23. tschechisch und slovakisch 0. einleitung 0.1...

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1 23. Tschechisch und Slovakisch 0. Einleitung 0.1. Allgemeine Angaben Das Tschechische und das Slovakische gehren zu den europischen Spra- chen mit einer mittleren Sprecherzahl (ca. 10 Millionen Tschechen und ca. 5 Millionen Slovaken). Nach den Bevlkerungsverschiebungen des 20. Jahr- hunderts deckt sich das Territorium beider Sprachen ungefhr mit dem je- weiligen Nationalstaat. 94% der Bevlkerung der Tschechischen Republik haben Tschechisch als Muttersprache, die Minderheiten, unter denen an er- ster Stelle die Slovaken und die Roma zu nennen sind, haben kein geschlos- senes Siedlungsgebiet. In der Slovakischen Republik sprechen 86% der Bevlkerung Slovakisch als Muttersprache, die ungarische Minderheit (ca. 11%) konzentriert sich auf den Sden des Landes, die kleine ukrainische Minderheit (ca. 1%) lebt im Nordosten der Slovakei. Die Roma (offiziell 1,6%, vermutlich deutlich mehr) leben ber das ganze Land verteilt. Tschechisch und Slovakisch gehren zur Gruppe der westslavischen Spra- chen und bilden innerhalb dieser einen eigenen Zweig, der klar von den bei- den anderen Zweigen, dem lechischen und dem sorbischen, unterschieden ist. Die tschechischen und slovakischen Dialekte knnen als Dialektkontinuum angesehen werden, das so viele Gemeinsamkeiten auf- weist, dass eine gemeinsame typologische Betrachtung sinnvoll und mglich erscheint. Dass dieses Kontinuum heute von zwei Standardsprachen berdacht wird, hat im Wesentlichen historische Grnde (s.u.). Die An- zahl der Merkmale, die allen westslavischen Sprachen gemeinsam sind und die sie vom Ostund Sdslavischen abgrenzen, ist eher gering, zumeist han- delt es sich um Reflexe spturslavischer Lautwandel. Der tschechisch- slovakische Zweig der westslavischen Sprachen teilt sowohl Entwicklungen mit dem sorbischen als auch mit dem lechischen Zweig, weist aber auch Gemeinsamkeiten mit dem Sdslavischen auf (vor allem bei den Reflexen der sog. Liquidametathese). Zu den Details sei auf Abschnitt 2 (Sprachtypologische Grundzge) verwiesen. Die Angaben zum sprachlichen System sttzen sich im Wesentlichen auf die neuesten Ausgaben der ver-

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23. Tschechisch und Slovakisch

0. Einleitung

0.1. Allgemeine Angaben

Das Tschechische und das Slovakische geh�ren zu den europ�ischen Spra-

chen mit einer mittleren Sprecherzahl (ca. 10 Millionen Tschechen und ca. 5

Millionen Slovaken). Nach den Bev�lkerungsverschiebungen des 20. Jahr-

hunderts deckt sich das Territorium beider Sprachen ungef�hr mit dem je-

weiligen Nationalstaat. 94% der Bev�lkerung der Tschechischen Republik

haben Tschechisch als Muttersprache, die Minderheiten, unter denen an er-

ster Stelle die Slovaken und die Roma zu nennen sind, haben kein geschlos-

senes Siedlungsgebiet. In der Slovakischen Republik sprechen 86% der

Bev�lkerung Slovakisch als Muttersprache, die ungarische Minderheit (ca.

11%) konzentriert sich auf den S�den des Landes, die kleine ukrainische

Minderheit (ca. 1%) lebt im Nordosten der Slovakei. Die Roma (offiziell

1,6%, vermutlich deutlich mehr) leben �ber das ganze Land verteilt.

Tschechisch und Slovakisch geh�ren zur Gruppe der westslavischen Spra-

chen und bilden innerhalb dieser einen eigenen Zweig, der klar von den bei-

den anderen Zweigen, dem lechischen und dem sorbischen, unterschieden

ist. Die tschechischen und slovakischen Dialekte k�nnen als

ÓDialektkontinuumÓ angesehen werden, das so viele Gemeinsamkeiten auf-

weist, dass eine gemeinsame typologische Betrachtung sinnvoll und m�glich

erscheint. Dass dieses Kontinuum heute von zwei Standardsprachen

Ó�berdachtÓ wird, hat im Wesentlichen historische Gr�nde (s.u.). Die An-

zahl der Merkmale, die allen westslavischen Sprachen gemeinsam sind und

die sie vom Ostund S�dslavischen abgrenzen, ist eher gering, zumeist han-

delt es sich um Reflexe sp�turslavischer Lautwandel. Der tschechisch-

slovakische Zweig der westslavischen Sprachen teilt sowohl Entwicklungen

mit dem sorbischen als auch mit dem lechischen Zweig, weist aber auch

Gemeinsamkeiten mit dem S�dslavischen auf (vor allem bei den Reflexen

der sog. Liquidametathese). Zu den Details sei auf Abschnitt 2

(Sprachtypologische Grundz�ge) verwiesen. Die Angaben zum sprachlichen

System st�tzen sich im Wesentlichen auf die neuesten Ausgaben der ver-

2

breiteten Schulgrammatiken von Havr�nek und Jedli�ka (1996) sowie Pau-

liny (1997). Eine kursorische �bersicht in deutscher Sprache bietet Vintr

(1998a, 1998b), vom gleichen Autor ist 2001 eine ausf�hrliche Darstellung

des Tschechischen erschienen.

0.2. �u§ere Sprachgeschichte des Tschechischen

Die schriftliche �berlieferung beider Sprachen beginnt in der aus West- und

Mitteleuropa bekannten Weise mit Personen- und Ortsnamen, die in lateini-

schen Texten vorkommen, sowie mit Glossen. Aus B�hmen und M�hren

sind die ersten slavischen Namen ab dem 10. Jh. belegt, aus der Slovakei ab

dem 11. Die Entwicklung der Schriftlichkeit verl�uft aber in beiden Gebieten

unterschiedlich, vor allem aus historischen Gr�nden. Das Tschechische kann

sich im Herzogtum B�hmen, der Markgrafschaft M�hren und den schlesi-

schen F�rstent�mern, die ab 1198 das K�nigreich B�hmen bilden, deutlich

freier entwickeln als die nah verwandten Dialekte auf dem Gebiet der heuti-

gen Slovakei, das unter der traditionellen Bezeichnung ÓOberungarnÓ etwa

ab 900 zum ungarischen K�nigreich geh�rte.

Im letzten Drittel des 13. Jhs. entstehen die ersten tschechischen Texte

(religi�se Lieder und Legenden), bereits kurz nach 1300 nimmt ihre Zahl

deutlich zu. Die tschechische Schriftsprache, die auf der Basis des mittel-

b�hmischen Dialekts von Prag entsteht, erreicht in einer gr�§eren Zahl litera-

rischer Texte (Legenden, Epen, Lyrik, Chroniken) in der Zeit Karls IV. ih-

ren ersten H�hepunkt. W�hrend der z.T. nationalistisch gepr�gten hussiti-

schen Revolution geht die literarische Produktion zeitweise zur�ck, das

Tschechische festigt aber gleichzeitig seinen Status und setzt sich im Laufe

des 15. Jhs. als Verwaltungssprache weitgehend durch. Nach der Einf�h-

rung des Buchdrucks nimmt die Literatur in tschechischer Sprache weiter zu

und erreicht in der zweiten H�lfte des 16. Jhs. einen neuen H�hepunkt.

Sp�ter wird diese Epoche als ÓGoldenes ZeitalterÓ des Tschechischen be-

zeichnet, als wichtigster Text gilt die von den b�hmischen Br�dern heraus-

gegebene ÓKralitzer BibelÓ (1579-94).

Nach dem St�ndeaufstand von 1619/20 und der Vertreibung der Akatholiken

wird das Deutsche zur gleichberechtigten zweiten Landessprache erkl�rt. Es

3

verdr�ngt nun allm�hlich das Tschechische aus verschiedenen Bereichen,

dieses h�lt sich am besten in religi�sen Texten und Volksliteratur, z.T. auch

in Verwaltungstexten. Nach der Schlie§ung der b�hmischen Hofkanzlei

(1749) und der theresianischen Schulreform (1774) verst�rkt sich die Ger-

manisierung, in der Wahrnehmung der Zeitgenossen ist das Tschechische

nun ernsthaft in seiner Substanz bedroht. Ab den achtziger Jahren des 18.

Jhs. nimmt das Interesse am Tschechischen wieder deutlich zu. Die Bewe-

gung der sog. ÓNationalen WiedergeburtÓ bleibt zwar zun�chst auf intellek-

tuelle Kreise beschr�nkt, ihr gelingt aber eine durchgreifende Erneuerung der

Standardsprache, deren Kodifikation Ð und das ist ein ganz wesentlicher

Punkt Ð auf den Usus des ÓGoldenen ZeitaltersÓ zur�ckgreift und die seit-

dem eingetretenen Entwicklungen verwirft. Von entscheidender Bedeutung

sind vor allem die Grammatik J. Dobrovskùs (1809) und das W�rterbuch J .

Jungmanns (1835ff.), das durch Entlehnungen aus anderen slavischen Spra-

chen und Neusch�pfungen wesentlich zum Wortschatzausbau beitr�gt.

Obwohl die tschechische Nationalbewegung in der Revolution von 1848

scheitert und ihre politischen Forderungen nicht durchsetzen kann, dringt die

tschechische Sprache ab den f�nfziger Jahren in immer mehr Bereiche des

t�glichen Lebens vor. Insbesondere gelingt die Durchsetzung des Tschechi-

schen im Bildungssystem, die 1881 mit der Teilung der Prager Universit�t in

eine tschechische und eine deutsche Universit�t ihren deutlichsten Ausdruck

erreicht. Die Kodifikation bleibt weiterhin stark historisch ausgerichtet und

wird immer wieder von puristischen Wellen erfasst, die sich gegen tats�chli-

che oder vermeintliche Germanismen richteten.

Nachdem das Tschechische nach der Unabh�ngigkeit der Tschechoslovakei

1918 s�mtliche Funktionen einer modernen Standardsprache errungen hatte,

klingt die Abwehrhaltung gegen das Deutsche allm�hlich ab. Der Prager

Linguistenkreis setzt in den drei§iger Jahren eine Abkehr von der historisch

ausgerichteten Kodifikation durch und setzt in ihre Stelle Ófunktionale Prin-

zipienÓ (vgl. hierzu Starù 1995). Dieser Richtungswechsel wirkt sich aber

vor allem auf das Lexikon aus (die Haltung zu Lehnw�rtern wird deutlich

gelassener), w�hrend die grammatische Kodifikation nur sehr langsam an

neuere Entwicklungen und an die gesprochene Sprache angepasst wird. Dies

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ist im Wesentlichen auf die komplexen soziolinguistischen Verh�ltnisse zu-

r�ckzuf�hren, in denen die z.T. archaische Schriftsprache mit einer weit

verbreiteten, aber nicht als Teil des Standards anerkannten Umgangssprache

konkurriert (s.u.).

0.3. �u§ere Sprachgeschichte des Slovakischen

In Oberungarn setzt die schriftliche �berlieferung etwas sp�ter ein, ab dem

15. Jh. wird hier zun�chst auch die tschechische Schriftsprache mittelb�hmi-

scher Pr�gung verwendet. Schon in den ersten Denkm�lern wie etwa dem

Stadtbuch von ëilina/Sillein (2. H�lfte des 15. Jhs.) finden sich jedoch ge-

wisse Slovakismen. In den folgenden Jahrhunderten bildet sich eine ganze

Skala schriftsprachlicher Variet�ten heraus, die unterschiedlich stark slovaki-

siert sind. Am einen Ende der Skala stehen die religi�sen Texte der Prote-

stanten, die weiterhin das Tschechische verwenden, am anderen Ende lokale

administrative Texte, die den �rtlichen Dialekten oft sehr nahe stehen. Die

katholische Erbauungsliteratur, aber auch die Anf�nge weltlicher literarischer

Texte sind auf Tschechisch abgefasst, aber mit zahlreichen Slovakismen

angereichert. Die slovakische Forschung unterscheidet traditionell drei

ÓKulturdialekteÓ, den westslovakischen, den mittelslovakischen und den

ostslovakischen, die bis zu einem gewissen Grade die Rolle lokaler Schrift-

sprachen gespielt h�tten. Lifanov (2001) hat demgegen�ber �berzeugend

dargelegt, dass f�r die meisten Funktionsbereiche etwa ab dem 16. Jh. eine

ziemlich einheitliche Schriftsprache auf westslovakischer Basis verwendet

wurde, von der nur die religi�se Sprache der Protestanten abwich.

