gut geschützt gegen emi - cloudinary · 2021. 3. 5. · heißkanal-systeme sind ebenfalls...
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© Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 1/2021
COMPOUNDS Medizintechnik
Vernetzte Geräte in der Gesundheits-pflege, in Kraftfahrzeugen, in der Te-
lekommunikation und der Unterhal-tungselektronik können durch starke Funksignale gestört werden. Aufgrund der Art und Nutzung von Elektronikgerä-ten liegen diese häufig nah beieinander und beeinträchtigen sich gegenseitig unter Umständen in ihrem Betrieb durch Signalrauschen. Diese Störungen, soge-nannte elektromagnetische Interferen-zen (EMI) oder Hochfrequenzstörungen (Radio Frequency Interferences, RFI), stel-len eine potenzielle Gefahr für das Leis-tungsvermögen der Geräte dar.
Elektromagnetische Interferenzen sind seit den Arbeiten von Guglielmo Marconi vor rund 150 Jahren als eine Herausforde-rung für die funkbasierte Kommunikation bekannt. Daran hat sich für Elektronik-, Verpackungs- und Compliance-Ingenieu-re bis heute nichts geändert. Einen we-sentlichen Problembereich stellen dabei EMI dar, die durch nicht-ionisierende Strahlung verursacht werden. Mit Stan-dards und Tests zur elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) lässt sich gewähr-leisten, dass Elektronikgeräte in geringem Abstand zueinander unter minimierten Hochfrequenzstörungen sicher funktio-nieren.
Faradayscher Käfig für empfindliche Komponenten
Eine Lösung, um EMI in den Griff zu be-kommen, sind Abschirmungen, mit de-nen sich die Geräte von ihrer Umgebung
und gegen die Signale anderer Geräte isolieren lassen. Derartige Abschirmun-gen erzeugten vereinfacht gesagt einen faradayschen Käfig rund um empfindli-che Komponenten im Gerät. Sie beste-hen gewöhnlich aus einem Metallge-häuse oder einem vergleichbaren Kon-strukt.
Allerdings kann sich die Abschirmung als komplexe Aufgabe erweisen, da die meisten vernetzten Geräte direkt in einer drahtlosen Infrastruktur oder indirekt über ein Endgerät wie beispielweise ein
Smartphone interagieren. Dabei sind sie auf Hochfrequenzbänder unterschiedli-cher Signalstärkepegel angewiesen und kommunizieren mittels verschiedener Technologien mit ihrer Umgebung. Dazu gehören kabellose Nahbereichskommu-nikationstechniken wie Nachfeldkommu-nikation (NFC), Bluetooth (BT), WiFi (WLAN), ZigBee und Versionen dieser Drahtloskommunikationsprotokolle mit geringerer Leistung in lizenzfreien Bän-dern wie ISM (Industrial Scientific & Medi-cal) und SRD (Short Range Devices). All
Gut geschützt gegen EMI
Spezielle Compounds stellen die EMV drahtloser Geräte sicher
Die zunehmende Miniaturisierung bei elektronischen Bauteilen und der höhere Bedarf an drahtloser Kommuni-
kationstechnik stellen die Hersteller von elektronischen Geräten vor einige Schwierigkeiten hinsichtlich der
elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV). Das betrifft sowohl die Störungsresistenz der Geräte als auch die
von ihnen selbst erzeugten elektromagnetischen Interferenzen (EMI). Thermoplastische Kunststoffgemische
mit integrierter EMI-Abschirmung können diese Herausforderungen lösen. Sie stellen nicht nur die EMV sicher,
sondern erhöhen auch die Designfreiheit und reduzieren Nachbearbeitungsschritte.
