gefangenen info #335

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Stammheim  Zum Prozess gegen 5 türkische Menschen Wir zitieren aus einem Prozessbericht und aus dem Flugblatt „Weg mit § 129 a und b“, das während der Spontandemo gegen den §129b-Prozess in Stuttgart verteilt wurde: Freiheit für alle politischen Gefangenen! Weg mit den Paragraphen 129a & 129b!  Am 17. März 2008 begann die Verhandlung des § 129b-Prozesses in Stuttgart-Stamm- heim gegen fünf Revolutionäre. Ihnen wird die Mitgliedschaft in der kommunistischen türkisch/kurdischen Organisation DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei- Front) und somit die „Mitgliedschaft in ei- ner terroristischen Vereinigung im Aus- land“ nach § 129b, vorgeworfen. Die DHKP-C wurde 1998 in der BRD ver- boten und nach dem 11. September in die so genannten „Schwarzen Listen“ der EU und der USA aufgenommen. Der 11. Sep- tember wurde in der BRD benutzt, um im  April 2002 den 129b-Paragraphen zu ver- abschieden und somit u.a. gegen aktive kommunistische Organisationen noch ve- hementer vorgehen zu können. Im Zusammenhang mit der Verfolgung der DHKP-C fanden im November 2006 bundesweit mehrere Razzien statt, bei de- nen 59 Wohnungen und Vereinsräume durchsucht und teilweise verwüstet wur- den. Außerdem wurden im Zeitraum vom 15. bis zum 28. November Mustafa Atalay, Rechtsanwalt Ahmet Düzgün Yüksel, De-  vrim Güler und Hasan Subasi während der Razzien verhaftet. Am 8. April 2007 wurde Ilhan Demirtas verhaftet. Die Inhaftierten sind mit erschwerten Haftbedingungen konfrontiert, sie befinden sich in Einzelhaft und ankommende wie auch abgehende Briefe benötigen über ei- nen Monat Zeit, um zu den Adressaten zu gelangen. Auch ist die Situation von Mustafa Atalay sehr ernst, es besteht bei ihm eine Herzinfarktgefahr, die durch die Haftbedingungen noch verstärkt wurde. Bericht vom Prozess in Stammheim Ca. 80 Besucherinnen und Besucher waren anwesend, um die politischen Gefangenen zu unterstützen. Nach 26 Jahren Knast Lasst uns endlich Mumia Abu-Jamal befreien! Mumia wird nur dann vor Gerichten Recht bekommen, wenn die Forderung nach seiner Freiheit unüberhörbar wird. Mumias Leben ist noch lange nicht gerettet, seine Freiheit ist in weite Ferne gerückt. Seit 1981 kämpft der afroamerikanische Journalist und ehemalige Black-Panther-  Aktivist Mumia Abu-Jamal um einen neuen Prozess, seit er wegen des angeblichen Mor- des an einem Polizisten in den USA zum To- de verurteilt wurde. Das Verfahren war von rassistischen, politischen und finanziellen Manipulationen geprägt: Wegen seiner Be- richte, vor allem über Polizeibrutalität und institutionellen Rassismus beim Establish- ment verhasst, sollte er unter allen Umstän- den als Copkiller verurteilt werden. Ihm wur- de trotz Mittellosigkeit Geld für eine adä- quate Verteidigung verweigert. Er wurde von einer mehrheitlich weissen Jury verurteilt, aus der die Staatsanwaltschaft zuvor gezielt afroamerikanische Geschworene ausgesiebt hat.  Am 27. März 2008 hat das 3. US-Bundes- berufungsgericht erneut einen seiner unzäh- ligen Versuche, ein neues Verfahren zu be- kommen, zunichte gemacht. Die Argumente der Verteidigung zu den zahlreichen Ver- stößen gegen seine verfassungsmässigen Rechte wollte es nicht zur Kenntnis nehmen. Stattdessen hoben die Richter die Todesstra- fe auf, hielten die Verurteilung wegen Mor- des aber aufrecht. Das bedeutet: Juristisch ist ein neues Todesurteil immer noch möglich.  Auch wenn am Ende ein Lebenslänglich steht, bleibt Mumia zum Tode verurteilt - nur dann eben auf Raten. Denn es besteht keine Möglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung; er soll den Rest seines Lebens wie schon die letzen 26 Jahre in einem „SUPERMAX“- Hochsicherheitsgefängnis verbringen. Noch ist Mumias Kampf nicht zu Ende. So- wohl die Staatsanwaltschaft als auch Mu- mias Verteidigungsteam können noch eine Entscheidung des gesamten Bundesberu- fungsgericht beantragen, denn bisher hat erst ein 3-Richter-Gremium dieses Gerichts entschieden. Mumias Verteidigung hat be- reits angekündigt, dies zu tun. Es ist deshalb nötiger denn je, jetzt öffentlichen Druck auf- zubauen und Mumias Forderung nach einem neuen Prozess zu unterstützen. Mumias Hin- richtung konnten wir 1995 und 1999 ver- hindern, jetzt wollen wir ihn endlich aus dem Knast holen. Am Samstag, den 12.04.08 ge- hen in den USA und international viele Men- schen dafür auf die Straße. Gefan g enen Info C 10190 2.4.2008 Preis: 1,55 335 Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hun- gerstreik der politischen Gefange- nen 1989. Nach dem Gerichtsentscheid fanden zahl- reiche Demonstrationen und Protestaktio- nen statt, so in New York, San Francisco (Bild indybay), Berlin, Erlangen, Bern, Los Angeles, Chicago, Oakland, Vancouver, Toronto, Sydney, London, Paris, Ciudad de México, Hamburg, Nürnberg Kommt zur Berliner Demonstration! 12.4.08, 13 Uhr US-Botschaft, Unter Den Linden, Ecke Neustädtische Kirchstr. Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Für die Abschaffung der Todesstrafe

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8/6/2019 Gefangenen Info #335

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Stammheim  Zum Prozess gegen 5türkische MenschenWir zitieren aus einem Prozessbericht undaus dem Flugblatt „Weg mit § 129 a undb“, das während der Spontandemo gegenden §129b-Prozess in Stuttgart verteiltwurde:

Freiheit für alle politischen Gefangenen!Weg mit den Paragraphen 129a & 129b!

 Am 17. März 2008 begann die Verhandlungdes § 129b-Prozesses in Stuttgart-Stamm-heim gegen fünf Revolutionäre. Ihnen wirddie Mitgliedschaft in der kommunistischentürkisch/kurdischen Organisation DHKP-C

(Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) und somit die „Mitgliedschaft in ei-ner terroristischen Vereinigung im Aus-land“ nach § 129b, vorgeworfen.

Die DHKP-C wurde 1998 in der BRD ver-boten und nach dem 11. September in dieso genannten „Schwarzen Listen“ der EUund der USA aufgenommen. Der 11. Sep-tember wurde in der BRD benutzt, um im

 April 2002 den 129b-Paragraphen zu ver-abschieden und somit u.a. gegen aktivekommunistische Organisationen noch ve-hementer vorgehen zu können.

Im Zusammenhang mit der Verfolgung

der DHKP-C fanden im November 2006bundesweit mehrere Razzien statt, bei de-nen 59 Wohnungen und Vereinsräumedurchsucht und teilweise verwüstet wur-den. Außerdem wurden im Zeitraum vom

15. bis zum 28. November Mustafa Atalay,Rechtsanwalt Ahmet Düzgün Yüksel, De- vrim Güler und Hasan Subasi während der Razzien verhaftet. Am 8. April 2007 wurdeIlhan Demirtas verhaftet.

Die Inhaftierten sind mit erschwertenHaftbedingungen konfrontiert, sie befindensich in Einzelhaft und ankommende wieauch abgehende Briefe benötigen über ei-nen Monat Zeit, um zu den Adressaten zugelangen. Auch ist die Situation vonMustafa Atalay sehr ernst, es besteht beiihm eine Herzinfarktgefahr, die durch dieHaftbedingungen noch verstärkt wurde.

Bericht vom Prozess in StammheimCa. 80 Besucherinnen und Besucher warenanwesend, um die politischen Gefangenenzu unterstützen.

Nach 26 Jahren Knast 

Lasst uns endlichMumia Abu-Jamalbefreien!Mumia wird nur dann vor Gerichten Rechtbekommen, wenn die Forderung nach seiner Freiheit unüberhörbar wird. Mumias Lebenist noch lange nicht gerettet, seine Freiheitist in weite Ferne gerückt.

Seit 1981 kämpft der afroamerikanischeJournalist und ehemalige Black-Panther-

 Aktivist Mumia Abu-Jamal um einen neuenProzess, seit er wegen des angeblichen Mor-des an einem Polizisten in den USA zum To-de verurteilt wurde. Das Verfahren war vonrassistischen, politischen und finanziellenManipulationen geprägt: Wegen seiner Be-richte, vor allem über Polizeibrutalität undinstitutionellen Rassismus beim Establish-ment verhasst, sollte er unter allen Umstän-den als Copkiller verurteilt werden. Ihm wur-de trotz Mittellosigkeit Geld für eine adä-quate Verteidigung verweigert. Er wurde voneiner mehrheitlich weissen Jury verurteilt,aus der die Staatsanwaltschaft zuvor gezieltafroamerikanische Geschworene ausgesiebthat. Am 27. März 2008 hat das 3. US-Bundes-

berufungsgericht erneut einen seiner unzäh-ligen Versuche, ein neues Verfahren zu be-kommen, zunichte gemacht. Die Argumenteder Verteidigung zu den zahlreichen Ver-

stößen gegen seine verfassungsmässigenRechte wollte es nicht zur Kenntnis nehmen.

Stattdessen hoben die Richter die Todesstra-fe auf, hielten die Verurteilung wegen Mor-des aber aufrecht. Das bedeutet: Juristisch istein neues Todesurteil immer noch möglich.

  Auch wenn am Ende ein Lebenslänglichsteht, bleibt Mumia zum Tode verurteilt - nur dann eben auf Raten. Denn es besteht keineMöglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung;er soll den Rest seines Lebens wie schon dieletzen 26 Jahre in einem „SUPERMAX“-Hochsicherheitsgefängnis verbringen.

Noch ist Mumias Kampf nicht zu Ende. So-wohl die Staatsanwaltschaft als auch Mu-

mias Verteidigungsteam können noch eineEntscheidung des gesamten Bundesberu-fungsgericht beantragen, denn bisher haterst ein 3-Richter-Gremium dieses Gerichtsentschieden. Mumias Verteidigung hat be-reits angekündigt, dies zu tun. Es ist deshalbnötiger denn je, jetzt öffentlichen Druck auf-zubauen und Mumias Forderung nach einemneuen Prozess zu unterstützen. Mumias Hin-richtung konnten wir 1995 und 1999 ver-hindern, jetzt wollen wir ihn endlich aus demKnast holen. Am Samstag, den 12.04.08 ge-hen in den USA und international viele Men-schen dafür auf die Straße.

G e f a n g e n e n I n f oC 10190 2.4.2008 Preis: 1,55 335

Hervorgegangen aus demAngehörigen Info. Das

Angehörigen Info entstand im Hun-gerstreik der politischen Gefange-

nen 1989.

Nach dem Gerichtsentscheid fanden zahl-reiche Demonstrationen und Protestaktio-nen statt, so in New York, San Francisco(Bild indybay), Berlin, Erlangen, Bern, LosAngeles, Chicago, Oakland, Vancouver,Toronto, Sydney, London, Paris, Ciudad deMéxico, Hamburg, Nürnberg

Kommt zur Berliner Demonstration!

12.4.08, 13 UhrUS-Botschaft, Unter Den Linden, EckeNeustädtische Kirchstr.

Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Für die Abschaffung der Todesstrafe

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Isolationsfolter, politische Prozesse, diebis heute ungeklärten Todesumstände von

 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe ... das ist wohl das erste, was ei-nem durch den Kopf gehen dürfte, wenn der Begriff Stammheim fällt. Die Situation istheute nicht ganz anders. Auch heute istStuttgart Stammheim der Ort, an dem Iso-lationsfolter praktiziert wird und ein politi-scher Prozess stattfindet. Nur statt der Ro-

ten Armee Fraktion steht heute die Revolu-tionäre Volksbefreiungspartei-Front(DHKP-C) auf der staatlichen Zielscheibe inStammheim. Vor Beginn des Prozesses, der um 9.00 Uhr 

beginnen sollte, wurde von FreundInnenund Angehörigen um 8.30 Uhr eine Kund-gebung vor dem Gefängnisgebäude durch-geführt. An dieser beteiligten sich rund 30Personen. Ein Transparent mit der Auf-schrift „Freiheit für alle politischen Gefan-genen“ wurde aufgeschlagen. Anschließend

 verlas das Tayad Komitee eine Erklärungund forderte die Freiheit für die Gefange-

nen und die Abschaffung der Anti-Terror-Gesetze und Schwarzen Listen. In der Er-klärung hieß es, dass antifaschistisches, an-tikapitalistisches und antiimperialistischesGedankengut vor Gericht stünde.

Im Anschluss an die Kundgebung began-nen die Besucherinnen und Besucher dasGerichtsgebäude zu betreten. Die Besuche-rinnen und Besucher wurden einzeln in dasGebäude gelassen, nachdem Leibesvisita-tionen und Personalienkontrollen durchge-führt wurden. Die Polizei platzierte sich imGerichtssaal vor und hinter die Prozessbe-obachterInnen, um sie einzuschüchtern,was aber misslang . Während ca. 80 Perso-nen in den Gerichtssaal zugelassen wurden,mussten ca. 20 Personen aufgrund von Vor-wänden bezüglich der Personalien oder weilsie zukünftige ZeugInnen seien, draußenwarten. Der Prozess, der um 9.00 Uhr be-ginnen sollte, begann gegen 11.00 Uhr. Als die Gefangenen in Handschellen den

Gerichtssaal betraten, riefen die Besuche-rInnen die Parole: „Die revolutionären Ge-fangenen sind unsere Würde“. Ein minu-tenlanger Applaus begann ... Die Gefange-nen, die sich seit Monaten nicht mehr ge-sehen hatten, umarmten sich. Es war offen-sichtlich, dass das Gericht, das nach den Ge-fangenen den Saal betrat, verblüfft war.

Nach der Personalienkontrolle wurde der Staatsanwaltschaft das Wort überlassen.Diese forderte wegen Mitgliedschaft in der in der Türkei operierenden DHKP-C, wegenUnterstützung einer Organisation, die dentürkischen Staat stürzen und stattdessen ei-ne kommunistische Ordnung errichtenmöchte, wegen finanzieller Unterstützungund der Gewährleistung von Aktionen inder Türkei die Verurteilung nach §§129a/b.

Die AnwältInnen der Angeklagten erklär-

ten daraufhin, dass der Prozess ein Justiz-skandal sei und der Prozess wegen des Sam-melns von Beweisen 16 Monate lang will-kürlich aufgeschoben worden sei. Sie be-tonten, dass die Akten, die aus der Türkei

angefordert worden seien, irrelevant seienund die Menschen wegen Aktionen in der Türkei nicht verurteilt werden können.

Nach dem Verlesen der Anklageschrift verlangte der Angeklagte Mustafa Atalaydas Wort und verlas seine Erklärung, die er mit den Worten „Unsere Geschichte ist dieGeschichte der Armen und Reichen“ be-gann. Er fragte, was und wer ein Terroristsei. Er fragte: „Ist es Terror, ein Land zu be-

setzen oder einen Kampf gegen die Besat-zung zu führen?“ Er erklärte, dass „Bushund Olmert, die andere Länder besetzen, diegrößten Terroristen“ seien. Mustafa Atalayerklärte außerdem, dass der Verfassungs-schutz sogar eine einfache Forderung nachRechten kriminalisiere und sogar legale Par-teien wie die Linkspartei beobachten lasse.Dieses ließe sich nicht mit einem Rechts-staat vereinbaren. Mustafa Atalay führtefort und erklärte, dass es keine Gerechtig-keit in der BRD gäbe und sogar Systempar-teien in ihrem Wahlkampf Kampagnen mitForderungen nach Gerechtigkeit machten.

