chianti und siena

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CHIANTI Von den Landschaften, welche durch diese T¨ aler umgriffen und gegliedert werden, ist das Chianti-Gebiet das ber¨ uhmteste. Es erstreckt sich n¨ ordlich von Siena etwa bis auf die H¨ ohe von S. Giovanni Valdarno, reicht aber nicht bis an den Fluß heran. Auch Greve liegt schon jenseits der Nordgrenze des eigentlichen Chianti-Gebietes, und strenge halten die Kommunen von Castellina, Radda und Brolio darauf, daß sie allein das historische Chianti bilden. Wer erwartet, hier eine ausgesprochene ›Weingegend‹ zu finden wie im Moseltal oder in S¨ udtirol, wird entt¨ auscht sein. Hier sind nicht alle udh¨ ange von oben bis unten mit Weinbergen bedeckt. Das Chianti ist vielmehr ein mergeliges Kalksteinmassiv, die D¨ orfer liegen in einer H ¨ ohe von ca. f ¨ unfhundertf¨ unfzig Metern. Die Berge sind zumeist mit hohem Eichenwald und niedrigem Eichengestr¨ upp bewachsen. Quercegrossa heißt eine Frazione unmittelbar am S¨ udrand des Chianti. Da die Erdschicht auf dem Felsgestein nur d¨ unn ist, so sind die S¨ udh¨ ange terrassiert, auf diesen Stufen wird zwischen Reihen von ¨ Olb¨ aumen Getreide gezogen. Nicht allzu aufig findet sich statt der Oliven einmal eine Reihe von Reben. Der Wein wird hier an St ¨ ocken gezogen, infolgedessen sind Maulbeerb¨ aume im Chianti selten. Eigentliche Vignen finden sich erst im Gebiet um Greve, f¨ ur das engere Chianti ist die Eiche bezeichnender als die Rebe. Zu dem lieblichen, welligen H¨ ugelland der Nord- und Ost-Toskana, dessen Ober- fl¨ ache eine der reichsten Gartenkulturen Europas tr¨ agt, bildet das Land s¨ udlich von Siena und um Volterra den denkbar gr¨ oßten Gegensatz. Der Boden besteht dort aus schmutzig-gelbem Tuff und aschgrauem Lehm. F¨ ur die Tuffgebiete sind enge, sich eingrabende T¨ aler bezeichnend. Das Lehmland nennt man ›le Crete‹. Wo das Regen- wasser alle anbaubare Erde weggeschwemmt und tiefe Rinnen und Furchen in die ange gefressen hat, zwischen denen hohe schmale Stege stehen bleiben, entsteht eine ›Mondkraterlandschaft‹, deren Oberfl¨ ache wie Lava wirkt und auf der nat¨ urlich nichts achst. Am eindrucksvollsten bieten sich die Crete zwischen Asciano und Monte Oli- veto Maggiore dar. Am kahlsten wirken die Bergketten ¨ ostlich des vulkanischen Monte Amiata, wo die Rocca von Radicofani, ein rechtes Felsennest, im Sonnenglast ¨ uber den schattenlosen, baum- und straucharmen H¨ angen thront. »In dieser Landschaft ohne Gnade wurzelt – lebendigster Gegensatz zur florentinischen N¨ uchternheit – der my- stische, ekstatische Teil der sienesischen Seele. Hier, aus dieser Landschaft mit ihren linearen Vereinfachungen und ihrem unwirklichen Farbenwechsel heraus, ist die ¨ alteste Landschaftsmalerei Europas, die sienesische, entstanden 20 .« Dort, wo die Etruskerstadt Volterra alt und b¨ ose abseits im Bergland sitzt 21 , heißen die Crete jetzt ›Balze‹. Hier sind die H¨ ange noch h¨ oher, die Stege st¨ urzen also steiler ab und laufen l¨ anger aus. ahrend die in der Ost-Toskana und in Umbrien gelegenen Glieder des etruskischen Zw¨ olf-St¨ adte-Bundes alle den Anschluß an das r ¨ omische und das moderne Straßensy- stem gefunden haben (Arezzo, Cortona, Chiusi, Bolsena, Orvieto), ist Volterra abseits der großen Verkehrswege in der trotzigen Enge der Provinz verk¨ ummert. Harald Keller, Die Kunstlandschaften Italiens, I. Bamd, 3 1983, S. 106ff. 20 A. v. Borsig und R. Bianchi-Bandinelli, Die Toskana, Wien 1939, S. 12f, 21 R. Borchardt, Volterra, in: Corona 5, 1935, S. 600ff.

