wyss johann rudolf der abend zu geristein

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Johann Rudolf Wyß der Jüngere Der Abend zu Geristein (1825) und Der Ritter von Ägerten (1814) Zwei Dichtungen, neu herausgegeben, eingeleitet und illustriert von Christoph Pfister Historisch-philologische Werke 5

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Der Abend zu Geristein (1825)undDer Ritter von Ägerten (1814)Zwei Dichtungen, neu herausgegeben, eingeleitet und illustriert von Christoph Pfister

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  • Johann Rudolf Wy der Jngere

    Der Abend zu Geristein (1825) und

    Der Ritter von gerten (1814) Zwei Dichtungen, neu herausgegeben, eingeleitet

    und illustriert von Christoph Pfister

    Historisch-philologische Werke 5

  • 2

    Umschlaggestaltung: Herausgeber

    Cover: Geristein (Gerenstein) Aquarell von Gabriel Ludwig Lory (Vater), um 1824; Gre: 27,7 x 37,5 cm.

    Das Geristein-Bild mit seiner romantischen Stimmung gehrt zu den Meisterwerken des bekannten Berner Kleinmeisters.

    Man beachte unten rechts die beiden Mnner beim Betrachten der Figur an der u-eren Felswand des stlichen Grabens.

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Graphischen Sammlung der Eidge-nssischen Technischen Hochschule Zrich.

    Rckcover: Geristein (Gerenstein) Aquarell von Albrecht Kauw, datiert 1659 = ca. 1765 - 1770; Gre: 14,5 x 18 cm

    Der bekannte Berner Burgenmaler bietet hier eine Ansicht aus Sdosten, mit dem bewaldeten Grauholzberg im Hintergrund.

    Die einfache, aber in ihrer Schlichtheit eindrucksvolle Komposition des Bildes ver-dient hervorgehoben zu werden.

    Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern.

    Titelbild: Frontispiz des Almanachs Alpenrosen fr das Jahr 1814 (Ausschnitt) Bemerkung zum Titel: Die Novelle Der Abend zu Geristein hat der Herausgeber zuerst 2004 neu verffent-licht. Diese Ausgabe ist vergriffen, ebenso die Ausgabe von 2006 mit dem heutigen Titel. - Die vorliegende Neuausgabe ist berarbeitet.

    Alle Rechte vorbehalten 2014 Christoph Pfister www.dillum.ch Herstellung und Verlag: Books on Demand, Norderstedt ISBN: 978-3-8423-8614-3

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    Inhalt Bemerkungen zur Novelle Der Abend zu Geristein 6 Bemerkungen zur Idylle Der Ritter von gerten 10

    ber die Ruine Geristein 14 ber die Figur im stlichen Halsgraben von Geristein 18

    ber den Elefanten von Geristein 20 ber die Ruine gerten am Gurten 26

    Der Abend zu Geristein 28 Der Ritter von gerten 47

    Literatur ber Geristein und gerten 54 Publikationen des Herausgebers 55

  • 4

    Abbildungen Abbildung 1: Plan von Geristein 5

    Abbildung 2: Steinmetz-Zeichen von Geristein 5 Abbildung 3: Geristein (Gerenstein) 7

    Abbildung 4: gerten (Egerdon) 9 Abbildung 5: Detailansicht des Rundturms von Geristein mit den

    charakteristischen Buckelquadern 13 Abbildung 6: Der Rundturm von Geristein 15

    Abbildung 7: Der Felszahn mit dem Elefanten von Geristein 17 Abbildung 8: Menschliche Figur an der Auenwand des stlichen

    Halsgrabens von Geristein 19 Abbildung 9: Felsformation bei der Ruine Geristein, sogenannter

    "Elefant" 21 Abbildung 10: Felstorbogen bei der Ruine Geristein, sogenannter

    "Elefant" 23 Abbildung 11: Blick von der Ruine gerten am Gurten auf Bern und

    den Jura 25 Abbildung 12: Plan der Burg gerten am Gurten 56

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    Abbildung 1 : Plan von Geristein Aufnahme von 1906

    aus: Karl Ludwig Schmalz: Heimatkundlicher Fhrer Bolligen; Bern 1985, S. 75

    Abbildung 2: Steinmetz-Zeichen von Geristein Umzeichnung aus: Oskar Weber: Die Ruine Geristein; Bern 1912

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    Bemerkungen zur Novelle Der Abend zu Geristein Die Erzhlung Der Abend zu Gerenstein stammt von dem Berner Dichter, Schriftsteller und Professor Johann Rudolf Wy (1781 1830). Dieser ist noch heute bekannt als Herausgeber des Jugend-buchs Der schweizerische Robinson (1812) einem Werk seines Vaters, des schriftstellernden Pfarrers Johann David Wyss - und durch den Text der frheren Schweizer Nationalhymne Rufst du mein Vaterland (1811). Die romantische Novelle ber die Ruine Geristein ist erschienen in dem literarischen Almanach Alpenrosen fr das Jahr 1825, Seiten 147 186. Zum zweiten Mal wurde die Erzhlung abgedruckt in: Rudolf Al-brecht Bachmann: Versuch einer historisch-topographischen Be-schreibung der Ruinen der Burg Gerenstein und der historischen Merkwrdigkeiten der Umgegend; Bern 1852; Seiten 47 - 77 Der Herausgeber hat bei der bertragung des Textes die Orthogra-phie den heutigen Bedrfnissen angepat. Gewisse altertmliche Wrter und Wendungen wurden jedoch belassen und - wenn ntig - mit einer in eckige Klammern gesetzten Erklrung versehen. Die ausfhrliche Erwhnung der fiktiven Geschichte von Geristein, besonders das Eingehen auf den Chronisten Konrad Justinger (ei-ne Erfindung des Berner Historiographen Michael Stettler um 1750) hat seinen Grund: Johann Rudolf Wy war der erste Herausgeber der Justinger-Chronik (1816). Zum zweiten und letzten Mal wurde diese Chronik 1871 von Gottlieb Studer ediert. Auch die Chronisten Valerius Anshelm und Tschachtlan hat Wy zum ersten Mal herausgegeben. Der literarische Wert von Wy Novelle Der Abend zu Geristein ist uneinheitlich. Gelungen ist die anschauliche und lebhafte Rahmenerzhlung mit dem Ausflug der drei Gelehrten zu Fu von Bern ber Bolligen und Flugbrunnen nach Geristein. Gegenber der Rahmenerzhlung, die auch Sagenelemente wie das Goldsonnen einschliet, ist die Wiedergabe der eigentlichen Sage zu kurz geraten. Fast hat man den Eindruck, als ob der Abend schon vorber gewesen wre und Wy sich deshalb kurz fassen mute.

  • 7

    Abbildung 3: Geristein (Gerenstein) Lithographie von Johann Friedrich Wagner, 1837

    Reproduktion der Schweizerischen Nationalbibliothek Bern

    Der Knstler Johann Friedrich Wagner schuf um 1840 ein lithographisches Werk, das nach Kantonen geordnet, viele wichtige Burgruinen und Schlsser der Schweiz abbildete.

    Die nicht kolorierten Bilder sind eine wichtige Quelle fr den damaligen Zustand vie-ler Ruinen. Zu Beginn der Industrialisierung wurden nmlich etliche Burgruinen des Schweizer Mittellandes zwecks Verwertung des Steinmaterials abgetragen besonders zum Bau von Schulhusern und Brcken. Geristein blieb davon ver-schont. Der Rundturm, aus weichem Sandstein aufgefhrt, wurde vielmehr durch die vielen Besucher bis auf den Stumpf abgeschliffen.

    Nach dem Bild von Wagner ist der Rundturm gegenber Kauw strker abgetragen. Immerhin entspricht die Hhe der Ruine von Geristein in etwa dem ersten Foto des Turms von 1875.

  • 8

    Leider berwuchert eine antiquarische Gelehrsamkeit in lstiger Weise den Flu der Erzhlung. Der Herausgeber sah sich deshalb sogar gezwungen, eine Seite mit Angaben aus Justinger wegzu-lassen. Das gehufte Auftreten von geschichtlichen Exkursen in dieser No-velle ist typisch fr die Belletristik der ersten Hlfte des 19. Jahrhun-derts. Dahinter steht das groe Vorbild von Walter Scott der im Text von Wy genannt wird. Der berhmte Sir Walter Scott scheint die Novelle von Wy gekannt zu haben. 1829 publizierte er nmlich einen historischen Roman, der in der Eidgenossenschaft zur Zeit der Burgunderkriege spielt: Anne of Geierstein or The Maiden of the Mist. Die Namen Geristein und Geierstein sind sich so hnlich, da man nicht an einen Zufall glau-ben kann. Auch Jeremias Gotthelfs historische Erzhlungen triefen bekanntlich von irrelevanter Geschichte. Und jener Emmentaler Schriftsteller hat in spteren Jahren auch fr die Alpenrosen Beitrge geliefert. Wy, der Mitherausgeber der Alpenrosen, hat sich mit Der Abend zu Geristein ebenso wie mit Der Ritter von gerten ein Zeugnis gesetzt fr seine schriftstellerischen Fhigkeiten, die er leider aus unbekann-ten Grnden nicht genug weiter entwickelte. Auf den Almanach Alpenrosen allgemein soll hier nur kurz einge-gangen werden. Dieser erschien zwischen 1811 und 1830 jhrlich in Bern unter der Redaktion von Johann Rudolf Wy, Gottlieb Jakob Kuhn und Ludwig Meister. Nach Wy Tod erschien der Almanach mit Unterbrchen und wech-selnden Herausgebern bis 1854 in Aarau. Die Inhalte bestanden aus Sagen, Volksliedern, historischen Erzh-lungen, Dorfgeschichten, Schweizerreisen und volkskundlichen Bei-trgen. Illustrationen und Liedernoten kamen hinzu. Alles in allem waren die Alpenrosen ein reprsentatives literarisches Spiegelbild der Restaurationszeit in der Schweiz.

  • 9

    Abbildung 4: gerten (Egerdon) Aquarell von Albrecht Kauw

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

    Der Maler Albrecht Kauw hielt angeblich um 1670 - nach geschichts- und chrono-logiekritischen Erkenntnissen aber etwa gegen 1770 ber achtzig bernische Bur-gen, Schlsser und Landsitze in Aquarellen fest. Einige Darstellungen ergnzte er durch lbilder.

    Kauw zeigt hier einen Blick von Sdwesten auf den von einem Ringwall umgebenen Burghgel von gerten mit der hoch aufragenden Ruine eines mchtigen Wohn-turms, eines Donjons. Linkerhand unten ist das Gurtendorf angedeutet. Der Blick geht bis zur Jurakette mit der Hasenmatt.

    Schon zu Kauws Zeiten scheint das Areal der Burg bewaldet gewesen zu sein. Um gleichwohl eine vollkommene Sicht auf das Objekt zu haben, wandte der Knstler einen Kunstgriff an: Er zeichnete die Waldpartien, die vor dem Betrachter stehen, als eben abgeholzt.

  • 10

    Bemerkungen zur Idylle Der Ritter von gerten Als erstes Werk ber eine Burg in der Umgebung von Bern verffent-lichte Johann Rudolf Wy in den Alpenrosen fr das Jahr 1814 die Dichtung Der Ritter von gerten. Das kleine Werk findet sich danach in: Johann Rudolf Wy: Idyllen, Volkssagen, Legenden und Erzhlungen aus der Schweiz; Band 2, Bern Leipzig 1822, Seiten 112 127, mit einer Anmerkung Seite 397 f. Wy war die treibende Kraft hinter der literarischen Unternehmung Alpenrosen. Des Schriftstellers eigene Arbeiten entsprechen der all-gemeinen Ausrichtung des 1811 erstmals erschienenen Almanachs. Man kann sich der kurzen Dichtung Der Ritter von gerten von 1813 mit drei Stichworten nhern: Vaterlandsliebe, Rckgriff auf die Ge-schichte, Romantik. Wir erinnern uns, da Wy 1811 den Text Rufst du mein Vaterland gedichtet hat. Die ehemalige Schweizer Nationalhymne ist heute vom Inhalt her ungeniebar. Aber dazu sollte man die Zeit berck-sichtigen: In diesem Jahr zwang der Tyrann Napoleon ganz Konti-nentaleuropa an dem unsinnigen Ruland-Feldzug teilzunehmen. Auch die Schweiz mute ein Kontingent von 12'000 Mann stellen. Die meisten kehrten nicht mehr zurck. Auf die geistige Knechtung und den politischen Druck von auen antwortete die einheimische Geistigkeit mit einem Rckgriff auf tradi-tionelle Werte. Vaterlandsliebe war nun mehr als eine bloe brgerli-che Tugend. Die Beschftigung mit der heimatlichen Geschichte wurde zur sinnstiftenden Suche nach einer seelischen Mitte. Die geistige Bewegung der Romantik berhhte diese Tendenzen und gab ihr einen formalen Rahmen. Die Wirklichkeit wurde dichte-risch berhht oder phantastisch verschleiert. Der Schweizerische Robinson von Wy ist gewissermaen eine ro-mantisch-restaurative Utopie: Der Rckzug auf die Insel ermglichte eine Besinnung auf die herkmmlichen religisen und gesellschaftli-chen Werte und den Wiederaufbau einer traditionellen Gesellschaft. Zur gleichen Zeit unternahm es Wy, alte Berner Chroniken im Druck herauszugeben. 1816 erschien Justinger, dann Tschacht-lan, zuletzt Anshelm. Der Ritter von gerten zeigt sich als Kristallisation der damaligen schriftstellerischen Unternehmungen von Wy.

