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6 Ob 154/19v Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Clemens Richter als Masseverwalter im Konkurs der A ***** Holding GmbH, ***** , vertreten durch Dr. Engelhart & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. C ***** , vertreten durch Rohregger Scheibner Bachmann Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. F ***** S.A., ***** , vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechstanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen 50.000.000 EUR sA gegen die erstbeklagte Partei und 186.230.000 EUR sA gegen die zweitbeklagte Partei, über den Rekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2019, GZ 5 R 160/18p-193, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. Juli 2018, GZ 143 Cg 1/16d-178, in Ansehung der zweitbeklagten Partei aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

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Page 1: 6 Ob 154/19v - RIS Informationsangebote...2020/04/23  · Diese Vorgangsweise habe ein existenzgefährdendes Risiko dargestellt. Es sei absehbar gewesen, dass die A***** Holding aufgrund

6 Ob 154/19v

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht

durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden

und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek,

Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter

in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Clemens

Richter als Masseverwalter im Konkurs der A***** Holding

GmbH, *****, vertreten durch Dr. Engelhart & Partner

Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien

1. Mag. C*****, vertreten durch Rohregger Scheibner

Bachmann Rechtsanwälte GmbH in Wien , 2. F***** S.A.,

*****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche

Rechstanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen

50.000.000 EUR sA gegen die erstbeklagte Partei und

186.230.000 EUR sA gegen die zweitbeklagte Partei, über den

Rekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des

Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom

29. März 2019, GZ 5 R 160/18p-193, mit dem das Urteil des

Handelsgerichts Wien vom 31. Juli 2018,

GZ 143 Cg 1/16d-178, in Ansehung der zweitbeklagten Partei

aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

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Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere

Verfahrenskosten.

B e g r ü n d u n g :

Die A***** Bau GmbH (künftig: A***** Bau)

war eines der größten österreichischen Bauunternehmen mit

weltweiten Bauvorhaben. Die Zweitbeklagte ist Teil des

börsennotierten spanischen F*****-Konzerns. Bei ihr sind die

Beteiligungen des Konzerns an zahlreichen Bauunternehmen

gebündelt. Sie steht zu praktisch 100 % im Eigentum der

börsennotierten Fo***** S.A. (künftig: F*****-Holding).

Im Juni 2006 erwarb die Zweitbeklagte rund 79 %

der Anteile an der A***** Holding GmbH (Schuldnerin,

künftig: A***** Holding). Die restliche Beteiligung von

knapp 21 % verblieb vorerst bei deren langjährigen

Geschäftsführer Ing. D***** A***** (künftig: A*****). Im

Jahr 2009 übernahm die Zweitbeklagte weitere 3,73 % und im

Jahr 2011 zusätzliche 3,5 % der Geschäftsanteile von A*****.

Im Februar 2012 erwarb sie schließlich die gesamte

verbliebene Beteiligung von A***** und hielt ab diesem

Zeitpunkt 100 % der Anteile an der A***** Holding.

Die A***** Holding war mit 94 % an der H*****

GmbH (künftig: H*****) beteiligt; die restliche Beteiligung

(6 %) hielt die Zweitbeklagte direkt. Die H ***** hielt

ihrerseits 81,544 % der Anteile der A***** Bau. Anteile in

Höhe von 17,632 % hielt die Zweitbeklagte direkt. Die

restlichen 0,824 % hielt die S***** S.A., eine

Konzerngesellschaft der F*****-Gruppe. Die operative

Tätigkeit des Baukonzerns der A***** lag bei der A*****

Bau.

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Im Zeitraum von 2010 bis 2012 begab die

A***** Holding drei Publikumsanleihen über insgesamt

290 Mio EUR:

1. 5,25 % A*****-Anleihe 10-15: Nominale

100 Mio EUR, Valutatag: 1. 7. 2010.

2. 5,25 % A*****-Anleihe 11-16: Nominale

90 Mio EUR, Valutatag: 10. 6. 2011.

3. 6 % A*****-Anleihe 12-17: Nominale

100 Mio EUR, Valutatag: 22. 5. 2012.

Im Anschluss an jede dieser Anleihebegebungen

schloss die A***** Holding als Kreditgeberin mit der A*****

Bau als Kreditnehmerin einen Gesellschafterkreditvertrag ab:

1. Darlehen vom 1. 7. 2010 über

99.290.000 EUR, Verzinsung 5,45 % pA, Laufzeit 5 Jahre;

2. Darlehen vom 10. 6. 2011 über

89.580.000 EUR, Verzinsung 5,45 % pA, Laufzeit 5 Jahre;

3. Darlehen vom 22. 5. 2012 über

96.650.000 EUR, Verzinsung 6,35 % pA, Laufzeit 5 Jahre.

Am 19. 6. 2013 wurde über das Vermögen der

A***** Bau das Insolvenzverfahren eröffnet (AZ ***** des

Handelsgerichts Wiens). Am 2. 7. 2013 wurde auch über das

Vermögen der A***** Holding das Insolvenzverfahren

eröffnet (AZ ***** des Handelsgerichtes Wien).

Im Insolvenzverfahren der A***** Bau bestritt

der dort bestellte Insolvenzverwalter die von der A *****

Holding angemeldeten Darlehensforderungen von

89.580.000 EUR (Darlehen vom 10. 6. 2011) und

96.650.000 EUR (Darlehen vom 22. 5. 2012) unter Hinweis

auf deren Eigenkapitalersatzcharakter im Sinn des § 2 EKEG.

Der Kläger begehrt von der Zweitbeklagten die

Zahlung von 186.230.000 EUR, das entspricht der Summe der

in den Jahren 2011 und 2012 der A***** Bau ausgezahlten

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Darlehen, gestützt auf § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG und § 83

GmbHG.

Er bringt vor, die Jahresabschlüsse 2009 bis 2011

seien unrichtig und die A***** Bau spätestens seit

Herbst 2010 materiell insolvent gewesen. Die von der A*****

Holding der A***** BAU gewährten Darlehen der Jahre 2011

und 2012 hätten daher Eigenkapital ersetzenden Charakter.

Die finanziellen Schwierigkeiten des A*****

Konzerns reichten bis ins Jahr 2008 zurück, als der

Abschlussprüfer gezwungen gewesen sei, seine Redepflicht

auszuüben, weil die URG-Kennziffern erreicht worden seien

und die Voraussetzungen eines Reorganisationsverfahrens

bestanden hätten.

Die erforderliche Liquidität für den weiteren

Fortbestand sollte durch die Emission von Anleihen

sichergestellt werden, weil die Zweitbeklagte zur

Finanzierung nicht bereit gewesen sei. Die schlechten

Bilanzkennzahlen hätten jedoch dazu geführt, dass die bereits

für das Jahr 2009 geplante Anleihebegebung habe gestoppt

werden müssen. Im Rahmen des Konzernabschlusses 2010

habe die Abschlussprüferin noch wenige Tage vor Erteilung

des Bestätigungsvermerkes darauf beharrt, ihre Redepflicht

wegen Bestandsgefährdung gemäß § 273 Abs 2 UGB

auszuüben. Sie habe davon nur aufgrund von offenbar

erfolgten Interventionen Abstand genommen. Bereits damals

sei eine Überschuldung vorgelegen.

Die aus großen Auslandsprojekten (Major

Projects) resultierenden dramatischen Verluste seien in den

Jahresabschlüssen der A***** Bau und der A***** Holding

nicht ausgewiesen worden. Vielmehr seien in den Bilanzen für

die Geschäftsjahre 2009 bis 2011 aus diesen Großprojekten

Gewinne und werthaltige offene Forderungen ausgewiesen

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worden, obwohl die Forderungen seit Jahren bestritten

gewesen seien und im Wert hätten berichtigt werden müssen.

Dadurch sei im Zeitraum 2009 bis 2012 ein Bilanzbild

entstanden, dass den wahren wirtschaftlichen Gegebenheiten

dramatisch widersprochen hätte. Durch die

Nichteinbringlichmachung der strittigen Forderungen habe der

A***** Bau die Liquidität gefehlt, um den Geschäftsbetrieb

aufrecht zu erhalten. Die gebotenen Wertberichtigungen

hätten jedoch einen Verstoß gegen die Bedingungen der in den

Jahren 2009 bis 2012 auf Basis des

Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetzes (ULSG) gewährten

Großkredite bedeutet und deren Fälligstellung bewirkt, sodass

jede weitere Finanzierung ausgeschlossen gewesen wäre.

Um zu vermeiden, dass in den Bilanzen eine

Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit aufscheine, seien

unter aktiver Mitwirkung der Zweitbeklagten

Bilanzverschönerungsmaßnahmen („Window-Dressing“)

betrieben worden. So habe etwa die Zweitbeklagte

Forderungen erworben („F*****-Factoring“). Dabei habe es

sich aber um bloße Scheingeschäfte gehandelt.

Weder die Zweitbeklagte noch eine andere

Gesellschaft des F*****-Konzerns habe im Zeitraum 2010 bis

zur Begebung der letzten Anleihe irgendwelche Zuschüsse an

die A***** Holding oder die A***** Bau geleistet. Es seien

weder Patronatserklärungen noch sonstige verbindliche

Finanzierungszusagen abgegeben worden.

Die Begebung der Anleihen habe ausschließlich

zur Finanzierung der exorbitanten Verluste der A ***** Bau

gedient. Diese Vorgangsweise habe ein existenzgefährdendes

Risiko dargestellt. Es sei absehbar gewesen, dass die A*****

Holding aufgrund der Weiterleitung der Anleiherlöse an die

insolvente A***** Bau ihren Zahlungsverpflichtungen

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gegenüber den Anleihegläubigern nicht aus eigener Kraft

werde nachkommen können.

Die A***** Holding sei im Rahmen der

Anleihebegebung ein gänzlich von der Zweitbeklagten

abhängiges Vehikel ohne eigene Entscheidungsberechtigung

gewesen. Die Darlehensgewährungen seien durch einen von

der Zweitbeklagten gesteuerten massiven Befugnismissbrauch

der Organe der A***** Holding zustande gekommen, die

kollusiv mit der A***** Bau zusammengewirkt hätten.

Die A***** Holding habe selbst keine

Mitarbeiter beschäftigt. Alleiniger Unternehmenszweck sei

die Geldbeschaffung im Konzern durch die Begebung von

Anleihen und die Übernahme von Haftungen gewesen.

Darüber hinaus sei keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt

worden. Die wesentlichen Holding-Funktionen seien sämtlich

von der A***** Bau ausgeübt worden.

Die Geschäftsführungen der A***** Bau und der

A***** Holding seien entscheidend durch die Zweitbeklagte

dominiert worden. Für Schlüsselpositionen seien Vertreter des

F*****-Konzerns bestellt worden, die alle wesentlichen

Entscheidungen mit der F***** hätten abstimmen müssen.

