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77 WWW.HOB-MAGAZIN.COM Aus der Forschung In dem Kontext von Industrie 4.0 wird die Produktion bzw. Fabrik der Zukunft („Smart Factory“) aus dezentralen Einhei- ten bestehen, die in der Lage sind untereinander zu kommunizieren und sich selbst zu organisieren und zu optimieren. Maschinen und Anlagenbestandteile werden durch Integration von Sensoren und Aktoren und eines eingebundenen intelligenten Computersystems zu sogenannten Cyber-Physischen-Systemen (CPS) und wirken in der Smart Factory zusammen. Dazu ist es erforderlich, dass offene Schnittstellen und Standards für den Datenaustausch zwischen den einzelnen Bestandteilen der Smart Factory bestehen. Des Weiteren müssen die eingebetteten Computersysteme in der Lage sein, die speziellen Prozessdaten für einen Fertigungsschritt, den das CPS abbildet, zu generieren, den Prozess zu steuern und zu überwachen. Zudem müssen alle benötigten und anfallenden Daten in einer sinn- vollen Struktur gespeichert werden, die neben der Schnittstellen- funktion auch eine Zugriffsverwaltung und vor allem eine hohe Da- tensicherheit gewährleistet [1]. Nur so können die prognostizierten Potenziale von Industrie 4.0 entfaltet werden. Die Grundlagen für die Realisierung von Industrie 4.0 schei- nen in der Holz- und Möbelindustrie noch nicht greifbar zu sein. Derzeit erfordern viele Prozesse das Expertenwissen der Bediener zur Prozessauslegung und zum Rüsten sowie Know-how, um die komplexen Prozesse zu überwachen und ggf. einzugreifen. Gera- de beim Rüsten und Einfahren ist beispielsweise oft eine Vielzahl von manuellen Operationen erforderlich. Im Bereich der Kor- Industrie 4.0 – IT-Integration in verkettete Prozessketten der Holz- und Möbelindustrie (Teil 2) Mit Industrie 4.0, einem Zukunftsprojekt der Bundesregierung im Rahmen der Hightech-Strategien, wurde die vierte industrielle Revolution ausgerufen. Die informationstechnologische Vernetzung der gesamten Produktion mit allen Betriebs- und Arbeitsmitteln sowie der Umwelt soll einen Umbruch auslösen und insbesondere Potenziale durch die Flexibilisierung der Fertigung sowie in der Produktions- und Ressourceneffizienz generieren. Im ersten Teil des Artikels in der vorherigen Ausgabe wurden die Grundlagen und die historische Entwicklung von Industrie 4.0 und Potenziale und Handlungsfelder für die Holz- und Möbelindustrie diskutiert. In diesem Teil wird an einem konkreten Beispiel aufgezeigt, wie Teilbereiche von Industrie 4.0 umgesetzt werden können. Dazu werden die Ergebnisse eines vom BMBF geförderten Forschungsprojektes an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe vorgestellt. M. ENG. DIPL.-ING. (FH) CHRISTIAN KORTÜM, PROF. DR.-ING. ADRIAN RIEGEL, PROF. DR.-ING. ELMAR HARTWEG 1) 1) M.Eng. Dipl.-Ing. (FH) Christian Kortüm ist seit 2009 wissenschaft- licher Mitarbeiter an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe im Labor für Holzbearbeitungsmaschinen und Fertigungstechnologien. Sein Forschungsgebiet ist die Generierung von Prozessdaten für verkettete Folgeprozesse mit intelligenten technischen Systemen. Prof. Dr.-Ing. Adrian Riegel ist seit 2002 an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe berufen für das Lehrgebiet Produktionsmethoden und -maschinen und Leiter des Labors Holzbearbeitungsmaschinen und Fertigungstechnologien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Prozessqualifizierung u.a. durch die Nutzung von virtuellen Prozessmodellen zur Optimierung. Prof. Dr.-Ing. Elmar Hartweg ist seit 2009 an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe tätig und leitet das Labor für angewandte Informatik und ERP-Systeme. Er ist Mitglied der Forschungsgruppe „ProErgo – Ergonomische Gestal- tung von Produktionsmaschinen im Kontext von Industrie 4.0“ an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. pusmöbelherstellung, im Holzbau oder anderen eng umgrenzten Branchen bzw. Produkten in Kombination mit der Fertigung auf Bearbeitungszentren konnten bereits vor Jahren Algorithmen zur Selbstauslegung der Prozesse entwickelt werden (vgl. [2]). Diese heute durchgängigen CAD-CAM-Systeme haben sich am Markt breit durchgesetzt und waren und sind Auslöser weitreichender Rationalisierungsmöglichkeiten. Der Erfolg dieser Systeme liegt in den vergleichsweise einfachen Auslegungskriterien für die im We- sentlichen einstufigen und wechselwirkungsfreien Fertigungsver- fahren, wie beispielsweise das Bohren, die durch Feature-basierte Algorithmen gut modellierbar sind [3]. Bei verketteten Folgepro- zessen, die z. B. für die Herstellung von Profilleisten notwendig sind, konnte bisher keine vollständige IT-Integration in die Prozesskette aufgrund komplexerer Zusammenhänge und Interaktionen zwi- schen den Prozessschritten erfolgen. IT und die damit verbundene CNC-Technik auf der Maschinenseite wird nur in Teilbereichen zur Rüstunterstützung und zur Teach-In-Positionierung eingesetzt. Zur weiteren Integration von IT in diese Prozesskette werden seit 2010 in dem Forschungsprojekt „proCAMpro“ (Produktmodell für das prozesskettenübergreifende Computer Aided Manufacturing (CAM) bei der Profilierung [BMBF 17082X10]) Datenstrukturen in Form eines Produktmodells sowie ein intelligentes CAD-CAM- System zur Generierung sämtlicher Prozessdaten entwickelt, um so die Grundlagen für die Potenziale von Industrie 4.0 zu schaffen. Abb. 1: Prozesskette zur Herstellung profilierter Bauteile