  • 11

    Der Schriftsteller bezeichnete sein kleines Werk von 14 Seiten im Untertitel als Ein Schweizer Idyll und erklrt diese Einordnung in den Anmerkungen zur Ausgabe von 1822 (Seite 397 f.). Die bukolische Episode von zwei Schafhirten vor der Ruine der Burg gerten am Gurten dient als Rahmen, um eine Sage aus der Ver-gangenheit zu erzhlen mit versteckten Anspielungen auf die Ge-genwart. Die Legende von dem Ritter von gerten findet sich beim Chronisten Justinger und wird in den Bilderchroniken von Tschachtlan und Diebold Schilling die beide auf dem Ersterwhnten fuen illu-striert. Danach htte ein Ritter von gerten fr den Knig von Bhmen ge-gen Frankreich ziehen sollen. Allein, der Adelige war verarmt und konnte sich kein Pferd fr den Kriegszug leisten. Dies tat er kund, indem er sich rittlings auf die Mauer seiner Burg setzte, als die bh-mische Gesandtschaft ihn abholen wollte. So zeigte er den anderen, was ihm fehlte. Wy fand die Sage offenbar geeignet, weil er sie mit einer Burgruine verknpfen konnte, die unweit von Bern liegt. Also schildert der Autor, wie sich ein Schafhirt bei gerten unabsicht-lich rittlings auf die Mauer der Ruine setzt, um von oben herab seine Herde zu berwachen. - Der andere Hirt erzhlt ihm darauf die Sage von dem Ritter. Als Moral von der Geschichte bittet der eine den anderen Hirten, ihn wenn ntig bei seiner Arbeit zu untersttzen. Grosses wird hier dem Kleinen gegenbergestellt: Die Hirten den Rittern - und Kriegszge dem Hten von Schafen. Das Idyll am Gurten, neben dem Gemuer einer verfallenen Burg, gewinnt eine gewisse Hintergrndigkeit. Die kleine Dichtung von Wy ist aus einem Gu, wenn auch nicht berragend. Das Werklein wirkt hlzern, die poetische Form aufge-setzt. In Prosa htte die Geschichte zweifellos mehr Wirkung be-kommen. Vielleicht sprte Wy die Mngel in seiner Geschichte. In der Aus-gabe von 1822 fgte er deshalb das Lied vom Ritter von gerten aus Justinger in den Text ein. Zustzlich berarbeitete Wy die Dichtung und brachte zahlreiche nderungen an.

  • 12

    Vergleicht man die beiden Versionen von Der Ritter von gerten, so stellt man fest, da die berarbeitung von 1822 keine Verbesserung darstellt. - Der Herausgeber hat sich deshalb fr die ursprngliche Version von 1813 entschieden und diese nur durch das gerten-Lied ergnzt. Die Radierung von Lory, welche Wy der Dichtung vorangestellt hat (vergleiche Abbildung 11), ist mehr als nur eine Illustration. Der Schriftsteller und der Maler haben zusammengearbeitet. Als Detail der Radierung von Lory sei erwhnt, da der Knstler dort einen Kunstgriff angewandt hat: Die Sdostseite der Ruine gerten, die hier vom Blickwinkel her abgebildet sein mu, ist in Wirklichkeit die Sdwestseite. Bei Kauw (Abbildung 4) findet sich auf der letztge-nannten Seite des Turms ein charakteristischer Hocheingang der gleiche, den Lory darstellt. Die Sage von dem Ritter von gerten verdient ebenfalls eine kurze Analyse. Justinger, der diese Legende wiedergibt, stellt als Ganzes eine ba-rocke Geschichtsdichtung dar. Darin hat jede Begebenheit einen versteckten, meist religisen Sinn. Ein Knig von Bhmen, der gegen Frankreich Krieg fhrt, ist eine Absurditt. Ein solcher Krieg wre Sache des Rmischen Kaisers gewesen. Aber es gab zu einer gewissen Zeit offenbar Beziehungen zwischen Bern und Prag. Vielleicht teilten die beiden Stdte gleiche religise Anschauungen. Auf jeden Fall hatten sowohl die alten Eidgenossen wie die Bhmen einen gemeinsamen Feind, nmlich den franzsischen Knig. Frankreich aber war im 18. Jahrhundert, als dieser Justinger ge-schaffen wurde, ein bermchtiger Nachbar. So versteckte man in dieser Geschichte vielleicht eine antifranzsische Tendenz.

  • 13

    Abbildung 5: Detailansicht des Rundturms von Geristein mit den charakteristischen Buckelquadern

    Foto: Herausgeber, 17.6.2013

  • 14

    ber die Ruine Geristein Die Burgstelle Geristein befindet sich in der Gemeinde Bolligen, gut 7 km nordstlich von Bern, auf 762 Metern Hhe, in der Gehrung am stlichen Ende eines gewinkelten Sandstein-Grates. Sichtbar sind von der Burg die um 1975 unglcklich konservierten Reste eines Rundturms in der Ostecke des kleinen Burgplateaus (Koordinaten: 606480/204400). Neben dem Turm finden sich ge-ringe Reste einer Ringmauer. Der Platz ist im Osten und im Sden durch je einen in den Felsen gehauenen Halsgraben gesichert (ver-gleiche Abbildung 1). Geristein war frher bei der Berner Jugend und bei den Pfadfindern ein beliebtes Ausflugsziel. Der Herausgeber hat sich im Zusammenhang mit seinen geschichts- und chronologiekritischen Forschungen auch neue berlegungen zum Rundturm von Geristein gemacht. Die behauptete Geschichte der Burg ist absurd und beruht auf Chro-niken und Urkunden, die erst im 18. Jahrhundert hergestellt worden sind. Doch die Baugeschichte folgt diesen unmglichen Angaben: Also soll der Turm Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut, 1298 von den Bernern zerstrt und hernach wieder aufgebaut worden sein, bevor die ganze Burg Mitte des 14. Jahrhunderts verlassen wurde. In Tat und Wahrheit kommen wir erst im Laufe des 18. Jahrhunderts langsam auf sicheren historischen Boden. Und die ltere Kulturge-schichte schritt rasch vorwrts. So ergibt sich ein anderes Bild der Baugeschichte jener Burg. Der Turm von Geristein ist rund und hat mit 3,3 Metern ungewhn-lich dicke Mauern. Als Baumaterial diente der rtliche Sandstein. Ferner sind die Quader des ueren Mauerwerks bossiert, also mit Buckeln versehen. Der runde Grundri, die Dicke der Mauern und die Bossierung der Quader sprechen baugeschichtlich fr das Zeitalter der Gotik, das einher ging mit der Entwicklung der Feuerwaffen. Der Turm von Ge-ristein wurde vielleicht nicht einmal vollendet. Der typologische Vergleich ergibt, da Geristein als ein frher Artille-riebau angelegt ist, wofr es in Europa viele Vergleiche gibt. Auch die den Turm umgebende Wehrmauer von Geristein scheint kein hheres Alter zu haben: Sie ist wie der Rundturm aus Sandstein-blcken gefgt und recht dick.

  • 15

    Abbildung 6: Der Rundturm von Geristein Aufnahme von 1941

    aus: Die Burgen und Schlsser der Schweiz. Die Burgen und Schlsser des Kan-tons Bern, Lieferung 10 a: Mittelland, Emmental und Oberaargau, Teil 1, Basel

    1942; S. 85

  • 16

    Beim Turm von Geristein fehlen Mauerffnungen und Spuren eines Eingangs. Man mu deshalb annehmen, da der Bau keine Funktion hatte. Der mchtige Turm wurde wahrscheinlich um seiner selbst wil-len errichtet eine zu einer gewissen Zeit verbreitete Sitte. Der Rundturm von Geristein ist in Sandstein ausgefhrt ein vorher in Wehrbauten nicht verwendetes Baumaterial. Der weiche Sand-stein wurde zuerst im Zeitalter der Gotik verwendet, als die gewaltige Zunahme der Bauaufgaben (Brgerhuser, Mnster) keine andere Wahl zulie. Der Beginn der Gotik ist in die Zeit um 1740 anzusetzen. Auch von dort ergibt sich eine neue zeitliche Versetzung von Geristein. Kauw zeichnete den Turm bereits als Ruine, deren Krone von Ge-strpp und Bumchen eingenommen war. Auch aus diesem Um-stand mu man annehmen, da der Bau wie oben dargelegt - kei-nen Zweck hatte und deshalb sofort zu zerfallen begann. Da die beiden Halsgrben von Geristein zur Gewinnung des Bauma-terials fr den Turm benutzt wurden, lassen sich von Einzelheiten dort weitere Anhaltspunkte fr die Datierung der Burg gewinnen. Gegen Nordwesten fllt das Burgplateau von Geristein in einer gut zwei Meter hohen ersten Stufe ab. Auf dieser unteren Stufe fllt eine eigenartige Hhle auf. Diese ist unter dem Burgplatz angelegt und hat eine groe, knstlerisch gear-beitete ffnung in Form eines liegenden Ovals. Auch der Innen-raum der Kaverne ist von ovalem Grundri. Die genannte Hhle ist zweifellos alt und hatte sicher eine besonde-re Bedeutung mehr als nur ein gewhnlicher Keller. Vielleicht ha-ben wir einen alten Kultraum vor uns. Anders stellt sich die Sache bei einer Eigentmlichkeit im sdlichen Halsgraben von Geristein. Dort fllt an der inneren Wand in etwa drei Metern Hhe ber der Sohle eine schn gearbeitete Felsnische auf. Diese hat einen halbrunden Abschlu gegen oben und ist auch ge-gen hinten gerundet in den Sandstein gehauen. Zweifellos stellte dies die Nische fr ein Heiligenbild dar, wie sie auch an anderen Or-ten nachzuweisen sind. Man darf annehmen, da Geristein ursprnglich ein Kult- und Wall-fahrtsort gewesen ist. Hier scheinen sich wehrhafte und religise Zwecke berlagert zu haben.

  • 17

    Abbildung 7: Der Felszahn mit dem Elefanten von Geristein Aufnahme von Osten.

    Foto: Herausgeber, 27.5.2014

  • 18

    ber die Figur im stlichen Halsgraben von Geristein Johann Rudolf Wy hat seine Novelle und die in die Rahmenerzh-lung eingebettete Sage um eine rtselhafte Figur komponiert, die an der ueren Grabenwand von Geristein eingehauen ist (Abbildung 8). Angeblich stellt sie den unglcklichen Ritter Yvo von Bolligen dar, wie er dem Zwingherrn Aimo, und vor allem seiner im Heidentum verbliebenen Tochter Viola, das Kreuz entgegenstreckt. Die Felsfigur ist auch auf dem Aquarell von Lory unten rechts zu er-kennen, wo sie von zwei Besuchern betrachtet wird (vergleiche das Cover-Bild). Auch an der Auenwand des sdlichen Halsgrabens der Burg findet sich ein Hinweis auf Wy und seine Erzhlung. Dort liest man noch heute die eingehauenen Worte: berall einsam, doch nirgends verlassen. Der pathetische Ausspruch aber ist ein Zitat aus der Novelle (Seite 34). Die Felsfigur wirkt ausgesprochen unknstlerisch; sie kann kaum ein hohes Alter haben. Man mu annehmen, da Johann Rudolf Wy nicht nur den erwhn-ten Spruch, sondern auch die Felsfigur veranlat hat. Liest man die Novelle aufmerksam durch, so merkt man, da der Schriftsteller offen lt, ob die Gestalt am Felsen echt und alt sei oder blo eine mige Macherei (Seite 42) eines zeitgenssischen Steinmetzen darstellt. Bei Geristein haben wir ein Beispiel dafr, wie Dinge eigens geschaf-fen wurden, um einem literarischen Werk grere Aufmerksamkeit zu verleihen. Die Geschichtsflschung seit Beginn des 18. Jahrhun-derts wurde auch spter fortgesetzt. Und die Romantik mit ihrem Streben nach uralten Zeugnissen flschte wieder vermehrt; nicht nur auf Papier und Pergament, sondern - wie hier bei Geristein - so-gar in Stein und Fels. Gegenber der Felsfigur, auf der inneren und wohl grtenteils na-trlich geformten Felswand von Geristein, sieht der aufmerksame Beobachter eine uerst interessante Jahrzahl eingemeielt: J744. Leider reicht der Platz hier nicht aus, um diese Zahl mit dem voran-gestellten J oder I zu erklren. Doch auch diese Inschrift zeigt Ge-ristein als einen besonderen Ort.