Gegen Ende des 18. Jhs. wurde diese Schriftsprache von den katholischen

Priestern J. I. Bajza und A. Bernol�k kodifiziert, nach Bernol�k (der u.a.

eine Grammatik und ein W�rterbuch herausgab) wird sie traditionell als

Óbernol��tinaÓ bezeichnet.

Sie setzte sich aber fast nur bei den Katholiken durch, w�hrend die Prote-

stanten zun�chst weiter das Tschechische verwendeten. In den vierziger Jah-

ren des 19. Jhs. kam es dann zu einer Vereinheitlichung, als eine Gruppe

von Autoren um den Protestanten ». át�r eine neue Schriftsprache begr�n-

dete, die vom mittelslovakischen Dialekt von Tur�iansky Sv. Martin (heute

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Martin) ausging. Diese Óät�rovätinaÓ unterschied sich deutlich st�rker vom

Tschechischen als die Óbernol��tinaÓ, wurde aber trotz starker Proteste von

tschechischer Seite schon relativ bald von Katholiken und Protestanten ak-

zeptiert (letztere verwendeten aber noch bis weit ins 20. Jh. hinein als Kir-

chensprache das Tschechische).

Auch der slovakischen Nationalbewegung gelang es 1848/49 nicht, gr�§ere

Zugest�ndnisse zu erreichen. In den sechziger Jahren wurde Slovakisch an

den Gymnasien zugelassen, 1863 wurde der Kulturverein ÓMatica Slovens-

k�Ó gegr�ndet, der sich die F�rderung des Slovakischen zum Ziel setzte. Die

kurze Bl�te fand jedoch schon bald nach dem �sterreichisch-ungarischen

Ausgleich von 1867 ein Ende: Die ungarischen Beh�rden lie§en keinen slo-

vakischen Unterricht mehr zu und verboten 1875 auch die Matica Slovensk�.

Das Slovakische konnte zwar weiter in Zeitungen und B�chern verwendet

werden, blieb aber im Wesentlichen auf den literarischen Bereich beschr�nkt

und war daher nach 1918 bei weitem nicht so gut auf die Funktionen einer

modernen Standardsprache vorbereitet wie das Tschechische.

Nach 1918 ging die offizielle Politik von der Existenz einer

ÓtschechoslovakischenÓ Sprache aus, die in einer tschechischen und einer

slovakischen Variante vorliege (vgl. hierzu ausf�hrlich Marti 1993). Das

Slovakische wurde zwar gef�rdert, stand aber unter starkem tschechischen

Einfluss. Gegen Versuche, die orthografische und grammatische Kodifikati-

on dem Tschechischen anzun�hern, wandte sich in den drei§iger Jahren ent-

schiedener Protest, zeitweise standen sich zwei konkurrierende Normierun-

gen gegen�ber. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich das Slovakische

freier entwickeln, die v�llige Gleichberechtigung beider Sprachen wurde

allerdings erst mit der F�deralisierung der Tschechoslovakei 1968 erreicht.

Doch selbst nach der staatlichen Trennung der Tschechischen und der Slo-

vakischen Republik ist der Einfluss des Tschechischen auf das Slovakische

immer noch st�rker als in umgekehrter Richtung (vgl. hierzu Berger 2001).

0.4. Periodisierung der inneren Sprachgeschichte

Angesichts der wechselhaften �u§eren Geschichte des Tschechischen und

des Slovakischen ist nicht weiter verwunderlich, dass die Periodisierung der

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inneren Sprachgeschichte in den g�ngigen Darstellungen deutlich gegen�ber

der der �u§eren Sprachgeschichte zur�cktritt. Aber auch da, wo Periodisie-

rungen vorgeschlagen werden, kommt es teilweise zu einer Vermischung der

Sichtweisen: Im Falle des Tschechischen enden die g�ngigen Darstellungen

jeweils mit dem 16. Jahrhundert Ð hier spiegelt sich eindeutig die traditio-

nelle Vorstellung wider, dass die Sprachentwicklung des 17. und 18. Jahr-

hunderts gewisserma§en ausgeklammert werden k�nne, weil sich ab der

ÓNationalen WiedergeburtÓ wieder der vorherige Usus durchsetzt. Beim

Slovakischen ergeben sich eher Probleme mit den �ltesten Sprachstufen,

denn hier ist nicht v�llig klar, ab wann Slovakisch und Tschechisch als ge-

trennte Sprachen anzusehen sind.

F�r das Tschechische soll hier im Wesentlichen die Einteilung der histori-

schen Grammatik von Lamprecht et al. (1986) �bernommen werden, die bis

Ende des 16. Jhs. drei Epochen unterscheidet und in etwa auch der anderer

historischer Grammatiken entspricht (u.a. Tr�vn��ek 1935, Kom�rek 1969,

etwas anders Vintr 2001, 143). Die erste dieser Epochen (vom Urslavischen

bis zum Ende des 10. Jhs.) entspricht in etwa dem Zeitraum der Ausgliede-

rung des Tschechischen aus den westslavischen Sprachen, die zweite (vom

Ende des 10. bis zum Ende des 14. Jhs.) demjenigen Sprachzustand, der in

der Regel als Alttschechisch bezeichnet wird. An die dritte Epoche der Spra-

chentwicklung (vom Ende des 14. bis zum Ende des 16. Jhs.), mit der die

Autoren ihre Darstellung abschlie§en, w�rde ich allerdings noch zwei weite-

re Epochen anschlie§en und insgesamt zu folgender Periodisierung kommen:

1. fr�hes Alttschechisch (vom Urslavischen bis etwa 1000);

2. klassisches Alttschechisch (ca. 1000Ð1400);

3. fr�hes Neutschechisch (ca. 1400Ð1600);

4. Tschechisch der Barockzeit (ca. 1600Ð1800);

5. modernes Neutschechisch (ab 1800).

Die Frage, ab wann man von zwei unterschiedlichen Sprachen Tschechisch

und Slovakisch ausgehen sollte, kann hier nicht im Detail diskutiert werden.

Es sei aber darauf hingewiesen, dass mindestens zwei Isoglossen (n�mlich

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das Vorhandensein des Phonems /Þ/ bzw. seines Vorg�ngers /Ú/ im Tsche-

chischen und sein Fehlen im Slovakischen und die Bewahrung des urslavi-

schen /dz/ im Slovakischen, das im Tschechischen zu /z/ geworden ist) bis in

gemeinslavische Zeit zur�ckreichen, w�hrend andererseits das Gros der

Unterschiede zwischen beiden Dialektgebieten erst durch den Umbau des

tschechischen Vokalsystems um das Jahr 1400 hervorgerufen wurde. Diese

�berlegungen f�hren mich dazu, f�r das Slovakische im Prinzip dieselben

Epochen anzusetzen wie f�r das Tschechische, dies steht auch im Einklang

mit den Ausf�hrungen der historischen Grammatik von Stanislav (1967,

42ff.), obwohl der Autor schon ab dem Jahr 1000 eine eigene slovakische

Sprache ansetzt.

0.5. Variet�tengliederung des Tschechischen

Das Tschechische wird traditionell in vier Dialektgruppen eingeteilt, und

zwar die im engeren Sinne b�hmischen Dialekte, die zentralm�hrischen oder

hanakischen Dialekte, die m�hrisch-slovakischen sowie die schlesischen

bzw. lachischen. Alle vier Gruppen werden weiter untergliedert, wobei im

Falle der gr�§ten Gruppe, der b�hmischen, vor allem die gro§en Untergrup-

pen der zentralb�hmischen Dialekte (auf die die Standardsprache sowie die

Umgangssprache zur�ckgehen), der s�db�hmischen und der nordostb�hmi-

schen Dialekte hervorzuheben sind. Der zentralm�hrischen Gruppe kommt

insofern eine spezielle Bedeutung zu, weil sich die entsprechenden Dialekte

besonders weit von den �brigen entfernt haben (und z.T. f�r Sprecher ande-

rer Dialekte nicht mehr verst�ndlich sind). Die m�hrisch-slovakischen und

die schlesischen Dialekte stellen in einem gewissen Sinne die �bergangs-

dialekte zum benachbarten Slovakischen bzw. zum Polnischen dar. Die Ab-

grenzung ist im Einzelnen umstritten, denn bis 1945 wurden die m�hrisch-

slovakischen Dialekte noch zum Slovakischen gerechnet, zur schlesischen

Dialektgruppe geh�ren Ortsdialekte, in denen polnische Elemente stark ver-

treten sind.

Die Bedeutung der Dialekte hat in allen Gebieten deutlich abgenommen, sie

wurden zun�chst durch sog. Interdialekte ersetzt und sind heute akut durch

die Umgangssprache zentralb�hmischer Herkunft bedroht, die traditionell als

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Óobecn� �eätinaÓ (= ÓGemeintschechischÓ) bezeichnet wird. Insbesondere

die s�d- und ostb�hmischen Dialekte k�nnen als weitgehend ausgestorben

angesehen werden, am besten halten sich noch die schlesischen Dialekte

(was z.T. mit ihrer Position zwischen Polnisch und Tschechisch zusammen-

h�ngt). Eine Bestandsaufnahme der wichtigsten dialektalen Ph�nomene ent-

h�lt die Monografie von B�li� (1972), auf die ich mich im Weiteren beziehen

werde.

Der Status der Umgangssprache Óobecn� �eätinaÓ ist seit den f�nfziger Jah-

ren in der Forschung sehr umstritten. W�hrend eine Gruppe von Forschern

diese Umgangssprache f�r ein �berregionales Ph�nomen h�lt und ihre Aner-

kennung als die m�ndliche Variet�t des Tschechischen fordert, betonen an-

dere Forscher stark den regionalen (d.h. zentralb�hmischen) Charakter die-

ser Variet�t, die sie zum Substandard rechnen. Eine offiziell propagierte

Standardumgangssprache, die als Óhovorov� �eätinaÓ (=

ÓUmgangstschechischÓ) bezeichnet wird und der geschriebenen Sprache

nahesteht, hat sich kaum durchsetzen k�nnen.

Neben den verschiedenen Schattierungen der Umgangssprache und den Re-

sten der Dialekte existieren auch Soziolekte (Slangs, Berufsjargons u.�.),

die sich aber nur im Lexikon von anderen m�ndlichen Variet�ten unterschei-

den.

0.6. Variet�tengliederung des Slovakischen

Das Slovakische wird traditionell in drei gro§e Dialektgruppen eingeteilt, die

westslovakischen, die mittelslovakischen und die ostslovakischen Dialekte.

Die westslovakischen Dialekte bilden gewisserma§en den �bergang zum

Tschechischen, die ostslovakischen zum Polnischen und Ukrainischen, mit

denen sie einige Merkmale teilen. Der spezifischste Charakter kommt den

mittelslovakischen Dialekten zu, aus deren Mitte auch der Dialekt von Turiec

stammt, auf den die von ». át�r eingef�hrte Standardsprache zur�ckgeht.

Eine moderne gute �berblicksdarstellung, auf die ich mich im Folgenden

st�tzen werde, stammt von átolc (1994).

Anders als im tschechischen Sprachgebiet sind die Dialekte durchaus leben-

dig, erst in den letzten Jahrzehnten beginnt sich eine �berregionale Um-

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gangssprache herauszubilden. Sie steht im Spannungsfeld zwischen der

mittelslovakisch gepr�gten Standardsprache und dem westslovakischen Dia-

lekt von Bratislava, der eine Reihe von abweichenden Merkmalen aufweist,

die von vielen Sprechern schroff abgelehnt werden (u.a. auch wegen ihrer

N�he zum Tschechischen). Daneben gibt es auch im Slovakischen Sozio-

lekte, die einen spezifischen Wortschatz aufweisen, sich in der Grammatik

aber nicht weiter von der gesprochenen Sprache unterscheiden.

