ips-newsletter ausgabe 14 newsletter november 2018 · 3 ips-newsletter ausgabe 14 november 2018 ich...
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Liebe Freundinnen und Freunde
des Internationalen Parlaments-
Stipendiums,
das IPS ist inzwischen im Deut-
schen Bundestag nicht nur etab-
liert – es ist eine Institution im
internationalen Maßstab. Rund
2.500 Stipendiatinnen und Sti-
pendiaten aus 42 Staaten haben
dieses ungewöhnliche Praktikum
bereits durchlaufen. 32 Jahrgänge!
Sie bilden ein Netzwerk von Bot-
schafterinnen und Botschaftern
der Demokratie in ihren Heimat-
ländern und auf der internationa-
len Bühne. Sie alle haben seiner-
zeit die Chance genutzt, direkt
Einblick in die Arbeit des Deut-
schen Bundestages zu gewinnen
und aus nächster Nähe zu erleben,
wie Parlamentarismus in Deutsch-
land funktioniert, wie in unserem
repräsentativen System Mehrhei-
ten gebildet werden – aus der Fül-
le von Argumenten, Interessen
und Meinungen in einer pluralis-
tischen Gesellschaft – und wie
wichtig dabei die Fähigkeit zum
Kompromiss ist. Mehr noch: Sie
haben in den Büros ihrer Patenab-
geordneten in diesem Prozess ak-
tiv mitarbeiten können.
Nicht weniger wichtig und prä-
gend ist für die IPS-Teilnehmer
der Austausch mit den Stipendia-
tinnen und Stipendiaten aus den
anderen Ländern. Gerade die Be-
gegnungen mit Gleichaltrigen,
ihre Erzählungen, Lebensge-
schichten, Perspektiven und poli-
tische Erfahrungen sind von un-
schätzbarem Wert für die persön-
liche Entwicklung vieler „IPSler“.
Das ist lebendige Völkerverständi-
gung. Und sie ist jetzt nicht weni-
ger notwendig als im Kalten Krieg
Mitte der 1980er Jahre in der Ent-
stehungsphase des IPS.
Die Welt ist seitdem eine andere
geworden, die Kernanliegen des
IPS – demokratische Werte, Tole-
ranz, Verständnis für kulturelle
Vielfalt – sind aktuell. Gerade in
heutiger Zeit – angesichts kom-
plexer Herausforderungen in ei-
ner zunehmend global vernetzten
politischen und wirtschaftlichen
Wirklichkeit und angesichts der
Bedrohung durch neue Partikula-
rismen, Nationalismen wie durch
Populismus.
Die Werte der Demokratie sind
nicht selbstverständlich, sie sind
nicht voraussetzungslos. Das an-
zunehmen, wäre ein fataler Irr-
tum. Diese Erfahrung machen ge-
rade die jungen Briten in Bezug
auf die EU, die sie für selbstver-
ständlich hielten. Im entscheiden-
den Moment haben sie versäumt,
ihre Stimme für den Verbleib in
der Europäischen Union zu erhe-
ben. Jetzt müssen sie mit den Fol-
gen leben.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig
es ist, jungen Menschen zu vermit-
teln, dass es im politischen Alltag
auf sie persönlich ankommt. Das
bedeutet Verantwortung für die
Zukunft im Sinne Karl Poppers.
Und unser IPS ist eine hervorra-
gende Plattform, Erfahrungen und
Erkenntnisse für die politische Ge-
staltung der Zukunft zu gewinnen.
Ich freue mich, als Schirmherr den
33. IPS-Jahrgang zu begleiten und
wünsche den Stipendiatinnen und
Stipendiaten Wissensdurst, span-
nende Begegnungen und interes-
sante Einblicke in den Maschinen-
raum der
Demokratie!