  • 19

    Abbildung 8: Menschliche Figur an der Auenwand des stli-chen Halsgrabens von Geristein

    Foto: Herausgeber, 1997

  • 20

    ber den Elefanten von Geristein Wy rsoniert in seiner Erzhlung (Seite 32) ber die natrliche oder knstliche Entstehung der bizarren Felsgebilde am sdwestlichen Ende des Geristein-Grates (Abbildungen 7, 9 und 10). Der schmale, felsige Grat, der aus abschssigem Terrain hervorragt, hat an seinem Ende einen aufflligen, hohen und rundlich geformten Felszahn und dahinter eine Felsrippe mit einer rundbogigen ffnung. Diese sieht wie ein Torbogen aus. Ein kleiner zweiter Felsdurch-bruch schliet sich dem Bogen an. Die geschilderte Sandsteinformation gleicht von Norden wie von S-den her verblffend dem Kopf eines Elefanten, wobei der Felsbogen den Rssel darstellt. Die zweite kleine ffnung knnte den Mund des Tieres oder die Vorderbeine - andeuten. Die bisherige Literatur ist sehr zurckhaltend ber diese Felsfigur, die im Volksmund seit eh und je Elefant genannt wird. Man sprt das Unbehagen, sich ber ein doch sehr deutliches Bild in Stein uern zu mssen. Kein Wunder, da man sich deshalb hinter der konventionellen Geo-logie verschanzt, die behauptet, solche Felsbgen seien auerge-whnliche Erosionsformen. Doch gerade beim Elefanten von Geristein berzeugt eine solche Erklrung nicht: Wie soll ein schmaler Felsgrat an zwei Punkten in fast sthetischer Form durchlchert, aber nicht wegrasiert worden sein? Und welche natrliche Kraft htte dies bewerkstelligt? Was-ser? Wind? Geschiebe? Der Elefant von Geristein ist knstlich geschaffen worden. Zahlreiche Beispiele aus Europa und bersee zeigen, da die mei-sten derartigen Felsentore Werke von Menschenhand sind. Die alten Kulturen hatten eine Vorliebe dafr, Formen und Figuren aus Felsen und Blcken zu schaffen und in die Grundrisse von Burgen und Stdten einzuarbeiten. Wir haben beim Elefanten von Geristein ein knstlerisches Zeugnis aus alter Zeit vor uns und ein Naturwunder der besonderen Art. Je lnger man sich die Sache mit dem Elefanten von Geristein ber-legt, desto mehr ergibt sich ein Zusammenhang mit dem Bau des Rundturms. Der Elefant war ein bedeutendes Symbol im frhen Christentum.

  • 21

    Abbildung 9: Felsformation bei der Ruine Geristein, sogenann-ter "Elefant"

    Aufnahme vor 1910, vom Herausgeber koloriert

    aus: Karl Ludwig Schmalz: Bolligen; Bern 1982, S. 367

    Das alte Foto hat den unschtzbaren Vorteil, da der damalige Niederwald die bei-den Felsen, die den Elefant ausmachen, ganz zeigt. In den folgenden hundert

    Jahren hat der Hochwald sogar die Spitze des Felszahns und des Felstors erreicht und verdeckt.

  • 22

    Die dogmatischen Religionen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts lie-en diese Symbolik spter fallen; aber einzelne Zeugnisse berdau-erten. Julius Caesar das wichtigste Vorbild fr die Jesus-Figur hatte ei-nen Elefanten als Attribut. Auf Mnzen dieser pseudohistorischen Gestalt findet sich deshalb hufig ein solches Tier abgebildet. Man sehe sich auch den vierten Caesar-Teppich im Bernischen Hi-storischen Museum an. Dort zieht der Herrscher auf einer Kutsche in die Stadt Rom ein, die von vier Elefanten mit Pferdefssen (!) gezo-gen wird. In der erfundenen rmischen Geschichte gibt es die feindlichen Feld-herrn Hannibal und Pyrrhus, die beide Kampfelefanten besaen. Im Buddhismus - ebenfalls einem Gewchs aus christlicher Wurzel - ist der Elefant bis heute in Wertschtzung verblieben. Man kann annehmen, da die gleichen Steinmetzen, welche die Blcke fr den Turm von Geristein behauten, auch die Felsfigur des Elefanten schufen. Der hohe Felszahn, gleich stlich neben dem Felsentor, stellt sicher einen Stosszahn dar. Auch dieser mu von Menschenhand ge-formt sein. Auf dem Felsgrat, der von dem Stosszahn in Richtung der Burgstelle fhrt, glaubt man an mehreren Stellen weitere Elefantenformen zu erkennen. Wurde etwa eine ganze Kolonne von Dickhutern dar-gestellt? Noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Wald rund um den Felsgrat von Geristein stark genutzt. Der Niederwald zeigte die Felsfigur des Elefanten mit dem Stosszahn ganz. In den folgen-den hundert Jahren wurde der Wald kaum mehr bewirtschaftet. Also berragten die Bauwipfel zuletzt selbst die Silhouette des Grates. Erst seit dem Winter 2013/14 wurde im Wald von Geristein wieder etwas gerodet. stlich von Geristein gibt es noch andere Beispiele fr alte Bearbei-tungen von Sandsteinfelsen. - Erwhnt werden soll das sogenannte Fluhbabi, auch Zigergtsch oder Giraffe genannt. Dieses Naturwun-der findet sich auf einem Auslufer des Bantigers sdwestlich von Krauchthal, nrdlich unterhalb der Klosteralp. Auf einem rundbuckli-gen Felsen erhebt sich eine Figur, die man je nach Blickwinkel als Hand oder Kopf oder Flamme deuten kann.

  • 23

    Abbildung 10: Felstorbogen bei der Ruine Geristein, sogenann-ter "Elefant"

    Blick auf das Felsentor von Sden.

    Durch Rodungsarbeiten im Winterhalbjahr 2013/14 ist die Figur des Elefanten wie-der aus der Entfernung sichtbar geworden.

    Foto: Herausgeber, 27.5.2014

  • 24

    Auch das Tannstygli, ein langer felsiger Sporn sdlich von Thorberg bei Krauchthal, soll genannt werden. Angeblich sei dies eine Burg-stelle. Aber ein knstlich aus dem Sandstein gehauener Zylinder im westlichen Teil des Tannstygli gibt Fragen auf, die sich nicht beant-worten lassen. Die Gegend zwischen dem Grauholz und Krauchthal birgt einige Rtsel aus grauer Vorzeit. Geristein gehrt dazu. Knstliche Felstorbogen kann man auch an anderen Orten im Bern-biet sehen: Bei Tavannes (deutsch: Dachsfelden) im Berner Jura gibt es die be-kannte Pierre Pertuis, eine Felsffnung, deren Bogen die Schnauze eines Dachses darstellt. Westlich von Hinterfultigen, in einem Abschnitt des Schwarzwasser-grabens, der Schlokeller (Schlosschllen) genannt wird, findet sich ein eindrucksvoller Felstorbogen, der im Volksmund Zwingherrenbo-gen genannt wird. Auch dort kann man den Rssel eines Elefanten sehen. Ganz in der Nhe von Geristein, oberhalb von Flugbrunnen und un-terhalb einer Erdburg, sieht man in einem steilen Abhang einen klei-nen, aber ebenfalls knstlichen Felstorbogen. Auch dieser stellt wahrscheinlich den Rssel eines Elefanten dar. Wenn sich in Geristein ein Elefant dargestellt findet, so mu dieser Ort in frherer Zeit eine religise Bedeutung gehabt haben. Der Ortsname liefert einen Hinweis: Das GER oder GEREN in Geristein (Gerenstein) enthlt das hebri-sche ger, Mehrzahl gerim, was Pilger bedeutet. Geristein war also ein altchristlicher Wallfahrtsort. Der Pilgerweg nach Geristein scheint der gleiche gewesen zu sein, welcher die drei Mnner in Wy Novelle machen: von Bern ber Bolligen, Flugbrunnen und die Talhchi. Drei merkwrdige Felsaufbrche bei der zuletzt erwhnten Talhchi dem Pabergang zwischen Stockeren und Bantiger - knnen als Standorte von Gtter- oder Heiligenbildern gedeutet werden. Ausgeprgte Felsaufbrche gibt es auch bei Lindenfeld im Lindental sdlich von Krauchthal und auf der Burgstelle Liebefels auf der Sod-fluh oberhalb von Hub, zwischen Geristein und Krauchthal.

  • 25

    Abbildung 11: Blick von der Ruine gerten am Gurten auf Bern und den Jura

    Radierung von Gabriel Ludwig Lory (Vater), um 1813

    aus:

    Alpenrosen. Ein Schweizer Almanach auf das Jahr 1814

    Bern - Leipzig (1813)

    Originallegende zur Abbildung von gerten (Seite 163):

    Man sehe das gegenber stehende Kupfer, welches mit einiger Freyheit den schn-sten Anblick der Ruine zu der treuen Aussicht in die Ferne gegen Bern und den Ju-

    ra vereint.

    Gegenber der Ansicht von Kauw (Abbildung 4) ist die Ruine des Donjons schon stark abgetragen. Die Fernsicht ist sehr detailgetreu. Beispielsweise erkennt man

    auf der Jurakette die Hasenmatt (rechts).

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    ber die Ruine gerten am Gurten Die Ruine gerten liegt etwa 4 km sdlich des Zentrums von Bern auf einem bewaldeten Hgel des stlichen Gurten-Bergs. Zu sehen ist von dieser Wehranlage heute noch ein markanter, rund-licher und knstlich berhhter Burghgel. Auf der Sdost- und Nordwestseite sind der Motte tiefer gelegene Zwischenplateaus vor-gelagert. Der Burghgel ist auf drei Seiten von einem gut erhaltenen Ringwall umgeben. Auf der vierten Seite - gegen Nordosten machte der Steilhang einen Wall berflssig. Gegen Sden ist dem Ringwall eine Rampe vorgelagert, die durch einen groen Findling gekennzeichnet ist. Gegen Osten schliet sich ein kurzer Hohlweg, gegen Westen eine Grube oder ein Graben an. Das Vorwerk bildet gegen Sdwesten eine rechtwinklige Terrasse. Der groe erratische Block im Sden der Anlage (Koordinaten: 601310/195560) drfte als Meanker der Burg gedient haben. In der alten Landvermessung, die der Herausgeber herausgefunden hat, war gerten am Gurten mit der Eggliburg bei Rapperswil BE durch einen Himmelswinkel von 347 NW verbunden. Die Linie bilde-te die Querteilung eines Henkelkreuzes oder Ankhs, welches in die Altstadt von Bern eingemessen war. - Der Schnittpunkt mit der Lngsachse des Kreuzes lag beim heutigen Kfigturm. Die Abbildungen von Kauw und Lory zeigen auf dem Burghgel von gerten einen mchtigen rechteckigen Turm, einen Donjon, von viel-leicht ursprnglich zehn Metern Hhe, der aus teilweise behauenen Geschiebesteinen gefgt war. Der Donjon von gerten mit einem Hochportal in der Sdwestseite ist heute vollstndig abgetragen. Doch haben sich einige Steine des Fundaments erhalten, besonders an der Nordostecke. Dadurch kann ein Turmgrundri von etwa zwlf mal fnfzehn Metern bei einer Mauerdicke von vielleicht drei Metern erschlossen werden. Im Graben des Ringwalls liegen noch heute viele Steine des Turms. Der Wohnturm von gerten war vom Grundri her hnlich wie derje-nige der ehemaligen Nydegg-Burg in der Altstadt von Bern, aber auch wie der Turm von Oberwangen und der Donjon der Burgstelle Rorberg bei Rohrbach im bernischen Oberaargau. Da der gemauerte Turm heute verschwunden ist, zeigt sich gerten am Gurten wieder als gut erhaltene Erdburg mit Hgel, Wall und

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    Graben. - Nach Meinung des Herausgebers wurden nmlich alle al-ten Wehranlagen zuerst als Erdbauten angelegt. Zementierte Mau-ern, damit Steinburgen, kamen spter auf und wurden in die ur-sprnglichen Erdburgen eingefgt. Der Gurten-Berg selbst ist als Ur-Bern oder der alte Burgberg von Bern zu betrachten. Auf der Westseite des Berges, beim heutigen Aussichtsturm, stand in altbernischer Zeit eine Hochwacht, ein Chutz. Der Chutzen selbst stand auf einem Ringwall, der zwar bezeugt ist, von welchem aber im frhen 19. Jahrhundert die letzten Spuren ver-schwunden sind. Auf der Ostseite des Gurten-Berges, beim heutigen Ostsignal, kann ein ehemaliger Abschnittswall und Abschnittsgraben vermutet wer-den. Der Gurten war also eine weitlufige Hhenburg vergleichbar etwa der Utoburg auf dem tliberg oberhalb von Zrich. In dem geschilderten Zusammenhang nimmt sich gerten wie ein Vorwerk der alten Hhenburg Gurten aus. Wie in vielen Grundrissen von alten Stdten und Burgen steckt auch im Plan von gerten am Gurten eine Figur (Abbildung 12): Der Burghgel bildet einen Kopf, der Ringwall einen Helm und die Erd-zeichnung im Sden im Bereich des Findlings einen Federbusch. In dem Plan von gerten ist also der behelmte Kopf eines Ritters eingezeichnet. Die Sage von dem Ritter von gerten hat eine Ent-sprechung im Grundri der Burganlage. Zuletzt der Ortsname. Der Herausgeber hat sich in seinem Werk Die Ortsnamen der Schweiz damit auseinandergesetzt. Die von ihm an-gewandte Methode der Entvokalisierung hat ergeben, da gerten und Gurten die gleiche Etymologie haben: GURTEN = CRTM GERTEN = CRTM Dahinter verbirgt sich CURTIM, curtis, lateinisch der Hof, im Sinne von Frstenhof. Gem der Troja-Sage soll deren Oberknig Priamus auf einem H-gel vor der Stadt einen Palast, einen Frstenhof errichtet haben. Bern sah sich ebenfalls als Troja. Also wurde der Gurten oder der Burghgel von gerten - als Residenz des trojanischen Knigs be-trachtet.