Mustafa Atalay, der die Terrorlisten der USAund der EU ansprach, erklärte, dass imKampf zwischen den Armen und den Rei-chen sie auf der Seite der Armen seien undsie deshalb als Terroristen angeklagt seien.

„Ich muss den Faschismus und die Folter in der Türkei nicht beweisen; ich stehe Ih-nen gegenüber; mein ganzer Körper ist voll-er Brüche und Narben.“

Mustafa Atalay setzte seine Erklärung fortund betonte, dass er wegen seiner opposi-tionellen Haltung in der Türkei jahrelang imGefängnis gesessen habe. Er erklärte, dassihm in diesem Prozess das Recht auf Ver-teidigung genommen worden sei und er der 

 Willkür und der Isolationshaft ausgesetztsei. Er wies darauf hin, dass Isolationshaftfür einen Menschen, der kurz zuvor eineHerzoperation hatte, tödlich sei.

Mustafa Atalay wies darauf hin, dass er aufgrund von Aussagen eines Agenten, der 

 vom türkischen Geheimdienst MIT und demdeutschen Geheimdienst BND gelenkt wer-de, vor Gericht stünde.

Mustafa Atalay erklärte, dass die Berich-te des Gefängnisarztes der JVA Hannover,

welcher eine Freilassung forderte, und dieBerichte anderer Ärzte ignoriert worden sei-en und er dem Tod überlassen worden sei.

Mustafa Atalay erklärte, dass sozialisti-sches Gedankengut und der Kampf der Ar-

men vor Gericht stünde und der Faschismusin der Türkei unschuldig gesprochen werde.Mustafa Atalay beendete seine Erklärungmit der Forderung nach Freilassung und der Forderung nach Recht auf Leben.

Die Erklärung, die zwei Stunden dauerteund aufgrund der gesundheitlichen Verfas-sung Atalays einige Male unterbrochenwerden musste, endete mit lautem Beifall.Das Gericht, das die Situation nicht ertrug,

drohte damit, den Saal räumen zu lassen.Der Angeklagte Rechtsanwalt AhmetDüzgün Yüksel übernahm das Wort undsagte: „Wir haben 16 Monate lang gewar-tet und waren geduldig, und nun werdet Ihr uns anhören und geduldig sein.“

Rechtsanwalt Ahmet Düzgün Yüksel er-klärte, dass ihm sein Recht auf Verteidigunggenommen worden sei, indem seine Vertei-digungsrede nicht ins Deutsche übersetztwurde. Er kritisierte außerdem, dass 16 Mo-nate lang keine Gerichtssenat erstellt wer-den konnte und ganz plötzlich eine Senatauftauche, der die Prozessakten überhaupt

nicht kenne. Er erklärte, dass dieses Gerichtnicht legitim sei und er ihm nicht vertraue.Rechtsanwalt Ahmet Düzgün Yüksel er-klärte, dass er den schwerkranken Mustafa

 Atalay aus der Türkei kenne, er sein Freundsei und ihn als Anwalt vertreten habe. Er forderte das Gericht dazu auf, sein Lebennicht länger zu erschweren und ihn unver-züglich freizulassen.

Mit dem Beschluss, die Erklärungen insDeutsche übersetzen zu lassen, wurde die

 Verhandlung auf den 26. März 2008 ver-tagt.

EinschätzungBereits beim ersten Prozesstag war sofortersichtlich, auf welcher Seite die Justizsteht: Die Anwälte durften nicht direkt beiihren Mandanten sitzen und diesbezügliche

 Anträge der Verteidiger wurden umgehendabgelehnt. Ebenso verfügten die Anwältenicht über alle Dokumente, die den deut-schen Ermittlungsbehörden von der Türkeiübergeben wurden - bzw. besitzen sie vonneun Aktenordnern nur zwei auf deutsch,den Rest auf türkisch. Die Begründung der 

  Anwaltschaft, die Anwälte könnten sich

das Material von ihren Mandanten über-setzen lassen, kann nur bestätigen, wie ab-surd das gesamte Verfahren ist.

Mit dem Paragraph 129b werden die Or-ganisationsstrafnormen § 129 (Kriminelle

 Vereinigung) und § 129a StGB (Terroristi-sche Vereinigung) auf Gruppierungen im

  Ausland ausgedehnt. Anders als bisher können damit mutmaßliche Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen „terrori-stischen“ Organisation hierzulande auchdann strafrechtlich verfolgt werden, wenndie Vereinigung nur im Ausland agiert undwenn die Beschuldigten selbst keine straf-

baren Handlungen in der Bundesrepublikbegangen haben. Auf diese Weise können internationale

Kontakte und politische Debatten mit aus-ländischen Vereinigungen leicht zu straf-

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rechtlichen Konsequenzen führen.Jedes autoritäre Regime kann künftig die

Bundesregierung bedrängen, eine ihm lä-stige Oppositionsgruppe auf die SchwarzeListe zu setzen und ihre mutmaßlichen Mit-glieder und Unterstützer auch in der Bun-desrepublik zu verfolgen. Da mit § 129b -genauso wie mit den Organisationsnormen129 und 129a - Sonderermittlungsbefug-nisse von Polizei, Staatsanwaltschaften und

Geheimdiensten aktiviert werden können,wird sich die neue Strafnorm ebenfalls zueinem Ausforschungsparagraphen ent-wickeln. Schon das bisherige „Anti-Ter-ror“-Sonderrechtssystem hat zu großflä-chiger Ausforschung politischer Gruppen,Szenen und ganzer Bewegungen geführt.

Menschen, die gegen Folterung, Men-schenrechtsverletzungen, Faschismus, Im-perialismus und Kapitalismus kämpfen undfür eine Welt ohne Unterdrückung und Aus-beutung einstehen, werden kriminalisiert.Sie werden zu Terroristen deklariert, stattdie wahren Probleme und ihre Ursachen an-

zugehen. Wir lassen uns unser Recht auf Wider-

stand nicht nehmen und werden uns nichteinschüchtern lassen!Weg mit § 129a und § 129b, allen Anti-Terror-Gesetzen und Schwarzen Listen!Solidarität mit den politischen Gefangenweltweit!Freiheit für Mustafa Atalay, Ahmet Düzgün Yüksel, Devrim Güler, Hasan Subasi und Il-han Demirtas!

Kommt alle zu den nächsten Prozesstermi-nen:Beginn jeweils um 9:00 Uhr imStammheimer Gerichtsgebäude:2. April, 7. April, 9. April, 14. April, 21. April,28. April, 30. April, 5. Mai, 7. Mai, 19. Mai,26. Mai, 28. Mai.Infos zu den politischen Gefangenen undstaatlicher Repression etc. im Internet un-ter:www.rote-hilfe.dewww.political-prisoners.net

Wie alles (bisher) warBetroffene des MG-VerfahrensberichtenDer folgende Text kann weder alle Einzel-heiten unserer Festnahme und die nach-folgenden Monate in U-Haft nachzeichnennoch eine detaillierte Analyse zu politischer

Gefangenschaft liefern. Wir werden hiereinen stark subjektiv gefärbten Erfah-rungsbericht liefern, der einen (ersten)Eindruck vermitteln soll, wie wir die ver-gangenen Monate nach unserer Inhaftie-rung und der Haftverschonung so hinteruns gebracht haben.

 Zur Vorgeschichte einer politisch-biografi-schen ZäsurDer Ursprung unserer Geschichte spielt sichauf einer völlig unbedeutenden Buckelpi-ste in der Brandenburgischen Pampa ab. Ir-gendwann in den frühen Morgenstunden

des 1. August 2007 werden wir in einer spektakulären, filmreifen Szene in unseremFahrzeug gestoppt; vor, hinter und nebenuns postieren sich Fahrzeuge, schwer be-waffnete Männer und Frauen springen her-aus, zerschlagen mit Tonfas unsere Auto-scheiben, halten uns ihre entsichertenKnarren Richtung Schädeldecke und ziehenuns teils durch die zerkloppten Fensterrah-men ins „Freie“, Schnittwunden und Schlä-ge mit dem Pistolenknauf auf Hinterkopf und in die Rippen inklusive. Nach dem er-zwungenen Verlassen unseres Fahrzeugswurden wir einzeln und einige Meter von-einander entfernt auf den Boden gedrückt,Handschellen rasteten ein und etwas Müt-zenartiges wurde uns über den Kopf gezo-gen.

Eintönige Kachelwände auf dem Polizeire-vier in Brandenburg/HavelInnerhalb einer Wartestunde wurden wir einzeln und getrennt voneinander in an-kommende BKA-Fahrzeuge verfrachtet

und zur örtlichen Polizeistation nach Bran-denburg/Havel gebracht. Dort angelangt,begann die ganze Prozedur der Personali-enfeststellung, der körperlichen Durchsu-chung und des überflüssigen Versuchs, dasswir uns doch zum Tathergang äußern könn-ten. Unsere gesamte Kleidung bis auf dieUnterhose wurde eingezogen und in Pla-stiktüten verstaut. Als Kleidungsersatz-stück bekamen wir einen Einwegmaleran-

zug zugeteilt, dessen Tragekomfort sich be-reits nach einigen wenigen Stunden erheb-lich verringerte, insbesondere dann, wenndie eigenen Körperausmaße nicht mit der 

 Anzugsgröße korrespondieren wollten. Auf der Station wurde uns auch erstmals

mitgeteilt, worum es sich denn eigentlichhandelt. Wir wurden, so die Darstellung vonBeamten, dabei beobachtet, wie wir gezün-dete Brandsätze unter drei Bundeswehr-LK-

 Ws gelegt haben sollen. So etwas sei wohl„strafbar“, hat man uns gesagt. EinigeStunden später wurden wir zur Abgabe vonFingerabdrücken genötigt, des Weiteren

wurde uns eine Schweiß-/Geruchsprobeteils durch staatliche Gewaltanwendungabgenommen. Dazu wurden uns Alu-Tütenüber die Hände gezogen und an unserenUnterarmen mit starkem Klebeband befe-stigt. Eine gute Stunde schwitzten wir so

 vor uns hin. Während der Zeit auf dem Re- vier wurden wir jeweils einzeln in den Aus-nüchterungszellen einquartiert, insgesamt

 verbrachten wir dort ca. 48 Stunden. In Er-innerung blieben uns allen die grell weißeKachelei und das penetrante Säuseln der Lüftungsanlage.

Das Ding mit dem „Terroristisch-Sein“haben wir erst ca. 24 Stunden nach unse-rer Ankunft in Brandenburg/Havel erfah-ren, als sich unsere AnwältInnen bei uns

 vorstellten. Ein wirklich beruhigender Mo-ment, als klar wurde, dass sich unsere Fest-nahme bis nach Berlin herumgesprochenhaben musste. Von unseren AnwältInnenwurde uns offeriert, dass im Zusammen-hang mit dem Vorwurf des versuchtenBrandanschlags eine weitere Person festge-nommen wurde. Wir, die wir nun zu viertwaren, sollen wie drei zusätzliche Leute we-gen Mitgliedschaft in der Militanten Grup-

pe (MG) nach § 129a ganz fett rangenom-men werden. Das saß dann erst mal nichtschlecht in der Magengrube. Spätestens abdiesem Zeitpunkt mussten wir damit um-gehen, dass an uns das volle Programmstaatlicher Repression durchexerziert wer-den soll.

In den Folgestunden haben wir ein stän-diges Hin und Her wahrgenommen, was mituns geschehen solle bzw. wohin wir erst mal

  verbracht werden sollen. Erst sickertedurch, dass wir zum BKA nach Wiesbadengefahren werden, dann hieß es, dass es wohleine Transportgelegenheit nach Karlsruhe

zur BAW geben wird. Schlussendlich über-nachteten wir ein zweites Mal in den Aus-nüchterungszellen. Am nächsten Morgen

 verdichtete sich der Verdacht: ab nach Kar-lsruhe?

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Wir wollten nie zum KSC!

Schwer bewacht wurden wir zum Gefan-genentransporter geführt, jeweils in eineBox gequetscht und ab ging’s zu einer Lan-debahn. Allein das etwa viertelstündigeHochfahren der klapprigen Maschine war ein Spaß für sich, bis die eigentliche Flug-höhe erreicht war. Der Kollege, der einigeStunden nach unserer Festnahme ins Ber-

liner LKA-Gebäude verschleppt wurde, be-fand sich ebenfalls an Bord. Jeweils zweiBKAler platzierten sich links und rechts vonuns, beobachten aufs Penibelste unsereKörpersprache oder nonverbalen Kontakt-

  versuche. Nach dem 2-Stunden-Überflugsteuerten wir den Hof des Bundesgerichts-hofes in Karlsruhe an. Unsere AnwältInnenerwarteten uns bereits und die ersten Ge-spräche konnten geführt werden. Jeder vonuns Vieren wurde nach einer längeren War-tezeit mit den Anwälten zum BAW-Er-mittlungsrichter vorgelassen. Zwei Vertre-terInnen des BKA servierten ihre Sicht der 

Dinge, d.h. wir seien Aktivisten der Mili-tanten Gruppe (MG). Unsere Anwälte in-tervenierten entsprechend, mussten aber schnell feststellen, dass das den Herrn Er-mittlungsrichter nur sehr wenig rührte under hauptsächlich damit beschäftigt war, diemangelnde Rechtschreibung seiner Proto-kollantin zu korrigieren. Lange Rede, kur-zer Sinn: Ausstellung des Haftbefehls mitGütesiegel. Nach weiteren Stunden des

 Wartens ging es auf demselben Weg wie-der zurück nach Berlin.

Willkommen in der Moabiter U-Haft

Zu vorgerückter Stunde und nach einemlangen Arbeitstag wurde unser Begleit-schutz richtig ausgelassen. Der Vorstanddes BKA-Nachwuchses fing an, kleine„Kassiber“ unter seinen Sprösslingen her-umzureichen, die wir natürlich registrierensollten. Auf denen waren verschiedene Eu-ro-Summen notiert, das jeweilige „Kopf-geld“ für jeden von uns. Außerdem bepis-sten sich die honorigen Jungs und Herrendes BKA vor Vorfreude, dass sie nach un-serer Ankunft in Berlin ganz groß auffah-ren würden. Ursprünglich sollten wir in der 

Kruppstraße, in der Nähe der U-HaftanstaltMoabit, landen. Aus welchem Grund auchimmer wurden wir weiter delegiert nachBerlin-Ahrensfelde, einem Hubschrauber-Stützpunkt des BGS. Dort wacklig, aber si-cher Erdboden erreichend, standen auchschon mit MP’s bewaffnete BGSler als Emp-fangskomitee auf dem Rollfeld bereit. Ausweiter Entfernung nahte dann mit Blaulichtder BKA-Konvoi, der uns wie eine Trophäeeinmal quer durch die Stadt nach Moabit

 verschaffte.Nach dem Durchqueren der Knastpforte

ging alles seinen administrativen Gang.

 Aufnahme und Papierkram, duschen undUnterbringung allein in einer Zwei-Mann-Zelle. Nach wenig Schlaf und völliger Un-gewissheit, wie es jetzt weitergeht, ging dasganze Prozedere erst richtig los. Strikt von-

einander getrennt durchliefen wir etwa einhalbes Dutzend knastinterner Stationen,einschließlich Arztcheck und „Durchleuch-tung“, d.h. alle Körperöffnungen werdenbesichtigt, ob nicht an einer bestimmtenStelle Mitbringsel zu finden sind.