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Chianti und Sienaaus Keller, Kunstlandschaften Italiens

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Page 1: Chianti Und Siena

CHIANTI

Von den Landschaften, welche durch diese Taler umgriffen und gegliedert werden,ist das Chianti­Gebiet das beruhmteste. Es erstreckt sich nordlich von Siena etwabis auf die Hohe von S. Giovanni Valdarno, reicht aber nicht bis an den Fluß heran.Auch Greve liegt schon jenseits der Nordgrenze des eigentlichen Chianti­Gebietes, undstrenge halten die Kommunen von Castellina, Radda und Brolio darauf, daß sie alleindas historische Chianti bilden. Wer erwartet, hier eine ausgesprochene ›Weingegend‹zu finden wie im Moseltal oder in Sudtirol, wird enttauscht sein. Hier sind nicht alleSudhange von oben bis unten mit Weinbergen bedeckt. Das Chianti ist vielmehr einmergeliges Kalksteinmassiv, die Dorfer liegen in einer Hohe von ca. funfhundertfunfzigMetern. Die Berge sind zumeist mit hohem Eichenwald und niedrigem Eichengestruppbewachsen. Quercegrossa heißt eine Frazione unmittelbar am Sudrand des Chianti.Da die Erdschicht auf dem Felsgestein nur dunn ist, so sind die Sudhange terrassiert,auf diesen Stufen wird zwischen Reihen vonOlbaumen Getreide gezogen. Nicht allzuhaufig findet sich statt der Oliven einmal eine Reihe von Reben. Der Wein wird hieran Stocken gezogen, infolgedessen sind Maulbeerbaume im Chianti selten. EigentlicheVignen finden sich erst im Gebiet um Greve, fur das engere Chianti ist die Eichebezeichnender als die Rebe.

Zu dem lieblichen, welligen Hugelland der Nord­ und Ost­Toskana, dessen Ober­flache eine der reichsten Gartenkulturen Europas tragt, bildet das Land sudlich vonSiena und um Volterra den denkbar großten Gegensatz. Der Boden besteht dort ausschmutzig­gelbem Tuff und aschgrauem Lehm. Fur die Tuffgebiete sind enge, sicheingrabende Taler bezeichnend. Das Lehmland nennt man ›le Crete‹. Wo das Regen­wasser alle anbaubare Erde weggeschwemmt und tiefe Rinnen und Furchen in dieHange gefressen hat, zwischen denen hohe schmale Stege stehen bleiben, entsteht eine›Mondkraterlandschaft‹, deren Oberflache wie Lava wirkt und auf der naturlich nichtswachst. Am eindrucksvollsten bieten sich die Crete zwischen Asciano und Monte Oli­veto Maggiore dar. Am kahlsten wirken die Bergkettenostlich des vulkanischen MonteAmiata, wo die Rocca von Radicofani, ein rechtes Felsennest, im Sonnenglastuber denschattenlosen, baum­ und straucharmen Hangen thront. »In dieser Landschaft ohneGnade wurzelt – lebendigster Gegensatz zur florentinischen Nuchternheit – der my­stische, ekstatische Teil der sienesischen Seele. Hier, aus dieser Landschaft mit ihrenlinearen Vereinfachungen und ihrem unwirklichen Farbenwechsel heraus, ist diealtesteLandschaftsmalerei Europas, die sienesische, entstanden20.« Dort, wo die EtruskerstadtVolterra alt und bose abseits im Bergland sitzt21, heißen die Crete jetzt ›Balze‹. Hiersind die Hange noch hoher, die Stege sturzen also steiler ab und laufen langer aus.Wahrend die in der Ost­Toskana und in Umbrien gelegenen Glieder des etruskischenZwolf­Stadte­Bundes alle den Anschluß an das romische und das moderne Straßensy­stem gefunden haben (Arezzo, Cortona, Chiusi, Bolsena, Orvieto), ist Volterra abseitsder großen Verkehrswege in der trotzigen Enge der Provinz verkummert.

Harald Keller, Die Kunstlandschaften Italiens, I. Bamd,31983, S. 106ff.

20 A. v. Borsig und R. Bianchi­Bandinelli, Die Toskana, Wien 1939, S. 12f,21 R. Borchardt, Volterra, in: Corona 5, 1935, S. 600ff.