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Aus der Forschung

In dem Kontext von Industrie 4.0 wird die Produktion bzw. Fabrik der Zukunft („Smart Factory“) aus dezentralen Einhei-

ten bestehen, die in der Lage sind untereinander zu kommunizieren und sich selbst zu organisieren und zu optimieren. Maschinen und Anlagenbestandteile werden durch Integration von Sensoren und Aktoren und eines eingebundenen intelligenten Computersystems zu sogenannten Cyber-Physischen-Systemen (CPS) und wirken in der Smart Factory zusammen. Dazu ist es erforderlich, dass offene Schnittstellen und Standards für den Datenaustausch zwischen den einzelnen Bestandteilen der Smart Factory bestehen. Des Weiteren müssen die eingebetteten Computersysteme in der Lage sein, die speziellen Prozessdaten für einen Fertigungsschritt, den das CPS abbildet, zu generieren, den Prozess zu steuern und zu überwachen. Zudem müssen alle benötigten und anfallenden Daten in einer sinn-vollen Struktur gespeichert werden, die neben der Schnittstellen-funktion auch eine Zugriffsverwaltung und vor allem eine hohe Da-tensicherheit gewährleistet [1]. Nur so können die prognostizierten Potenziale von Industrie 4.0 entfaltet werden.

Die Grundlagen für die Realisierung von Industrie 4.0 schei-nen in der Holz- und Möbelindustrie noch nicht greifbar zu sein. Derzeit erfordern viele Prozesse das Expertenwissen der Bediener zur Prozessauslegung und zum Rüsten sowie Know-how, um die komplexen Prozesse zu überwachen und ggf. einzugreifen. Gera-de beim Rüsten und Einfahren ist beispielsweise oft eine Vielzahl von manuellen Operationen erforderlich. Im Bereich der Kor-