1. Sprachtypologische Grundz�ge

1.1. Lautung

Die phonologischen Systeme der tschechischen und der slovakischen Stan-

dardsprache weisen eine Reihe von charakteristischen Gemeinsamkeiten auf,

die auch f�r die meisten Dialekte des tschechisch-slovakischen Kontinuums

und f�r die �lteren Sprachstufen zutreffen. Die Unterschiede zwischen den

Systemen der beiden Standardsprachen haben hingegen weit weniger syste-

matischen Charakter, d.h. ein nur f�r die tschechische Standardsprache zu-

treffendes Ph�nomen muss nicht unbedingt in allen Dialekten vorkommen

(entsprechendes gilt f�r das Slovakische).

Beginnen wir mit der Betrachtung der Vokalsysteme der beiden Standard-

sprachen, die zun�chst in tabellarischer Form dargestellt werden sollen. Da-

bei wird eine phonologische Transkription verwendet, die der Orthografie

nahesteht:

Tschechisch Slovakisch

Kurzvokale: i u i u

e o e o

a � a

Langvokale: � � � �

� � � �

� �

Diphthonge: iu

(ej) ou ie uo

10

ia

silbische Liquide: r r Ú

l l ¾

Als wesentliche gemeinsame Merkmale der beiden Vokalsysteme k�nnen die

folgenden festgehalten werden:

1. Beide Sprachen verf�gen �ber ein relativ einfaches Grundsystem von

f�nf Kurzvokalen (im Tschechischen) bzw. von sechs (im Slovaki-

schen). Vordere gerundete Vokale (wie das deutsche � bzw. �) fehlen

v�llig, bei den mittleren Vokalen werden keine �ffnungsgrade unter-

schieden, schlie§lich gibt es auch keinen Schwa-Laut. Dem Graphem y ,

das in beiden orthografischen Systemen vorkommt, entspricht in den

heutigen Standardsprachen kein eigener Vokal, sondern es wird als i

realisiert. Urspr�nglich lag hier ein mittlerer hoher Vokal vor (etwa dem

polnischen y entsprechend), der z.T. noch in Dialekten vorkommt. Die

Verteilung der Grapheme ist im Wesentlichen historisch bedingt, nur in

Kombination mit den Konsonanten d, t und n (sowie im Slovakischen l)

ist die Schreibung distinktiv (vor y steht der nichtpalatale Konsonant,

vor i der palatale). Ð Insgesamt ist das Vokalinventar deutlich kleiner als

etwa das des Deutschen, Englischen oder Franz�sischen, trotzdem aber

gr�§er als das der meisten anderen slavischen Sprachen.

2. F�r beide Vokalsysteme ist die Quantit�tsopposition von kurzen und

langen Vokalen charakteristisch, die orthografisch in den meisten F�llen

durch den Akut bezeichnet wird (f�r langes � wird im Tschechischen

teilweise das spezielle Graphem ó verwendet). Diese Opposition unter-

scheidet Tschechisch und Slovakisch von allen �brigen westslavischen

Sprachen sowie den ostslavischen, sie findet im s�dslavischen Bereich

eine Parallele im Serbisch/Kroatisch/Bosnischen.

3. In beiden Vokalsystemen stehen die Langvokale der mittleren Reihe (�

und �) eher an der Peripherie: Der Vokal � tritt ausschlie§lich in Fremd-

w�rtern auf (als L�nge zum Vokal o fungiert im Tschechischen das ó

und im Slovakischen das uo, orthografisch bezeichnet mit �). Der Vokal

11

� kommt von Fremdw�rtern abgesehen im Tschechischen �berwiegend

und im Slovakischen ausschlie§lich in Endungen vor, im Tschechischen

besteht dar�berhinaus eine Tendenz, ihn durch � zu ersetzen (wie in den

meisten Dialekten und der Umgangssprache bereits geschehen).

4. F�r beide Vokalsysteme sind Diphthonge charakteristisch, wobei die

tschechische Standardsprache in einheimischen W�rtern nur den

(traditionell meist biphonematisch gewerteten) fallenden Diphthong ou

aufweist, der dazu symmetrische vordere Diphthong ej kommt lediglich

in der Umgangssprache und Dialekten vor (in Fremdw�rtern ferner au

und eu). F�r das Slovakische sind hingegen die vier steigenden

Diphthonge ia, ie, iu und uo charakteristisch (auch hier kommen in

Fremdw�rtern die fallenden Diphthonge au und eu vor). Ð Sowohl stei-

gende wie auch fallende Diphthonge sind ansonsten f�r slavische Stan-

dardsprachen sehr untypisch und im Prinzip auf Dialekte beschr�nkt,

wenn man von F�llen absieht, in denen monophthongische Laute fakul-

tativ eine phonetische Realisierung als Diphthong zulassen (etwa die

diphthongische Realisierung von obersorbisch _ oder der polnischen

Nasale).

5. Beide Sprachen verf�gen schlie§lich auch �ber silbische Liquide r und l,

wobei deren Frequenz im Tschechischen deutlich niedriger ist als im

Slovakischen, wo sie u.a. auch an der Quantit�tsopposition teilhaben.

Auch dieses Ph�nomen ist weder in einer anderen westslavischen Spra-

che noch in den ostslavischen Sprachen belegt, hingegen im S�dslavi-

schen (silbisches r im Serbisch/Kroatisch/Bosnischen sowie im Make-

donischen).

Die Konsonantensysteme beider Sprachen unterscheiden sich deutlich weni-

ger als die Vokalsysteme, vgl. die folgende �bersicht:

b p v f m b p v f m

d t n l r d t n l r

� é j Ë � é j Ë ¼

12

z s z s

c dz c

� ì ä Þ dì � ì ä

g k h ch g k h ch

Die Konsonanteninventare der beiden Sprachen weisen mit 24 bzw. 27

Konsonanten eine mittlere Gr�§e auf. Es gibt also etwas mehr konsonanti-

sche Phoneme als etwa im Deutschen oder Franz�sischen, hingegen deutlich

weniger als in anderen slavischen Sprachen (Russisch, Polnisch, Bulga-

risch). Als wesentliche Charakteristika k�nnen festgehalten werden:

1. Beide Sprachen verf�gen �ber eine relativ gro§e Anzahl von

ÓZischlautenÓ, d.h. von dentalen und postdentalen Frikativen und Affri-

katen. Dabei ist das slovakische System noch etwas reicher, weil hier die

stimmhaften Affrikaten dz und dì eigene Phoneme sind, w�hrend sie im

Tschechischen nur als positionelle Varianten von c und � auftreten. Auf

der anderen Seite existiert im Tschechischen das f�r diese Sprache spezi-

fische Phonem Þ, das sich in eine Reihe mit den postdentalen Frikativen

einordnet. Ð Innerhalb der slavischen Sprachen liegen das tschechische

und das slovakische System im mittleren Bereich (vgl. dagegen drei Rei-

hen von ÓZischlautenÓ im Polnischen).

2. Die f�r die slavischen Sprachen insgesamt charakteristische Palatalit�ts-

korrelation beschr�nkt sich im heutigen Tschechischen und Slovakischen

auf die Dentale �, é und Ë sowie (nur im Slovakischen) ¼. Die Opposition

von palatalen und nichtpalatalen Dentalen beschr�nkt sich im Tschechi-

schen im Wesentlichen auf die Position vor /e/, /i/ und /�/ sowie das

Wortende, vor anderen Vokalen kommen sie fast nur in markierten ex-

pressiven Lexemen vor. Im Slovakischen wird die Opposition vor fast

allen Vokalen realisiert, nur vor /e/ ist sie fast neutralisiert (hier stehen

mit wenigen Ausnahmen nur die palatalen Dentale). Hinsichtlich der Pa-

latalit�tskorrelation stehen das Tschechische und Slovakische wieder

dem S�dslavischen recht nahe (wo nur noch palatales nj und lj erhalten

13

sind) und entfernen sich von den �brigen westslavischen und den ostsla-

vischen Sprachen.

3. Beide Sprachen verf�gen �ber den Konsonanten /h/, der in den slavi-

schen Sprachen sonst nur im Obersorbischen und Ukrainischen vor-

kommt. Da /h/ historisch aus dem Velar /g/ entstanden ist, steht dieser

fast ausschlie§lich in Fremdw�rtern, im Slovakischen deutlich h�ufiger

als im Tschechischen.

Die Prosodie des Tschechischen und des Slovakischen ist durch zwei Ph�-

nomene gekennzeichnet, n�mlich einerseits den festen Wortakzent und

zweitens die Quantit�tsopposition bei den Vokalen. Der Wortakzent liegt in

beiden Standardsprachen und den meisten Dialekten auf der ersten Wortsil-

be, in Dialekten ist aber auch der P�nultimaakzent belegt. Die Opposition

kurzer und langer Vokale (die im �brigen in manchen Dialekten fehlt)

kommt in allen Silben vor (also auch in unbetonten). Im Tschechischen k�n-

nen auch mehrere Langvokale aufeinander folgen (vgl. uì�v�n�

ÔVerwendung), in der slovakischen Standardsprache wird dies durch das

sog. rhythmische Gesetz blockiert, das die Aufeinanderfolge zweier Lang-

vokale ausschlie§t (dementsprechend uì�vanie).

1.2. Morphologie

Tschechisch und Slovakisch weisen Ð wie die slavischen Sprachen �ber-

haupt Ð eine reiche Flexionsmorphologie auf. Dabei kommt den syntheti-

schen Formen deutlich mehr Bedeutung zu als den analytisch gebildeten, die

sich im Wesentlichen auf den Bereich des Verbums beschr�nken. Im Ver-

gleich zu anderen slavischen Sprachen ist die Vielzahl von konkurrierenden

Paradigmen auff�llig (im Tschechischen noch st�rker als im Slovakischen),

die u.a. dazu f�hrt, dass fast alle Endungen in mehreren Funktionen vor-

kommen. In beiden Sprachen kommen morphonologische Alternationen vor,

vgl. tschech. �esat Ôk�mmenÕ, im Pr�sens �eäu, �eäeäÉ, slovak. entspre-

chend �esaé, �eäem, �eäeäÉ Beim Nomen sind sie im Slovakischen z.T.

abgebaut, vgl. tschech. Praha ÔPragÕ, Lokativ v Praze Ôin PragÕ gegen�ber

slovak. v Prahe. Die genannten Besonderheiten konzentrieren sich auf die

14

Ausdrucksebene, die durch Flexionsendungen bezeichneten grammatischen

Kategorien weichen demgegen�ber nur selten von den auch aus den anderen

slavischen Sprachen bekannten Kategorien ab.

F�r die Substantive sind die drei grammatischen Kategorien Genus, Nume-

rus und Kasus charakteristisch. In beiden Sprachen werden drei Genera

(Maskulina, Feminina und Neutra) unterschieden, die Maskulina spalten sich

ferner nach dem Merkmal der Belebtheit auf. Dabei gibt es allerdings einen

wesentlichen Unterschied zwischen Tschechisch und Slovakisch, denn nur

im Tschechischen werden im Singular und Plural gleicherma§en belebte und

unbelebte Maskulina unterschieden. Im Slovakischen ist die Situation kom-

plexer, denn die Belebtheit ist nur im Singular relevant, w�hrend im Plural

die Trennlinie zwischen m�nnlichen Personen einerseits und unbelebten Re-

ferenten und Tieren andererseits verl�uft (�hnlich wie im Polnischen und

Obersorbischen).

Beide Sprachen verf�gen �ber die Numeri Singular und Plural. Der Dual,

der im Alttschechischen noch belegt war, ist geschwunden, jedoch haben

sich im Tschechischen einige Dualendungen erhalten und sogar Pluralen-

dungen verdr�ngt. Das urslavische System der Kasus ist im Tschechischen

und im Slovakischen bewahrt. Das Tschechische weist alle sieben Kasus

auf, im Slovakischen setzt man heute keinen Vokativ mehr an, obwohl sich

gewisse Reste erhalten haben.

