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herausgegeben vonVolker Heyse und John Erpenbeck
Band 8
Kompetenzmanagementin der Praxis
Waxmann 2012Münster / New York / München / Berlin
Volker Heyse, Arnulf D. Schircks
(Hrsg.)
Kompetenzprofi le in der Humanmedizin
Konzepte und Instrumente für die Ausrichtung von Aus- und Weiterbildung auf Schlüsselkompetenzen
Waxmann 2012Münster / New York / München / Berlin
ISBN 978-3-8309-2748-8
© Waxmann Verlag GmbH, 2012Postfach 8603, 48046 Münster
www.waxmann.comorder@waxmann.com
Umschlaggestaltung: Christian Averbeck, MünsterUmschlagbild: Otto CariusSatz: Stoddart Satz- und Layoutservice, MünsterDruck: Hubert & Co., Göttingen
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier,säurefrei gemäß ISO 9706
Printed in Germany
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Bibliografi sche Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi scheDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Buchprojekt wurde gefördert durch dieHeyse Stiftung Menschenbilder-Menschenbildung
Inhalt
Abkürzungen ..............................................................................................................10
Einleitung ....................................................................................................................11Volker Heyse, Arnulf D. Schircks
Kompetenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im Arbeitsmarkt ............................................................................................15Volker Heyse, Arnulf D. Schircks1. Einleitung ........................................................................................................152. Rahmen und Fragestellungen des Forschungsprojektes .................................152.1 Rahmen ...........................................................................................................152.2 Fragestellungen ...............................................................................................152.3 Wesen und Funktion von Kompetenzen .........................................................172.3.1 Begriffsverständnis Schlüsselkompetenzen ....................................................183. Medizin der Zukunft und Gesundheitsmarkt ..................................................203.1 Hauptperspektiven ..........................................................................................203.2 Nationale und internationale Entwicklungstrends
(Schneider et al. 2009) ....................................................................................213.2.1 Zuspitzung: Schweiz (Giger 2011) .................................................................243.2.1.1 Quantitative Entwicklungen ............................................................................243.2.1.2 Qualitative Entwicklungen ..............................................................................254. Arbeitsmarkt: Künftige berufl iche Einsatzgebiete für
Ärztinnen und Ärzte ........................................................................................294.1 Vielfalt berufl icher Einsatzgebiete ..................................................................294.2 Ableitbare Schlüsselkompetenzen ..................................................................324.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener
berufl icher Einsatzgebiete ...............................................................................345. Gesetzliche Voraussetzungen und deren Bezug
zu Schlüsselkompetenzen ...............................................................................425.1 Das Medizinalberufegesetz ............................................................................425.2 Schweizer Lernzielkatalog, Studienreform, CanMEDS .................................426. Praxischeck: Schlüsselkompetenzen-Ist und -Soll ..........................................456.1 Interviewergebnisse ........................................................................................456.2 Schlüsselkompetenzcheck: Studierende .........................................................497. Schlüsselkompetenzen und Weiterbildung .....................................................537.1 Bedeutsamkeit von Schlüsselkompetenzen für die
fachärztliche Weiterbildung ............................................................................537.2 Wichtigste Schlüsselkompetenzen ..................................................................548. Schweizer Rollen- und Kompetenzmodell .....................................................558.1 Schweizer KompetenzAtlas und Schlüsselkompetenzen ................................55
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8.2 Einheit von Lernzielen, Rollen, Kompetenzentwicklungszielen .......................................................................59
9. Gegenwärtiger Stand der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen in der Aus-, Weiter- und Fortbildung ..............................................................61
9.1 Entwicklung von Schlüsselkompetenzen in der Ausbildung: universitäre Curricula ......................................................................................61
9.2 Entwicklung von Schlüsselkompetenzen in der Weiterbildung ......................659.3 Entwicklung von Schlüsselkompetenzen in der Fortbildung ..........................729.4 Laufbahnentscheide ........................................................................................7210. Einheitliches Schlüsselkompetenzmodell .......................................................7311. Zusammenfassung ...........................................................................................76Literatur ........................................................................................................................77
Ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Schweiz .......................................79Max Giger1. Übersicht .........................................................................................................792. Die allgemeinen ärztlichen Berufskompetenzen.............................................802.1 CanMEDS-Rollen ...........................................................................................812.2 Lernziele und deren Vermittlung .....................................................................822.3 Medizinische Entscheidungsfi ndung ..............................................................862.4 Vorhandensein der allgemeinen ärztlichen Berufskompetenzen ....................863. Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsbildung ............................................874. Neue Versorgungsmodelle – Anforderungen an die Berufskompetenzen.......894.1 Bedürfnisse des Gesundheitsmarktes ab 2020 ................................................894.2 Änderungen der ärztlichen Berufsbildung ......................................................904.3 Vermehrte Gewichtung der allgemeinen Berufskompetenzen ........................92
Humanmedizin: Schlüsselkompetenzen heute und morgen ..................................93Jana Jünger, Martina Kadmon1. Einleitung ........................................................................................................932. Schlüsselkompetenzen ....................................................................................942.1 Normativ-ethische Einstellung ........................................................................942.2 Glaubwürdigkeit .............................................................................................992.3 Selbstmanagement ........................................................................................1012.4 Entscheidungsfähigkeit .................................................................................1032.5 Lernbereitschaft ............................................................................................1072.6 Ganzheitliches Denken .................................................................................1102.7 Zuverlässigkeit ..............................................................................................1132.8 Ergebnisorientiertes Handeln ........................................................................1152.9 Konfl iktlösungsfähigkeit ...............................................................................1172.10 Integrationsfähigkeit .....................................................................................1202.11 Problemlösungsfähigkeit ...............................................................................1212.12 Beratungsfähigkeit ........................................................................................1232.13 Analytische Fähigkeiten ................................................................................1252.14 Beurteilungsvermögen ..................................................................................129