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    Johann Rudolf Wy der Jngere

    Der Abend zu Geristein chon einmal haben die Leser der Alpenrosen uns in die Um-gebung Berns, an den sogenannten Bantiger - dem Schweizer ein Hubel, dem Niederlnder ein Berg begleitet, wo die

    Felswohnungen des Lindentals fr den romantischen Sinn so an-sprechend sind. (Alpenrosen fr 1812, Seiten 200 ff.). Diesmal laden wir zu einem Gange nach den Ruinen Gerenstein und ihren lndli-chen Umgebungen ein, da jngst ein Freund uns davon unterhalten-den Bericht erteilt und Herr Lory, der Vater, das niedlichste Bild hin-zugefgt hat. Neulich erzhlt mein etwas humoristischer Freund unternahm ich meine Jahresrunde zu den Ruinen und Altertmern des nheren Stadtgebiets unseres lieben Berns, um den Pflichten meines selbst-geschaffenen Amtes als Ober-Geheim-Konservator aller historischen Merkwrdigkeiten und Sagen in meinem Bereich Genge zu tun. gerten, Bubenberg, die Hochburg zu Belp und andere mehr waren abgetan, und in angemessenem, allerbestem Zustande fortschrei-tender Verwitterung befunden worden. Jetzt kam die Reihe zu Ge-renstein. Und da mir die Lage dieses Nestes immer als besonders romantisch vorgekommen ist, nahm ich zur Gemtsergtzung dies-mal Freund Samuel den Enthusiasten, und Freund Adelbert, den Erzprosaiker mit, um zwischen diesen zwei Endpunkten eines hei-en quators und eines kalten Nordpols behaglich in gemigter Zone zu pilgern. Der Berg wurde bald nach Tisch angetreten, um nicht eilen zu ms-sen, da wir den Bantiger selbst zu bersteigen und mit dem bekann-ten, lieblich einsamen Fupfade von oben herunter in das Geren-stein-Tlchen zu fallen uns vorgenommen. Ich schweige von dem langen Schattengange der herrlichen zwei Baumreihen, die fast am Stadttore selbst beginnend, mit kaum merklicher Unterbrechung bis zum Siechenhause fortlaufen, und zu den vielen tglich genossenen, kaum einmal anerkannten Wohltaten vorsorgender Standmagistrate gehren. Samuel in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, - hatte billig zu wenig, Adelbert ein wenig zu viel bei seinem Mittages-sen verweilt. Und so kam es von selbst, da Samuel, auf den Fl-geln antiquarischer Vergeisterung, stets zehn Schritte vor mir, Adel-bert in den Bleischuhen pflichtschuldigen Mitwanderns, zehn Schritte

    S

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    hinter mir die Strasse daherzog, was unserer freundschaftlichen Un-terhaltung ein ganz eigenes Wesen gab, nicht unhnlich dem Anru-fen zerstreuter Schildwachen um Mitternacht. Samuel schwelgte in der aufblhenden Rckerinnerung an die herrli-chen Ritterzeiten, und mischte Kostm, Gebruche, Sitten und Zge aus Mllers Schweizergeschichte und aus Kramer, Schlenkert, Spie, auf so heillose Weise durcheinander, da Crne de Ste. Pa-laye sich htte im Grab umdrehen mgen, wenn er ein Wort davon gehrt htte. Bsching in Breslau war mit seiner neuen verdienstvol-len Arbeit erst im Messe-Katalog, und focht uns also noch wenig an [Anspielungen auf geschichtliche Werke]. Dagegen lechzte Adelbert vor Durst, beklagte sich bitterlich ber den Staub der Strasse, und vermutete, da unser altertmliche Spazier-gang den Macherlohn nicht wert sein mchte, wenn wir endlich den Schutt des alten Kauzenstalls wrden gesehen haben. Aus dem ganzen Zeitalter des ritterlichen Freudenlebens pries er sich vor der Hand nur das Reiten, und wnschte sich blo einen Streithengst, der brigens ohne Streit ihn zum Gerenstein trge. Wir gelangten durch das schn gelegene Bolligen und lenkten rechts von dem Pfarrdorf aufwrts gegen Flugbrunnen zu, das vor Alters Fluhbrunnen mag geheien haben, da es hart an einer der vortre-tenden Flhe des Bantigers liegt. Unfern von dem rtchen, freiste-hend gegen Westen, erhebt sich ein rundliches Hgelchen, der Standort der alten Feste von Bolligen, die nun spurlos verschwunden ist und vermutlich in den Kellern der vielen benachbarten Bauern-huser, mit ihren Kieseln und Sandsteinen, die Frondienste vergilt, welche sie weiland [einst] von den Ahnvtern der Bauern mag ge-nossen haben. Jetzt galt es zu steigen am Bergeshang. Samuel rannte praktisch den ersten abschssigen Pfad hinan und jodelte schon lustig ber den Baumwipfeln unserer Umgebung in die Lfte; whrend Adelbert die Theorie des Bergsteigens mit groer Gemchlichkeit entwickelte und gerne davon einen Anla ergriff, jede Sekunde wieder still zu stehen. Er lftete nun erst die Halsbinde, warf den Rock ber die Schultern in eine Lage, da er ohne Hilfe der Hand sich behaupten konnte, schnrte sich ein Schnupftuch um den Leib gegen das Milz-stechen, und nahm abgemessene Schritte, gleich einem Automaten, uerst bedchtig mit der Rechten an seinem Spazierprgel sich halb emporziehend, halb durch eine Art von Schaukelbewegung auf

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    einer Fuspitze nach der andern sich hinaufschnellend, was er be-sonders fr einen Meisterkniff ausgab. Kein Wort von der Aussicht, die nun allmhlich nach den Gefilden Berns und weit gegen die Kantone Freiburg und Waadt hin sich hin-ter unserm Rcken entfaltete! Jngst haben wir ja von L.A. Haller ein Panorama des Bantigers erhalten, das vom Gipfel des Berges auf-genommen, so treu und belehrend als mglich mit einem einzigen Schlag vor die Blicke legt, was sich auf zwanzig oder dreiig Seiten nur kmmerlich entfalten liee. Die Aussicht nach den Schneegebir-gen blieb auf unserm Pfad uns durch den Hauptstock des Berges verdeckt; denn wir gelangten in eine Senkung, die zwischen diesem und dem etwas niedrigeren Waldschopfe der Stockerenflhe sich hinzieht, um einen bequemen bergang zu gewhren. Wiesen und kleine Pflanzungen Getreides unter Kirschbumen, dem herrschenden Fruchtbaum der Gegend, lsten sich ab neben unse-rem Wege, bis eine lichte Waldpartie uns aufnahm, und endlich ein Hohlweg ber den Rcken der Hhe uns wieder abwrts geleitete, wo der stliche Auslauf des Bantigers sich in allerlei Felsgebilde, Tlchen und Schluchten, mit immer neu aufstrebenden Erhhungen, bis nach Krauchthal und dem Lindental zu verluft. Im Vorbeigehen gesagt: Mein Freund war etwas umstndlich bei diesen topographischen Angaben, weil er wute, da die rtlichkeit mir bekannt sei und er die Neckerei haben wollte, mich mit ihrer Schilderung ein wenig zu qulen. Friedliche und freundliche Htten, jede vereinzelt, je nachdem hier oder dort auf dem ungleichen Grunde mehr Sonnenlicht oder mehr Schirm gegen die Wetterlste zu erobern war, auch wohl nach Ma-gabe gefundener Quellen oder glcklich gegrabener Sodbrunnen, aber jede von Obstbumen umringt, mit einem Grtchen auf der Sonnseite geschmckt, ergtzten bald unsere Blicke mit ihrer male-rischen Erscheinung. Der Weg schien auslaufen und sich verlieren zu wollen bei diesen Huschen, als wren sie ein hinlngliches Ziel fr den Lustwandler, der das Horazische procul negotiis [weit ent-fernt von den Tagesgeschften] anstrebte. Samuel phantasierte und spielte Variationen ber das beliebte Thema der Einsiedeleien; wh-rend Adelbert fragte, ob diese Huser wohl der Kirchhre [Kirchge-meinde] Bolligen oder der Kirchhre Krauchthal eingepfarrt seien. Denn sehr grndlich bemerkte er, da die Kirchspnigkeit [Kirchzu-gehrigkeit] der Ortschaften in der Schweiz ein lehrreicher Finger-

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    zeig sei ber die alte Landeskultur und die Zeitfolge der menschli-chen Ansiedlungen. Auf einmal jubelte Samuel, seine Spaziergerte schwingend: Herr-lich! Majesttisch! Eine wahre Riesenburg! Ein Titanenhaus! Der liebe Freund ist bekanntlich etwas kurzsichtig, was zur Befrde-rung des Enthusiasmus auerordentlich diensam [ntzlich] ist. Adel-bert war solcher Explosionen des Schnheitssinns bei seinem Ge-fhrten allzu gewohnt, um nun aufzusehen. Ihn beschftigte der Sandstein, der ringsherum, wo nur irgend die Hlle der Damm-Erde verschwunden war, sich ein wenig vorlaut wenn ich so sagen darf aufdrngte und dem kosmogonischen Altertum der Umgebung ein schlechtes Zeugnis sprach. Mir hingegen war Samuels Ausruf erweckend genug, um mich hin-schauen zu machen, wohin er sein Stbchen richtete. Und lachen mut ich nun doch, als ich merkte, da dem Entzckten die Fels-wnde und Felszacken, welchen den Gerenstein tragen, als die Burg selbst erschienen, die dann freilich aus solchen Maen erbaut, den alten zyklopischen Bauwerken Italiens und Griechenlands den Rang abstreiten mte. Jetzt gewannen wir pltzlich einen Fahrweg und befanden uns bei zwei oder drei Husern mit Nebengebuden, da wir denn auch links, in miger Entfernung, die Hauptstrasse von Bern ber Krauchthal nach Burgdorf gewahr wurden, und uns mit der bekannten Welt in den gehrigen Zusammenhang denken konnten. Das mibehagte dem berschwenglichen Samuel, und behagte desto besser dem jetzt eben auch sich umsehenden Adelbert, der seinen Mund zu be-ster Belehrung ffnete, um inzwischen den Schwei von seiner ge-lehrten und gedankenvollen Stirn zu wischen. Die Strasse dort, begann er, ist im ganzen Land unter dem Namen der alten Strasse bekannt; und weiter unten noch, jenseits Burgdorf bei Wynigen, heit sie so. Vermutlich wurde sie schon unter den Helvetiern vor der Rmerzeit gebraucht, denn ich habe mich durch Nachdenken berzeugt, da zwischen den Stdten und Flecken, die laut Csars Berichte von unsern kriegslustigen Urahnen verbrannt wurden, einiger Zusammenhang bestand. Und die Rmer scheinen die Wege dieser Verbindung nur verbes-sert, mit Brcken und Dmmen ausgestattet, auch wohl mit Kastellen verwahrt oder beobachtet zu haben. Ich habe gehrt, da bei Ge-renstein rmische Mnzen gefunden wurden. Und zu Sinneringen,

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    am jenseitigen Fue des Bantigers, sind Reste von einer rmischen Villa zum Vorschein gekommen. Es drfte von Aventicum her nach Bern bei der jetzigen Enge vorbei sich eine wichtige Landstrasse nach Burgdorf, vielleicht gen Zofingen, wenn dort das alte Tobinium stand, und endlich gen Windisch gezogen haben. Diese Enge scheint ein verschanztes Lager gewesen zu sein, zu welchem bei Bremgarten eine Brcke ber die Aar geleitete. Wer wei, ob nicht die Hunnen vor diesem Lager eine Schlappe gekriegt? Kleine Ro-eisen, auf die breiten Fe der Schweizerpferde durchaus nicht pas-send, sind oft schon in einigen Wiesen und Feldern um Reichenbach und Bremgarten gefunden worden. Noch im Mittelalter, ja bis ins 18. Jahrhundert, lief hier eine Haupt-strasse von der westlichen und sdwestlichen Schweiz nach dem Aargau durch, whrend eine andere von Aventicum ber das groe Moos gegen Brglen, Bren und Solothurn lief. Eine Vermutung, auf einige Spuren gesttzt, lt jene Strasse im jetzigen Marzili bei Bern ber die Aar, und ferner ber das jetzige Kirchenfeld hin nach Bolligen zulaufen; da bekanntlich die neue Aargauerstrasse durch das weiland unwegsame Grauholz ein Werk der neueren Zeit ist.