„Unsere Einstellung der Zukunft gegenüber muss sein:
Wir sind jetzt verantwortlich für das,
was in der Zukunft geschieht.“
- Karl Popper
Ausgabe 14
November 2018Newsletter
Unser Schwerpunkt in diesem Newsletter:
Programmvielfalt 2018 und Alumni-
Regionalkonferenzen
Dr. Wolfgang Schäuble
Präsident des Deutschen
Bundestages
© DBT/IO1
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Liebe IPS-Alumni, liebe Freunde
und Förderer,
am Anfang der 19. Wahlperiode
des Deutschen Bundestages habe
ich den Vorsitz der Berichterstat-
tergruppe für die Internationalen
Austauschprogramme von Bern-
hard Schulte-Drüggelte übernom-
men. Ich bin seit 2013 für die
CDU/CSU Mitglied im Deutschen
Bundestag. Mein Wahlkreis liegt
in Krefeld, ganz im Westen der
Bundesrepublik in Nordrhein-
Westfalen. Inhaltlich engagiere
ich mich u.a. als ordentliches Mit-
glied im Haushaltsausschuss und
als stellvertretendes Mitglied im
Ausschuss für Bildung und For-
schung. Auf die neue Aufgabe in
der Berichterstattergruppe freue
ich mich sehr.
Schon jetzt bin ich tief beein-
druckt, wie viele Menschen sich
nicht nur im Deutschen Bundes-
tag, sondern auch in vielen ande-
ren Institutionen für das IPS ein-
setzen und welche breite Unter-
stützung es überall erfährt.
Über das IPS haben wir ein sehr
erfolgreiches Netzwerk geschaf-
fen, in dem wir uns länderüber-
greifend austauschen können, das
uns gegenseitig lernen und
verstehen hilft, auch wenn es ein-
mal schwierig wird, wenn es Ver-
trauen braucht.
Ein wichtiges Anliegen ist uns und
mir, dass der Dialog mit Ihnen al-
len nicht abreißt und dass der Aus-
tausch rege bleibt. Über unser
Alumninetzwerk haben wir eine
wunderbare Plattform dazu ge-
schaffen und im vergangenen Jahr
ist es gelungen, uns mit dem Diplo-
matennetzwerk des Auswärtigen
Amtes zusammen zu tun.
Schon jetzt zeigen sich erfreuliche
Synergien bei der Verknüpfung
von Veranstaltungen. Die jüngsten
Regionalkonferenzen in Rumänien
und Moldau haben einmal mehr
bewiesen, wie inhaltlich fruchtbar
diese Begegnungen sind und wie
schön das jeweilige Wiedersehen.
Einen kleinen Einblick in die ver-
gangenen Regionalkonferenzen gibt
Ihnen diese Ausgabe unseres IPS-
Newsletters.
Ihre Kerstin Radomski, MdB
© Muamera Tihic (30.02.2018)
© DBT/ Stella von Saldern
© Kerstin Radomski
Kerstin Radomski
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Ich konnte es nicht glauben, als
ich alles hinter mir hatte.
Verschicken der Anmeldung und
Dokumente, die Zusage zum
Vorstellungsgespräch... Dann
dachte ich mir, was könnten die
Fragen sein? Wie kann ich mich
am besten präsentieren? Wieso
bin ich ein besserer Kandidat als
die anderen? Und noch viele
andere Fragen schwirrten in
meinem Kopf rum. Und dann
kam der Tag, als ich zur
Deutschen Botschaft in Sarajewo
gegangen bin. Die Straßenbahn
verspätete sich. Wie immer, wenn
man einen wichtigen Termin hat.
Trotzdem kam ich rechzeitig und
nun sitze ich vor dem
Auswahlkomitee. War ich
irgendwann in meinem Leben so
aufgeregt? Ich glaube nicht. Vor
lauter Aufregung habe ich mir
keinen Namen so richtig gemerkt.
Dann habe ich mir zugeredet,
wenn es so sein soll, dann schaffe
ich es, alle von mir zu
überzeugen. Ich denke, dass das
Vorstellungsgespräch insgesamt
nicht länger als eine halbe Stunde
gedauert hat.