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2.15 Kommunikationsfähigkeit .............................................................................1312.16 Kooperationsfähigkeit ...................................................................................1362.17 Fachübergreifende Kenntnisse ......................................................................1383. Ausblick ........................................................................................................140Literatur ......................................................................................................................142
KompetenzAtlas Humanmedizin (Schweiz) ..........................................................154Volker Heyse, Christoph Pfi ster, Arnulf D. Schircks1. Einleitung ......................................................................................................1542. KompetenzAtlas Humanmedizin (Schweiz) .................................................1562.1 Analytische Fähigkeiten ................................................................................1562.2 Beharrlichkeit ................................................................................................1582.3 Belastbarkeit .................................................................................................1592.4 Beratungsfähigkeit ........................................................................................1602.5 Beurteilungsvermögen ..................................................................................1622.6 Beziehungsmanagement ...............................................................................1642.7 Delegieren .....................................................................................................1662.8 Dialogfähigkeit/Patientenorientierung ..........................................................1672.9 Eigenverantwortung ......................................................................................1692.10 Einsatzbereitschaft ........................................................................................1702.11 Entscheidungsfähigkeit .................................................................................1712.12 Ergebnisorientiertes Handeln ........................................................................1722.13 Fachübergreifende Kenntnisse ......................................................................1742.14 Fachwissen ....................................................................................................1762.15 Folgebewusstsein ..........................................................................................1772.16 Ganzheitliches Denken .................................................................................1782.17 Glaubwürdigkeit ...........................................................................................1802.18 Initiative ........................................................................................................1812.19 Innovationsfreudigkeit ..................................................................................1822.20 Integrationsfähigkeit .....................................................................................1832.21 Kommunikationsfähigkeit .............................................................................1842.22 Konfl iktlösungsfähigkeit ...............................................................................1872.23 Konzeptionsstärke .........................................................................................1892.24 Kooperationsfähigkeit ...................................................................................1902.25 Lernbereitschaft ............................................................................................1922.26 Loyalität ........................................................................................................1942.27 Mitarbeiterförderung .....................................................................................1952.28 Normativ-ethische Einstellung ......................................................................1962.29 Offenheit für Veränderungen.........................................................................1992.30 Optimismus ...................................................................................................2002.31 Organisationsfähigkeit ..................................................................................2012.32 Planungsverhalten .........................................................................................2022.33 Problemlösungsfähigkeit ...............................................................................2032.34 Sachlichkeit ...................................................................................................2052.35 Selbstmanagement ........................................................................................206
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2.36 Sprachgewandtheit ........................................................................................2072.37 Systematisch-methodisches Vorgehen ..........................................................2082.38 Teamfähigkeit................................................................................................2092.39 Verständnisbereitschaft ................................................................................2112.40 Wissensorientierung ......................................................................................2122.41 Zielorientiertes Führen .................................................................................2142.42 Zuverlässigkeit ..............................................................................................215Literatur ......................................................................................................................216
Eine Fallstudie zum Paradigmenwechsel im Originalton ....................................217Arnulf D. Schircks
Autorinnen und Autoren .........................................................................................225
Die Mehrzahl der Einzelbeiträge stammt aus der Schweiz. Schreibweisen und Begriffe wurden dementsprechend berücksichtigt. So verzichten wir auch auf das deutsche „ß“.
Die Herausgeber
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Abkürzungen
AACAP American Association for Child and Adolescent PsychiatryACGME Accreditation Council for Graduate Medical EducationBAG Eidgenössisches Bundesamt für GesundheitBCS Basler Consensus Statmentbzw. beziehungsweiseCanMEDS Canadian Medical Education Directives for SpecialistsCeKom Centrum für KompetenzbilanzierungCRM Crew Resource ManagementDRG Diagnosis Related Groups (dt: Diagnosebezogene
Fallgruppen)DGAI Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin EbM Evidenzbasierte Medizin ECS Emergency Care Simulator ECTS European Credit Transfer SystemEDI Eidgenössisches Department des InnerenEMS Eignungstest für das MedizinstudiumFA Formatives AssessmentFMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und ÄrzteHANS Heidelberger Anästhesie- und Notfall-Simulator HOMKIT Homburger Kommunikations- und Interaktionstraining IPE Interprofessionelle EducationIPL Interprofessionelles Lernen KVP kontinuierlicher VerbesserungsprozessMDM Medical Decision MakingMEBEKO MedizinalberufekommissionMedBG MedizinalberufegesetzMedi-KIT Kommunikations- und Interaktionstraining für
Medizinstudenten HeidelbergMH Mental HealthMini-CEX u. DOPS Arbeitsplatzbasierte AssessmentsMTP Mentoren-Tutoren-Programm der Medizinischen Fakultät
HeidelbergOdA Santé Nationale Dach-Organisation der Arbeitswelt GesundheitORL Oto-Rhino-LaryngologieOSCE Objective Structured Clinical ExaminationPJ Praktisches JahrPOL Problemorientiertes LernenSA Summatives AssessmentSBP systems-based practice SCT Skript-Konkordanz-Test SCLO Swiss Catalogue of Learning Objectives for Undergraduate
Medical TrainingSDM Shared Decision Making
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SGAM Schweizerische Gesellschaft für AllgemeinmedizinSG1M Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere MedizinSIWF Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und FortbildungSK SchlüsselkompetenzSL Scills LabSLZK Schweizer LernzielkatalogSMIFK Schweizerische Medizinische InterfakultätskommissionSP Schauspiel-PatientenSpitex Dachverband der 26 Kantonalverbände und deren lokale
Spitex-OrganisationenSUK Schweizerische UniversitätskonferenzSWS Semesterwochenstundenu.a. unter anderemUE Unterrichtseinheitenvgl. vergleicheWBO WeiterbildungsordnungWBP WeiterbildungsprogrammWHO World Health Organizationz.B. zum BeispielZNS Zentrales Nervensystem
Einleitung
Im Zusammenhang mit den Diskussionen über die Versorgung des Gesundheits-systems mit den richtigen Health Professionals haben das CeKom Deutschland (Centrum für Kompetenzbilanzierung) und die gemeinnützige HEYSE STIFTUNG Menschenbilder-Menschenbildung zwischen Herbst 2009 und März 2011 unter dem Titel „Kompetenzprofi le Humanmedizin“ in der Schweiz eine umfassende Studie durchgeführt mit dem Ziel, folgende grundsätzliche Fragen zu beantworten:1. Welche Kompetenzprofi le im Bereich Humanmedizin werden seitens des Arbeits-
marktes in den verschiedenen humanmedizinischen Berufen verlangt?2. Inwiefern entspricht die bestehende Aus- und Weiterbildung in der Humanmedi-
zin diesen Ansprüchen?
