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Als Plattform für einen Austausch mit Politikerinnen und Politikern versteht sich der Berner Jugend- Grossrat-Tag (BJGT). Während eines Nachmittags haben Jugend- liche zwischen 15 und 20 Jahren aus dem Kanton Bern die Möglich- keit, mit Grossratsmitgliedern über jugendnahe Themen zu diskutie- ren. Doch was bringt ein Nach- mittag? Konkrete Resultate liefert diese Veranstaltung in der Regel nicht. Eine Ausnahme waren hier dieses Jahr einige Gruppen im Be- reich Energiepolitik (siehe Seite 6). In je gerade mal 100 Sekunden wer- den im Abschlussplenum die Ergeb- nisse der Diskussionen vorgetragen. Die Diskutierenden sind engagierte Jugendliche, von denen die meis- ten aus Interesse an Politik diesen Anlass besuchen, manche gehen auch mit der Schule hin. 92 Teil- nehmerinnen und Teilnehmer zählte der Jugend-Grossrat-Tag dieses Jahr. Das sind fast 60 weniger als 2009. Es ist eine kleine Gruppe, welche die fast 83‘000 Jugendlichen im Kan- ton Bern repräsentieren soll - selbst Politique grandeur nature Ratlos im Rathaus? Während einem Nachmittag fungieren im Rathaus die Grossräte als Pfadileiter und die Jugendlichen als Wölfli. Ob dieser Anlass mehr als nur ein Schnuppernachmittag mit einer kleinen Poli- tikübung ist, oder doch konkrete Konsequenzen hat, ist diskutierbar. Text: Eva Hirschi | Foto: Matthias Käser wenn zur geringeren Resonanz bei- getragen haben dürfte, dass die Organisatoren weniger Werbung gemacht und das Mindestalter um ein Jahr hinaufgesetzt haben. Über den nachhaltigen Effekt des BJGT kann diskutiert werden. Vielleicht sollte die Veranstaltung eher als einen ersten Einstieg in die Politik, eine Art Schnuppernachmittag wie bei der Pfadi angesehen werden, wo sich Menschen in kleinem Rahmen austauschen. Ob die Jugendlichen tatsächlich dazu motiviert werden, sich in der Politik zu engagieren, ist weder sicher, noch ein erklärtes Ziel des BJGT. Ein kleiner Schritt für den Grossrat, aber auch ein kleiner Schritt für die Jugendlichen, möch- te man da sagen. Besser als ste- hen bleiben, sollte man hinzufügen. Die Pfadi der Politik 10. Berner Jugend-Grossrat-Tag 10 ème Journée Bernoise de la jeunesse au Grand Conseil ( (

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Berner Jugend-Grossrat-Tag 12

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Als Plattform für einen Austausch mit Politikerinnen und Politikern versteht sich der Berner Jugend-Grossrat-Tag (BJGT). Während eines Nachmittags haben Jugend-liche zwischen 15 und 20 Jahren aus dem Kanton Bern die Möglich-keit, mit Grossratsmitgliedern über jugendnahe Themen zu diskutie-ren. Doch was bringt ein Nach-mittag? Konkrete Resultate liefert diese Veranstaltung in der Regel nicht. Eine Ausnahme waren hier dieses Jahr einige Gruppen im Be-reich Energiepolitik (siehe Seite 6).

In je gerade mal 100 Sekunden wer-den im Abschlussplenum die Ergeb-nisse der Diskussionen vorgetragen. Die Diskutierenden sind engagierte Jugendliche, von denen die meis-ten aus Interesse an Politik diesen Anlass besuchen, manche gehen auch mit der Schule hin. 92 Teil-nehmerinnen und Teilnehmer zählte der Jugend-Grossrat-Tag dieses Jahr.