Auch die Aufsichtsräte der A***** Holding und der A*****

Bau seien überwiegend mit Repräsentanten der

Zweitbeklagten besetzt gewesen. Die Schlüsselpersonen seien

unter anderem E***** S***** (künftig: S*****), A*****

T***** (künftig: T*****) und A***** M***** (künftig:

M*****) gewesen. S***** sei die wichtigste

Vertrauensperson der Zweitbeklagten innerhalb des A *****-

Konzerns und als CFO des A*****-Konzerns umfassend über

die wirtschaftliche Situation informiert gewesen. Er sei als

Dienstnehmer der Zweitbeklagten dieser gegenüber

weisungsunterworfen gewesen. T***** sei „Subdirector

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General“ der F***** und für die A***** zuständig gewesen;

in den Aufsichtsratssitzungen habe im Wesentlichen nicht der

Geschäftsführer, sondern T***** über den Geschäftsverlauf,

Aktionspläne zur Verbesserung der Ergebnissituation,

Verschuldung und Sonderprüfungen berichtet. M ***** habe

die Darlehensverträge mitgestaltet und sei in alle rechtlichen

Belange eingebunden gewesen. Der für Finanzen zuständige

Geschäftsführer der A***** Bau, Mag. M*****, habe direkte

Anweisungen von T***** und vom CFO des gesamten

F*****-Konzerns, V*****, erhalten. Er sei für die

Konzernfinanzierung und das Liquiditätsmangement der

gesamten A*****-Gruppe zuständig gewesen und habe auch

die vermeintlich der A***** Holding obliegenden Agenden

ausgeübt.

Der letzte Darlehensvertrag sei auf Seiten der

A***** Holding und der A***** Bau von S*****

abgeschlossen worden. Die Entscheidung für die

Darlehensgewährung in der gewählten Form sei zunächst von

der A***** Bau gemeinsam mit der F***** konzipiert und

durch F*****-interne Gremien beschlossen worden; der

Aufsichtsrat der A***** Holding habe diese Entscheidung

bloß „durchgewunken“. Letztlich seien die Darlehensverträge

auf unmittelbare Anweisung der Zweitbeklagten geschlossen

wurden, weil S***** alle wichtigen Entscheidungen zuvor mit

der Zweitbeklagten habe abstimmen müssen.

Die Gesellschafter der A***** Bau hätten bereits

im Dezember 2010 Richtlinien für die Geschäftsführer der

A***** Bau erlassen, wonach diese sämtliche über das kleine

Alltagsgeschäft hinausgehenden Rechtsgeschäfte nur nach

Genehmigung durch die Gesellschafter der A***** Holding

hätten durchführen dürfen. Ein gleichlautender Beschluss sei

auch auf Ebene der A***** Holding gefasst worden. Dies

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habe bedeutet, dass sowohl die Begebung der Anleihen durch

die A***** Holding als auch die Darlehensvergabe an die

A***** Bau nur nach Genehmigung durch die Zweitbeklagte

erfolgen durfte. Die Richtlinien seien von der Zweitbeklagten

vorgegeben worden.

Die Willensbildung auf Ebene der A*****

Holding habe nur noch Formalcharakter gehabt. Der

Geschäftsführung der A***** Bau und der A***** Holding

seien das Managementmeeting, das Investmentkomitee und als

oberstes Organ der F*****-Prüfungsausschuss vorgelagert

und übergeordnet gewesen. Sämtliche wesentlichen

Entscheidungen (Anleihen, Darlehensvergabe, „Window-

Dressing“-Maßnahmen) seien vom Managementmeeting und

dem F*****-Prüfungsausschuss angeordnet worden.

Die Einflussnahme der Zweitbeklagten ergebe

sich darüber hinaus aus einem mit A***** abgeschlossenen,

noch im Jahr 2012 verlängerten Konsulentenvertrag, mit dem

A***** ein Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung

der A***** Bau eingeräumt worden sei. A***** habe in

Abstimmung mit und im Auftrag der Zweitbeklagten

gehandelt, sodass sich ein direkter Weisungsstrang zu dieser

ergebe. Dadurch habe letztlich ein „Organtausch“ auf Ebene

der A***** Holding stattgefunden. Aus dem Gesamtkonzept

der Finanzierungen und der Entscheidungsstruktur folge, dass

die auf Ebene der A***** Bau getroffene Entscheidung, sich

die erforderliche Liquidität über die A***** Holding zu

beschaffen, auf einem abgestimmten Verhalten von A *****

und der Zweitbeklagten beruht habe. Aufgrund des

Konsulentenvertrags müsse sich die Zweitbeklagte das

Verhalten A***** zurechnen lassen. Im Ergebnis sei die

Geschäftsführung der A***** Holding ersetzt und auf die

Zweitbeklagte übertragen worden.

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Die der A***** Bau eingeräumten Darlehen

hielten einem Fremdvergleich nicht stand. Kein

außenstehender Dritter hätte diese Darlehen mit einer derart

geringen Verzinsung (Aufschlag von lediglich 0,2 bzw. 0,35 %

gegenüber den eigenen Anleihefinanzierungskosten) gewährt,

ohne eine entsprechende Sicherheitsleistung, etwa eine

Patronatserklärung, zu verlangen. Mit einer Bedienung der

Kreditverbindlichkeiten durch die A***** Bau habe aufgrund

ihrer wirtschaftlichen Situation nicht mehr gerechnet werden

können. Den durch die Anleihebegungen eingegangenen

Verbindlichkeiten stünden bloß die wertlosen Beteiligungs -

ansätze sowie die uneinbringlichen Darlehensforderungen

gegenüber.

Sämtliche Vorgänge seien in ihrer Gesamtheit zu

betrachten und beruhten auf einem Gesamtplan der für die

Finanzierung verantwortlichen F*****, die das Risiko der

Nachrangigkeit der Darlehensrückforderungen auf die A *****

Holding überwälzt habe.

Rechtlich stehe der A***** Holding aufgrund der

Kreditvergabe in der Krise auf Weisung der Zweitbeklagten

ein Erstattungsanspruch nach § 9 EKEG zu. Dieser sei

unabhängig von der mittelbaren Beteiligung der A*****

Holding an der A***** Bau, die zum Zeitpunkt der

Gewährung der Darlehen wertlos gewesen sei. Der

Beteiligungsansatz habe sich durch die Darlehensvergaben an

die insolvente A***** Bau auch nicht erhöht. Sowohl die

A***** Holding als auch die A***** Bau seien bereits in den

Jahren 2011 und 2012 wirtschaftlich betrachtet im

Alleineigentum der Zweitbeklagten gestanden. Die

Kreditvergaben seien daher ausschließlich aus deren

Weisungen heraus zu erklären.

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Die Weisung ergebe sich bereits daraus, dass in

den Jahren 2011 und 2012 bei der A***** Bau und der

A***** Holding nichts Wesentliches habe geschehen können,

ohne die Maßnahmen zuvor von der F***** „absegnen“ zu

lassen. Sie sei prima facie anzunehmen, weil die

gegenständlichen Kredite mangels Kreditwürdigkeit der

A***** Bau einem Fremdvergleich nicht standhielten, sodass

es der Lebenserfahrung entspreche, dass sie nur auf Weisung

vergeben worden seien. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse

der A***** Holding an der Kreditvergabe scheide aus, weil

der Wert ihrer Beteiligung an der – infolge der materiellen

Insolvenz der A***** Bau bereits wertlosen – H***** durch

die Kreditvergabe nicht erhöht worden sei. Demgegenüber

habe die F***** aufgrund ihrer Beteiligung an der A*****

Bau ein massives wirtschaftliches Eigeninteresse an der

Kreditgewährung und dem Fortbestand der A ***** Bau

gehabt.

Darüber hinaus sei die A***** Holding durch die

Anleihebegebung sowie die anschließende Darlehensvergabe

an die A***** Bau ein existenzbedrohendes Risiko

eingegangen. Die Darlehen seien daher auch als unzulässige

Einlagenrückgewähr – jene im Jahr 2012 auch unabhängig von

einer Veranlassung durch die Zweitbeklagte – im Sinn des

§ 82 GmbHG zu werten, sodass der A***** Holding im Fall

der Verneinung der Anwendbarkeit des § 9 EKEG bzw von

dessen Tatbestandsvoraussetzungen ein

Rückerstattungsanspruch nach § 83 GmbHG zustehe.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und

beantragten die Klageabweisung.

Die Zweitbeklagte brachte vor, die A***** Bau

und die A***** Holding seien zum 31. 12. 2010 und zum

31. 12. 2011 weder überschuldet noch zahlungsunfähig

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gewesen. Sämtliche Abschlüsse seien korrekt mit einem

uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen worden.

Während des Geschäftsjahres habe es lediglich aufgrund der

Saisonalität der Bauwirtschaft starke

Liquiditätsschwankungen gegeben. Eine Krise im Sinn des

EKEG sei nicht vorgelegen.

Die sogenannten „Window-Dressing“-Maßnahmen

seien zulässig gewesen. Das „F*****-Factoring“ habe keinen

Einfluss auf die Eigenmittelquote oder die Nettoverschuldung

der A***** Bau gehabt, weil diese nicht Vertragspartnerin

des Forderungsverkaufs gewesen sei. Ein Scheingeschäft sei

nicht vorgelegen.

Überdies hätten die Zweitbeklagte und ihre

Muttergesellschaft sowie deren Tochtergesellschaft seit der

zweiten Jahreshälfte 2008 bis einschließlich Juni 2013

insgesamt 268 Mio EUR an die A***** Bau und einige ihrer

Tochtergesellschaften geleistet und auf sämtliche

Rückzahlungsansprüche verzichtet. Diese Leistungen seien

der A***** Holding aufgrund ihrer mittelbaren, rund 77 %-

igen Beteiligung an der A***** Bau im Umfang von

205,42 Mio EUR zugute gekommen.

Die Zweitbeklagte habe auch keine Weisung im

Sinn des § 9 EKEG erteilt. Die Geschäftsführung der A*****

Bau sowie der A***** Holding sei von jener der

Zweitbeklagten völlig getrennt gewesen. Die Zweitbeklagte

habe keinen über die übliche Ausübung von

Gesellschafterrechten hinausgehenden Einfluss auf die

Geschäftsführung genommen. Sie sei vielmehr damit

konfrontiert gewesen, dass A***** bis Februar 2012 als

Mitgesellschafter und bis Juli 2012 als

Aufsichtsratsvorsitzender der A***** Holding eine zentrale

Machtposition eingenommen und bis zu seinem Ausscheiden

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faktisch die Geschäftsführung der A***** Gruppe innegehabt

habe. Weder S***** noch T***** oder M***** seien

Vertreter der Zweitbeklagten (ausgenommen in Einzelfällen)

gewesen.

Die Initiative zur Begebung der Anleihen und zur

Kreditvergabe sei von Vertretern der A***** Gruppe und

nicht von der Zweitbeklagten gekommen. Das Ergebnis der

Gespräche zwischen dem für die Finanzierung zuständigen

Geschäftsführer der A***** Bau, Mag. M*****, und

österreichischen Banken im Jahr 2009 sei gewesen, dass die

A***** Holding als Konzernmutter die Anleihen begebe und

der Emissionserlös im Weg eines Gesellschafterkredits an die

A***** Bau weiter gereicht werden sollte. Bei den

Anleihebegebungen in den Jahren 2010, 2011 und 2012 sei die

Strukturfrage nicht neu erörtert worden. Die Zweitbeklagte

sei weder in die Strukturfrage noch in den Abschluss der

Kreditverträge eingebunden gewesen.

Ein direkter Weisungsstrang zwischen der

Zweitbeklagten und A***** habe nicht bestanden. Ein

Konsulentenvertrag mit einer darin enthaltenen Weisungs -

befugnis der Zweitbeklagten sei nicht abgeschlossen worden;

darin wäre auch kein Weisungsrecht A***** vorgesehen

gewesen. A***** sei überdies selbst bei Unterstellung der

Wirksamkeit des behaupteten Konsulentenvertrags kein

vertretungsbefugtes Organ der Zweitbeklagten gewesen.

