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Universität Duisburg-Essen Institut für Geographie Didaktik der Geographie
Seminar: Europa im Geographieunterricht
Seminarleitung: PD Dr. Ursula Müller-ter Jung (Prof. i.V.)
Seminararbeit von Tobias B. Müller:
„Geographieunterricht und ‚neues Europa’:
Lernen über und Denken für Europa“
–
Probleme, Erwartungen, Konsequenzen
2
Gliederung:
1 Einführung…………………………………………………………………….…………..3
2 Vorstellung ausgewählter Texte zum Thema………………………………………….….5
2.1 Kirchberg, Günter (1991): Europa - eine Herausforderung für den
Geographieunterricht……………………………………………………………………..…5
2.2 Vielhaber, Christian (1994): Europa als zentrale Aufgabe eines politischen
Geographieunterrichts………………………………………………………………...…….7
2.3 Kirchberg, Günter (1997): Lernen für Europa. Thesen und Materialien für den
Geographieunterricht……………………………………………………………….……….8
2.4 Fuchs, Gerhard (2000): Unterricht „für“ Europa. Konzepte und Bilanzen der
Geographiedidaktik……………………………………………………………….……….10
2.5 Hitz, Harald (2006): Geographieunterricht und „neues Europa“: Lernen über und
Denken für Europa – Probleme, Erwartungen, Konsequenzen……………………………13
3 Schlussbetrachtung…………….……………………………….………………………..15
Literatur……………………………………………………………………………………16
Internetquellen……………………………………………………………………………..16
Abbildungsverzeichnis………………………………………………………………...…..16
3
1 Einführung
Das Thema „Europa“ ist überaus vielfältig im Unterricht, im Schulalltag, im Denken und
Handeln in der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe vertreten. „Europa“ begegnet
uns mehr als wir wahrnehmen und feststellen. Der Geographieunterricht nähert sich dem
Thema „Europa“ in unterschiedlicher Weise, je nachdem, wie es die Richtlinien und
Lehrpläne der (Bundes-) Länder für die Schulformen und Jahrgangsstufen vorsehen und
wie die einzelnen Lehrer diese umsetzten. Gerade im Schulfach Geographie1 kann die
Auseinandersetzung mit „Europa“ sehr verschieden sein. Dass „Europa“ im
Unterbewusstsein und in der allgemeinen Wahrnehmung fester verankert ist als zunächst
angenommen wird, verwundert selbst den geübten Betrachter.
Für den Geographieunterricht sind Fragen nach dem Thema „Europa“ in großer
Spannweite zu stellen, zu erörtern und, wenn möglich, zu beantworten. Hierbei spielt die
persönliche Vorerfahrung und das eigene Interesse des einzelnen eine große Rolle. Als
Raumwissenschaft sollte die Geographie „Europa“ nicht nur in seinen politischen und
gesellschaftlichen Dimensionen, sondern auch in seiner Ausdehnung, seinen historischen
Bedingungen und seiner Perspektive erkunden. Hier tritt zu Tage, welche Möglichkeiten
des fächerübergreifenden Unterrichts denkbar und auch erwünschenswert sind. Neben
Geographie kann das Thema „Europa“ praktisch in allen Fächern behandelt werden, je
nach “Zeit“ und „Raum“, die gegeben sind. Die zentralen Fragestellungen dieser Arbeit
sind: Was ist das „neue“ Europa im Geographieunterricht? Was bedeutet lernen über und
denken für Europa, für den einzelnen und für die didaktische Arbeit? Hieraus ergeben sich
Probleme, Erwartungen und Konsequenzen.
In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Texte zum Thema
„Geographieunterricht und „neues Europa“: Lernen über und Denken für Europa -
Probleme, Erwartungen, Konsequenzen“ vorgestellt. Basis für alle Überlegungen ist der
Beitrag von Harald Hitz.2
1 Ich verwende absichtlich nicht den Begriff Erdkunde, da dieser nicht die Beschreibung der Welt im Sinne des Grieschichen Geos für Erde und graphein für beschreiben entspricht und die Wissenschaftlichkeit nicht ausreichend berücksichtigt. 2 Hitz, Harald (2006): Geographieunterricht und „neues Europa“: Lernen über und Denken für Europa – Probleme, Erwartungen, Konsequenzen. In: Vielhaber, Christian u.a.: Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde. Wien, S. 11-18.