Für das Stipendium habe ich
mich beworben, weil ich es
faszinierend finde, dass die
deutschen Politiker mit uns „auf
Augenhöhe“ arbeiten wollen und
uns einen Einblick in das
poltische System Deutschlands
geben. Wir werden die
Möglichkeit haben, nicht nur die
Politik, Kultur und Wirtschaft
Deutschlands kennenzulernen,
sondern auch die Länder der
anderen Stipendiaten vorgestellt
bekommen. In Bosnien und
Herzegowina funktioniert das
politische Leben nicht wie in
Deutschland. Alle Probleme
werden unter den Teppich
gekehrt. Das Problem zurzeit ist,
dass viele junge Menschen keine
Perspektive mehr in diesem Land
sehen und ihm den Rücken
kehren. Ich möchte mein Land
aber nicht aufgeben. In den
schwersten Jahren 1992-1995 ist
mein Land nicht untergegangen.
Wieso soll es jetzt so sein?
Meine Beziehung zu
Deutschland begann
in meinem
4. Lebensjahr, als
ich als Flüchtling
das erste Mal
deutschen Boden
betrat. Da war ich
noch sehr klein und
wusste nicht, was
gerade in meinem
Heimatland
passiert. Aber jetzt
bin ich alt genug, um etwas zu
verändern.
Politik geht auch anders!
Ich hoffe, dass ich vieles, was ich
in Deutschland lerne, auch in
Bosnien und Herzegowina
anwenden kann, damit auch über
meinem Land wieder die Sonne
scheint. Ich möchte mein Land
souverän vertreten und mich
bemühen, in diesen 5 Monaten
aktiv zu sein. Ich hoffe, dass ich
somit auch Vorbild für andere
junge Menschen aus meinem Land
werde. Die Verabschiedung von
Familie und Freunden fiel mir
nicht schwer, weil das Programm
nicht so lange dauerte, um Tränen
zu vergießen. Und nun bin ich in
Berlin. Ich war schon ein paar Mal
in Berlin, aber trozdem habe ich
mich sehr gefreut, wieder hier zu
sein. Die Reise ist nicht so glatt
gelaufen wie sie sollte. In Sarajewo
kam es zur Verspätung des Fluges,
sodass ich den Anschlussflug von
Köln nach Berlin verpasst habe.
Und ausgerechnet an dem Tag
waren noch drei weitere Flüge
nach Berlin ausgebucht. Was nun?
Muamera Tihic,
Bosnien und Herzegowina
© Muamera Tihic (30.02.2018)
Am Flughafen in Bosnien…
Ich habe das Stipendium in der Tasche!
Nicht das erste Mal in Deutschland...
© Muamera Tihic (29.02.2018)
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
einen Tag in Köln bleiben oder
mit den anderen Passagieren mit
dem Zug 5 Stunden fahren? Ich
habe die Zugfahrt angetreten und
natürlich kam es zu technischen
Störungen, sodass ich irgendwann
gegen Mitternacht in Berlin im
Hostel ankam. Wegen solcher
Probleme habe ich mich
entschlossen, zwei Tage früher
loszufahren.
01.03.2018:
Der erste Tag des Programms hat
mit der Anmeldung und der
Wohnungsaufteilung begonnen.
Sehr früh am Morgen wieder den
Koffer schieben und den Rucksack
schleppen... Na ja, das hat Spuren
an meinem Rücken hinterlassen.
...Ich habe das Stipendium in der Tasche!
Und dann kam der Moment, als
ich meine neue Mitbewohnerin
kennengelernt habe. Ich bin
wirklich sehr zufrieden mit der
Auswahl. Wir haben viele
gemeinsame Interessen und haben
die Zeit genutzt, uns nicht nur
kennen zu lernen, sondern auch
viel voneinander zu lernen.
IP-Stipendiatinnen 2018
Das Einführungsseminar 2018
Zhamilya Mukasheva,
Kasachstan
Endlich, am 5. März begann das
Programm mit dem Einführungsse-
minar. 116 Stipendiaten aus 40
Ländern hatten zum ersten Mal die
Chance, in einem Ausschussraum
des Deutschen Parlaments zu sit-
zen. Außerdem konnten die Sti-
pendiaten sich und ihre Länder
präsentieren sowie ihre Erwartun-
gen an das Programm mit anderen
Stipendiaten teilen.
