gÜnter grass. schreiben nach auschwitz

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GNTER GRASS

SCHREIBEN NACH AUSCHWITZNachdenken ber Deutschland: ein Schriftsteller zieht Bilanz aus 35 Jahren / Die Frankfurter Poetik-Vorlesung

Ein Schriftsteller, aufgefordert von sich, also von seiner Arbeit, zu berichten, mte sich in ironische, alles verkleinernde Distanz verflchtigen, wollte er jenen Zeitraum meiden, der ihn belastet, geprgt, (bei allem Ortswechsel) zwischen Widersprchen sehaft, im Irrtum gefangengehalten und zum Zeugen gemacht hat. Indem ich diesen Vortrag unter den Titel Schreiben nachAuschwitz gestellt habe und nun einen Anfang suche, wei ich, da mir das Ungengen vorgeschrieben ist. Mein Thema berfordert. Dennoch sei der Versuch gewagt.

Da ich eingeladen von einer Universitt besonders zu Studenten spreche, mich also der Aufmerksamkeit oder nur blanken Neugierde einer Generation konfrontiert sehe, die, im Vergleich zu meiner, unter extrem anderen Bedingungen aufgewachsen ist, will ich mich vorerst um Jahrzehnte zurcknehmen und meinen Zustand im Mai 1945 skizzieren.

Als ich siebzehn Jahre zhlte und mit hunderttausend anderen in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager unter freiem Himmel in einem Erdloch hauste, war ich, weil ausgehungert, mit gieriger Schlue einzig aufs berleben bedacht, doch sonst ohne Begriff. Mit Glaubensstzen dummgehalten und entsprechend auf idealistische Zielsetzungen getrimmt, so hatte das Dritte Reich mich und viele meiner Generation aus seinen Treuegelbnissen entlassen. Die Fahne ist mehr als der Tod, hie eine dieser lebensfeindlichen Gewiheiten.

So viel Dummheit resultierte nicht nur aus kriegsbedingt lcherigem Schulwissen als ich fnfzehn zhlte, begann fr mich, als Freiheit von Schule miverstanden, die Luftwaffenhelferzeit , vielmehr war es eine allgemeine, Klassen- und Religionsunterschiede berwlbende Dummheit, die sich aus deutschem Selbstgefallen nhrte. Dessen Glaubensstze hoben etwa so an: Wir Deutschen sind ... Deutschsein heit ... und schlielich: Niemals wrde ein Deutscher ...

Dieser zuletzt anzitierte Punktumsatz berdauerte sogar die Kapitulation des Grodeutschen Reiches und gewann die vertrotzte Strke von Unbelehrbarkeit. Denn als ich mit vielen meiner Generation von unseren Vtern und Muttern sei hier nicht die Rede mit den Ergebnissen von Verbrechen konfrontiert wurde, die Deutsche zu verantworten hatten und die seitdem unter dem Begriff Auschwitz summiert sind, sagte ich: niemals. Ich sagte mir und anderen, andere sagten sich und mir: Niemals wurden Deutsche so etwas tun.

Dieses sich selbst besttigende Niemals gefiel sich sogar: als standfest. Denn die erdrckende Vielzahl von Photos, die hier gehufte Schuhe, dort gehufte Haare, immer wieder zuhauf liegende Leichen abbildeten und mit unfalichen Zahlen und fremd klingenden Ortsbezeichnungen Treblinka, Sobibor, Auschwitz untertitelt waren, hatte, sooft amerikanischer Erziehungswille uns Siebzehn-, Achtzehnjhrige zur Ansicht dieser Bilddo kumente zwang, nur eines, die ausgesprochene wie unausgesprochene, doch gleichermaen unbeirrte Antwort zur Folge: Niemals hatten, nie haben Deutsche so etwas getan.

Auch als das Nie oder Niemals (sptestens mit dem Nrnberger Proze) zunichte wurde der ehemalige Reichsjugendfhrer nannte uns, die Hitlerjugend, frei von Verantwortung , brauchte es weitere Jahre, bis ich zu begreifen begann: Das wird nicht aufhren, gegenwrtig zu bleiben; unsere Schande wird sich weder verdrangen noch bewltigen lassen; die zwingende Gegenstndlichkeit dieser Photos die Schuhe, die Brillen, Haare, die Leichen verweigert sich der Abstraktion; Auschwitz wird, obgleich umdrngt von erklrenden Wrtern, nie zu begreifen sein.

Soviel Zeit seitdem vergangen ist, bei aller Beflissenheit einiger Historiker, Vergleichbares herbeizuzitieren, um einer, wie man sagt, unglcklichen Phase deutscher Geschichte historischen Stellenwert zu unterschieben, was immer eingestanden, beklagt, sonstwie aus Schuldbewutsein gesagt wird so auch in dieser Rede , das Ungeheure, auf den Namen Auschwitz gebracht, ist, weil eben nicht vergleichbar, weil durch nichts historisch zu unterfttern, weil keinem Schuldgestndnis zugnglich, unfabar geblieben und dergestalt zur Zsur geworden, da es naheliegt, die Menschheitsgeschichte und unseren Begriff von menschlicher Existenz mit Ereignissen zu datieren, die vor und nach Auschwitz geschehen sind.

Um so beharrlicher stellt sich dem Schriftsteller im Rckblick die Frage: Wie War es mglich, berhaupt mglich, dennoch mglich, nach Auschwitz zu schreiben? Wurde diese Frage nur gestellt, um dem Ritual der Betroffenheit zu gengen? Waren die qua lenden Selbstbefragungen der fnfziger und frhen sechziger Jahre etwa nur rhetorische bungen? Und: Kann diese Frage gegenwrtig von Gewicht sein, zu einer Zeit, in der Literatur allenfalls durch die neuen Medien grundstzlich in Frage gestellt wird?

Zurck zum dummen, zum unbeirrbaren Halbwchsigen. So dumm, so unbeirrbar war er nur auch wieder nicht. Schlielich hatte es, bei aller Krze abgesessener Schulzeit, einige Lehrer gegeben, die, mehr verstohlen als offen, sthetische Mastbe und weites Kunstverstndnis erkennen lieen. Etwa jene als Lehrerin kriegsdienstverpflichtete Bildhauerin, die dem immerfort zeichnenden Schler Ausstellungskataloge der zwanziger Jahre zuschob. Ein Risiko eingehend, hat sie mich mit dem Werk der Knstler Kirchnei, Lehmbruck, Nolde, Beckmann entsetzt und gleichwohl infiziert.