4
Abb. 1: Das geographische Europabild3
3 Dies ist das Bild, das die meisten Schüler, aber auch Lehrer, von Europa in geographischem Sinne haben. Es zeigt durch eine Satellitenaufnahme einen Teil des Europäischen Kontinents. Der eingeschränkte Ausschnitt drückt die ebenfalls eingeschränkte Sichtweise auf oder von Europa der Schüler und Lehrer aus. Hier fängt Das Europabild weder an, noch hört es hier auf. Eine Interpretation dieses Bildes, nicht nur nach physiogeographischen Aspekten, könnte das „Europabild“ in den Köpfen der Schüler ins Wanken bringen und zu einem neuen Denken über Europa beitragen.
5
2 Vorstellung ausgewählter Texte zum Thema
Die folgenden Texte zum Thema dieser Arbeit zeigen Überlegungen zu „Europa“ auf, die
aus ihrer jeweiligen Zeit (1991 - 2006) Europa im Geographieunterricht betrachten. Eine
Entwicklung der Positionen zum Thema „Europa“ im Unterricht wird hier deutlich.
2.1 Kirchberg, Günter (1991): Europa - eine Herausforderung für den
Geographieunterricht
„Unser Fach muß stärker als bisher die europäische Dimension im Unterricht
berücksichtigen“.4 Mit diesem Schlagwort nähert sich Kirchberg dem Thema „Europa“ im
Geographieunterricht. Es wird deutlich, dass (der Text wurde 1991 veröffentlicht!) nach
der Öffnung der Mauer ein Öffnen des Bewusstseins für Europa geschehen muss, um mit
der Zeit zu gehen und der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der
Geographiedidaktik Rechnung zu tragen. Kirchberg stellt fest, dass der Abbau der Ost-
West-Konfrontation5 die Staaten Europas näher zusammen bringen würde und dass
politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit möglich werde, wo zuvor noch Grenzen
Europa teilten.6 Die Vereinigung beider deutscher Staaten führe zudem zu einer neuen
Verantwortung Deutschlands in Europa7. Hiermit erkennt der Autor einen Teil der
veränderten gesamteuropäischen Situation: Diese geänderte Perspektive führt zu einer
neuen Sicht auf Europa. Die Schule müsse ein Denken in „europäischen Dimensionen“
stärker als bisher in den Unterricht einbeziehen.8 Dies könne durch die Vermittlung des
europäischen Gedankens geschehen.9 Zu diesem „europäischen Gedanken“ zählt
Kirchberg u.a. „den Willen zur Wahrung des Friedens in Europa und der Welt [und] eine
kulturübergreifende Aufgeschlossenheit, die die eigene kulturelle Identität wahrt, [oder]
das Eintreten für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gerechtigkeit und wirtschaftliche
Sicherheit“.10 „Europa“ sei demnach mehr als nur ein Begriff, sondern eine Idee, die einen
4 Kirchberg, Günter (1991): Europa - eine Herausforderung für den Geographieunterricht. In: Zeitschrift für den Erdkundeunterricht. 43 (12) S. 410. 5 Hier wird schon deutlich, dass „Europa“ von einem Westeuropäer betrachtet wird. Der Perspektive des Betrachtens bzw. des Betrachters wird in dieser Arbeit eine entscheidende Rolle zukommen. 6 Ebd.: S. 410. 7 Ebd.: S. 410. 8 Ebd.: S. 410. 9 Ebd.: S. 411. 10 Ebd.: S. 411.
6
dynamischen Europabegriff beinhalte. 11 Daraus folgt, dass die Einstellung zu Europa weg
von der Fixierung auf West- bzw. auf EU- Europa müsse.12 Die Entwicklung eines Europa-
Gedankens tritt Anfang der 1990er Jahre in den Mittelpunkt geographiedidaktischer
Diskussionen. Kirchberg stellt vier geographische Elemente der Europaerziehung13 vor:
1. Topographie Europas:
Gemeint sind die Kenntnis von Lage und Lagebeziehungen der Staaten, Städte usw., die
Verteilung der Bodenschätze und die Probleme der Verkehrsadern in Europa. Ziel ist es,
die Schüler zu befähigen, sich im Raum Europa orientieren zu können.14
2. Der Raum Europa:
Die Aufgabe der Geschichte ist es, die historisch-kulturelle Einheit Europas darzustellen.