Das Bestehen eines Genehmigungsvorbehaltes in

den Richtlinien für die Geschäftsführungen der A***** Bau

und der A***** Holding begründe noch keine Weisung im

Sinn des § 9 EKEG. Eine allfällige Weisung wäre überdies

– wenn überhaupt – nur der F*****-Holding, nicht der

Zweitbeklagten zurechenbar. Die Zweitbeklagte habe die

Anleihebegebungen auch nicht genehmigt.

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Mangels Vorliegens einer Krise sowie einer

Weisung der Zweitbeklagten scheide ein Erstattungsanspruch

nach § 9 EKEG aus. Überdies stelle der Erstattungsanspruch

nach § 9 EKEG lediglich eine Abwandlung der Rechtsfolgen

einer verbotenen Einlagenrückgewähr gemäß § 82 GmbHG

dar, setze also das Vorliegen einer solchen voraus und komme

folglich auf – grundsätzlich unbedenkliche – Kreditvergaben

in vertikaler Ebene down-stream nicht zur Anwendung. Die

Zahlungen der Zweitbeklagten an die A***** Bau seien

überdies als angemessene Gegenleistung für die

Kreditgewährungen zu sehen, auch wenn sie erst nach der

Kreditgewährung zugewendet worden seien.

Das Erstgericht wies die Klage gegen beide

Beklagten ab.

Es stellte über den eingangs wiedergegebenen

Sachverhalt hinaus unter anderem fest:

S***** war seit 29. 4. 2010 Geschäftsführer der

A***** Bau. Gleichzeitig war er seit 19. 1. 2012 auch

Geschäftsführer der A***** Holding. Er war auch

Finanzvorstand (CFO) des A***** Konzerns. Er wurde in all

diesen Funktionen von der Zweitbeklagten bestellt und war

auch deren Arbeitnehmer.

T***** war einer der Direktoren der

Zweitbeklagten und von 31. 1. 2007 bis Oktober 2012

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, von 4 .10. 2012

bis 7. 6. 2013 Geschäftsführer der A***** Holding. Seit 2007

war er überdies Aufsichtsratsvorsitzender der A***** Bau

sowie Aufsichtsratsvorsitzender der H*****.

M***** war seit Juli 2010 Leiterin der

Rechtsabteilung der A***** Holding, stand jedoch ebenfalls

in einem Arbeitsverhältnis zur Zweitbeklagten. Sie war

insbesondere für die Administration von Sitzungen und

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14 6 Ob 154/19v

Meetings der Vertreter der Zweitbeklagten und der A*****

zuständig.

Rechtlich begründete das Erstgericht die

Klageabweisung gegenüber der Zweitbeklagten zusammen -

gefasst damit, dass es an einer Weisung im Sinn des § 9

EKEG fehle und diese Bestimmung im vorliegenden Fall einer

downstream-Kreditvergabe auch gar nicht zur Anwendung

komme. Ein Rückersatzanspruch nach § 83 GmbHG bestehe

nicht, weil es in Fällen der downstream-Kreditgewährung zu

keiner verpönten Leistung an die Muttergesellschaft komme,

auch nicht im Umfang der von der Mutter selbst gehaltenen

Minderheitsbeteiligung. Es liege daher im vorliegenden Fall

kein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr vor.

Das Berufungsgericht bestätigte die

Klageabweisung gegen den Erstbeklagten. Hinsichtlich der

Zweitbeklagten hob es das Urteil des Erstgerichts auf und ließ

den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.

Rechtlich führte es – betreffend die

Zweitbeklagte – aus, § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG regle in seinem

unmittelbaren Anwendungsbereich die Kreditgewährung

zwischen nicht aneinander beteiligten

Schwestergesellschaften. Im vorliegenden Fall sei die A*****

Holding aber an der Kreditnehmerin mehrheitlich (mittelbar)

beteiligt und bereits deshalb erfasster Gesellschafter nach

§§ 5, 8 EKEG, sodass es zum Schutz der Gläubiger der

Kreditnehmerin nicht des § 9 EKEG bedürfe. Es sei aber die

analoge Heranziehung des Erstattungsanspruchs außerhalb des

unmittelbaren Anwendungsbereichs des § 9 Abs 1 Satz 2

EKEG zu prüfen.

Nach Darstellung des Meinungsstands in der

Literatur folgerte das Berufungsgericht, dass der

Erstattungsanspruch nach § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG davon

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15 6 Ob 154/19v

unabhängig sei, ob der Vorgang im Verhältnis zur

weisungsgebenden Muttergesellschaft gegen § 82 GmbHG

verstoße. Ein derartiger Verstoß müsse bei der Finanzierung

durch Schwestergesellschaften in der Krise auch nicht stets

vorliegen, etwa wenn der Kredit marktüblich verzinst und

angemessen besichert sei, eine betriebliche Rechtfertigung

vorliege und der Kredit nicht existenzgefährdend sei. Dem

Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass der Erstattungsanspruch

nicht zustehe, wenn keine verbotene Einlagenrückgewähr

vorliege. Der Entfall des noch im Ministerialentwurf

enthaltenen Hinweises auf § 83 GmbHG deute vielmehr

darauf hin, dass auch derartige Fälle erfasst sein sollten.

Darüber hinaus setze Eintritt in die Rechtsposition des

Kreditgebers einen wirksamen Kreditvertrag voraus.

Der Erstattungsanspruch ziele vielmehr darauf

ab, die Last des Eigenkapitalersatzrechts der

weisungsgebenden Konzernspitze aufzubürden, weil diese im

Rahmen ihrer Finanzierungsverantwortung offenbar eine

Kreditvergabe an eine ihrer Tochtergesellschaften für

notwendig erachte. Das trete durch die Weisung zutage. Der

Kredit gewährenden Tochter werde während der Krise der

Anspruch auf Kreditrückzahlung genommen, sie erhalte aber

einen sofort fälligen Ausgleichsanspruch gegen die

weisungsgebende Muttergesellschaft. Tragender Gedanke

dieses Erstattungsanspruchs sei die gesetzgeberische Wertung,

dass die kreditgebende Gesellschaft von der ihr durch den

gemeinsamen Gesellschafter aufgebürdeten Last des mit

einem erheblichen Einbringungsrisiko verbundenen, der

Rückzahlungssperre des § 14 EKEG unterliegenden Kredits

befreit werden solle. Die erteilte Weisung rechtfertige es,

diese Last der Weisungsgeberin aufzubürden. Damit werde im

Ergebnis jene Situation geschaffen, die bei direkter

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16 6 Ob 154/19v

Kreditvergabe durch die weisungsgebende Gesellschaft

vorliege. Damit scheide die Einordnung des

Erstattungsanspruchs als bloßer Anwendungsfall bzw

Kanalisierung des § 83 GmbHG aus.

Ausgehend von diesen Erwägungen sei eine

analoge Anwendung des Erstattungsanspruchs bei Vorliegen

der übrigen Voraussetzungen des § 9 EKEG auf eine

downstream-Kreditvergabe auf Weisung der gemeinsamen

Konzernobergesellschaft geboten. Es komme nicht darauf an,

ob und in welchem Ausmaß die kreditgewährende

Gesellschaft an der kreditnehmenden Gesellschaft beteiligt

sei. Es könne auch nicht damit argumentiert werden, dass sich

durch die Kreditgewährung der Wert des Beteiligungsansatzes

erhöhe. Dies sei viel zu ungewiss; die kreditgebende

Gesellschaft habe die auf die Weisung zurückzuführende

Gefahr der Einbringlichkeit und den Nachteil der

Rükzahlungssperre vielmehr unabhängig von einer Erhöhung

des Beteiligungsansatzes zu tragen.

Eine unterschiedliche Behandlung sidestream- im

Gegensatz zur downstream-Kreditvergabe auf Weisung könne

aus dem Gesetz und den Materialien nicht abgeleitet werden.

Der in § 9 EKEG normierte Erstattungsanspruch komme bei

Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (kontrollierende

Beteiligung des weisungsgebenden Konzernmitglieds an der

Kreditgeberin und Stellung als erfasster Gesellschafter bei der

Kreditnehmerin, Weisung, Kreditgewährung in der Krise)

daher auch dann zur Anwendung, wenn die Kreditgeberin an

der Kreditnehmerin mehrheitlich beteiligt sei. Ob § 9 EKEG

darüber hinaus eine Analogiebasis für einen generellen

Nachteilsausgleich im Konzern bilde, könne dahingestellt

bleiben.

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17 6 Ob 154/19v

Im Ergebnis hänge der Erstattungsanspruch vom

Vorliegen einer Weisung der Zweitbeklagten und eines

Eigenkapital ersetzenden Kredits ab. Deshalb seien die

unterbliebenen Beweisaufnahmen zum Themenkomplex der

Weisung und zum Vorliegen einer Krise der Kreditnehmerin

entscheidungswesentlich, was zur Aufhebung des

erstgerichtlichen Urteils führe.

Zur Auslegung des Begriffs der Weisung führte

das Berufungsgericht aus, es bedürfe einer bewussten, für die

Kreditgewährung kausalen und darauf gerichteten

Beeinflussung der Willensbildung der kreditgebenden

Gesellschaft durch die Muttergesellschaft. Ob die Weisung

zulässig und im konkreten Fall rechtmäßig sei, sei hingegen

nicht entscheidend.

Im vorliegenden Fall komme der

Anscheinsbeweis zur Anwendung, weil der typische

Erfahrungszusammenhang bei den gegebenen

Beteiligungsverhältnissen jedenfalls bei Kreditunwürdigkeit

der Kreditnehmerin im Zeitpunkt der Kreditvergabe für das

Vorliegen einer Weisung spreche.

Da sich der Kläger primär auf § 9 EKEG und nur

hilfsweise auf einen Verstoß gegen das Verbot der Einlagen -

rückgewähr gestützt habe, sei auf einen allfälligen Anspruch

nach § 83 GmbHG vorerst nicht einzugehen.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei

zulässig, weil keine Rechtsprechung zum Erstattungsanspruch

des § 9 EKEG, dessen Analogiefähigkeit bei downstream-

Kreditvergaben und zur Anwendung des prima facie-Beweises

in diesem Zusammenhang vorliege.

Dagegen richtet sich der Rekurs der

zweitbeklagten Partei, die die Wiederherstellung der

klageabweisenden Entscheidung des Erstgerichts anstrebt.

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18 6 Ob 154/19v

Die Rekurswerberin macht geltend, ein

Erstattungsanspruch nach § 9 EKEG bestehe in der

vorliegenden Konstellation nicht. Selbst wenn § 9 Abs 1

Satz 2 EKEG zur Anwendung komme, seien die

Voraussetzungen des Anscheinsbeweises für das Vorliegen

einer Weisung nicht erfüllt; ein allfälliger Anscheinsbeweis

sei auch bereits entkräftet worden.

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht

genannten Grund zulässig . Er ist aber nicht berechtigt.

Zum Anwendungsbereich des § 9 Abs 1 EKEG:

1.1. Das EKEG soll einen angemessenen

Ausgleich zwischen Gläubigerschutz und

Finanzierungsfreiheit schaffen: Es bleibt grundsätzlich den

Gesellschaftern überlassen, ob und wann sie die Gesellschaft

finanzieren. In der Krise der Gesellschaft gilt aber, dass das

Risiko des Misslingens der Sanierung der Gesellschaft nicht

auf deren Gläubiger überwälzt werden soll (Schopper/Vogt in

Koller/Lovrek/Spitzer , IO, Vor § 1 EKEG Rz 3 mwN). Als

Rechtsfolge einer – per se nicht verbotenen – Eigenkapital

ersetzenden Leistung sieht § 14 EKEG daher bis zur

Sanierung der Gesellschaft eine Rückzahlungssperre vor

(Schopper/Vogt in Koller/Lovrek/Spitzer , IO, § 1 EKEG

Rz 5).