Gegen späten Mittag haben wir unser je-weiliges 6-7qm-Luxusappartment bezo-gen. Alle hygienischen Standards hinter uns lassend galt es, sich einzurichten. Er-

ster Schritt dazu ist, sich von den Hausar-beitern, das sind Knackis, die im Knast u.a.für die Essensausgabe verantwortlich sind,Putzmittel geben zu lassen. Es fällt einemauf jeden Fall leichter, mit dieser neuen

  Wohnumgebung einigermaßen klar zukommen, wenn die Ekelgrenzen nicht all-zu früh überschritten werden.

In der Regel ist es so, dass sich spätestensam Folgetag verschiedene Führungskräfteder Anstalt vorstellen und dich versuchen„abzuklopfen“. Das reicht vom Teilan-staltsleiter über die Sozialarbeiterin bis zum„Sicherheitschef“. Besonders letzterem be-

reitete unsere Anwesenheit einiges anKopfschmerzen. Er ließ deutlich seine Über-forderung durchblicken ob der Situation,dass er nun auf einen Schlag mit vier „Ter-roristen“ konfrontiert sei. Zeit für Mitleids-bekundungen hatten wir aber nicht.

Knast als soziales TerrainNun waren wir drin. Von einem auf den an-deren Moment wurden wir aus unseren so-zialen, familiären und politischen Zusam-menhängen herausgerissen. Wahrlich eineZäsur. Wir mussten zunächst einmal aus der Schockstarre heraus und uns auf die ein-

getretene Situation neu einstellen. Die er-sten ein, zwei Wochen sind eine Phase, inder alles auf dich sehr surreal einwirkt. Der Mikrokosmos Knast mit seinen eigentüm-lichen Abläufen erzeugt auch eine be-stimmte Form des Interesses nach dem Mot-to „Was passiert jetzt“? Du bist ständig amBeobachten, Einschätzen und Klären. Dieeigentliche Realisierung der zeitlich unbe-stimmten Gefangenschaft kann nicht soforteintreten, du bist am Anfang von den neu-en, dir völlig unbekannten Eindrücken ein-genommen, teils überfordert.

Erst wenn du tatsächlich „angekommen“

bist, tritt das ein, was jeden tief nach un-ten zieht: Hey, du bist wirklich hier, einge-sperrt, allein. Ein Großteil deiner Autono-mie, die du draußen für dich zu nehmenwusstest, ist hier flöten gegangen.

Es ist unvermeidlich, das du auf das me-lancholische Loch zusteuerst und auch hin-einfallen wirst. Erst jetzt bekommst du dei-ne spezifische Situation direkt zu fassen,leidvoll. Du realisierst, dass sich dein Platz

 vorerst innerhalb der Knastmauern befin-det, dass alle deine Lebensäußerungen ex-trem reduziert sind; es hat was von End-station. Endstation ist auch wörtlich imklassenspezifischen Sinn zu sehen: bis auf 

einen ganz geringen Prozentsatz sammeltder Staat in den Haftanstalten das subpro-letarische Milieu. Wenn Klassenjustiz einenfür alle leicht nachvollziehbaren Ausdruckhat, dann den, dass in den Löchern dieser Republik die Überflüssigen verwahrt undgeparkt werden. Deshalb ist Knastkampf auch Klassenkampf! Aber zurück zum Trübsinn: Entscheidend

ist, dass du dich dieser Melancholie nichtergibst. Allerdings wirst du sie zulassenmüssen, damit du für dich einen Weg fin-dest, diese Phase zu überstehen. Das ist an-strengend und zieht sich über Tage hin und

kommt in regelmäßigen Schüben immer mal wieder, heftiger und weniger heftig. Ineiner solchen Situation bist du weitgehendauf dich selbst zurückgeworfen. Die eiser-ne Tür fällt immer wieder hinter dir zu undder Riegel wird vorgeschoben, dahinter sitztdu, aufgrund des spezifischen Haftstatutsnur du. Wenn du dich bisher noch nichtkennen gelernt hast, spätestens hier ist essoweit. Aber, und das soll mit diesen Dar-stellungen vor allem vermittelt werden, esgibt viele Hilfestellungen und Möglichkei-ten der (mentalen) Vorbereitung auf jeneExtremsituation, vor die man als Inhaftier-ter oder Inhaftierte gestellt ist. Es ist einegroße Erleichterung, wenn man ohne „psy-chische Vorbelastungen“ und politisch-ideologisch einigermaßen fest in den Knast-alltag gerät. Am besten ist natürlich, einensolchen biografischen Knick überhauptnicht mitzumachen. Aber das ist eben nur der Idealfall. Es ist auch hilfreich, wenn mansich frühzeitig mit dem Thema Knast undpolitischer Gefangenschaft auseinanderge-setzt hat. Zum einen gibt es eine kaum mehr abzuarbeitende Fülle von Erfahrungsbe-richten zum Überleben im Knast, die von

ehemaligen politischen Gefangenen oft in Autobiografien verfasst wurden, zum an-deren ist das Thema Knast schon immer einInterventionsfeld der revolutionären Lin-ken gewesen, da sich hier Auswirkungenstaatlicher Verfolgungsmaßnahmen amunmittelbarsten zeigen. Eine wichtige Ein-schränkung der Repressionsvorbereitungist aber gleich nachzureichen: jede indivi-duelle oder kollektive Beschäftigung mitKnast und politischer Gefangenschaft hatGrenzen. Du kannst das, was auf dich mitaller Härte im Falle staatlicher Repressioneindrischt oder wie sich Knast konkret an-

fühlt, nicht im Sandkasten probeweise si-mulieren. Eine Auseinandersetzungdraußen mit dieser Thematik und das realdamit Konfrontiertsein drinnen sind zweiPaar Schuhe. Aber, und das ist dick zu un-

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terstreichen, du kannst einiges von dem,das im Knast eintritt, schneller beurteilen,abwenden und mildern. Du bist im Rahmendessen, was möglich ist vorbereitet. Das ist

 viel und wird dir helfen!

Die Solidarität von draußen, die du drinnenspürstKaum überzuberwerten ist die Rolle, die so-lidarischen FreundInnen, KollegInnen undGenossInnen draußen zukommt. Angefan-gen vom Briefe Schreiben über Besuche biszur Mobilisierung von Protesten ist alles für den/die Gefangenen existenziell. Dadurchwurde die Isolierung drinnen, der wir par-tiell ausgesetzt waren, aufgebrochen. Wenndu merkst, dass um dich herum ein solida-risches Netz geknüpft wird, dann hat das

sofort positive Rückwirkungen auf deinGemüt und deinen Kampfgeist. Diese Wechselwirkung funktioniert gut. Das istübrigens auch ein wesentlicher Punkt, der dich im Knast „privilegiert“. Du hast eineerkennbare politische Unterstützung, diedich von draußen erreicht und weit über deinen Familien- und Freundeskreis geht.

  Alle anderen Knackis verfügen darüber nicht oder nur kaum. Auch wenn du dichim Knast selbst noch so sehr von deiner „Rolle“ als politischer Gefangener abkop-peln willst, allein dein Knastumfeld sorgtdafür, dass du aufgrund des Kontextes dei-

ner Festnahme und der Mobilisierungdraußen einen Sonderstatus hast. Natürlichbegreifst du dich auch drinnen als politi-sches Subjekt, wenn du nicht untergehenund stabil bleiben willst. Unterwirfst dich

nicht dem Regelwerk des Knastregimes. Duzehrst von den Erlebnissen und Erfahrun-gen der GenossInnen, die in welchem Win-kel dieser Welt auch immer für eine Gesell-schaft ohne Ausbeutung und Unter-drückung in vielfältigster Weise kämpfenund z.T. für Jahrzehnte in den Kerkern der staatlichen Gewalt verschwinden. Erstensrelativiert das deine eigene Situation, zwei-tens siehst du dich verpflichtet, Knast nichtals tiefes, schwarzes Loch wahrzunehmen,sondern als Kampfterrain, als den politischzu besetzenden Raum, der dir in dieser spe-ziellen Situation zur Verfügung steht. Dieabsolute Reduktion des (Über-)Lebens imKnast bringt es mit sich, dass die Frontver-läufe klar definiert sind. Vieles, wenn nichtfast alles an Grau- und Zwischentönen geht

hier notwendigerweise verloren. Du bist an-gegriffen worden und jederzeit dem Zugriff des Staates ausgeliefert.

Das scheint einfach gesagt, ist es auch.Nicht in allen Momenten fällt es dir leicht,tough zu sein, manchmal ist es dir sogar unmöglich. Diese Stimmungsschwankun-gen haben wir alle durch. Und genau dakommt wieder massiv die Solidarität vondraußen ins Spiel, sie schafft Mut und Zu-

 versicht, dass sie dich trotz aller Schikanenund Machtdemonstrationen nicht packenkönnen, du ihnen entgegenzutreten weißt.Du bist mit den Methoden und Mitteln, die

sie gegen dich auffahren, nicht kaputtzu-kriegen - ein großartiges Gefühl!Einige Ex-Inhaftierte aus dem MG-Verfah-ren. Aus: 18. März - Zeitung der Roten Hil-

 fe, 18.03.2008

Einstellungsbündnis präsentiert Aus-stellung zur Terrorismusdefinition

Bündnis für die Einstellung der § 129(a)- Verfahren, c/o Haus der Demokratie undMenschenrechte e.V.Greifswalder Straße 4, D-10405 Berlineinstellung [at] so36.nethttp://einstellung.so36.net01577-4300652

Berlin, 15. März 2008Ob es um den „Kampf gegen den interna-tionalen Terrorismus“ geht oder um die An-wendung des Paragraphen 129a des Straf-gesetzbuches („Terroristische Vereini-gung“) - 30 Jahre nach dem „deutschenHerbst“ ist das Thema Terrorismus präsen-ter und brisanter denn je. Betreffen tut der Terrorismus uns alle - soweit herrscht Ei-nigkeit. Doch während die einen von der permanenten Bedrohung durch den inter-nationalen Terrorismus reden, sehen ande-re die Gefahr einer schleichenden Auswei-

tung von Datenerfassung und Kontrollsy-stemen in dessen Namen. Aber was eigentlich ist Terrorismus?

Die Bundesjustizministerin denkt, dassnicht mal der 11. September terroristischwar, aber alle haben Angst davor. Die Bun-desanwaltschaft hält schon den Zugang zuBibliotheken für terrorverdächtig. Der Bun-desgerichtshof rügt sie dafür.

Um der Frage „Was ist Terrorismus?“ auf den Grund zu gehen, hat das Bündnis für die Einstellung der § 129(a)-Verfahren ei-nen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Ein-sendungen sind künstlerisch, politisch oder humoristisch. Sie reichen von Text- über Foto- und Video- bis hin zu Audio-Beiträ-gen.

Eine Ausstellung gibt nun den verschie-denen Sichtweisen auf den Terrorismus-Be-griff einen gemeinsamen Rahmen.

  Weitere Informationen zur Ausstellungund Bildmaterial (zur Verwendung für dieBerichterstattung über das Preisausschrei-ben freigegeben) zu den Einsendungen fin-den Sie unter:http://einstellung.so36.net/de/was-ist-ter-ror/beitraege

Ausstellung „TERRORISM is it!“ Vom 29.3.2008 bis 13.4.2008täglich 15.00 bis 20.00 Uhrim Kunsthaus Tacheles, Neue Galerie, 4.OGOranienburgerstr.54-56a, 10117 Berlin(U8 Oranienburger Tor & S1/2/25 Orani-

enburger Str.) Vom 14.-21.4.2008 wird die Ausstellungzusätzlich mit politischem Begleitpro-gramm im Bethanien/„New Yorck59“, Ma-riannenstr. 2, 10997 Berlin zu sehen sein.

Info-Tour des EinstellungsbündnissesIm April geht das Berliner Bündnis für dieEinstellung der §129(a)-Verfahren auf In-fo-Tour. Hier finden sich Informationenund Termin.

Ende Juli 2007 wurden sieben Personenin Berlin von der Generalbundesanwalt-schaft beschuldigt, Mitglieder einer ,ter-roristischen’ Vereinigung, der ,militanten

gruppe’ (mg), zu sein (nach § 129a Straf-gesetzbuch). Vier von ihnen - Axel, Oli- ver, Florian und Andrej - wurden verhaf-tet. Sie saßen mehrere Monate bzw. Wo-chen in Untersuchungshaft im Knast Ber-lin-Moabit. Im Oktober hob der Bundes-gerichtshof (BGH) den Haftbefehl gegen

 Andrej auf, Ende November hatten auchdie Haftbeschwerden von Axel, Oliver und Florian Erfolg und sie wurden gegendie Zahlung einer Kaution freigelassen.Im Laufe der nächsten Monate erwartenwir die Anklageschrift und noch in die-sem Jahr den Prozess vor dem Berliner 

Oberlandesgericht.Davor werden wir eine Info-Tour 

durchführen, bei der wir in verschiedenenStädten über den aktuellen Stand der Ver-fahren und die juristischen Konstrukte be-richten. Darüber hinaus wollen wir miteuch in eine gemeinsame Diskussion

kommen. Themenvorschläge dazu sind:Das Leben mit der Totalüberwachung,Strategien gegen die §§129/a/b, Antimi-litarismus, die Soli-Arbeit des Bündnissesund unsere Öffentlichkeitsarbeit. Auf 

  Wunsch setzen wir bestimmte Schwer-punkte.

Folgende Veranstaltungen stehen bis-her fest:

Do, 03.04.2008, Göttingen19.30 Uhr, Jugendzentrum Innenstadt(Juzi), Bürgerstr. 41Sa, 05.04.2008, Bonn17 Uhr, Buchladen Le Sabot, Breite Str. 76Sa, 05.04.2008, Kiel-Gaarden15h, Subrosa, Elisabethstr. 25 (Infos ,Flugblatt)Mo, 07.04.2008, Platenlaase (Wendland)20 Uhr, Kulturverein Cafe Grenzbereiche(Infos)Sa, 19.04.2008, Bochum19 Uhr, Soziales Zentrum Bochum , Rott-str. 31 (anschließend: Soliparty)

Mo, 28.04.2008, Halle20 Uhr, Radio Corax, Unterberg 11 (ansch-ließend: Soliparty)Di, 29.04.2008, Chemnitz18.30 Uhr, Rothaus.e.V, Lohstraße

Quelle: http://einstellung.so36.net/de/ 

„Die Kultur der Terrors zielt darauf ab, dieHoffnungen der Mehrheit auf Alternativenzu den Vorstellungen der Herrschenden zuzähmen.“ (Noam Chomsky)

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Anlässlich des 8. März, des internationalenFrauentags, fand in Berlin eine große undentschlossene Demonstration von über1000 Menschen statt, die auch zum Frau-enknast Pankow führte. Wir dokumentie-ren einen Beitrag von der Gefangenen And-rea, die dort 14 Monate weggesperrt blei-ben soll.

Andreas Redebeitrag 

Repression ist welt-weit alltäglich.Sie ist alltäglich, weil sich täglich Menschenwehren, weil Menschen weltweit mit mise-rablen Lebensbedingungen in bestehendenHerrschaftsstrukturen klar kommen müs-sen. In einem System, in dem es nie um dieBedürfnisse des Menschen ging oder geht,finden Menschen weltweit alternative Kon-zepte zur eigenen Lebenssicherung. Da wirdgeklaut, gehehlt, schwarzgefahren, sich

eingeschleust, Häuser besetzt, krank ge-macht, sich illegal Aufenthalt genehmigt,gedealt, getrickst, Sachschaden verursacht,Großkapitalismus angegriffen ...

Individualisiert kämpfen sich Menschentäglich durch eine kapitalistische Realität.Dadurch sind viele Menschen weltweit vonunterschiedlichster Repression betroffen:Da wird verurteilt, entführt, überwacht,ausgewiesen, bekriegt, eingesperrt, verge-waltigt, sicherheitsverwahrt, gezwangs-maßnahmt, abgeschoben, gefoltert, getötet,... Aufgrund dieser Realität wird weltweitpolitisch gekämpft. Nicht mehr vereinzelt,sondern kollektiv in konkreten Alltags-kämpfen gefordert, erstritten, gekämpft, sa-botiert und Widerstand geleistet.