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SIENA

Siena ist in allem das Widerspiel von Florenz. Wahrend die Stadt am Arno sich in derTalsohle am Flußufer ausbreitet, die planen Absteckungen des romischen Militarlagersmit den gleichformigen Straßenzugen und Hauserblocks im Stadtkern noch immerwiderspiegelnd, ist Siena eine Bergstadt, und von einer antiken Grundung haben sichkeine Spuren erhalten. Man darf den Stadtgrundriß einer Spinne vergleichen, derenBeine vom Campo aus nach allen Seiten ausgreifen. Zunachst schieben sich nur dreischmale Hohenrucken von der Piazza her gegen die Ebene vor; aber diese gabeln sichwieder, nach allen Seiten steil abfallend, gerade eben Platz fur eine schmale, lange Gassegewahrend, die sich der Krummung des Grats anschmiegt und an die sich rippenformigenge Seitengaßchen anschließen. Nicht im Stadtzentrum, sondern an denaußerstenEnden dieser Hohenzuge, dort, wo der Besiedlung durch den Gelande­Abfall Schrankengesetzt sind, liegen die großen Konvente: im Sudwesten S. Agostino und Sa. Maria delCarmine, im Sudosten die Servi di Maria, gegen Nordosten und Nordwesten die beidenBettelordens­Niederlassungen S. Domenico und S. Francesco. Diese zungenformigvorgeschobenen Hohenzuge sind voneinander durch tief eingeschnittene Taler getrennt,auf deren Grunde sich die reichste Gartenkultur angesiedelt hat.

Diese Lage verleiht dem Stadtkorper einen engbrustigen und steilen Charakter. Erkann sich nirgends recht entfalten. An ebenen Platzen gebricht esuberhaupt, aberwie die sienesische Stadtbaukunst aus dieser Not eine Tugend zu machen verstandenhat, bleibt eine große Leistung. Das naturliche Stadtzentrum, der Campo, von demdie Hugelrucken stegartig schmal ausgreifen, mußte unterhalb des beherrschendenGrates am Hang auf abschussigem Gelande erst angelegt werden. Er hat die Formeiner Muschel. Facherformig entfaltet sich die Platzflache, amphitheatralisch zu denim Halbkreis sie umstehenden Palasten emporsteigend. Der Dom liegt auf der hochstenErhebung der Stadt. Ehe im Barock die Freilegung seiner Sudflanke erfolgte, war ereng umdrangt vom erzbischoflichen Palaste, von dem Ospedale della Scala, dem altenRuhm der Stadt und der Domopera. Platz war hier unendlich kostbar, und von einernaturlichen Ausstrahlung des Doms auf seine nahere Umgebung kann keine Rede sein.Erst nach einer Biegung der schmalen, hohen Gassen, in die wenig Licht einfallt, stehendie großenoffentlichen Bauten plotzlich vor dem Auge des Schreitenden. Es gibt hierkeine Renaissance­Platze, wohl aber gotische Stiegen mit vielen steilen Stufen und engbebaute mittelalterliche Winkel. Fassaden und Hofe entwickeln sich nicht in die Breite,sondern schießen in die Hohe. Die naturliche optische Distanz, die der Renaissance­Bausonst erheischt, ist hier nirgends eingehalten, dieoffentlichen Monumente entfaltensich in zu großer Nahsicht (Pal. Piccolomini, Loggia della Mercanzia, Fassade desBaptisteriums des Doms) oder erst in Fernsicht, von einem andern Hohengratuber dieBreite eines Tales hin. Von jeder Seite aber und von jeder Hohenstufe her erscheint derDom auf der hochsten Hugelkuppe als die naturliche Bekronung des Stadtbilds.

Eine solche Bergstadt, in der keine breit ausladende Linie sich dem Horizont ver­bindet,uber der vielmehr aus zusammengedruckten Hausergruppen dieuberschlanken,scharfkantigen Turme der Mangia und des Domes in den Himmel ragen, scheint ihrengeographischen Bedingtheiten nach schon die gotische Idealstadt zu sein. Die schonenFruhrenaissance­Palaste, die hier emporwuchsen, das Wirken des Jacopo della Querciaund anderer Bildhauer des 15. Jahrhunderts, haben trotz des Zaubers, der von ihren Wer­ken ausgeht, diesen gotischen Charakter kaum zuruckzudrangen vermocht. Wenn derGeist einer italienischen Stadt sich in einer bestimmten Epoche jemals rein auspragte,dann war es die Eigenart Sienas in der Gotik. An diesem Stile hat die Stadt eigensin­

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Siena 3

nig, gleichsam mit verbundenen Augen festgehalten, als ringsum in der Toskana dieFruhrenaissance langst gesiegt hatte.