Daran hielt ich mich. Oder das lie mich nicht los. Angesichts dieser bildnerischen Provokationen hrte die Unbeirrbarkeit des Hitlerjungen auf; nein, sie hrte nicht auf, durchlssig wurde sie an einer einzigen Stelle, hinter der sich andere, egozentrische Unbeirrbarkeit auszuwachsen begann: die dumpfe und ungenaue, dennoch beharrlich zugespitzte Verstiegenheit, Knstler werden zu wollen.

Seit meinem zwlften Lebensjahr war ich davon nicht abzulenken, weder durch vterliche Berufsvorstellungen soliderer Art, noch durch sptere Ungunst der Zeit: berall Trmmer und nichts zu essen. Diese jugendliche Besessenheit blieb vital, uberlebte unbeschdigt, das heit wiederum unbeirrt das Kriegsende, entsprechend die ersten Nachkriegsjahre und auch die ringsum alles verndernde Whrungsreform.

Und so fiel die Bei Berufsentscheidung aus. Nach der Steinmetz- und Steinbildhauerlehre wurde ich Bildhauerschulen zuerst der KunstakademieDsseldorf, spter der Hochschule fr Bildende KnsteBerlinDoch diese autobiographischen Daten sagen nur wenig, allenfalls, da der Wunsch, Knstler werden zu wollen, eine, wenn man will, bewundernswerte, ich meine nachtrglich, frag wrdige Gradlinigkeit vertrat: gewi nicht fragwrdig, weil sie so schnurstracks an den Bedenken der Eltern vor beiverlief, bewundernswert vielleicht, weil sie ohne materielle Absicherung einfach gewagt wurde; aber fiagwrdig doch und am Ende gar nicht bewundernswert, weil sich meine knstlerische Entwicklung, die bald bers Gedicht zur Schriftstellerei fhrte, schon wieder unbeirrbar vollzog, unbeirrbar auch durch Auschwitz.

Nein, dieser Weg wurde nicht unwissend eingeschlagen, denn mittlerweile lag ja aller Schrecken offen zutage; dennoch fhrte er blindlings und dabei zielstrebig an Auschwitz vorbei. Schlielich gab es in berflle Orientierungen anderer Art. Nicht solche, die hemmten und den Schritt zgern lieen. Zuvor nie gehrte Autorennamen lockten, ergriffen Besitz: Dblin, Dos Passos, Trakl, Apollinaire. Die Kunstausstellungen jener Jahre waren keine durchgestylten Selbstinszenierungen berufsmiger Ausstellungsmacher, vielmehr erffneten sie unverstellt neue Wellen: Henry Moore oder Chagall in Dsseldorf, Picasso in Hamburg. Und Reisen wurden mglich: per Autostop nach Italien, nicht nur, um die Etrusker, sondern auch karge, erdtonige Bilder von Morandi zu sehen.

Indem die Trmmer mehr und mehr aus dem Blickfeld gerieten, war es, obgleich ringsum schon wieder nach altem Muster gewebt wurde, eine Zeit des Aufbruchs und freilich auch der Illusion, man knne auf alten Fundamenten Neues gestalten.

bergangslos las ich Buch fr Buch in mich hinein. Bildschtig nahm ich Bilder und Bildfolgen auf, ohne Plan, einzig auf die Kunst und ihre Mittel fixiert. Als gebranntem Kind reichte es mir, mehr aus Instinkt als mit Argumenten, gegen den ersten BundeskanzlerKonrad Adenauer, gegen den neureichen Mumpitz des beginnenden Wirtschaftswunders, gegen die christlich verheuchelte Restauration, natrlich gegen die Wiederbewaffnung, selbstverstndlich gegen Adenauers Staatssekretr Globke, seinen Stasi-Spezialisten Gehlen und weitere Schweinereien des rheinischen Gropolitikers zu sein.

Ich erinnere Ostermrsche, bewegt vom Protest gegen die Atombombe. Immer dabei und dagegen. Das vertrotzte Entsetzen des Siebzehnjhrigen, der nicht glauben wollte, hatte sich verflchtigt und einer prinzipiellen Antihaltung Platz gemacht. Zwar war das Ausma des Vlkermordes mittlerweile in Dokumentationsbnden greifbar; zwar hatte sich der angelernte Antisemitismus zum angelernten Philosemitismus ummnzen lassen; zwar verstand man sich selbstredend und ohne Risiko als Antifaschist, aber fr grundstzliche Bedenken, diktiert in alttestamentarischer Strenge, Bedenken dieser Art: Kann man nach Auschwitz Kunst machen? Darf man nach Auschwitz Gedichte schreiben? fr eben dieses Bedenken nahmen sich viele meiner Generation, nahm ich mir keine Zeit.

Gewi, es gab diesen Adorno-Satz ... nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frit auch die Erkenntnis an, warum es unmglich ward, heute Gedichte zu schreiben, und seit 1951 lag Adornos Buch Minima Moralia Reflexionen aus dem beschdigten Leben vor, in dem meines Wissens zum ersten Mal Auschwitz als Zsur und unheilbarer Bruch der Zivilisationsgeschichte begriffen wird; doch wurde dieser neue kategorische Imperativ prompt als Verbotstafel miverstanden. Stand doch solch strenges Diktum dem aufbruchlsternen und wie unbeschdigten Zukunftsglauben im Wege, unbequem wie jeder kategorische Imperativ, abweisend durch abstrakte Strenge und leicht zu umgehen wie jede Verbotstafel.

Bevor man sich Zeit nahm, Adornos herausgepflckte Zuspitzungen im Umfeld ihrer vor- und nachgestellten Reflexionen zu entdecken, sie also nicht als Verbot, sondern als Mastab zu begreifen, stand ausgesprochen wie unausgesprochen die Abwehr festgefgt. Dem verkrzten Adorno-Satz, demzufolge nach Auschwitz kein Gedicht mehr geschrieben werden drfe, wurde genauso verkrzt und besinnungslos geantwortet, als htte jemand Feinde zum Schlagabtausch aufgerufen: barbarisch sei dieses Verbot, es berfordere den Menschen, sei im Grunde unmenschlich; schlielich gehe das Leben weiter, wie beschdigt auch immer.

Auch meine Reaktionen, die auf Unkenntnis futen, das heit, auf bloem Hrensagen, bestanden auf Abwehr. Da ich mich im Vollbesitz meiner Talente whnte und mich entsprechend als Alleinbesitzer dieser Talente sah, wollte ich sie ausleben, unter Beweis stellen. Geradezu widernatrlich kam mir Adornos Gebot als Verbot vor; als htte sich jemand gottvterlich angemat, den Vgeln das Singen zu verbieten.

War es abermals Trotz oder mittlerweile chronische Unbeirrbarkeit, die nach erstem flchtigen Hinhren sogleich die Sperre ins Schlo fallen lie? Wute ich nicht aus eigener Erfahrung, was mich entsetzt hatte und als Entsetzen nun nicht aufhren wollte? Was hinderte mich und sei es auf Zeit nur das Bildhauerwerkzeug beiseite zu legen und auch der lyrischen Phantasie, meinem gefrigen Kostgnger, eine Fastenzeit aufzuerlegen?