1.2. Gemäß § 1 EKEG ist ein Kredit, den eine

Gesellschafterin oder ein Gesellschafter der Gesellschaft in

der Krise gewährt, Eigenkapital ersetzend. § 5 EKEG

definiert den Grundtatbestand des erfassten Gesellschafters,

ergänzende Definitionen des erfassten Gesellschafters

enthalten §§ 6 bis 11 EKEG.

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19 6 Ob 154/19v

1.3. § 9 Abs 1 EKEG regelt ausweislich seiner

Überschrift („Konzern“) die Kreditgewährung im Konzern.

Die Bestimmung lautet:

Ist der Kreditgeber mit anderen rechtlich

selbständigen Unternehmen zu wirtschaftlichen Zwecken

unter einheitlicher Leitung oder kontrollierender Beteiligung

zusammengefasst (Konzern), so gilt der Kreditgeber auch

dann als erfasster Gesellschafter, wenn er nicht an der Kredit

nehmenden Gesellschaft beteiligt ist, er jedoch den Kredit auf

Weisung eines anderen Konzernmitglieds gewährt, das

1. am Kreditgeber unmittelbar oder mittelbar

kontrollierend beteiligt ist und

2. erfasster Gesellschafter des Kreditnehmers ist.

Der Kreditgeber hat, wenn der Kredit

Eigenkapital ersetzend ist, einen Anspruch auf Erstattung der

Kreditsumme gegen dieses Konzernmitglied. Dieses tritt mit

der Erstattung in die Rechtsposition des Kreditgebers ein.

Der Anspruch auf Erstattung verjährt in fünf Jahren ab

Kreditgewährung.

2.1. Nach einhelliger Auffassung erfasst § 9

Abs 1 EKEG die Kreditgewährung zwischen

Schwestergesellschaften im weiteren Sinn (Nichten,

Großnichten etc) auf Weisung der beiden Gesellschaften

übergeordneten Konzerngesellschaft (vgl nur Schopper/Vogt

in Koller/Lovrek/Spitzer , IO, § 9 EKEG Rz 4; Artmann in

Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60 ua). Unterschiedliche

Ansichten bestehen zur Frage, ob auch Kreditvergabe in

gerader Linie von oben nach unten den Erstattungsanspruch

des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG auslöst.

2.2. Zwischen den Parteien ist nicht strittig, da ss

die Zweitbeklagte an der kreditgebenden Gesellschaft – der

A***** Holding – im Sinn des § 9 Abs 1 Z 1 EKEG beteiligt

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20 6 Ob 154/19v

und dass sie erfasster Gesellschafter der Kreditnehmerin – der

A***** Bau – im Sinn des § 9 Abs 1 Z 2 EKEG ist. Die von

§ 9 Abs 1 EKEG vorausgesetzten Beteiligungsverhältnisse

sind hinsichtlich der Zweitbeklagten daher erfüllt.

Unstrittig ist darüber hinaus, dass die

kreditgebende Gesellschaft – die A***** Holding –ihrerseits

erfasste Gesellschafterin gemäß §§ 5, 8 EKEG hinsichtlich

der kreditnehmenden Gesellschaft – der A***** Bau – ist.

2.3. Es liegt auf der Hand, dass in einer

derartigen Konstellation der Schutz der Gläubiger der

kreditnehmenden Gesellschaft bereits gewährleistet ist, ohne

dass es der Anwendung des § 9 Abs 1 EKEG bedarf. Sofern

sich die A***** Bau nämlich zu den Zeitpunkten der hier zu

beurteilenden Kreditvergaben in der Krise befunden hat, löste

dies im Verhältnis zwischen der A***** Holding und der

A***** Bau die bis zur Sanierung der Gesellschaft wirkende

Rückzahlungssperre des § 14 EKEG aus.

2.4. Die Anwendung des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG

käme vielmehr der kreditgebenden Gesellschaft, also der

A***** Holding, bzw deren Gläubigern zugute.

3.1. In der Literatur werden unterschiedliche

Ergebnisse vertreten . Die Argumente, die von den jeweiligen

Literaturstimmen herangezogen werden, fokussieren auf das

Verständnis des Gesetzestexts im Hinblick darauf, ob eine

Beteiligung der Kreditgeberin an der Kreditnehmerin für die

Anwendung des § 9 Abs 1 EKEG bloß nicht erforderlich sei

oder ob eine (qualifizierte) Beteiligung die Anwendung der

Bestimmung ausschließe; weiters auf das Verhältnis des § 9

Abs 1 Satz 2 EKEG zu den Kapitalerhaltungsvorschriften

sowie auf die Frage nach einem verallgemeinerungsfähigen

Ausgleichsanspruch für nachteilige Weisungen übergeordneter

Konzerngesellschaften.

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21 6 Ob 154/19v

3.2. Zusammengefasst sprechen sich Artmann ,

Karollus , Koppensteiner und Auer für eine (analoge)

Anwendung des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG auf eine

Konstellation wie die hier vorliegende aus. Schopper/Vogt ,

Kalss , Zehetner/Bauer und C. Fischer lehnen dies ab.

Dellinger vertritt eine differenzierende Lösung.

3.3.1. Auer (in FS Koppensteiner zum

70. Geburtstag [2007] 1 ff) und Koppensteiner (Zum

konzernrechtlichen Gehalt von § 9 EKEG, wbl 2008, 53 ff;

ders , Aktuelle Probleme des EKEG in FS Nowotny [2015]

369 ff [370], ders , Grenzen der Leitung abhängiger

Kapitalgesellschaften in Kalss/Torggler , Einlagenrückgewähr

[2014] 65 [66]) sehen im Erstattungsanspruch nach § 9 Abs 1

Satz 2 EKEG einen Ansatzpunkt für einen dem Grund-

gedanken des § 311 dAktG nachempfundenen allgemeinen

Nachteilsausgleich im Konzern zugunsten der untergeordneten

Gesellschaft für Maßnahmen und Rechtsgeschäfte

nachteiligen Charakters, die von einem herrschenden

Rechtsträger veranlasst wurden.

3.3.2. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist der

Normzweck des Erstattungsanspruchs gemäß § 9 Abs 1 Satz 2

EKEG, den sie darin sehen, den Nachteil zu kompensieren,

den die kreditgebende Gesellschaft durch den

vorübergehenden oder endgültigen Verlust des Darlehens

erleidet, der auf die Einflussnahme der Konzernspitze

zurückgeht (Koppensteiner , wbl 2008, 53). Es verbiete sich,

den Erstattungsanspruch als Variante einer Rückforderung

wegen verdeckter Einlagenrückgewähr aufzufassen. Dies

folge schon daraus, dass der Erstattungsanspruch im Fall der

Kreditgewährung an eine in der Krise befindliche

Schwestergesellschaft, soweit die Kreditgewährung als

Einlagenrückgewähr im Verhältnis zur gemeinsamen Mutter

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22 6 Ob 154/19v

zu qualifizieren sei, nicht notwendig mit der Kreditsumme

übereinstimme (im Einzelnen Koppensteiner , wbl 2008, 54;

Auer in FS Koppensteiner 3).

3.3.3. Es handle sich vielmehr um einen

Anspruch sui generis (Auer in FS Koppensteiner 7 f) und eine

abschließende Regelung des Nachteilsausgleichs im Konzern

(Auer in Gruber/Harrer , GmbHG² § 83 Rz 33). Vergröbernd

gehe es darum, einen Umgehungssachverhalt in den Griff zu

bekommen, in dem ein herrschender Rechtsträger, der ein

starkes wirtschaftliches Interesse am Überleben einer

krisengefährdeten Gesellschaft habe, diese nicht selbst

unterstütze, sondern eine von ihm abhängige Gesellschaft

veranlasse, dies zu tun (Koppensteiner in FS Nowotny 370).

3.4.1. Karollus und Artmann sehen den

Grundgedanken des § 9 Abs 1 EKEG darin, dass das sonst für

das Eigenkapitalersatzrecht erforderliche

Beteiligungserfordernis (der kreditgebenden an der

kreditnehmenden Gesellschaft) durch das Vorhandensein

eines gemeinsamen Gesellschafters, der selbst die Stellung als

erfasster Gesellschafter habe, und durch die Kreditvergabe

auf dessen Weisung substituiert werde (Karollus in

Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht, Erster

Zusatzband [2009], § 9 EKEG Rz 14 f; Artmann in

Artmann/Karollus , AktG6 § 52 AktG Rz 60).

3.4.2. Wenn die kreditgebende Gesellschaft im

Ausmaß der §§ 5, 8 EKEG an der kreditnehmenden

Gesellschaft beteiligt sei, bedürfe es für die Einbeziehung

dieses Kredits in das Eigenkapitalersatzrecht nicht des § 9

EKEG. Für den Fall einer unter den Schwellenwerten der

§§ 5, 8 EKEG liegenden Beteiligung der Kreditgeberin an der

Kreditnehmerin könne die Vermutung einer Absprache

zwischen Konzernunternehmen gemäß § 6 EKEG zur

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23 6 Ob 154/19v

Anwendung des § 9 EKEG führen. In sämtlichen Varianten

(Beteiligung im Ausmaß der §§ 5, 8 EKEG oder darunter) sei

entscheidend, ob eine Weisung vorliege: Sei eine Weisung

durch den gemeinsamen Gesellschafter erfolgt, greife – bei

Erfüllung der übrigen Voraussetzungen – der

Erstattungsanspruch des § 9 Abs 1 Z 2 EKEG zumindest

analog ein (Karollus Rz 5 f; Artmann in Artmann/Karollus ,

§ 52 AktG Rz 60).

3.4.3. Karollus geht dabei im Anschluss an

Koppensteiner davon aus, dass der Gesetzgeber mit § 9 Abs 1

Satz 2 EKEG für den speziellen Fall des von der

Muttergesellschaft veranlassten Schwesternkredit einen

verallgemeinerungsfähigen Lösungsansatz auch für andere

Fälle der Veranlassung nachteiliger Maßnahmen durch eine

übergeordnete Konzerngesellschaft kodifiziert (Karollus in

Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 4). Dahinter stehe

die Wertung, dass die kreditgebende Gesellschaft von der ihr

durch den gemeinsamen Gesellschafter aufgebürdeten Last

(dem mit einem erheblichen Einbringlichkeitsrisiko und der

Rückzahlungssperre behafteten Kredit) befreit werden solle.

Dies sei dogmatisch mit einer Abwicklung „im langen Weg“

zu begründen. Aufgrund der erteilten Weisung sei dem

gemeinsamen Gesellschafter die Erstattungspflicht zuzumuten

(Karollus in Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 27).

Der Normzweck treffe auch dann zu, wenn die kreditgebende

an der kreditnehmenden Gesellschaft beteiligt sei, und zwar

auch dann, wenn die Beteiligung die Voraussetzungen der

§§ 5, 8 EKEG erfülle.