Der Geographie fällt die Bestimmung zu, Kenntnis über die räumliche Vielfalt zu
vermitteln. Dabei sollen exemplarisch weniger Staaten, als Regionen kennengelernt
werden. Die Schüler sollen Europa als Kultur-, Umwelt- und Wirtschaftsraum
wahrnehmen.15
3. Das Thema „Europa“:
Diesem Element der Europaerziehung kommt eine besondere Bedeutung zu. Es präsentiert
in transnationaler Weise die Verschiedenheit Europas und auch die Gleichartigkeit
mancher Probleme über Grenzen hinweg auf. Raumabschnitte, die europäische Probleme
zeigen, wie Landwirtschaft, Verkehrs- oder Umweltprobleme usw., werden in
europäischen Bezügen (grenzüberschreitend) problematisiert. Der „Europa-Gedanke“ hat
hier seinen Kern.16
4. Europa und die Welt:
Das Thema „Europa“ im Geographieunterricht kann nicht losgelöst von weltweiten
Verflechtungen erarbeitet werden. Die Betrachtung der außenwirtschaftlichen
Verbindungen, der politischen Einbindung Europas z.B. in Gremien der internationalen
Entscheidungsfindung oder der Kulturtransfer von und nach Europa muss in einem
globalen Kontext eingebettet sein. Die Schüler sollen erkennen können, dass Europa in
weltweite Strukturen eingebunden ist.17
11 Ebd.: S. 412. 12 Ebd.: S. 412. 13 An dem Begriff „Europaerziehung“ wird deutlich, dass ein Schritt zum Denken für Europa nicht nur in der Bildung, sondern auch in der Erziehung verankert werden muss, um die persönliche Einstellung eines jeden zu „Europa“ zu verändern oder zu stabilisieren. 14 Ebd.: S. 412. 15 Ebd.: S. 412. 16 Ebd.: S. 412. 17 Ebd.: S. 412.
7
Kritik übt Kirchberg an der Vermittlung des Europabildes in Geographiebüchern. Seiner
Meinung nach ist Europa als „EG-Europa“ zu stark fixiert. Der Europagedanke sei in den
Schulbüchern noch auffällig wenig thematisiert. Die Schlussfolgerung, um aus diesem
Dilemma zu entfliehen, ist nach Kirchberg, dass die Komplexität der Probleme, die
Vernetzungen und die regionalen Bedeutungen für Europa und für den einzelnen
herausgearbeitet werden müssen. Dies würde die Schüler zu Mündigkeit und Kritik führen,
zu Menschen werden lassen, die „Europa ohne Euphorie als historische Notwendigkeit
anerkennen und aktiv an seiner Gestaltung mitwirken wollen“.18
2.2 Vielhaber, Christian (1994): Europa als zentrale Aufgabe eines politischen
Geographieunterrichts
Zu Beginn seines Aufsatzes über „Europa als zentrale Aufgabe eines politischen
Geographieunterrichts“19 stellt Vielhaber fest, dass Europa nicht mehr das sei, was es
einmal gewesen sei. Die Deutsche Einheit ist zum Zeitpunkt des Erscheinens des Beitrags
des Autors seit fast vier Jahre wieder hergestellt, zumindest rechtlich, der Jugoslawienkrieg
tobt als Konsequenz neuer Nationalstaatsbestrebungen und Europa hat sich weltpolitisch
gewandelt. Die Situation von „hier und drüben“20 ist komplizierter geworden.
Nationalismus, Protektionismus und Radikalismus seien die Triebfedern des
Erosionsprozesses der politischen Mitte, die bisher Garant für den Integrationsprozess der
Europäischen Gemeinschaft sei.21 Die Integrationspflicht drohe an der politischen und
wirtschaftlichen Realität zu scheitern.22 Ver- und Entflechtungsprozesse im Kontext
gesellschaftlicher Ansprüche (EU!) würden immer komplizierter. Die Geographie könne
allerdings in diesem Netzwerk durch Bildung Integration schaffen!23 Die Aufgabe eines
politischen Geographieunterrichts, der integrative Fähigkeiten innehabe, sei, die Ängste,
Bedrohungsgefühle, Befindlichkeiten oder dem Enthusiasmus auf die Spur zu kommen,
um sie diskutabel zu machen. Der Abbau dieser Ängste soll ein positives Denken über und
für Europa ermöglichen. Hierzu nennt Vielhaber einige Beispiele, die in der Praxis
umgesetzt werden können. So z.B. die Technik des Nach- und Hinterfragens. Nach
18 Ebd.: S. 413 19 Vielhaber, Christian (1994): Europa als zentrale Aufgabe eines politischen Geographieunterrichts. In: Praxis Geographie 24 (3) S. 16. 20 Ebd.: S. 16. 21 Ebd.: S. 16. 22 Ebd.: S. 16. 23 Ebd.: S. 16.