Das sind fast 60 weniger als 2009. Es ist eine kleine Gruppe, welche die fast 83‘000 Jugendlichen im Kan-ton Bern repräsentieren soll - selbst

Politique grandeur nature

Ratlos im Rathaus? Während einem Nachmittag fungieren im Rathaus die Grossräte als Pfadileiter und die Jugendlichen als Wölfli. Ob dieser Anlass mehr als nur ein Schnuppernachmittag mit einer kleinen Poli-tikübung ist, oder doch konkrete Konsequenzen hat, ist diskutierbar. Text: Eva Hirschi | Foto: Matthias Käser

wenn zur geringeren Resonanz bei-getragen haben dürfte, dass die Organisatoren weniger Werbung gemacht und das Mindestalter um ein Jahr hinaufgesetzt haben. Über den nachhaltigen Effekt des BJGT kann diskutiert werden. Vielleicht sollte die Veranstaltung eher als einen ersten Einstieg in die Politik, eine Art Schnuppernachmittag wie bei der Pfadi angesehen werden, wo sich Menschen in kleinem Rahmen austauschen. Ob die Jugendlichen tatsächlich dazu motiviert werden, sich in der Politik zu engagieren, ist weder sicher, noch ein erklärtes Ziel des BJGT. Ein kleiner Schritt für den Grossrat, aber auch ein kleiner Schritt für die Jugendlichen, möch-te man da sagen. Besser als ste-hen bleiben, sollte man hinzufügen.

Die Pfadi der Politik

10. Berner Jugend-Grossrat-Tag 10ème Journée Bernoise de la jeunesse au Grand Conseil

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Herr Bauen, in der Gesprächs-gruppe «Energiepolitik 2» wurde intensiv über die Abschaltung des Atomkraftwerks Mühleberg dis-kutiert. Wann ist es soweit?Das Urteil des Bundesverfassungs-gerichts sagt, bis 2013. Die BKW meint, bis spätestens 2022. Ich persönlich bin überzeugt, dass die Abschaltung bis 2013 erfolgen wird.

Wie stellen Sie sich eine Abschal-tung konkret vor?Das Wichtigste war sicher einmal der Entscheid des Bundesrates und des Nationalrates, bis 2035 aus der Atomkraft auszusteigen. Jetzt ist der entscheidende Schritt die konsequente Umsetzung des Aus-stiegsszenarios. Das bedeutet eben vor allem auch, Geld in die Finger nehmen und die Strategie des Bun-desrates zielstrebig zu verfolgen.

Die Abschaltung von Atomkraft-werken bis 2035 wird aber von mehreren Seiten kritisiert: Die BKW ziehen das Gerichtsurteil weiter, manche Parteien spre-chen von möglichen Stromlücken.Für diese Widerstände gibt es zwei Gründe. Erstens ist es ein Ideologie-wechsel. Man muss sich vorstellen,

«Saubere Energie gibt es nicht»Antonio Bauen, Grossrat der Grünen Partei, im Gespräch mit Tink.ch über die Energieversorgung der Zukunft. Der Unternehmer plädiert für eine dezentrale Energieversorgung.Interview: Michael Scheurer | Foto: Matthias Käser

dass diese Leute mindestens 20 Jahre mit vollem Engagement auf Atomtechnologie gesetzt haben. Und nun soll sich alles auf einmal ändern. Das ist nicht ganz einfach. Zweitens stehen auch finanzielle Interessen der BKW dahinter, ihr AKW möglichst lange zu betreiben.

Sie führen ein Unternehmen für Energie- und Umweltberatung, das Mitglied bei Swiss Cleantech ist. Klar, dass Sie sich für die Aufhebung des KEV-Deckels* ein-setzen, oder?(lacht) Jeder Bäcker hat natürlich ein Interesse daran, dass die Leute Hunger haben. Einen entscheiden-den Vorteil sehe ich trotzdem im Umstieg auf Cleantech: Es gibt mehr Arbeitsplätze. Vor allem ist wich-tig, dass diese Arbeitsplätze in der Region sind und bleiben. Denn die Schweiz besitzt eigenes Knowhow im Bereich der Solar- und Windtech-nologie. Damit sind die Forschung, der Bau sowie die Produktion selbst gemeint.

Mehr Arbeitsplätze, dezentrale Energieversorgung. Eine zentra-le Energieversorgung wäre doch effizienter und kostengünstiger?Sehr wahrscheinlich wird die Ener-gie mit einem dezentralen System etwas teurer werden, ja. Ich sehe aber auch Vorteile: Die Elektrizität muss nicht mehr vom Zentrum in die Peripherie verteilt werden. Das bedeutet auch, dass nicht alles still-steht, wenn einmal ein Grosskraft-werk abgeschaltet werden muss.