Heute vermute ich: Die Irritation mu grer oder zeitverschoben nachhaltiger gewesen sein als ich mir damals eingestehen konnte. Etwas war angestoen und wenn auch gegen Widerstnde in Zucht genommen worden; jene als grenzenlos empfundene Freiheit, die keine erkmpfte, die eine geschenkte war, stand unter Aufsicht.

Indem ich bei mir nachblttere, um dem offenbar einzig von Kunst besessenen Kunstschler auf die Schliche zu kommen, finde ich ein in jenen Jahren entstandenes Gedicht, das in letzter Fassung 1960 in dem Band Gleisdreieck verffentlicht wurde, doch eigentlich in meinem ersten verffentlichten Buch unter dem Titel Die Vorzge der Windhhner htte stehen mssen. Es heit Askese, ist, wie auf Anhieb, ein programmatisches Gedicht und schlgt den fr mich bis heute bestimmenden Grundwert Grau an:

ASKESEDie Katze spricht.Was spricht die Katze denn?Du sollst mit einem spitzen Bleidie Brute und den Schnee schattieren,du sollst die graue Farbe lieben,unter bewlktem Himmel sein.Die Katze spricht.Was spricht die Katze denn?Du sollst dich mit dem Abendblatt,in Sacktuch wie Kartoffeln kleidenund diesen Anzug immer wieder wendenund nie in neuem Anzug sein.Die Katze spricht.Was spricht die Katze denn?Du solltest die Marine streichen,die Kirschen, Mohn und Nasenbluten,auch jene Fahne sollst du streichenund Asche auf Geranien streun.Du sollst, so spricht die Katze weiter,nur noch von Nieren, Milz und Leber,von atemloser saurer Lunge,vom Seich der Nieren, ungewssert,von alter Milz und zher Leber,aus grauem Topf: so sollst du leben.Und an die Wand, wo frher pausenlosdas grne Bild das Grne wiederkute,sollst du mit deinem spitzen BleiAskese schreiben, schreib: Askese.So spricht die Katze: Schreib Askese.

Nun wurden Ihnen diese fnf Strophen nicht vorgetragen, um dem Hauptvergngen der Germanisten, also der Interpretation Nahrung zu geben, doch glaube ich, da, vor anderen Texten, das Gedicht Askese eine indirekte Antwort auf Adornos Gebotstafel ausspricht, indem es als metaphorisch umschriebener Reflex in eigener Sache Grenzen setzt. Denn wenn ich auch mit vielen anderen Adornos Gebot als Verbot miverstanden habe, blieb dessen neue, die Zsur markierende Gesetzestafel dennoch in jeder Blickrichtung sichtbar.

Wir alle, die damals jungen Lyriker der fnfziger Jahre ich nennePeter Rhmkorf,Hans Magnus Enzensberger, auch Ingeborg Bachmann , waren uns deutlich bis verschwommen bewut, da wir zwar nicht als Tter, doch im Lager der Tter zur Auschwitz-Generation gehrten, da also unserer Biographie, inmitten der blichen Daten, das Datum der Wannsee-Konferenz eingeschrieben war; aber auch soviel war uns gewi, da das Adorno-Gebot wenn berhaupt nur schreibend zu widerlegen war.

Doch wie? Bei wem lernend: bei Brecht, Benn, bei den Frhexpressionisten? Auf welcher Tradition fuend und zwischen welche Kriterien gestellt? Sobald ich mich als lyrisches Jungtalent neben den Jungtalenten Enzensberger und Rhmkorf sehe, fllt mir auf, da unsere Vorgaben und Talent ist nichts als Vorgabe spielerisch, artistisch, kunstverliebt bis ins Knstliche waren und sich wahrscheinlich kaum der Rede wert ausgelebt htten, wren ihnen nicht rechtzeitig Bleigewichte verordnet worden. Eines dieser Gewichte, das auch dann noch lastete, wenn man es als Gepck ausschlug, war Theodor W. Adornos Gebot. Seiner Gesetzestafel entlehnte ich meine Vorschrift. Und diese Vorschrift verlangte Verzicht auf reine Farbe; sie schrieb das Grau und dessen unendliche Abstufungen vor.

Es galt, den absoluten Gren, dem ideologischen Wei oder Schwarz abzuschwren, dem Glauben Platzverweis zu erteilen und nur noch auf Zweifel zu setzen, der alles und selbst den Regenbogen graustichig werden lie. Und obendrein verlangte dieses Gebot Reichtum neuer Art: Mit den Mitteln beschdigter Sprache sollte die erbrmliche Schnheit aller erkennbaren Graustufungen gefeiert werden. Das hie, jene Fahne zu streichen und Asche auf Geranien zu streuen. Das hie, mit spitzem Blei, der von Natur her fr Grauwerte steht, quer ber jene Wand, wo frher pausenlos das grne Bild das Grne wiederkute, als mein Gebot, das Wort Askese zu schreiben.

Also raus aus der blaustichigen Innerlichkeit. Weg mit den sich blumig plusternden Genitivmetaphern, Verzicht auf angerilkte Irgendwie-Stimmungen und den gepflegten literarischen Kammerton. Askese, das hie Mitrauen allem Klingklang gegenber, jenen lyrischen Zeitlosigkeiten der Naturmystiker, die in den fnfziger Jahren ihre Kleingrten bestellten und gereimt wie ungereimt den Schullesebchern zu wertneutraler Sinngebung verhalfen. Askese hie aber auch, seinen Standort zu bestimmen. Hier etwa datiert sich als Parteinahme, whrend des damals virulenten Streits zwischen Sartre und Camus, meine Entscheidung fr Sisyphos, den glcklichen Steinewlzer.

Anfang 1953 wechselte ich Ort und Lehrer. Keine groe Sache: weg von Dsseldorf, der Hauptstadt des ausbrechenden Wirtschaftswunders, hin nach Berlin mit dem Interzonenzug. Ein Wust Gedichte, die Steinmetzeisen, das Hemd zum Wechseln, wenige Bcher und Schallplatten: mein Gepck.