8
Einübung entsprechender Gesprächsformen kann innerhalb von Kleingruppen eine
Diskussion über Europa, bzw. die Ängste in Bezug zum Thema usw., stattfinden. Der
Lehrer kann wahlweise Moderator, Impulsgeber, Beobachter oder Diskutant sein.24
Auffällig am Blickfeld Vielhabers ist, dass er, wenn er von Europa spricht, meist EU-
Europa meint. Dies ist der genau das Europabild, welches nicht mehr zeitgemäß war und
ist, da die Trennung zwischen Ost und West, zwischen Arm und Reich usw. langsam
verschwindet oder teilweise schon verschwunden ist. Es geht also um die Perspektive, um
die Einstellung zu „Europa“ in den Köpfen der Europäer. Diese wandelt sich und muss
deshalb auch in einem dynamischen Geographieunterricht aufgenommen und weiter
entwickelt werden.
2.3 Kirchberg, Günter (1997): Lernen für Europa. Thesen und Materialien für
den Geographieunterricht
Sechs Jahre nach seiner Arbeit zum Thema „Europa - eine Herausforderung für den
Geographieunterricht“25 gibt Kirchberg einige konkrete Hinweise für die
Auseinandersetzung mit dem Thema dieser Arbeit im Geographieunterricht. Hierzu stellt
Kirchberg sechs Thesen vor, die als zentrale Vertiefung des Lernens für Europa angesehen
werden können. Der Grundüberlegung geht die Frage nach den Inhalten des
Geographieunterrichts voraus: „(…) reicht es aus, europäische Regionen ´durchzunehmen´,
wenn die Jugendlichen auf die Zukunftsherausforderung Europa vorbereitet werden
sollen?“26
Lernen für Europa heißt:
1. Informiert zu werden
Die Vertrautheit mit der räumlichen Vielfalt Europas herzustellen, ist nach Kirchberg
immer noch eine zentrale Aufgabe der Geographie in der Schule.27 Dies geschieht durch
das Identifizieren und durch die in Bezugsetzung von Strukturen und Prozessen in
europäischen Dimensionen. Kurz gesagt: Kenntnis von Strukturen haben und Prozesse
verstehen lernen.
Kritik an der Umsetzung der Forderung nach Information sieht Kirchberg bei der
Umsetzung aktueller (Europa-) Themen in den Schulbüchern. Das vermittelte Europabild 24 Ebd.: S. 17. 25 S. FN 4. 26 Kirchberg, Günter (1997): Lernen für Europa. Thesen und Materialien für den Geographieunterricht. In: Praxis Geographie 27 (10) S. 30. 27 Ebd.: S. 30.
9
sei zu EU-fixiert und die Darstellung von Ländern sei zu einseitig, zu klischeehaft. Hier
müsse ausgewogener und umfassender über das ganze Europa informiert werden.28
2. Die europäischen Dimensionen zu erkennen
Für Kirchberg heißt dies, dass das Thema „Europa“ in den Schulbüchern immer noch zu
kurz käme – das Thema, nicht der Raum.29 Da die bloße Behandlung von europäischen
Raumstrukturen nicht Reiche, um Jugendlichen den Europagedanken näher zu bringen,
müsse Europa selbst thematisiert werden. Nur so seien Haltungen und Einstellungen zur
Herausforderung „Europa“ zu gewinnen.30 Europäische Zusammenarbeit und Integration
müsse als Teil der Gegenwart und Zukunft erkannt werden.31 Kritisch bewertet Kirchberg,
dass der Europabegriff immer noch topographisch, und dass das vermittelte Europabild zu
EU-fixiert und negativ gesehen wird.32 Um die europäischen Dimensionen geographischer
Themen deutlich zu machen, gibt es nach Kirchberg zwei Ansatzpunkte: 1. Die
Erweiterung der Unterrichtsthemen um europabezogene Perspektiven und 2. durch
Themen, welche die Europäisierung konkret verdeutlichen. Diese können z.B. die
Notwendigkeit der länderübergreifenden Zusammenarbeit sein, wie im Alpenraum oder in
der Ostsee.33 Hieraus folgt die Konsequenz, dass der Unterricht mit veränderten
Lehrplänen und Schulbüchern stattzufinden hat.