F�r die Adjektive sind ebenfalls Genus, Numerus und Kasus relevant. Die

in vielen slavischen Sprachen bemerkbare Tendenz zur Neutralisierung der

Genera im Plural ist zwar im Tschechischen und Slovakischen auch zu be-

obachten, jedoch nur mit Einschr�nkungen. Die tschechische Standardspra-

che repr�sentiert hier einen besonders archaischen Zustand (Differenzierung

aller drei Genera im Nom. und Akk. Plural), der jedoch in der gesprochenen

Sprache und den Dialekten weitgehend abgebaut ist. Ð Die urspr�ngliche

Unterscheidung einer nominalen und einer zusammengesetzten Deklination

der Adjektive ist weitgehend geschwunden. Im Tschechischen ist sie als

Archaismus sowie bei den Passivpartizipien erhalten, im Slovakischen auch

hier abgebaut. Einzelne Formen der nominalen Deklination sind allerdings

weiterhin pr�sent, etwa als Adverbien und Pr�dikativa. Ð Eine spezifische

15

Rolle spielen in beiden Sprachen die mit den Suffixen -ov- (von Maskulina)

und -in- (von Feminina) abgeleiteten Possessivadjektive. Sie k�nnen als

Alternative zum Genitiv gebraucht werden, wenn der Possessor im Singular

steht und definit ist (vgl. tschech. Eliä�ina kniha ÔEliäkas BuchÕ, slovak.

otcov kab�t Ôdie Jacke des VatersÕ), und sind in manchen F�llen (z.B. bei

Namen) nahezu obligatorisch. Morphologisch steht ihre Deklination zwi-

schen der nominalen und der zusammengesetzten, die nominalen Formen

schwinden allerdings in den Dialekten und der Umgangssprache zusehends.

Beide Sprachen verf�gen schlie§lich �ber eine synthetische Steigerung (der

Komparativ wird suffigal abgeleitet, der Superlativ mit dem Pr�fix nej- bzw.

naj- aus dem Komparativ), analytische Umschreibungen kommen nur okka-

sionell vor.

Als Kategorien des Verbums sind Aspekt, Tempus, Modus, Diathese, Per-

son, Numerus und Genus zu nennen. Hinsichtlich der beiden Aspekte, des

perfektiven und des imperfektiven, unterscheiden sich Tschechisch und Slo-

vakisch nur wenig von den �brigen slavischen Sprachen. Spezifisch f�r

beide Sprachen ist hingegen die gro§e Produktivit�t von (imperfektiven)

Iterativa, die in der �lteren Literatur als eigener Aspekt angesehen wurden,

heute aber nicht mehr als Ph�nomen der Flexionsmorphologie, sondern der

Wortbildung interpretiert werden. Ð Das Tempussystem beider Sprachen ist

heute dreigliedrig (Pr�sens, Pr�teritum, Futur), in �lteren Sprachstufen gab

es weitere Vergangenheitstempora, von denen der Aorist und das Imperfekt

schon zu Beginn der historischen Entwicklung, das Plusquamperfekt hinge-

gen erst im 20. Jahrhundert geschwunden ist. Das Pr�teritum wird analy-

tisch gebildet (Pr�sens des Verbums ÔseinÕ + Partizip Pr�teritum), es sind

aber Ans�tze zur Synthese erkennbar (u.a. Schwund des Auxiliars in der 3.

Person). Der Ausdruck des Futurs ist eng mit dem Aspekt verkn�pft

(analytisches Futur der Imperfektiva, futurische Verwendung des perfekti-

ven Pr�sens), anders als in den meisten anderen slavischen Sprachen bildet

eine Reihe von Verben der Bewegung aber auch ein synthetisches Futur

(vgl. tsch. ponesu Ôich werde tragenÕ). Ð An Modi unterscheiden beide Spra-

chen Indikativ, Imperativ sowie zwei analytisch ausgedr�ckte Konditionale

(der Gegenwart und der Vergangenheit). Ð Im Bereich der Diathese gibt es

16

neben dem Aktiv ein analytisch (mit Hilfe des Verbums ÔseinÕ und des Parti-

zips Pr�teritum Passiv) gebildetes Passiv, das allerdings keine hohe Fre-

quenz aufweist. Als konkurrierendes Ausdrucksmittel kommen auch reflexi-

ve Verben vor (fast ausschlie§lich bei unbelebtem Patiens). Ð Neben den drei

Personen und den beiden Numeri (beim Verbum haben sich keine Spuren

des Duals erhalten) werden im analytisch gebildeten Pr�teritum auch die drei

Genera unterschieden (in der tschechischen Standardsprache sogar im Plu-

ral).

Beide Sprachen verf�gen �ber eine Reihe von infiniten Formen, beginnend

mit dem Infinitiv, dessen Rolle in der Syntax jedoch deutlich geschw�cht ist

(er wird h�ufig durch Nebens�tze ersetzt), �ber drei Partizipien (Partizip

Pr�sens Aktiv, Partizip Pr�teritum Aktiv und Partizip Pr�teritum Passiv) hin

zu Gerundien (in der einheimischen Tradition als ÓTransgressivÓ bezeich-

net), deren Bedeutung f�r die geschriebene Sprache allerdings sehr abge-

nommen hat. Diese Gerundien weisen in der tschechischen Kodifikation

auch Genus- und Numerusmerkmale auf (was unter den heutigen slavischen

Sprachen sonst nicht belegt ist), in der slovakischen sind sie unver�nderlich

und zeigen genau zwei Formen (f�r Pr�sens und Pr�teritum).

In der Wortbildung stehen Ð wie in den slavischen Sprachen insgesamt �b-

lich Ð synthetische und analytische Bildungsweisen nebeneinander, wobei

den synthetischen die gr�§ere Bedeutung zukommt. F�r Tschechisch und

Slovakisch sind dabei die suffigale und pr�figale Derivation charakteristisch

(letztere vor allem bei Verben), in geringerem Umfang sind auch Nullsuffi-

gierung bzw. Konversion, Komposition und in neuerer Zeit Akronymbil-

dung belegt. Die Komposition bleibt auf einige wenige Typen beschr�nkt

und kommt deutlich seltener vor als in anderen slavischen Sprachen (etwa

dem Russischen). Als Beleg f�r eine starke Neigung zur Synthese kann die

Tendenz zur Univerbierung analytischer Verbindungen angef�hrt werden,

die vor allem f�r die beiden Umgangssprachen typisch ist, aber auch in die

geschriebene Sprache vordringt (vgl. die Ersetzung von V�clavsk� n�m�st�

ÔWenzelsplatzÕ durch V�clav�k).

17

1.3. Syntax

Hinsichtlich der Wort- und Satzgliedstellung betont die tschechische und

slovakische grammatische Tradition immer wieder, dass beide Sprachen im

Prinzip �ber eine ÓfreieÓ Wortstellung verf�gten, die freilich den Regularit�-

ten der sog. Thema-Rhema-Gliederung (in der tschechischen Tradition oft

als Óaktuelle SatzgliederungÓ bezeichnet) unterworfen sei. Erst in neuerer

Zeit setzt sich die �berzeugung durch, dass auch f�r tschechische und slo-

vakische S�tze (bzw. Phrasen) eine Basiswortstellung angesetzt werden

sollte, die dann durch Prozesse der Topikalisierung, Fokussierung u.�.

ver�ndert werden kann. Als wesentliche Eigenschaften der Basiswortstel-

lung k�nnen festgehalten werden:

1. Tschechisch und Slovakisch sind SVO-Sprachen, weisen also im Prinzip

den ÓemissivenÓ Stellungstyp auf.

2. Entsprechend den prinzipiellen Eigenschaften des emissiven Stellung-

styps verf�gen beide Sprachen �ber Pr�positionen (Postpositionen exi-

stieren nur in �lteren Sprachstufen), das Genitivattribut steht nach dem

Nomen. �hnlich wie das Deutsche weichen Tschechisch und Slovakisch

in der Stellung des Adjektivs vom Idealtypus ab und weisen die Abfolge

AN auf.

3. F�r beide Sprachen sind pronominale und auxiliare Enklitika charakteri-

stisch, die stets an der zweiten Position im Satz (also an der klassischen

ÓWackernagelpositionÓ) stehen.

Relationaltypologisch sind Tschechisch und Slovakisch als Nominativspra-

chen einzuordnen, �hnlich wie im Deutschen gibt es aber peripher auch an-

dere Ph�nomene. Vgl. hierzu etwa S�tze wie Zastesklo se mi Ôich bekam

HeimwehÕ (w�rtlich: es wurde mir eng) oder Sp� se mi dobÞe Ôich kann gut

schlafenÕ (w�rtlich: es schl�ft sich mir gut). Die Frequenz nominativloser

S�tze ist aber im Tschechischen und Slovakischen deutlich niedriger als etwa

im Russischen (vgl. auch die Angaben zur historischen Entwicklung in Ab-

schnitt 4.1).

18

Hinsichtlich der Unterscheidung von subjekt- und themenstrukturellen Spra-

chen sind Tschechisch und Slovakisch eindeutig als Mischtypus zu kenn-

zeichnen. Die Auffassung, dass es sich hier um nichtkonfigurationale Spra-

chen handle, kann heute nicht mehr ernsthaft vertreten werden (s.o.), den-

noch ist nicht zu bestreiten, dass die relativ freie Wortstellung mehr Variation

erlaubt als etwa im Deutschen oder gar Englischen.

2. Lautliche Variation

2.1. Historische Variation von Westen nach Osten

Im Zuge der historischen Entwicklung vom Urslavischen zu den heutigen

Einzelsprachen haben die Phonemsysteme des Tschechischen und Slovaki-

schen eine Reihe von typologisch relevanten Ver�nderungen durchgemacht,

zun�chst gemeinsam (bis einschlie§lich der hier als ÓAlttschechischÓ be-

zeichneten Periode) und dann getrennt. Der Begriff der historischen Variati-

on von Westen nach Osten bezieht sich dabei zun�chst auf die Abgrenzung

zu den slavischen Nachbarsprachen, dann aber auch auf die zwischen

Tschechisch und Slovakisch.

Das Urslavische war eine sehr ÓvokalischeÓ Sprache mit mindestens elf Vo-

kalphonemen (a, e, ´, i, o, u, y, ß, �, «, o, nach manchen Auffassungen

auch noch � und �˛, wobei diese Vielfalt z.T. auf �ltere Quantit�tsunterschie-

de zur�ckging. Es war ferner charakterisiert durch komplexe suprasegmen-

tale Eigenschaften mit distinktiver Akzentstelle, Quantit�t und einer Intonati-

onsopposition (traditionell beschrieben mit den Termini ÔAkutÕ und

ÔZirkumflexÕ). Das Konsonantensystem umfasste demgegen�ber nur ca.

zwanzig Phoneme und war damit deutlich einfacher strukturiert als in der

Mehrzahl der heutigen slavischen Sprachen. U.a. beschr�nkte sich die Pala-

talit�tskorrelation auf einige wenige Phoneme (/n/ ~ /Ä/,/l/ ~ /¼/, /r/ ~ /Ú/),

doch gab es wohl zu den meisten Konsonanten phonetisch palatalisierte Va-

rianten vor vorderen Vokalen.

Im Laufe des 10. Jhs. kam es zu einer radikalen Umgestaltung dieses pho-

nologischen Systems, die sich in unterschiedlichem Ausma§ auch in anderen

slavischen Sprachen nachweisen lassen. Die �berkurzen Ôreduzierten Voka-

19

leÕ ´ und ß schwanden in den meisten Positionen (u.a. stets am Wortende),

wodurch die Palatalit�tskorrelation phonologisiert wurde. Mit dem Ausbau

des Konsonantensystems ging eine Reduktion des Vokalsystems einher, das

nur noch die Vokale a, e, �, i, o und u sowie die Nasalvokale « und o˛ um-

fasste. Durch diesen Wandel, der auch in den �brigen west- und ostslavi-

schen Sprachen, nicht aber den s�dslavischen belegt werden kann, �nderte

sich der Charakter des Phonemsystems von einem vokalischen zu einem

konsonantischen System. Diese Tendenz wurde noch dadurch verst�rkt,

dass die Nasalvokale im Tschechischen und Slovakischen etwa zur gleichen

Zeit in orale Vokale �bergingen, wobei sich o ˛} in u und « in � verwandelte

(dieses neue Vokalphonem trat wenig sp�ter in komplexe Wechselwirkungen

mit dem bereits im System vorhandenen � und fiel im Tschechischen entwe-

der mit diesem oder mit a zusammen, w�hrend es im Slovakischen teilweise

bis heute erhalten blieb). Diese Entwicklung verbindet das Tschechische und

Slovakische mit den sorbischen Sprachen und trennt sie vom Polnischen,

wo die Nasalvokale erhalten blieben.