Die großen Heiligen und die großen Kunstler der Stadt gehoren alle der gotischenEpoche an: die hl. Katharina war eins von den zweiundzwanzig Kindern eines SieneserFarbers. In Siena hat sie ihre Visionen erlitten, von dort sind ihre Briefe an die Großender Welt ausgegangen, die das politische und kirchliche Schicksal Italiens so tiefbestimmt haben, und in der Vaterstadt ist sie dreiunddreißigjahrig gestorben, so altwie auch Christus geworden ist. In dem hl. Bernardino besitzt Siena einen großenBußprediger. In dem seligen Ambrogio Sansedoni (1220 bis 1286) lernen wir einendominikanischen Friedensschlichter und Prediger kennen, der 1443 selig gesprochenwurde. Der selige Andrea Gallerani (gestorben 1251) organisierte in Siena um 1240 dieGenossenschaft der ›Oblaten und Bruder der Barmherzigkeit fur die Armen Christi‹,die 1308 im Dominikanerorden aufging, der selige Bernardo Tolomei grundete 1319den Orden der Benediktiner­Olivetaner (gestorben 1348), wahrend der selige GiovanniColombini (gestorben 1367) ein reicher Sieneser Patrizier war, der sich mit anderenvornehmen Mitburgern zum Laienorden der Jesuiten zusammenschloß, der sich derNachstenliebe – besonders der Krankenpflege und dem Totenbegrabnis – widmete.

Den Stolz der Sienesen auf ihre Vaterstadt, dieubertriebene Vorstellung von ihrerpolitischen Fuhrerrolle und ihre Eitelkeit hat schon Dante gegeißelt, der die Rivalinvon Florenz freilich mit den Augen des großen Hassers sah. Wegwerfend meint er

... or fu giammaiGente si vana come la sanese?Certo non la francesca si d’assai1.

Als Siena, das nur ein kleines Territorium besaß, 1303 denAbten von Monte Amiataden Hafen von Talamone in den Maremmen abkaufte, um nun mit den großen Seemach­ten Pisa und Genua in Wettbewerb zu treten, da fehlte es an Zuzug von Siedlern in dieneue Hafenstadt, weil jeder das Maremmenfieber scheute. Wieder spottete Danteubereinen Stadtstaat, der seine Hoffnung auf Talamone setzen konne:

Tu li vedrai tra quella gente vanache spera in Talamone, e perderaglipiu di speranza ch’a trovar la Diana;ma piu vi perderanno li ammiragli2.

1 Inferno XXIX, 121 – 123.

... Sahe wol je taggeschlecht als eiteles als die Sanesen?da der Franzeyse als kaum mit wetten mag.

(Ubers. von Rudolf Borchhardt)

Im Kommentar von Dino Provenzal (21942) heißt es zu der Stelle: «Il confronto tra Senesi e Francesinone casuale: una tradizione faceva discendere i Senesi dai Galli Senoni.» Philalethes [i. e. JohannNepomuk Maria Joseph, 1854 – 1873 Konig von Sachsen] bemerkt dazu (Ausgabe von 1904 [1865 –66], S. 226):

”Wahrscheinlich beruht dies (sc. daß die Franzosen Siena erbaut und gegrundet hatten)

auf einer Verwechslung vonSinigaglia (Sena Gallica), welches allerdings von Galliern grgrundetist, mit Siena.“

2 Purgatorio XIII, 151 – 154.

Du wirst sie finden bei den albern knaben,die baun auf Talamunde, und geht ihnn fehleihr rechnung mehr, denn bei Dijane ergraben:

Doch mehr verschaffen dran die ›Almirale‹.(Ubers. von Rudolf Borchhardt)

Page 4: Chianti Und Siena

4 Siena

Den sagenhaften Quell der Diana zu finden, war ein anderer Wunschtraum derSienesen,uber den man in der ganzen Toskana spottete. Der ewige Wassermangelder Bergstadt, der besonders auch das Farbereigewerbe wahrend der sommerlichenTrockenheit lahmzulegen drohte, hat die Sienesen immer wieder dieser Fata Morgananachjagen lassen. Der Stolz der Sienesen auf die Vaterstadtaußert sich auch in der Artder Planung der großenoffentlichen Bauaufgaben. Vielen sienesischen Bauentwurfenhaftet etwas Großmannssuchtiges an. Trotz des Sieges von Montaperti war doch zuEnde des 13. Jahrhunderts Siena praktisch zu einem Stadtstaat zweiten Ranges herab­gedruckt. So stand denn hinter den riesigen kunstlerischen Planungen oft gar nicht mehrdie Moglichkeit ihrer Verwirklichung. Politischer und kunstlerischer Ehrgeiz drangtenso die Sienesen in die ungluckliche Rolle der Projektemacher.

Harald Keller, Die Kunstlandschaften Italiens, I. Bamd,31983, S. 293 – 297.