Als die AKW in der Schweiz ge-baut wurden, glaubte man fest an die Zukunft dieser „sauberen“

Energie. Heute sind wir mit den negativen Folgen wie Fukushima konfrontiert. Irren wir uns auch bei den neuen erneuerbaren Ener-gietechnologien?Die Wahrheit von heute ist oft der Irrtum von morgen. Aber nehmen, wir zum Beispiel Solarzellen. Die-se können, im Gegensatz zu einem AKW, vollständig rückgebaut wer-den. Es gibt Firmen, die sich auf den Rückbau von Solarzellen spezialisiert haben. Aber auch da gilt: Eine Rück-gewinnung geht leider nie zu 100 Prozent.

Die saubere Energie der Zukunft gibt es also gar nicht?Nein. Oder doch: die gesparte Ener-gie!

*Die kostendeckende Einspeisevergütung

(KEV) ist ein Förderinstrument für die Strom-

produktion aus erneuerbaren Energien. Die

verfügbare Geldsumme ist allerdings auf 247

Millionen SFr. pro Jahr beschränkt. In der

Politik wird dabei oft vom sogenannten KEV-

Deckel gesprochen.

interview

Antonio Bauen, geboren 1958, wohnhaft in Münsingen, sitzt seit dem 1. Juli 2010 für die Grüne Partei im Grossrat des Kantons Bern. Der studierte Maschinen-ingenieur HTL führt ein eigenes kleines Unternehmen für Umwelt-beratung (Consaba GmbH Bern).

zur Person

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Lieber Herr PulverNach intensiven Diskussionen am Nachmittag brachten Rednerinnen und Redner die Resultate im Plenum auf den Punkt. Hier die wichtigsten Statements aus den insgesamt neun deutschsprachigen und zwei französischsprachigen Gruppen. / Après les débats de l’après-midi, les représentants de chaque groupe ont présenté les conclusions des jeunes lors de la séance plénière. Voici les recommandations exposées. Text/Texte: Céline Graf & Juliette Ivanez | Foto/Photo: Matthias Käser

rapport

Verbote

Energiepolitik / Politique énergétique

- Nicht nur Jugendliche begehe Straftaten

- Verbote müssen auch durch-gesetzt werden

- La sortie du nucléaire doit être envisagée avec prudence : il faut d’abord trouver des alter-natives crédibles qui protègent réellement les milieux naturels

- On pourrait aussi investir pour une énergie nucléaire mieux encadrée et plus sécurisée

- Eine Erhöhung der Stromprei-se ist nötig

- Um die Konsumenten bes-ser zu informieren über das Stromsparen, will eine Grup-pe Massnahmen ausarbeiten

- Appell an Eigenverantwortung, flächendeckendere Information- Vorschlag des Bundesrats

(Ausstieg 2035) ist realistisch

- Mehr in Forschung und Bildung investieren, Interesse an Umweltberufen erhöhen. Eine Gruppe will als Anstoss für den Lehrplan 21 einen Brief an Bernhard Puvler verfassen

- Der Atomausstieg funk-tioniert nur über eine Dop-pelstrategie mit Energie-sparen und der Förderung von erneuerbaren Energien

- Optimiser les flux de main-d’oeuvre pour accueillir des travailleurs étrangers tout en conservant les emplois des ci-toyens suisses

- Multikulturalität soll bereits in der Unterstufe mehr gewichtet werden

- Kommunikation wirkt Vorur-teilen auf beiden Seiten entge-gen

- Sprachkurse

- Diplome aus anderen Ländern sollen anerkannt werden

- Über die Umsetzung der Aus-schaffungsinitiative herrscht Diskussionsbedarf

- Aus Erfahrung der Gruppen-mitglieder funktioniert die Inte-gration in der Schule gut

- Bezüglich Arbeitssituation und Kriminalität müssen Vorurteile abgebaut werden gegenüber Jugendlichen ausländischer Herkunft

- Staatskundeunterricht als wichtiger Faktor für Integration

- Schüler, Lehrpersonen und El-tern sollen am gleichen Strick ziehen und niemanden auf- grund seiner Nationalität be-nachteiligen

- Réduire les délais d’attente lors de la procédure d’asile

Ausländerfragen / Etrangers

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... einen Brief an den kanto-nalen Bildungsdirektor Bern-hard Pulver...