Die Beantwortung dieser Fragen ist für die weitere Diskussion zu zukünftigen Refor-men der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sowie zur Stärkung laufender Erprobun-gen in dieser Richtung interessant.
Herr Prof. Dr. Volker Heyse (Regensburg) und Herr Dr. Arnulf Schircks (Zürich) stellen hier als Herausgeber und Autoren einige wichtige Ergebnisse aus dem sehr umfassenden Gesamtprojekt zur Diskussion, ergänzt durch anknüpfende und wei-terführende Beiträge von Dr. Max Giger (Winterthur), Dr. Jana Jünger/Dr. Martina Kadmon (Heidelberg). Wenn auch vorwiegend in der Schweiz zusammengetragen, so sind die Ergebnisse für den gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus in-teressant und zeigen einen der wichtigsten Bereiche der Gesellschaft (Gesunderhal-tung, Heilung) in einem deutlichen mentalen wie auch organisationalen Umbruch.
Gegenstand aller in diesem Buch diskutierten Ergebnisse sind die ärztlicherseits zu-künftig besonders notwendigen Schlüsselkompetenzen. Oft werden die Kompe-tenzen verwechselt mit den notwendigen fachlichen Fertigkeiten (Skills) und dem fach lichen Wissen. Wissen und wissensbezogene Fertigkeiten sind jedoch keine Schlüsselkompetenzen. Letztere erweisen sich als Fähigkeiten, in realen, offenen, komplexen und oft schwierigen Situationen angemessen, auch kreativ zu handeln. Kompetenzen sind Selbstorganisationsfähigkeiten und die individuellen Vorausset-zungen, um sich in konkreten Situationen an veränderte Bedingungen anzupassen, eigene Verhaltensstrategien zu ändern und erfolgreich umzusetzen.
Wissen, insbesondere Fachwissen, ist von den Schlüsselkompetenzen deutlich abzu-grenzen. Dabei schliesst Wissen (und Wissensvermittlung) im engeren Sinne „über-fachliche“ Fähigkeiten, Normen, Werte, Motivationen und Emotionen weitestgehend aus. Die Wissensbegriffe im weiteren Sinne hingegen schliessen mehr oder weni-ger differenziert alle Bewusstseinsresultate, die damit verbundenen Motivationen und Emotionen sowie die Handlungsfähigkeiten ein. Das Management von Wissen im
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engeren Sinne läuft oft auf ein Informationsmanagement und „Büffeln“ fachlicher Details hinaus. Das Management von Wissen im weiteren Sinne ist in der Regel in hohem Masse mit einem Kompetenzmanagement identisch.
Erpenbeck (2007) bringt das auf den Punkt, indem er hervorhebt: „Der entscheiden-de Dreh- und Angelpunkt für die Vermittlung von Wissen an die Berufe im Gesund-heits- und Sozialbereich kann folgendermassen beschrieben werden: So lange Wis-sen nur deklarativ als Wissen im engeren Sinne oder durch Einüben von Fertigkeiten (Skills) weitergegeben wird, ist ein geringer Berufserfolg garantiert. Und umgekehrt: Nur wenn Wissen im weiteren Sinne Regeln, Normen, Werte einschliesst, die zu ei-genen Emotionen und Motivationen verinnerlicht wurden, wird es zur Voraussetzung selbstorganisierter Handlungsfähigkeit kommen, also zu Kompetenzen. Wissensma-nagement in diesem Sinne ist Kompetenz management. In jedem Aus- und Weiter-bildungsprozess müssen künftig Fachwissen und Kompetenzen in Einheit vermittelt werden. Die Schlüsselkompetenzen sind dann tatsächlich untrennbare Bestandteile des Fachwissens. Und das Fachwissen ist dann weitaus mehr als eine Sammlung von Einzelkenntnissen und Skills.“
Umfangreiche schriftliche sowie mündliche Befragungen zum bildungsseitigen As-pekt dieses Problemfeldes in der Schweiz sowie ergänzend auch in Deutschland und Österreich führten unter anderem zu folgenden Fazit (Menzi et al. (2010):• Durchgehend wird die Vermittlung von fachlichem Wissen und Schlüsselkompe-
tenzen als Einheit für sinnvoll gehalten; es überwiegen jedoch in der Aus- und Weiterbildungspraxis die Vermittlung von Fachwissen und anhänglicher Fertig-keiten.
• In allen untersuchten Ausbildungsstätten gab es (unterschiedliche) Formen des Trainings und der Einschätzung kommunikativer Fähigkeiten; die Forderung nach Schlüsselkompetenzentwicklung beschränkte sich oft auf die Kommunikationsori-entierung. Für die Weiterbildung gelten ähnliche Einschätzungen.
• Die Förderung anderer Schlüsselkompetenzen fi ndet überwiegend durch „Mit-schwingen“ bei der praktischen Ausbildung statt und ist damit kaum direkt nach-weisbar und insbesondere kaum geprüft.