Frequenz
70dB6055504540353025201510
5030
EMI-A
bsch
irmw
irkun
g (S
E)
47 68 80 230 300 1000 3000
LNP-Faradex-Compound
EN 55011 Group2 ClassB
EN 55011 Group2 ClassA
IEC 60601-1-2 env. 2
EN 55032 Class B
EN 55032 Class A
IEC 60601-1-2 env.1
13,56 MHz
EN 55011 Group1 ClassA
MHz 6000
5G-MIMO-Basisstation4G-Basisstation5G Small CellMobiltelefon
Bluetooth, WiFiBluetooth Low Energy (BLE), ZigBeeNear Field Communication (NFC), RFID
Bild 1. EMV-Abstrahlungsgrenzwerte für die Abschirmwirkung in dB, basierend auf EN 55011:2016,
EN 55032:2015 und IEC EN 60601–1–2:2015 mit Beispielen hochfrequenter Drahtlosgeräte:
Der hervorgehobene Bereich entspricht der Abschirmwirkung von LNP-Faradex-Compounds
Quelle: Sabic; Grafik: © Hanser
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Medizintechnik COMPOUNDS 51
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rung bestehen und derzeit mehr als die Hälfte des Markts ausmachen. Die zuneh-mende Miniaturisierung und die wach-sende technische Komplexität vernetzter Geräte sowie Bestrebungen, sie leichter und anwendungsfreundlicher zu gestal-ten, bringen eine Reihe von Herausforde-rungen mit sich und zeigen Designgren-zen dieser Gehäuse auf. Der Wunsch nach einem geringeren Gewicht von Elektro-nikgeräten, lässt sich selbst mit sehr leich-ten Aluminiumlegierungen nur noch sehr schwer erfüllen – abgesehen von deren Kosten. Hinzu kommt, dass die Ge-räte aufgrund der zunehmenden Kom-plexität und Empfindlichkeit bei immer
diese Techniken erfordern eine Abschir-mung gegen EMI, die gleichzeitig den Empfang der gewünschten Signale er-möglicht. In der Tabelle (S. 52) sind die Leis-tungskennwerte gängiger kabelloser Ge-räte aufgeführt.
Prinzipiell sind Hochfrequenzstörun-gen ab Frequenzen über 30 MHz (RFI) von Bedeutung. Das typische Niveau der Abstrahlung wird dabei in Einheiten der elektrischen Feldstärke gemessen. Stan-dards für Unterhaltungsgeräte und EMV-Richtlinien im Gesundheitswesen stufen entsprechende Geräte abhängig von de-ren bestimmungsgemäßer Einsatzumge-bung in unterschiedliche Kategorien ein. Sie definieren darüber hinaus sowohl Im-munitätsgrade als auch RFI-Grenzwerte über ein breites Frequenzband. Bild 1 fasst einige dieser Grenzwerte zusammen und stellt sie der Abstrahlungsleistung be-stimmter Drahtlostechnologien gegen-über.
Polymere als leichtere Alternativen zu Aluminium
Die Abschirmwirkung (Shielding Effective-ness, SE) gibt Aufschluss über die Eig-nung eines Materials als Schutz gegen in-terne oder externe EMI beziehungsweise seine Fähigkeit, das von einem Gerät er-zeugte oder auf es einwirkende elektri-sche Feld zu begrenzen. Diese ist abhän-gig von der Gesamtleitfähigkeit des Ma-terials, seiner Wanddicke und dem Ziel-frequenzbereich.
Herkömmliche EMI-Abschirmlösungen basieren auf Metallgehäusen, die übli-cherweise aus einer Aluminiumlegie-
kleinerem Bauraum auch potenziell stör-anfälliger werden. Um diese anspruchs-volleren Einsatzbedingungen zu meis-tern, sind deshalb andere Materialien not-wendig.
Einige Hersteller haben dafür alterna-tive Ansätze zur Abschirmung unter-sucht, wie metallische Beschichtungen, das Vakuummetallisieren und das Auf-bringen von Leitlacken auf Kunststoffge-häusen. Diese Methoden reduzieren zwar die Störsignale, sind in dieser Hinsicht al-lerdings Metallgehäusen unterlegen und erfordern sekundäre Bearbeitungsschrit-te nach der ursprünglichen Fertigung. Die Nachbearbeitung wiederum ver-
Bild 2. REM-Analysen zur Darstellung schlecht (oben) und gut (unten) verteilter leitfähiger Fasern
in Spritzgussteilen aus Polycarbonat. Durch entsprechende Verarbeitungsparameter und Spritz-
gießmaschinen kann die Verteilung optimiert werden © Sabic
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für erforderlichen Spritzgießbedingun-gen zu ermitteln. Zu den Best Practices bei der Ausrüstung zählen eine Univer-salschnecke mit einem maximalen Kom-pressionsverhältnis von 2,5 : 1 und einer Schneckenspitze, die keine zusätzliche Scherbelastung auf die Schmelze aus-übt, sodass diese frei und ohne Faser-bruch in das Werkzeug fließen kann. Mischschnecken eignen sich nicht für die Verarbeitung. Empfehlenswert sind außerdem ein Schussgewicht von 40 bis 70 % der Zylinderkapazität und eine ge-ringe bis mittlere Einspritzgeschwindig-keit, um Scherung und Faserbruch weiter zu minimieren. Der Staudruck beim Plas-tifizieren sollte maximal 344 kPa betra-gen und die Schneckenumdrehung im niedrigen Bereich zwischen 30 und 60 U/min liegen. Höhere Schmelztem-peraturen können die Viskosität verrin-
gern, den Faserabrieb reduzieren und den Oberflächenzustand der Spritzguss-teile verbessern.