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«Merci fürs Zuelose»Tanja Mitric aus Thun hat drei Pässe, viel Selbstbewusstsein und einen Berufswunsch, der nur indirekt mit Politik zu tun hat. Am Berner Jugend-Grossrat-Tag war sie dieses Jahr das erste, nicht aber das letzte Mal. Im Rathaus vertrat sie einen Standpunkt, den sie selbst lebt: Offenheit gegenüber anderen Kulturen.Text und Foto: Elias Rüegsegger

porträt

Tanja Mitric will am Jugend-Gross-rat-Tag «mal etwas sagen können». Natürlich, so die 17-jährige Gymna-siastin, sei sie heute mit gewis sen Erwartungen nach Bern ge reist. Sie weiss zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie später vor versammel-tem Plenum eine Rede halten wird.

Weihnachten am 7. JanuarWie ihr Name bereits vermuten lässt, Tanja hat eine zweite Heimat. 1990 sind ihre Eltern aus Bosnien in die Schweiz gekommen. Zuerst nur die Mutter, deren Schwester ihr in der Schweiz eine Arbeitsstelle be-sorgt hatte. Zwei Jahre später brach in Bosnien der Krieg aus. 1994 floh auch der Vater in die Schweiz, eben in dem Jahr, als Tanja zur Welt kam.

Eigentlich wollte Tanjas Mutter hier nur Geld verdienen und rasch wieder in die Heimat zurückkehren. Die Familie Mitric wohnt aber bis heute in Krattigen ob Spiez. Tanja be-sitzt seit 2006, zusätzlich zum Bos-nischen und Serbischen Pass, das Schweizer Bürgerrecht. Zu Hause

ist sie in all diesen Ländern. In der bosnischen Stadt Zvornik leben viele von Tanjas Verwandten. Die Familie gehört den Serbisch Orthodoxen an, einer der drei grössten Kon-fessionsgruppen in Bosnien, neben den Muslimen und den katholischen Kroaten. Der Glaube ist Tanja wich-tig, sie pflegt ihn nicht nur an Weih-nachten, welche die Orthodoxen am 7. Januar feiern. Regelmässig geht sie nach Belp in die serbisch-ortho-doxe Kirche. «Aber das Gleiche wie in Bosnien ist es nicht», findet sie.

Früher kleine Unsicherheiten«Ich hatte nie das Gefühl, ich sei in der Schweiz nicht willkommen», sagt Tanja. Kollegen seien er-staunt, wenn sie ihnen sage, ihre Muttersprache sei nicht Schwei-zerdeutsch. Tatsächlich spricht Tanja perfekt Dialekt. Was wird also von ihrer Herkunft als erstes wahrgenommen? «Das ‚–ic‘ im Na-men! Mein Lehrer sagte zu mei-nen Eltern in der Unterstufe, ich könnte wegen diesen zwei Buch-staben Schwierigkeiten bekommen.»

Ihre Kindheit sei geprägt gewesen von kleinen Unsicherheiten. Sie sei selten bei den Nachbarskindern spielen gegangen. Auch Über-nachten bei Freunden sei lange kein Thema gewesen. «Meine Eltern hat-ten Angst, dass ich bei den anderen Kindern schlecht ankommen würde.» Das war zu der Zeit, als Tanja den Schweizer Pass noch nicht hatte. Heute nervt sie sich manchmal et-was, wenn ihre Eltern nicht immer in den Kontakt mit Menschen ohne «–ic» im Namen kommen wollen. Tanja geht ins Gymnasium Schadau in Thun, wo sie viele Freunde hat. «Ich fühle mich wohl und akzeptiert.»