• An den Universitäten werden zwar zahlreiche Veranstaltungen zur Vertiefung bzw. Entwicklung von Schlüsselkompetenzen angeboten – besucht werden jedoch aus Zeitgründen vorwiegend die Pfl ichtveranstaltungen.
• Ansätze einer gezielten Stärkung von Schlüsselkompetenzen sind durchaus er-kennbar in den Formen Praktika, Lernen in Projektteams, selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen. Eine Verbesserung erhofft man sich ausserdem von der Trennung zwischen Pfl icht- und Wahlstudium und der expliziten Förderung von Schlüsselkompetenzen in separaten (zunehmend obligatorischen) Lehr- und Trainingsveranstaltungen.
Als hauptsächliche Hindernisse wurden in den Untersuchungen hervorgehoben: Un-zureichende Stellung und Anerkennung der Lehre, zu wenig interprofessionelles Training in den Kliniken und insgesamt zu wenig Coaching der Studierenden.
13Einleitung
Das vorliegende Buch beleuchtet die Fragen nach den Kompetenzprofi len Human-medizin, dem Bedarf des zukünftigen Arbeitsmarktes in der Schweiz und darüber hinaus international sowie nach den Entwicklungsmöglichkeiten von Schlüsselkom-petenzen in folgenden Abschnitten:
Abschnitt 1 befasst sich mit Entwicklungstrends im Gesundheitswesen und hierbei besonders in der Humanmedizin, ferner mit den wichtigsten zukünftigen Anforde-rungen an Schlüsselkompetenzen, mit Anforderungsprofi len in sechs berufl ichen Ein-satzgebieten der Humanmedizin und mit dem Stand der Herausbildung von Schlüs-selkompetenzen in der Aus- und Weiterbildung. Die vielfältigen Empfehlungen für die zukünftige Bildung werden hier jedoch bewusst ausgespart, da gegenwärtig an anderer Stelle validiert und ausführlich disku tiert wird.
Es wird ein Schweizer Rollen- und Kompetenzmodell vorgestellt, das konsequent auf dem kanadischen CanMED-Modell und dem englischen Medical Leadership Competency Framework aufbaut und mit spezifi schen Schlüsselkompetenzen erwei-tert wird.
Abschnitt 2 befasst sich speziell mit Fragen künftiger Kompetenzschwerpunkte in der ärztlichen Weiterbildung (Facharztausbildung).
Abschnitt 3 widmet sich der Frage, wie die für das Berufsbild „Arzt“ wichtigsten Schlüsselkompetenzen in der Ausbildung entwickelt und geprüft werden können. Diesen Darstellungen liegen internationale Analysen sowie eigene umfangreiche Er-fahrungen an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg zugrunde, die zeigen, dass sich diese Schlüsselkompetenzen einzeln, aber auch im Verbund mit anderen Schlüsselkompetenzen tatsächlich erfolgreich während des Studiums ent-wickeln lassen. Es wird bei der Prüfung weit über die „Kommunikationsfähigkeiten“ hinausgegangen.
Im Abschnitt 4 werden die in der grossen Bandbreite ärztlicher Einsatzgebiete und Facharztrichtungen zu erwähnenden Schlüsselkompetenzen ausführlich dargestellt und mit Teilfähigkeiten untersetzt, die selbst Ausgangspunkte für die Entwicklung von Kompetenzlernzielen, Fallstudien, Trainings und Coaching darstellen.
Im Abschnitt 5 wird in einer kleinen Fallstudie an einem realen schriftlichen Dialog dargestellt, wie bei Praktikern anzutreffende Vorbehalte gegenüber einer ganzheitli-chen Betrachtung von ärztlichem Fachwissen und notwendigen künftigen Schlüssel-kompetenzen durch Spiegelung an der Praxis und an den gegenwärtigen Widersprü-chen überwunden werden können.
Das vorliegende Buch vereint in bisheriger Einmaligkeit den Blick auf die unab-dingbaren Entwicklungstrends in der Humanmedizin – verbunden mit den künftig unabwendbaren Anforderungen an Schlüsselkompetenzen, die neben dem im Zent-rum stehendem Fachwissen und den humanmedizinischen Fertigkeiten für die künf-
Heyse, Schircks14
tigen ärztlichen Generationen entscheidend werden und in der Aus- und Weiterbil-dung einen hohen Stellenwert erhalten werden. Es wird jedoch nicht nur empfohlen und gefordert: Es werden international diskutierte und bewährte Möglichkeiten der Entwicklung solcher Schlüsselkompetenzen sowie Möglichkeiten der Erfolgskontrol-le dieser zur Diskussion gestellt. Sodann werden die für den ärztlichen Beruf unab-dingbaren Fähigkeiten im Einzelnen dargestellt. Sie müssen künftig mit den Lern-zielen der Aus- und Weiterbildung verschmelzen und nicht mehr weitgehend isoliert „aufgesetzt“ werden. Den Abschluss bildet ein Dialog, der unterschiedliche menta-le Modelle zu dieser Gesamtproblematik aufweist – und schliesslich die gemeinsa-me Refl exion grundsätzlicher Notwendigkeiten des Umdenkens. Insofern begegnen sich in diesem Buch Gegenwart und Zukunft, laute Richtungsangaben und diverse leise, aber deutliche Gehversuche in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung, Theo-rie und Praxis, neue Entwicklungen und Qualitäten eines ehrwürdigen Berufsstandes, der sich gegenüber künftigen Herausforderungen jung und dynamisch erweist.