Berlin, dieser kaputte, schon wieder von Ideologien besetzte Ort, der von Krise zu Krise auflebte, erstreckte sich flach zwischen Trmmerbergen. Leergerumte Pltze, auf denen der Wind stndig Tten drehte. Immerfort Ziegelsplitt zwischen den Zhnen. Streit ber alles. Streit zwischen gegenstndlicher und gegenstandsloser Kunst: hier Hofer, dort Grohmann. Hben und drben: hier Benn, dort Brecht. Kalter Krieg mittels Lautsprecheranlagen. Und doch war das Berlin jener Jahre bei allem Geschrei ein totenstiller Ort. Hier hatte die Zeit sich nicht beschleunigen lassen. Noch war das beschdigte Leben offenkundige Realitt und von keinen Billigangeboten verstellt. Hier fand sich kaum Platz fr koketten Umgang mit dem Unsglichen. In Berlin bekamen meine letzten epigonalen Fingerbungen einen harten Radiergummi zu spren: Hier wollten die Dinge benannt werden.

In rascher Folge entstanden, abseits von Modellierbock und Zeichenbrett, die ersten selbstndigen Gedichte, Verse, die sozusagen freihndig und ohne Netz turnten. Aber auch Dialoge, knappe Einakter schrieb ich, etwa jenen, der spter das Schlustck in einem Spiel in vier Akten unter dem Titel Onkel, Onkel wurde und so beginnt:Am Rande der Stadt. Eine verlassene Baustelle. Bollin steht zwischen Kieshaufen und Gerstbrettern auf einem Mrteleimer. Er schaut wartend zur Stadt. Zwei Kinder, Sprotte und Jannemann, nhern sich langsam.Sprotte:Onkel?

Jannemann:Onkel, haste nichn Ding?

Sprotte:Ja, Onkel, geb ihm doch.

Jannemann:Haste nich, nur eins?

Sprotte:Du, Onkel?

Jannemann:Hrste nich?

Bollin:Nein!

Jannemann:Nur eins, Onkel?

Bollin:Gibt nix.

Sprotte:Guck doch mal nach, vleicht haste doch.

Bollin:Was denn, was denn!

Sprotte:Nan Ding!

Bollin:Was frn Ding denn?

Sprotte:Irgend so eins, ganz egal, was.

Jannemann:Weite denn nicht, wasn Ding is?

Sprotte:Hat doch jeder.

Jannemann:Du auch, bestimmt...

Und drei Jahre spter, im Frhjahr 1956 noch bin ich Bildhauerschler bei Karl Hartung , erscheint mit Gedichten und Zeichnungen mein erstes Buch, in dem Vierzeiler wie dieser stehen:

GASAGIn unserer Vorstadtsitzt eine Krte auf dem Gasometer.Sie atmet ein und aus,damit wir kochen knnen.

Heute frage ich mich: Ist das ein Gedicht, sind das Theaterdialoge, die nach Auschwitz geschrieben werden durften? Hat das Askese-Gebot zwangslufig nur diese Ausformung von Magersucht zur Folge haben knnen? Achtundzwanzig Jahre war ich mittlerweile alt, aber mehr oder anderes war mir vorerst nicht mglich.

Und Gedichte und Einakter dieser Art las ich auf den Tagungen der Gruppe 47 vor, die mich, den Anfnger, in Gestalt von Hans Werner Richter, ab Herbst 1955 regelmig einlud. Viele Texte, die dort gelesen wurden, waren direkter als meine. Einige sprachen sich, wie im Nachholverfahren, eindeutig, das heit, mit Hilfe positiver Helden, gegen den Nationalsozialismus aus. Diese Eindeutigkeit machte mich mitrauisch. Mutete solch nachgeholter Antifaschismus nicht wie Pflichtbung an, anpasserisch in einer Zeit, die auf Anpassung abonniert war, verlogen also und geradezu obszn, gemessen am zwar ohnmchtig geringen, aber in Spuren doch nachweisbar wirklichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus?

Diese ersten Erfahrungen mit der Literatur und ihrem Betrieb warfen mich zurck. Ich war wieder siebzehn. Kriegsende. Die bedingungslose Kapitulation. Gefangenschaft in Erdlchern. Photos, die Brillen-, Schuh-, Knochenberge vorzeigten. Vertrotztes Nichtglaubenwollen. Und weiter zurckgezhlt: fnfzehn, vierzehn, dreizehn Jahre alt. Lagerfeuer, Fahnenappelle, Kleinkaliberschieen. Von Ferien unterbrochenes Schulallerlei, whrend sich wirkliches Geschehen in Sondermeldungen aussprach. Gewi: schlerhafte Aufsssigkeit. Langeweile beim HJ-Dienst. Blde Witze ber Parteibonzen, die sich vorm Frontdienst drckten und abfllig Goldfasane genannt wurden. Aber Widerstand? Nicht die Spur, kein Ansatz, und sei es auch nur in Gedankenfetzen. Eher Bewunderung fr militrische Helden und anhaltend dumpfe, durch nichts zu irritierende Glubigkeit, beschmend bis heute.

Wie htte ich zehn Jahre spter Widerstand zu Papier bringen, mir Antifaschismus andichten knnen, wenn doch Schreiben nach Auschwitz Scham, auf jedem weien Blatt Scham zur Voraussetzung hatte? Eher stellte sich aus der Gegenwart der fnfziger Jahre die Frage nach Widerspruch gegen neuerdings falsche Tne, gegen die allerorts blhende Fassadenkunst, gegen die satte Versammlung zwinkernder Biedermnner: Hatten die einen nichts gewut, nichts geahnt und spielten sich nun als von Dmonen verfhrte Kinder auf, waren die anderen schon immer, wenn nicht lauthab, dann doch insgeheim dagegen gewesen.

Ein Jahrzehnt, das auf Lgen fute, die noch heute ihren Kurswert halten, aber auch ein Jahrzehnt der grundlegenden Entscheidungen. Wiederbewaffnung, Deutschlandvertrag heien die Stichworte. Zwei deutsche Staaten entstanden Zug um Zug, jeder beflissen, Musterschler des einen, des anderen Blocksystems zu sein, und glcklich ber den gnstigen Umstand, sich hier wie dort den Siegermchten dazuzhlen zu drfen. Zwar geteilt, doch geeint in der bereinkunft, noch mal davongekommen zu sein.

Und doch gab es einen Strfaktor, der nicht ins Bild dieser feindseligen Zweisamkeit passen wollte. Am 16. und 17. Juni 1953 waren in Ost-Berlin und in Leipzig, in Halle, Bitterfeld undMagdeburgdie Arbeiter unterwegs. Ihnen gehrte die Strae, bis die sowjetischen Panzer kamen. Ein Streik auf der Stalinallee im Mrz zuvor war Stalin gestorben wuchs sich zum Aufstand aus, der traurig fhrungslos verlief und einzig von Arbeitern getragen wurde. Keine Intellektuellen, keine Studenten, keine Brger und keine Kirchenoberen schlossen sich an, einzig wenige Volkspolizisten, die spter standrechtlich erschossen wurden. Und dennoch ist dieser deutsche Arbeiteraufstand, dem Albert Camus vonParisaus Respekt erwies, drben zur Konterrevolution, hier, mit des Lgners Adenauer Worten, zum Volksaufstand verflscht und als Feiertag vernutzt worden.