industrie 4.0 – it-integration in verkettete Prozessketten der Holz- und Möbelindustrie (teil 2)Mit Industrie 4.0, einem Zukunftsprojekt der Bundesregierung im Rahmen der Hightech-Strategien, wurde die vierte industrielle Revolution ausgerufen. Die informationstechnologische Vernetzung der gesamten Produktion mit allen Betriebs- und Arbeitsmitteln sowie der Umwelt soll einen Umbruch auslösen und insbesondere Potenziale durch die Flexibilisierung der Fertigung sowie in der Produktions- und Ressourceneffizienz generieren. Im ersten Teil des Artikels in der vorherigen Ausgabe wurden die Grundlagen und die historische Entwicklung von Industrie 4.0 und Potenziale und Handlungsfelder für die Holz- und Möbelindustrie diskutiert. In diesem Teil wird an einem konkreten Beispiel aufgezeigt, wie Teilbereiche von Industrie 4.0 umgesetzt werden können. Dazu werden die Ergebnisse eines vom BMBF geförderten Forschungsprojektes an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe vorgestellt. m. enG. dipl.-inG. (Fh) Christian Kortüm, proF. dr.-inG. adrian rieGel, proF. dr.-inG. elmar hartweG 1)

1) M.eng. Dipl.-ing. (FH) Christian Kortüm ist seit 2009 wissenschaft-licher Mitarbeiter an der Hochschule ostwestfalen-lippe im labor für Holzbearbeitungsmaschinen und Fertigungstechnologien. Sein Forschungsgebiet ist die generierung von Prozessdaten für verkettete Folgeprozesse mit intelligenten technischen Systemen. Prof. Dr.-ing. adrian riegel ist seit 2002 an der Hochschule ostwestfalen-lippe berufen für das lehrgebiet Produktionsmethoden und -maschinen und leiter des labors Holzbearbeitungsmaschinen und Fertigungstechnologien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Prozessqualifizierung u.a. durch die nutzung von virtuellen Prozessmodellen zur optimierung. Prof. Dr.-ing. elmar Hartweg ist seit 2009 an der Hochschule ostwestfalen-lippe tätig und leitet das labor für angewandte informatik und erP-Systeme. er ist Mitglied der Forschungsgruppe „Proergo – ergonomische gestal-tung von Produktionsmaschinen im Kontext von industrie 4.0“ an der Hochschule ostwestfalen-lippe.

pusmöbelherstellung, im Holzbau oder anderen eng umgrenzten Branchen bzw. Produkten in Kombination mit der Fertigung auf Bearbeitungszentren konnten bereits vor Jahren Algorithmen zur Selbstauslegung der Prozesse entwickelt werden (vgl. [2]). Diese heute durchgängigen CAD-CAM-Systeme haben sich am Markt breit durchgesetzt und waren und sind Auslöser weitreichender Rationalisierungsmöglichkeiten. Der Erfolg dieser Systeme liegt in den vergleichsweise einfachen Auslegungskriterien für die im We-sentlichen einstufigen und wechselwirkungsfreien Fertigungsver-fahren, wie beispielsweise das Bohren, die durch Feature-basierte Algorithmen gut modellierbar sind [3]. Bei verketteten Folgepro-zessen, die z. B. für die Herstellung von Profilleisten notwendig sind, konnte bisher keine vollständige IT-Integration in die Prozesskette aufgrund komplexerer Zusammenhänge und Interaktionen zwi-schen den Prozessschritten erfolgen. IT und die damit verbundene CNC-Technik auf der Maschinenseite wird nur in Teilbereichen zur Rüstunterstützung und zur Teach-In-Positionierung eingesetzt. Zur weiteren Integration von IT in diese Prozesskette werden seit 2010 in dem Forschungsprojekt „proCAMpro“ (Produktmodell für das prozesskettenübergreifende Computer Aided Manufacturing (CAM) bei der Profilierung [BMBF 17082X10]) Datenstrukturen in Form eines Produktmodells sowie ein intelligentes CAD-CAM-System zur Generierung sämtlicher Prozessdaten entwickelt, um so die Grundlagen für die Potenziale von Industrie 4.0 zu schaffen.