    Vorwrts, vorwrts, ihr langweiligen Straen-Inspektoren der Urzeit! rief hier Samuel, der natrlich auf Adelbert nur mit halbem Ohre ge-hrt, und inzwischen den zweckmigen Zugang zu den vorliegen-den Burgtrmmern ausgespht hatte. Wir knnen unterwegs ja gleichwohl plaudern, fuhr er fort, und wahrlich: Die Biderben [Biede-ren], Mannhaften, Frommen, Weisen und Frsichtigen [Verstndi-gen]; unsere Vorfahren in der guten Stadt Bern, htten Gerenstein in hundert Jahren nicht erobert, wenn sie erst ber alle Strassen der Helvetier und Rmer einen grundgelehrten Antiquar htten anhren mssen. Hiermit bewegten wir uns nach der etwas vorspringenden Felsenpar-tie, welche uns grad im Gesichte lag, und halb von Buschwerk, von einigen Buchen und Tannen, zumal von Kiefern, die dran und drauf in ziemlicher Menge hervorragen, malerisch verdeckt ist. Seltsam ber die Massen ist an einem hoch aufstarrenden Felszinken ein of-fenes weites Portal, gro genug, um mit einem gewhnlichen Fuhr-werk allenfalls durchzukommen; und just so sehr und wiederum so wenig regelmig, da man zweifeln kann, ob Kunst oder Natur es gesprengt habe.

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    Nicht ohne Mhe klimmt man zu der ffnung empor. Doch Samuel, der gleich von jeder Einzelheit ergriffen wird, die der Phantasie ein Spiel vergnnt, kletterte wohlgemut hinan, whrend Adelbert und ich einen Fusteig rechts in den alten Burggraben hinein verfolgten, und bald gegenber der Burg an einem begrasten Abhange zu der Stelle gelangten, wo ungefhr Lory seine Zeichnung scheint entworfen zu haben. Da wir demnchst wieder hinabstiegen, die Burg dann neben dem Turm auf einem verzweifelt glatten und abschssigen Pfad erklom-men, uns mit Geflissenheit [Bedacht, Aufmerksamkeit] umsahen, mit Samuel wieder zusammentrafen, aber endlich zum zweiten Mal uns in den Graben, ja, zum zweiten Mal auf jenen Standpunkt der male-rischen Darstellung verfgten; so fasse ich gleich zusammen, was wir nach anderthalbstndigem Herumtreiben als wesentliches Er-gebnis davontrugen. Die ganze Anlage zu dem weiland bedeutenden und starken Bau ist gewi mit Umsicht und groer Arbeit gemacht worden; denn die Felsmasse, auf welcher er steht, hing wahrscheinlich mit dem bri-gen Bergstocke zusammen und ist durch Menschenkunst, wo unser Bild es selbst erraten lt, voneinander gehauen worden. Der Fels nmlich gegenber dem Turme zeigt von oben bis unten durch seine senkrecht glatte, von unserm Knstler etwas malerisch variierte Wand, die unverkennbarste Spur der Bearbeitung, und zum berflu meldet die Sage, da vor Alters eine Brcke von diesem Klippenrand hinber auf das Schlo gegangen, was unwahrscheinlich ist, weil es andere, leichtere Zugnge gab und hier keine Merkzeichen eines hinzufhrenden Weges erschienen - was aber auf eine sagenhaft entstellte Nachricht von ursprnglichem Zusammenhange des Ge-steins hin deutet. Jetzt bildet das eigentliche Burggebiet eine Art unregelmiger Fel-seninsel, die mit einem Halbkreis, aber auch mit einem Winkelma hnlichkeit hat. Die Ecke, oder des Halbkreises Ausbeugung, unge-fhr gleich weit von den zwei Enden, ist zugleich die hchste Stelle des felsigen Standortes, und mag darum den einzigen hohen Turm der Feste getragen haben, der durch seine Bauart mit Buckeln (en bosse) sich von andern Trmen der alten Schlsser dieser Gegen-den nicht wenig unterscheidet. Am wahrscheinlichsten kommt es einem vor, da jenes Felsenportal zum Durchblick diente, um von des Wehrturms Hhe hinweg, trotz

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    der sonst hemmenden Felszacken, auch nach jener Seite hin, ent-weder den argen Feind oder den arglosen Wanderer zu erlauschen. Von dem Hauptturme hinweg zieht der schmale Felsgrat sich in zwei von einander wenigstens rechtwinklig, wo nicht stumpfwinklig abste-henden Linien um etwas niederwrts, und bildet zwei natrliche, fort-laufende Zinnen oder Letzinen [Talsperren], wie man diese Befesti-gung in der Schweiz zu namsen [nennen] pflegte. Doch war das Fortschreiten auf jeder, in einem migen Abstande von dem Turme, durch einen tiefen in den Felsen gehauenen Einschnitt verwehrt; es sei denn, da ber diese Einschnitte vielleicht eine Fallbrcke auf die letzten Auslufe des Felsengrates, als auf Vorwerke und Auen-werke der Burg, hinbergeleitet habe. In dem unebenen, steil genug nach dem Hauptturm emporsteigen-den Raume zwischen den zwei Felsenarmen mag, hinlnglich von beiden Seiten geschtzt, und nach unten durch Palisaden oder Leb-hgen wider den ersten Anlauf bewahrt, das eine oder andere Wirt-schaftsgebude des Burgherrn gestanden haben; denn oben auf dem Felsrcken war der Raum allzu eng dazu. Im brigen hatte man Keller, und wohl gar ein Wohngemach im Felsen angelegt, so wie das Verlie des Turmes nicht minder in die gediegene Sandfluh ein-gehauen ward, und ein verschtteter Brunnen sich zeigt, der ein Sod von betrchtlicher Tiefe mag gewesen sein. Doch hatte die Weich-heit des Sandsteines allenthalben die Arbeit erleichtert, ob diese gleich immer auf einen reichen und mchtigen Erbauer schlieen lt. Des Schlosses ganze rtlichkeit war seltsam genug. Es lag, von keiner Seite her gesehen, bis man fast unausweichlich nahe dabei war, - in einer Art von Hinterhalt. Und doch erhob sich der oberste Gipfel des Turms wie ein Pharus [Leuchtturm] und mute reichliche Fernsicht gewhren, indem die Anhhe gegenber nach Westen ei-ne solche darbietet, und nach Norden, jenseits benachbarter Wald-hhen, den langen Mammutrcken des Jurassus [Jura] mit dem Buckel der Hasenmatt erblicken lt. Rings ist die nchste Umgebung ein Labyrinth von Hgeln, von tief-liegenden Wiesengrnden, von nackten rundgesplten Sandsteinfel-sen und von Waldschpfen [Waldkuppen], hin und wieder mit lndli-chen, keineswegs armseligen Wohnungen, bald an einer sonnigen Halde, bald in einem stillen Verstecke dergestalt best, da man sich einsam und doch nirgends verlassen fhlt. Amseln, Drosseln, Schwarzkpfe schlagen aus zahlreichem Gebsche; das Glcklein

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    weniger, im Weiden begriffener Schafe lutet abgebrochen drein; und je zuweilen pfeift oder jauchzt ein munterer Junge, dem es zu still geworden, in die Lfte hinauf, da denn ungesehene Kameraden, hier, dort, in den Winkeln ihre Antwort gellen. So erschien uns die Burg mit ihrer jetzigen Umgebung, und kaum etwas Wesentliches unterscheidet sie von andern ebenso alten Schlotrmmern, wenn nicht eine Merkwrdigkeit, die wir ganz zu-letzt nur ins Auge faten, da sie durch Verwitterung bis nahe an ein vlliges Erlschen gekommen, und darum fast unbemerkbar ist. Auf Lorys Bilde steht sie rechts unten an der Felswand, gegenber dem Turme; doch in etwas vielleicht deutlicher ausgedrckt, als man in der Wirklichkeit sie finden drfte; denn zwei bis drei Jahre Unter-schied mssen jetzt viel dabei ausmachen. Wir pflanzten uns mit groer Aufmerksamkeit vor die Figur, sobald ein Mdchen, das gerade mit einigen Ziegen herbeigekommen, uns dieselbe wahrnehmen lie. Aber Freund Adelbert war im Augenblick fertig damit. Pfui! rief er ber das Fratzenbild. Erkennt denn nicht je-der Tropf das armselige Feierabendspiel eines migen Steinbre-chers darin, dem die Finger noch juckten, und der es zur Belustigung seiner Bbchen mit krassem Umri in den Sandstein meielte? Auf diesen prosaischen Orakelspruch machte Adelbert etwas hh-nisch rechts umkehrt, und lie uns zwei andere Glotzer ein wenig verdutzt die Versuche hherer Auslegungskunst selbander [selbst] im Ferneren entwickeln. Da ergo sich Samuels Suade [Redeflu] wie der Schwall eines Wsserungsbaches nach aufgezogener Schleuse. Greulicher Erz-prosaiker doch unser Adelbert! Er wrde uns weis machen, wenn wirs anhren wollten, das Kolosseum in Rom sei in der Urzeit von Korallentierchen auf altem Meeresgrund aufgefhrt worden, und die neugefundenen, so herrlichen ginetischen Bildwerke seien Anthro-polithen, etwa versteinerte Helden aus dem trojanischen Kriege, die man in einem griechischen Kunstkabinett aufbewahrt, jetzt aber durch einen demtigenden Zufall wieder gefunden, um sie zu Phidi-as-Werken zu panegyrisieren [verherrlichen] und sich den Ohren-Orden des phrygischen Midas daran zu verdienen. Solchergestalt erhub Samuel mit Unwillen seine Stimme, hier ein merkwrdiges historisches Wahrzeichen aus dem gepriesenen Mit-telalter erkennend. Ja, so lang er sich nur in den Kopf des Bildwer-kes vertiefte, der besonders stark in erhobener Arbeit herausstand, hatte er nicht bel Lust, etwas von Druiden und keltischen Kriegsgt-

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    tern zu munkeln, wobei er sich namentlich auf den dargestellten Ke-gelkugelkopf jenes Gtzenbildes in den Schweizerischen Altert-mern [Heft 2, Bern 1823] berief. Doch als er die gesamte Figur jetzt durchmusterte, sank ihm der Mut um sieben oder acht Jahrhunderte tiefer. Und es trumte ihm von ei-nem frommen Waldbruder, der in diesen Felsschluchten gehaust habe, und dessen Andenken hier in den rohen Umrissen, nach der gesunkenen Kunst jener Zeit, den Bewohnern der Gegend sei auf-bewahrt worden. Dies sei handgreiflich bewiesen, meinte Samuel, durch das Kreuz, welches wie zum Segnen in der rechten Hand der Gestalt sich gen Himmel erhebe. Mit der linken Hand aber nahm un-ser Freund es nicht so genau. Und in der Tat: Die Verwitterung des Bildes lie unentschieden, ob ein Schwert, ein Stab oder ein Rosen-kranz hinabwrts vorgestellt sein solle; oder ob etwas Rundes, ein Schild, ein Korb, ein Pilgerhut, seitwrts unter dem Arme hinausge-standen. Doch Samuel fand im mindesten kein Arg an diesem belstande und ergo sich vielmehr in eine wohlgestellte Anrede an das Rtselgebil-de: Sei immerhin mir gegrt, du ehrwrdige Reliquie der ehrwrdi-gen Vorzeit! In unzhligen Seelen vielleicht, dort oben ber dem Sternengefilde, blht noch die Erinnerung an die Hlle des From-men, der einst in diesem Felsental Gottseligkeit lehrte und christli-ches Wohltun bte. Hienieden erlischt bald auch der letzte Zug, der die segnende teure Gestalt einst dem andchtigen Bewohner zu dankbarer Verehrung aufbewahrt hat. Leibes- und Seelenarzt, mag der friedliebende Bruder hier gewaltet haben, wie die Genien des hellenistischen Mythos. Und htten Polyklete den heiligen Mann uns dargestellt, so wrden wir ein Ideal erhalten haben, weit ber die Herkules, die Meleager, die Theseus, welche nur aus irdischer Not zu erlsen vermocht. Alles ber den Gegenstand war nun erschpft, und in unbewutem Gefhle vielleicht, da da nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu mutmaen sei, wandten wir uns beide fast instinktmig von dem Bilde wieder weg, und klimmten bald atemlos auf dem unscheinba-ren Pfade hinan, den Adelbert vor einer Weile schon eingeschlagen. Er fhrte zu einem Bauernhause, von welchem in diesem Augenblick Adelbert gegen uns zurckkam, indem er sogleich uns zurief: Lagern wir uns an dieser lieblichen Sttte! Setzen wir uns unter den Zwetschgenbaum hier und trinken eine Schssel Milch, die der un-wrdige Prosaiker des altertmelnden Kleeblattes euch Phantasten