Stolz auf Demokratie und Frie-
den
Tunesien, Kanada, Frankreich,
Ungarn, Moldau, Russland … Die
Stipendiaten sind aus ganz ver-
schiedenen Ländern nach
Deutschland gekommen. Einige
sind zum ersten Mal in Deutsch-
land oder überhaupt in Europa.
Andere studieren oder arbeiten
schon seit längerer Zeit hier.
Obwohl die Stipendiaten ver-
schiedene Hintergründe haben
und aus ganz verschiedenen Län-
dern kamen, wenn es darum geht,
ihre Heimatländer zu präsentie-
ren, sprechen sie am meisten über
kulturelle Vielfalt, Toleranz ge-
genüber anderen ethnischen und
religiösen Minderheiten in ihrer
Gesellschaft, Adhärenz zu Men-
schenrechten und falls vorhanden
– stabilen und lang existierenden
Demokratien. Zum Beispiel er-
wähnte ein Vertreter aus Aser-
baidschan, dass sein Land eines
der ersten in der Welt war, dass
das Frauenwahlrecht proklamiert
hat.
Vertreter aus Israel, Kanada, Russ-
land, Frankreich, Türkei, Belarus,
Mazedonien, Kasachstan, Algeri-
en und vielen anderen Ländern
sprachen über die ethnische und
religiöse Vielfalt in ihren Län-
dern. Da es zurzeit in vielen Län-
dern eine vielfältige Gesellschaft
gibt, ist es wichtig zu erfahren,
wie die politischen Prozesse am
besten in solchen Ländern funkti-
onieren können.
© Zhamilya Mukasheva
© Muamera Tihic
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Hier hatten wir jetzt die einzigarti-
ge Möglichkeit, das politische Sys-
tem Deutschlands kennenzulernen
und selbst zu sehen, wie Politik in
einer sehr vielfältigen Gesellschaft,
gemacht wird.
Große Erwartungen an das Pro-
gramm
Viele der Tausenden Alumni des
IPS Programmes arbeiten heute in
Ministerien ihrer Länder, internati-
onalen Organisationen und Univer-
sitäten. Die Teilnahme am IPS gab
ihnen sehr wichtige Erfahrungen,
die später in ihrer Arbeit geholfen
haben. Heutige Teilnehmer des
Programms haben auch große Er-
wartungen an das Programm. „Ich
hoffe darauf, dass ich während
meines Praktikums interessante
Aufgaben erledigen werde. Zum
Beispiel, würde ich gerne eine öf-
fentliche Rede schreiben, Bericht
erstatten oder die Arbeit des Parla-
ments und Ausschüsse beobach-
ten“, - sagt eine der Stipendiatin.
Es ist für uns Stipendiaten wich-
tig, Kontakte mit Abgeordneten zu
knüpfen, genauso wollen wir aber
auch die anderen Teilnehmer des
Programms kennenlernen: „In
solchen Programmen kannst du
viel mehr über andere Länder ler-
nen als aus Büchern oder dem
Internet.
Es ist schön, Freunde in allen
Ecken der Welt zu haben!“, sagt
eine Stipendiatin. Besonders
wichtig ist für Stipendiaten auch,
etwas zu lernen, was nützlich für
Ihre Länder wäre – zum Beispiel,
Praktiken der politischen Dialoge
in Deutschland.
Den Reichstag kennen lernen
Zum Ende des Einführungssemi-
nars gab es eine Exkursion durch
das Reichstagsgebäude.
Die Exkursion war wirklich faszi-
nierend, weil im Reichstagsgebäu-
de sehr viele Spuren der Vergan-
genheit zu beobachten sind. Die
Geschichte der Deutschen Demo-
kratie ist durch Informationspla-
kate und Kunstwerke präsentiert.
...Das Einführungsseminar 2018
© Zhamilya Mukasheva
IPS-Stipendiaten im Ausschussraum des Paul-Löbe-Hauses
„Archiv der deutschen Abgeordneten“ von
Christian Boltanski
© © Zhamilya Mukasheva
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Der Medientag am 7. März 2018Spieglein, Spieglein, ...
Wer die Medien als vierte Ge-walt im Staate bezeichnet, der untertreibt. Liegt es doch letzt-lich in ihrer Hand, wie die Ver-
treter der anderen Gewalten vom Volk wahrgenommen wer-
den.