abb. 1: Prozesskette zur Herstellung profilierter bauteile

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Aus der Forschung

Prozesskette Profilierung Für die Herstellung profilierter Bau-teile (Profile) aus Holz oder Holzwerkstoffen (z. B. Fußleisten) wer-den neben den Hauptprozessen – i.d.R. Sägen, Fräsen, Schleifen, Ummanteln, Lackieren – auch verschiedene Hilfsprozesse für die Werkzeugherstellung, Qualitätssicherung usw. eingesetzt (Abb. 1). Alle Prozesse in der Kette bauen aufeinander auf – das Ergebnis eines Prozesses ist die Eingangsgröße für den nächsten Prozess. Systematische und stochastische Fehler, die in einem Prozess ent-stehen (z. B. das „Verrunden“ von Ecken beim Werkzeugeinschlei-fen oder Fertigungstoleranzen), werden an den Folgeprozess über-tragen und müssen dort kompensiert bzw. der Prozess darauf ad-aptiert werden. Daher werden die Prozesse derzeit sequentiell mit dem jeweiligen realen Ergebnis des vorherigen Prozesses ausgelegt bzw. eingerüstet. Ein durchgängiges IT-System, mit dem auch Si-multaneous Engineering ermöglicht werden soll, muss die auftre-tenden Profilveränderungen berechnen bzw. simulieren können. In dem zugrundeliegenden Datenmodell muss das Profil zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Prozesskette lückenlos dokumentiert sein. In Sinne von Industrie 4.0 verschmelzen hier das virtuelle Abbild und die Realität. Die Prozesskette baut sich aus einzelnen CPS auf.

Produktmodell Nach der Analyse der benötigten Daten sowie der Anforderungen an den Datenaustausch innerhalb der Prozesskette wurde ein Produktmodell entwickelt, mit dem nicht nur das Profil beschrieben werden kann, sondern auch alle weiteren notwendigen Elemente wie Materialien und Betriebsmittel (Maschinen, Werk-zeuge, Blanketts, Andruckelemente usw.). Jedes Element wird durch eine individuelle Datei in dem Modell abgebildet und eindeutig mit dem realen Element verknüpft. Dieses grundlegende Datenmodell ist im XML-Format (Extensible Markup Language) aufgebaut, kann so einfach innerhalb der Prozesskette zwischen den CPS ausgetauscht werden und bietet eine relativ einfache Erweiterungsmöglichkeit. Die reinen Geometriedaten werden im DXF-Format innerhalb der XML-Datei gespeichert.

In der Struktur des Produktmodells (Abb. 2) steht die Profil-XML an zentraler Stelle. Die Definition des Profils in der Datei er-folgt über die Geometrie als DXF-Daten und über Geometriepunk-te verknüpfte, semantische Informationen bezüglich Materialien, Bearbeitungs- und Beschichtungsbereiche, Qualitäts- und Toleran-zanforderungen. Zudem wird die Prozesskette mit der Fertigungs-reihenfolge, den verwendeten Maschinen mit möglichen Alterna-tiven und den darin verwendeten Werkzeugen, Vorschubrollen, Führungs- und Andruckelementen usw. definiert. Für jeden Pro-zessschritt wird die tatsächlich resultierende Ausgangsgeometrie mit der erreichten Qualität (z. B. Zahnvorschub beim Fräsen) nach der Berechnung der Prozessdaten bzw. einer Simulation in das Modell zurückgeschrieben und so die korrekten Daten für den Folgeprozess bereitgestellt. Für die Berechnungen und Simulationen sind para-metrische Geometriemodelle der Maschinen mit allen Bestandtei-len inklusive der möglichen Einstell- und Prozessparameter sowie der Fertigungstoleranzen in dem Modell integriert.