In bestimmten Positionen schwanden die reduzierten Vokale ü und ß nicht,

sondern wurden durch einen Vollvokal ersetzt (dies geschah zumeist in einer

Silbe vor einem anderen reduzierten Vokal). Im Tschechischen trat hier stets

/e/ ein, im Slovakischen z.T. auch andere Reflexe wie /a/, /o/ oder die zuge-

h�rigen L�ngen. Vgl. etwa aus urslav. mßchß ÔMoosÕ tschech. mech, aber

slovak. mach, urslav. or´lß ÔAdlerÕ zu tschech. orel und slovak. orol. Das

Slovakische vereint hier �bergangsph�nomene zum Ostslavischen (wo ß > o

vokalisiert wurde) und zum S�dslavischen (wo beide reduzierte Vokale zu a

wurden).

Die Palatalit�tskorrelation, die durch die erw�hnten Entwicklungen eine zen-

trale Bedeutung f�r das Phonemsystem erhalten hatte, wurde im Bereich des

Alttschechischen allerdings bald wieder durch sog. Depalatalisierungen ein-

geschr�nkt, die ebenfalls schon f�r das 10. Jahrhundert angesetzt werden

(vgl. Komarek , 62ff.). Palatalisierte Konsonanten vor /e/ und /�/ wurden

depalatalisiert, falls dem Vokal ein nichtpalatalisierter Konsonant folgte,

ferner wurde die Palatalit�tskorrelation in Konsonantengruppen neutralisiert.

20

Die Depalatalisierungen, die vor allem im tschechischen Dialektgebiet eintra-

ten und nach Osten hin abnahmen, lassen sich mangels schriftlicher Quellen

nicht direkt belegen, sondern sie wurden von Havr�nek (1940) aufgrund

sp�terer Ver�nderungen des Vokalsystems rekonstruiert.

Ebenfalls in vorschriftlicher Zeit ist auch das suprasegmentale System des

Tschechischen und Slovakischen deutlich umgestaltet worden. Der freie

Akzent ging verloren und wurde durch einen festen Akzent auf der ersten

Wortsilbe ersetzt (vgl. hierzu Berger 1995), gleichzeitig entwickelte sich die

Quantit�tsopposition zwischen langen und kurzen Vokalen zu einem konsti-

tutiven Merkmal des tschechischen und slovakischen Vokalsystems. Dabei

entstanden lange Vokale sowohl durch Kontraktion (st�ti ÔstehenÕ < *stojati)

als auch als Reflex der alten Intonationsoppositionen. Bis heute bildet die

Quantit�tsopposition ein wesentliches Merkmal der tschechischen und der

slovakischen Standardsprache sowie der meisten Dialekte (zu bestimmten

slovakischen Sonderentwicklungen sei auf Abschnitt 2.4 verwiesen). Eine

�hnliche Entwicklung vollzog sich in den sorbischen Sprachen und im Pol-

nischen, doch wurde sie hier sp�ter durch gegenl�ufige Tendenzen wieder

aufgehoben.

Kurz vor Beginn der schriftlichen �berlieferung, in der zweiten H�lfte des

13. Jahrhunderts, setzen im Gebiet der tschechischen Dialekte eine Reihe

von Vokalver�nderungen ein, die traditionell als ÓUmlautÓ (ÓpÞehl�skaÓ)

bezeichnet werden. Dabei werden die Verbindungen von palatalisierten Kon-

sonanten mit den hinteren Vokalen /a/, /o/ und /u/ weitgehend beseitigt: /a/

ver�ndert sich Ð unter komplexen Bedingungen, auf die hier nicht genauer

eingegangen werden kann Ð in vielen Positionen zu /�/, /o/ ebenfalls zu /�/

und /u/ zu /i/. Diese Entwicklung erfasste zun�chst alle b�hmischen Dialekte

und einen Teil der m�hrischen, die schlesischen und die slovakischen Dia-

lekte wurden von ihr nicht betroffen. In der Konsequenz dieser Entwicklung

war das Gewicht der Palatalit�tskorrelation in den b�hmischen Dialekten und

vor allem der Schriftsprache deutlich geschw�cht, sie blieb nur vor dem

Phonem /i/ erhalten, etwa in W�rtern wie byl Ôer warÕ (mit nichtpalatalem

/b/) vs. bil Ôer schlugÕ (mit palatalem /bÕ/). Gleichzeitig entstanden dadurch

viele Vokalalternationen, die sp�ter wieder r�ckg�ngig gemacht wurden (vgl.

21

alttschech. �as ÔZeitÕ mit dem Lokativ ��äe oder die Pr�sensformen von tÞie-

sti ÔzitternÕ: tÞasu, tÞ�seäÉ). In den m�hrischen Dialekten ist der ÓUmlautÓ

sp�ter weitgehend wieder beseitigt worden (vgl. etwa koäu¼a ÔHemdÕ vs.

b�hm. koäile), bei Endungen gilt dies auch teilweise f�r das Tschechische

(in den Dialekten hei§t es wieder biju Ôich schlageÕ und nicht mehr biji, die

Endung -u ist nur in chci Ôich willÕ erhalten, vgl. aber m�hrisch chcu).

Der endg�ltige Verlust der Palatalit�tskorrelation erfolgt gegen Ende des 14.

Jahrhunderts. Nachdem die Opposition nur noch vor dem Phonem /i/ und Ð

in Abh�ngigkeit vom folgenden Vokal Ð vor /e/ und /�/ existiert hatte, verliert

sie ihren phonologischen Charakter, statt dessen entsteht wieder f�r kurze

Zeit das Vokalphonem /y/. Der Kurzvokal /y/ f�llt aber wenig sp�ter in den

b�hmischen, den m�hrischen und fast allen slovakischen Dialekten mit /i/

zusammen, die urspr�ngliche Opposition bleibt nur nach den Dentalen /t/, /d/

und /n/ (sowie im Slovakischen /l/) erhalten, verlagert sich aber auf den

Konsonanten. So wird im Tschechischen und Slovakischen heute noch gra-

fisch zwischen ty ÔduÕ und ti ÔdirÕ unterschieden, phonetisch liegt aber die

Opposition von [ti] und [éi] vor. �hnliches gilt f�r /_/, das mit /e/ zusam-

mengefallen ist, im Tschechischen aber heute noch grafisch die Palatalisie-

rung des vorhergehenden Dentals markiert (vgl. d�ti Ôdie KinderÕ, phone-

tisch [�eéi] bzw. nach Labialen als [je] gesprochen wird (vgl. ob�d

ÔMittagessenÕ, phonetisch [objet]). Im Slovakischen wurde die Palatalit�ts-

korrelation vor /e/ fast ganz neutralisiert, wobei die Dentale fast immer pala-

tal gesprochen werden (daher die slovakische Schreibung deti, mit gleicher

Aussprache wie im Tschechischen), w�hrend die Unterscheidung bei den

Labialen verloren gegangen ist (vgl. obed, phonetisch [obet]). Im Ergebnis

all dieser Ver�nderungen verf�gen die meisten tschechischen und slovaki-

schen Dialekte �ber die f�nf Vokale /a/, /e/, /i/, /o/ und /u/.

Die letzten Ver�nderungen des tschechischen Vokalsystems erfolgten ab dem

ersten Viertel des 15. Jhs. und gestalteten das System der Langvokale tief-

greifend um. Dabei wurden zun�chst etwa gleichzeitig die Langvokale /ù/ >

/ej/ und /�/ > /ou/ diphthongisiert, etwas sp�ter dann wurde /ie/, der dem

Kurzvokal /�/ entsprechende Langvokal, zu /�/ und das aus altem /�/ entstan-

dene /uo/ zu /�/ monophthongisiert (letzteres wird bis heute mit dem Gra-

22

phem ó bezeichnet!). Diese Entwicklungen erfassten alle b�hmischen und

die zentralm�hrischen Dialekte, in den s�dm�hrischen Dialekten fand nur die

Monophthongisierung statt. Das Schlesische, in dem die Langvokale verlo-

ren gegangen sind (s.u.), ging einen anderen Weg, in den meisten slovaki-

schen Dialekten und der slovakischen Standardsprache ist der alte Zustand

noch erhalten (vgl. etwa die Paare tschech. mouka ÔMehlÕ vs. slovak. m�ka,

tschech. b�da ÔNotÕ vs. slovak. bieda, tschech. kóË ÔPferdÕ vs. slovak.

k�Ë). Die Diphthongisierung von /ù/ > /ej/ ist zwar in den Dialekten erfolgt,

hat sich aber nie im orthografischen System durchgesetzt. Daher hei§t der

ÔOchseÕ zwar in den meisten Dialekten bejk (bzw. zentralm�hrisch b�k,

s.u.), wird aber weiterhin als bùk geschrieben und in der heutigen Standard-

sprache auch [b�k] gesprochen (wie im Slovakischen). Ð Ein weiterer, etwas

sp�ter (im 16. Jahrhundert) eingetretener Lautwandel, n�mlich die Ver�nde-

rung von /�/ > /�/, die eine Vereinfachung des Systems der Langvokale zu

drei Vokalen /�/, /�/ und /�/ nach sich zieht (/�/ fehlt generell, weil es in fr�-

her Zeit zu /uo/ geworden ist), ist ebenfalls nicht in die Standardsprache ein-

gedrungen, aber f�r die b�hmischen Dialekte charakteristisch.

Durch die beschriebenen Entwicklungen gibt es im Tschechischen neben den

Langvokalen auch den fallenden Diphthong /ou/ sowie in den meisten Dia-

lekten und der Umgangssprache /ej/. F�r das Slovakische sind hingegen

steigende Diphthonge typisch, so etwa die ererbten Diphthonge /ie/ und /uo/,

/ia/, das sich als Langvokal zu /�/ etabliert hat, sowie /iu/, das nach palatali-

sierten Konsonanten aus /�/ entstanden ist.

Der Konsonantismus ist, wenn wir von dem Entstehen der Palatalit�tskorre-

lation und ihrem sp�teren weitgehenden Schwund absehen, keinen wesentli-

chen Ver�nderungen unterworfen worden. Die alte Isoglosse von slovak.

/dz/ vs. tschech. /z/ (vgl. hierzu das Ende von Abschnitt 0.4) ist erhalten

geblieben, durch die Assibilierung des palatalisierten /Ú/ zu tschech. /Þ/ ist

eine weitere Isoglosse hinzugekommen, die umso deutlicher ist, als /Ú/ im

Slovakischen sp�ter depalatalisiert wurde, w�hrend das tschechische /Þ/ er-

halten geblieben ist, weil es nicht mehr an der Palatalit�tskorrelation teilhat.

Die f�r beiden Sprachen so charakteristischen silbischen Liquide r und l sind

bereits in gemeinslavischer Epoche aus Verbindungen von reduziertem Vo-

23

kal und Liquida entstanden, vgl. srdce ÔHerzÕ aus urslav. s�rd�ce gegen�ber

poln. serce und russ. serdce, und �berall au§er an den R�ndern (s.u.) erhal-

ten. Daran haben auch die Restriktionen der Distribution des silbischen l, die

sich im Tschechischen etwa im 14. Jahrhundert entwickelt haben (vgl.

Kom�rek 1969, 60ff.), nichts ge�ndert. Die Quantit�tsopposition bei den

silbischen Liquiden war urspr�nglich auch im Tschechischen verbreitet (vgl.