Die Qual der Wahl
Neben dem lang herbeigesehnten Praktikum im Büro eines Bun-destagsabgeordneten, hatten wir im Rahmen des IPS 2018 am 12. März die Möglichkeit, einige Me-dieneinrichtungen von innen kennenzulernen. Zur Auswahl für einen Besuch standen diverse Medienhäuser: ARD, BPA, DPA, DW, RTL, Der Spiegel und das ZDF. Hier eine Wahl zu treffen, fiel uns allen nicht leicht.
Nichtsdestotrotz haben sich für die jeweiligen Einrichtungen Gruppen gefunden, darunter auch eine Gruppe von 18 begab-ten IPS-Praktikanten, die den Spiegel näher kennenlernen wollte.
Ein besonderer Tag für Deutsch-land
Bevor wir die Brücke zum Spie-gel überquerten, hielten wir kurz im Paul-Löbe-Haus inne. Hier sollte die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD stattfinden. Darin wurden nach langwierigen Verhandlungen die Handlungs-
schwerpunkte der nächsten Re-gierungsjahre festgelegt. Wir konnten in diesem historischen Moment selbst hören, wie Bun-deskanzlerin Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Olaf Scholz (SPD) unter dem Motto „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusam-menhalt für unser Land“ von großen Aufgaben sprachen.
Mit deutscher Pünktlichkeit konnten wir nach diesem spon-tanen Zwischenstopp nicht mehr glänzen und beeilten uns nun schnellstmöglich zu unserem Termin im Büro des Spiegel zu kommen.
Der Spiegel
Der Spiegel ist ein gedruckt und online verfügbares Wochenmaga-zin. Weltweit gibt es 15 Büros in den großen Hauptstädten, wie Washington, Moskau, Rom, Paris und Peking.
Im größten deutschen Büro des Spiegel, dem Hauptstadtbüro, findet die bundespolitische Be-richterstattung statt.
Dort hat Herr Christoph Schult, Redakteur beim Spiegel mit je-weils 5 Jahren Erfahrung als Kor-respondent in Jerusalem und Brüssel, geduldig alle unseren neugierigen Fragen beantwortet.
Leaks und Investigationen
Neben Fakten über den Spiegel haben wir auch schwierige The-men besprochen, wie die Frau-enquote und die Möglichkeiten des Journalismus in der Türkei. Das Thema Investigativjournalis-mus ist für den Spiegel ein be-sonders wichtiges, so sagt Herr Schulte: „Gerade bei einem Ma-gazin wie Der Spiegel […] muss
eigentlich jeder Redakteur inves-tigativ denken.“
Es fänden sich in jedem Ressort investigative Teile, nicht nur in großen Titelgeschichten, wie zu den Panama Leaks, sondern auch in persönlichen Porträts und poli-tischen Berichten. Es sei ihre Auf-gabe, jede Woche herauszufinden, was hinter den Kulissen oder in Kabinettssitzungen passiert –auch das sei investigativ.
Gedanken und Eindrücke
Jeder IPS-ler im Raum konnte die-se Darstellung leicht mit den Er-fahrungen aus dem eigenen Land abgleichen. Uns wurde hier auch bewusst, dass die Arbeit, die im Bundestag geleistet wird und zu der wir beitragen dürfen, viele Menschen im gesamten Land nicht nur interessiert, sondern wesentlich beeinflusst und damit Gegenstand genau der investigati-ven Berichterstattung ist, die Herr Schulte erörtert hat.
Nach unserer Diskussionsrunde und einer anschließenden Füh-rung durch das Büro ging ein spannender und für Deutschland ganz besonderer Tag bei einem der bekanntesten Medien Deutschlands für uns zu Ende. Wir haben tolle Eindrücke gesam-melt, wie die politische Berichter-stattung in Deutschland funktio-niert und welche Herausforderun-gen die Arbeit als Korrespondent mit sich bringt.