Zur Vermeidung von Redundanzen und der eindeutigen Zu-ordnung zu den realen Elementen sind Materialien, Maschinen, Werkzeuge usw. in eigenen Dateien beschrieben, auf die mit einer ID verwiesen wird (Abb. 2). Als Identifizierung wird ein GUID (Globally Unique Identifier), eine 32-stellige Hexadezimalzahl, die

auch bei der Generierung ohne eine zentrale Registrierungsstelle mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eindeutig ist, eingesetzt. Über 2-dimensionale Barcodes (z. B. Datamatrix) oder RFID-Tags, die ebenfalls die ID enthalten, wird die Zuordnung zwischen der ent-sprechenden Datei des Produktmodells auf einer serverbasierten Datenbank und dem realen Element hergestellt. Damit ist das – im Kontext von Industrie 4.0 beschriebene – „digitale Produktge-dächtnis“ und „Smart-Tag“ realisiert.

Dieses zentrale Produktmodell, auf das alle CPS zugreifen und die es bei der Prozessauslegung zunächst virtuell manipulieren, steht damit im Widerspruch zu den unter Industrie 4.0 geforderten dezentralen bis anarchischen Organisationsformen. Dafür spricht jedoch die Komplexität der Prozesskette mit den Interaktionen zwischen den Prozessen, die nur in einem übergeordneten System berücksichtigt und vor der gesamten Produktion simuliert werden können. Zudem erfordern viele Prozesse vorgeschaltete Hilfspro-zesse, wie z. B. die Werkzeugherstellung, die im Vorfeld ablaufen müssen und die Daten dafür nicht unmittelbar von den Produktda-ten abgeleitet werden können. Für die Werkzeugherstellung ist z. B. Expertenwissen für die Schnittaufteilung notwendig. Des Weiteren muss das Expertenwissen zur Prozessauslegung geschützt werden und darf nur vom Prozesseigner vollständig einsehbar sein. Dies bedingt wiederum eine zentral organisierte Zugriffregelung, um die geforderte Datensicherheit zu gewährleisten.

abb. 2: Struktur des entwickelten Produktmodells

abb. 3: benutzeroberfläche Programmsystem proCaMpro

IT System Neben dem Produktmodell wurde ein IT-System entwickelt, das die Daten für die gesamte Prozesskette generieren kann. Das Pro-grammsystem besteht aus einer Eigenentwicklung mit einer serverbasier-ten Datenbankanwendung und einem eingebundenen 3D-CAD-System (Typ Autodesk Inventor) für geometrische Operationen, Simulationen und Darstellungen (Abb. 3). Bei der Profildefinition wird von dem System automatisch das Produktmodell erstellt und mit Daten gefüllt. Dabei wird der Anwender durch eine geometrisch-technologische Ähnlichkeitssuche unterstützt. Diese sucht in der Datenbank der vorhandenen und bereits produzierten Profile nach Übereinstimmungen, um z. B. Prozessdaten oder Qualitätsanforderungen von einem technologisch-ähnlichem Profil auf das neue zu vererben oder Komponenten wie Profilmesser oder Andruckrollen bei einer geometrischen Ähnlichkeit zu übernehmen [4].