Gebauer 1963, 300), ist aber im Laufe der historischen Entwicklung ge-

schwunden. In beiden Sprachen wurde der Bereich der silbischen Liquide

schlie§lich noch dadurch erweitert, dass /r/ und /l/ in gewissen Konsonan-

tengruppen silbisch wurden, etwa in krve Ôdes BlutsÕ oder vedl Ôer f�hrteÕ

(beide alttschech. noch einsilbig).

2.2. Regionale Variation des Tschechischen

Innerhalb des tschechischen Sprachgebiets unterscheiden sich die

ÓprogressivenÓ b�hmischen Dialekte, in denen alle im vorhergehenden Ab-

schnitt erw�hnten Vokalver�nderungen vorgefallen sind, deutlich von den

�brigen Gebieten. Da die Standardsprache auf zentralb�hmischer Grundlage

beruht, sind diese Merkmale auch f�r sie typisch, �hnliches gilt f�r das sog.

Gemeintschechische, das heute einen Gro§teil der Ortsdialekte verdr�ngt

(vgl. hierzu Abschnitt 2.4.).

Von den anderen Dialekten ist der s�dm�hrische am konservativsten, weil

hier weder der sog. ÓUmlautÓ noch die Diphthongisierung erfolgt ist. Das

Schlesische hat im Prinzip den alten Vokalismus bewahrt, ihn aber durch

den Verlust der Quantit�tskorrelation, den es mit dem n�rdlich angrenzenden

Polnischen teilt, umgestaltet: die schlesischen Dialekte verf�gen zumeist �ber

ein System von sechs Vokalphonemen (/a/, /e/, /i/, /o/, /u/ und /y/). �hnlich

wie im Polnischen wird die vorletzte Silbe betont.

Die zentralm�hrischen Dialekte haben sich vom alttschechischen Zustand

noch weiter entfernt als die b�hmischen. Dies betrifft einerseits den Umlaut

(der auch im Stamm r�ckg�ngig gemacht wurde), andererseits die typisch

zentralm�hrische Ver�nderung von /y/ > /«/ und /u/ > /�/, vgl. r«ba ÔFischÕ

(vs. schriftsprachlich ryba) und b�d� Ôich werde seinÕ (vs. budu), durch die

zwei weitere offene Vokale ins System eingef�hrt wurden (vgl. B_li� 1974,

24

35ff.). In einem kleinen Gebiet kam es im Gegenzug auch zur Ver�nderung

von /e/ > /i/ und /o/ > /u/, was in letzter Konsequenz zu einem Tausch von /e/

und /i/ und /o/ und /u/ f�hren kann, vgl. etwa das Beispiel pud dochn� Ôunter

dem OberbettÕ vs. schriftsprachlich pod duchnou (vgl. B�li� 1974, 106).

Bestimmte Sondererscheinungen, die auch in der Vergangenheit auf kleine

Gebiete beschr�nkt waren und die heute v�llig geschwunden sind, werden in

der Literatur wegen ihres archaischen Charakters relativ ausf�hrlich be-

schrieben. Hierzu z�hlt das Vorkommen eines Schwa-Lauts statt /y/ im S�d-

b�hmischen (vgl. b�l Ôer warÕ), bzw. statt /i/ im S�dm�hrischen (vgl. re-

bË�k ÔTeichÕ, schriftsprachl. rybn�k), verschiedene Stufen der Erhaltung der

Palatalit�tskorrelation (vgl. s�db�hmisch pÕivo ÔBierÕ), prothetisches /h/ im

S�db�hmischen und Nordm�hrischen (vgl. B�li� 1974, 74f.) und schlie§-

lich die merkw�rdige Entwicklung von palatalisierten Labialen zu nichtpala-

talisierten Dentalen in gewissen ostb�hmischen Dialekten (statt b�ìet ÔlaufenÕ

stand hier deìet, vgl. B�li� 1974, 48), die auch auf allgemeinlinguistisches

Interesse gesto§en ist (vgl. Andersen 1973).

2.3. Regionale Variation des Slovakischen

Von den drei gro§en slovakischen Dialektgebieten steht das Mittelslovaki-

sche der Standardsprache, die aus ihm hervorgegangen ist, am n�chsten.

Nur in ihm finden sich bestimmte Idiosynkrasien wie die mehrfachen Refle-

xe der reduzierten Vokale und die Bewahrung der Phoneme /�/ und /¼/, die

im �brigen nicht in allen mittelslovakischen Dialekten vorhanden sind, be-

sonders charakteristisch ist aber auch das in Abschnitt 1.1 bereits erw�hnte

Órhythmische GesetzÓ, nach dem der zweite von zwei aufeinanderfolgenden

Langvokalen gek�rzt wird. Dieses Gesetz f�hrt dazu, dass die meisten En-

dungen in zwei Varianten vorkommen, vgl. etwa bei den Adjektiven die

Opposition zwischen F�llen wie peknù Ôsch�nÕ (Gen.Sg. pekn�ho usw.)

und biely Ôwei§Õ (Gen.Sg. bieleho usw.). Obwohl f�r bestimmte morpholo-

gische Klassen (Possessivadjektive zu Tierbezeichnungen, Kurzformen von

Partizipien u.a.) Ausnahmen gelten, pr�gt das Órhythmische GesetzÓ nach

wie vor die suprasegmentale Gestalt des Mittelslovakischen und der Stan-

dardsprache.

25

Die westslovakischen Dialekte schlie§en in verschiedener Hinsicht an das

Tschechische und insbesondere die benachbarten m�hrischen Dialekte an. Im

Vokalismus fehlt das Phonem /�/, statt der mittelslovakischen Diphthonge

stehen einfache Vokale, sodass f�r das Westslovakische ein regelm�§iges

Vokalsystem mit den Vokalen /a/, /e/, /i/, /o/, /u/ und ihren langen Gegen-

st�cken gegeben ist (vgl. átolc 1994, 23). Das Órhythmische GesetzÓ gilt

nicht, wie im Tschechischen k�nnen zwei Langvokale aufeinander folgen.

Im Konsonantensystem fehlt das Phonem /¼/.

Die ostslovakischen Dialekte n�hern sich hingegen in mancher Hinsicht dem

Polnischen, in anderer dem Ostslavischen. Der Vokalismus ist dadurch ge-

kennzeichnet, dass die Quantit�ten verlorengegangen sind und der P�nulti-

maakzent die Betonung auf der ersten Silbe ersetzt hat. Der Verlust der

Quantit�ten zieht auch hier ein vereinfachtes Vokalsystem nach sich. Als

Reflexe der reduzierten Vokale finden wir wie im Ostslavischen regul�r e (<

�) und o (<�). Die Palatalit�tsopposition ist weitgehend erhalten: wir finden

nicht nur das Phonem /¼/, sondern auch palatalisierte Sibilanten /æ/ und /�/

(wie im Polnischen und den schlesischen Dialekten des Tschechischen).

Ebenso wie im Tschechischen gibt es in kleinen Gebieten weitere, z.T. stark

abweichende Lautentwicklungen. Eine besondere Rolle spielen dabei gewis-

se s�dmittelslovakische Dialekte, wo so ungew�hnliche Lautwandel wie der

von n > m am Wortende (im sog. vrch�rske n�re�ie) oder die Ersetzung von

� durch palatalisiertes ä (in den sog. Gemer-Dialekten) belegt sind.

2.4. Soziale Variation des Tschechischen und des Slovakischen

Die traditionellen Dialekte sind im tschechischen Sprachgebiet weitgehend

geschwunden und in B�hmen und Westm�hren durch das sog. Gemeint-

schechische ersetzt worden. Diese zumeist nicht zum Standard gerechnete

Umgangssprache, die auch in anderen Teilen des Landes gro§en Einfluss

aus�bt, basiert auf demselben zentralb�hmischen Dialekt wie die Standard-

sprache, ist aber lautgeschichtlich progressiver (weitgehende Durchsetzung

von ej < ù, � < � sowie des prothetischen v- vor o). In der Slovakei halten

sich die Dialekte deutlich besser, aber auch hier dringt eine allgemeine Um-

gangssprache vor. Sie basiert auf der Standardsprache, allerdings unter Ver-

26

zicht auf die Phoneme /�/ und /¼/, die den meisten Dialekten fremd sind. Zu-

sammenfassend kann festgehalten werden, dass sich beide Umgangsspra-

chen trotz der in der Literatur immer wieder betonten und beschriebenen

Differenzen lauttypologisch kaum von den betreffenden Standardsprachen

unterscheiden, jedenfalls deutlich weniger als von den Dialekten.

3. Morphologische Variation

3.1. Historische Variation von Westen nach Osten

Bei der Betrachtung der morphologischen Variation sollen zwei Gesichts-

punkte voneinander getrennt werden. Zun�chst soll die unterschiedliche

Ausdifferenzierung der morphologischen Paradigmen betrachtet werden,

und zwar unabh�ngig von der Frage, welche grammatischen Kategorien in

den betreffenden Paradigmen realisiert werden, und anschlie§end soll ein

�berblick �ber die historische Variation ausgew�hlter grammatischer Kate-

gorien gegeben werden.

Die Ausdifferenzierung der morphologischen Paradigmen geht in den mei-

sten slavischen Sprachen im Laufe der historischen Entwicklung zur�ck. So

k�nnen wir beispielsweise in der urslavischen Deklination vier vokalische

Stammklassen (o-St�mme, a-St�mme, i-St�mme und u-St�mme) und eine

Reihe von konsonantischen Stammklassen (n-St�mme, s-St�mme, nt-

St�mme usw.) beobachten, aus denen sich allm�hlich eine kleine Zahl von

Deklinationen entwickelt, bei denen das Genus eine entscheidende Rolle

spielt. �hnliche Beobachtungen lassen sich auch bei den Verben machen

(vgl. etwa zwei Konjugationen im Russischen gegen�ber f�nf im Urslavi-

schen). In Einzelf�llen k�nnen Paradigmen noch st�rker vereinheitlicht wer-

den (vgl. etwa den weitgehenden Zusammenfall der pluralischen Deklinati-

onsformen in den meisten slavischen Sprachen).

Das Tschechische weicht nun von diesem allgemeinen Bild in deutlicher

Weise ab, und zwar in der Richtung, dass die Anzahl der Deklinationsund

Konjugationsklassen eher zugenommen hat. Dies liegt einerseits an der Be-

wahrung einer ganzen Reihe von Archaismen (vgl. etwa die sonst nirgends

erhaltene Endung des Instr. Pl. mask. -y, die konsequente Bewahrung der

Deklinationsunterschiede im Plural oder die Reste von Konsonantenst�m-

27

men), auf der anderen Seite haben aber auch die alttschechischen Lautwandel

zur Aufteilung von Deklinationen gef�hrt. So haben sich beispielsweise die

ÓhartenÓ und die ÓweichenÓ Feminina des Urslavischen (vgl. ìena ÔFrauÕ vs.

duäa ÔSeeleÕ) in den meisten slavischen Sprachen aufeinander zu bewegt

(beide Lexeme werden beispielsweise im Russischen gleich flektiert), im

Tschechischen haben sie sich hingegen so stark auseinander bewegt, dass

die Deklination von ìena (ìeny, ìen_, ìenuÉ) kaum noch �hnlichkeiten mit

der von duäe (duäe, duäi, duäiÉ) aufweist. Ð Bei den Verben haben Kon-

traktion und ÓUmlautÓ ebenfalls die Anzahl der Paradigmen vermehrt, z.T.

kommt es auch zur Fusion von Klassen: Ein besonders komplexes Beispiel

ist die Klasse der Verben, in denen dem Stammvokal -a- ein palatalisierter

Konsonant voranging, der den Umlaut ausl�ste. Verben wie *prinaäati

ÔbringenÕ sind dadurch im Infinitivstamm zu den e-Verben �bergegangen

(tschech. Infinitiv pÞin�äet, Pr�t. pÞin�äel), im Pr�sens weitgehend zu den i-

Verben (pÞin�ä�m, pÞin�ä�äÉ). Skali�ka (1951) hat die tschechische Flexion

vor diesem Hintergrund als ein klassisches Beispiel des flektierenden

Sprachtyps bezeichnet, in dem agglutinierende Elemente weitgehend zu-

r�cktreten.