Ich habe zugesehen. Vom Potsdamer Platz aus sah ich Panzer und Menschen gegeneinandergestellt. Ein Jahrzehnt spter schrieb der Augenzeuge jener lapidar totalen Konfrontation in komplexer Form ein deutsches Trauerspiel: Die Plebejer proben den Aufstand. Komplex, weil dem Stck Shakespeares Coriolanus und Brechts Coriolan-Bearbeitung sowie dessen Verhalten zum 17. Juni unterlegt sind. Komplex aber auch, weil die Realitt der Strae jener fhrungslose Arbeiteraufstand der Realitt einer Theaterprobe widerspricht, die sich die Verbesserung des revolutionren Bewutseins insbesondere der Arbeiterklasse zur Aufgabe gemacht hat. Und obendrein komplex, weil der Chef dieses Theaters, auf dessen Bhne das Trauerspiel stattfindet, nie eindeutig ist oder sein kann. Denn als er sich gegen Ende des letzten Aktes doch noch entschliet, war den Ersten Sekretr des Zentralkomitees dazumal Walter Ulbricht einen Protestbrief zu schreiben, widersprechen ihm eine Schauspielerin, Volumnia genannt, und sein Chefdramaturg Erwin.

Volumnia (nimmt das Blatt ab):Warum laut verlesen, was leisetreterisch daherkommt! In drei Abstzen hast du dich kurzgefat. Die beiden ersten geben sich kritisch und bezeichnen die Manahmen der Regierung und also der Partei als voreiig. Und im letzten ist es dir ein Bedrfnis, Verbundenheit mit allen zuvor Kritisierten auszudrcken. Warum nicht gleich mit(dem Parteidichter)Kosanke in einer Linie? Denn die kritischen Abstze wird man dir streichen, nur die Verbundenheit wird man ausposaunen und dich bis Ultimo beschmen.

Chef:Hier, unter dem Original entstand die Kopie. Gesegnet sei das Kohlepapier.

Erwin:So etwas lagert in Archiven, gert unter Verschlu, wird dem unverffentlichten Nachla zugeschlagen und kommt zu spt an den Tag.

Volumnia:Und um dich werden Legenden sich bilden: Eigentlich war er dagegen. Vielmehr dafr eigentlich. Gesprochen hat er so, aber sein Herz wir wo eigentlich? Beliebig wird man dich deuten: Ein zynischer Opportunist; ein Idealist blicher Machart; er dachte nur ans Theater; er schrieb und dachte frs Volk. Fr welches? Mache dich deutlich. Eck an oder pa dich an. Und schreibe verzahnt, da jene, die krzen wollen, den Ansatz nicht finden.

Chef:Niemand wird wagen, Zensur zu ben.

Volumnia:Sei nicht kindisch. Ich wei, du rechnest mit Strichen.

Erwin:Ja, selbst ungekrzt liest sich das drftig. Bist wirklich du der Verfasser? Drftig und peinlich zugleich.

Chef:Und dem Gegenstand angemessen. Soll ich schreiben: Glckwnsche ihnen, den verdienten Mrdern des Volkes? Oder Glckwnsche ihnen, den unwissenden berlebenden eines drftigen Aufstandes? Und welcher Glckwunsch errecht die Toten? Ich, nur kleiner, verlegener Worte mchtig, schaute dem zu. Maurer, Eisenbahner, Schweier und Kabelwickler blieben allein. Hausfrauen wollten nicht abseits stehen. Sogar Volkspolizisten schnallten die Koppel ab. Das Standgericht ist ihnen gewi. Aufstocken wird man die Zuchthuser in unserem Lager. Aber auch drben wird sich die Lge amtlich geben. Der Heuchelei Gesicht wird Trauerfalten ben. Mein voreiliges Auge sieht nationale Lappen auf Halbmast fallen. Der Redner Chor, ich hre, wird solange aus dem Wort Freiheit schpfen, bis es leergelffelt ist. Jahre am Schnrchen stolpern dahin. Und nachdem man es zehn-, elfmal gezupft haben wird, das feierliche Kalenderblatt, wird man im Suff begehen den Siebzehnten, wie in meiner Jugend den Sedanstag. San ins Grne ziehen seh ich im Westen ein Volk. Was brig bleibt: Leergefeerte Flaschen, Butterbrotpapier, Bierleichen und richtige Leichen; denn an Feiertagen fordert der Verkehr ein bersoll an Opfern. Hier jedoch werden die Zuchthuser nach elf, zwlf Jahren die Wrackteile dieses Aufstandes ausspeien. Die Anklage wird umhergehen. Viele Pakete Schuld wird sie adressieren und abschicken. Unser Paket ist schon da.(Er bergibt Original und Kopie an seine Assistenten Litthenner und Podulla.)Seid so gut und spielt mir die Boten. Das Original zum Sitz des Zentralkomitees; die Kopie sollte bei Freunden im Westen sicher liegen.

Podulla:Chef, man wird hhnen, wir tragen auf beiden Schultern.

Chef:Antwortet: Da wir zwei haben, nutzen wir jede.

Dieses deutsche Trauerspiel Die Plebejer proben den Aufstand lag, als es im Januar 1966 im Berliner Schillertheater uraufgefhrt wurde, der Kritik in Ost und West quer. Dort als konterrevolutionr, hier als Anti-Brecht-Stck abgefertigt, war es bald von den Bhnen verschwunden. Durch die gegenwrtige revolutionre Entwicklung besttigt, nimmt sich der Autor das Recht, auf die Langlebigkeit seiner Plebejer zu setzen.

Doch habe ich vorgegriffen. Der fnfundzwanzigjhrige Augenzeuge des 17. Juni 1953 war noch nicht so weit, direkt schreibend zu reagieren; Vergangenes, Verluste, seine Herkunft, Scham hingen ihn an. Und erst drei Jahre spter, als ich von Berlin nach Paris zog, fanden sich aus Distanz zu Deutschland Sprache und Atem, um auf tausendfnfhundert Seiten in Prosa das zu schreiben, was mir trotz und nach Auschwitz notwendig war. Angetrieben von berufsspezifischer Vermessenheit, befrdert durch anhaltende Schreibwut, ohne Unterbrechung, wenn auch in mehrerei Fassungen, so entstanden in Paris, dann, nach meiner Rckkehr ab 1960 in Berlin die Bcher Die Blechtrommel, Katz und Maus und Hundejahre.