Dieser hierarchische Top-Down-Ansatz durch das Produktmodell und IT-System wird aufgebrochen, indem die einzelnen zur Prozesseinstellung und Optimierung notwendigen CAM-Systeme eingebunden werden. Die-se, den CPS zuzurechnenden Systeme, verwenden das Produktdatenmodell als Input, schreiben aber entgegen normalen Postprozessoren auch Daten zurück. Nach der Definition der Prozesskette mit den Fertigungsschritten und der Reihenfolge wird in den entwickelten CAM-Modulen mit der Pro-zessauslegung begonnen. Definitionsbedingt wird aus der Soll-Geometrie des fertigen Profils die Soll-Geometrie für den ersten maßgebenden Fer-tigungsschritt (i.d.R. Fräsen) abgeleitet, da bei Beschichtungen Abzüge und bei nachfolgenden Schleifprozessen Zugaben berücksichtigt werden müssen. In den CAM-Modulen, beispielsweise für das Profilfräsen, wird die Profilgeometrie automatisch in der besten Fertigungsposition in dem Maschinenkoordinatensystem positioniert, die Schnittaufteilung durchge-führt und die Daten für die Werkzeugherstellung erzeugt. Mit den Quali-tätsanforderungen (z. B. an den Zahnvorschub) werden die Prozesspara-meter berechnet, Werkzeuge ausgewählt und der Prozess mit den realen Maschinendaten aus dem Produktmodell in einem 3D-Modell simuliert. Dabei wird mit einer Kollisionsprüfung der berechnete Einrüstzustand der Maschine mit allen Elementen überprüft und ggf. korrigiert. Durch ein Pro-zessmodell werden zudem die Schnittkräfte berechnet und mit den Ma-schinendaten abgeglichen. Des Weiteren werden die systematischen Geo-metrieveränderungen des Prozesses berechnet, damit die IST-Geometrie des Prozesses erzeugt und z. B. im Falle des Fräsens die erreichte Qualität bezogen auf den Zahnvorschub mit der Geometrie verknüpft. Alle berech-neten Daten werden dann wieder in das Produktmodell zurückgeschrieben und stehen so für die weiteren Berechnungen nachfolgender Prozessschritte oder dem Einrüsten zur Verfügung. Somit kann beispielsweise bei einem nachfolgenden Schleifprozess in dem zugehörigen CAM-Modul auf die Daten des vorherigen Fräsprozesses zugegriffen werden, die tatsächliche Eingangsgeometrie für den Schleifprozess ermittelt werden und die Posi-tionierung und Schnittaufteilung für die Maschine erfolgen. Durch ein in-tegriertes Prozessmodell für das Schleifen können mit den Informationen über den erreichten Zahnvorschub beim Fräsen optimale Prozessparameter berechnet werden, um so die gewünschte Oberflächengüte zu erzielen [5].

Neben den Berechnungen in den einzelnen CAM-Modulen in der Pro-zesskette werden auch die Fertigungstoleranzen und Holzfeuchteänderun-gen mit dem resultierenden Quell- und Schwindverhalten berücksichtigt. Die Änderung der Holzfeuchte bzw. die Änderung des umgebenden Kli-mas werden über die Prozesskette, die auch Lagerungsschritte enthalten kann, aufgenommen. Im Falle einer Holzfeuchteänderung wird mit ei-nem Algorithmus die Geometrieveränderung berechnet. Die Daten für die Berechnungen, wie z. B. Materialart, Jahrringwinkel und differentiel-

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Aus der Forschung

les Quell- und Schwindmaß, sind im Produktmodell gespeichert. Nur mit der Betrachtung des spezifischen Materialverhaltens von Holz und Holzwerkstoffen können mit dem Programmsystem va-lide Daten für die Produktion generiert werden. Allerdings wird bei den stochastischen Einflüssen mit Verteilungsformen für die Merkmale gerechnet. Bei der Aufsummation über die Prozessket-te werden diese gefaltet. Das Resultat ist eine Wahrscheinlichkeit für die Toleranzmitte, eine Streubreite bzw. weitere Momente der Endverteilung. Hier kann die Simulation auch ggf. den Schluss nahelegen, dass ein Simultaneous Engineering nicht möglich ist. Hierzu muss noch Erfahrung gesammelt werden.

Maschinenanbindung In dem Forschungsprojekt wird ebenfalls die Funktionalität des Programmsystems und Produktmodells mit den vorhandenen Maschinen der Prozesskette im Labor der Hoch-schule Ostwestfalen-Lippe getestet. Für das Profilfräsen wurde eine Anbindung des Systems an eine Kehlmaschine (Typ Weinig Powermat 1000) realisiert. Die Prozessdaten aus der Berechnung und Simulation des CAM-Moduls können über das Produktmo-dell bzw. die XML-Datei an die Maschinensteuerung (Typ Weinig PowerCom) gesendet und automatisch verarbeitet werden. Ent-scheidend ist dabei, dass die Steuerung auch Daten zurück in das Produktmodell schreiben kann, wenn z. B. der Bediener eine Achse nachstellt oder einen Prozessparameter ändert. Für die Bedienung wurde zudem eine App für ein Android-System programmiert, so-