Die Vielfalt der Paradigmen nimmt innerhalb des tschechisch-slovakischen

Kontinuums nach Osten hin allm�hlich ab. Schon in den m�hrischen Dia-

lekten sind die Auswirkungen des ÓUmlautsÓ weitgehend r�ckg�ngig ge-

macht, was zu einer Reduktion der Zahl der Paradigmen f�hrt, im Slovaki-

schen lassen sich dar�ber hinaus weitere Ausgleichserscheinungen beob-

achten (beispielsweise die Durchsetzung einer einheitlichen Endung der

1.Ps.Sg.Prs. auf -m oder die �bernahme femininer Pluralendungen bei den

Neutra, w�hrend die maskulinen Endungen erhalten bleiben). Trotzdem ist

die slovakische Entwicklung immer noch deutlich konservativer als etwa die

polnische oder die ostslavische.

Die Variation in den grammatischen Kategorien ist gegen�ber der Formen-

vielfalt relativ bescheiden. Die historische Entwicklung einzelner Kategorien

ist meist in beiden Sprachen im Gro§en und Ganzen vergleichbar. Zu den

nominalen Kategorien kann im Einzelnen folgendes ausgef�hrt werden:

28

1. Im Bereich des Genus steht das Tschechische dem urspr�nglichen Zu-

stand noch ziemlich nahe. Schon in gemeinslavischer Zeit setzte sich der

Genitiv-Akkusativ-Synkretismus zur Bezeichnung von Belebtheit im

Singular der Maskulina durch und ist heute und in allen slavischen Spra-

chen realisiert (sofern sie nicht die Deklination verloren haben), vgl. et-

wa tschech. had ÔSchlangeÕ, Akk. hada (homonym mit dem Gen.) vs.

potok ÔBachÕ, Akk. potok (homonym mit dem Nom.). Im Tschechi-

schen setzte sich diese Differenzierung im Laufe des 16. Jahrhunderts

auch im Plural der Maskulina durch, und zwar durch eine Umverteilung

der Endungen (bei den unbelebten Maskulina wird die Akkusativendung

auch f�r den Nominativ �bernommen, vgl. potoky ÔB�cheÕ Nom. und

Akk. gegen�ber altem potoci Ð potoky, aber immer noch hadi Ð hady

ÔSchlangenÕ). Im Slovakischen tritt diese Entwicklung nicht ein, statt

dessen verbreitet sich hier im Plural die auch aus dem Polnischen und

Obersorbischen bekannte sog. Virilit�tskategorie, also die Unterschei-

dung von maskulin-pers�nlich vs. maskulin-unpers�nlich mit Hilfe eines

analogen Genitiv-Akkusativ-Synkretismus, vgl. slovak. chlapi

ÔBurschenÕ, Akk. chlapov (homonym mit Gen.) vs. orly ÔAdlerÕ, Akk.

orly (homonym mit Akk.). Spezifisch slovakisch ist die Sonderregelung

f�r einige ÓvertrauteÓ Tiere, die wie maskulin-pers�nliche Substantive

verwendet werden (vlci ÔW�lfeÕ, vt�ci ÔV�gelÕ, psi ÔHundeÕ und bùci

ÔOchsenÕ). Ð Die slovakische Entwicklung findet sich zum Teil auch im

S�dm�hrischen (vgl. B�li� 1974, 153), die tschechische im Westslova-

kischen (vgl. átolc 1994, 45).

2. Im Bereich des Numerus ist der Dual in beiden Sprachen geschwunden,

das Tschechische weist allerdings deutlich mehr Spuren der urspr�ngli-

chen Dualendungen auf (vgl. hierzu ausf�hrlich Berger 1999), also etwa

Sonderformen wie ruce ÔH�ndeÕ (slovak. regul�r ruky) oder na kolenou

Ôauf den KnienÕ (slovak. regul�r na kolen�ch). Auf die �bernahme von

Dualendungen in den Plural werde ich in Abschnitt 3.2. ausf�hrlicher

eingehen.

29

3. Im Bereich des Kasus ist lediglich auf den Verlust des Vokativs in den

meisten slovakischen Dialekten und in der slovakischen Standardsprache

hinzuweisen. Nach átolc (1994, 48f.) halten sich einige Vokativformen

auf dem gesamten Sprachgebiet, in manchen Dialekten geh�rt der Voka-

tiv auch noch fest zum Paradigma.

4. In der Deklination der Adjektive sind die urspr�nglichen nominalen

Kurzformen, die bereits im Alttschechischen �berwiegend in pr�dikativer

Funktion verwendet wurden (wie etwa in der heutigen russischen Stan-

dardsprache), weitgehend geschwunden. Im Tschechischen gilt ihre

Verwendung als Archaismus, manche Kurzformen haben sich als feste

Wendungen erhalten (etwa schopen zu schopnù Ôf�higÕ). Im Slovaki-

schen h�lt sich bei wenigen Adjektiven der Nom.Sg.mask. (etwa dlìen

zu dlìnù ÔschuldigÕ). Nur das Adjektiv r�d, rada, rado ÔgerneÕ, das nur

pr�dikativ verwendet wird zu dem es keine Langform gibt, ist in beiden

Sprachen normal im Gebrauch.

5. Eine Besonderheit des Tschechischen besteht darin, dass die Standard-

sprache (ebenso wie das s�dslavischen Sprachen Slovenisch und Serbo-

kroatisch) im Nominativ und Akkusativ Plural der Adjektive die Genus-

unterscheidung bewahrt hat. Insbesondere der Nom./Akk.Pl.neutr. auf

-� (vgl. nov� m�sto Ôneue StadtÕ mit dem Plural nov� m�sta) ist aber ein

rein standardsprachlicher Archaismus, der sich in keinem Dialekt und

auch nicht in der Umgangssprache findet (dort je nach Gegend novù

bzw. nov� m�sta) und dessen Tilgung aus der Norm schon verschie-

dentlich gefordert wurde. In den b�hmischen Dialekten fallen meist alle

drei Genera im Plural zusammen (vgl. B�li� 1974, 167), in den m�h-

rischen werden die maskulinen Formen von den �brigen unterschieden.

F�r das Slovakische ist entsprechend dem Substantiv die Opposition von

maskulin-pers�nlich und maskulin-unpers�nlich charakteristisch, im

Ostslovakischen ist aber auch dieser Unterschied beseitigt.

6. Die Deklination der Possessivadjektive auf -óv (slovak. -ov) und -in

bewahrt in manchen Kasus die alten nominalen Endungen. Im Slovaki-

schen betrifft das nur noch Nominativ und Akkusativ (otcov Ôdes VatersÕ

mit dem Genitiv otcovho und dem Datev otcovmu), in der tschechischen

30

Standardsprache auch andere Kasus (zu otcóv lautet der Genitiv otcova

und der Dativ otcovu). In den Dialekten beider Sprachen passt sich die

Deklination der Possessivadjektive weitgehend der der anderen Adjektive

an, zum Teil entstehen auch indeklinable Possessivadjektive auf -ovo/-

ino (vgl. B�li� 1974, 172f.).

Zur Variation beim Verbum, deren Ausma§ deutlich geringer ist als beim

Nomen, kann im Einzelnen folgendes ausgef�hrt werden:

7. Bei den Kategorien Person, Numerus und Genus spiegeln sich zum Teil

die Ver�nderungen, auf die schon beim Nomen hingewiesen wurde, wi-

der. Der Dual ist geschwunden (auch im Tschechischen ohne Reste), die

Unterscheidung der Genera im Plural, die f�r das Pr�teritum relevant ist,

unterliegt �hnlichen Tendenzen wie bei den Adjektiven. In der tschechi-

schen Standardsprache h�lt sich sogar noch das Neutrum (nov� m�sta

bylaÉ Ôdie neuen St�dte warenÉÕ), orthografisch werden auch belebte

Maskulina von den unbelebten Maskulina und den Feminina unterschie-

den (byli vs. byly). Wegen des Zusammenfalls von i und y in den mei-

sten Dialekten beider Sprache, ist hier ebenso wie in der slovakischen

Standardsprache weitgehend der Ausgleich zugunsten einer Form voll-

zogen. Nur archaische ostm�hrische Dialekte bewahren teilweise den

Unterschied zwischen maskulin-pers�nlich und maskulin-unpers�nlich

(vgl. B_li� 1984, 197).

8. Die im Alttschechischen noch vorhandenen synthetischen Vergangen-

heitstempora Aorist und Imperfekt sind �berall durch ein analytisches

Pr�teritum ersetzt (Vergangenheitspartizip + Pr�sens von ÔseinÕ), der Ao-

rist von bùt ÔseinÕ (alttschech. bych, by, byÉ) h�lt sich nur noch Ð in

neuer Funktion Ð im analytischen Konditional (pÞiäel bych Ôich k�meÕ).

Auch die neuen analytischen Formen neigen zur Fusion, allerdings in

relativ geringem Ausma§. Auf dem gesamten Sprachgebiet ist das Auxi-

liar in der 3.Ps.Sg. und Pl. weggefallen, in den ostb�hmischen und den

zentralm�hrischen Dialekten sowie der tschechischen Standardsprache

kann das Auxiliar der 2.Ps.Sg. (jsi) zu einem Suffix werden (pÞiäels Ôdu

31

kamstÕ aus pÞiäel jsi). Im Slovakischen fehlen solche Tendenzen, hier

werden im Gegenteil auch die Formen des Konditional analytisiert (statt

tschech. pÞiäel bych, pÞiäel bysÉ hei§t es priäiel by som, priäiel by

siÉ). Das mit der Pr�teritum des Auxiliars umschriebene Plusquamper-

fekt (byl jsem pÞiäel) hat sich in der tschechischen Standardsprache bis

ins fr�he 20. Jahrhundert gehalten, ist heute aber fast verschwunden.

Das imperfektive Futur ist seit dem Alttschechischen unver�ndert.

9. Hinsichtlich der Kategorien des Modus und des Aspekts ist keine we-

sentliche Variation zu beobachten, wenn man davon absieht, dass die

konsequente Durchsetzung des Aspekts, einer relativ jungen grammati-

schen Kategorie, von der alttschechischen Zeit bis heute allm�hlich zu-

genommen hat.

10. Anders als in den meisten anderen slavischen Sprachen hat sich im

Tschechischen relativ sp�t (laut Lamprecht et al. 1986, 246) und wohl

unter lateinischem und deutschen Einfluss ein einheitliches analytisches

Passiv herausgebildet, das mit dem Partizip Pr�teritum Passiv und dem

Auxiliar ÔseinÕ umschrieben wird (je chv�len Ôer wird gelobtÕ vs. byl

chv�len Ôer wurde gelobtÕ). Dieses Passiv kommt, allerdings relativ sel-

ten, auch in den Dialekten vor, ebenso in der slovakischen Standardspra-

che. Die Unterscheidung zwischen Zustands- und Vorgangspassiv wird

zum Teil mit Hilfe der Opposition von Kurz- und Langformen markiert,

dies ist aber ein rein schriftsprachliches Ph�nomen.

11. Aus den nominalen Kurzformen des Partizips Pr�sens Aktiv und Pr�te-

ritum Aktiv haben sich schon in alttschechischer Zeit Gerundien entwi-

ckelt, die urspr�nglich noch nach Genera und Numerus unterschieden

waren (vgl. zp�vaje ÔsingendÕ mask.Sg., zp�vaj�c fem. und neutr.Sg.,

zp�vaj�ce Pl.). Obwohl diese Differenzierung im fr�hen Neutschechi-

schen allm�hlich verloren gegangen war, wurde sie in der Zeit der Na-

tionalen Wiedergeburt wieder eingef�hrt und ist bis heute Bestandteil der

schriftsprachlichen Norm. In den Dialekten, in denen die Gerundien oh-

nehin nur in festen Wendungen erhalten sind, und in der slovakischen

Standardsprache gibt es hingegen nur eine Form (slovak. spievaj�c).

32

Zur tats�chlichen Verwendung der Gerundien sei auf Abschnitt 4.1.

verwiesen.

