wilhelm wurde gerufen, und man machte ihm den Entschlu bekannt. Wer war froher als er, da er die Mittel zu seinem Vorhaben in seinen Hnden sah, da ihm die Gelegenheit ohne sein Mitwirken zubereitet worden! So gro war seine Leidenschaft, so rein seine berzeugung, er handle vollkom-men recht, sich dem Drucke seines bisherigen Lebens zu entziehen und einer neuen, edlern Bahn zu folgen, da sein Gewissen sich nicht im mindesten regte, keine Sorge in ihm entstand, ja da er viel-mehr diesen Betrug fr heilig hielt. Er war gewi, da ihn Eltern und Verwandte in der Folge fr diesen Schritt preisen und segnen sollten, er erkannte den Wink eines leitenden Schicksals an diesen zusammentreffenden Umstnden.

    Wie lang ward ihm die Zeit bis zur Nacht, bis zur Stunde, in der er seine Geliebte wiedersehen sollte! Er sa auf seinem Zimmer und berdachte seinen Reiseplan, wie ein knstlicher Dieb oder

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    Zauberer in der Gefangenschaft manchmal die Fe aus den festgeschlossenen Ketten herauszieht, um die berzeugung bei sich zu nhren, da seine Rettung mglich, ja noch nher sei, als kurzsichti-ge Wchter glauben.

    Endlich schlug die nchtliche Stunde; er entfernte sich aus seinem Hause, schttelte allen Druck ab und wandelte durch die stillen Gassen. Auf dem groen Platze hub er seine Hnde gen Himmel, fhlte alles hinter und unter sich; er hatte sich von allem losgemacht. Nun dachte er sich in den Ar-men seiner Geliebten, dann wieder mit ihr auf dem blendenden Theatergerste, er schwebte in einer Flle von Hoffnungen, und nur manchmal erinnerte ihn der Ruf des Nachtwchters, da er noch auf dieser Erde wandle.

    Seine Geliebte kam ihm an der Treppe entgegen, und wie schn! wie lieblich! In dem neuen wei-en Neglig empfing sie ihn, er glaubte sie noch nie so reizend gesehen zu haben. So weihte sie das Geschenk des abwesenden Liebhabers in den Armen des gegenwrtigen ein, und mit wahrer Leiden-schaft verschwendete sie den ganzen Reichtum ihrer Liebkosungen, welche ihr die Natur eingab, welche die Kunst sie gelehrt hatte, an ihren Liebling, und man frage, ob er sich glcklich, ob er sich selig fhlte.

    Er entdeckte ihr, was vorgegangen war, und lie ihr im allgemeinen seinen Plan, seine Wnsche sehen. Er wolle unter zukommen suchen, sie alsdann abholen,