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    und Grblern hat bereiten lassen! Im Anschauen des zerbrckelnden Turmes gegenber wird es an zeit- und ortgemen Ideen zur Un-terhaltung gewi nicht fehlen. Ein wenig unzufrieden mit der Form, aber hchst zufrieden mit dem Inhalte dieses Vorschlags, leisteten wir, wie bei solchen Fllen zu geschehen pflegt, stillschweigend aber nicht allzu hastig Folge, und sahen auch bald ein rstiges Bauernweib mit einer beblmten doch nur von dem Tpfer beblmten weitbuchigen Kachel daher-treten, whrend ein allerliebstes, reichlich angezogenes, elf- oder zwlfjhriges Mdchen einen vierpfndigen Laib vortrefflichen Haus-brotes, samt sturzenen [schadhaften] Lffeln und gewhnlichen Tischmessern hintennach trug. Die Frau wute gut genug einen Knicks zu machen, ohne die Milch in berschwung zu bringen, und stellte die Kachel in unsere Mitte, nicht ohne sorgfltig ein Steinchen unterzulegen, wo das Geschirr ein wenig zu neigen drohte. Doch alle sechs Augen des altertmelnden Kleeblatts, um nach Adelbert zu sprechen, unterhielten sich vorerst mit dem unschuldi-gen, neuen und jungen Gesichte des Mdchens, das nicht ohne na-trliche Grazie jetzt Brot und Messer berlieferte, wobei ich will es nur ausbringen der idealistische Samuel es realistisch genug ein-zurichten wute, da er des Kindes niedliche Hand berhren konnte, was aber aus Hflichkeit von uns Kollegen unbeachtet, von dem Kinde selbst, bei voller Unbefangenheit, als gar nichts bedeutend, auch vllig ungergt blieb. Liebe Frau! begann jetzt Adelbert zu der Mutter: Ist niemand recht Altes in diesen paar Husern aufzutreiben, der von dem Gerensteine dort, und insonderheit von dem seltsamen Bilde am Fels im Graben uns einigen Bericht erteilte? O wohl freilich! versetzte das Weib: Da ist Waldjaggi, der knnte genug sagen. Aber es wird ihm schier zu beschwerlich sein, zu den Herren daher zu kommen. Die Fe tragen ihn nicht mehr. Sonst knnte Peter, der Schulmeister Bleibt mir vom Leibe mit Schulmeistern! rief hier Samuel so laut-herrschend aus, da Mutter und Tchterlein ordentlich zusammen-schraken. Er merkte sein Ungeschick, und fuhr gemigter fort: Die Schulmeister sind uns halt zu gelehrt! Sie wollen es immer zu gut machen, und allerhand Kram aus Bchern daherbringen. Und B-cher haben wir gelesen, da es ein wahrer Jammer ist. Wir mgen gern etwas Ungedrucktes von solcherlei Altertum, ich nmlich und

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    meine Freunde; so was von Sagen, berlieferungen, Volkshistorien

    Ja, so Mrlein! unterbrach die Frau: Die Herren wollen mich aber doch nicht zum Besten haben? Fr dergleichen hbsche und kluge Leute (ich mute mich ruspern bei dem Lobe) werden unsere einfltigen Bauerngeschichten zu dumm sein. Sonst wre da Kruterkthe, die alte siebzigjhrige Trin (Guchle, sagte das Weib), die wte schon zu erzhlen; denn sie hat selbst noch bei dem Schlosse gesehen, was von den Jungen wohl nie-mand gesehen hat. St! St! flsterte Samuel gegen uns hin, und lauschte sich jedes Silbchen von der Lippe des Weibes weg. Als die arme Trpfin noch jung war, fuhr - ohne sich zu unterbre-chen - die Frau in ihrer auftauenden Geschwtzigkeit fort, da ging sie drben es ist noch immer das Schulhaus alle Winter in die Schule, wie spter wir Andern auch, und da solls alles begegnet sein. An einem der ersten Austage [Tage des ersten Ausgehens und Ar-beitens auer dem Hause im Vorfrhling] nmlich, wie der Schnee schon meistenteils weggeschmolzen war, kmmt das gute Kathrin-chen den Fuweg herauf, durch den alten Schlograben, und denkt an nichts und sieht allein auf seinen Weg, wie den Schulkindern wohl zu begegnen pflegt. Mit einem Mal aber, da es von ungefhr zur Seite blickt nach dem alten Turm am Twingherrenschlo, so gewahrt es im vollsten Son-nenschein den allergrten Schneefleck, den es an diesem Tag ge-sehen, und kann sich nicht genug darber verwundern, weil ja die Stelle ganz frei nach Morgen und Mittag zu liegt, und rings auch an den schattigsten Pltzchen jede Flocke hinweggeschmolzen war. In-dem so hebt ein Lftlein das eine der Zipfelchen des Schneefleckes gelind in die Hhe, und jetzt erkennt auch Kathrinchen, da ein wei-es Laken mit Flei da verspreitet [ausgebreitet] sei, was ihm denn sonderbar vorkam, weil es recht mhsam ist, zu dem Turme hinauf-zuklettern, und allenthalben nhere gute Pltze bei den Husern sind, um etwas zu trocknen oder zu bleichen. Neugierig ging das Kind, so gut sichs gerade tun lie, etwas nher, und meinte bald, auf dem Tuche verbreitete Bohnen zu unterschei-den, die wei und gelb, fast wie Silber und Gold anzusehen gewe-sen, auch mehr als die vollsten und saftigsten Bhnlein von natrli-

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    cher Frucht in alle Weite erglnzten. Da kam aber dem Mdchen das Ding fast lcherlich vor, da man im Frhling die vorjhrigen Bhn-chen noch sonne; denn es dachte an nichts Ungeheures und ging des Weges nun weiter bis vollends in die Schule, wo es die Sache sogleich wieder verga und nicht ein Wrtchen darber verlor. Heimgekehrt indessen, wie es abends, nach Kinderbrauch von allen Geschichten des Tages berichtete, schttelten Vater und Mutter gar bedenklich den Kopf, verdeuteten dem Kinde, nie wieder von diesen Dingen zu reden, und schlichen wie Kthe wohl spter es ver-nommen hat - sogleich nach der Stelle, wo das Laken zu sehen ge-wesen, erblickten jedoch weder dazumal noch spter jemals das mindeste, so sehr sie auch erpicht waren, wenigstens ber die Boh-nen etwas in Erfahrung zu bringen. Mehr kann ich den Herren nicht sagen, schlo die Frau. Es raunen einige, die Kthe sei ein Fronfastenkind [Kind der Fastentage]. Und wenn sie ausgehe, Kruter zu suchen, so sehe sie manches daran und darunter, was ein anderer sein Lebtag nicht gewahr werde. Auch soll sie verstehen Alrnichen [Alraunen] auszugraben, und das soll eine kstliche, vornehme Kunst sein. Wenns aber die Herren befehlen, so kann mein Kind ja hinlaufen, und das Mtterchen herbeiholen. - Fr einige Batzen schwatzt es viel, ob es gleich nicht eben arm ist und sein bichen Geld wohl eher in die Kruterbndel versteckt, die es bedrftigen Leuten wider aller-lei Gebresten und Krankheit ins Haus trgt, derweil es von den Kru-terhndlern oft blanke Taler fr eine einzige Ladung bekommen soll. Eine wahre Meg Merilis [keltische Sagengestalt]! Eine Norna [nordi-sche Schicksalsgttin]! rief ich hier aus oder sonst eine Walther Scottische Gestalt! O, hurtig, hurtig, liebe Frau, schickt hin! Ich ver-golde die Alte mit Vergngen. Lt sich doch mit einem ausgeschla-genen Dukaten ein kompletter Reiter samt Ross von der Fusohle bis zur Scheitel berglden [vergolden]. Wie mit viel weniger denn unfehlbar ein zusammengefallenes Mtterchen. Wir sind Lumpen, wenn wir es nicht tun! Whrend das Kind sich hinber sputete zu einem der naheliegenden Huschen, betrachtete Freund Adelbert mit Seelenruhe die Milch-schssel und die Messer, der volkstmlichen Land-, Dorf- und Haus-Philosophie sich erfreuend, die mit sprichwrtlichen Lehren oder Ge-boten den leiblichen Gebrauch dieser Gerte bestmglich vergei-stigt.

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    Wenn du die Kachel leeren willst, Denk immer, wer sie wieder fllt! war der Spruch, der wei auf dunkelbraun zwischen zwei Blumen-brdchen [Blumenrndern] am Rande der Schssel umlief. Dies fhrte den regen Samuel gestracks [schnurstracks] auf die sie-ben Weisen Griechenlands und auf die gnomische Poesie der Helle-nen, indem er versicherte, da sie wahrscheinlich eben so hausbac-ken angefangen htten als die schweizerische. Aber mde des stets hochfliegenden Gedankenschwungs, zeigte Freund Adelbert lchelnd sein Messerheft, auf welchem brunlich in weiem gemeinem Beine zu lesen war: Schneid immer, lieber Gast, Das Brot nur, das du hast! Dieser verstndige Wink, meinte der trockene Prosaiker, sollte uns eine Weisung sein, was wir zu tun htten. Noch habe ich keine histo-rische Silbe von dem alten Gerenstein verlauten gehrt; und weil doch des trefflichen Walther Scotts Erwhnung geschehen, so lat uns wrdig in seine Fustapfen treten und aller Sagendichtung, al-lem blumenreichen poetischen Eintrag, vorerst einen haltbaren, ur-kundlichen Zettel bereiten. Wer gibt uns die Geschichte des Ritter-schlosses? Mgen also wohl glossierte Samuel auf ihrem ritterlichen Twinghause zu Gerenstein vormals getan haben, als ander gottlos Lt, mit Wegelagerung, Friedensbruch, Dirnenraub. Ich sehe sie schleichen in den Felsschlften Mein flugs etwas lauter sich dahinwlzende Strom der diplomati-schen Erzhlung zermalmte das aufschieende Reis von Samuels Dichterphantasie. [Der folgende Abschnitt wurde weggelassen: Darin wird die erfunde-ne Geschichte von Geristein nach Justinger erzhlt.] Und wie es weiter folgt, rief Adelbert. Ich habe meinen Justinger eben auch zu Hause, nur da ich ihn nicht auswendig kann. bri-gens schliee ich aus dem Ereignis, da Gerenstein auch damals in seinen Trmmern lag; denn sonst htte es entweder den Kyburgern sich zum Verstecke geffnet, oder htte den Bernern ein Warnungs-zeichen gegeben. Verschone, verschone! lie nun Samuel sich hren. Mu ich zur verbrieften Geschichte noch die mutmaliche in den Kauf nehmen;

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    so knnte mir schwindlig werden. Ich schmacht nach der Gerenstei-nischen Norna; da ein Mund voll Poesie dem trockenen Gericht hinunterhelfe, welches der Historicus da so schlechtlich [schlecht] zum Besten gegeben. Doch aufgeschaut! Sie kommt daher, die umgekehrte Veleda [germanische Seherin] oder Ganna [Gestalt der indischen Mythologie] des Burgreviers. Ich darf ja wohl anwenden auf sie, was ein Neuerer von den Geschichtsschreibern sagt, sie seien rckwrts gekehrte Propheten. Ei, guten Abend, Mtter-chen! Sie trippelte heran, die Alte, und schien sichs geschftig zur Pflicht zu machen, uns einen Gefallen zu tun. Aber man mte just Walther Scott sein, - (um Krze halb ihn selber fr den Verfasser von Waver-ley zu nehmen), wenn man es anschaulich machen wollte, wie wenig die schlicht aufziehende Kruterkthe mit einer von jenen geheim-nisvollen, ja dmonischen Weibergestalten bei Scott zu vergleichen war. Zersetztes, Wildes, Grausiges fiel da nichts in die Augen, und fast wre Samuel ein wenig kleinlaut geworden, als er das musternd berschlug. Indessen Adelbert sich vergngt bezeigte ber das reinliche, stille, gehaltene Aussehen der anspruchslosen Frau, das nichts Phantasti-sches und nichts Lppisches gewrtigen lie. Im schwarzen halbtu-chenen [aus leichtem und feinem Wollgewebe] Rocke, mit dunkel-braunem, vorn zusammengehefteten Wollwamse, dessen rmel bis mitten auf den hageren Vorderarm gingen; ein drrer doch nicht miwachsener Leib; der Kopf nicht ohne braunrote Bcklein und blaue lebhafte Augen, eine schwarze Kappe mit schmalen, altmo-disch herunterhngenden, rtlich abscheinigen [glnzenden] Spit-zen; darber ein sogenannter Kopflumpen, der knapp das Hinter-haupt umschlo und im Dreieck auf den Rcken fiel; endlich ein un-geschlter Hakenstock in der Rechten, um die sinkende Gestalt eini-germaen aufrecht zu erhalten; - siehe da, die Kruterkthe, das greise Fronfastenkind von Gerenstein! Ich ward unwillkrlich dem Mtterchen gut, da es so unscheinbar eintrat; denn mir hat stets geschienen, zu Stadt und Land, da Leu-te, die mit sich selbst und mit Allmutter Natur in einfltigem Frieden lebten, auch keine Fratzen und Gaukeleien in ihrem ueren dulde-ten. Also grte ich von Herzen, und lud die Frau zum Sitzen auf ein Sthlchen ein, das zu diesem Behufe vorsorglich von dem jungen Mdchen war mitgebracht worden.