3. Mit Vorurteilen bewusster umzugehen
Europa-Lernen soll nicht unbedingt nur Begeisterung auslösen, sondern auch zur Kritik
anregen. Wichtig sei es, im Geographieunterricht sachlich über Europa zu informieren, was
eine kritische Haltung auf Fehlentwicklungen mit einschließe. Europalernen soll
interkulturelles Lernen sein und zu mehr Toleranz führen. „Vorurteile gegen Europa
wurzeln meist aus dem Empfinden einer Bedrohung. Das Neue und Fremde wird
abgelehnt, weil es die Denk- und Wertgrundlagen der eigenen Lebenswelt verunsichert.“34
Der Unterricht muss deshalb das eigene Orientierungssystem reflektieren, da das
Fremdbild immer auf eigenen Erfahrungen und Vorstellungen fußt.
28 Ebd.: S. 30. 29 Ebd.: S. 30. 30 Ebd.: S. 30. 31 Ebd.: S. 30. 32 Ebd.: S. 30. 33 Ebd.: S. 30. 34 Ebd.: S. 30f.
10
4. Europa zu begegnen
Dies bedeutet die bewusste Auseinandersetzung mit der jeweiligen Lebenswelt, also mit
ausländischen Mitschülern, Musikgruppen, Urlaubsreisen oder europäischen
Agrarprodukten. Durch die Reflexion solcher Kontakte wird die alltägliche Verknüpfung
der jeweiligen Lebenswelt der Schüler aufgenommen und als Teil des eigenen Begegnens
mit Europa verstanden. Projektlernen in gemeinsamer Erfahrung mit anderen
Lebenswelten, Klassenfahrten, Exkursionen oder Besuchsprogramme können dabei helfen
Klischees zu relativieren.35
5. Europäisch zu lernen
Schule kann durch stärker fächerverbindenden Unterricht und außerunterrichtliche
Maßnahmen ein europäisches Lernen koordinieren. Dies könne durch Landeskunde im
Fremdsprachenunterricht oder Bilingualen Geographieunterricht geschehen.36 Eine Kritik
an Kirchbergs „Europäischem Lernen“ im bilingualen Unterricht könnte sein, dass das
Lernen einer Fremdsprache im Geographieunterricht den Vorrang vor geographischen
Themen haben könnte. Schließlich sollen ja Bausteine bezüglich Regionen, bestimmten
Themen oder Problemen usw. erörtert und diskutiert werden. Dies könnte durch
mangelnde Sprachfähigkeit der Schüler oder des Lehrers erschwert werden.
6. Den Herausforderungen mit Mut und Zuversicht entgegenzugehen
Europa-Lernen solle keinen falschen Enthusiasmus oder tiefe Skepsis entwickeln, sondern
eine positive, ideenreiche und aktive Einstellung zum zukünftigen Europa. Der
Geographieunterricht könne dazu beitragen, dass Schüler aktiv und gestalterisch mit dem
Thema Europa umgingen.37
2.4 Fuchs, Gerhard (2000): Unterricht „für“ Europa. Konzepte und Bilanzen
der Geographiedidaktik
In der pädagogischer Reihe des Perthes Verlags erschien im Jahr 2000 eine Stellungnahme
von Fuchs zum Thema „Europa“ mit dem Titel: „Unterricht „für“ Europa. Konzepte und
Bilanzen der Geographiedidaktik.“38 Hiernach sind antizipatorische Themen im Unterricht
der Geographie für ein Lernen über und ein Denken für Europa eminent wichtig.39
Antizipatorisch heißt in diesem Zusammenhang, dass das Denken für Europa nicht nur 35 Ebd.: S. 31. 36 Ebd.: S. 31. 37 Ebd.: S. 31. 38Fuchs, Gerhard (2000): Unterricht „für“ Europa. Konzepte und Bilanzen der Geographiedidaktik. Gotha. 39 Ebd.: S. 10.