Letztendlich soll gemeinsam eine Per-spektive einer befreiten Gesellschaft ent-wickelt werden. Wir kämpfen gegen Ras-sismus, Sexismus, Homophobie, Antisemi-tismus, Privatisierung, die Vertreibung ausden Konsumzonen, Gentrifikation und

 Yuppiesierung, Faschisten, Neonazis, Na-tionalisten, Krieg, Überwachung, den staat-lichen Repressionsapparat, Zwangsprosti-tution und gegen die Logik der Profitma-

ximierung. Wir wollen eine wirkliche

Gleichberechtigung von Menschen, sozia-le und globale Rechte und Gerechtigkeit,Bewegungs- und Meinungsfreiheit, keineGrenzen, die Überwindung der kapitalisti-schen Ausbeutungsverhältnisse. Wider-stand ist weltweit alltäglich. Er ist alltäg-lich, weil täglich (in vielen Teilen der Erdeeine absolute) Notwendigkeit dafür besteht.

Das StGB verteidigt den Kapitalismus,wer gegen die Grundsätze der Demokratie

 verstößt, im StGB „Rechtsgüter“ genannt,wird abgestraft durch Geldstrafe, Be-währung oder Haftstrafe. Die Haftstrafe alshöchstes Strafmaß wird in den Knästen um-gesetzt, wo die RegelbrecherInnen einge-sperrt und von der Gesellschaft isoliert wer-den. Hier sollen sie geläutert werden undzu angepassten BürgerInnen umerzogen,die ihre Pflicht imKapitalismus erfül-len, arbeiten, Kin-der als neue Gene-ration von Arbeits-kräften aufziehen,

konsumieren usw.Knast also alsNachhilfe für die,bei denen der staat-liche Schulbesuchfür die Zurichtungzum Untertanenoffensichtlich nichtden gewünschtenEffekt gezeigt hat-te. Hier werden siedann eingesperrt,die die sich keine Fahrkarte für die BVG lei-sten konnten oder mal was Leckeres essenwollten und im Supermarkt was eingesteckthaben, die nicht mehr wussten, wie sie einKind mehr durchbringen sollten, die im rei-chen Deutschland als ErntehelferInnen zu

 jobben planten und sich im Puff wieder-fanden ..., die mit Drogenschmuggel die Ko-sten für ihren Schuldenberg abzuarbeitengezwungen und geschnappt wurden.

Die Liste könnte noch lange weiter ge-hen. Knast ist die Antwort der Herrschen-den auf die sozialen Probleme der Men-schen, die in Armut leben. Diese Problemewerden dadurch verschleiert, dass der Staat

sie für sich brauchbar unter die Kategorie„Kriminalität“gruppiert unddurch automati-sche Zuschreibung

 von sog. „kriminel-lem Verhalten“, anbestimmte sozialeSchichten und anMigrantinnen und

 Asylbewerberin-nen. Gleichzeitigwird eine Kontroll-gesellschaft mit

Kameraüberwa-chung, biometri-scher Zuordnung,und vielen anderenÜberwachungsme-

thoden, immer weiter ausgebaut. Wer diesnicht will und versucht, sich dieser Norm-gesellschaft zu entziehen, und sie dadurchbedroht, wird kriminalisiert.

Immer mehr Menschen sind gezwungen,mit sog „illegalen Aktivitäten“ ihr Überle-ben zu sichern. Dadurch steigen die Inhaf-tierungen. Wie ihr seht, im Knast könntensich alle irgendwann wiederfinden, Knastklaut Menschen ihre Lebenszeit, ihre Frei-

heit, sich mit den Menschen, die ihnen amHerzen liegen, zu umgeben, das mit ihrer Zeit zu machen, was sie möchten. Im Ge-fängnis hierzulande muss man nicht hun-gern und frieren, außer in Tegel, aber dieLebenszeit gibt einem niemand zurück. DieGefängnisse sind da als vorzeigbare, ver-körperte Mahnung, Drohung des Rechts-

staates gegen alle: Wenn ihr unsere Geset-ze nicht einhaltet, landet ihr dort. Und wiedie Reaktion ist, wenn diese Zwangsan-stalten für Unbelehrbare kritisch beleuch-tet werden, wenn B., Justiz und Knäste undderen kriminelle Methoden öffentlich ge-macht werden, wie sie linke AktivistInnenkriminalisieren und in den Knästen ver-schwinden lassen wollen, das können wir speziell in Berlin gerade an den nicht en-den wollenden Misshandlung des Berliner 

 Antifa Christian S. mit verfolgen.Die Internetseite zu seiner Kriminalisie-

rung und leider derzeitigen Inhaftierung in

der als Nazistreichelzoo bekannten JVA Te-gel berichtet kontinuierlich über die hekti-schen Aktivitäten der LKA-Justiz gegen wi-derständige Linke sowie die Gefallen,Freundschaftsdienste, Passivitäten gegenü-ber Nazis und Konsorten. Und auch die ka-tastrophalen Zustände in den Berliner Haft-anstalten werden auf „freechristian.gulli.to“ regelmäßig öffentlich gemacht.

Die akribische Verfolgung von Linken, Antifas und die wohlwollende Milde ge-genüber Rechten/Nazis hat Tradition.

Nazis gelten vor der Justiz grundsätzlichals Einzeltäter, organisierte Strukturen wer-

den geflissentlich übersehen, so geschehenbeispielsweise beim Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest 1981, wo die Ju-stiz wissentlich an der Einzeltäterthese fest-hielt. Die § 129 /129a wurden bisher zu 95%

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gegen links angewandt, was aber auchzeigt, dass das Ausleuchten der Strukturender rechten Szene nicht zu den Zielen der ErmittlerInnen gehört. (Und das hängt nichtdamit zusammen, dass es bei den Rechtenmehr V-Leute gibt.) Auch mildernde Um-stände, schwere Kindheit, Alkohol- oder Drogenprobleme, gelobte Besserung stoßen

 vor Gericht, von Nazis geäußert ,auf über-aus offene Ohren.

Ich möchte Euch, die heute am interna-tionalen Frauenkampftag gegen Patriar-chat, Repression, Unterdrückung, Knastund letztendlich gegen das ganze Scheiß-system demonstrieren, kämpferische undsolidarische Grüsse übermitteln. Trotz vie-ler erkämpfter Fortschritte sind Frauen undMädchen sowie alle, die sich in der Ge-schlechterordnung nicht wiederfindenkönnen, weiterhin Gewalt und Benachtei-ligung auf den unterschiedlichsten Ebenenausgesetzt. Leider auch immer noch in un-seren eigenen antifaschistischen und link-sautomomen bis alternativen Reihen und

Szenen. Wir leben in einer patriarchalen Gesell-

schaft. Dieses Herrschaftsverhältnis kreuztund verstärkt sich mit anderen, wie Rassis-mus und kapitalistischer Verwertungslogik.Um ein sicheres und würdevolles Leben ge-stalten zu können, müssen Menschen ge-gen diese Verhältnisse Widerstand leisten.

Überall auf der Welt sind Frauen aktiv inKämpfen um Befreiung, überall sind Frau-en im Knast. Dabei unterliegen sie im Ge-fängnis oder bei Festnahmen besondersentwürdigender geschlechtsspezifischer Repression und Folter. Sie zielt darauf,Frauen zu demütigen, ihnen die politischeIdentität abzusprechen und sie auf Objekte

  von Männern zu reduzieren. Widerstand von Frauen außerhalb und innerhalb desKnastes ist immer auch ein Kampf um Wür-de, Selbstbestimmung, gegen patriarchaleGewaltverhältnisse.

Solidarische und kraftvolle Grüsse an denFrauenblock.  An alle viel Kraft für die anstehenden

Kämpfe um Freiräume gegen Sexisten,Macker, Rassisten, Antisemitisten, Nazis,Repression, Kameras, Gentrifikation und

 Yuppiesierung und Resignation.Unsere Antwort. egal wo: Widerstand istpraktisch, militant und everywhere ... Wir bleiben dabei, wir lassen uns nicht

kaufen, abschrecken, verunsichern, kaputtmachen.

Das einzige Mittel, Druck aufzubauen ist:Preise die Verantwortliche, wie Hausbe-

sitzer, Behörden, Firmen, Architekten, Pla-ner etc. zu zahlen haben, so hochzutreiben,dass sie nicht bereit sind, ihn zu bezahlen.… dazu sind auch bürgerlich-demokrati-sche Aktionen, wie Kundgebungen und De-monstrationen notwendig, um unsere The-

men gut und breit in die Öffentlichkeit zutragen. …Freiheit für alle: Sofort!!!

http://freeandrea.de.vu

Hamburg 

Ostersolidemo gegenBeugehaftEiskalt pfiff Wind um die Ohren der zahl-reichen Gegner des aktuellen juristischenRachefeldzuges gegen Brigitte Mohnhaupt,Christian Klar und Knut Folkerts.

Trotzdem hatten sich im Vergleich zu denparallel stattfindenden Friedensmärschenim Rheinland vergleichsweise viele De-monstranten eingefunden

Kein versprengtes Häufchen, sondernrund 500 Menschen versammelten sich amSamstagnachmittag in Hamburg vor der Roten Flora. Das Bündnis gegen Beugehaftforderte:

„freiheit für Christian Klar“ und „freiheitfür Birgit Hogefeld“ auf gelben Schildernam Lautsprecherwagen. Bunte Plakate undTransparente hängen an den Außenmau-ern des autonomen Stadtteilzentrums.„Fahr zur Hölle Sicherheitsstaat“ „KeineTräne für Buback“ „Kritik und Diskussionstatt deutscher Betroffenheits- und Opfer-diskurse“ „Wir Grüßen Das Kommando Ul-rike Meinhof vom 7.4.77 Keine BeugehaftFür Niemand“.

Sie zeugen auch davon, dass man seit 35

Jahren von Staats wegen die Propagan-dalüge von „apolitischer Kriminalität“ auf-rechterhält. Kriminalisiert und bestraft wer-

den so alle Verhaltensweisen, die direkt oder indirekt das System der Ausbeutung unddie Macht der Ausbeuter gefährden könn-ten.

Christians Rechtsanwalt Heinz-JürgenSchneider berichtete von der aktuellen Si-tuation. Derzeit kämpft Christian um dieGewährung der Hafterleichterungen, die er sich erst im April vorigen Jahres vor demLandgericht Karlsruhe siegreich erstritt.

 Wortwörtlich heißt es im Urteil aus Karls-ruhe: „Im vorliegenden Fall habe aber dieJustizvollzugsanstalt alle diese Umständeeingehend abgewogen und sei ursprünglichzu dem Ergebnis gelangt, dass die bean-tragten Lockerungen gewährt werden kön-nen. Die Versagung beruhe letztlich nur auf der fehlenden Zustimmung des Justizmini-steriums, wobei keinerlei Umstände be-kannt geworden oder geltend gemacht wor-den seien, die ein Abweichen von der ur-sprünglichen Planung rechtfertigen könn-ten.“

Justizminister Goll (FDP) hatte seinerzeitwohl schwer zu schlucken daran, gab da-mals eine Presseerklärung heraus, wonachdie Hafterleichterungen nur mit einem

Hilfsantrag zugesprochen wurden. Jetzt

Solidarische Grüße an dieDemonstration in Hamburg

am 22.3.08:Nur der Druck auf verschiedenen Ebenenwird letztlich etwas bewegen können, egal

ob in Bezug auf Beugehaft oder die Frei-lassung von Birgit und Christian. Allerdingsträgt die Unverbesserlichkeit der BAW wohldazu bei, dass viele Menschen erstmals oder wieder dazu Postion beziehen dafür, dassdie letzten RAF Gefangenen endlich frei-gelassen werden. In diesem Sinne drehenwir den Spieß um und nutzen die Öffent-lichkeit für unsere Forderungen:Freiheit sofort für Birgit und Christianohne Bedingungen!

Schluss mit der Beugehaftdrohung!Kriminell ist das System und nicht der Wi-derstand!F reiheit für alle!

Die folgende Grußbotschaft von der an-tifaschistischen Gefangenen Andrea Neff aus Berlin konnte auf der Demo für dieFreiheit der zwei Raf-Gefangenen und ge-gen die Beugehaft nicht verlesen werden,da die von ihr per Post verschickte Sen-dung 6 Tage dauerte.

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enthält der Minister Christian seine Voll-zugslockerungen mit der fadenscheinigenBegründung vor, wegen der möglichenBeugehaft steige die Fluchtgefahr (nach 26Jahren Knast!).

Es scheint allerdings, dass das einzige,was hier gebeugt wird, das Recht ist, mannennt diesen Vorgang kurz und prägnantRechtsbeugung. Während der Demo kam in diesem Zu-

sammenhang aus Teilnehmerkreisen das Wort vom Amtsmissbrauch auf.Die Linke war ebenfalls auf der Redner-

liste und geißelte in einer argumentativüberzeugenden Rede das derzeitige Verfah-ren als rechtswidrig. „Jede Geschichte lin-ker Bewegung und Aufbrüche wird umge-deutet und geleugnet, die politische und ge-sellschaftliche Relevanz linker Kämpfe vor allen Dingen der 60er und 70er Jahre weg-historisiert. Linke Perspektiven jenseits der kapitalistischen Realität sollen in dieser 

 Welt nicht mehr denkbar sein. Menschen,die sich trotzdem organisieren, um diesem

Normalzustand Widerstand entgegenzu-setzen, werden mit Repressionen überzo-gen, wie in den § 129a Verfahren des ver-gangenen Jahres“. Alle derzeit noch lau-fenden Ermittlungsverfahren im Zusam-menhang mit der seit zehn Jahren aufgelö-sten RAF sollten eingestellt werden.* Von der Roten Flora aus zog die bunte

Menschengruppe aller Altersklassen be-gleitet von lauter Musik aus den wum-mernden Lautsprechern auf dem Wagenrund zwei Stunden lang durch das Viertelan der Schanzenstraße. Aus den Häuserngab es zustimmende Beifallsbekundungen,die allgegenwärtigen Uniformierten hieltensich zurück, waren aber ständig präsent,selbst der Zebrastreifen an der Sternschan-ze wurde überwacht .

In der Abschlusskundgebung wurde dieunverzügliche Freilassung von ChristianKlar und Birgit Hogefeld gefordert.

Ein Protestschreiben an Minister Gollkann bei Die Linke Mönchengladbach un-ter Dokumente heruntergeladen werden. …

Katrin Wasilewski

* Da ich indirekt angesprochen werde – ichhielt für die LINKE eine Rede auf der De-monstration –, erlaube ich mir die An-merkung, dass die Berichterstatterin diemir hier angeführten Zitate fälschlich zu-schreibt. Ich habe schwerpunktmäßig mit der aktuellen Situation - der Entwicklungder BRD zu einer kriegführenden Macht,eine Entwicklung, in der der Ausnahme-zustand zunehmend zum „normalen“ Mittel des Regierens wird - zu erklärenversucht, warum staatliche Institutionenbis heute so versessen darauf sind, einer-seits den politischen Charakter der Aus-einandersetzung BRD – RAF zu bestrei-

ten, andererseits die Bekämpfung der  früheren RAF-Mitglieder über jedes Maßhinaus fortzusetzen, u.a. mit dem Mittelder Beugehaft.

Christiane Schneider 

Petition gegen über-lange HaftChristian S. sitzt wegen BarrikadenbausdreiJahre im Knast - eine frühere Untersu-chungshaft wurde ihm jedoch nicht ange-rechnet. Jetzt fordert eine Soligruppe Justiz-senatorin Gisela von der Aue auf, sich dafür einzusetzen

„Freiheit für Christian S.“ - diese Parole lasman in letzter Zeit häufig auf Transparenten.Unter dem Motto standen in der vergange-nen Woche auch Kundgebungen vor dem

 Amtssitz von Berlins Justizsenatorin und vor der Justizvollzugsanstalt Plötzensee.