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    Nichts fr ungut, liebe Stadtherren! fing Kthe gelassen an, sobald sie den Atem wiedergefunden, der im Herkommen ihr ausgegangen war. Sie wollte damit ihr Sitzen entschuldigen und ging dann rasch zur Hauptsache fort. Ich bin ein unwissendes, altes Bauernweib und wei nicht, was ich so hbschen, gelehrten Leuten berichten soll. Aber was ich von den Alten gehrt habe, will ich vorbringen, so gut ich kann. Es werden leicht fnfzehn Jahre sein, da ichs niemandem mehr erzhlt habe. Das Gedchtnis der Zeiten vergeht, und alles schwimmt im Wirbel des groen Wassers zu den Brnnlein. Wo das Lauterste fliet, mag die Welt von heutzutage nicht gerne hinaufgehen. Aber verzeiht, ihr Herren, wenn ich die Geschichten nicht ordentlich mehr vorbringen kann! Ich gehe meinen Krutern nach und sinne wenig mehr an das Vergangene; das freilich oft, wie der verstndige Herr Pfarrer sagt, zu Gedicht und Fabelwerk mag geworden sein. Nur von dem eingehauenen Bild im Graben erzhlt uns! fiel Adel-bert hier dazwischen. Es ist doch wohl nichts als eine mige Ma-cherei? Fr Euch, o ja freilich, lieber junger Herr! versetzte die Alte mit ei-nem Tone von leisem Unwillen und von Mitleid, der verriet, da sie mehr an die Sagen der Vorzeit glaubte, als sie es Wort haben wollte. So la die Frau doch gewhren! zrnte Samuel: - und ihr guter Spruch finde bei dir eine gute Statt! Kthe fuhr fort und schien sich etwas gehoben zu fhlen durch diese Weisung an den unglubigen Adelbert. Das Bild im Graben, sag-te sie, macht freilich die Hauptsache; das kommt alles, wenn ichs ordentlich vorzubringen vermag. Es war in den alten Tagen, wie Bern noch jung heien konnte, da ein gestrenger Twingherr auf Gerenstein sa, mit Namen Herr Aimo, der geha [feindlich] war den Bernern und sie schdigte, heimlich und ffentlich nach seinem Vermgen, mit berfall, Raub und Krieg. Es sa aber auch zu Bolligen ein frommer und tugendsamer Ritter, genannt Herr Yvo, der ein Burger worden zu Bern, samt seinen zwei Brdern, und der allen Schaden zu wenden von der guten Stadt sein Bestes daran setzte; Blut wie Gut, zu jeder Stunde. Der Herr von Gerenstein denn hatte ein bildschnes Kind auf dem Schlosse, das alle Welt mit zauberhaften Augen betrte und seines Namens Viola hie. Dieses Frulein galt fr die Tochter des Herrn

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    von Gerenstein, und wute niemand von der Mutter Bescheid, die-weil Herr Aimo das Kind von einer Heidin aus Trkenland Adelbert hustete bezeichnend, konnte aber doch sich enthalten, das Mtterchen im gemtlichen Ausstrmen der Sage zu unterbrechen. "Einer Heidin aus Trkenland bekommen, wo er in seinen Jugend-tagen einem Kriegszuge beigewohnt. Greulich ist aber zu sagen, da Herr Aimo das Kind im blinden Heidenglauben an den Abgott Mahomet erwachsen lie, und doch seine Schnheit mibrauchte, die jungen Christenritter des Landes anzulocken, da sie gegen Bern entzndet wrden und ihm sich verbndeten. Eines Tages aber geschah, da Herr Yvo hinaufritt von seinem Rit-terschlo nach dem Gerenstein. Denn ein groer, blutiger Streit woll-te sich erheben, von allen Feinden der Stadt Bern gegen die redliche Burgerschaft. Und Herr Yvo gedachte in seinem biederen Herzen, wie er den Twingherrn zu Gerenstein abwendete von dem Krieg und gewinnen mchte fr die fromme, herzliche Stadt. Der Twingherr aber tat freundlich gegen ihn, hie die Becher vollschenken des kstlichsten Weines aus Cypria [Zypern], und lie das Frulein her-eintreten in aller Herrlichkeit und Saitenspiel, da es die Becher kre-denzen und ein Lied anstimmen sollte zu Ehren des Gastes. Das gefiel dem jungen Rittersmanne trefflich wohl. Und als nach ei-ner Weile Herr Aimo hinausgerufen ward, nach listiger Verabredung, da breitete Viola ihr Vogelgarn aus, den Gimpel, wie sie dachte, zu fangen, und hub an von adeligem Wesen, Pracht, Hoffart und Reich-tum viel zu rhmen, was die Metzger und Gerber in den Stdten nicht verstnden; und sagte auch viel von tdlicher Feindschaft, wie die Burger wollten austilgen den Adel, und htten nur die Betrten, - wie zu ihres Herzens Leidwesen er selber sei als Lockvgel oder Stossvgel aufgenommen, andere damit zu fangen. Dermaleinst aber wrden sie alle zusammen abschlachten in einer einzigen Metzge [Schlachtvorgang], das ja wohl zu merken sei. Hiermit so zeigte sie dem Ritter wie von Ungefhr auch die Kostbar-keit ihres Schmuckes und den Schatz ihres Geldes, als wollte sie ihn fragen, ob solcherlei gemacht sei, von den Pfistertchtern und Zim-mermannsfrauen getragen und verschleudert zu werden. Das sei aber das Ende, wenn die Edlen nicht tapfer zusammenhielten gegen das Gelichter in der Stadt.

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    Verzeiht, ihr lieben Stadtherren! unterbrach sich die Alte hier selbst mit einem trockenen Tone, wie ein Fieber-Phantasierender, der etwa in augenblicklicher Besinnung ihn annehmen wrde. Armes junges Blut! fuhr sie fort. Nicht die Reden, nicht die Kost-barkeiten, aber die zauberhaftigsten Augen und die Goldflechten der Haare und die ganze Holdseligkeit des Fruleins berwltigten sein Herz, da er seufzte, schwieg, abermals seufzte und wie betubt vor den Kasten und Kstlein stehen blieb. Zuletzt, als die Heidin schon insgeheim zu lcheln anhub und den Ritter einzuspannen gedachte in ihr sndiges Joch, gab der Geist dem Jngling ein zu fragen: Aber schnes und kluges Frulein! Wa-rum ersehe ich unter all dem Schmucke da des Erlsers heiliges Kreuzzeichen nicht, das doch einer christlichen Jungfrau zu tragen so besonders wohl ansteht? Und mit einem Male flog ein hhnisches Grinsen ber das Gesicht des Fruleins. Aber sie bezwang sich schnell und versicherte, da es in der Tat ein seltsamer Zufall sei, der ihr nur nicht aufgefallen. Da erbat sichs der Ritter, das gesegnete Zeichen ihr darbringen zu dr-fen; worauf das Frulein halb s, halb bitter, sich abwandte und ei-nige Worte murmelte, die der Ritter nicht verstand. In diesem Augeblick aber trat der gestrenge Herr Aimo wieder her-ein, gab einen Wink, auf welchen das Tchterlein sich zgernd ent-fernte, nahm wiederum Platz am Zechtischlein und fing an, nach der Frucht zu tappen, die seines Bednkens [seiner Meinung nach] unter dem Sonnenschein den zauberhaftigen Augen schon htte zeitigen sollen in dem Herzen des jungen Ritters. Doch das Fortgehen des Fruleins hatte dem Jngling wieder Luft gemacht. Und er fing an, von seinen lieben Mitbrgern und einer teu-ren Stadt Bern zu reden und gegen den bedrulichen [schrecklichen] Streit; und wie die Stadt sich immerfort alles geziemenden Rechtes erboten, und wie die Grafen, Freiherrn und Edlen nur in unbilligem Neide sie bekriegen wollten. Ob dieser Rede jedoch war der junge Herr wohl etwas eifriger ge-worden als klug sein mochte, und nicht sah er die Stirne des Geren-steiners auf und ab zucken, da die Kraushaare des ganzen Vorder-kopfes sich strubten und wieder sich legten, wie ein Kornfeld im Wettersturm. Aber mit einem entsetzlichen Schlag schmetterte des Twingherrn Faust urpltzlich den Zechtisch in tausend Trmmer und von un-

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    bndiger Gewalt wie der Grausame war packte er den erschrek-kenden Jngling an der Gurgel, indem er schrie als ein Besessener: Schweigst du nicht bald, du Pfaffenknecht, mit deiner Predigt! Htt ich nur alle deine Halunken-Burger Ich sags ungern, liebe Herren! Aber es ist die Landmhre so: Man kanns nicht anders berichten als es ergangen ist. Htt ich sie, htt ich sie hier! Du sollst es vorschmecken, wie ich sie kitzeln wollte! - Hiermit trug er in seinen eisernen Armen den halb zu Tode Gewrgten rasch an das Bogenfenster und warf ihn whrend Frulein Viola mit Schreien und Weinen herbeistrmte risch [schnell] in den Burggraben, wo dichtes Strauchwerk den Leichnam also bald umfing. Aber einmal in die grimmige Wut geraten, wendet Herr Aimo flugs sich zu dem Frulein um, das mit Jammergekreisch ihm vergebens nachgeeilt. Er packts an dem Arme, zerrt es treppun-ter in die Kammer, wo sie alle gewesen, schmettert die Tr in Schlo und Riegel, sperrt das Kind ein und brllt in seinem Zorne: So heul und flenn in Ewigkeit um vermessenes Bernerblut! Hier, meine besten Herren, ist die Geschichte so gut als aus. Denn nie haben die Leute bereingestimmt, wie sie des Weitern verlaufen. Einige sagen: Aber in Scham ber die erlittene Schmach und aus herrlicher Dankbarkeit gegen seinen Gott, der ihn von den Todes-pforten zurckgerissen und ihm eine Zeit der Busse vergnnt, sei er ein Waldbruder in den Felsschluchten des Bantigers geworden. Aber in stiller Nacht sei er oft an die Burg geschlichen und habe sein Ebenbild in den Felsen dort gegraben, da es das Kreuz empor hal-te gegen das Schlo, der heidnischen Jungfrau Bekehrung zu predi-gen von ihrem gottlosen Sinne. Doch andere sagen, der Jngling sei alsbald tot gewesen von dem entsetzlichen Sturze. Und nie sei er begraben worden. Aber in leuch-tender Gestalt sei er, zum Schrecken des Twingherrn und zum Trost des Fruleins in ihrer Gefangenschaft, dort im Schlograben an der Felswand stehend erschienen und habe ein flammendes Kreuz mit der Rechten in die Hhe gestreckt, um die Erfllung seines Verspre-chens anzudeuten, da er die Jungfrau beschenken wolle mit dem heiligen Zeichen. Frulein Viola jedoch verlor in ihrem Gefngnis den armen Verstand. Immerfort sah sie den schnen, unschuldigen Jngling neben sich und bereute, da sie nicht ihrem Herzenstriebe gefolgt sei, von jeder Verfhrung abzusehen. Allmhlich ward sie still und stiller, und nichts mehr gab ihr Beschftigung, als seufzend ihre Kostbarkeiten,

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    Gold und Silber auf weien Tchern zu verspreiten, als sollte sie wieder dem unglckseligen Ritter von Bolligen alles vorspiegeln. ber Jahr und Tag aber, wie der Krieg mit Bern endlich ausgebro-chen und die vornehmen Herren eine groe Schlacht verloren hat-ten, da zogen die sieghaften Leute von Bern auch gegen den Herren von Gerenstein, erstrmten das Schlo und zwangen den Twing-herrn, sich zu ergeben, wobei geschah, da durch einen gromch-tigen Schleuderstein, whrend die Feste belagert ward, das verwirr-te, jammerselige Frulein den pltzlichen Tod erhielt, der allein die Qual ihres erbrmlichen Lebens endigen konnte. Und dieses Frulein, sagt es nur, gute Frau, fuhr Samuel hier mit einer Art von Begeisterung empor. - Es erscheint noch? Es spukt in dem alten Burgstall? Es spreitet Gold und Silber auf Leinlaken aus? Man hats bei Menschengedenken noch gesehen? Da bewahre mir der liebe Gott mein Maul! versetzte die seltsame Kthe und stand jhlings, wie aus berfallender ngstlichkeit auf, verneigte sich und wnschte guten Abend; so da kaum noch Sa-muel ihr einhndigen konnte, was er ihr fr ihren mhsamen Gang und den Zeitverlust mit Herzlichkeit anbot und was als Nebensache mit kurzem Dank ihm abgenommen wurde. Wie die Sage ungleich auf uns alle wirkte, lt sich leicht ermessen. Wir fanden uns jetzt auch mit der Buerin und ihrem Tchterlein we-gen Milch, Brot und guter Bedienung ab. Der Mond war eben aufge-stiegen, da er gerade im letzten Zunehmen stand; und wir traten un-gesumt den bekannten Rckweg in der groen Strasse ber Bolli-gen und die Wegmhle an. Samuel romantisierte fortwhrend von der alten Zeit. Bei Adelbert rhrten sich Grillen ber das Unwahrscheinliche in der Erzhlung des Kruterweibes. Ich aber gegen Prosa und Poesie gleich unpar-teiisch und Gott sei Dank fr beide gleich empfnglich berschlug den Gewinn des Nachmittags und fand ihn fr Menschenkenntnis und Lebensgenu nicht zu verachten. Aber freilich, in meiner ge-drngten Darstellung ist das nicht am Einleuchtendsten. Hier endigte mein Freund, und ich lchelte seiner Besorgnis. Wre nur mir gelungen, den Lesern zur Hlfte die Lebendigkeit seines Vor-trages anschaulich zu machen!

    Ende

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    Johann Rudolf Wy der Jngere Der Ritter von Aegerten

    Ein Schweizer Idyll NB: Die kursiv gedruckten Stellen mit dem gertenlied sind Einfgungen aus der Ausgabe von 1822.