Valeriya Stange, Russland
© Valeriya Stange
Spiegel-Redakteur Christian Schult und Valeriya Stange bei „Der Spiegel“
© Valeriya Stange
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Tina Milas, Kroatien
Arbeiten im Deutschen Bundestag
"Das Parlament ist das Herz der Demokratie."
- sagte Herr Prof. Risse.
Daher sollen wir uns mit dem Ge-danken der parlamentarischen De-mokratie und Toleranz besonders intensiv auseinandersetzen.Innerhalb dieses Programmes wer-den wir die Möglichkeit haben, verschiedene politische Stiftungen kennenzulernen und über ein brei-tes Spektrum der politischen und gesellschaftlichen Fragen diskutie-ren. Außerdem wird dieses Pro-gramm in Kooperation mit drei Berliner Universitäten durchge-
Für den neunten Tag des Internati-onalen Parlaments-Stipendiums 2018 war die Veranstaltung „Arbeiten im Deutschen Bundes-tag“ vorgesehen. Am 9. März hatten wir die Eh-re, den Staatssekretär Prof. Dr. Horst Risse, Di-rektor beim Deutschen Bundestag, kennenzuler-nen, der uns im Paul-Löbe-Haus herzlich will-kommen hieß.
In seinen einführenden Worten betonte Prof. Ris-se die Einzigartigkeit des Internationalen Parla-ments-Stipendiums und stellte fest, dass Deutschland seit 1986 durch das Programm rund 2500 Freunde welt-weit bekommen hat. Das zeigt, dass das Internatio-nale Parlaments-Stipendium eine sehr lohnende Investition für Deutschland war. Herr Staatssekretär äußerte seine Hoffnung, dass das IPS auch für uns, 116 IPS-StipendiatInnen aus 40 Länder, eine lohnende Investition sein wird.
Herr Prof. Risse hat noch einmal hervorgehoben, dass das Zentrum des IPS-Programms ein Praktikum im Abgeordnetenbüro ist, wobei von StipendiatInnen Freundschaft und aktive Mitarbeit erwartet wer-den. Die Arbeit im Abgeordneten-büro wird uns helfen, Einsicht in die Parlamentsverwaltung und die Gremien zu gewinnen.
führt: Humboldt Universität zu Berlin, Freien Universität Berlin sowie der Technischen Universität Berlin. Als ein Teil dieses Stipen-diums werden wir auch das akade-mische Leben in Berlin erfahren
können.
Unsere Teilnahme an diesem Stipendium endet aber nicht mit dem fünfmonatigen Pro-gramm.
Nach dem Ende des Aufenthalts können wir uns in der Alumni-arbeit engagieren. Mit unserer Hilfe und durch eine aktive Par-tizipation an der Pflege des IPS-Programms profitiert der Deut-sche Bundestag und auch wir.
Nach der inspirierenden Rede von Prof. Dr. Horst Risse haben wir im Anschluss vieles über das Arbeiten im Deutschen Bundestag erfahren.In darauffolgenden Vorträgen ging es um das Gesetzgebungs-verfahren, den Ablauf einer Ple-narwoche sowie die Rolle von Regierung und Opposition. Man konnte sich auch mit der Ar-beitsweise der Ausschüsse aus-einandersetzen oder sich über die Arbeit diverser Abteilungen
des Deutschen Bundestages infor-mieren.
Für uns war es von großer Bedeu-tung, diese Vorträge von hochran-gigen Experten der Bundestagsver-waltung hören zu dürfen und die Gelegenheit zu haben, ihnen Fra-gen zu stellen. Diese Veranstaltung hat uns gehol-fen, noch einen Schritt näher dem Verstehen der deutschen Demokra-
tie zu kommen.
© Tina Milas
© Tina Milas
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Das IPS-Einführungsseminar 2018
Zeitreise - Treffpunkt Bad Belzig
Die Zeit wurde umgestellt, wir haben uns verändert.
Einleitung
Stellen Sie sich vor: eine Welt oh-ne Kriege und Konflikte, eine Welt voller Toleranz und Frieden, eine Welt, in der alle Menschen frei und gleichberechtigt sind. Das ist die Welt der Zukunft, die Welt, nach der wir streben sollten. Das ist unsere Traumwelt. Aber wann und wie kann die Menschheit diese Traumwelt er-reichen? Um diese und viele andere Fragen zu beantworten, haben 116 junge Leute, die aufgrund ihrer Qualifi-kationen ausgewählt worden sind und die aus verschiedenen Länder mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen kommen, eine kurze Zeitreise in die Zukunft gemacht.