Am BJGT meist auf AugenhöheTanja sitzt mit fünf anderen Jugendli-chen in einem Zimmer in der Nähe des Berner Rathauses. Nein, Angst davor, ihre Meinung kundzutun, hat sie nicht, auch wenn das Thema ein heisses Eisen ist: Ausländerfra-gen. Als die Grossräte Ueli Spring (BDP), Daniel Steiner (EVP) und Christian Hadorn (SVP) zur Gruppe stossen, wird das Gespräch ein-

Tink.ch Sandstrasse 5 3302 Moosseedorf +41 31 850 10 91 [email protected]

imPressum

Bilder/PhotosMatthias Käser

Layout/MaquetteJuliette Ivanez

Ausgabe/EditionNummer/Numéro 359. April/9 avril 2012

Druck/ImpressionTink.chPassepartout.ch

Redaktion/RédactionCéline Graf & Juliette Ivanez (Leitung)Andrea GrossenbacherEva HirschiElias RüegseggerCéline RüttimannMichael Scheurer

Partner/PartenairesArbeitsgemeinschaft Berner JugendverbändeBerner JugendparlamenteDachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) Kantonale Jugendkommission (KJK)

Auflage/Tirage400 Exemplare/exemplaires

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IllustrationKatharina Good

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Tanja Mitric aus Thun hat drei Pässe, viel Selbstbewusstsein und einen Berufswunsch, der nur indirekt mit Politik zu tun hat. Am Berner Jugend-Grossrat-Tag war sie dieses Jahr das erste, nicht aber das letzte Mal. Im Rathaus vertrat sie einen Standpunkt, den sie selbst lebt: Offenheit gegenüber anderen Kulturen.Text und Foto: Elias Rüegsegger

seitig. Die Jungen unterbrechen die Politiker manchmal kurz in ihren Mo-nologen. Auch die Gesprächsleitung versucht, die Jungen einzubinden. Auch Tanja traut sich nicht, den Räten ins Wort zu fallen, sind diese doch im rhetorischen Um-gang versierter. Sie hat nun aber keinen schlechten Eindruck von den Politikern und bilanziert stattdes-sen: «Wir haben mehr oder we-niger auf Augenhöhe diskutiert.»Auf Augenhöhe ist sie tatsächlich mit den meisten, denn einen Meter 80 misst nicht gerade jede Frau.

Heimliches HighlightTanja steht vor dem Sitzungszim-mer, drückt ein Blatt Papier an die Wand und kritzelt etwas darauf. Ihre braunen Augen schauen konzen-triert in die Luft. Sie setzt den Stift wieder an und tüftelt an ihrem Statement, das sie in wenigen Mi-nuten im Ratssaal abgeben wird. «Nein, ich bin nicht aufgeregt», ver-sichert sie. Lieber spricht sie über die Gesprächsrunde mit den Gross-räten kurz zuvor. Während sie zum Ratssaal eilt, verrät sie, dass ihr einer der Politiker schon etwas ge-nervt habe. Er habe «sehr viel und nicht nur Gutes» von sich gegeben. Es ist 16:45 Uhr. Eigentlich hätte die Plenumsrunde im Ratssaal be-reits eröffnet werden sollen. Der Grossratspräsident Beat Giauque (FDP) wartet, bis sich alle hin-gesetzt haben. Tanja nutzt diese Minuten und eilt zur Übersetzerin. Aus deren Kabine über der Pres-setribüne ist das Geschehen im Saal durch eine Glasscheibe zu

beobachten. Tanja holt sich die Kontaktdaten der Dolmetscherin – dieser Beruf interessiert sie. «Das war für mich ein heimliches High-light des Tages», sagt sie lachend.

Vor dem MikrophonDann spricht Tanja ins wichtigste Mikrophon des Kantons. Ihre Rede dreht sich um die zuvor diskutierten Themen. Zur Sprache kommt auch die Idee, dass der Kulturunter-richt in der Schule mehr Gewicht erhalten sollte. So kämen Kinder früh mit Fremdem in Kontakt, um nicht eine Angst davor zu entwi-ckeln. Nach 100 Sekunden am Ende der Minirede ist Tanja kurz

und das einzige Mal an diesem Tag etwas verlegen. Rasch schliesst sie mit den Worten: «Merci fürs Zuelose». Die Grossratsmitglieder und die Jugendlichen applaudieren.