Es komme für den Erstattungsanspruch auch nicht

darauf an, ob der Kredit im konkreten Fall die

Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung

(verbotenen Einlagenrückgewähr) erfülle (Karollus in

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24 6 Ob 154/19v

Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 33). Liege eine

verbotene Einlagenrückgewähr vor, so stelle sich die Frage

nach dem Verhältnis des Erstattungsanspruchs des § 9 Abs 1

Satz 2 EKEG zu den Rechtsfolgen des Verbots der

Einlagenrückgewähr (Nichtigkeit des Kreditvertrags und

sofortiger Rückzahlungsanspruch). Das Konkurrenzproblem

resultiere daraus, dass zwei verschiedene Schutzinstrumente

mit gegenläufiger Schutzrichtung (Verbot der

Einlagenrückgewähr als Schutz der kreditgebenden

Gesellschaft, Eigenkapitalersatzrecht als Schutz der

kreditnehmenden Gesellschaft) aufeinander träfen. § 9 Abs 1

Z 2 EKEG könnte zu einer „Entspannung“ dieses Konflikts

führen, wenn der Erstattungsanspruch vollwertig, unstrittig

und die Erstattungsschuldnerin zur Leistung bereit sei. Durch

die Erstattung werde dann das Einbringlichkeitsrisiko

ausgeglichen und es liege kein Verstoß gegen das Verbot der

Einlagenrückgewähr vor. Ansonsten – im Konfliktfall – habe

vor der Kreditauszahlung das Verbot der Einlagenrückgewähr

Vorrang, sodass eine Auszahlung nicht erfolgen dürfe. Sei

jedoch bereits ausgezahlt worden, sollte der Schutz der

kreditnehmenden Gesellschaft überwiegen (Karollus in

Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 39 f).

3.4.4. Artmann (Kreditgewährung im Konzern –

Zum Konkurrenzverhältnis zwischen Ausschüttungsverbot und

Eigenkapitalersatzrecht, in Festschrift Günther H. Roth

[2011] 23 ff) stellt den Erstattungsanspruch des § 9 Abs 1

Satz 2 EKEG in den Kontext der

Kapitalerhaltungsvorschriften. Werde der Kredit – in der

Grundkonstellation des Schwesternkredits – auf Weisung der

gemeinsamen Obergesellschaft gewährt und befinde sich die

Schwestergesellschaft in der Krise, so sei in der Regel auch

der Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung erfüllt,

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25 6 Ob 154/19v

sofern nicht im Einzelfall eine betriebliche Rechtfertigung

vorliege oder die leistende Gesellschaft etwa von der

Muttergesellschaft eine entsprechende Gegenleistung erhalten

habe. Verstoße die Kreditgewährung gegen das

Ausschüttungsverbot, stehe der kreditgewährenden

Gesellschaft ein Rückgewähranspruch gemäß § 56 AktG bzw

§ 83 GmbHG zu.

Wie Karollus sieht auch Artmann die Beurteilung,

ob die Weisung zur Kreditgewährung und der Kreditvertrag

gegen das Ausschüttungsverbot verstoßen, davon abhängig, ob

die weisungsgebende Muttergesellschaft willens und in der

Lage ist, den Erstattungsanspruch zu erfüllen. Dies ändere

aber nichts am Erstattungsanspruch der Kreditgeberin nach

§ 9 Abs 1 Satz 2 EKEG, weil die gesetzgeberische Zielsetzung

dieser Bestimmung in der Schaffung einer Regelung gelegen

sei, mit der das Risiko des Eigenkapitalersatzrechts jener

Gesellschaft aufgebürdet werde, deren Entscheidung

maßgeblich für die Kreditgewährung gewesen sei (Artmann in

FS Roth 27 f). Eine allfällige betriebliche Rechtfertigung der

Kreditgewährung bewirke daher zwar, das kein Verstoß gegen

das Ausschüttungsverbot vorliege, ändere aber nichts am

Erstattungsanspruch gegen die Muttergesellschaft (Artmann in

FS Roth 27 f).

Nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 9

EKEG sollten die Rolle als Kreditgeberin und das Risiko der

Rückführung des Kredits – unabhängig davon, ob das

Rechtsgeschäft im Einzelfall zulässig oder unzulässig sei –

der Muttergesellschaft zukommen, die als Gesellschafterin

auch die Vorteile aus dem Überleben der Tochtergesellschaft

lukriere (Artmann in FS Roth 28).

Im Fall der Beteiligung der kreditgebenden

Gesellschaft an der Kreditnehmerin sieht Artmann – wie

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26 6 Ob 154/19v

Koppensteiner und Karollus – den Ausgangspunkt der

Überlegungen im Zweck des Erstattungsanspruchs, den durch

die Befolgung der Weisung erlittenen Vermögensnachteil bei

der kreditgebenden Gesellschaft auszugleichen. Sei die

kreditgebende Gesellschaft erfasster Gesellschafter der

Kreditnehmerin, komme das EKEG zwar bereits unabhängig

von einer Weisung des übergeordneten Gesellschafters zur

Anwendung. Werde sie allerdings zur Kreditvergabe durch

eine Muttergesellschaft veranlasst, müsse ihr ein

Erstattungsanspruch zustehen, weil andernfalls die

Kreditgewährung nicht zulässig sei . Denn die Beteiligung an

der Kreditnehmerin verhindere nicht die Anwendung des

Ausschüttungsverbots. Die durch die Kreditgewährung

allenfalls eintretende Wertsteigerung des

Beteiligungsansatzes der Kreditgeberin sei zu ungewiss, um

daraus die Zulässigkeit des Rechtsgeschäfts abzuleiten.

3.5. Rüffler (Gibt es im österreichischen Recht

einen Nachteilsausgleich? In FS Nowotny [2015] 405 ff)

wendet sich gegen die These, wonach der Erstattungsanspruch

des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG Ausdruck eines allgemeinen

Prinzips des Nachteilsausgleichs sei. Koppensteiner und Auer

gingen zu Unrecht davon aus, dass der Erstattungsanspruch

des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG nicht die Rechtsfolgen der

verbotenen Einlagenrückgewähr regeln sollte. Der

eigenkapitalersetzende Schwesternkredit sei regelmäßig

zugleich ein Verstoß gegen das Verbot der

Einlagenrückgewähr. § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG habe in solchen

Fällen eine klarstellende Funktion, weil auch im Fall der

verbotenen Einlagenrückgewähr ein Erstattungsanspruch

gegen die Mutter bestehe, wenn sie die Kreditgewährung

veranlasst habe (FS Nowotny 408 f). Dass der (gegen das

Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßende)

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27 6 Ob 154/19v

Schwesternkredit nicht nichtig sei und eine Schwester von der

anderen Schwestergesellschaft das Darlehen nicht

zurückverlangen könne, sei eine Folge des Schutzzwecks des

§ 9 EKEG, die Gläubiger der kreditnehmenden Gesellschaft

zu schützen (FS Nowotny 410). Insofern würden die

Rechtsfolgen des § 83 GmbHG von § 9 EKEG verdrängt. § 9

Abs 1 Satz 2 EKEG sei wohl als eine Variante des

Rückerstattungsanspruchs gemäß § 83 Abs 1 GmbHG

anzusehen. Auch wenn man den Normzweck auch auf einen

Nachteilsausgleich für veranlasste nachteilige

Kreditgewährungen rückführen wollte, sprächen gewichtige

Argumente gegen die von Koppensteiner vertretene Analogie.

3.6.1. Nach Kalss (Die mangelnde

Anwendbarkeit von § 9 Abs 1 EKEG auf den Kredit einer

Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaft, GesRZ 2015,

302 ff [basierend auf einem im vorliegenden Verfahren

erstatteten Rechtsgutachten]) ist § 9 EKEG grundsätzlich

nicht auf Kreditgewährungen in der geraden Beteiligungskette

anzuwenden.

3.6.2. Sie nimmt nicht (gesondert) auf den Zweck

des Rückerstattungsanspruchs des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG

Bezug, sondern sieht den Zweck des § 9 EKEG allein in der

durch Satz 1 dieser Bestimmung erreichten Ausweitung des

Kreises der erfassten Gesellschafter. Ziel des § 9 [Abs 1

Satz 1] EKEG sei , die Umgehung der Rechtsfolgen des § 14

EKEG durch Einschaltung einer an der kreditnehmenden

Gesellschaft nicht beteiligten Konzerngesellschaft

auszuschließen (GesRZ 2015, 303).

3.6.3. Dieses Ergebnis sei nicht schon aus der

Wortinterpretation zu gewinnen: Aus dem Wortlaut des ersten

Satzes von § 9 Abs 1 EKEG („auch“) ergebe sich nur die

Ausdehnung auf die Schwestergesellschaft; der Wortlaut

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28 6 Ob 154/19v

schließe die Einbeziehung von Konstellationen, in denen eine

Gesellschaft ihrer Tochtergesellschaft auf Weisung der

Großmuttergesellschaft einen Kredit gewähre, nicht aus.

3.6.4. Für die Einschränkung auf Kreditvergaben

unter Schwestern (im weiteren Sinn) spreche aber, dass nur

diese Konstellation in den Materialien genannt werde. Das

gesetzgeberische Verständnis beruhe darauf, dass der

Schwesternkredit so zu behandeln sei, als handle es sich um

eine im kurzen Weg abgewickelte Leistung der

kreditgebenden Gesellschaft an die Muttergesellschaft und

eine Leistung dieser an die kreditnehmende Gesellschaft. In

Fällen, in denen die kreditgebende mit einer qualifizierten

Mehrheit an der kreditnehmenden Gesellschaft beteiligt sei,

sei die Annahme von im kurzen Weg abgewickelten

Leistungen der Kreditgeberin an die Großmuttergesellschaft

sowie dieser an die Kreditnehmerin kaum vorstellbar und

sachgerecht. In derartigen Fällen komme es schlichtweg zu

keiner Gewährung einer Leistung an die Muttergesellschaft

der kreditgebenden Gesellschaft (Kalss , GesRZ 2015, 304).

3.6.5. Aus der Gesetzesgenese könne nicht

geschlossen werden, dass § 9 EKEG dem Verbot der

Einlagenrückgewähr vorgehe; vielmehr würden die

Rechtsfolgen der Einlagenrückgewähr durch § 9 Abs 1 Satz 2

EKEG konkretisiert.

3.6.6. Das EKEG solle in seiner Grundkonzeption

Finanzierungsleistungen von Gesellschaftern an die

Gesellschaft von oben nach unten (downstream) erfassen.

Durch die Erfassung der mittelbar beteiligten Gesellschafter

in § 8 EKEG werde der Gefahr begegnet, dass die

Anwendbarkeit des EKEG umgangen werde, indem zwischen

Gesellschafter und Gesellschaft eine Zweckgesellschaft

dazwischengeschaltet werde (GesRZ 2015, 305). § 9 EKEG

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beschäftige sich ergänzend mit horizontalen

Konzernverhältnissen, in denen §§ 5 und 8 nicht zur

Anwendung des EKEG führen würden. Beim Schwesternkredit

werde wegen der Krise der Kreditnehmerin „und/oder“ dem

Weisungszusammenhang im Regelfall auch der Tatbestand der

Einlagenrückgewähr verwirklicht . § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG

modifiziere die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Verbot

der Einlagenrückgewähr, indem der Rückzahlungsanspruch

kanalisiert und die Aktiv- und Passivlegitimation für die in

§ 9 Abs 1 EKEG beschriebene Situation konkretisiert werde

(GesRZ 2015, 305 f). Hingegen wolle das Gesetz keine

allgemeine Nachteilsausgleichsregelung schaffen.