11
linear und bilateral wahrgenommen wird, sondern dass die Aufarbeitung, Überprüfung und
Neujustierung der Denkmuster zu Europa als Reflektion erkannt und erörtert wird. Nach
Fuchs gehören ein Problem und zwei Aspekte zum Umgang mit dem Thema „Europa“:
1. Wahrnehmungsproblem
Das Problem der unkonkreten Utopie „Europas“ ist, dass das „Europa der Zukunft“ immer
noch nicht in transnationalen Ebenen wahrgenommen wird, sondern dass sich dieses
Europa an nationalen Kriterien messen lassen muss. Das politische und ökonomische
Europa ist immer noch nicht existent. Die Schule könne alleine nicht gegen das in den
Medien transportierte negativ besetzte Bild Europas ankämpfen.40 Hier müsse ein
Umdenken in der Öffentlichkeit und ein Perspektivenwechsel stattfinden, die eine
Neuorientierung zu „Europa“ auch kritisch begleitet zulassen würde.
2. Nachholender Aspekt
Bestehende strukturelle Veränderungen, wie sie durch das Schengener-Abkommen, den
Vertrag von Maastricht oder den Euro erfolgt sind, haben nach Fuchs noch keinen Eingang
in die Denkstrukturen der Menschen gefunden. Hierbei bedient sich Fuchs allerdings einer
Europaauffassung, die das EU-Europa als Zentrum der Betrachtung inne hat. Diese EU-
Zentrierte Sichtweise ist aber gerade jene, die es in eine ganzheitlichen Betrachtung
Europas zu überwinden gilt. Richtig ist, dass Fuchs die Notwendigkeit der Veränderung
von Denkstrukturen als Bedingung für ein neues Denken für Europa macht.41
3. Antizipatorischer Aspekt
Wie oben schon angesprochen, soll durch eine „vorweggenommene“42 Betrachtung von
konkreten Beispielen die Orientierung an zukünftigen europäischen Situationen ermöglicht
werden. Das heißt, dass Probleme oder Erwartungen, die durch ein Denken über und für
„Europa“ in Sichtweite geraten, vorweg in europäischen Dimensionen verstanden werden
und nationenübergreifende Lösungsstrategien erarbeitet werden.
Fuchs hat eine „Überlegung zu einer Taxonomie der „Europa Dimension“ geographischer
Europa-Themen“43 angestellt, die verdeutlichen soll, wie sich der Geographieunterricht
dem Thema Europa nähern kann. Wichtig ist, dass alte Themen nicht unbedingt durch neue
ersetzt werden müssen, sondern dass dies neu bewertet werden.44
40 Ebd.: S. 10. 41 Ebd.: S. 10. 42 Ebd.: S. 10. 43 Ebd.: S. 13. 44 Siehe Abbildung 2: Überlegung zu einer Taxonomie der „Europa Dimension“ geographischer Europa-Themen
12
Abb. 2: Überlegung zu einer Taxonomie der „Europa Dimension“ geographischer Europa-
Themen45
45 Fuchs, Gerhard (2000): Unterricht „für“ Europa. S. 13.
13
2.5 Hitz, Harald (2006): Geographieunterricht und „neues Europa“: Lernen
über und Denken für Europa – Probleme, Erwartungen, Konsequenzen
Hitz fasst, wie der Titel schon ausdrückt, die Probleme, Erwartungen und Konsequenzen
für den Geographieunterricht in Bezug zum Thema Europa zusammen.46 Demnach ist es
notwendig, dem „Lernen über Europa“, also dem Lernen von Topographie etc., weiter
Raum im Geographieunterricht zu geben. Dies wurde zwar schon immer im Unterricht
eingelöst, muss aber um aktuelle Bezüge erweitert werden. Die relativ neue Forderung
nach einem Denken für Europa ist gleichzeitig eine Herausforderung für den Unterricht,
die Lehrpläne, für die Weiterbildung der Lehrer etc. Es müssen neue Strukturen für das
Thema „Europa“ entworfen werden, die das „Denken für Europa“ überhaupt erst
ermöglichen. Hierzu ist die Entwicklung eines Kulturumblicks durch die politische
Geographie von elementarem Bedürfnis für die Öffnung neuer Denkmuster für Europa.47
Die Probleme, die sich hiermit ergeben, stellen die Geographiedidaktik und die
Schulbuchautoren vor neue, große Herausforderungen und Fragen: 1. Soll die „alte“
Länderkunde, also rein topographisches Wissen etc., gegen eine neue Länderkunde
ausgetauscht werden? 2. Welches Elementarwissen ist erforderlich? 3. Soll Geographie
„Erfüllungsgehilfe“ für den europäischen Einigungsprozess sein? 4. Oder ist etwa nur die
Geographie für die Entwicklung eines „europäischen Bewusstseins“ verantwortlich?48 Alle
diese Fragen kontrovers und abschließend zu beantworten, würde den Rahmen dieser
Arbeit sprengen, deshalb sei hier nur ein Abriss dargestellt.