Die Älteren hören am BJGT für ein-mal den Jüngeren zu, doch auch die Politiker dürfen kurze Statements ab-geben. «Die Stimme der Jungen ist uns wichtig», versichert der Regie-rungsrat Christoph Neuhaus (SVP). «Je länger die Reden dauerten, desto mehr dachte ich, das wäre nichts für mich», sagt Tanja später. Ihr Brot werde sie wohl nicht als Poli-tikerin verdienen. Eigentlich schade.

porträt 5

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Die Schere zwischen Alltag und PolitikBesuch in der Gruppe «Ausländerfragen 4». Im Verlauf des Tages wird klar: Es gelingt den Jugendlichen nicht ganz, ihre realitätsnahe und alltagsbezogene Argumentation in politisch umsetzbare Forderungen zu fassen. Interessante Ideen tauchen aber viele auf.Andrea Grossenbacher

Nach einer Vorstellungsrunde – Name, Herkunft und Motivation für die Themenwahl – versucht Yannick Scheidegger, Jugendrat von Lyss, seine Gruppe aus der Reserve zu locken. Der junge Gesprächslei-ter wirft das erste Thema «einfach so», wie er anmerkt, in die Run-de: Integration durch Sprache. Die Jugendlichen mit Wurzeln in Sri Lanka, Deutschland, Kroatien, Italien, Österreich, Ungarn und in der Schweiz beginnen zu erzählen. Etwa von der Isolation, die durch fehlenden Austausch mit Schwei-zerinnen und Schweizern entstehe.

Doch bald lenkt Yannick das Ge-spräch in eine andere Richtung: die Rolle der vier Landessprachen. Die Forderung nach Mehrsprachigkeit in öffentlichen Ämtern wird laut. Mehr-sprachigkeit geht in den Augen der Jugendlichen über die Beherrschung mehrerer Landessprachen hinaus. Eine junge Frau spricht aus Erfah-rung: Zum Beispiel sei es von Vorteil, dass sie als Lernende in der Steuer-verwaltung Telefongespräche auch auf Kroatisch führen und so mög-lichen Fehlern beim Ausfüllen der Steuererklärung vorbeugen könne.

«Ausländerfragen» im AlltagEs dauert nicht lange, bis die Mina-rettinitiative angesprochen wird. Ein Statement lautet: «Solche Initiativen gefährden unseren Rechtsstaat». Das Bauverbot von katholischen Kir-chen im reformierten Bern sei doch auch undenkbar. Der Vergleich eines Minaretts mit einer Kirche mag zwar problematisch anmuten, der Gedanke wurzelt aber in einem gesunden Sinn für Gerechtigkeit.

Mit der Aussage macht die junge Katholikin einen spannenden Ver-gleich, frei nach dem Motto: «Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.»

Ein weiterer Punkt wird besprochen: Integration durch Arbeit. «Wie sol-len wir uns integrieren, wenn wir aufgrund unseres Namens keine Lehrstellen kriegen?», fragt eine Schülerin. Bald wird klar, dass die jungen Menschen in diesem Saal fast ausschliesslich aus persön-licher Erfahrung sprechen. Alle haben die politisch debattierten «Ausländerfragen» in ihrem Alltag von klein auf erlebt, in der Schule ihres Wohnorts, bei der Lehrstellen-suche, in Freundschaften und Familie.

Forderung an die MedienDas Gespräch kommt in Gang und die Jugendlichen trauen sich häu-figer, ihre Meinung kundzutun. Die Co-Leiterin Carolin Demeny hält sich währenddessen im Hinter-grund, hört zu und fragt nach. Sie erinnert die Gruppe an das Ziel dieses ersten Programmteils: das Erarbeiten von Statements für die zweite Gesprächsrunde mit den Grossrätinnen und Grossräten.

«Das Problem sind nicht wir Jugend-liche», meint Yannick, «sondern die Erwachsenen». Damit schlägt er eine Brücke zur Frage nach dem Zusammenleben verschiedener Kulturen und der Bedeutung, die der Schule dabei zukommt. Erzäh-lungen von schlechten Erfahrungen mit diskriminierenden Lehrern (aus der Sicht der Schülerinnen) und in-toleranten Eltern (aus der Sicht der

ehemaligen Lehrerin Carolin) domi-nieren die Diskussion. «Nationale Feiertage könnten durch öffentli-che Kundgebungen bekannter wer-den», schlägt Jugendrat Yannick eine Massnahme vor. Die Gruppe ist kritisch und erwidert, es gäbe zu viele Feiertage auf der Welt, um sie alle auf dem Bundesplatz zu feiern.