3.6.7. Für vertikale Kreditvergaben downstream

folge daraus: Der Erstattungsanspruch nach § 9 Abs 1 Satz 2

EKEG setze notwendiger Weise einen Verstoß gegen das

Verbot der Einlagenrückgewähr voraus. In Fällen, in denen

die Kreditgeberin an der Kreditnehmerin mit qualifizierter

Mehrheit beteiligt sei, komme es aber im Zuge der

Kreditgewährung nicht zu einer Leistung an die

Muttergesellschaft der Kreditgeberin. Mangels eines

Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr stehe der

Kreditgeberin auch kein Anspruch nach § 9 Abs 1 Satz 2

EKEG gegen die Muttergesellschaft zu, dies unabhängig

davon, ob sie zu dieser Kreditgewährung angewiesen worden

sei oder nicht. Auch wenn die Großmuttergesellschaft selbst

mit einer Minderheitsbeteiligung an der Kreditnehmerin

beteiligt sei, erbringe die Kreditgeberin keine Leistung an die

Großmuttergesellschaft, auch nicht in dem Ausmaß, das der

Beteiligung der Großmuttergesellschaft entspreche. Eine

mathematische Aufteilung widerspreche der Befugnis zur

Entscheidung über die Kreditgewährung. Der Einfluss der

Gesellschafter und ihre Entscheidung über die

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Kreditgewährung seien aber die maßgeblichen

Zurechnungsfaktoren für die Anwendung des EKEG

(GesRZ 2015, 307).

3.7. Schopper/Vogt (in Koller/Lovrek/Spitzer , IO,

§ 9 Rz 9; dies , Eigenkapitalersatzrechtgesetz [2003] § 9

Rz 24 f) lehnen für Fälle wie den vorliegenden, in dem die

Beteiligung zwischen kreditnehmender und kreditgebender

Gesellschaft selbst den Tatbestand einer

Zurechnungsbestimmung des EKEG erfüllt, die Anwendung

des § 9 EKEG ab. Dies führe zum Entfall des

Erstattungsanspruchs. Auch wenn in einer solchen

Konstellation eine Weisung vorliege, seien die

Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des

Erstattungsanspruchs nicht gegeben.

3.8.1. C. Fischer (Eigenkapitalersetzende

Konzernfinanzierung nach dem EKEG [2005]) fasst § 9 EKEG

als Sonderbestimung für jene Beteiligungsverhältnisse im

Konzern auf, in denen zwischen Kreditgeber- und

Kreditnehmergesellschaft nicht einmal ein den sonstigen

Regeln des EKEG unterliegendes (mittelbares)

Beteiligungsverhältnis bestehe, jedoch andere

Zurechnungsgründe vorhanden seien. Er hebt hervor, dass die

Kreditgebergesellschaft im zumindest überwiegenden

(Konzern-)Interesse der gemeinsamen Mutter handle, und die

Weisung zur Kreditvergabe jedenfalls eine zu verantwortende

Finanzierungsentscheidung der gemeinsamen Mutter

hinsichtlich der Kreditnehmerin sei

(Konzernfinanzierung 106).

3.8.2. C. Fischer sieht für den Fall der

Beteiligung der kreditgebenden an der kreditnehmenden

Gesellschaft eine anteilige Kürzung des Erstattungsanspruchs

vor; dies allerdings nur für jene Kreditgeberinnen, deren

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31 6 Ob 154/19v

Beteiligung unter der qualifizierten Beteiligungsschwelle der

§§ 5, 8 EKEG liegt. Die Kürzung richte sich nach den

Umständen des Einzelfalls. Modellhaft solle für jeden

Prozentpunkt, um den die Beteiligung der Kreditgeberin an

der Kreditnehmerin 25 % unterschreite, ein Abschlag von 4 %

vom Erstattungsanspruch vorgenommen werden

(Konzernfinanzierung 117). Für einen Fall wie den

vorliegenden scheidet ein Erstattungsanspruch nach dieser

Ansicht gänzlich aus.

3.9. Eine Reihe weiterer Autoren sprechen sich

gegen die – direkte oder analoge – Anwendung des § 9 EKEG

auf kreditgebende Gesellschaften, die an der kreditnehmenden

Gesellschaft in einem den Regeln des EKEG unterliegenden

Verhältnis beteiligt sind (Eckert/U. Schmidt in

Haberer/Krejci , Konzernrecht [2016] Rz 13.32 f) oder gegen

einen allgemeinen Nachteilsausgleich aus (Milchrahm in

Straube/Ratka/Rauter , WK GmbHG [2017] § 115 Rz 205;

Haberer/Krejci in Haberer/Krejci , Konzernrecht Rz 1.335;

U. Torggler in Straube , WK GmbHG § 115 Rz 24 [jeweils

ohne gesonderte Stellungnahme zum Erstattungsanspruch bei

der downstream-Kreditvergabe]). Die kreditgebende

Gesellschaft solle allein aus der Erteilung einer Weisung des

anderen Konzernmitglieds keinen Vorteil ziehen

(Schopper/Vogt , EKEG § 9 Rz 24; C. Fischer ,

Konzernfinanzierung 115).

3.10. Einen differenzierenden Ansatz vertritt

Dellinger (in Dellinger/Mohr , Eigenkapitalersatzgesetz

[2004] § 9 Rz 16): Die Frage, ob der kreditgewährenden

Gesellschaft, die an der kreditnehmenden Gesellschaft

beteiligt ist, im Fall der Kreditgewährung auf Weisung ein

Erstattungsanspruch nach § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG zusteht,

könne nicht abstrakt, sondern nur nach den Umständen des

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32 6 Ob 154/19v

Einzelfalls beantwortet werden. Gegen einen

Erstattungsanspruch spreche, dass durch die Eigenkapital

ersetzende Kreditgewährung auch der Wert der von der

Kreditgeberin selbst gehaltenen Beteiligung an der

kreditnehmenden Gesellschaft steige. In der Kreditvergabe

müsse daher bei eigener Beteiligung der Kreditgeberin keine

verdeckte Gewinnausschüttung an die gemeinsame Mutter

liegen, die die Weisung erteilt habe. Das gelte vor allem

dann, wenn auch die Mutter der in die Krise geratenen

Kreditnehmerin einen Kredit gewähre.

4.1. Die Materialien zu § 9 EKEG enthalten keine

ausdrückliche Stellungnahme zur hier interessierenden Frage.

Die Zweckrichtung der Bestimmung wird im Hinblick darauf

erklärt, dass es beim auf Weisung erfolgten Schwesternkredit

gerechtfertigt sei, die von § 5 EKEG nicht erfasste

Kreditgeberin zu erfassen. Es geht demnach um die

Kreditgewährung zwischen zwei Gesellschaftern eines

Konzerns, die „selbst aneinander nicht beteiligt sind“. § 9

Abs 1 EKEG behandle in diesem Fall die Kreditvergabe so,

als handle es sich um eine Leistung der kreditgebenden an die

Muttergesellschaft und eine Leistung dieser an die

kreditnehmende Gesellschaft, die im kurzen Weg abgewickelt

worden seien. Daher werde die Gesellschafterposition der

Muttergesellschaft der Kreditgeberin zugerechnet; der in der

Krise gewährte Kredit sei als eigenkapitalersetzend

zu behandeln. Zum Erstattungsanspruch wird lediglich

die getroffene Regelung referiert

(ErläutRV 124 BlgNR 22. GP 10; so bereits die erste

Regierungsvorlage 1282 BlgNr 21. GP 16). Allgemein wird

darauf verwiesen, dass in der Unternehmenskrise die

Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter zum Tragen

komme (ErläutRV 124 BlgNR 22. GP 3).

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33 6 Ob 154/19v

4.2. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage

enthalten keine Stellungnahme zum Verhältnis des

Erstattunganspruchs zum Rückersatzanspruch bei verbotener

Einlagenrückgewähr. Der der Regierungsvorlage

vorausgegangene Ministerialentwurf hatte in der

ursprünglichen Fassung des § 5 EKEG (der inhaltlich die

Regelung des § 9 EKEG enthält) noch in einem Abs 3

ausdrücklich angeordnet, dass die Vorschriften über die

verdeckte Gewinnausschüttung unberührt blieben und den

Bestimmungen des Eigenkapitalersatzrechts vorgingen

(ME 306 BlgNR 21. GP 6). In den Erläuterungen zum

Vorschlag des § 5 EKEG wurde darauf hingewiesen, dass die

Schwestergesellschaft mit der Kreditgewährung an die in der

Krise befindliche Schwester eine Leistung an die gemeinsame

Muttergesellschaft erbringe, die als Gesellschafterin von der

Liquidität der Kreditnehmerin profitiere. Die Leistung an die

Muttergesellschaft verstoße gegen das Verbot der verdeckten

Gewinnausschüttung und sei rückgängig zu machen; daher sei

ein Anspruch der kreditgebenden Gesellschaft gegen die

Muttergesellschaft auf Erstattung vorgesehen

(ME 306 BlgNR 21. GP 32 f).

5. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zum

Erstattungsanspruch des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG liegt nicht

vor.

Zum Begriff der Weisung :

6.1. Hinsichtlich des Begriffs der Weisung

besteht in der Literatur Einigkeit darüber, dass dieser weit

auszulegen ist (Schopper/Vogt in Koller/Lovrek/Spitzer , IO

§ 9 EKEG Rz 11; Artmann in Karollus/Artmann , AktG6 § 52

Rz 60/1; Karollus in Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG

Rz 18; Dellinger in Dellinger/Mohr , Eigenkapitalersatz-

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34 6 Ob 154/19v

Gesetz § 9 Rz 8; Schmidsberger , Eigenkapitalersatz im

Konzern, in Dellinger/Keppert , Eigenkapitalersatzrecht

[2004] 119 [135]; Duursma/Duursma-Kepplinger/M. Roth ,

Handbuch zum Gesellschaftsrecht [2007] Rz 2407). Sie muss

auch nicht rechtsverbindlich sein (Schopper/Vogt in

Koller/Lovrek/Spitzer , IO § 9 EKEG Rz 11; Artmann in

Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus , Aktuelle

Fragen der „Weisung“ im Sinn des § 9 EKEG, in

Artmann/Rüffler/Torggler , Gesellschafterpflichten in der

Krise [2015] 105 f [unter Hinweis auf das im vorliegenden

Fall erstattete Rechtsgutachten]; Zehetner/Bauer ,

Eigenkapitalersatzrecht 80; Dellinger in Dellinger/Mohr ,

Eigenkapitalersatz-Gesetz § 9 Rz 8). Sie kann auch

konkludent erteilt werden (Artmann in Karollus/Artmann ,

AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus in Buchegger , Insolvenzrecht

§ 9 EKEG Rz 18).

6.2. Das weite Verständnis gründet darauf, dass

die Notwendigkeit erkannt wird, die in Konzernen üblichen

„subtileren Formen der Einflussnahme“ zu erfassen ( Karollus

in Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 18). Würde auf

eine förmliche Weisung abgestellt, wäre die Bestimmung

kaum je anwendbar (Dellinger in Dellinger/Mohr ,

Eigenkapitalersatz-Gesetz § 9 Rz 8).