Startpunkt dieser interessanten und spannenden Reise war die kleine, ruhige deutsche Stadt Bad
Belzig. Die Reise wurde von dem IMAP-Institut, das sich auf inter-kulturelle Trainings spezialisiert, sehr professionell organisiert und durchgeführt. Der Dornenweg zur Traumwelt bestand aus drei Stati-onen und endete mit der Erstel-lung der Wertecharta, aufgrund derer wir die heutige turbulente und konfliktreiche Welt ändern sollen. Wir hatten das Glück, als Mitglieder dieser internationalen Mannschaft an der Reise teilneh-men zu dürfen und möchten Ihnen unsere Erfahrung mitteilen.Per Anhalter durch die Stationen. Jedes Team muss als Ganzes bzw. als ein erprobter Mechanismus funktionieren. Deswegen hatten wir bei der ersten Station viele verschiedene Kennenlernen-Aktivitäten, die uns alle näher bringen sollten. Das war eine wichtige Aufgabe auf dem Weg zum Ziel, weil wir uns in vielen Aspekten voneinander unterschei-den und widersprüchliche Mei-nungen bzw. Vorstellungen haben.
Das zentrale Element bei dieser Station war die Gruppenarbeit. In den Gruppen unterschiedlicher Konstellationen lernten wir, ande-re Meinungen zu erkennen und zu tolerieren, um fähig zu sein, verschiedene kulturelle Missver-ständnisse zu klären. Der Höhe-punkt der ersten Station waren die Länderpräsentationen. Alle Teil-nehmerinnen und Teilnehmer stellten die Besonderheiten ihrer Kulturen vor und erzählten viele interessante und tollen Geschich-ten. Eine freundliche Atmosphäre trug dazu bei, dass wir unseren Teamgeist erfolgreich ausbildeten und nach dem intensiven Tag be-reit waren, unsere Zeitreise fortzu-setzen.
Um die Welt zu verändern, soll man sie gut kennen und verste-
hen. Dafür war unsere zweite Sta-tion geeignet, bei der der wichtige theoretische Background zur inter-kulturellen Kommunikation und zum interkulturellen Konfliktma-nagement beigebracht wurde. In-terkulturelle Kompetenzen sind heutzutage zentrale Schlüsselqua-lifikationen und Voraussetzung friedlicher Existenz geworden. Wir fingen mit der Klärung der unterschiedlichen Definitionen von Kultur an. Es kam heraus, dass ‘Kultur‘ ein komplexer Be-griff ist, der nicht so einfach defi-niert werden kann. Er unterschei-det sich von „der mentalen Pro-grammierung der Menschen in einer Gesellschaft“ bis „besonderen Verhandlungen zwi-schen Menschen im Versuch zu klären, was als normal gelten soll“. Außerdem hat Kultur so-wohl sichtbare (Traditionen, Ver-halten der Menschen usw.), sowie auch unsichtbare (Gewohnheiten, Eigenschaften und Ideale der Menschen) Merkmale und ver-schiedene Ebenen (von der indivi-duellen Ebene bis Landesebene). Mit vollem Kopf an Informationen versuchten wir, ein allgemeines Kulturmodell zur weiteren Orien-tierung zu erstellen. Endlich, mit der Hilfe vom IMAP-Team, schaff-ten wir auch das und waren schon auf dem Weg zur nächsten Stati-on.