Passende Spritzgießtechnik
Im Hinblick auf das Werkzeugdesign emp-fehlen sich Angussbuchsen sowie voll ab-gerundete Angusskanäle mit großzügi-gen Abmessungen und ohne scharfe Kanten. Der Anschnittdurchmesser sollte mindestens 1,8 mm betragen. Heißkanal-systeme sind ebenfalls geeignet, aber tor-pedoförmige Heißkanaldüsen können ei-nen hohen Faserabrieb verursachen. Als Werkzeugstahl eignen sich gehärtete Ty-pen wie 1.2344/1.2738 oder H 13. Bei den Versuchen wurde festgestellt, dass sich die Edelstahlfasern in den LNP-Faradex-Compounds nur minimal auf den Werk-zeugverschleiß auswirken.
ursacht zusätzliche Systemkosten, er-schwert die Produktion und beeinträch-tigt die Gesamtumweltbilanz der Produk-te. Darüber hinaus eignen sich nicht alle Thermoplaste für diese Nachbehand-lungstechniken.
Inhärente EMI-Abschirmung im Kunststoff
Als sinnvolle Alternativen bieten sich stattdessen Polymere an, die eine EMI-Abschirmung als integrierte und inhären-te Materialeigenschaft mit sich bringen. Diese bietet ein hohes Maß an Abschir-mung und reduziert die Notwendigkeit, sekundäre Bearbeitungsschritte zu be-rücksichtigen, was den Designspielraum erweitert. Sabic Specialties, Riad/Saudi-Arabien, hat mit den Compounds LNP Fa-radex entsprechende Werkstoffe entwi-ckelt, die über eine hohe EMI-Abschirm-leistung als direkt in das Polymer einge-bundene Eigenschaft verfügen. Sie sind für die Verarbeitung im Spritzgießen ge-dacht.
Entscheidend für die maximale Ab-schirmleistung ist die optimale Vertei-lung der leitenden Fasern im Spritzguss-teil. Sabic hat umfassende Verarbei-tungsversuche durchgeführt, um die da-
Die AutorenMarnik Vaes, M. Sc., ist Business Develop-
ment Manager in der Geschäftseinheit
Specialties von Sabic;
Leen-Pieter Deurloo, B. Sc., ist Senior
Business Development Manager für das
Spezialitätengeschäft von Sabic in Europa;
Dr. Martin Sas ist Lead Scientist bei Sabic
Specialties und leitet Projekte und Aktivi-
täten für Elektroanwendungen mit Hoch-
leistungspolymeren;
ServiceDigitalversionB Ein PDF des Artikels finden Sie unter
www.kunststoffe.de/onlinearchiv
English VersionB Read the English version of the article
in our magazine Kunststoffe international or at www.kunststoffe-international.com
Tabelle. Typische Hochfrequenzleistungen gängiger Drahtlosgeräte mit Störpotenzial im Gesund-
heitsbereich Quelle: Sabic
Drahtlosgerät
Bluetooth Class 2
Bluetooth Low Energy (BLE)
WiFi-Modul eines Laptops
Bluetooth Class 1
WiFi Router
Mobiltelefon
5G Small Cell
4G-Basisstation
5G-MIMO-Basisstation
abgestrahlte Leistung
2 mW
2 mW
10 mW
100 mW
100 mW
250 mW
500 mW
20 W
100 W
Leistungspegel [dBm]
3
3
10
20
20
24
27
43
50
Elektrische Feld-stärke [V/m]
0,3
0,3
0,7
2,2
2,2
3,5
5,0
30
70
Elektrische Feldstär-ke [dBµV/m]
110
110
117
110
110
130
134
150
157
leitfähige Compounds -LNP-Faradex-Compounds
AbschirmmethodeGewichts-reduktion
relativeKosten
Abschirm-wirkung
Recycling-fähigkeit
Abfall-erzeugung
Design-Flexibilität
Beschichtungen
leitfähige Lacke
Metallisierung