Die Variation in der Wortbildung ist wenig untersucht. Es kann davon aus-

gegangen werden, dass der heutige Zustand (�berwiegen suffigaler und

pr�figaler Derivation, in geringem Umfang auch Nullsuffigierung, Kompo-

sition und Akronymbildung) auch in �lteren Sprachstufen vorgelegen hat.

Die Univerbierung analytischer Verbindungen ist m�glicherweise eine eher

neue Erscheinung, k�nnte allerdings wegen ihrer starken Bindung an die

gesprochene Sprache auch in �lteren Sprachstufen schon existiert haben.

1.2. Regionale Variation des Tschechischen

Angesichts der sehr archaischen morphologischen Systems der tschechi-

schen Standardsprache �berrascht nicht weiter, dass die tschechischen Dia-

lekte zum Teil erhebliche morphologische Neuerungen aufweisen, zum Teil

auch solche, die nicht in das oben skizzierte Ost-West-Schema passen. Die

Vielfalt der Deklinationsparadigmen wird abgebaut, wobei ich mich auf eini-

ge charakteristische Beispiele beschr�nken m�chte: Im Instrumental Plural

setzt sich fast auf dem gesamten Gebiet die alte Dualendung -ma durch, der

nicht nur der archaische Instr.Pl. der Maskulina und Neutra auf -y zum Op-

fer f�llt, sondern auch die feminine Endung -mi. Im Schlesischen und Ost-

m�hrischen bleibt -mi erhalten, dehnt sich aber auf Maskulina und Neutra

aus. Alternationen werden zum Teil abgebaut, manchmal durch �bernahme

von Endungen aus anderen Paradigmen: Im Lok.Pl. der Maskulina und

Neutra mit velarem Stammkonsonanten setzt sich so die feminine Endung

-�ch durch (vgl. zu bal�k ÔPaketÕ, Lok.Pl. o bal�k�ch statt des �lteren o

bal�c�ch). In s�db�hmischen Dialekten finden wir auch eine Tendenz zur

Reduktion der Kasus im Plural, die an das S�dslavische erinnert, hier ersetzt

oft der Lokativ den alten Genitiv (Gen.Pl. zem�ch statt standardsprachl.

zem�, analog zum Lok.Pl. zem�ch).

Aus dem Bereich der nominalen Kategorien ist zu erw�hnen, dass es in einer

Reihe b�hmischer und m�hrischer Dialekte die Tendenz gibt, den Akk.Pl.

der belebten Maskulina durch den Nom.Pl. zu ersetzen (vid�m voj�ci Ôich

33

sehe die SoldatenÕ statt vid�m voj�ky). Mit dieser Neuerung, die sich unter

dem Druck der Standardsprache allerdings nirgends wirklich durchgesetzt

hat, ginge die Kategorie der Belebtheit im Plural verloren, gleichzeitig ent-

st�nde aber ein neues Deklinationsparadigma.

Die regionale Variation beim Verbum ist viel geringer. Neben Ausgleichser-

scheinungen im Pr�sensparadigma, die die Anzahl der Verbklassen deutlich

reduzieren, ist lediglich ein auf schlesische Dialekte begrenztes Ph�nomen

von Interesse (vgl. dazu B_li� 1974, 197), wo das Auxiliar im Pr�teritum

durch alte Aoristformen beeinflusst wird (statt psal jsem Ôich schriebÕ finden

wir piso¸ch mit der alten Aoristendung -ch). Dieses Ph�nomen, das auch mit

einer starken Synthetisierung des Pr�teritums einhergeht, erinnert an �hnli-

che Ph�nomene in s�dpolnischen Dialekten.

3.3. Regionale Variation des Slovakischen

Die regionale Variation der slovakischen Dialekte im Bereich der Morpholo-

gie beschr�nkt sich nahezu g�nzlich auf die formalen Ausdrucksmittel (vgl.

átolc 1994, 42). Alle wesentlichen Ph�nomene wurden schon in Abschnitt

3.1. bei der historischen Variation behandelt.

3.4. Soziale Variation des Tschechischen und Slovakischen

Die tschechische Umgangssprache steht in den Ausgleichserscheinungen der

Morphologie den Dialekten nahe. Dies gilt sowohl f�r die Vielfalt der En-

dungen und Paradigmen, in geringerem Ma§e auch f�r die grammatischen

Kategorien (Zusammenfall der Genera im Plural). Betont regionale Tenden-

zen (wie etwa der Zusammenfall von Lokativ und Genitiv im Plural) und

schwerwiegendere Ver�nderungen der grammatischen Kategorien dringen

hingegen nicht in das Gemeintschechische vor. Ð Zur sozialen Variation des

Slovakischen liegen keine Forschungen vor, wegen der relativen Einheit-

lichkeit der Umgangssprache und der Dialekte ist hier auch wenig zu erwar-

ten.

34

4. Syntaktische Variation

4.1. Historische Variation

Die historische Syntax des Tschechischen ist zwar relativ gut untersucht

(vgl. Tr�vn��ek 1961, die entsprechenden Kapitel von Lamprecht et al. 1986

sowie eine Reihe von Einzelstudien), die vorliegenden Arbeiten konzentrie-

ren sich allerdings weitgehend auf die Entwicklung von Satztypen und von

Nebens�tzen. Zum ersten Bereich ist darauf zu verweisen, dass die Nomi-

nals�tze, aber auch subjektlose S�tze im Laufe der historischen Entwicklung

an Bedeutung verloren haben, im zweiten Bereich geht es um Entwick-

lungstendenzen, die aus einer Vielzahl europ�ischer Sprachen bekannt sind.

Bei dieser Art der Beschreibung tritt in den Hintergrund, dass sich das

Tschechische (und Slovakische) vom urspr�nglichen slavischen Typus, in

dem S�tze mit einem Subjekt im Nominativ nur einen von mehreren m�gli-

chen Typen darstellten, weit wegbewegt haben. In diesem Zusammenhang

ist auch darauf zu verweisen, dass negative Existenzs�tze heute nominati-

visch konstruiert werden (vgl. nen� v�no Ôes gibt keinen WeinÕ), w�hrend sie

in �lteren Sprachstufen noch, wie etwa heute im Russischen oder Polnisch,

genitivsch konstruiert wurden (vgl. alttschech. nen� v�na).

Im Bereich der Satzglieder haben sich vor allem durch den Abbau des sog.

Genitivs des Verneinung Ver�nderungen ergeben, die Hausenblas (1958)

ausf�hrlich untersucht hat. Weniger bekannt ist �ber die Verwendung des

pr�dikativen Instrumentals, der heute noch gebraucht wird, aber zum Teil

unter komplexen Bedingungen.

Die alttschechische Wortstellung ist nur unzureichend untersucht, meist wird

nur die Stellung der Enklitika behandelt (vgl. Tr�vn��ek 1961, 149ff.) und

allgemein auf freiere Stellungsm�glichkeiten hingewiesen (vor allem bei der

Negation). Die f�r das Tschechische der Barockzeit typische Rahmenkon-

struktion, bei der aber anders als im Deutschen das Auxiliar in Haupt- und in

Nebens�tzen an zweiter und das Hauptverb in finaler Position steht, wird

zumeist als Folge lateinischen Einflusses (vgl. hierzu Lamprecht et al. 1986,

371f., Vintr 2001, 217) betrachtet und ist bisher nicht n�her untersucht wor-

den.

35

Die Bedeutung von Partizipial- und Gerundiumskonstruktionen hat im Laufe

der Sprachgeschichte deutlich abgenommen. Nebens�tze spielen eine deut-

lich wichtigere Rolle als etwa im Russischen. Nach einer Wiederbelebung

der Gerundien zur Zeit der Nationalen Wiedergeburt ist ihre Verwendung im

Laufe des 20. Jahrhunderts so stark zur�ckgegangen, dass sie heute fast

schon als bewusster Archaismus angesehen werden kann.

Ein spezielles Kapitel stellen die Infinitivkonstruktionen dar, die n�mlich im

Tschechischen nie den aus anderen europ�ischen Sprachen bekannten Stel-

lenwert erlangt haben. Der Accusativus cum infinitivo wurde zwar h�ufig

nachgeahmt, ist aber nie heimisch geworden, heute besteht sogar (Grepl).

Auf der anderen Seite kann der Infinitiv zum Teil einen konditionalen Ne-

bensatz ersetzen (bùt tebouÉ Ôwenn ich du w�reÉÕ), was wiederum aus

anderen slavischen Sprachen nicht bekannt ist.

Das Slovakische unterscheidet sich in syntaktischer Hinsicht kaum vom

Tschechischen und hat vermutlich alle Entwicklungen, die in diesem zu be-

obachten sind, in �hnlicher Weise durchgemacht. Als Unterschied w�re

h�chstens die Bewahrung einer �lteren modalen Konstruktion mit dem Ver-

bum ÔseinÕ + Infinitiv zu erw�hnen (vgl. bylo �sé Ôman musste gehenÕ), die

es im Tschechischen so nicht mehr gibt.

Sowohl die Tendenz zur Durchsetzung von Nominativs�tzen wie auch die

zum Abbau von Partizipial-, Infinitiv- und Gerundialkonstruktionen zu Gun-

sten von Nebens�tzen k�nnen als Indiz f�r eine Entwicklung des Tschechi-

schen und Slovakischen hin zu einem eher analytischen westlichen

Sprachtypus angesehen werden.

4.2. Regionale Variation

Die Dialektsyntax wird zwar in einer Reihe von Arbeiten beschrieben, letzt-

lich beschr�nken sich die Unterschiede zur Standardsprache aber meistens

darauf, dass in Dialekten �ltere Verh�ltnisse bewahrt sind (also beispielswei-

se mehr Satztypen ohne Nominativ) oder die Nebens�tze mit anderen Kon-

junktionen konstruiert werden. Bemerkenswert ist allenfalls die Tendenz

mancher tschechischer Dialekte zum Abbau von Kongruenz in Existenzs�t-

zen, etwa wenn das Verbum neutral kongruiert, obwohl ein Maskulinum

36

oder Femininum damit verbunden ist, wie etwa in bilo konec Ôes war ein

EndeÕ (vgl. B�li� 1974, 205). In m�hrischen Dialekten ist ferner als Ar-

chaismus die Kongruenz von Nomina, die �ltere Verwandte oder hochge-

stellte Personen bezeichnen, mit einer Pluralform des Verbs zu beobachten,

etwa babi�ka pÞiäli, w�rtl. ÔGro§mutter sind gekommenÕ (vgl. B�li� 1974,

205, und Berger 1996). Letzteres Ph�nomen ist auch im Slovakischen be-

legt, wird aber beispielsweise auf den zwei (!) Druckseiten, die átolc (1994,

58f.) der Syntax der slovakischen Dialekte widmet, nicht erw�hnt.

4.3. Soziale Variation

Die Syntax der tschechischen und der slovakischen Umgangssprache unter-

scheidet sich zwar in mancherlei Hinsicht von der der Standardsprache, doch

geht es ausschlie§lich um solche Merkmale, die generell f�r gesprochene

Sprache charakteristisch sind. Von einer Variation innerhalb des Sprachge-

biets kann nicht die Rede sein.

5. Tendenzen und Auspr�gungen

Tschechisch und Slovakisch sind grunds�tzlich dem flektierenden Sprachty-

pus zuzurechnen, mit agglutinierenden Tendenzen in der Wortbildung und

einer syntaktischen Entwicklung hin zur Nominativsprache und zum analyti-

schen Ausdruck von syntaktischen Einbettung. Innerhalb des Sprachgebiets

kann eine Variation von Westen nach Osten beobachtet werden, die vom

Tschechischen, das von anderen slavischen Sprachen besonders stark ab-

weicht, in Richtung auf andere slavische Sprachen weist. Das Slovakische

kann so als Zwischenstufe in Richtung auf das Ostslavische gesehen wer-

den, die schlesischen Dialekte des Tschechischen und das Ostslovakische

stehen hingegen eher dem Polnischen nahe. Die regionale und soziale Varia-

tion innerhalb beider Gebiete sind eher schwach, wenn man davon absieht,

dass die tschechischen Dialekte nicht die morphologischen Archaismen der

Standardsprache teilen.

37

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