Kein Schriftsteller, behaupte ich, kann ganz allein aus sich einen epischen Entwurf wagen, ohne angestoen, provoziert, von auen in solch unbersehbare Gerllhalden verlockt zu werden. In Kln, auf der Durchreise, war es Paul Schallck, der mich anstie, Prosa zu schreiben; provoziert hat mich die damals gngige, ja, regierungsamtliche Dmonisierung der Zeit des Nationalsozialismus hell ausleuchten, ans Tageslicht bringen wollte ich das Verbrechen ; und verlockt, nach Rckfllen dennoch weiterzumachen, hat mich ein schwieriger, kaum zugnglicher Freund:Paul Celan, der eher als ich begriff, da es mit dem ersten Buch und seinen siebenhundertdreiig galoppierenden Seiten nicht getan sein knne, da vielmehr der profanen epischen Zwiebel Haut nach Haut abgezogen werden msse, und da ich von solchem Unterfangen nicht Urlaub nehmen drfe. Er machte mir Mut, fiktive Gestalten wie Fajngold, Sigesmund Markus und Eddi Amsel, keine edlen, sondern gewhnliche und exzentrische Juden in meine kleinbrgerliche Romanwelt zu fgen.

Wieso Paul Celan, dem gegen Ende der fnfziger Jahre die Wrter immer knapper wurden und dessen Sprache und Existenz auf Engfhrung hinausliefen? Ich wei es nicht. Heute meine ich zu wissen, da er, der berlebende, sein berleben nach Auschwitz kaum noch tragen, schlielichnicht mehr ertragen konnte.

Ich verdanke Paul Celan viel: Anregung, Widerspruch, den Begriff von Einsamkeit, aber auch die Erkenntnis, da Auschwitz kein Ende hat. Seine Hilfe kam nie direkt, sondern verschenkte sich in Nebenstzen, etwa auf Spaziergngen in Parkanlagen. Mehr als auf die Blechtrommel hat sich Paul Celans Zuspruch und Dreinrede auf den Roman Hundejahre ausgewirkt, etwa zu Beginn des Schlumrchens vor Ende des zweiten Teils, sobald sich neben der Flakbatterie Kaiserhafen ein Knochenberg trmt, den das beiDanziggelegene Konzentrationslager Stutthof speist:

Es war einmal ein Mdchen, das hie Tulla und hatte eine reine Kinderstirn. Aber nichts ist rein. Auch der Schnee ist nicht rein. Keine Jungfrau ist rein. Selbst das Schwein ist nicht rein. Der Teufel nie ganz rein. Kein Tnchen steigt rein. Jede Geige wei es. Jeder Stern klirrt es. Jedes Messer schlt es: auch die Kartoffel ist nicht rein: sie hat Augen, die mssen gestochen werden.Aber das Salz ist rein! Nichts, auch das Salz ist nicht rein. Nur auf Tten steht: Salz ist rein. Lagert doch ab. Was lagert mit? Wird doch gewaschen. Nichts wscht sich rein. Doch die Grundstoffe: rein? Sind steril, doch nicht rein. Die Idee, die bleibt rein. Selbst anfangs nicht rein. Jesus Christus nicht rein. Marx Engels nicht rein. Die Asche nicht rein. Und die Hostie nicht rein. Kein Gedanke hlt rein. Auch die Kunst blht nicht rein. Und die Sonne hat Flecken. Alle Genien menstruieren. Auf dem Schmerz schwimmt Gelchter. Tief im Brllen hockt Schweigen. In den Ecken lehnen Zirkel. Doch der Kreis, der ist rein!Kein Kreis schliet sich rein. Denn wenn der Kreis rein ist, dann ist auch der Schnee rein, ist die Jungfrau, sind die Schweine, Jesus Christus, Marx und Engels, leichte Asche, alle Schmerzen, das Gelchter, links das Brllen, rechts das Schweigen, die Gedanken makellose, die Oblaten nicht mehr Bluter und die Genien ohne Ausflu, alle Ecken reine Ecken, glubig Zirkel schlgen Kreise; rein und menschlich, schweinisch, salzig, teuflisch, christlich und marxistisch, lachend, brllend, wiederkuend, schweigend, heilig, rund rein eckig. Und die Knochen, weie Berge, die geschichtet wurden neulich, wchsen reinlich ohne Krhen: Pyramidenherrlichkeit. Doch die Krhen, die nicht rein sind, knarrten ungelt schon gestern: nichts ist rein, kein Kreis, kein Knochen. Und die Berge, hergestellte, um die Reinlichkeit zu trmen, werden schmelzen kochen sieden, damit Seife, rein und billig; doch selbst Seife wscht nicht rein.Mit dem Roman Hundejahre, der ich wei nicht, warum im Schatten der Blechtrommel seine Sperrigkeit beweisen mu und nicht nur deshalb dem Autor nah geblieben ist, war vorlufig meine Prosaarbeit beendet. Nicht da ich noch erschpft war, doch glaubte ich voreilig, mich von etwas freigeschrieben zu haben, das nun hinter mir zu liegen hatte, zwar nicht abgetan, aber doch zu Ende gebracht.

Als mir im Sommer des letzten Jahres ein Auftrag des Hessischen Rundfunks Gelegenheit gab, in Gttingen vor Publikum die gesamte Blechtrommel an zwlf Abenden zu lesen, bot sich, neben der freiwilligen Anstrengung, wiederlesend das Vergngen, mir als jungem Schriftsteller ber die Schulter zu schauen: wie er den Grundgedanken eines nie geschriebenen Theaterstcks zum Epilog der Polnischen Post, zum Kartenhauskapitel abwandelte; wann zum ersten Mal das Wort Brausepulver erinnert werden wollte; welchen Parisbesuchern er Blechtrommel-Kapitel in erster Fassung vorgelesen hat: immer wieder Walter Hllerer; und wie wenig ihn die periodischen Todsagungen des Romans kmmerten.

Dreiig Jahre spter lt sich leicht sagen: Danach wurde alles schwieriger. Durch sich selbst gelangweilt, stand der Ruhm im Wege. Freundschaften wurden brchig. Immer erwartungstrchtige Kritiker bestanden darauf, da Danzig, einzig Danzig samt flachem und gehgeltem Umland mein Thema sein drfe. Sobald ich mich, sei es mit dem Theaterstck Die Plebejer proben den Aufstand, sei es abermals mit Prosa rtlich betubt und Aus dem Tagebuch einer Schnecke der Gegenwart, gar einem bundesdeutschen Wahlkampf bis ins provinzielle Detail zuwendete und mich berdies als Brger politisch engagierte, war das Urteil fixfertig: Er sollte lieber bei Danzig und seinen Kaschuben bleiben. Die Politik hat bisher jedem Autor nur Schaden gebracht. Das wute schon Goethe. Und weitere Ermahnungen schulmeisterlicher Art.