6.3. Die für die Erfüllung des Weisungsbegriffs

des § 9 EKEG erforderliche Einflussnahme wird im Einzelnen

unterschiedlich umschrieben:

6.3.1. Entscheidend sei, dass die

weisungsgebende Gesellschaft von ihrer

Lenkungsmöglichkeit, die sie aufgrund der (mittelbar)

kontrollierenden Beteiligung habe, Gebrauch mach e. Auch

eine „sonstige Veranlassung“ sei erfasst (Schopper/Vogt in

Koller/Lovrek/Spitzer , IO § 9 EKEG Rz 11). Es müsse ein

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35 6 Ob 154/19v

entsprechender Wunsch oder ein Verlangen (unabhängig von

der Bezeichnung, etwa als Richtlinie, Anregung oder

Vorschlag [Artmann in FS Roth 32]) der Konzernspitze

erkennbar sein, die den Handlungsspielraum der Gesellschaft

einengten (Artmann in Karollus/Artmann , AktG6 § 52

Rz 60/1; Karollus in Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG

Rz 18); die übergeordnete Konzerngesellschaft müsse

unmissverständlich zu erkennen geben, dass sie die

Kreditgewährung wünsche (Koppensteiner , wbl 2008, 53

[57]). Entscheidend ist demnach die faktische Verbindlichkeit

im Sinn der vom gemeinsamen Gesellschafter gewollten

Einengung des Handlungsspielraums der Organe ( Karollus in

Artmann/Rüffler/Torggler , Gesellschafterpflichten 105 f).

Faktische Weisungen seien ausreichend (Zehetner/Bauer ,

Eigenkapitalersatzrecht 81; C. Fischer , Konzernfinanzierung

120 jeweils unter Hinweis auf den Gesetzgebungsprozess).

6.3.2. Die bloße Billigung der Kreditgewährung

wird hingegen als nicht ausreichend angesehen ( Artmann in

Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus in Artmann/

Rüffler/Torggler , Gesellschafterpflichten 102; wohl weiter

Koppensteiner in FS Nowotny 371).

6.4. Inhaltlich muss sich die Weisung auf die

Kreditgewährung beziehen (Schopper/Vogt in

Koller/Lovrek/Spitzer , IO § 9 EKEG Rz 11;); allerdings wird

auch eine generelle Weisung – etwa bei Einrichtung eines

zentralen Cash-Management – als ausreichend angesehen

(Artmann in Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus

in Artmann/Rüffler/Torggler , Gesellschafterpflichten 113).

6.5. Unterschiedliche Meinungen werden zur

Frage vertreten, ob die Weisung kausal für die

Kreditgewährung sein muss (dafür: Schopper/Vogt in

Koller/Lovrek/Spitzer , IO § 9 EKEG Rz 11; vgl Koppensteiner

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36 6 Ob 154/19v

in FS Nowotny 371; dagegen: Artmann in Karollus/Artmann ,

AktG6 § 52 Rz 60/1; dagegen noch Karollus in Buchegger ,

Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 18; nunmehr für das

Kausalitätserfordernis: Karollus in Artmann/Rüffler/Torggler ,

Gesellschafterpflichten 111 f).

6.6. Bei Personalunion der Organe der

Obergesellschaft und der kreditgebenden Gesellschaft

erübrige sich eine gesonderte Weisung (Artmann in Karollus/

Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus in Buchegger ,

Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 18; Dellinger in Dellinger/Mohr ,

Eigenkapitalersatz-Gesetz § 9 Rz 8).

6.7. Die analoge Anwendung der

Vermutungsregel des § 6 Abs 2 EKEG auf das Vorliegen einer

Weisung wird überwiegend abgelehnt (Artmann in

Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus in

Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 20; Zehetner/Bauer ,

Eigenkapitalersatzrecht 80; wohl auch Dellinger in Dellinger/

Mohr , Eigenkapitalersatz-Gesetz § 9 Rz 8; aM Schopper/Vogt

in Koller/Lovrek/Spitzer , IO § 9 EKEG Rz 11; Schopper in

Schopper/Vogt , Eigenkapitalersatzgesetz § 9 Rz 38;

C. Fischer , Konzernfinanzierung 121).

6.8. Allerdings wird durchwegs die Heranziehung

des Anscheinsbeweises befürwortet (Artmann in

Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Dellinger in

Dellinger/Mohr , Eigenkapitalersatz-Gesetz § 9 Rz 8), weil die

Kreditgewährung zwischen zwei aneinander nicht beteiligten

Konzerngesellschaften typischer Weise nur über Veranlassung

der Konzernspitze erfolge (Dellinger , ecolex 2002, 332;

Fellner/Mutz , Eigenkapitalersatz-Gesetz 90), dies

insbesondere im Fall der Kreditunwürdigkeit der

Kreditnehmerin (Zehetner/Bauer , Eigenkapitalersatzrecht 80;

Karollus in Buchegger , Insolvenzrecht § 9 EKEG Rz 20;

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37 6 Ob 154/19v

Dellinger in Dellinger/Mohr , Eigenkapitalersatz-Gesetz § 9

Rz 8; vgl Krejci , ecolex 1993, 308 [310]).

Kein Fall des Anscheinsbeweises wird aber dann

gesehen, wenn die Kreditgeberin an der Kreditnehmerin

maßgeblich beteiligt ist, weil es diesfalls an dem für den

Anscheinsbeweis erforderlichen typischen Geschehensablauf

fehle (Artmann in Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1;

Karollus in Artmann/Rüffler/Torggler , Gesellschafterpflichten

in der Krise [2015] 120 f).

Der Senat hat erwogen :

7.1. Zur Beurteilung der Frage, ob der

kreditgebenden Gesellschaft in einer Konstellation wie der

vorliegenden der Erstattungsanspruch des § 9 Abs 1 Satz 2

EKEG zusteht, kann mit der Wortinterpretation allein nicht

das Auslangen gefunden werden (in diesem Sinn Artmann in

FS Roth 34 Fn 68; Kalss , GesRZ 2015, 304).

7.2. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist die

Konstellation einer von oben nach unten in gerader Linie

stattfindenden Kreditvergabe auf Weisung einer

Konzerngesellschaft, die an der kreditgebenden und der

kreditnehmenden Gesellschaft im Sinn des § 9 Abs 1 EKEG

beteiligt ist, vom Wortlaut der Bestimmung erfasst. Diesem

kann nämlich nur entnommen, dass eine Beteiligung der

Kreditgeberin an der Kreditnehmerin keine notwendige

Voraussetzung für die Anwendung des § 9 EKEG ist (in

diesem Sinn auch Kalss , GesRZ 2015, 304).

8.1. Aus den Materialien ergibt sich, dass der

Gesetzgeber den Zweck verfolgte, mit § 9 EKEG den auf

Weisung der gemeinsamen Muttergesellschaft erteilten Kredit

zwischen Schwestergesellschaften im Konzern zu erfassen

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38 6 Ob 154/19v

und in das Eigenkapitalersatzrecht einzubeziehen. Dieser

Zweck wurde im Wege des § 9 Abs 1 Satz 1 EKEG umgesetzt.

8.2. Für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs

des § 9 EKEG im Hinblick auf downstream-Kreditvergaben

können den Materialien nach Ansicht des Senats allerdings

keine Anhaltspunkte entnommen werden. Der in den

Erläuterungen zur Regierungsvorlage nicht begründete Entfall

der noch im Ministerialentwurf enthaltenen Regelung des

Verhältnisses des Erstattungsanspruchs zur

Einlagenrückgewähr gibt in diesem Zusammenhang keine

weiteren Aufschlüsse.

8.3. Festzuhalten ist lediglich, dass der dem

Gesetzgeber offenkundig vor Augen stehende Fall des auf

Weisung der Konzernmutter während des Vorliegens einer

Unternehmenskrise gewährten Schwesternkredits typischer

Weise eine verbotene Einlagenrückgewähr darstellt. Dies

deshalb, weil die Kreditgeberin typischer Weise durch die

Kreditvergabe an die in der Krise befindliche

Schwestergesellschaft – durch die Rückzahlungssperre des

§ 14 EKEG und das hohe Ausfallsrisiko – belastet ist, ohne

dass dem ein Vorteil gegenüber stünde, wohingegen die

weisungsgebende Obergesellschaf t typischer Weise von der

Kreditgewährung an die Konzerngesellschaft, an der sie

qualifiziert beteiligt ist, profitiert (vgl Schmidsberger in

Dellinger/Keppert , Eigenkapitalersatzrecht 135 ff).

Die Deutung, dass der Erstattungsanspruch des

§ 9 Abs 1 Satz 2 EKEG „zumindest in seinem Kern“ ein

Sonderfall des § 83 Abs 1 EKEG sei (Torggler in Straube ,

WK GmbHG [Vorauflage Stand 1. 8. 2009] § 115 Rz 24),

trifft daher zu.

8.4. Dieser Befund bedeutet aber nicht, dass das

Vorliegen der Voraussetzungen einer verbotenen

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Einlagenrückgewähr für die Berechtigung des

Erstattungsanspruchs gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG

erforderlich wäre.

In der Literatur wird in diesem Zusammenhang

darauf hingewiesen, dass auch in der prototypischen

Konstellation des Schwesternkredits nicht notwendiger Weise

eine verbotene Einlagenrückgewähr zugunsten des

gemeinsamen Gesellschafters vorliegen müsse. So sei etwa

der Fall denkbar, dass ein Schwesternkredit auch unabhängig

von der Konzernverbundenheit aus geschäftspolitischen

Erwägungen gegeben worden wäre, wenn die Kreditnehmerin

Hauptzulieferer oder -abnehmer der Kreditgeberin ist

(C. Fischer , Konzernfinanzierung 106 [Fn 404], 111 [421]).

Die Beurteilung, ob eine darauf gerichtete Weisung der

übergeordneten Konzerngesellschaft bei der gebotenen

wirtschaftlichen Betrachtungsweise (RS0105532 [T11])

bereits dazu führt, dass eine Leistung an die Obergesellschaft

vorliegt (vgl Artmann in FS Roth 30; vgl zur Fragestellung

Karollus , Einlagenrückgewähr und verdeckte

Gewinnausschüttung im Gesellschaftsrecht, in Leitner ,

Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung [2014] 32) ist für

die Berechtigung des Erstattungsanspruchs des § 9 Abs 1

Satz 2 EKEG nicht entscheidend.

9. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist die

Abgrenzung des Anwendungsbereichs des § 9 EKEG anhand

der dieser Bestimmung zugrunde liegenden wesentlichen

Wertungen vorzunehmen:

9.1. Auszugehen ist zunächst davon, dass der

Erstattungsanspruch des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG einen von

Satz 1 dieser Bestimmung verschiedenen Zweck erfüllt. Satz 1

dient dem Schutz der Gläubiger der kreditnehmenden

Gesellschaft durch Erweiterung des Kreises der erfassten

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Gesellschafter. Der in Satz 2 leg cit angeordnete

Erstattungsanspruch kommt hingegen der kreditgebenden

Gesellschaft bzw deren Gläubigern zugute.

9.2. § 9 EKEG dient im Wesentlichen dazu,

Umgehungskonstruktionen durch Einschaltung von

Konzerngesellschaften zu erfassen (vgl Kalss , GesRZ 2015,

302 [303]; Koppensteiner in FS Nowotny 370; Schopper in

Schopper/Vogt , § 9 Rz 38: „Vorschieben“ eines

Konzernmitglieds als Kreditgeber im Weg der Weisung). § 9

Abs 1 Satz 1 EKEG betrifft die Umgehung der Rechtsfolgen

des § 14 EKEG. Aber auch die in § 9 Abs 1 Satz 2 und 3

EKEG angeordneten Rechtsfolgen – Rückerstattungsanspruch

und Übergang der Rechtsstellung der Kreditgeberin auf die

weisungsgebende Gesellschafterin – verfolgen den Zweck,

den zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgang rechtlich

korrekt abzubilden. Sie können daher ebenfalls als

Umgehungsschutz angesehen werden.