Ohne direkten Zusammenhang zur laufenden Debatte kommt ein Thema auf, welches auch an der Eidgenössischen Jugendsession letzten Herbst in eine Petition ein-floss. Die Jugendlichen sehen die Praxis der Medien kritisch, die Nationalität von Menschen zu nennen. In der Gruppe wird heftig und emo-tional diskutiert. Negative Vorkomm-nisse, wie durch Raser verursachte Unfälle oder Schlägereien, kämen viel wahrscheinlicher in die Schlagzeilen, wenn ein Ausländer involviert sei, so der Tenor. «Geschlecht und Herkunft sollen neutral formu-liert werden», lautet schliess-lich die Forderung an den Gros-sen Rat, aber auch und vor allem an die Adresse der Medien.

Die Jugendlichen argumentieren aus persönlicher Erfahrung. So fehlt auch in der Diskussion mit den Grossratsmitgliedern Andrea Lüthi (SP), Thomas Fuchs (SVP) und Jan Gnägi (BDP) der Bezug zur Po-litik. Nebst ein paar Aussagen der Jugendlichen rund um Medien, Schu-le und Abstimmungskampagnen der SVP, schafft es lediglich Gesprächs-leiter Yannick, mit provokativen Äusserungen etwas Spannung in die Diskussion zu bringen. Es tut sich eine Schere zwischen Alltag und Politik auf.

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Une région, deux cantonsEn 2013 aura lieu une votation qui n’est pas sans rappeler celle de 1975, lorsque certains districts de la région jurassienne avaient plébiscité la création du canton du Jura. Le Jura bernois, géographiquement et culturellement au carrefour de deux cantons, doit-il être rattaché à son homologue ? Texte: Eva Hirschi & Juliette Ivanez | Photo: Matthias Käser

Un peu d’histoire Au fait, le Jura bernois, c’est quoi? En 1815 lors du Congrès de Vienne, les grandes puissances européennes vainqueurs de Na-poléon 1er réaménagent la car-te de l’Europe. Berne perd les territoires de Vaud et d’Argovie, devenus indépendants; en «lot de consolation», on lui offre les terres jurassiennes qui appartenaient alors à l’ancien évêché de Bâle. L’actuel Jura bernois est composé des districts du nord bernois qui, lors du plébiscite de 1975, ont souhaité rester rattachés au can-ton de Berne et n’ont pas rejoint le canton du Jura nouvellement créé.

La question semblait résolue; mais pourtant, des tensions subsistent encore. Une partie du Jura bernois actuel, incarnée notamment par l’organisation de jeunes «Groupe Bélier», souhaite aujourd’hui être rat-taché au canton du Jura. Le «Grou-pe Sanglier» au contraire, souhaite que le territoire reste une partie intégrante de Berne. En mars 2012, les deux Juras ont décidé d’un com-

mun accord de consulter le peuple sur cette question – comme cela avait déjà été fait 40 ans auparavant.

En 2013, les populations du Jura bernois et du canton jurassien vont alors voter pour ou contre leur fu-sion. Les communes pourront en-suite décider de leur adhésion indivi-duelle au Jura, ou de leur rattache-ment à Berne dans le cas où une fusion serait entérinée. Si la fusion n’a pas lieu, il est possible que des com-munes comme Moutier par exemple souhaitent être rattachées au Jura. Bien que le scrutin de 2013 vise la fin du conflit jurassien, il y a fort à parier que la votation individuelle des communes ranime les tensions qui persistent depuis plus de 200 ans.

Qu’en pensent les jeunes ? Pour Yann Schlappbach, 16 ans, de Tavannes, pas question d’envisager une scission du canton : «Si le Jura bernois est rattaché au canton du Jura, je suis prêt à déménager pour revenir vivre dans le canton de Berne !». Selon lui, la majorité des jeunes du Jura bernois ne sont

pas favorables à la fusion des deux Juras. «La question d’une sépara-tion d’avec Berne a déjà été posée auparavant; quelques politiciens la soulèvent de nouveau aujourd’hui, mais je ne crois pas que cela reflète véritablement l’opinion des gens», ajoute-t-il. Et pour Laura Chatelain, 17 ans, de Bévilard, le fait d’habiter un canton bilingue est une richesse bien plus qu’un obstacle : «Là où j’habite, on se sent Romands car on parle français; mais le bilinguisme a toujours fait partie du quotidien».