Nicht zuletzt soll in dieser Einleitung dem BAG (Eidgenössischen Bundesamt für Gesundheit) sowie allen an den Untersuchungen beteiligten 374 Human medi zi-nerinnen/-medizinern, Pfl egefachpersonen, Professorinnen/Professoren, Ver bands ver-tre terinnen/-vertretern sowie Medizinstudenten für ihre konstruktiv-kritische Unter-stützung gedankt werden. Stellvertretend für alle Beteiligten möchten wir Herrn Prof. Dr. Charles Bader (Genf), Herrn Prof. Dr. Peter Tschudi (Basel) und Herrn Dr. Peter Frey (Bern) unseren herzlichen Dank für die wertvollen Hinweise aussprechen.
Februar 2012Prof. Dr. Volker Heyse Dr. Arnulf D. Schircks
Literatur
Erpenbeck, J. (2007): Kompetenzen im Gesundheitswesen. In gleichnamiger Studie der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Bielefeld, Bielefeld 2007
Menzi, B.; Heyse, V.; Schircks, A.; Pfi ster, C.: Kompetenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im Arbeitsmarkt. Schweizerische Ärztezeitung. 2010;91:7
Kompetenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im Arbeitsmarkt 15
Kompetenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im ArbeitsmarktVolker Heyse, Arnulf D. Schircks
1. Einleitung
In diesem Buchabschnitt wird über Teilergebnisse eines Forschungsprojektes „Kom-petenzprofi le Humanmedizin – Kompetenzprofi le gegenüber gesellschaftlichen Be-dürfnissen an die Humanmedizin“ berichtet. Die Verfasser arbeiteten mit weiteren zehn Nachvertragsnehmern im Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 an diesem Projekt.
2. Rahmen und Fragestellungen des Forschungsprojektes
2.1 Rahmen
Grundsätzliches Ziel des Forschungsprojektes war die Beantwortung insbesondere folgender Fragen:• Welche Kompetenzprofi le im Bereich Humanmedizin werden seitens des Arbeits-
marktes in den verschiedenen humanmedizinischen Berufen verlangt?• Inwiefern entspricht die bestehende Aus- und Weiterbildung in Humanmedizin
diesen Ansprüchen?
In mündlichen Einzelinterviews wurden in der Schweiz, Deutschland und Österreich insgesamt rund 374 Humanmedizinerinnen/-mediziner, Pfl egefachpersonen, Profes-sorinnen/Professoren, Verbandsvertreterinnen/-vertreter sowie in schriftlichen Befra-gungen Humanmedizin-Studierende einbezogen.1
In sechs ganztägigen strategischen Workshops beteiligten sich 55 Human medi zi-nerinnen/-mediziner und Pfl egefachpersonen aus der deutsch-, französisch- sowie ita-lienischsprachigen Schweiz. Darüber hinaus wurden umfangreiche internationale Li-teratur- und Datenanalysen durchgeführt.
2.2 Fragestellungen
Um auf die zukünftig besonders wichtigen Schlüsselkompetenzen der Humanmedizi-nerinnen/Humanmediziner zu kommen, bedurfte es einerseits unterschiedlicher me-thodischer Schritte und andererseits stetes Gegenprüfen der in den Forschungsetap-
1 Schweiz: 280/Österreich: 24/Deutschland: 70. TOTAL: 374
Heyse, Schircks16
pen abgeleiteten Einzelergebnisse. Das empirische Vorgehen wurde insbesondere von folgenden Fragen geleitet:1. Wie werden sich die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes in Zukunft verändern? Me-
dizin der Zukunft und Gesundheitsmarkt: Internationale/nationale Entwicklungs-trends.
Erste Ableitungen zu zukünftig wichtigen Schlüsselkompetenzen. 2. Welche Kompetenzen werden seitens des Arbeitsmarktes verlangt? Können die-
se nach unterschiedlichen berufl ichen Einsatzgebieten unterschieden und spezifi -ziert werden? Wie lassen sich die ermittelten Schlüsselkompetenzen operationali-sieren?
Zweite Ableitungen zu zukünftig wichtigen Schlüsselkompetenzen. 3. Welche Elemente sind im MedBG für Humanmedizinerinnen/-mediziner vorge-
schrieben? Welche in weiteren verbindlichen Strategien? Dritte Ableitungen zu zukünftig wichtigen Schlüsselkompetenzen. 4. Wie sieht es in der medizinischen Praxis aus? Welche Stärken und Schwächen
der Aus-, Weiter- und Fort bildung gibt es bei der Entwicklung von Schlüsselkom-petenzen?
Vierte Ableitungen zu zukünftig wichtigen Schlüsselkompetenzen. 5. Werden die Studierenden unter Beachtung der wichtigsten Schlüsselkompetenzen
richtig ausgewählt und gefördert? Prüfung und Ableitung von Fördermassnahmen. 6. Werden Schlüsselkompetenzen während der Weiterbildung entwickelt und wie? Fünfte Ableitungen zu zukünftig wichtigen Schlüsselkompetenzen. 7. Was lässt sich aus den Untersuchungen zu (1) bis (6) für ein Schweizer Rollen-
und Kompetenzmodell als Grundlage der zukünftigen Kompetenzentwicklung in der Aus- und Weiterbildung ableiten?
Vorstellung des Modells und des KompetenzAtlas als Schlüsselkompetenz-Entwicklungszielkatalog.
8. Wie werden gegenwärtig Schlüsselkompetenzen in der Aus-, Weiter-, Fortbildung entwickelt? Wie erfolgen Laufbahnentscheide?
9. Welche international erfolgreichen Methoden der Kompetenzentwicklung in der Aus- und Weiterbildung gibt es und wie können Entwicklungen evaluiert wer-den?
Katalog mit konkreten Möglichkeiten.10. Wie wäre die ärztliche Aus- und Weiterbildung idealerweise strukturiert, um den
zukünftigen Bedürfnissen und Kompetenzanforderungen des Arbeitsmarktes/Ge-sund heits marktes – auch unter Berücksichtigung der anderen universitären Medi-zinalberufe und der OdA Santé zusammengefassten Gesundheitsberufe – zu ent-sprechen?