Doch dem Schreiben nach Auschwitz war und ist so frsorglich nicht beizukommen. Die Vergangenheit wirft ihren Schlagschatten auf gegenwrtiges und zuknftiges Gelnde; Vergegenkunft nannte ich spter meinen Zeitbegriff, der im Tagebuch einer Schnecke zu erproben war. Angeregt durch Heines Fragment Der Rabbi von Bacherach, sollte einerseits die Geschichte der Danziger Synagogengemeinde bis zu ihrer Vernichtung beschrieben, also wiederum Vergangenheit eingeholt werden, andererseits war ich gegenwrtig unterwegs: Den Wahlkampf 1969 belastete eine bereinkunft, nach der ein ehemaliger Nationalsozialist als Bundeskanzler der Groen Koalition ertrglich sein sollte; und auf dritter Erzhlebene muten Bausteine fr einen Essay ber Albrecht Drers Kupferstich Melancolia I gesucht werden: Vom Stillstand im Fortschritt. Die Form dieses in allen drei Zeiten gegenwrtigen Tagebuchs wurde durch die Fragen meiner Kinder bestimmt:

Und wohin willste morgen schon wieder?Nach Castrop-Rauxel.Und was machste denn da?Redenreden.Immer noch Espede?Fangt ja erst an.Und was bringste mit diesmal?Teilweise mich ... ... und die Frage, warum die Tapete nicht dichthalten wollte. (Was mit den Kutteln hochkommt und den Gaumen mit Talg belegt.)Denn manchmal, Kinder, beim Essen, oder wenn das Fernsehen ein Wort (ber Biafra) abwirft, hre ich Franz oder Raoul nach den Juden fragen:Was war denn los mit denen?Ihr merkt, da ich stocke, sobald ich verkrze. Ich finde das Nadelohr nicht und beginne zu plaudern: Weil das und zuvor das, whrend gleichzeitig das, nachdem auch noch das...Schneller, als sie nachwachsen, versuche ich Faktenwalder zu lichten. Locher ins Eis schlagen und offenhalten. Den Ri nicht vernahen. Keine Sprunge dulden, mit deren Hilfe die Geschichte, ein schneckenbewohntes Gelnde, leichthin verlassen werden soll...Wieviele waren das denn genau?Und wie hat man die gezahlt?Es war falsch, euch das Ergebnis, die vierteilige Zahl zu nennen. Es war falsch, den Mechanismus zu beziffern; denn das perfekte Toten macht hungrig nach technischen Details und lost Fragen nach Pannen aus.Hat das denn immer geklappt?Und was war das fr Gas?Bildbnde und Dokumente. Antifaschistische Mahnmale, gebaut in stalinistischem Stil. Shnezeichen und Wochen der Brderlichkeit. Gleitfahige Worte der Vershnung. Putzmittel und Gebrauchslyrik: Als es Nacht wurde ber Deutschland...Jetzt erzahle ich euch (solange der Wahlkampf dauert und Kiesinger Kanzler ist), wie es bei mir zu Hause langsam und umstndlich am hellen Tag dazu kam. Die Vorbereitung des allgemeinen Verbrechens begann an vielen Orten gleichzeitig, wenn auch nicht gleichmig schnell; in Danzig, das vor Kriegsbeginn nicht zum Deutschen Reich gehrte, verzgerten sich die Vorgange: zum Mitschreiben fr spter...

In diesem Buch, das 1972 erschien, steht, weil die Definition meines Berufes erfragt wird, die Antwort: Ein Schriftsteller, Kinder, ist jemand, der gegen die verstreichende Zeit schreibt. Eine so akzeptierte Schreibhaltung setzt voraus, da sich der Autor nicht als abgehoben oder in Zeitlosigkeit verkapselt, sondern als Zeitgenosse sieht, mehr noch, da er sich den Wechselfllen verstreichender Zeit aussetzt, sich einmischt und Partei ergreift. Die Gefahren solcher Einmischung und Parteinahme sind bekannt: Die dem Schriftsteller geme Distanz droht verlorenzugehen; seine Sprache sieht sich versucht, von der Hand in den Mund zu leben; die Enge jeweils gegenwrtiger Verhltnisse kann auch ihn und seine auf Freilauf trainierte Vorstellungskraft einengen; er lauft Gefahr, in Kurzatmigkeit zu geraten.

Wohl deshalb, weil mir die Risiken meiner erklrten Zeitgenossenschaft bewut waren, entwarf ich schon whrend der ersten Niederschrift des Schneckentagebuches, noch unterwegs auf Wahlkampfreise, beim Redenreden und whrend ich mir beim Reden zuhrte wie insgeheim, oder hinter dem eigenen Rcken, ein anderes Buch, ein Buch, das erlaubte, Geschichte rcklufig abzuspulen und die Sprache in die Schule des Mrchens zu schicken. Es sollte wieder einmal ums Ganze gehen. Als hatte ich mich von der Schnecke und von der programmatischen Langsamkeit meiner Schneckenpartei erholen wollen, begann ich, kaum war das Tagebuch erschienen und abermals ein Wahlkampf bis zur ersten Hochrechnung ausgekostet, mit den Vorarbeiten fr einen epischen Wlzer: Der Butt.

Hat dieses Buch mit meinem Thema: Schreiben nach Auschwitz zu tun? Es geht um Nahrung: vom Hirsebrei bis zum Slzkotelett. Es geht um berflu und Mangel, um das groe Fressen und den anhaltenden Hunger. Um neun und mehr Kochinnen geht es und um die andere Wahrheit des Mrchens Von dem Fischer un syner Fru: Wie des Mannes Heerschaft immer mehr haben, immer schneller sein, immer hher hinaus will, wie der Mann sich Endziele setzt, die Endlsung beschliet, Am Ende ist; so heit eines der Gedichte, die im Butt den Prosaablauf hemmen, kurzfassen oder auf ein anderes Gleis bringen:

Am EndeManner, die mit bekanntem Ausdruckzu Ende denken,schon immer zu Ende gedacht haben;Manner, denen nicht Ziele womglich mgliche sondern das Endziel die entsorgte Gesellschaft hinter Massengrbern den Pflock gesteckt hat;Manner, die aus der Summe datierter Niederlagennur einen Schlu ziehen: den rauchverhangenen Endsiegauf grndlich verbrannter Erde;Mnner, wie sie auf einer der taglichen Konferenzen,nachdem sich das Grbste als technisch machbar erwies,die Endlosung beschlieen,sachlich mnnlich beschlossen haben;Mnner mit Uberblick,denen Bedeutung nachlauft,groe verstiegene Manner,die niemand, kein warmer Pantoffelhat halten knnen,Manner mit steiler Idee, der Taten platt folgten,sind endlich fragen wir uns am Ende?