Nous avons également contacté les jeunes du Groupe Bélier : «Nous n’utilisons jamais le terme de Jura bernois dans nos interventions, [...] le terme “Jura-Sud” remplace “Jura bernois” . Une étude menée par l’assemblée interjurassienne et divers experts montre clairement que Jura et Jura-Sud ont tout intérêt à se réunifier pour former un nouveau canton. Les avantages d’une telle structure seraient partagés par les deux parties du Jura, et nous croyons qu’il s’agit de la meilleure piste pour l’avenir de notre région.»

focus 7

Page 8: 32 - Politique grandeur nature

Die nicht erneuerbaren Energien Erdöl und Uran werden durch unseren massiv hohen Verbrauch in einem unbestimmten Zeitraum versiegt sein. Wie stellen wir uns die Zukunft ohne Atomstrom und Benzin vor? Eine Umfrage im Rathaus. / Par la consommation excessive que nous en faisons, l’avenir des énergies non renouvelables comme le pétrole ou l’uranium est incertain. Comment imaginer le futur sans nucléaire et sans essence ? Enquête à l‘Hôtel du gouvernement. Umfrage/Sondage: Céline Rüttimann & Juliette Ivanez | Illustration: Katharina Good

umfrage/sondage

Und für die Zukunft? Et pour le futur ?

«Il est évident que nous devrons adapter notre mode de vie. Nos déplacements devront être réduits au strict nécessaire. Le pétrole sera devenu tellement rare que nous ne pourrons plus nous permettre de le brûler pour nous chauffer. Les nouvelles technologies que nous aurons développées (hydraulique, solaire ther-mique, solaire photovoltaïque, géother-mie, éolien ou énergie-bois) nous permettront de nous chauffer et de produire l’électricité néces-saire à notre consommation, qui devra cependant être fortement réduire. Je crois en une société du futur à 2'000 watts. Mais de-main commence aujourd’hui, alors je propose de passer d’ores et déjà aux énergies alternatives.»Patrick Gsteiger, Député PEV, Moutier

«On pourra se déplacer avec les voitures électriques, qui sont déjà en train de se développer. Mais comment produire toute cette électricité  ? Tout ça reste très flou. Aujourd’hui le nucléaire et le pétrole font beaucoup de cho-ses ; on peut imaginer que l’ “après” sera plus difficile. Main-

tenant nous avons tout, le carburant, l’électricité… Dans le futur, le quotidien sera vraiment différent.»

Noémi Muratta, 15 ans, Bienne

«In einer Welt ohne Atomstrom und Erdöl wird elektrischer Strom

der wichtigste Energieträger sein. Den Strombedarf decken wir in Europa so ab, dass Sonne und Wind die Grundenergie liefern und Wasser für den Spitzenbedarf verwendet wird. Konkret heisst das: Wir brauchen grosse Sonnenkraftwerke in der nordafrikanischen Wüste, Windkraftwerke in der Nord-see und grosse Stauseen in den Alpen. Mit Sonnen- und Wind-strom pumpen wir Wasser in die Stauseen. Dieses wandeln wir in Strom um, wenn Sonne und Wind nicht ausreichen.»

Christoph Ammann, Grossrat SP, Meiringen

«Die Bevölkerung darf nicht im Dunkeln tappen, sondern muss über Ener-giefragen infor-

miert werden. Ener-giesparen ist dabei das

oberste Gebot. Ich glaube nämlich nicht, dass wir eine

neue Antriebsenergie für den öffentlichen und privaten Verkehr ent-decken werden, wenn uns Erdöl- und Uran-

ressourcen ausgehen.»Elias Frey, 16, Biel

«Wir müssen Alterna-tiven finden und in er-neuerbare Energien investieren, damit wir die Lücke in der Ene rg i e ve rso rgung schliessen können. Damit der Mensch auch in Zukunft mo-bil sein kann, sollte er das Auto häu-figer in der Garage lassen. Ich glaube, dass der Elektromotor sich gegen den Benzinmotor durchsetzen wird. Es braucht mehr autofreie Sonntage, zu-dem muss der öffentliche Verkehr ausge-baut werden. Kein Zweifel: Wir werden eine Lösung für die Zukunft finden.»Flora Märki, 18, Bern

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