Dort muss Christian S. seit Juni 2007 einedreijährige Haftstrafe wegen des Baus vonBarrikaden bei einer Demonstration gegen ei-nen Neonaziaufmarsch absitzen. Zuvor hat-te S. knapp elf Monate in Untersuchungshaft

  verbracht, nachdem ihn Zivilpolizisten be-schuldigt hatten, auf einer Antifademo inDresden eine Glasflasche in Richtung desrechten Aufmarsches geworfen zu haben. Inzweiter Instanz sprach das Landgericht S.aber am 21. September 2007 frei.

„Christian S. hat also elf Monate unschul-dig in Untersuchungshaft gesessen“, meintKerstin Jäger von der „Soligruppe ChristianS“. Sie fordert die Anrechnung der Untersu-chungshaft auf die Haftstrafe. „Normaler-weise steht einem zu Unrecht Inhaftierten ei-ne Entschädigung von elf Euro pro Tag zu.Deshalb ist eine Verrechnung der ohne Urteil

 verbüßten Haftzeit mit dem rechtskräftigenUrteil nur gerecht“, begründet Jäger gegenü-ber der taz eine Petition mit dieser Forderung,die kürzlich Justizsenatorin Gisela von der 

 Aue (SPD) zugegangen ist. Die Senatorin willnoch im März darüber entscheiden. Auch gegen den Vollzugsplan von Christi-

an S. hat seine Rechtsanwältin Maren Burk-hardt mittlerweile eine Klage eingereicht. Ihr Mandant werde dort als „spezieller Justiz-häftling“ bezeichnet. Diese Klassifizierungbedeute verschärfte Haftbedingungen. „Sowird seine Post häufig angehalten. Mehrmalswurde seine Zelle von der Polizei durch-sucht“, begründet Burkhardt gegenüber der taz die Klage. Der umstrittene Vollzugsplansei auch nach der Verlegung von S. von der JVA Tegel nach Plötzensee weiterhin gültig.Für diesen Umzug hatten sich Unterstütze-rInnen von Christian S. mit mehreren Kund-

gebungen eingesetzt, nachdem es in Inter-netforen hieß, S. werde „zumindest den Na-zis in Tegel ein gefundenes Fressen sein“.

Inzwischen hat sich Christian S. selbst zu Wort gemeldet. Zusammen mit drei weiteren

Gefangenen hat er sich in einem Aufruf für eine bessere Vernetzung zwischen Gefängni-sinsassen und für eine Antirepressionsbewe-gung ausgesprochen. Zu den Forderungengehört die Einschränkung der in Berlin be-sonders häufig angewandten U-Haft, diekonsequente Umsetzung der Regelung, dassHäftlinge nach der Verbüßung von zwei Drit-teln ihrer Strafe freikommen, und die Ver-hinderung von Knastneubauten.

Peter Nowak

Neues von Werner Braeuner Werner befindet sich einigen Monaten in ei-nem wie er schrieb „totalen und unausge-setztem Postannahmestreik“, was die Kom-munkaltion schwierig macht.

Er kämpft für die Verlegung/Verbleib auf eine andere Haftstation.

Die Anstalt hat ihm daraufhin den „Ein-kauf`“ bis Ende Februar untersagt. das heißtkonkret, dass er sich keine Schreibutensililen

und Briefmarken besorgen kann. Sein letzter Brief ist datiert vom 16.12.2007. In diesemteilt er mir mit:

„Ich werde da im Augenblick noch nichtszu sagen, allenfalls, dass es sich um Achtungeines verfassungsgarantierten Grundrechtssowie um die Beachtung der Hausordnungder JVA Sehnde von Seiten von Justizbe-diensteten handelt. ... So halte ich die Postan-nahmeverweigerung so lange aufrecht, bisdie Anstalt mir menschenwürdige Haftbe-dingungen zugesteht, mindestens Einkauf,damit ich Schreibwaren beschaffen kann.

Solltest Du längere Zeit nichts von mir hören, hab‘ ich entweder keine Schreibwarenoder bin kaputt gespritzt“.

  Aus dem Gefangenen Rundbrief „Mauer- fall“, der zu beziehen ist über:Michel Deutschewitz c/o SP.P. Dörrwiese.V., Postfach 1105 49454 MorbachDieser Rundbrief wird an über 50 Gefange-ne im In- und Ausland kostenlos verschickt.Gerne wird er auch an Interessierte„draußen“ gegen Rückporto versendet.

Solidarität ist eine Waffe! 

Unterstützt Natalja! Am Samstag, dem 9. Februar, wurde Na-talja während der Demonstration gegen die

  jährliche NATO-Sicherheitskonferenz inMünchen verhaftet. Ihr wird vorgeworfen,sich gewalttätig Polizeimassnahmen wi-dersetzt zu haben.

Gegen sie wurde ein Haftbefehl erlassenund sie befindet sich seit dem in Münchenhinter Gittern. Natalja wurde schon

während des G8-Gipfels im letzten Sommer in Deutschland verhaftet und zu zehn Mo-naten Haft verurteilt. Außerdem hat sie eindrittes Verfahren, da sie bei der letztjähri-gen Demonstration zum 1. Mai festgenom-

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„nicht leistungsfähig“ -> nicht normal“ -> „nicht lebenswert“ !

die herrschenden Verhältnissedie kapitalistischen Produktionsverhältnisse setzen die Norm

schreiben fest, was normal ist

wer von der Norm abweicht ist „nicht normal“ist „behindert“

ist „verrückt“ist „unnütze Esser_in“ist „nicht lebenswert“

„wer nicht arbeitet, nichts leistet, den anderen auf der Tasche liegt, soll auch nicht essen -das ist doch nur gerecht!“ – so die herrschende Ideologie

in diesem Sinne ist die eigentliche kulturelle Leistung eines Menschen die Anpassung an die Normum gesellschaftlich anerkannt zu seinum Karriere zu machenum zu den Eliten zu gehörenoder auch nur, um zu überleben

 Anpassung, die jede Individualität

jede Andersartigkeitjede Vielfaltjede Kreativitätja jede Abweichung von der Normalles, was den reibungslosen Fluss der Geschäfte stören könnte

als minderwertig denunziert - und vergessen lässt/verschwinden lässt„wo kämen wir auch hin, wenn jeder Mensch eine eigene Meinung hätte

und das täte, was er für richtig hält?“

wer die Anpassungsleistung nicht vollbringt - nicht vollbringen willoder nicht vollbringen kann

wird gesellschaftlich isoliertwird unsichtbar gemachtwird aussortiert

das, für das angebliche „Gesamtglück“ der Gesellschaft!

als normierte Soldat_in in institutionalisierten Kommandostrukturen:jeder Autonomie beraubt (Autonomie meint hier Selbstbestimmung und

Kollektivität oder auch Privat und Politisch als dialektisches Verhältnis)optimal nutzbar beliebig funktionalisierbar 

 flexibel und mobil einsetzbar pflegeleicht

 vorauseilend gehorsam und dankbar und alles „freiwillig“ und „selbstbestimmt!“

niemand sei für dieses Entwicklung verantwortlichder vermeintliche „Sachzwang“ anonymisiert Gewalt und Herrschaft

„der Freie Wille ist eine Illusion, ist bloße Ideologie!“stimmen neueste Ergebnisse aus der Gehirnforschung zu

„nicht der einzelne Mensch bestimmt sein Handeln, sondern ausschließlich das GesamtSystem –aussteigen/bewusst verändern ist nicht möglich!“ - Bestätigung aus der Systemtheorie

wenn „Freiheit“ und „Autonomie“ jetzt meinen: individuelle Fähigkeit und Bereitschaft, sich den gesellschaftlichenBedingungen optimal anpassen zu können

wenn proklamiert wird: „bei Orientierung ausschließlich am Profit wird der Nutzen für Alle am größten!“

was heißt dann „Emanzipation aus den herrschenden Verhältnissen?“ – wer? - wie? – und wohin?

Fritz Storim, 2005

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men wurde. So wie es aussieht, wird sie ei-ne längere Zeit im Knast verbringen müs-sen. Am 30. April wird sie ihren Prozess imMünchen haben.

Auszüge aus einem Brief, den sie aus demKnast heraus schrieb:Ich ging nach München, um an den Prote-sten gegen die Nato-Kriegs-Konferenz (of-fiziel Sicherheitskonferenz genannt), wel-

che jährlich im Februar stattfindet, teilzu-nehmen. Dies ist ein Treffen von politischenFührern, Militärrepräsentanten und Mit-gliedern der Militärlobby, welche alle der Einladung der Quandt-Stiftung folgen. DieQuandt-Familie ist der Hauptanteilseigner der BMW-Gesellschaft, welche Kraftfahr-zeuge, aber auch Militärausrüstung, wieFahrzeuge und Waffen, herstellt. (Die Wur-zeln für deren Wohlstand und Einfluss sinddie chemische Industrie - einschließlich die

 Ausbeutung von Gefangenen der Konzen-trationslager während des zweiten Welt-kriegs).

Trotz des „privaten“/„kommerziellen“Hintergrundes der Konferenz genießen dieMänner und Frauen „die Ehre“ des Statusals offizielle Gäste der BundesrepublikDeutschland. Die deutsche Armee (Bundes-wehr) ist verantwortlich für den Schau-platz…

[…]Zuallererst muss ich sagen, dass ich mich

für mein eigenes passives Verhalten schä-me: Ich bin konfrontiert mit einer künstli-chen Umgebung, die gebaut worden ist, umMenschen zu kontrollieren und sie zwingt,sich an eine Lebensweise anzupassen, dieeingefroren zu sein scheint. Das Gefängnisist eine komplizierte Struktur von Ein-schüchterung, Leere, Erniedrigung undDruck.

Ich lerne über die persönliche Situationund die Probleme der anderen Insassen underhalte ein Gefühl der Tragödien der so ge-nannten „illegalen MigrantInnen“, ein Ge-fühl dafür, was es bedeutet auf die Ab-schiebung hinter Gittern zu warten, dies ist,was viele Frauen hier tun, warten auf ihre

  Abschiebung, dabei sind sie isoliert undhilflos…

So ist meine Situation. - Und meine Re-aktion? Ich reagiere nicht. Ich agiere nicht.Ich bin nur - und bleibe ich selbst. Aber dieeinzige Sache, die ich mache, ist warten,auf das die Zeit abläuft, und versuchen dieSachen nicht zu nahe kommen zu lassen.

Für mich begann die Gefangenschaft miteiner Art Schock, der langsam verschwin-det. Er wird ersetzt durch einen Zustand der dauerhaften Betrübnis, die ist jedoch eher im Hintergrund und wird mit einer starkenSchicht Müdigkeit, Langeweile und Er-schöpfung bedeckt.

Im Augenblick bin ich in einer Zelle im

3. Stock und habe die Zelle für mich. Ichbin froh darüber. Allein zu sein für 22 Stun-den pro Tag, ist ein richtiges Problem. - Aber keine Zeit für sich selber zu haben, keinefünf Minuten für sich selber zu sein inner-

halb der Monate, wäre sogar ein größeresProblem für mich.

Der Tag fängt um 6 Uhr morgens an (um7 Uhr am Wochenende). Dann schalten dieSchließer das Licht an. (Es gibt keine Elek-trizität innerhalb der Zellen). Die Tür bleibt

 verschlossen, aber wir erhalten Heißwasser oder „Kaffee“ durch eine Öffnung in der Tür, die danach wieder geschlossen wird.Um viertel vor acht wird die Tür entriegelt

und die Gefangenen erhalten saubere Un-terwäsche. Wir müssen die benutzte Unter-wäsche zurückgeben…, also müssen wir ei-nen Bademantel für diese Prozedur tragen.

Zwischen viertel vor zehn und viertel vor elf können wir eine Stunde an der Luft ver-bringen. Der Hof ist in der Mitte des Ge-fängnisses, damit wir nur Wände und Git-ter und „ein Stück des Himmels“ und et-was grünen Gras und einen netten Baumsehen können. Unglücklicherweise müssenwir die ganze Zeit im Schatten gehen, weildas Sonnenlicht keinen Weg in den Hof fin-det. Ich denke, dass dies ein wenig wie ei-

ne Höhle ist.Gegen 11 Uhr erhält jede ihr Mittagessen.

Ich warte immer ungeduldig bis viertel nachdrei am Nachmittag, weil dann die Tür wie-der geöffnet ist - und bleibt für eine Stun-de lang geöffnet: du kannst zur „nächstenTür“ gehen und deine „NachbarInnen be-suchen“. Du hast die Zeit, den Mülleimer zuleeren oder um weiteres Toilettenpapier zubitten …

Gefangene können nichts selbstständigorganisieren. Wenn es etwas gibt, das or-ganisiert werden muss, oder wenn sie einwichtiges Anliegen haben, müssen sie einspezielles Formular ausfüllen. - Selbstver-ständlich müssen sie erst um dieses For-mular bitten … in unserem Fall ist die ein-zige Gelegenheit dazu in dieser Stunde,wenn die Zellen geöffnet sind.

Bevor unsere Türen nach 60 Minuten wie-der verschlossen werden, bekommen wir Kräutertee und Nahrungsmittel für das

 Abendbrot und das Frühstück am nächstenMorgen. Um 10 Uhr am Abend fängt dieNacht an und die Wächter schalten dasLicht aus.

Dreimal in der Woche dürfen wir duschen,

dies ist eine weitere Möglichkeit für kleineGespräche, weil wir vor dem Raum, in demdie Duschen sind, anstehen müssen. (AmSamstag und am Sonntag ist die Struktur des Tages zu der während des Restes der 

 Woche ein wenig unterschiedlich).Diese ziemlich abstrakte und formale Be-

schreibung ist selbstverständlich ober-flächlich, aber möglicherweise gibt sie ei-nen Eindruck …

Es ist schwer, etwas über soziales Lebenhier drinnen zu sagen im Allgemeinen. Die„Gemeinschaft“ der eingesperrten Frauenist voll von Kontrasten und Widersprüchen

und jede der Insassen erfährt die Sozial-struktur auf ihre Weise - abhängig von der   jeweiligen einzelnen Situation und Per-spektive.

Es gibt eine Art starke Solidarität unter 

den Frauen, sowie Mobbing. Es gibt takti-sche Bündnisse sowie reale Freundschaft.Jede ist auf gewisse Weise einsam. Fast al-le Frauen verstecken die meisten ihrer Ge-fühle - und sehnen sich danach, verstan-den zu werden. Es gibt eine Menge Sozial-druck, Vortäuschen, stark zu sein und Ge-fühle für sich selbst zu behalten; niemandmöchte an ihre eigene tiefe Traurigkeit er-innert werden und ihre eigene Sorgen (z.B.

über ihre Kinder, die jetzt von ihrer Mutter getrennt werden). Aber dies alles bedeutetNICHT, auf Abstand (zu) bleiben zueinan-der. Die Frauen geben sich gegenseitig viel

 Wärme, Sympathie, Mitgefühl und Ermu-tigung. Wie außerhalb der Gefängnismau-ern sind materielle Bedürfnisse und Hierar-chien basierend auf unterschiedlichen„Wohlstand“ wichtige Faktoren.

Und letztendlich sehnt sich jede nach je-der interessanten Sache, irgendwelcheNachrichten oder eine Person, die ver-spricht, ein Spritzer Farbe im Grau des All-tagslebens hinter Gittern zu sein.