dass die Daten mit einem Smartphone an die Steuerung gesendet und geladen werden können. Zusätzlich kann mit der App der Ein-rüstzustand der Maschine durch Einscannen der Barcodes mit der ID auf den Frässpindeln und den montierten Werkzeugen über-prüft werden. Da über die Maschinensteuerung nicht alle Achsen und Prozessparameter eingestellt werden können, wurde eine An-wendung für einen Tablet-PC programmiert mit dem die – im Pro-duktmodell vorhandenen – Prozess- und Rüstdaten dem Maschi-nenbediener bereitgestellt werden (Abb. 4). Damit kann z. B. das Einrüsten des Vorschubsystems unterstützt und überprüft werden (Abb. 5). In dieser Weise wurde auch eine Tischfräse und eine Pro-filschleifmaschine an das Programmsystem angebunden und über Schnittstellen zur Steuerung oder Mobile-Devices die Möglichkeit geschaffen, die vollständigen Prozessdaten für die Fertigung be-reitzustellen. Das Augmented Reality der Industrie 4.0 findet hier quasi seine Entsprechung.

Fazit Ausblick Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass auch für komplexe, verkettete Prozesse die durchgängige Integration von IT mit den aktuell verbundenen Potenzialen von Industrie 4.0 mög-lich ist. Der entscheidende Schritt war hier die Entwicklung eines einheitlichen Datenmodells mit dem die Zusammenhänge in der nötigen Tiefe abgebildet werden können. Die unter Industrie 4.0 angestrebte Vereinheitlichung der Standards und Schnittstellen ist auch hier eine essentielle Voraussetzung. Die Generierung der Prozessdaten kann wie mit dem präsentierten Programmsystem zwar weitgehend automatisiert werden, wird aber weiterhin den Anwender mit Fachwissen erfordern, auch wenn das System durch künstliche Intelligenz aus abgeschlossenen Aufträgen lernt und mehr Entscheidungen automatisch treffen kann. Der Anwender wird vom System aber mittels Virtual Reality und Augmented Re-ality maßgeblich unterstützt. Die automatische Berücksichtigung des spezifischen geometrischen Materialverhaltens von Holz (Quel-len und Schwinden) zeigt das noch nicht ausgeschöpfte Potenzial in den CAD/CAM-Systemen. Voraussetzung ist die durchgehende Toleranzbehandlung. Auch hier besteht noch weitgehender Nach-holbedarf in der Branche wie in den CAD-Systemen. Werden die dezentral selbstoptimierenden Ansätze bei Seite gelassen, können die Ideen von Industrie 4.0 ihren nachhaltigen Widerhall in der Branche finden und zur Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit beitragen.

Literatur[1] Kagermann, H. et al. – umsetzungsempfehlungen für das zu-kunftsprojekt industrie 4.0 – abschlussbericht des arbeitskreises industrie 4.0, geschäftsstelle der Plattform industrie 4.0, Frankfurt, 2013.[2] Sachers, M. – entwicklung von Datenschnittstellen zum Pro-duktdatenaustausch am beispiel der Holz- und Möbelindustrie, Dissertation, technische universität braunschweig, 1999.[3] Kortüm, C., riegel, a. – a Product Data Model and Computer aided Manufacturing For the Process Chain of Profiling, in: Pro-ceedings of the 20th international Wood Machining Seminar, ed. grönlund, a., Cristóvão, l., 2011, S. 520-527.[4] bursch, D., Kortüm, C., riegel, a. – Ähnlichkeitssuche in der Profil-leistenherstellung. Holz-zentralblatt, (2012) 17, S. 449-450.[5] riegel, a., Schneider, b. – Verfahrensintegration Kehlen – Schlei-fen, holztechnologie 51(2010) 1, S. 27-33.

u www.hs-owl.deabb. 5: beispiel zur rüstunterstützung beim Vorschubsystem

abb. 4: anwendung zur Prozess- und rüstdatenbereitstellung