Die „alte“ Länderkunde ist nach Hitz nicht mehr gefordert. Welche Nebenflüsse die Donau
in Niederösterreich hat, ist für die Entwicklung eines oder mehrerer Europagedanken nicht
mehr von Belang. Die „neue“ Länderkunde, wenn der Ausdruck dann überhaupt noch
passend ist, muss ein Problembewusstsein schaffen und weg vom Auswendiglernen führen.
Die Frage nach den elementaren Bereichen für ein Europalernen und die Frage, ob die
Geographie Erfüllungsgehilfe für den europäischen Einigungsprozess sein soll, ist kaum zu
beantworten, denn was der einzelne Lerner oder Lehrer für einen Kernbereich Europas
hält, oder was die Politik für notwendig erachtet, ist oft zumindest unterschiedlich. Wichtig
ist, dass gewisse Lernziele zum Thema definiert werden, die zu einem kritischen und
46 Hitz, Harald (2006): Geographieunterricht und „neues Europa“: Lernen über und Denken für Europa – Probleme, Erwartungen, Konsequenzen. In: Vielhaber, Christian u.a.: Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde. Wien, S. 11-18 47 Ebd.: S. 11f. 48 Ebd.: S. 13.
14
reflektiven Umgang mit Europa führen.49 Die vierte Frage deutet auf die Bedeutung des
fächerübergreifenden Geographieunterrichts hin. Natürlich können Anknüpfungs-Punkte
z.B. in den Fächern Geschichte oder Sozialwissenschaften gefunden werden. Allerdings
sollten nicht auf Kosten geographischer Perspektiven jene anderer Fächer übernommen
werden. Ein europaweites, ein europäisches Problem kann so von verschiedenen
Sichtweisen aus beleuchtet und diskutiert werden.50
Die Erwartungen an ein Lernen über und Denken für Europa sind nach Hitz jene, die auch
schon Kirchberg in seinem Beitrag „Lernen für Europa. Thesen und Materialien für den
Geographieunterricht“51 aufgegriffen hat:
1. (Besser) informiert werden (sein), 2. Die europäische Dimension erkennen, 3. Vorurteile
erkennen und mit ihnen bewusster umgehen, 4. Europa bewusster erleben und begegnen,
5. Europäisch lernen und 6. Den Herausforderungen mit Zuversicht entgegen gehen.
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass europäische Dimensionen als Themen
im Unterricht konkrete und perspektivenbezogene Problematisierungen oder Verbindungen
beinhalten.
Die Konsequenzen, die aus den oben dargestellten Problemen und Erwartungen gezogen
werden müssen, sind vielschichtig. Die Überwindung alter Europavorstellungen, wie etwa
„Europa“ sei gleich EU, müssen als Basis für ein weiteres „Denken für Europa“
überwunden werden. Die Vorstellungen und das Wissen, dass überregionale Lösungen in
Europa von Nöten sind, führen zu Denkstrukturen, in denen europäische Lösungsansätze
vor oder über denen der Nationalstaaten stehen. Die Aufhebung der „Grenzen im Kopf“ ist
mit einer Bewusstseinserweiterung verbunden, die ein „Denken für Europa“ immanent hat.
Regionale Disparitäten werden so in den Köpfen nicht zu nationalstaatlichen Problemen,
sondern zu Problemen innerhalb Europas, zu Aufgaben von regionaler und damit
europäischer Bedeutung. Hierdurch wird automatisch die kulturelle Vielfalt Europas in
seinen Regionen deutlich. Das „Anschauen“ der europäischen Regionen führt zugleich zu
einem Bewusstsein, zu einem Verständnis für die verschiedenen Kulturen in Europa.