11. Welche Reformen sind notwendig und welche Systemveränderungen würden sie implizieren? Welche möglichen Reformen sind im Studium (insbesondere zur frühzeitigen und nachhaltigen Entwicklung von Schlüsselkompetenzen) empfeh-lenswert?
12. Welche allfällig notwendige Änderungen der Rahmenvorschrif ten (vor allem MedBG) sind mit diesen Reformen verbunden?
Kompetenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im Arbeitsmarkt 17
2.3 Wesen und Funktion von Kompetenzen
Damit von einem gleichen Begriffsverständnis beim Lesen der Forschungsergebnisse ausgegangen werden kann, bedarf es einer kurzen begriffl ichen Klärung.
Zunehmend hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die solide Vermittlung medi-zinisch-fachlicher Qualifi kationen zur Ausbildung guter Ärztinnen und Ärzte durch weitere Kompetenzfelder ergänzt werden muss, für die in der Aus- und Weiterbil-dung entsprechende Lernge legenheiten anzubieten sind.
Eine komplexe Arbeitsumwelt, geprägt durch zunehmende Spezialisierungen, ra-sant wachsendes medizinisches Wissen, neue Anforderungen durch den gewachsenen Stellenwert von Ökonomie, Qualitätsorientierung, Risikominimierung und Patienten-orientierung und -zufriedenheit etc., hat die ärztliche Berufsrolle verändert, mit der Folge, dass Medizinerinnen und Mediziner sich zunehmend innerorganisatorisch und Versorgungs unternehmen übergreifend als mehr oder weniger spezialisierte Team-player verstehen müssen, wollen sie für ihre Patienten angemessene Ergebnisse an Gesundheit und/oder Lebensqualität erzielen. Sie müssen unterschiedliche Interessen in immer komplexere Versorgungsprozesse zusammenführen und dabei im direkten Patientenkontakt zusätzlich zum immer umfangreicheren fachlichen Wissen über er-hebliche Schlüsselkompetenzen verfügen. Einen erheblichen Einfl uss haben auch die gestiegenen Ansprüche und der multimedial vermittelte Wissenszuwachs bei Patien-ten und deren Angehörigen, die zu gesteigerten Ansprüchen an Aufklärung, Partizi-pation, Zuwendung und Einfühlungsvermögen führen.
Die Vermittlung all dieser Qualifi kationen und Kompetenzen in Ausbildung (Stu-dium) und Weiterbildung (fachärztliche Weiterbildung in der Klinik) stellt für die bildungsverantwort lichen Institutionen, für die medizinischen Fakultäten und die weiterbildenden Fachabtei lungen und Arztpraxen eine grosse Herausforderung dar, insbesondere, da sie sich auch an den individuell sehr unterschiedlichen Vorausset-zungen der Auszubildenden ausrichten muss.
Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang zwischen Qualifi kationen und Kom-petenzen zu unter scheiden. Qualifi kationen sind eine gute Garantie für den Hand-lungserfolg, wenn die Handlungsziele eindeutig vorbestimmt sind und die Wege zur Zielerreichung konstant vorgegeben werden können. Kompetenzen sind hinge-gen dann notwendig, wenn die Handlungsziele kaum oder gar nicht festliegen, wenn in eine offene, unscharfe, komplexe Zukunft hinein kreativ gehandelt werden muss. Kompetenzen umfassen vor allem Handlungsfähigkeiten, Können, Kontrolle indivi-dueller Emotionen, Werte, Motivationen und Willensanstrengungen. Kompetenzen von Ärzten sind deren Disposition, in dynamischen, offenen, komplexen und proble-matischen Situationen selbstorganisiert und kreativ handeln zu können. Sie sind da-mit weit umfassender als Qualifi kationen.
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Die fachlichen Qualifi kationen der ärztlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter eines Spitals sagen somit noch nichts darüber aus, ob diese Freude an der eigenen Ar-beit empfi nden, sich produktiv in Teams einbringen, eigenverantwortlich arbeiten, sich selbst gut organisieren und mit anderen in produktive Kooperation gehen oder schwierige Situationen mit Gelassenheit und Optimismus bewältigen und die für die Betreuung von Patientinnen und Patienten erforderliche Empathie aufbringen kön-nen. Sie können sehr wohl über ausgeprägte fachliche Qualifi kationen verfügen und doch in konkreten, offenen Situationen, z.B. bei Einbeziehung des sozialen Bezugs-systeme von Patienten, völlig überfordert sein. Kompetenzen fundieren auf Werten und werden durch Erfahrungen konsolidiert. Werte werden erst wirksam, Erfahrun-gen erst relevant, wenn sie als Emotionen und Motivationen verinnerlicht werden. Kompetenzen lassen sich also nur durch emotions- und motivationsaktivierende Lernprozesse erwerben. Emotionen und Motivationen werden in instabilen Situatio-nen aktiviert, in denen allein durch „Denken“ keine Lösungen gefunden werden kön-nen. Kompetenzen bilden sich als generalisierte Dispositionen im biografi schen Han-deln („im Leben“) heraus, einige sehr früh, einige in Zusammenhang mit aktuellen Arbeitsprozessen. Sie sind nicht theoretisch vermittelbar, aber durch klug gesetzte, ergebnisoffene Handlungssituationen trainierbar. Sie setzen Qualifi kationen voraus, ersetzen diese aber nicht, sondern ergänzen diese.
Daher ist leicht nachzuvollziehen, warum eine systematische Vermittlung auch nur eines Teils der angedeuteten Kompetenzen in Studium und Weiterbildung schwie-rig ist. Gleichwohl wurden in den zurückliegenden Jahren mit der Studienreform und der Verabschiedung verschiedener Konzepte des Schweizerischen Instituts für Wei-ter- und Fortbildung (SIWF) die Grundlagen dafür geschaffen, in Hochschulausbil-dung und klinischer Weiterbildung stärker als bislang Handlungskompetenzen zu vermitteln.