[…] ABC Berlin

Schreibt Natalja:Justizvollzuganstalt MünchenFrauenanstaltNatalja Liebich

 Am Neudeck 1081541 MünchenDeutschland

Durchsuchungen beider ISKU

 Am Morgen des 13. März 2008 drangen Po-lizeibeamte in die Büroräume der Informa-tionsstelle Kurdistan e.V. in Hamburg so-wie in eine Privatwohnung in Berlin ein.Hintergrund der Aktion ist die Verfolgungder kurdischen Freiheitsbewegung und ih-rer UnterstützerInnen, die seit dem vom da-maligen Innenminister Manfred Kanther 1993 erlassenen „PKK-Verbot“ u.a. mit Hil-

fe des Vereinsgesetzes durchgeführt wird.Das Amtsgericht Hamburg in Person vonRichter Dr. Szebrowski verdächtigt „unbe-kannte Täter“, gegen das Vereinsgesetz ver-stoßen zu haben, in dem auf den Websei-ten www.nadir.org/nadir/initiativ/isku„positiv über die ,kurdische Freiheitsbewe-gung‘ berichtet“ wird. Als Beleg dafür wirdim Durchsuchungsbeschluss genannt, dassauf den „tatgegenständlichen Internetsei-ten“ Bildnisse von Abdullah Öcalan, Em-bleme der kurdischen Organisationen KA-DEK und Kongra-Gel, das Parteistatut desKongra-Gel sowie der Aufruf, die Klage ge-

gen die Aufnahme des Kongra-Gel auf die„EU-Terrorliste“ zu unterstützen, zu findenseien. Auch die Veröffentlichung einer Un-terschriftenliste mit dem Titel „Kurden for-dern Gerechtigkeit, PKK von der Terrorliste

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streichen!“ dient laut Richter Szebrowskidazu, den Kongra-Gel „als friedlich und de-mokratisch (anzupreisen)“ und sei strafbar als Vergehen „gemäß §20 Abs.1 Ziffer 4, 18Satz 2 Vereinsgesetz“.

Die Durchsuchungen dauerten ca. vier Stunden. In Berlin wurden dabei Compu-ter, sämtliche Datenträger sowie schriftli-che Unterlagen beschlagnahmt. Im Ham-burger Büro kopierten die Beamten die Fest-

platten der dortigen Computer.ÊDÎ BES E - Es Reicht - Enough is Enough- Ya BastaISKU – Informationsstelle Kurdistan e.V.

Kapitalismus imKnast

 Auch in den Strafvollzugsanstalten regiertder Kapitalismus. Ein eindrückliches Beispielbietet die Firma Massak Logistik GmbH aus

dem bayrischen Litzendorf (www.massak.de).

Seit Dezember 2007 ist diese Firma zu-ständig für die Versorgung der Gefangenenmit Lebens-/Genuss- und Körperpflegemit-teln.

Zwei Mal pro Monat können die Inhaf-tierten der JVA Bruchsal aus einer Warenli-ste von Massak Produkte auswählen. Die Be-stellscheine werden der Firma von der An-stalt zugeleitet und fünf Tage später erhält

 jeder Insasse seine bestellten Waren.Bis November letzten Jahres wurden die

Gefangenen von der Firma REWE versorgt,und als die Umstellung auf Massak ruchbar wurde, gab es schon Besorgnis über eventu-ell steigende Preise. Sagen wir es so: Dieschlimmsten Befürchtungen wurden über-

troffen!Laut dem Leiter der Wirtschaftsverwaltung

der JVA Bruchsal, Herrn Holländer, habe dieFirma Massak uns Angebote und Preise inEDEKA-üblicher Höhe zu berechnen. Nunzählt EDEKA schon zu den teureren Han-delsketten (im Vergleich beispielsweise zuREWE), aber Massak ist von Hause aus EDE-KA-Händler.

Schön wäre es, wenn wir „nur“ die EDE-

KA-Preise zahlen müssten. Der Geschäfts-führer von Massak Logistik GmbH, Herr Wer-ner Massak, schlägt je nach Produkt gerneauch mal 50% auf.

Bot EDEKA in der 8. Kalenderwoche z.B.Dusch-Das für 99 Cent an, knöpfte er uns1,49 Euro ab. Ähnliche Preisaufschläge ver-zeichnen wir für Kaffee (wir zahlen 5,29 Eu-ro für 500 gr Jacobs Krönung, bei EDEKA ister für unter 4,00 Euro zu haben; für „Krü-ger-Family-Latte-Macchiato“ verlangte man„draußen“ 2,22 Euro, hier von uns Gefange-nen 3,29 Euro - ein Aufschlag von 70 %),Süßigkeiten, Schreibwarenartikel, Nudeln,

Dosengemüse, und so weiter und so weiter.Dabei prahlt Werner Massak noch, wie ge-

ring seine Personalkosten wären, denn sei-nen Mitarbeitern, welche von Bamberg zweiMal pro Monat nach Bruchsal mit dem LKWfahren, um hier die Waren an die Insassenzu verteilen, zahle er für die lange Fahrtzeitkeinen müden Euro. Nur für die Zeit in der JVA würde sein Personal von ihm auch ent-lohnt.

Da fragt man sich als Gefangener doppelt,wieso er uns dann solche Preise berechnet,denn er zahlt keine Miete für Verkaufsfläche,

 Werbung macht er auch keine, es entstehenkeine Kosten für die Beleuchtung von Ge-schäftsräumen der „Filiale“ JVA Bruchsal.

Sprich, Kosten die für eine normale Filia-le anfallen, hat er nicht.

  Viele Gefangene sprechen schondeutlich von „Wucher“ und „Aus-beutung der Zwangslage“, denn wir Gefangenen dürfen unsere Sachenausschließlich bei Massak kaufen. Er hat also eine klassische Monopol-stellung inne.

Es bleibt abzuwarten, wie (Zi- vil)Gerichte die Sache sehen werden,

denn mehrere Gefangene beabsich-tigen, Werner Massak, bzw. seine Fir-ma zu verklagen. Auch werdenStrafanzeigen (u.a. wegen Wuchers)erwogen und die Einschaltung des

 Wirtschaftskontrolldienstes.Bemerkenswert finde ich, bei aller 

Berechtigung der Empörung der Ge-fangenen, dass die Preisgestaltungdieses Kapitalisten mehr Erregungund Unruhe provoziert als die Ver-weigerung von vorzeitiger Entlas-sung auf Bewährung oder die Vor-enthaltung von Vollzugslockerun-

gen.Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z.3113, Schönbornstr. 32, D-76646Bruchsal.www.freedom-for-thomas.deKarikatur: Günter Finneisen

Das Land der langenLebenslüge: Die neu-seeländischen Terror-Razzien

 Am 15. Oktober 2007 führte die neuseelän-

dische Polizei eine beispiellose Reihe lan-desweiter Razzien in 60 verschiedenen Häu-sern durch und verhaftete 17 indigene undanarchistische AktivistInnen. Die Verhaftun-gen basierten auf Überwachungs- und Ab-hörmaßnahmen, die unter dem TerrorismSuppression Act (Anti Terrorismus-Gesetz)erlassen wurden. Dies war das erste Mal, dassdieses Gesetz angewendet wurde, das un-mittelbar nach den Ereignissen vom 11. Sep-tember 2001 erlassen wurde und sich direktdarauf bezieht.

Die Razzien fanden ab 5 Uhr früh am Mon-tag Morgen statt. Um 5.45 Uhr klopfte die

Polizei an meine Tür. Dann brachen sie dieTür fast ein. Als ich öffnete, kamen 15 Poli-zistInnen hereingestürmt und wedelten miteinem 80-seitigen Durchsuchungsbeschluss.

 Als ich sagte, dass der Beschluss nicht un-terschrieben sei, antwortete der Kommissar:„Hier, hier ist die unterschriebene Kopie.“Dann machten sie sich über mein Zimmer her, rupften die Pflanzen aus ihren Töpfen,entfernten die Rückwand meines Kühl-schranks und nahmen eine lange Liste vonDokumenten, Fotos, elektronischem Gerätund Klamotten mit. Zum Schluss nahmen siemich fest wegen Beteiligung an einer terro-ristischen Vereinigung.

Die Razzien kamen völlig überraschend für mich, für Neuseeland und für den Rest der 

 Welt, soweit diese solche Ereignisse verfolgt.Neuseeland, auch als Aotearoa - das ,Landder langen weißen Wolke‘ in der Sprache der Maori - hat den Ruf von sozialen Verhält-nissen, einer fortschrittlichen Regierung undeinem beneidenswerten Prozess zur Klärung

 von Ansprüchen, die sich aus Verletzungendes Vertrags von Waitangi ergeben. Der Ver-trag wurde 1840 zwischen etwa 500 Stam-mesoberhäuptern der Maori und der briti-

schen Krone geschlossen. Was in Wirklichkeit in Aotearoa hinter denKulissen der cleveren ,clean, green, 100% pu-re‘-Vermarktungs-Kampagne der Regierungpassiert, ist etwas anderes, als diese uns weis-machen will.  Am Tag der Verhaftungen fand ein

Schlachtfest der Medien statt, als die Polizeibruchstückhaft Teile des Beweismaterialsdurchsickern ließ, die von Napalm-Bomben,

  Anschlagsplänen auf PremierministerinHelen Clark und Präsident George Bush und,IRA-ähnlichen Kriegsplänen‘ handelten. Die17 Verhafteten wurden in vier verschiedenen

Orten dem Haftrichter vorgeführt. Einer wur-de sofort entlassen, die anderen wurden inUntersuchungshaft genommen, da dieStaatsanwaltschaft Einspruch gegen Haft-

 verschonung eingelegt hatte.

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 Wir wurden zu einer Bedrohung der ,na-tionalen Sicherheit‘ erklärt. In dem Dunst-kreis von Terrorismus-Hysterie und gehei-men Beweisen hatten Anträge auf Haftver-schonung keine Chance.

Die neuseeländische Regierung hat alle von Bush im Anschluss an 9/11 gestellten Anforderung zum Thema Terrorismus erfüllt.Gleichzeitig wurden alle brutalen Taktikender US-Regierung importiert - Repression,

Überwachungstechnologie und Polizei, diehyper-paranoid auf politische Aktivitätenreagiert, besonders, wenn diese von indige-nen AktivistInnen ausgeht, die es wagen, vonBestrebungen nach Souveränität zu spre-chen.

Unter den 17 Verhafteten vom 15. Okto-ber waren 12 Maori, davon viele vom Stammder Tuhoe. Tuhoe haben eine lange Ge-schichte des Widerstands gegen Koloniali-sierung. Sie haben nie den Vertrag von Wai-tangi unterschrieben. Es gibt eine Geschich-te, die besagt, dass einem Regierungsvertre-ter davon abgeraten wurde, zu den Tuhoe zu

gehen, um den Vertrag unterschreiben zu las-sen, weil er sonst womöglich aufgegessenwürde. Heutzutage haben Tuhoe den höch-sten Anteil an Menschen, die von klein auf Maori sprechen, und haben eine starke kul-turelle Identität, die verbunden ist mit demGebiet, das sie ,Te Urewera‘ nennen - dasLand des Nebels. Es gibt ungefähr 20 000Menschen, die sich zu den Tuho zählen und

 viele davon leben immer noch in relativ iso-lierten Gemeinden im Urewera-Gebiet.

Die Razzien und Verhaftungen waren dasResultat einer zweijährigen, 8 MillionenDollar teuren Operation, die ,Operation Eight‘genannt wird. An den Razzien waren etwa300 PolizistInnen beteiligt. Die meisten wus-sten nicht viel von den Ermittlungen oder den Verdächtigen und es scheint, dass kei-ner die Geschichte der Politik der verbrann-ten Erde, von Mord und Landraub kannte,die den heftigen Widerstand der Tuhoe vor über hundert Jahren hervorgerufen haben.

Die Staatsgewalt hat eine Art, bequemer-weise Dinge zu vergessen, die nicht in ihreDarstellung der Welt passen. Dies war aucham 15. Oktober der Fall. In einer spekta-kulären Vorführung sind schwerbewaffnete

und vermummte PolizistInnen - das so ge-nannte ,armed offenders squad‘ - in die klei-ne Ortschaft Ruatoki eingefallen und habenden gesamten Ort abgeriegelt. In ihrer Suchenach Terroristen und Beweismaterial habensie alle Fahrzeuge angehalten und die Insas-sen fotografiert. Bei den Hausdurchsuchun-gen wurden viele Menschen traumatisiert,z.B. wurden eine Frau und fünf Kinder sechsStunden lang in einem Schuppen einge-sperrt, während der Vater vernommen wur-de, die Unterwäsche einer Frau wurde als Be-weismaterial beschlagnahmt und ein Schul-bus wurde gestürmt.

Bei einer Durchsuchung in Süd-Aucklandwurde eine ganze Familie, einschließlich ei-nes 12-jährigen Mädchens, gezwungen, sichhinzuknien mit den Händen hinter dem Kopf und so fünf Stunden lang zu verharren. So

sieht das Muster für Hausdurchsuchungen in

Maori-Gemeinden aus.Die Situation für die nicht-indigenen Ver-

hafteten (die im Weiteren als Pakeha, alsoweiße Neuseeländer, bezeichnet werden) war wesentlich anders. Mir wurden nicht einmalHandschellen angelegt, als ich zum Polizei-wagen geführt wurde. Keine weißen Stadt-teile wurden abgeriegelt und keine weißenNachbarn wurden angehalten und fotogra-fiert, als sie den Morgen zur Arbeit gingen.So etwas geschieht nur mit Maori.

Der institutionelle Rassismus der Polizeiund des Justizapparats hat die Maori nichtweiter überrascht, und besonders nicht dieTuhoe, die unter den seinen Willkürakten seit160 Jahren leiden. Für die Pakeha hingegenwar es ein Weckruf. Leider haben die mei-sten es weniger als Rassismus begriffen, son-dern als Ausweitung der staatlichen Machtgegenüber politischen Dissidenten. Ich sageleider, weil klar aus den 10.000 Seiten Be-weismaterial, die ich bisher gesehen habe,hervorgeht, dass es die Unabhängigkeit der Maori ist, die der Staat fürchtet. Es ist die po-litische Kraft der vereinigten Indigenität, vor der sich die herrschende Klasse ängstigt.

Für Maori in Aotearoa Neuseeland sind der 

,Krieg gegen den Terror‘ und diese Razzienein Teil einer langen Geschichte der Koloni-alisierung, die nicht vergessen ist.

In den 1860ern wurde der ,Suppression of Rebellion Act‘ verabschiedet, dessen Formu-lierungen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit

dem Terrorism Suppression Act von 2002aufweisen. Dieses ältere Gesetz wurde vom

 jungen neuseeländischem Staat benutzt, umeine Serie von bösartigen Angriffen auf Ma-ori-Gemeinden auszuführen, um Land für Siedlungen zu beschlagnahmen. Gruppen

 von Menschen und ganze Stämme wurdenzu Aufständischen erklärt, so dass der Staateine ganze Reihe von ausbeuterischen undrepressiven Maßnahmen gegen sie einleiten

konnte.Ich bin der Überzeugung, dass ich verhaf-tet wurde, um die rassistische Natur der Po-lizeioperation zu verschleiern.

Durch die Verhaftung einiger Pakeha-Ak-tivistInnen konnte die Regierung den Vor-wurf entschärfen, dass es sich um eine ge-zielte Aktion gegen Maori handelte. Ich wur-de auch deshalb verhaftet, weil ich mit denMaori-Angeklagten bekannt bin und weilich, als Anarchistin, der Regierung genügendProbleme und Peinlichkeiten beschert habe,dass sie mich gerne kaltstellen möchten. ImJuni letzten Jahres habe ich ein Buch über 

die Beteiligung der neuseeländischen Regie-rung am ‘Krieg gegen den Terror’ veröffent-licht. Darin behaupte ich, dass sowohl poli-tische Dissidenten, als auch Maori das Zieldiese Krieges seien, zusammen mit Flücht-lingen und MigrantInnen. Es hat mir ein Ge-fühl von bizarrer Ironie und grausiger Ge-nugtuung bereitet, in meiner Zelle zu sitzenund mir dazu zu gratulieren, dass ich Rechthatte.