Metallgehäuse
positiv durchschnittlich negativ
Bild 3. Typische Kernmerkmale verschiedener EMI-Abschirmtechniken und -materialien
Quelle: Sabic; Grafik: © Hanser
Medizintechnik COMPOUNDS 53
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XTRUSIONSTAGUNG17. DUISBURGER
Flexibilität, Qualität, Nachhaltigkeit: Herausforderungen und Chancen für Prozesse und Produkte17. – 19. März 2021
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Der Nutzen der empfohlenen Ausrüs-tungsmerkmale und Verarbeitungspara-meter ist gut in Bild 2 anhand eines poly-mersatten Formteils aus einem Polycar-bonat-Compound (PC) zu erkennen. Die beiden oberen REM-Aufnahmen zeigen eine schlechte Faserverteilung im An-schnittbereich und am Ende des Fließ-wegs. In den zwei unteren REM-Aufnah-men ist die optimierte Faser-Kunststoff-Konzentration nach der praktischen An-wendung der ermittelten Versuchsergeb-nisse zur Maximierung des Faraday- Käfig-Effekts erkennbar.
Geringeres Gewicht und höhere Designfreiheit
Aus den Eigenschaften der LNP-Faradex-Compounds ergeben sich weitere Vortei-le (Bild 3). Da sich die abschirmende Nach-behandlung der Bauteile erübrigt, bieten sie den Geräteherstellern mehr Design -freiheit. Mit den Compounds lassen sich beispielsweise medizintechnische Geräte
mit komplexeren 3D-Formen fertigen. Darüber hinaus kommen sie der weiteren Miniaturisierung von Elektronikbauteilen entgegen und erhöhen das Integrations-potenzial der Beschaltung, etwa für das Embedding einer drahtlosen Zeilenka-mera in einer Tablette zur Prüfung des Verdauungssystems. Außerdem ermögli-chen sie anwendungsgerechtere Geo-metrien für sensible Komponenten, ohne deren Eignung zur drahtlosen Übertra-gung von Überwachungsdaten zu beein-trächtigen. Mit den Compounds sind im Vergleich zu anderen Materialien Ge-wichtseinsparungen und reduzierte Mon-tagekosten bei den gefertigten Geräten möglich.
Faradex-Compounds verfügen über die notwendige Kombination an EMI-Ab-schirmung und mechanischen, thermi-schen und Brandschutzeigenschaften (direkte Beflammung und Wärmeeinwir-kung nach NFPA 1901–12, 1.7), um ge-genwärtige Anforderungen von Geräte-herstellern zu erfüllen. Mit ihnen lassen
sich teure, zeitaufwendige Verfahren ver-meiden, wie sie angesichts geltender EMV-Standards (CE/EN 50081–2:1992, EN 50082–2, FCC Teil 15 etc.) bei anderen Materialien erforderlich sind.
Biokompatibler Kunststoff mit Abschirmwirkung
Mit LNP Faradex NS003XXW hat Sabic ebenfalls ein nach der Norm ISO 10933 vorbewertetes Compound für bestimmte biokompatible Anwendungen entwickelt. Aktuelle Trends wie das Internet of Things (IoT), die Entwicklung vollständig elektri-scher und autonomer Fahrzeuge und Be-strebungen zur Kostenreduktion durch eine vermehrt ambulante und häusli-che Gesundheitspflege werden in abseh-barer Zeit in vielen Bereichen zu einer steigenden Nachfrage nach vernetzten Geräten führen. Ein biokompatibler Kunst-stoff mit EMI-Abschirmeigenschaften bie-tet sich dafür als kostengünstiges Mate-rial an. W