Letzten Endes wird Migration bzw. migrieren selbst als ein natürlicher Vorgang innerhalb
Europas begriffen, ohne Ressentiments gegen Migranten zu pflegen.52 Dies kann ein
„Lernen über“ und ein „Denken für Europa“ zu einem „Denken für die ganze Welt“
machen.
49 Ebd.: S. 13. 50 Ebd.: S. 13. 51 Kirchberg, Günter (1997): Lernen für Europa. Thesen und Materialien für den Geographieunterricht. In: Praxis Geographie 27 (10) S. 30-33 52 Hitz (2006): S. 14ff.
15
4 Schlussbetrachtung
Das Thema „Europa“ nimmt in den Schulbüchern für den Geographieunterricht immer
mehr Raum ein. Seit der Veränderung der politischen Landschaft Europas in den Jahren
seit 1989, findet in der Geographiedidaktik ein z.T. kontrovers geführter Diskurs über den
Umgang mit Themen im Geographieunterricht statt. Er ist deshalb bemerkenswert, weil an
der Auseinandersetzung mit dem Thema „Europa“ ein Paradigmenwechsel in der
Fachdidaktik zu erkennen ist, der auch für andere Themen und andere Schulfächer ein
Vorbild sein kann, und zu einem neuen Verständnis und zu einem neuen Bewusstsein im
Umgang mit geographischen Fragestellungen führen wird bzw. dies schon getan hat. Für
die Bildung und Erziehung der Schüler sind ein grundlegendes Problembewusstsein und
der Wille und das Vermögen des Lehrers sich auf einer didaktischen Ebene mit neuen
Denkstrukturen vertraut zu machen und auseinander zu setzen von Nöten. Am Beispiel des
Themas „Europa“ im Geographieunterricht wird deutlich, wie sehr das „Denken für
Europa“ vom persönlichen Einsatz und von der individuellen Perspektive des Lehrers
abhängig ist. Ein „Denken für Europa“ muss somit in aller erster Linie bei den Lehrern
stattfinden. Nur wenn diese sich mit dem Thema auseinander setzen, kann aus dem
„Lernen über“ ein „Denken für“ erwachsen.
16
Literatur:
- Fuchs, Gerhard (2000): Unterricht „für“ Europa. Konzepte und Bilanzen der
Geographiedidaktik. Gotha.
- Hitz, Harald (2006): Geographieunterricht und „neues Europa“: Lernen über und Denken
für Europa – Probleme, Erwartungen, Konsequenzen. In: Vielhaber, Christian u.a.:
Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde. Wien, S. 11-18
- Kirchberg, Günter (1991): Europa - eine Herausforderung für den Geographieunterricht.
In: Zeitschrift für den Erdkundeunterricht. 43 (12) S. 410-414
- Kirchberg, Günter (1997): Lernen für Europa. Thesen und Materialien für den
Geographieunterricht. In: Praxis Geographie 27 (10) S. 30-33
- Vielhaber, Christian (1994): Europa als zentrale Aufgabe eines politischen
Geographieunterrichts. In: Praxis Geographie 24 (3) S. 16-22
- MSW-NRW (Hrsg.) (2007): Kernlehrplan für das Gymnasium – Sekundarstufe I (G8) in
Nordrhein-Westfalen - Erdkunde
Internetquellen:
- Schultz, Hans-Dietrich (2003):Welches Europa soll es denn sein? Anregungen für den
Geographieunterricht. (Quelle: http://www.geographie.uni-
marburg.de/parser/parser.php?file=/deuframat/deutsch/1/1_2/schultz/start.htm, Stand:
26.03.2009, 16 Uhr)
- www.geographie.uni-marburg.de/deuframat/images/1/1_2/schultz/pic16.jpg
(Stand: 10.10.2008)
- Schulinternes Curriculum des Alexander von Humblodt-Gymnasium Neuss (Quelle:
http://www.avhgneuss.de/hp2006/anfagneu.htm, Stand: 10.10.2008)
Abbildungsverzeichnis:
- Abbildung 1: Das geographische Europabild
Quelle: http://www.geographie.uni-marburg.de/deuframat/images/1/1_2/schultz/pic16.jpg
17
- Abbildung 2: Überlegung zu einer Taxonomie der „Europa Dimension“ geographischer
Europa-Themen
Quelle: Fuchs, Gerhard (2000): Unterricht „für“ Europa. Konzepte und Bilanzen der
Geographiedidaktik. Gotha. S. 13
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