    Dieter und Hans auf den Ruinen des Schlosses Aegerten Dieter Hnsel, wo bist du? Hallo! Da such ich und suche vergeblich! Hier wohl weiden am Rain und benaschen im Walde das Laubwerk Ziegen und Schafe nach Lust; - doch weg ist Hnsel der Schafbub. Wahrlich es sollte dem Hirten ein Hirt auch selber bestellt sein, Da leichsinnig er nicht umschweife, die Herde verlassend. Hnsel, wo bist du? Hallo? Gib Antwort, Hnsel, du Gaudieb! Hans Hei, du mein Dieterle, hei! Guck auf! Bin mitten im Busch ja, Bin auf der Warte ja hier und behte von oben die Schflein, Rings umschauend, bereit hinunter zu strmen im Sprunge, Wenn sich nur Eines verirrt. Gar prchtig beherrsch ich die Weide! Dieter Neckischer Junge, wo? Wo? Was prahlest von Warte du Kleiner? Sitzet der lustige Kauz nicht dort auf dem alten Gemuer, Schrittlings, gerade so stolz als s er, ein Reuter zu Gaule! La mir den Mutwill jetzt, denn gar zerfallen und brchig Ist das verdete Schlo, und es droht tagtglich der Einsturz Hier das verwitterte Stck, das allein vom Busche noch aufragt! Hans Traun, es gereut mich hinab von der leuchtenden Zinne zu klimmen, Denn nicht jeglichen Tag wird rhmlich erstiegen der Gipfel. Oft schon rissen mit mir die zerbrochenen Steine der Mauer, Tief mich zu werfen hinab zum Graben in tosendem Falle. Doch Unablssig gewinnt, Unablssig ist Meister und Zwingherr!

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    Also gelangt auch ich am heutigen Tage, nicht rastend, Schau! Ich gelangt empor, wo mit Eifer ich strebte zu thronen, Hier auf die Braue der Maur zur windigen Hhe der Tannen, Herrlich erhoben vor dir und dem heimischen Dorfe danieden; Recht, wie du sagtest, zu Gaul, ein alter gewappneter Ritter. Schn zur Lanze frwahr dient jetzo der knorrige Stab mir, Den ich geschnitten vom Holz aufsteigender Eschen, zu leiten, Grimmig bedrohend, das Volk der genschigen Ziegen und Schafe. Dieter Gut das! Aber herab nun spute dich Knig der Heerden, Da ich dir spende den Sold, der gebhret so frstlichem Haupte; Brod und den Napf voll Milch, ein beneidetes Mahl der Erquickung, Wrdig des ritterlich-khn hochtrabenden, winzigen Schafbubs. Eile mit Weile jedoch, und bedchtig steige zu Boden, Da nicht tusche den Fu ein gelockerter Stein im Gemuer! So! nur weiter, du Schalk! Der wei ja die Schliche wie Ktzlein! Also willkommen mir nun auf der sicheren Erde, mein Ritter! La uns rasten doch hier, wo die Bume sich teilen und offen Hin nach Stadt und Gelnd sich breitet ein frhlicher Ausblick! Hans Horch jetzt, Dieterle! Meinst ich sei stets lustigen Sinnes; Aber nicht Possen allein, nicht nrrische Streiche zu treiben Sa dort oben ich so; mich lstet im Busen zu spren, Wie sich vor Alters gefiel auf dem steinernen Rosse der Mauer, Dieser zertrmmerten Burg hochmchtiger Eigner und Freiherr. Solches erzhlte der Vater mir aus dem ergraueten Zeitbuch Welches er sorglich treu sich bewahret, wohl ber den Winter Still sich am Abend zu freun vergangener lieber Geschichten. Dieter Ei doch Wunder! So mu von dir ich nun hren die Sagen, Welche mich sehnlich verlangt hier ber den moosigen Burgstall Einst zu vernehmen, - dieweil unwissend die Bauern so dahlen, Dieses und das sei lngst verschollen, was etwa dem Urahn

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    Kund noch war und gewi von den edelen Herren der Veste. Eines nur sagen sie wohl, und bewhret ist solches im Lande; Dort die gar herrliche Stadt an der Aar, auf grnendem Hgel, Halfen sie bauen die Herrn , die weiland frhlich gehauset Hier wo der Schutt anjetzt mit Laub und Tangeln bedeckt ist, Da nur kmmerlich noch von dem Schlosse sich Trmmer gefristet, Whrend so preislich schn, und ein Segen dem Lande die Stadt ruht, Mild im Frieden und still, doch wacker und rhrig im Kriege. Hans Ja, viel tapferer Mnner, gerstet zu blutiger Feldschlacht, Braucht es den Mauern zum Schutz und den Trmen da drben zur Obhut; Da sie so prachtvoll stehn auch jetzt nach manchem Jahrhundert. Drum denn sanken umher viel Burgen und prangende Sitze, Weil sich gewandt zur Stadt die verrhmtesten Ritter und Herren, Dort zum Heil der Gemeine, verbundenen Sinnes zu streiten, Wie sie gestritten zuvor um eigener Ehre Behauptung. Also nun lebt auch hier, auf der Aegerten mchtigem Twinghaus, Mannhaft, biederen Muts, doch bel mit Schtzen gesegnet, Lngst in entwichener Zeit ein gepriesener weidlicher Kmpfer. Sieh, da beginnet ein Strauss, hoch brennet in Flammen die Kriegs-wut; Wei nicht welches der Frst im Lande gewesen da hierseits, Aber der wtende Feind, dems galt auf Tod und Verderben, Saget das Jahrbuch recht, - so hie er ein Knig von Bheim. Wahrlich, da mute herbei was Schwert und was Lanze zu fhren Krftig vermocht im Gelnd und es fehlte der Fhrer allein noch, Welcher gebietend im Heer zum Kampf und zu Siegen es leite. Rasch, Vasallen! Zu Ross, und es jage von hinnen ein Fhnlein! Wo sich auf Aegerten trmt die gewaltige Veste, da hauset Stolz und erprobt an Herz, und von adlichen Taten ein Ritter, Den ich verlange, mit Kraft zu befehlen dem reisigen Heerbann,

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    Wenn aufbrechend er jetzt anstrmet die bhmische Kriegsschaar. Bittet mit Zchten und Art, da Ruhm und Gold zu gewinnen, Gold, - doch Ruhmes noch mehr, ein so trefflicher Ritter euch folge, Hier in dem Lager nach mir zu heien der grte, der erste! Also der Knig, und aus schon ziehn viel dienende Kmpen, Bis sie gefunden das Schlo; und sie bitten den mannlichen Helden, Da er verheiet zuletzt am kommenden Morgen im Frhrot Aufzusitzen, gespornt und gewappnet nach allem Vermgen.

    Dieterle horch, nun horch! Bald sag ich was droben mich freute, Wie du gewahret, da breit ich sa auf ragender Mauer. Kaum noch dmmert in Grau der beginnende Tag, so bereiten Rstig die Kmpen sich, heim zum harrenden Frsten zu kehren. Schnaubender Gaule Gestampf durchhallet den drhnenden Zwin-ger, Jeglicher sitzt im Sattel gerecht und sie harren des Ritters. Siehe da schreitet hervor ein Ries an Kraft und Gestalt er, Leicht in der Faust mit Schwung zum Scherz aufbumend die Lanze. Quer nun kreuzt er den Hof, doch Lieber, wo stehet das Kampfro, Wrdig zu tragen den Mann der da fhre zu strahlendem Siegs-ruhm? Hei, was Tolles geschieht? Risch hebet in mchtigem Sprunge Dort sich der Ritter empor, laut toset die prasselnde Rstung! Alles nur blicket nach ihm, und gewaltig, als s er zu Gaule, Sitzet er schrittlings jetzt auf luftiger Zinne der Mauer, Hastig zu spornen bemhet das tote Gestein, und voll Eifer Stets antreibend durch Ruf, wie die Reuter ein lstiges Ross wohl. Glaubs! Da blieben verstummt im Hofe die reisigen Mnner, Er[n]stlich besorgt, ob nicht anwandle den Ritter ein Irrwahn, Bis sie Gelchter ergriff da sie munter und freudig ihn sehen, Stets noch tummelnd den Gaul von Kalch [Kalk], von Kiesel und Sandfluh. Doch bald fassen sie jetzt der Wundergebrde Bedeutung:

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    Da wohl trefflich bewehret mit Panzer und blinkendem Helme Wie mit des Speeres Gewicht und dem Schilde der Ritter zu Dienst sei; Nur da fehle der Hengst zum hurtigen Fluge nach Kriegsbrauch, Wie sich dem Hauptmann fgt, der die Scharen zu leiten erhht ist. Also gar emsig zurck eilt wieder das reisige Fhnlein, Gleich ansagend die Not des weidlichen Helden dem Knig. Flugs dann fhren sie her ausbndige Rosse zur Veste: Goldnes Geschmeide bedeckt fernglnzend die Zume, die Sttel, Harnische bergen den Leib, und es nicket vom Haupte Gefieder. Frei und frhlich hinaus nun sprengen die wackeren Kmpen, Stolz dem Zuge voran der begabete stattliche Ritter. Keck drauf fort in das Feld mit Jubel die Fahne des Heerbanns! Schaurig ertobt voll Grimm das Gemetzel der schrecklichen Krieger, und sie behuben den Streit, - so sagt das veraltete Jahrbuch, Denn khn lenkte zu Sieg und Gewinn, durch tapfere Mannheit Selbst einbrechend und klug all ratend und weisend der Ritter, Den sie von Aegerten hier sich hinber entboten zum Feldherrn.

    Und da wahr ich erzhlte, so nimm dies Eine zum Merk dir, Noch singt etwa von ihm sich ein Lied, verwunderlich seltsam, Das ich zu singen auch wei, und ich geb's in den Kauf dir, juchhei-ssa! Von Aegerten der Ritter zog In's Feld der wilden Schlacht; Des Knigs erstes Panner flog, Der Ritter fhrt die Macht.

    Voll groer Ordnung steh'n die Reih'n, Bei lautem Hrnerruf, Viel Wangen rot von Purpurschein, Den stolze Hoffnung schuf.

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    Und Aegerten im Sturm voran Auf seinem Rappen hoch. Da schmht im Heer ein feiger Mann: Was packt den Ritter doch?

    Im Bgel zittert ihm sein Fu, Wohl bebt auch so sein Herz! Der Ritter, der es hren mu, Blickt zornig hinterwrts:

    Es wei mein Fu, du schnder Wicht! Da er zu Todesnot In Feindesscharen mutig bricht, Drum zittert er, bedroht.

    Wohl zittert so der deine nie, Dir ruft der feige Sinn: Flieh vor dem blassen Tode, flieh! Und zagend fliehst du hin.

    Die Schlacht begann mit Mord und Graus, Der Ritter kmpft als Held, Er kehrt voll Siegesruhm nach Haus; Der Wicht ri aus dem Feld.

    Dieter Brav das, Hnsel, und recht! Viel Dank fr die schne Geschichte! Wohl nun rhrte sich dir in dem Herzen auch also der Kriegsmann? Aber bevor doch uns zu verlassen in drftiger Armut Dich bald ladet ein Ruf auch irgend zu leuchten ein Herzog, Lieber so nimm anjetzt ein bescheidenes Essen von mir noch, Bis auf den Abend gestrkt die Ziegen und Schafe zu hten, Nicht zwar rhmlich wie Sieg, doch ntzer uns Hirten im Drflein.

  • 53

    Wirst du dann mchtig und gro, ei, Bester! So leihe dem Dieter Gunst und Gehr, da dir als der erste der Hirten er folge!

    Ende

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    Literatur ber Geristein und gerten Weber, Oskar: Die Ruine Geristein und ihre geologischen und historischen Merkwrdigkeiten Bern 1912 Kurze Beschreibung des Ortes und seiner Besonderheiten.

    Schmalz, Karl Ludwig: Bolligen. Geschichte, Gemeindeentwicklung, Heimat-kunde Bern 1982; S. 346 ff. In diesem Buch wird Geristein mit allen Bezgen geschildert. Auch die groen landschaftli-chen Vernderungen rund um die Ruine im 20. Jahrhundert werden detailliert beschrieben.

    Schmalz, Karl Ludwig: Heimatkundlicher Fhrer Bolligen; Bern 1985, S. 75 ff. Der kompakte und informative Gemeinde-Fhrer wiederholt und ergnzt die Angaben des Bolligen-Buches drei Jahre zuvor. Schmalz bernimmt alle Datierungen und Zuschreibun-gen der Historiker und Archologen, ohne sie zu hinterfragen.

    Burgen und Schlsser der Schweiz; Die Burgen und Schlsser des Kantons Bern; 10 a, 86 88; Basel 1941 Gut illustriert, aber vom Text her berholt und grtenteils wertlos.

    Bitterli, Thomas: Schweizer Burgenfhrer Basel Stuttgart 1995 Kompakter, illustrierter Burgenfhrer, nach Kantonen und Gemeinden gegliedert. Die erdich-tete Geschichte der Burgen wird unkritisch bernommen.

    Burgenkarte der Schweiz - West Objektbeschreibungen und Detailkarten Wabern 2007 Neubearbeitung der bereits in den 1980er Jahren erschienenen vierteiligen Burgenkarte der Schweiz, diesmal in zwei Teilen (West und Ost). Der Textteil stammt von dem oben erwhn-ten Thomas Bitterli. Fast vollstndig, deshalb unverzichtbar. - Man htte es jedoch besser machen knnen.

    Die Burg und der Elefant von Geristein, dazu die Ruine gerten, werden auch in dem Buch Die Ursprnge Berns (2013) behandelt.

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    Publikationen des Herausgebers

    Beitrge zur Freiburg