9.3. § 9 EKEG regelt Fälle, in denen typischer

Weise die (weisungsgebende) Gesellschafterin

„Finanzierungsverantwortung“ hinsichtlich der

Kreditnehmerin trägt. Typischer Weise kommt eine Sanierung

der kreditnehmenden Gesellschaft der weisungsgebenden

Gesellschaft wirtschaftlich zugute. Hingegen besteht

typischer Weise kein wirtschaftliches Eigeninteresse der

Kreditgeberin an der Sanierung der Kreditnehmerin. Durch

die Weisung ist das wirtschaftliche Interesse der

Gesellschafterin an der Kreditvergabe dokumentiert.

9.4. Ist die Weisung kausal für die

Kreditgewährung und gereicht die Kreditgewährung der

Kreditgeberin typischer Weise zum Nachteil, so bewirkt der

Erstattungsanspruch wirtschaftlich gesehen einen Ausgleich

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für den von der Kreditgeberin aufgrund der Weisung

erlittenen Nachteil.

10. Diese Erwägungen kommen in einem Fall wie

dem hier vorliegenden nur in einem eingeschränkten Umfang

zum Tragen.

10.1. Bei einer downstream-Kreditvergabe, bei

der die Kreditgeberin bereits erfasste Gesellschafterin der

Kreditnehmerin ist, trägt die kreditgebende Gesellschaft

selbst „Finanzierungsverantwortung“ für die Kreditnehmerin;

eine Sanierung der Kreditnehmerin kommt typischer Weise

(auch) ihr zugute. In diesem Zusammenhang kann auch nicht

ohne Weiteres stets davon ausgegangen werden, dass die

Kreditvergabe als Nachteil für die Kreditgeberin zu werten

ist: Die eine (in der Folge kreditgebende) Gesellschaft ist

nämlich qualifiziert an der in der Krise befindlichen anderen

(in der Folge kreditnehmenden) Gesellschaft beteiligt, was

jedenfalls die wirtschaftliche Entscheidung erforderlich

macht, ob und gegebenenfalls mit welcher Art der

Finanzierung eine Sanierung der in der Krise befindlichen

Gesellschaft versucht werden soll.

10.2. Unverändert gegenüber der Konstellation

des Schwesternkredits bleibt allerdings der Befund, dass auch

in Fällen der downstream-Kreditvergabe die Weisung des

Gesellschafters dokumentiert, dass dieser ein Interesse an der

Kreditvergabe an die in der Krise befindliche

Konzerngesellschaft hat und auch gewillt ist, die

Kreditvergabe entgegen den Interessen der Kreditgeberin

durchzusetzen.

11. Ausgehend von diesen Erwägungen vermag

sich der erkennende Senat der Ansicht, dass die Anwendung

des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG in Fällen wie dem vorliegenden –

in dem die Kreditvergabe auf Weisung der im Sinn des § 9

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42 6 Ob 154/19v

Abs 1 EKEG an der Kreditgeberin und der Kreditnehmerin

beteiligten Konzerngesellschaft erfolgte, und in denen die

kreditgebende Gesellschaft ihrerseits erfasste Gesellschafterin

der kreditnehmenden Gesellschaft ist – schlechthin

ausgeschlossen wäre, nicht anzuschließen.

11.1. Dies folgt schon daraus, dass § 9 Art 1

Satz 2 EKEG unzweifelhaft den Schutz der Gläubiger der

kreditgebenden Gesellschaft anordnet (vgl Koppensteiner in

FS Nowotny 371 f): Es ist offenkundig, dass bei Vorliegen

des Zurechnungselements „Weisung“ auch diese vor dem

„Einschieben“ (vgl Schopper in Schopper/Vogt , § 9 Rz 38)

weiterer Konzerngesellschaften geschützt werden. Ein solcher

Schutzzweck kann aber auch im vertikalen Verhältnis zum

Tragen kommen. In einer Konstellation wie der vorliegenden

kommt daher der Weisung als Zurechnungselement zur

gemeinsamen Gesellschafterin das entscheidende Gewicht zu.

11.2. Zum Anwendungsbereich des § 9 Abs 1

EKEG ist daher als Ergebnis festzuhalten: Liegt eine Weisung

vor, ist – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 9

EKEG – auch bei der Kreditgewährung im vertikalen

Verhältnis von oben nach unten der Erstattungsanspruch

berechtigt.

12.1. Hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der

Weisung schließt sich der Senat der Ansicht an, dass § 9

EKEG keine ausdrückliche Weisung verlangt. Zu fordern ist

aber die Ausübung der Lenkungsmöglichkeit der

weisungsgebenden Gesellschaft (vgl Schopper/Vogt in Koller/

Lovrek/Spitzer , IO § 9 EKEG Rz 11) derart, dass eine

erkennbar nach außen tretende Willensäußerung der

übergeordneten Konzerngesellschaft an die Kreditgeberin

herangetragen wird, die den Handlungsspielraum der

Gesellschaft einengt. Diese hat über die bloße Billigung der

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43 6 Ob 154/19v

Kreditgewährung hinauszugehen (vgl Artmann in

Karollus/Artmann , AktG6 § 52 Rz 60/1; Karollus in Artmann/

Rüffler/Torggler, Gesellschafterpflichten 107 ff).

Entscheidend ist dabei jeweils nicht die gewählte

Bezeichnung der Willensäußerung, sondern die gewollte und

tatsächlich bewirkte Einflussnahme auf den

Handlungsspielraum der Gesellschaft.

12.2. Sofern in den Entscheidungsorganen der

kreditgebenden Gesellschaft mehrheitlich Mitglieder der

Entscheidungsorgane der weisungsgebenden Gesellschaft

vertreten sind, erscheint es sachgerecht, unter

Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls von

herabgesetzten Anforderungen an die Ausprägung der

Weisung auszugehen. Dies ist etwa auch dann sachgerecht,

wenn die Person, die die „Doppelrolle“ innehat, die

Möglichkeit hat – etwa aufgrund einer Ressortverteilung –

faktisch die Entscheidungsbefugnis der übrigen Mitglieder der

Geschäftsführung einzuengen (vgl Karollus in

Artmann/Rüffler/Torggler , Gesellschafterpflichten 113).

12.3. Der Inhalt der Weisung muss die

Kreditvergabe zumindest miterfassen und für diese

(mit-)kausal sein.

12.4. Die Beweislast für das Vorliegen einer

Weisung (im dargestellten Sinn) trifft den Kläger.

Dieser kann sich im vorliegenden Fall nicht auf

die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises stützen, weil

hier die kreditgebende Gesellschaft selbst mittelbar

mehrheitlich an der kreditnehmenden Gesellschaft beteiligt

ist. In einer solchen Konstellation kann nicht davon

ausgegangen werden, dass die Kreditgewährung an die in der

Krise befindliche Tochter erfahrungsgemäß nur auf Weisung

der übergeordneten Konzerngesellschaft erfolgt wäre. Es fehlt

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daher an dem für den Anscheinsbeweis vorausgesetzten

typischen Geschehensablauf (RS0040266; RS0022611;

RS0040287).

Zum Aufhebungsbeschluss :

13. Das Berufungsgericht begründete den

Aufhebungsbeschluss mit der unterbliebenen Einvernahme der

Zeugen S***** und T***** zum Themenkomplex des

Vorliegens einer Weisung im Sinn des § 9 EKEG sowie der

unterbliebenen Einholung eines Sachverständigengutachtens

zum Vorliegen einer Krise.

13.1. Die diesem Aufhebungsbeschluss zugrunde

liegende Rechtsansicht, dass es für den geltend gemachten

Anspruch gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG auf das Vorliegen

einer Weisung ankommt, ist zutreffend.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten

Verfahren das Beweisverfahren im Hinblick auf das Vorliegen

einer Weisung im Sinn des § 9 Abs 1 Satz 2 EKEG,

gegebenenfalls im Hinblick auf das Vorliegen einer Krise im

Sinn des § 2 EKEG, zu ergänzen haben.

13.2.1. Die Rekurswerberin steht auf dem

Standpunkt, das Berufungsgericht habe die unterbliebene

Einvernahme der Zeugen S***** und T***** zu Unrecht als

Verfahrensmangel behandelt, weil es ohne darauf gerichtete

Rüge einen Mangel der Beschlussfassung über das

Aussageverweigerungsrecht der Zeugen aufgegriffen habe und

weil das Erstgericht deren Weigerung zutreffend als

berechtigt beurteilt habe.

13.2.2. Die Rekurswerberin wird mit ihren

Ausführungen zum Aussageverweigerungsrecht der Zeugen

auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 155/19s

verwiesen. Mit dieser Entscheidung wurden die

Revisionsrekurse der Zweitbeklagten und der genannten

Page 45: 6 Ob 154/19v - RIS Informationsangebote...2020/04/23  · Diese Vorgangsweise habe ein existenzgefährdendes Risiko dargestellt. Es sei absehbar gewesen, dass die A***** Holding aufgrund

45 6 Ob 154/19v

Zeugen zurückgewiesen, sodass die Entscheidung des

Rekursgerichts, mit der der vom Erstgericht gefasste

Beschluss über die Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung

der Zeugen ersatzlos behoben wurde, in Rechtskraft erwuchs.

13.3. Der Aufhebungsbeschluss des

Berufungsgerichts beruht auch nicht auf einer aktenwidrigen

Grundlage:

Die Rekurswerberin verkennt, dass das

Berufungsgericht einen Verfahrensmangel nicht in der

Berücksichtigung von im Verfahren vorgelegten Urkunden

(hier: Sachverständigengutachten aus dem strafrechtlichen

Ermittlungsverfahren), sondern in der unter Berufung auf

§ 281a ZPO unterbliebenen Einholung des vom Kläger

beantragten Sachverständigengutachtens zum Vorliegen einer

Krise im Sinn des § 2 EKEG erkannte.

13.4. § 281a ZPO sieht eine Lockerung des

Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor (vgl RS0113304), indem es

unter den dort angeführten Voraussetzungen die mittelbare

Beweisaufnahme unter gleichzeitiger Abstandnahme von der

unmittelbaren Beweisaufnahme gestattet.

13.5. Auch hinsichtlich der Zeugen S***** und

T***** liegt die vom Berufungsgericht aufgegriffene

unrichtige Anwendung des § 281a ZPO im Unterbleiben der

unmittelbaren Beweisaufnahme, nicht in der Verwertung der

als Urkunden vorgelegten Protokoll. Die Rekursausführungen

zur Zulässigkeit der Verwertung der vorgelegten

Vernehmungsprotokolle gehen daher ins Leere. Der Kläger

hat die unterbliebene Einvernahme der Zeugen – entgegen den

Rekursausführungen – in seiner Berufung auch gerügt.

14. Im Ergebnis kommt dem Rekurs der

Zweitbeklagten daher keine Berechtigung zu. Das Erstgericht

wird das Verfahren im aufgezeigten Sinn zu ergänzen haben.

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15. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52

ZPO.

Oberster Gerichtshof,Wien, am 23. April 2020

Dr. S c h r a m mFür die Richtigkeit der Ausfertigungdie Leiterin der Geschäftsabteilung: