buchstabe n my stik

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Buchstabenmystik Mit der ethischen Wandlung allein ist es noch nicht getan. Sie ist Vorbedingung und ein Prozeß nebenher. Der echte Mystiker treibt nicht bloß eine Alchemie der Seele, sondern eine bis ins letzte Molekül wirkende Alchemie des Körpers. Eine Transmutation findet im Verlaufe seiner mystischen Arbeit statt, die vom Stofflich-leibhaften bis zu den subtilsten seelisch-geistigen Zuständen die gesamte Erscheinungsform Mensch von Grund auf verwandelt: die Wiedergeburt. Sie ist zweifacher Natur. Die körperliche Wiedergeburt setzt die geistige voraus. Weitaus schwerer noch als die Wiedergeburt im Geiste ist die des Körpers. Wer jedoch diesen höchsten aller alchemistischen Prozesse vollzogen hat, ist Herr geworden über Krankheiten, Gebresten und altern, ja Gebieter selbst über den Tod, dem er bis zu tausend Lebensjahren zu trotzen vermag, wie allen Ernstes behauptet wird; ist er doch im Besitz der »Tinktur«, des »Steines der Weisen«, des »Lebenselixiers«. Breiten Raum nehmen in der praktischen Mystik Konzentration, Meditation und Kontemplation ein, vorzugsweise im Rajah Yoga, dem königlichen Yoga, geübt. Wie unumgänglich die Versenkung auch sein mag, es muß sich ihr jedoch noch ein anderes Moment beigesellen, damit der alchemistische Gestaltungsprozeß im Mystiker sämtliche Schwingungsprinzipien erfaßt. Hinzufügen muß er seinen Übungen, die - vielleicht seltsam oder gar absurd anmutende - Praxis des Buchstabendenkens, das heißt, er muß Vokale, Konsonanten, Silben, Wörter in bestimmten Regionen seines Körpers denken. Hinzu kommen noch festgelegte Fingerstellungen (Mudras) und Handgriffe. Von wo diese eigenartige Methode ihren Ausgang genommen hat, wissen wir nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es der alte Rosenkreuzerweg, der keinem wahren Alchemisten fremd war und ist. Jesus und Mohammed sollen ihn gekannt haben und gegangen sein; verschlüsselt und von den meisten der Anhänger unverstanden finden wir ihn wieder im Brauchtum der Freimaurerei. Zeichen, Griff und Wort beweisen es, so wenigstens behauptet es ein esoterischer Maurer: I. B. 78 Siehe A. Besant: »Einweihung«. 79 Praktiken hierzu in »Esoterische Lebensformung in Theorie und Praxis« vom Verfasser

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Buchstabenmystik Mit der ethischen Wandlung allein ist es noch nicht getan. Sie ist Vorbedingung und ein Prozeß nebenher. Der echte Mystiker treibt nicht bloß eine Alchemie der Seele, sondern eine bis ins letzte Molekül wirkende Alchemie des Körpers. Eine Transmutation findet im Verlaufe seiner mystischen Arbeit statt, die vom Stofflich-leibhaften bis zu den subtilsten seelisch-geistigen Zuständen die gesamte Erscheinungsform Mensch von Grund auf verwandelt: die Wiedergeburt. Sie ist zweifacher Natur. Die körperliche Wiedergeburt setzt die geistige voraus. Weitaus schwerer noch als die Wiedergeburt im Geiste ist die des Körpers. Wer jedoch diesen höchsten aller alchemistischen Prozesse vollzogen hat, ist Herr geworden über Krankheiten, Gebresten und altern, ja Gebieter selbst über den Tod, dem er bis zu tausend Lebensjahren zu trotzen vermag, wie allen Ernstes behauptet wird; ist er doch im Besitz der »Tinktur«, des »Steines der Weisen«, des »Lebenselixiers«. Breiten Raum nehmen in der praktischen Mystik Konzentration, Meditation und Kontemplation ein, vorzugsweise im Rajah Yoga, dem königlichen Yoga, geübt. Wie unumgänglich die Versenkung auch sein mag, es muß sich ihr jedoch noch ein anderes Moment beigesellen, damit der alchemistische Gestaltungsprozeß im Mystiker sämtliche Schwingungsprinzipien erfaßt. Hinzufügen muß er seinen Übungen, die - vielleicht seltsam oder gar absurd anmutende - Praxis des Buchstabendenkens, das heißt, er muß Vokale, Konsonanten, Silben, Wörter in bestimmten Regionen seines Körpers denken. Hinzu kommen noch festgelegte Fingerstellungen (Mudras) und Handgriffe. Von wo diese eigenartige Methode ihren Ausgang genommen hat, wissen wir nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es der alte Rosenkreuzerweg, der keinem wahren Alchemisten fremd war und ist. Jesus und Mohammed sollen ihn gekannt haben und gegangen sein; verschlüsselt und von den meisten der Anhänger unverstanden finden wir ihn wieder im Brauchtum der Freimaurerei. Zeichen, Griff und Wort beweisen es, so wenigstens behauptet es ein esoterischer Maurer: I. B. 78 Siehe A. Besant: »Einweihung«. 79 Praktiken hierzu in »Esoterische Lebensformung in Theorie und Praxis« vom Verfasser

KERNING. In seinen Schriften enthüllt er mehr oder minder deutlich den Ursinn der freimaurerischen Geheimnisse. Seither ist es jedem möglich, die Praktiken der alten, noch wissenden Maurer an sich zu erproben. Später waren es vorwiegend der Kerningschüler KARL KOLB, der Prager Mystiker KARL WEINFURTER, Dr. ALFRED STRAUSS und Frh. v. SEBOTTENDORF, die dem Suchenden wertvolle Fingerzeige gaben80. Letzterer, SEBOTTENDORF, vermittelte uns ein geschlossenes orientalisches System - im Prinzip dasselbe, was KERNING lehrte - das heute noch von Derwischen und ihren Schülern praktiziert wird; eine Methode, die auf den Propheten zurückgeführt wird. Mohammed soll sie angeblich in verschlüsselter Form dem Koran eingefügt haben81.

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Was liegt dem Buchstabendenken eigentlich zugrunde? Auf welchem metaphysischen Faktor fußt es? Es basiert auf der Allgewalt der Lautkräfte in der Schöpfung! Viele, ja die meisten Phänomene des Transzendentalen sind darauf zurückzuführen. Ist es etwas anderes als die Kraft des Lautes, Grund dessen in der Kabbalah den Buchstaben des hebräischen Alphabets magischer Charakter zugesprochen wird? Oder den Runen im Runenalphabet, dem Futhork? Gleiches gilt von magischen Formeln wie mantrischen Sprüchen. Auch diese beruhen in ihrer Wirkung nicht zum wenigsten auf der Macht der ihnen zugrunde liegenden Lautkräfte. Gleichgültig also, ob wir Mantramistik treiben, ob wir mit Runen arbeiten oder Anrufungen auf kabbalistischer Basis vollziehen: in jedem Falle ist es das in den Lauten wirkende transzendentale Agens, das Mana (nicht Manas82), dem wir den Erfolg verdanken. Die Kraft des Lautes entfaltet sich beim Hineindenken von Buchstaben in den Körper am stärksten. Sein Mana entbindet, aktiviert Schwingungen subtilsten Charakters im stofflichen Molekül des Leibes, nicht minder im feinen Gefüge des Ätherkörpers und der noch höheren Prinzipien. Buchstabendenken erzeugt einen fühlbaren »Strahlungsdruck«, löst einen »Bewegungsrhythmus« aus, »entbindet gewisse Nervenmittelpunkte, deren Eigenlebendigkeit sich schöpferisch im Körper bemerkbar macht« (Dr. A. Strauß), entfaltet die Chakra, läßt sie lebhafter kreisen, weckt die schlafende Kundalini. »Was das Atmen für den irdischen Leib ist, das ist das Buchstabendenken für den geistigen Leib.« - »...denn das Wesen der Buchstaben ist nichts als eitel Kraft und Stärke« (K. Kolb). Buchstabendenken bewirkt eine »Ätherialisierung des Körpers«, was gleichbedeutend ist mit einem dem metallurgischen Alchemieprozeß analogen Vorgang, und zwar infolge rhythmischer Schwingungen, hervorgerufen durch das Üben von Lauten, das allmählich eine Umlagerung der Moleküle verursacht. Das Denken von Buchstaben »öffnet uns die Welt der Ätherströme«, verbindet uns mit dem den irdischen Elementen zugrunde liegenden Urprinzip, wodurch der alchemistische Prozeß eingeleitet wird. Infolge Einwirkens des unsichtbaren Feuers (»Feuerluft«, »indifferenter Äther«) auf die »Luft« entsteht »Schwefel«, durch das Einwirken der »Luft« auf das »Wasser« wird »Quecksilber«, und vermöge des Einflusses des »Wassers« auf die »Erde« wird »Salz«. So wenigstens schreibt der Adept SUETON. Der Schüler des mystischen Pfades nimmt alle drei Ingredienzen wahr, riecht den Schwefel, schmeckt das Quecksilber und das Salz; Fakten einfacher Natur, deren Wahrnehmung als erstes vom Neophyten gefordert wird. Im Verlauf der weiteren Übungen muß er scharf auf das Auftreten genau in Reihenfolge verlaufender Farbtöne achten, wobei ihm das Traumleben wertvolle Hinweise vermittelt. Andere, weit wichtigere Erlebnisse noch, über die Meister wie Schüler der Mystik strengstes Stillschweigen bewahren, sind wegweisende Marksteine für den künftigen Adepten. 80 Karl Kolb: »Die Wiedergeburt« (kurz Buchstabenbuch genannt). Karl Weinfurter: »Der brennende Busch« — »Die mystische Fibel«. Dr. Alfred Strauß: »Die Wiedergeburt«

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(enthalten in »Theurgische Heilmethoden«). 81 Frh. v. Sebottendorf: »Die Praxis der alten türkischen Freimaurerei.« 82 Über die Manakraft in K. Spiesberger: »Magneten des Glücks. Die Magie der Talismane und Edelsteine«

Nicht zu Unrecht wird vielerorts vor leichtfertigem Herumexperimentieren auf mystischem Gebiet gewarnt; selbst jene, die versichern, der mystische Pfad sei für jeden gangbar, der guten Willens ist, es an lauterer Gesinnung und der nötigen Beharrlichkeit nicht fehlen läßt, sprechen von einer Reihe von Gefahren, die nicht bagatellisiert werden dürfen. Infolge Eindringens in die Welt der Ätherströme und der damit einhergehenden Weckung der astralen Sinne und Umpolarisierung sexueller Natur, verbunden mit gesteigertem Machtbewußtsein, stellen sich Anfechtungen, Versuchungen, Verlockungen verschiedenster Art ein. Prüfungen diesseitiger wie jenseitiger Herkunft fordern viel an Selbstkontrolle, Selbstüberwindung, Geduld, Beharrlichkeit und Mut. Auch Mut! Nachdrücklich wird diese Eigenschaft vom Neophyten gefordert, gilt es doch den Abyssus mit allen seinen Schrecken zu durchqueren, ehe die Wiedergeburt als höchster Preis winkt. Andererseits wiederum vertreten erfahrene Mystiker - so KARL WEINFURTER - die Ansicht, daß derjenige, der einer höheren Macht vertrauend sich auf den Weg begibt, unbeschadet allen Anfeindungen zum Ziel gelangt. Ohne tiefes religiöses Erfülltsein - was freilich nichts mit irgendwelchem konfessionell gebundenen Glauben zu tun hat - ist es unmöglich, mystischer Erlebnisse teilhaftig zu werden. Das mag wohl die Ursache sein, weshalb so mancher selbst nach jahrelangem Buchstabendenken und Anwendung der Griffe nicht den leisesten Erfolg verspürt. Unerläßlich ist daher die mystische Meditation, die Hinwendung an das göttliche Prinzip, an die innere Führung. -Wie nun sollen wir beginnen? Wie üben? Studieren wir die Vorschriften, die die verschiedenen Autoren geben, so finden wir vorwiegend zwei Methoden der Buchstabenmystik: eine, die sich auf den bloßen Denkvorgang beschränkt, die andere, die das Denken mit verschiedenen Griffen verbindet. KARL WEINFURTER rät bei den Füßen zu beginnen; die Buchstaben also zuerst in die Fußsohlen hineinzudenken, dann in die Zehen, den Rist, die Knöchel; späterhin aufwärts: Waden, Knie, Oberschenkel. Vorerst auf der Hautoberfläche. Im vorgeschrittenen Stadium werden sodann die Buchstaben hineingedacht in Muskeln, Gefäße, Nerven, Zunge, Zähne, Knochen und Mark. Begonnen wird am besten mit dem Vokal I, der eine Zeitlang in ununterbrochener Kette in die Füße gedacht wird. Auf dieselbe Weise folgen A und O, I A O: der heilige Gottesname der Gnosis. Nunmehr die Vokalreihe: I E O U A. Nicht zu vergessen die Konsonanten. Das ganze Alphabet muß seine Kräfte im Körper offenbaren. Des weiteren wird empfohlen, sich die Form der Buchstaben zu veranschaulichen, etwa so, als ob man sie im Augenblick des Denkens auf oder in die Haut schriebe.

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Dr. ALFRED STRAUSS, gleichfalls imstande ein Urteil aus eigener jahrelanger Erfahrung abzugeben, beruft sich auf den Brief eines ihm unbekannten Pastors, worin es heißt, die Buchstaben in ihrem natürlichen Ursprungsort — in Mundhöhle und Kehle - in Gedanken zu bilden und sie dann durch den Körper bis zu den Füßen abströmen zu lassen und sie daselbst mit stärkster Vorstellung zu erfühlen. Eine ähnlich lautende Anweisung empfiehlt in der Brustmitte - Sitz des mystischen Herzens - die Buchstaben zu denken und sie von da aus dem Körper zu übermitteln. KARL KOLB schlägt vor, täglich eine Stunde das ABC in die Füße »hineinzubuchstabieren«, denn »der Mensch muß sich fähig machen, in allen Organen und Teilen seines Leibes Buchstaben denkend ein- und ausatmen zu können, dann speist er sich mit himmlischem, unvergänglichem Manna, woraus das ewige Leben quillt.« Nicht spricht dagegen, auch die in anderen Alphabeten schlummernden Manakräfte zu entbinden, vor allem hebräische Buchstaben zu denken und Runen. Mantrische Silben (vorzüglich OM), Sprüche sowie Gebete sollten gleichfalls in die Fußsohlen und andere Körperteile gedacht werden. Geübt kann werden im Liegen, Sitzen,

Stehen, selbst im Gehen. Entspannung und Ruhigstellung der Gedanken ist Grundbedingung. Tageszeit und Zeitdauer nach Belieben. Wichtig ist die innere Bereitschaft! Jedem bleibt es überlassen, wie er arbeiten will. Anders dagegen bei KERNINGS Griffsystem. Hier müssen die Anweisungen genau befolgt werden; nicht minder bei den SEBOTTENDORF- Übungen. Drei Griffe oder Mudras sind bestimmend von Anfang an: der I-, der A- und der O-Griff. Der I-Griff: Bei geballter rechter Faust wird der Zeigefinger kerzengerade emporgestreckt. Der A-Griff: Der Daumen steht senkrecht, rechtwinklig in einer Ebene zur flachen Rechten. Der O-Griff: Daumen und Zeigefinger der Rechten bilden einen Kreis, die übrigen Finger schließen sich, leicht eingekrümmt, halbbogenförmig an. I - dem schöpferischen Prinzip verwandt - verbindet mit dem »Feuer«; A - Ausdruck des Geistigen - mit dem »Wasser«; O — in Beziehung zum Stofflichen — mit der »Luft«. Im Runenweistum vertreten Is, Ar und Os die gleichen Elemente, worauf seinerzeit schon SEBOTTENDORF hingewiesen hat. Der Is- und Os-Griff gleicht völlig den hier beschriebenen Maurergriffen. A-Griff und Ar- Mudra zeigen ebenfalls Übereinstimmung, lediglich die Haltung der Daumen weicht etwas voneinander ab. Exerzitium: Mit erhobener Rechten, den Zeigefinger in Augenhöhe, in einer Linie zum Ellenbogen, wird versucht, den Buchstaben I, der unablässig in Gedanken festgehalten wird, in genanntem Finger zu empfinden.