Es ist klar, dass in einem Land mit 4 Mil-lionen EinwohnerInnen jeder jeden kennt. Esgibt mit Sicherheit Verbindungen zwischen

 AnarchistInnen, Umwelt-, Anti-Kriegs- undindigenen AktivistInnen: die meisten kennensich und arbeiten regelmässig zusammen.Mensch müsste in einem Zustand völliger Il-lusionen leben, um nicht zu erkennen, wiediese Themen miteinander verbunden sind,besonders in Neuseeland, wo die Auswir-kungen der neoliberalen Strukturanpassun-gen der 80er Jahre jeden Tag zu spüren sind.

Das neuseeländische Parlament ist nachdem Vorbild der Westminster-Demokratiegestaltet, es gilt aber das Verhältniswahl-recht. Zur Zeit regiert die Labour Partei miteiner delikaten Balance aus Abkommen -

teils formal, teils informal - mit anderen,kleineren Parteien.Genau wie die Britische Labour Partei, hat

auch die neuseeländische längst jegliche  Ähnlichkeit mit einer Partei der Arbeiter-klasse abgelegt und hat die neoliberale Wirt-schaftsordnung mit offenen Armen über-nommen. Dies hat besonders Maori betrof-fen, die im Allgemeinen die allgegenwärtigeKommodifizierung, insbesondere der Floraund Fauna, des Landes und des geistigen Ei-gentums, ablehnen. Trotzdem haben vieleMaori bis vor Kurzem die Labour Partei un-terstützt und alle Maori-Sitze im Parlament

wurden von Labour besetzt.Im Jahre 2004 hat die Regierung das ,Sea-bed and Foreshore‘-Gesetz verabschiedet,wodurch den Maori die Nutzungsrechte amLand zwischen Niedrig- und Hochwasser-

Protestaktionen

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marke sowie am Meeresboden genommenwurden. Obwohl das Gesetz internationalenRegelungen widerspricht und trotz einer Ver-urteilung durch die UN wurde das Gesetz na-hezu einstimmig im Parlament verabschie-det. Seit dem findet sich in den Büchern desFinanzministeriums ein Eintrag für dieseneuen Vermögenswerte. Diese groteske Kon-fiszierung wurde von vielen Maori alsKriegserklärung verstanden. Es entstand ein

Bruch in der Labour Partei, als dessen Re-sultat die Maori Partei entstand, die jetzt ei-ne ernsthafte Bedrohung für den Erhalt der Maori-Sitze für Labour und insgesamt für den Machterhalt der Labour Partei darstellt.

Valerie Morse

Neuste Informationen Am 5. März 2008 erschienen alle Angeklag-ten, die nach 4-wöchigem Knastaufenthaltin Oktober/November alle wieder auf freiemFuß sind, im ‘District Court’ in Auckland. Ei-nige Siege konnten verbucht werden.

Die Freilassungsbedingungen (Kaution)

wurden neu verhandelt. Zwei Aktivisten hat-ten seit der Haftentlassung im November ei-ne nächtliche Ausgangssperre. Diese wurdeam 5. März fallen gelassen. Ein Aktivist hat

  jedoch immer noch eine Ausgangssperre.Neu müssen sich alle Angeklagten nur nocheinmal die Woche bei der Polizei melden (undnicht mehr zwei mal). Eine weitere Bedin-gung besagt, dass die Angeklagten nicht mit-einander kommunizieren können. Das ist für die kleine indigene Gemeinde Ruatoki undfür die anarchistischen Gruppen in Welling-ton ein logistischer Albtraum. Valerie undUrs, zwei der angeklagten Anarchisten aus

 Wellington, dürfen sich nun aber wieder tref-fen dank Eigeninitiative vor dem Richter. Einklarer Sieg und ein wichtiger Schritt, um end-lich alle Freilassungsbedingungen vom Halszu bekommen.

Der Vorprozess wird nun im September in  Auckland statt finden. Die Staatsanwalt-schaft muss dann beweisen, dass sie genü-gend Beweismaterial für einen eigentlichenProzess hat. Auch wurde von Annette Sykes,

 Anwältin für Tame Iti, verlangt, dass alleüberwachten Gespräche, die in Te Reo Mao-ri (die Sprache der indigenen Bevölkerung)

geführt wurden, auch auf Englisch übersetztwerden. Als Teil dieses Antrages erklärte dieStaatsanwaltschaft, dass keine überwachtenGespräche als Beweismaterial gebrauchtwerden. Die Polizei überwachte Dutzende Te-lefone, und auch Autos und Häuser waren,und sind wohl immer noch, verwanzt. Da dieÜberwachung durch das Anti-TerrorismusGesetzt ermöglicht wurde, können diese Ge-spräche gar nicht für die Anklage wegen

 Waffenbesitz als Beweismaterial vorgeführtwerden.

Die Angeklagten müssen am 18. April, demnächsten eintägigen Gerichtstermin, nicht

erscheinen. Der nächste Gerichtstermin für alle ist der 1. September. Genügend Zeit al-so, um Geld für die Kampagne zu fundrai-sen.http://www.october15thsolidarity.info/de/ 

Gruß an die Gruppe ,October15 Solidarity‘ in Aotearoa(Neuseeland)

Liebe Freund_innen,liebe Genoss_innen,

wir (www.MAUS-Bremen.de) haben vonden politischen Angriffen gegen euch er-

fahren und wir versuchen, die Situation in Aotearoa und speziell eure Situation auf-merksam zu verfolgen. Wir haben uns über eure Grußbotschaft

für die Demonstration gegen Repressionund gegen den kapitalistischen Normal-zustand am 15.12.07 in Hamburg sehr ge-freut und sie wurde auf der Auftaktkund-gebung vorgetragen und wurde dort mitsolidarischem Beifall aufgenommen. Wir selbst sind Mitarbeiter_innen eines

freien Instituts, die von staatlicher Re-pression in den letzten Jahren mehrfachbetroffen waren. Sei es im Rahmen des Wi-

derstandes gegen Atommülltransporteund gegen Atomenergieproduktion oder zuletzt im Rahmen des Widerstandes ge-gen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Sowurden am 09.05.07 auch unsere Ge-schäftsräume und die Wohnräume einesMitarbeiters durchsucht und diverse Ma-terialien beschlagnahmt und erst vor we-nigen Tagen, nach über 10 Monaten, wie-der herausgegeben. Der $129a-Vorwurf (terroristische Vereinigung) wurde inzwi-schen zwar fallen gelassen, das Verfahrenwird aber auf anderer Ebene weitergeführt. Wir stimmen mit euch überein, dass sich

diese Repression in Aotearoa oder in der BRD nicht isoliert verstehen lässt. Es sol-len weltweit Bedingungen geschaffen wer-den, um die Neoliberalisierung der gesell-schaftlichen Verhältnisse und die kapita-listische Globalisierung möglichst unge-stört vollstrecken zu können. Dazu wird versucht, jede emanzipatorische Idee undPraxis in Richtung Selbstbestimmung, Au-tonomie, Solidarität und Befreiung zu un-terdrücken, Kommunikation zu zerstören,die Überwachung und Kontrolle aller Men-schen zu perfektionieren und damit die

 Vereinzelung der Menschen voranzutrei-ben.Der Terrorismusvorwurf ist da ein publi-

kumswirksames Argument. In diesemKontext sehen wir auch die Repression ge-gen euch und euren Widerstand.

Dieser Entwicklung sollten wir durchglobale Solidarität aller Unterdrücktenund Ausgebeuteten dieser Welt entgegen-treten. Und so sind wir sehr erfreut, dasses erste Kontakte in diese Richtung zwi-schen uns gibt. Wir grüßen euch und umarmen euch in

Solidarität und wünschen euch viel Kraft,

die Mitarbeiter_innen der Meßstelle für  Arbeits- und UmweltSchutz Bremenwww.MAUS-Bremen.deBremen, 06.03.08

Mörderische Knast-bedingungenChristodoulos Xiros wurde am vergangenenMontag (17.3.) zum wiederholten Male mitSymptomen eines allergischen Schocks insKrankenhaus eingeliefert.

Sein Bruder und Mitgefangener Vassilis Xiroshatte den im Prozess gegen mutmaßliche Mit-glieder der griechischen Stadtguerilla 17N zu6 Mal lebenslang Verurteilten am SonntagNachmittag ohnmächtig auf dem Flur ge-funden. Der Gefängnisarzt stellte extremniedrigen Blutdruck, schwere Atembe-schwerden, eine Unterversorgung mit Sauer-stoff und Schwellungen am ganzen Körper des Gefangenen fest.

Der bis zu seiner Festnahme im Sommer 2002 kerngesunde Christodoulos Xiros hatunter den Bedingungen der nun schon mehr als fünf Jahre dauernden Kleingruppenisola-

tion im unterirdischen Hochsicherheitstrakteine bisher unerklärte Allergie entwickelt, dieihn bereits 5 Mal in die lebensgefährliche Si-tuation eines akuten allergischen Schocks ge-bracht hat. Eine angemessene ärztliche Be-handlung wird dem Gefangenen jedoch ver-weigert. Schon am Dienstag, nach Behand-lung der akuten Symptome, wurde Christo-doulos wieder zurück ins Gefängnis gebracht.

 Auch sein Antrag auf Aussetzung der Ge-fängnisstrafe zur Behandlung in einem Kran-kenhaus wurde bisher nicht bearbeitet. Andere politische Gefangene leiden eben-

falls unter durch die langjährige Isolations-haft erst im Gefängnis entwickelten Krank-heiten. Der im November 2006 nach Absit-zen der Mindeststrafe entlassene DionysisGeorgiadis leidet unter ähnlichen Sympto-men wie Christodoulos. Zwei weitere Gefan-gene wurden aus dem Gefängnis entlassen,nachdem sie einen Schlaganfall erlitten hat-ten.

Der zu fünfmal lebenslang Verurteilte Sa- vvas Xiros hat durch fehlende ärztliche Be-handlung im Gefängnis bereits den größtenTeil des wenigen ihm noch verbleibenden Au-genlichts verloren. Der griechische Stadtgue-rillero war im Sommer 2002 nach der vor-zeitigen Explosion einer Bombe schwerver-letzt von der Polizei aufgegriffen und nochauf der Intensivstation eines Krankenhauses

  von Spezialisten verhört worden. (1) Auchseine Anträge auf Aussetzung der Strafe zur Behandlung in einem Krankenhaus wurdenbisher abgelehnt.

Rechtsanwälte der Verurteilten beschuldi-gen das griechische Justizministerium, dieGefangenen durch die von keinem griechi-schen Gesetz gedeckte langjährige Klein-gruppenisolation und die fehlende notwen-dige ärztliche Fürsorge bewusst einer Be-

handlung auszusetzen, „die man nicht an-ders als als Folter bezeichnen kann“. HeikeSchrader, Athen

(1): Savvas Xiros hat seine „Erlebnisse“

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auf der Intensivstation in einem Buch fest-gehalten, dass seit Dezember 2007 auch auf deutsch vorliegt: Savvas Xiros: Guantána-mo auf griechisch - Zeitgenössische Folter im Rechtsstaat. Übersetzt von Heike Schra-der. Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 2007,129 Seiten, 13,90 Euro

18.3. Internationaler Tag des revo- lutionären Gefangenen – Erklärung der italienischen GenossInnen der PC p-m 

Der Kampf gegen die Iso-lation liegt in der Linieder Auseinandersetzung

 zwischen den Klassen

12. Februar 2008: Ein Jahr nach unserer Ver-

haftung sind zwei von uns weiterhin dem Iso-lationsregime unterworfen. Gerade unsere in-nere Zugehörigkeit zu den Kampfbewegun-gen und zur internationalistischen Praxis hatdazu geführt, dass wir das ganze Gewicht die-ser Waffe der Repression, vor allem in denGefängnissystemen der imperialistischen De-mokratien, kennen gelernt haben. Es ist eineForm der „weißen“ und „sauberen Folter“, diegeringe politische „Kosten“ verursacht unddarum systematisch gegen den „innerenFeind“ angewendet wird, mit dem Ziel, des-sen Widerstand anzugreifen, ihn zu brechenund zur Kapitulation zu bringen. Dieses Sy-stem ist dermaßen erprobt, dass es im „Bau-kasten“ von der imperialistischen angebli-chen „Demokratie“ exportiert wird: Vasal-lenstaaten wie die Türkei fanden es politisch

  vorteilhaft, diese „demokratischen“ Metho-den der Gefangenschaft zu importieren. Of-fensichtlich können die Resultate ein bluti-ges Folterregime wie die Türkei nicht enttäu-schen.

In der Einführung der auf die Isolations-methode fokussierten Sondergefängnisse istdie Türkei der bedeutendste Fall, als spezifi-sche Etappe im Krieg gegen eine der stärk-sten revolutionären Bewegungen im gesam-ten europäischen Mittelmeerraum. Darumhat, richtigerweise, dieser Kampf um die tür-kischen Gefängnisse in diesen Jahren einegroße internationale Solidarität erfahren: we-he einer internationalen revolutionären Be-wegung, die nicht mehr imstande ist, ihrefortgeschrittensten Teile zu unterstützen,nämlich die Organisationen und Parteien,welche die Fahne der Revolution hochhaltenund dazu die höchsten Opfer erbringen. Sohaben auch wir, die am 12.02.08 verhaftetenitalienische Militanten, an den internationa-len Dezembertagen (von der Plattform und

  vom Symposium angesagt) durch einenfünftägigen Streik teilgenommen: und alsspezifisch gegen unsere eigene Isolierung ge-richteten Kampf. Diesen Kampf haben wir 

 jetzt, im Februar, durch zwei Wochen Streik

wieder aufgenommen. Natürlich erwartetenwir keine sofortigen Ergebnisse, unser Zweckwar eher, die Lage breit bekannt zu machen.Und das ist uns in der Konvergenz verschie-dener äußerer Mobilisierungs- und Informa-tionsinitiativen gelungen. Wichtig ist, dassdie Klassenbewegung die Tragweit und Be-deutung dieser Widerstandslinie in den Ge-fängnissen begreift; und sie sich aneignet!

Die soziale Krise in Italien verschärft seit

einigen Monaten. Das internationale Finan-zerdbeben überlagert sich anderen vorher be-stehenden Elementen: die Rezession steht vor der Türe, und das besonders in der Form der „Stagflation“ (Stagnierung und Inflation). InItalien wird das Ganze durch eine tiefe undtransversale soziale Krise vermehrt: vomkrassen Wertverlust der Löhne (seit etwa 6-7Jahren) bis zur Fäulnis des Prekariats; von der 

  Verschärfung der Ausbeutungsverhältnisse(mit Folgen für die Anzahl der Arbeitstoten)bis zu den Umweltkatastrophen, wovon die

 Abfallberge trauriges Symbol der wachsen-den Barbarisierung in den gesellschaftlichen

 Verhältnissen sind, was auch für das Polizei-und Sicherheitsdelirium gilt, das gegen die

  verletzlichsten Sektoren des immigriertenProletariats von der Leine gelassen wird. Alle Länder und geopolitische Zonen erle-

ben die Verschärfung der kapitalistischen Kri-se auf ihre Art, in spezifischen Formen. Folg-lich ist es Italien nicht schlimmer als anders-wo, aber wahrscheinlich ist hier ihre Tiefe undIntensität bedeutend. Es scheint uns, dass esauch im deutschen Raum schon lange starkknarrt und ächzt, und dort stellen wir, unter anderem, Kämpfe unbekannter Radikalitätund absolut interessante fest - die Eisen-bahnstreiks, Telekom, in einigen Industrien,wie auch die riesige Mobilisierung 2007 ge-gen den G8-Gipfel stellen einen guten Qua-litätssprung dar.

Natürlich bleiben die großen Fragen beste-hen und müssen gelöst werden. Warumkämpfen? Um wohin zu gehen? Um was zutun?