2.3.1 Begriffsverständnis Schlüsselkompetenzen
Schlüsselkompetenzen sind Handlungsfähigkeiten. Sie sind kein Fachwissen, son-dern ermöglichen erst die effi ziente Anwendung von fachlichem Wissen und fachbe-zogenen Fertigkeiten und Fähigkeiten (Skills). Schlüsselkompetenzen sind – anders als fach liche und juristische Kompetenzen, Wissen, Fertigkeiten – in den unter-schiedlichsten Berufs sparten, Gesellschafts- und individuellen Lebenslagen kompati-bel, anwendbar und entwickelbar.
Im Gegensatz zum medizinischen Fachwissen können Schlüsselkompetenzen nur in geringem Grad theoretisch vermittelt werden. Die Entwicklung bzw. Stärkung von Schlüsselkompetenzen setzt die Beachtung emotionaler, sozialer, motivatorischer As-pekte und Werthaltungen ebenso voraus wie die Bearbeitung von realen, problemati-schen Situationen und Aufgaben und deren Lösung unter Aufsicht und Anleitung er-fahrener Lehrer (Supervision und Feedback). Schlüsselkompetenzen leiten sich aus
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den Anforderungen der Arbeits- und Lebenswelt ab, sind situativ konkret zu ent-wickeln und auf die Zukunft zu extrapolieren.
Wissen und Qualifi kation sind vermittelbar; Kompetenzen können angeregt und ge-fördert werden und benötigen neben einem Learning by doing qualifi ziertes Feed-back und Refl exion über den Entwicklungsfort schritt.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wird von einem Vier-Ebenen-Modell ausgegan-gen. Es können unterschieden werden:• Metakompetenzen (zum Beispiel Selbstrefl exionsfähigkeit)• vier Grund- oder Basiskompetenzgruppen (Gegenstand dieses Projektes)• 64 detailliert abgeleitete Schlüsselkompetenzen (Gegenstand dieses Projektes)• Querschnittskompetenzen (zum Beispiel Führungskompetenz, interkulturelle
Kompetenz)
Die vier Grund- oder Basiskompetenzgruppen sind:• Personale Kompetenz• Aktivitäts- und Handlungskompetenz• Fach- und Methodenkompetenz• Sozial-kommunikative Kompetenz
Dieses Vier-Ebenen-Modell hat den Vorteil, dass es• wissenschaftlich fundiert und in Theorie und Praxis anerkannt ist,• sich in Europa in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen und Kulturen
bewährt hat,• in hohem Masse kompatibel ist mit dem CBME-Modell (Competency-Based Me-
dical Education) und dessen Begriffl ichkeit,• mit wissenschaftlich abgesicherten Messmethoden verbunden ist.
Die vier Grund- oder Basiskompetenzgruppen lassen sich wiederum mit den vier grundsätzlichen EU-Lernforderungen (1996, CEDEFOP 2008) verbinden:
Tab. 1: EU-Lernforderungen und Kompetenzgruppen
Learning to be(Personale Kompetenz)
Learning to do(Aktivitäts- und Handlungskompetenz)
Learning to live together(Sozial-kommunikative Kompetenz)
Learning to know(Fach- und Methodenkompetenz)
Während früher das Learning to know, die Entwicklung der Fach- und Methoden-kompetenzen, fast ausschliesslich im Vordergrund der medizinischen Ausbildung stand, kommen in jüngerer Zeit weitere Entwicklungsziele – bezogen auf die ande-ren drei Kompe tenzgruppen hinzu.
Heyse, Schircks20
Schlüsselkompetenzen umfassen die Bereitschaft und Fähigkeit, selbstorganisiert (neuen) Aufgaben, Situationen, Herausforderungen zu begegnen, angemessene Hand-lungsoptionen zu entwickeln und diese erfolgreich umzusetzen.
Wenn in den nachfolgenden Ausführungen die Konzentration auf Schlüsselkompeten-zen erfolgt, wird das fachliche Rüstzeug der Humanmedizinerinnen/Humanmedizi-ner in keiner Weise in Abrede gestellt. Im Gegenteil, bei allen Veränderungen in der Medizin bleiben das spezifi sche Fachwissen und die damit verbundenen Fertigkeiten quasi das ZNS des Medical Expert (CanMEDS). Allerdings treten weitere Schlüssel-kompetenzen hinzu, die einen massgeblichen Einfl uss auf die nachhaltige Umsetzung des Fachwissens und auf die künftige Aus- und Weiterbildung haben werden.
3. Medizin der Zukunft und Gesundheitsmarkt
Die Gesundheitssysteme befi nden sich international in einem grossen Umbruch, und davon sind alle Beschäftigten betroffen. Neue Strukturen und Organisationsformen, erweiterte Wissens- und Kompetenzanforderungen, neue Verantwortlichkeiten und Befugnisse, neue Formen der Arbeitsteilung sind schon heute ersichtlich und kenn-zeichnen einen einmaligen Paradigmenwechsel sowie zunehmende grundsätzliche Veränderungen im (schweizerischen) Gesundheitswesen.
Im Zentrum der humanmedizinischen Zukunftsorientierung steht eine neue Arzt-persönlichkeit: Im marktwirtschaftlichen Spannungsfeld zwischen High Tech, High Touch und Big Money wird sich die Entwicklung zum „Medizin-Unternehmer“ beschleu nigen – gleichzeitig sind die ärztlichen Berufe per Gesetz als „kein Gewer-be“ defi niert. „Unternehmerisch“ meint hier vor allem eine umfassende Eigenver-antwortung gegenüber den anvertrauten Ressourcen: Es ist unethisch, etwas zu ver-schwenden (lassen) und andere Patientinnen/Patienten oder auch Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter dadurch zu benachteiligen.