Sptestens hier merke ich, da mich das Thema meines Vortrags immer wieder und auch dann zur Rechenschaft zwingen will, wenn eine Erzhlung, wie etwa Das Treffen in Telgte, fr sich spricht. Die Rckdatierung der Gruppe 47, jenes literarischen Nichtvereins, dem ich viel verdanke, lie sich zwanglos bis spielerisch ins Werk setzen; anders verhielt es sich mit einem Buch, das Orwells Jahrzehnt, die achtziger Jahre einluten sollte: Kopfgeburten oder die Deutschen sterben aus. Wie schon beim Butt, im Kapitel Vasco kehrt wieder, ist nicht mehrEuropa, auch nicht das doppelte Deutschland und ganz gewi nicht Danzig Gdask das Ma aller Dinge, vielmehr sind es die immer schneller wachsende und in wachsendem Elend kmmernde Bevlkerung Asiens und das sogenannte Nord-Sd-Geflle, die Druck machen und den erzhlenden Text zu utopischen Sprngen ntigen. Denn von China, Indonesien und Indien aus gesehen, schrumpft der Alte Kontinent auf Spielzeuggre, gibt die deutsche Frage endlich ihre Drittrangigkeit preis und wird das ertrotzte Schreiben nach Auschwitz abermals oder zustzlich fragwrdig.

Wo noch kann Literatur ihren Auslauf finden, wenndieZukunft schon vordatiert und von statistischen Schreckensbilanzen besetzt ist? Was ist noch zu erzhlen, wenn die Fhigkeit des Menschengeschlechts, sich selbst und alles andere Leben auf vielfltige Weise zu vernichten, tglich unter Beweis gestellt werden knnte oder in Planspielen gebt wird? Sonst nichts, doch die atomare, stndlich mgliche Selbstvernichtung verhlt sich zu Auschwitz und erweitert die Endlsung auf globales Ma.

Wer als Schriftsteller zu diesem Schlu kommt und ab Anfang der achtziger Jahre besttigte neuerlich Wettrsten diese Folgerung , der wird entweder das Schweigen zur Schreibdisziplin erheben mssen oder aber und ich begann nach drei Jahren Enthaltsamkeit wieder an einem Manuskript zu arbeiten auch dieses Menschenmgliche, die Selbstvernichtung, zu benennen versuchen.

Die Rttin, ein Buch, in dem mir trumte, ich mte Abschied nehmen..., war ein Versuch, das beschdigte Projekt der Aufklrung erzhlend fortzuschreiben. Doch der Zeitgeist und mit ihm das hochdotierte Geplapper eines Kulturbetriebs, der an sich selbst Genge findet, war nicht zu irritieren. Einander vom Markt drngende Kunstmessen, berinszeniertes Regietheater und die Gigantomanie neuerdings kunstbeflissener Landesfrsten sind Kennzeichen der achtziger Jahre. Die unterhaltsame Geschftigkeit des Mittelmaes und deren Talkmaster, die sich den Freibrief Alles ist mglich ausstellten, doch die Pause, als Wagnis erschreckten Innehaltens, nicht mehr zulieen, diese dynamische Besinnungslosigkeit geriet erst dann ins Stolpern, als sich jenseits der zweifach gesicherten Wohlstandsgrenze die Vlker Ost- und Mitteleuropas nacheinander erhoben und altmodischen Wrtern wie Solidaritt und Freiheit neuen Sinn gaben.

Seitdem ist etwas geschehen. Gemessen an dieser Anstrengung, steht der Westen nackt da. Der Ruf drben Wir sind das Volk! fand hier keine Entsprechung. Wir sind schon frei, hie es. Wir haben schon alles, nur noch die Einheit fehlt. Und schon schlgt, was gestern Hoffnung machte und Europa erkennen lie, in deutsches Begehren um. Wieder einmal soll es das ganze Deutschland sein.

Indem ich meinen Vortrag unter die lastende berschrift Schreiben nach Auschwitz stellte, sodann literarische Bilanz zog, will ich zum Schlu die Zsur, den Zivilisationsbruch Auschwitz dem deutschen Verlangen nach Wiedervereinigung konfrontieren. Gegen jeden aus Stimmung, durch Stimmungsmache forcierten Trend, gegen die Kaufkraft der westdeutschen Wirtschaft fr harte DM ist sogar Einheit zu haben , ja, sogar gegen ein Selbstbestimmungsrecht, das anderen Vlkern ungeteilt zusteht, gegen all das spricht Auschwitz, weil eine der Voraussetzungen fr das Ungeheure, neben anderen alteren Triebkrften, ein starkes, das geeinte Deutschland gewesen ist.

Nicht Preuen, nichtBayern, selbst sterreich nicht, htten, einzig aus sich heraus, die Methode und den Willen des organisierten Vlkermordes entwickeln und vollstrecken knnen; das ganze Deutschland mute es sein. Allen Grund haben wir, uns vor uns als handlungsfhiger Einheit zu frchten. Nichts, kein noch so idyllisch koloriertes Nationalgefhl, auch keine Beteuerung nachgeborener Gutwilligkeit knnen diese Erfahrung, die wir als Tter, die Opfer mit uns als geeinte Deutsche gemacht haben, relativieren oder gar leichtfertig aufheben. Wir kommen an Auschwitz nicht vorbei. Wir sollten, so sehr es uns drngt, einen solchen Gewaltakt auch nicht versuchen, weil Auschwitz zu uns gehrt, bleibendes Brandmal unserer Geschichte ist und als Gewinn! eine Einsicht mglich gemacht hat, die heien knnte: Jetzt endlich kennen wir uns.

Auch das Nachdenken ber Deutschland ist Teil meiner literarischen Arbeit. Seit Mitte der sechziger Jahre bis in die gegenwrtig anhaltende Unruhe hinein gab es Anlsse fr Reden und Aufstze. Oft waren diese notwendig deutlichen Hinweise meinen Zeitgenossen zuviel der Einmischung, der, wie sie meinten, auerliterarischen Dreinrede. Das sind nicht meine Besorgnisse. Eher bleibt Ungengen nach fnfunddreiig Jahren Bilanz. Etwas, das noch nicht zu Wort kam, mu gesagt werden. Eine alte Geschichte will ganz anders erzhlt werden. Vielleicht gelingen noch die zwei Zeilen. So wird meine Rede zwar ihren Punkt finden mssen, doch dem Schreiben nach Auschwitz kann kein Ende versprochen werden, es sei denn, das Menschengeschlecht gbe sich auf.QUELLE: DIE ZEIT, 23.2.1990 Nr. 09Sich verflchtigen = volatilizarse, evaporarse

Die Schlue = la picarda, la inteligencia

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