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Derselbe Vorgang vollzieht sich mit der zum Winkelmaß geformten Hand beim Denken des Buchstaben A. -Werden I und A deutlich im Zeigefinger, beziehungsweise im Daumen und der Handfläche wahrgenommen, so lege man den A-Winkel der rechten Hand an den Hals. (Zeigefinger am Kehlkopf, Daumen an der Halsschlagader.) Von hier aus wird der Strom der Sprachkräfte des I und A durch den Körper hinab in die Füße geschickt. - Nachfolgend ist der O-Griff an der Reihe, das Erfühlen des O in der zum Kreis geschlossenen Hand. Ist die Hand genügend durch das O belebt, so wird das A-Zeichen gebildet, das mit leichter Krümmung - »um auch das O fühlbar zu machen« - an den Leib gelegt wird. Soweit der KERNING- Weg in seinen elementaren Anfängen. Nach und nach werden die Anweisungen komplizierter und sind nicht mehr so eindeutig gegeben. Die klarste Sprache scheint wohl SEBOTTENDORF zu sprechen, und dies im Auftrag orientalischer Ordenshäupter, deren maurerisches Wissen heute noch lebendige Esoterik atmet83. I-, A- und O-Zeichen werden auf die gleiche Art wie bei KERNING mit der rechten Hand gebildet. Der Halsgriff bleibt sich ebenfalls gleich. Das System der türkischen Maurerei, praktiziert: Brustgriff: Die zum A-Zeichen gewinkelte Rechte wird mit der Innenhandfläche auf die linke Brustseite gelegt, wobei die Fingerspitzen den linken Oberarm fest berühren. Mittelgriff (von KERNING nicht gegeben): Etwa eine Handbreite tiefer als der Brustgriff; wiederum im A-Winkel. Bauchgriff (der Meistergriff): Ausgeführt mit der zum A-Winkel geformten Rechten knapp unter dem Nabel. Schlußgriff (verkürzter Bauchgriff): Die gewinkelte Rechte wird links vom Nabel angesetzt. Sämtliche Griffe werden nach Beendigung des jeweiligen Übungsabschnittes waagrecht von 83 Rudolf Frh.v. Sebottendorf: »Die Praxis der alten türkischen Freimaurerei«

links nach rechts über den Hals, beziehungsweise Leib, abgezogen. Aus dieser Waagrechten geht sodann die Hand scharf in einen rechten Winkel über und gleitet senkrecht seitlich des Körpers herab. Der Übungsprozeß gliedert sich in drei Phasen: Vorarbeit - Hauptarbeit - Nacharbeit. Die Vorarbeit umfaßt die Griffbildung von I, A und O. Der Arm soll beim I-Zeichen senkrecht nach oben gestreckt werden. Gefordert wird Erwärmung des Zeigefingers beim I und trockene Wärme im hochgereckten Daumen beim A. Sobald diese Wärme deutlich empfunden wird, tritt anstelle des einfachen Vokales die Silbe »si«. Gesprochen wird sie im Geiste hintereinander (si si