Und, ohne die vielen vielerorts stattfinden-den Anstrengungen geringschätzen zu wol-len, ist jedenfalls klar, dass hier, „im Baucheder Bestie“, in den pulsierenden Organen desinternationalen imperialistischen Systems,die revolutionäre Bewegung noch im Rück-stand, noch nicht imstande ist, ihren Weg zufinden. Es sind verschiedene Faktoren, die indiesem Sinne ihr Gewicht haben. Es sind eher historische. Faktoren großer Reichweite, wel-che die revolutionären Möglichkeiten inner-halb der wirtschaftlich-sozialen Formierun-gen des imperialistischen Zentrums begrenztund gebremst haben.

Der große Bruch, der in den 70er Jahren vollzogen wurde, hat die Partie endlich wie-dereröffnet, aber es war sozusagen bloß die

  Ansage, der tosende und vorübergehende„coup d’éclat“… es war ein Vorwort.

 Alle Revolutionen in der Geschichte, allerevolutionären Zyklen sind am Zusammen-fluss von „zwei großen Strömen“ angesiedelt:die Notwendigkeit und die Möglichkeit.

Das heißt, sie sind in jenen großen ge-

schichtlichen Phasen angesiedelt, in denenoffensichtlich und für beide im Kampfe ge-geneinander stehenden Klassen es „nichtmehr möglich ist, so zu leben wie zuvor“, indenen ein großer Umbruch notwendig ist.

Und gleichzeitig zeichnen sich Möglichkei-ten einer neuen sozialen Ordnung ab, ihrer möglichen materiellen Grundlagen und dieIdee einer anderen zukünftigen Gesellschaft. Wir verlieren hier nicht weitere Worte über 

die immer dramatischeren Eigenschaften der sozialen Krise des Imperialismus. Die aktuel-len finanziellen Konvulsionen und die Per-spektiven der konsumistischen Orgie imOsten, mit den inhärenten destruktiven Fol-gen (und der interimperialistische Krieg umdie Energiequellen ist die schwerste davon),sind dermaßen offensichtlich, dass auch brei-te bürgerliche Meinungssektoren beunruhigtsind.

Die zwei Sphären fallen wieder zusammenund überlagern sich: Notwendigkeit undMöglichkeit. Es ist möglich,· der chronischen historischen Krise des Ka-

pitalismus die proletarische Revolution zur Gründung der einzigen alternativen Pro-duktionsweise, die kommunistische,

· der andauernden und mörderischen Verro-hung der Arbeit die Befreiung der Lohnar-beit

· der die Erde und die Menschheit zerstören-den konsumistischen Orgie das Ende der 

 Ware· den wieder aufkommenden Sklavereien

(Frauen, Kinder, Immigrierte) das Ausster-ben der Klassen

· der terroristischen und Völker mordendenTyrannei gegen die Völker die Zerstörungdes Imperialismus

· und der formellen Demokratie des bürger-lichen Staates die Sowjets entgegenzuset-zen!Die politische Verirrung der verschiedenen

parlamentarischen Linken (die immer mehr an zu Füßen des Herrn rumkläffende Schos-shündchen erinnern) beweist, dass die Illusi-on, ein auf Klassenausbeutung und -unter-drückung gegründetes System zu „reformie-ren“, nur zur Erhaltung der Unterwerfung vonTeilen des Volkes dient: sie führt zum Kom-promiss mit der schlimmsten antiproletari-schen und imperialistischen Politik. Sie be-weist, dass es keinen „dritten Weg“ gibt unddass „die Barrikaden nur zwei Seiten haben!“

Der despotische und diktatorische Charak-ter des Kapitalismus erfordert in dieser Epo-che der imperialistischen Verrohung denBruch, erfordert nicht für eine nebulöse „an-dere mögliche Welt“ zu kämpfen, sondern für 

 jene präzisen Antworten auf die nicht lösba-ren kapitalistischen Gegensätze, die in der kommunistischen Produktionsweise histo-risch definiert sind.

Der Knoten liegt im programmatischen In-halt der Revolution, als Prozess zur Behaup-

tung und zum Aufbau der kommunistischenProduktionsweise, und in den organisiertenFormen und Mitteln um sie zu erreichen, inder angemessenen Praxis.

Ideologie, Strategie, politische Linie, sind

8/6/2019 Gefangenen Info #335

http://slidepdf.com/reader/full/gefangenen-info-335 15/16

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der Inhalt.Die Kommunistische Partei ... und die So-

wjets sind die Formen und die Mittel. Der Kampf gegen die Repression, an der Seite der gefangenen GenossInnen, muss als Front die-ser Tendenz zum Klassenkrieg übernommenwerden - als Felder zur Erweckung des allge-meinen Inhaltes, nämlich lernen zu wider-stehen und jenseits von Selbstmitleid und vonder Klage verfolgt zu sein, und schlussend-lich von legalistischen Haltungen, zu kämp-fen. Was nicht heißt, auf taktische Flexibilität

in der Wahrnehmung legaler Möglichkeitenund Terrains zu verzichten, aber sicher heißt,sie streng der Logik, der Zielsetzung und Stra-tegie des geführten Klassenkrieges zu unter-ordnen! Militante für die Konstituierung der PC p-m(Erklärung zum internationalen Tag des Re-volutionären Gefangenen)

Brief von Paolo NeriIch schicke Euch das Flugblatt und das klei-ne Plakat mit dem wir die Veranstaltung inGenau ankündigten. (Über die revolutionäreErfahrung der RAF). Wir haben das Bild ei-

nes Murales (Mauergemälde) gewählt, das inOrgosolo, einem kleinen Ort in Sardinien ge-malt wurde. Diese Wahl trafen wir hauptsäch-lich, um die Welle der Solidarität zu zeigen,nach der [Nacht] in Stammheim.

Diese Murales wurde am 19. Oktober 1977realisiert. Unten im Bild erblickt man Frauenund Männer, der Baum links im Bild hat ei-nen abgebrochenen Ast, und in der Mitte er-scheint ein Monument, das Helmut Schmidtgewidmet ist. Das Geschriebene auf demSockel des Monuments sagt Folgendes aus:„Helmut Schmidt, Führer der deutschen Re-gierung, Verteidiger der Demokratie und der westlichen Zivilisation, Experte in Selbst-morden […]. Der Imperialismus hat es dahin-gestellt. 18.10.77“

( Die Pfeife ist vielleicht auch bezogen auf Luciano Lama, der damalige Gewerk-schaftsekretär der CGIL, welcher von den Stu-dentInnen aus der Universität Roms rausge-schmissen wurde, weil er kollaboriert hatbeim Unterdrücken, Kriminalisieren und Iso-lieren der autonomen und revolutionären Be-wegung Italiens. Die Pfeife von Lama und dieBüste von Schmidt stehen für die Kollabora-tion und die übernommene Verpflichtung ih-rerseits, und die der Sozialdemokratie, die re-

 volutionären Kräfte zu unterdrücken. Diese verband Deutschland und Italien auch in denunterschiedlichen Umständen.)

Rechts im Bild steht geschrieben: „Und ihr,lernt, dass es erforderlich ist zu sehen. Schautnicht in die Luft. Es ist nötig, zu handeln,nicht zu sprechen. Dieses Monster stand ein-

mal dafür, die Welt zu regieren. Die Völker haben es ausgelöscht. Aber feiern wir nichtzu schnell den Sieg. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. - B.Brecht

Ich möchte anfügen, dass es in jenen Jah-

ren in Italien eine Welle von Anschlägen gabgegen Objekte und Ziele, welche den deut-schen Staat repräsentierten, von Banken über BMW zu Mercedes Benz und in den Vorbe-reitungen zu diesen Anschlägen (alle in So-lidarität mit den Militanten der RAF …) ver-lor der Genosse Rocco Sardone sein Leben.Er war ein Arbeiter, Sohn eines süditalieni-schen Arbeiter, der nach Norditalien emi-grierte. Er war bekannt für seinen radikalenKlassenkampf ...

Ein Freund und Genosse von ihm sagte:„Wir waren zusammen in UC(M-L) I ( dem

  Volke dienen). Rocco sah seine konstante Aufgabe darin, sich den anderen Proletariernanzunähern, auch den jungen Leuten, um dieExistenzbedingungen zu diskutieren, um siezum Kampf aufzufordern ...

In der Mitte der Jahre 1977 sind wir um-gezogen, unser Bruder und ich. Wir sahen unsnicht oft. Er suchte Arbeit, ich arbeiteteSchicht in einem Eisenwerk. Das Leben war rasend, es gab ständig neue Initiativen der Bewegung. Rocco wollte immer dabei sein.im Oktober 77 kam die Nachricht der „Selbst-morde“ der GenossInnen der RAF: Die Wutexplodierte und jeder versuchte etwas zu ma-chen, um es ihnen heimzuzahlen. Dabei istRocco umgekommen im Alter von 22 Jah-ren.“ Saluti Paolo Neri

  Anmerkungen: Paolo ist ein italienischer Künstler, der schon einige Bilder von ge-storbenen Gefangenen aus der BRD in die-ser Zeitschrift veröffentlicht hat.Die Veranstaltung fand 12/13. Januar statt.

8/6/2019 Gefangenen Info #335

http://slidepdf.com/reader/full/gefangenen-info-335 16/16

Marokko 

Politische Gefangeneim HungerstreikEine große Zahl sahrauischer politischer Gefangener verweigert in marokkanischenGefängnissen seit mehreren Wochen jedeNahrungsaufnahme um bessere Haftbedin-

gungen durchzusetzen und die Einhaltungdes Moratoriums zur völkerrechtlichen An-erkennung, sprich eine korrekte Entkoloni-alisierung zu fordern ...

Der politische Hintergrund: Unter-drückter Kampf um UnabhängigkeitDie sahrauische Bevölkerung, die seit Mai2005 durch friedliche Demonstrationen ihr Recht auf Selbstbestimmung zum Ausdruckbringt, wird mit Gewalt unterdrückt. Diefundamentalen Freiheiten wie Mei-nungs/Ausdrucks,- Vereinigungs,- und De-monstrationsfreiheit werden mit Füßen ge-

treten. Die sahrauischen Vereinigungen für Menschenrechte oder Organisationen, diefür ein Selbstbestimmungsreferendum ein-treten, sind verboten oder werden gericht-lich verfolgt. Die sahrauischen Menschen-rechtsanwältInnen und StudentInnen, diean den marokkanischen Universitäten pro-testieren, werden inhaftiert, misshandelt,bis hin zu Folterungen, und wegen des„Vergehens“, ihre Meinung zu äußern, zuhohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Ver-fahren entsprechen in keinster Weise deninternationalen Normen eines gerechtenProzesses.

Hungerstreik

Seit dem 20. Februar 2008 befindet sich der politische Gefangene Said ElBaillal, für des-sen Prozess mehrmals Revision beantragtwurde, im unbefristeten Hungerstreik.

Des Weiteren sind am 25. Februar alle imGefängnis Negra von El Aaiún inhaftiertenMenschenrechtsverteidiger ebenfalls in un-befristeten Hungerstreik getreten, darunter der 50-jährige heutige Generalsekretär der sahrauischen Menschenrechtsassoziation

 ASVDH, Brahim Sabbar, der 10 Jahre lang

  verschwunden und 2006 in El Aaiún/El Ayoune inhaftiert worden war. Am 10. März schlossen sich sämtliche auf 

die marokkanischen Gefängnisse Tarudant,Tiznit, Ait Melloul und Kenitrae verteiltensahrauischen politische Gefangenen eben-falls dem unbefristeten Streik an.

Ihre Forderungen sind Verbesserungender Haftbedingungen, die Respektierung

ihrer legitimen Rechte, die durch interna-tionale Abkommen und Verträge garantiertwerden (sollten). Dabei beziehen die Strei-kenden sich auf Rechtsgarantien sowohl für politische Gefangene als auch für die sa-haurische Bevölkerung insgesamt. DasRecht der Sahrauis auf Selbstbestimmungnämlich wird von der UNO in konstanter 

 Weise anerkannt und bestätigt. (Allerdingsist die Hoffnung - nach 30 Jahren Exil un-ter extremsten Bedingungen - auf dieDurchsetzung des 1991 von den UN befür-worteten Referendums (MINURSO) und da-mit auf eine korrekte Entkolonialisierungdurch Anerkennung des völkerrechtlichen

 Anspruchs nicht mehr sehr groß.) Nichts de-sto trotz fordern die Politischen die Umset-zung eben des Selbstbestimmungsreferen-dums, das im Waffenstillstandsabkommen

 von 1991 vorgesehen wurde.

Der Gesundheitszustand einigerder Hungerstreikenden ist bereitsbedenklich

 Am sechzehnten Tag des Hungerstreiks der Gefangenen in den Gefängnissen Negra inEl Aaiún und in Salé erforderte deren Zu-stand bereits ein dringendes und schnelles

medizinisches Eingreifen ..., der StudentSaid Elbaillal, seit 20.2. in Salé im Hunger-streik, konnte nicht mehr gehen und litt un-ter starken Nierenschmerzen. Die ASVDHhat ElBaillal schriftlich gebeten, den Streikabzubrechen, auch angesichts der Gleich-gültigkeit der Gefängnisdirektion.

Der Zustand der drei Politischen ElhafedToubali, Bachri Bentaleb und Omar Belya-zid im Negra ist ebenfalls alarmierend. Siewaren bereits in ein Hospital gebracht wor-den, sind dann aber wieder zurückverlegtworden. Und auch Brahim Sabbar kannaufgrund der Schwächung und des anhal-tenden Drucks nur noch mit Hilfe vonKrücken gehen.

Quelle: http://azls.blogspot.com/2008/03/assez-de-repression-au-sahara.htmlhier übersetzt von: tierr@(Originalartikel übersetzt von Nuria Álvarez Agüí,

Mitglied des ÜbersetzerInnennetzes für sprachli-che Vielfalt, Tlaxcala: http://www.tlaxcala.es/„Dieser Artikel kann frei reproduziert werden un-ter der Bedingung, dass sein Inhalt respektiert undder Autor, die Übersetzerin und die Quelle genanntwerden“.)Solidaritätsorganisationen international:http://www.laenderkontakte.de/region/afrika/westsahara/entwicklungszusammenarbeit_humani-taere_hilfe/index.html

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Infohervorgegangen. Es erscheint vierwöchentlich beiGNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nach-richtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-

Holstein / Hamburg m. b. H., Neuer Kamp 25, 20359Hamburg. V.i.S.d.P. : Christiane Schneider. Redakti-onsanschrift u. Bestellungen: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 HH, Tel.: (040) 43188820, Fax:(040) 43188821, eMail: [email protected]

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ten Sie eine Rechnung bzw. ein Formular für eine Ein-zugsvollmacht, die Sie uns bitte zurückschicken. Ver-lagskonto:Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20, Konto-nummer:25265-201. Gesamtherstellung: GNN Gesell-schaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenver-

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wird. „Zur-Habe-Nahme“ ist keine Aushändigung imSinne des Vorbehalts. Wird das Info dem Gefangenennicht persönlich ausgehändigt, ist es dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzu-schicken. Redaktionsschluss für Nr. 335: So, 20.4.08 

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E-Mail: [email protected] • Gefangenen Info im Netz: www.political-prisoners.net 

Termine für die Tour von Pastora, der Mutter von Xosé Tarrio, der 2005 am spa-nischen Knast gestorben ist. Xosé schrieb das Buch „Hau ab Mensch!“ über einen

Teil seiner Zeit im Gefängnis, speziell unter F.I.E.S.. Pastora, seine Mutter, hat sei-nen Tod und die vorangegangenen Quälereien nicht einfach so hingenommen. Siekämpft weiter für ihren Sohn und für alle Gefangenen.April I 1 Aachen I 3 Köln I 5 Amsterdam I 7 Hamburg I 8 Göttingen I 9 Berlin10 Dresden I 12 Wien