Der Arzt als „helfender Unternehmer“ oder „unternehmerischer Heiler/Helfer/Con-sulter/Gesundheitsbegleiter“?
3.1 Hauptperspektiven
Die bisherigen Erkenntnisse der vorliegenden Studie zum Forschungsprojekt Kom-petenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im Arbeitsmarkt könnten daher auch unter dem Titel stehen: „Das Management-Zeitalter der Humanmedizin. Aufbruch, Um-denken, neue Aufgaben und Schlüsselkompetenzen“. Alle Ärztinnen und Ärzte wer-den in Zukunft gelernt haben, verantwortlich mit den Ressourcen umzugehen und sich in hohem Masse effi zient selbst zu managen. Diejenigen, die unternehmerische Verantwortung tragen, werden zunehmend und umfassend unternehmerisch denken und handeln; die Anzahl derer wird künftig deutlich zunehmen.
Kompetenzprofi le Humanmedizin und Bedarf im Arbeitsmarkt 21
Das neue, schon längst begonnene, Zeitalter hat drei Hauptperspektiven:
1. Kostenentwicklung/GesundheitsmanagementMedizinischer Fortschritt, Kosten und Erfolge der europäischen Gesundheitssysteme entwickeln sich zunehmend unabhängig voneinander.
2. Ganzheitliches Krankheits-/GesundheitsverständnisDie traditionelle Humanmedizin wird manche Krankheiten der Zukunft nicht mehr allein heilen können – jedenfalls in keinem akzeptablen Kosten-Nutzen-Verhältnis:
„Die Krankheiten, mit denen wir es heute und in Zukunft zu tun haben, äh-neln nicht mehr jenen, die man schlichtweg mit medizinischem Fortschritt ‚ausrotten‘ konnte. Es wird auch in Zukunft Epidemien geben, jedoch die be-stimmenden Krankheiten sind Systemkrankheiten, in denen sich Genetik, Ver-halten, Kompetenzen, Kultur, Politik, Umwelt auf unlösbare Weise miteinander vermischen“ (Horx 2008).
3. „Gesundheitskompetenz“/Prävention in alternder GesellschaftIn Zeiten der Wissensgesellschaft, lebenslangem Lernen und demografi schen Alters-wandel wird die Entwicklung von „Gesundheitskompetenzen“ und präventiven Po-tenzialen über das Schicksal des Einzelnen wie das der Gesellschaft bestimmen.
Die entscheidende Frage im zukünftigen „Mega-Markt Gesundheit“ lautet:
Wie können sich die Menschen – mit Hilfe der Ärztinnen und Ärzte neuen Stils – gesundheitsklüger/-kompetenter machen und ihr Verhalten durch ein neu-es Gesund heits- und Präventions- (Selbst-)Verständnis entsprechend klug steu-ern?
3.2 Nationale und internationale Entwicklungstrends (Schneider et al. 2010)
Der Gesundheitsmarkt erfährt gegenwärtig die weitestreichenden Veränderungen sei-ner Geschichte. Die wesentlichen nationalen wie internationalen Trends, die in den kommenden 20 Jahren die schweizerische Humanmedizin massgeblich beeinfl ussen werden, wurden in einer umfassenden Literatur analyse ermittelt und auf ihre Fol-gen für das Schweizer Gesundheitswesen und die Humanmedizin hin analysiert. Im Überblick ergibt sich das in Tabelle 2 zusammengefasste Bild.
Heyse, Schircks22
Tab. 2: (Inter-)Nationale Entwicklungstrends (Schneider et al. 2010)
Haupttrend (Teil-) Entwicklungen Bedeutung
Megatrend demografi scher
Wandel
Mehr ältere Patientinnen und Patienten
Zunahme von Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) Hirnleistungsstörungen (z.B. Demenz) palliativmedizinischer
Versorgungserfordernissen
Knappe Ressource Arzt
Erhebliches Nachwuchsproblem in Kliniken und in der Grundversorgung, u.a. bei Hausärzten (Berufsattraktivität) Gesetzlich veränderte Arbeitszeitgestaltung
in Kliniken und Praxen
Zunehmender wirtschaftlicher
Druck
Einführung von Fallpauschalen
und anderen Systemen
Benchmarks zwischen Gesundheitsanbietern Höhere Effektivitäts- und
Effi zienzverantwortung Gesteigerte Qualitätsanforderungen
Reorganisation der ambulanten Versorgung
Optimierung von Arbeits- und Versorgungsabläufen Erweiterung des Qualifi zierungsportfolios
der Ärztinnen/Ärzte Vielfalt an Kooperationsformen (auch
sektorübergreifend)
Qualitäts management
Überprüfung der Erfolge präventiver und therapeutischer Massnahmen (Qualitätssicherung) Interprofessioneller KVP (kontinuierlicher
Verbesserungsprozess)
Neue Führungskultur/Organisatorische
Umwälzungen
Neue Arbeitsteilungen
Erweiterte Arbeitsteilung mit anderen universitären Medizinalberufen und hoch qualifi ziertem Pfl egepersonal Aufwertung und Schaffung neuer
Assistenzberufe Entwicklung neuer Kooperationsformen
Professionelleres Personal-management
Arbeit mit Talenten, Retentionmanagement systematische Organisations- und
Personalentwicklung Erweiterte Kompetenzentwicklung Führungskultur Anpassung an die speziellen Bedürfnisse
von Knowledge- und Taskworkern Kampf um Talente
Ambulanti-sierung der
Gesund heits-wirtschaft
Mehr ambulante Behandlungen in Spitälern
Häufi ger ambulante Behandlung von Alteren und Pfl egebedürftigen Immer mehr „high-tech“-Anwendungen in
der Medizin werden ambulant anwendbar Neue, auch sektorübergreifende
Kooperationsformen; Kooperation mit anderen universitären Medizinalberufen und mit Pfl egefachkräften
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