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si...) bei emporgestelltem Zeigefinger. Nach einiger Zeit läßt man die Hand sinken, bildet den A-Griff und denkt nunmehr konzentriert: sä sä sä ... Anschließend wird die so gewinkelte Hand an den Hals gelegt (Halsgriff), weiterhin sä in Gedanken gesprochen und der so erregte Strom hinab in die Füße geschickt. Hierauf übt man das O-Zeichen mit der Formel »so so so ...« Der Bauchgriff beendet bei gleichzeitigem Einsprechen von »so so so ...« die Übung. Für die Vorarbeit sind zehn Tage veranschlagt; drei Tage die Handgriffe und einfache Vokalbildung; sieben Tage erweiterte Übung mit si - sä - so und Hals- und Bauchgriff. Die Hauptarbeit muß von einer Reihe genau festgelegter Phänomene begleitet sein. Treten diese nicht auf, so dürfen nicht eher weitere Übungen einbezogen werden bis nicht die Arbeit die gewünschten Erfolge zeitigt. Als erstes müssen empfunden werden: Schwefelgeruch: Nach genügender Belebung der rechten Hand durch das l- und A-Zeichen führt man den Zeigefinger an die Nase. Nur wenn sich tatsächlich feiner Schwefelgeruch feststellen läßt, darf weitergegangen werden, andernfalls ist das Bisherige weiter zu üben. Geschmack von Quecksilbersublimat: Mindestens zwei Wochen lang bildet man das I-Zeichen mit der Silbe si, das Zeichen A mit dem Halsgriff und dem Koranwort Alam, sowie das O in der oben ausgeführten Weise, dann führt man zwecks Kontrolle den Zeigefinger an die Zungenspitze. Ist einwandfrei bitterer Geschmack festzustellen, so darf wieder eine Etappe als erfüllt betrachtet werden, wenn nicht, ist das Vorstehende zu wiederholen, bis der Geschmackstest auftritt. Salzgeschmack: Ihn zu erlangen helfen das I-Zeichen mit der Formel si, das A-Zeichen und der Halsgriff; letztgenannte sind zu beleben durch die Koranwörter: Alam (2 Tage), Alamas (2 Tage), Alar (7 Tage), Alamar (3 Tage). Bereits nach Alamas sollte die Zunge an der Zeigefingerspitze einen salzigen Geschmack wahrnehmen. In der Regel geht es natürlich nicht so fix nach Vorschrift; was um so mehr noch für die noch folgenden Teste gilt. Wer hier ungeduldig wird, hat im voraus schon verloren! Als nächstes muß das geistige Auge einen schwärzlichen Schatten erblicken, den »Rabenkopf« der alten Alchemisten. Formeln hierfür sind: Alam und Alamar, sonst alles wie zuvor mit Halsgriff. Nunmehr sind die Farberlebnisse an der Reihe. Brust griff und die Koranformeln: alar, kaha ja as, taha, tasam, tas, tasam bewirken die Farbnuancen von Blau zu schwachem Rot und fahlem Grün, das sich nach und nach aufhellt zu grüner Frische. Mittelgriff und die Formeln: alam, jas, sa, cham führen zu einem Farbenspiel verschiedenster Nunancierung, der Pfauenschwanz der Alchemie, endend in gelblichem Weiß. Meistergriff und Koranworte cham, cham asak, ka erzeugen schließlich strahlendes Weiß.

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Schlußgriff und die Silbe na in der Nacharbeit bewirken ein Verfärben von Weiß über Grau

und Gelb zur vollen Röte, der vom Mystiker so heiß ersehnten Purpurfarbe. - Dies im Umriß in dem von SEBOTTENDORF übermittelten orientalischen Weg, für den - bei täglich zweimaligem Üben in Dauer von je zehn Minuten achthundertzweiundzwanzig Tage vorgesehen sind. Zu schaffen wohl nur für besondere Auserwählte, ansonsten langt meist ein ganzes Leben kaum. Wer sich dazu berufen fühlt, mache sich auf den Weg. Zu beachten bleibt: keinen Tag darf mit dem Üben ausgesetzt werden. Gute Vorarbeit leisten Vokalatmung, Mantramistik und Runenexerzitien. Und nie vergesse man die Forderungen zu erfüllen, die an jeden Jünger des mystischen Pfades gestellt werden: Verschwiegenheit - Geduld - Ausdauer — Mut — Reinheit in Wollen und Tun — unerschütterlicher Glaube an ein in Mensch und All waltendes GEISTIGES PRINZIP.