Ein deutlicher Zusammenhang existiert zwischen der Zukunft, der Gegenwart und der Vergan-genheit. Deswegen mussten wir zurück in die Vergangenheit schauen, um die gegenwärtige Si-tuation bewerten zu können. Einer der wichtigsten Teile der dritten Station war auch das Treffen mit den Vertretern der ethnischen Minderheiten Deutschlands. Es war sehr spannend, neue Informa-tion von den beteiligten Leuten zu
Zeitreisende aus Kasachstan, Anna Arkhipova
Zeitreisender aus Kasachstan, Filipp Semyonov
© Anna Arkhipova
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
bekommen, über die aktuelle Lage von den Volksgruppen in Deutsch-land, sowie auch über ihre tägli-chen Probleme und Schwierigkei-ten zu erfahren. Eines der High-lights dieses Tages war ein Ge-sprächs mit Frau Petra Rosenberg (Vertreterin der Volksgruppe der deutschen Sinti), die einen Teil des Buches „Das Brennglas“ ihres Va-ters Otto Rosenberg vorgelesen hat, in dem er seine Auschwitz-Erinnerungen beschrieben hat.
Die Lesung hat uns alle sehr be-wegt und unsere Gefühle geweckt. Man konnte sehen, dass viele unse-rer Kolleginnen und Kollegen die Tränen nicht verbergen konnten.
Es war ein wirklich sehr emotio-naler Moment, der uns zum Nach-denken gebracht hat. Dieses Nach-denken soll weitergegeben wer-den, damit künftige Generationen die Fehler der Vergangenheit ver-meiden können.
Unbedingt zu erwähnen ist auch die Fahrt nach Berlin, in deren Rahmen wir eine Führung durch die Stadt mit dem Schwerpunkt „Multikulturelle Gesellschaft“ hatten. Uns wurden die Stadtteile gezeigt, die während der typi-schen Touristenrundfahrten nicht zu sehen sind. Außerdem hat un-ser Team die Möglichkeit, eine Moschee, eine Kirche und eine
Synagoge zu besuchen. Der Be-such der Moschee war ein beson-derer Moment für uns, da wir dort zur Zeit des Gebets waren. Es war eine gute Chance, Vorurteile zu beseitigen und die andere Kultur nicht nur aus Büchern oder dem Fernseher, sondern live näher kennenzulernen.Zielpunkt unseres Abenteuers war die helle Zukunft, die wir mit der Entwicklung einer Wertechar-ta endlich erreicht haben. Mit Hil-fe dieser Charta sollen wir, 116 ausgewählte junge Leute mit dem unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergrund, unse-re turbulente und konfliktreiche Gegenwart verändern, um die Traumwelt der Zukunft zu errei-chen.
...Zeitreise - Treffpunkt Bad Belzig
© Deutscher Bundestag/Achim MeldeIP-StipendiatInnen 2018 in Bad Belzig
© IMAP
© IMAP
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Am 6. April 2018 standen im Paul
-Löbe-Haus des Deutschen Bun-
destages anspruchsvolle Themen
auf der Agenda: Demokratieförde-
rung (KAS), Integration (HSS),
Geschlechtergerechtigkeit (FES),
Presse und Journalismus (FNS),
Klimagerechtigkeit (RLS) und po-
litische Bildungsarbeit (HBS). Die-
se Themen der ersten Tageshälfte
wurden nicht wie gewöhnlich von
Mitgliedern parlamentarischer
Ausschüsse diskutiert, sondern
unter Einbeziehung der Stipendia-
tinnen und Stipendiaten des In-
ternationalen-Parlaments-
Stipendiums des Deutschen Bun-
destages.
Im Rahmen eines World Cafés
kamen Vertreterinnen und Vertre-
ter aller deutschen politischen
Stiftungen zusammen, um den
Stipendiatinnen und Stipendiaten
die Stiftungsarbeit vorzustellen
und mit ihnen ins Gespräch zu
kommen. Bei ihren Seminaren
zum Thema „Erinnerungskultur“
in Berlin und Kloster Banz konn-
ten die politischen Stiftungen be-
reits im März einige Stipendiatin-
nen und Stipendiaten des IPS
Jahrgangs 2018 kennenlernen. So
freuten wir uns, am Tag der poli-
tischen Stiftungen auf bekannte
Gesichter zu stoßen und neue
„IPSler“ kennen zu lernen.
Von den einzelnen Stiftungen
wurden je zwei Workshops ange-
boten, zwischen denen frei ge-
wählt werden konnte. Während
die Friedrich-Ebert-Stiftung nach-
mittags von ihren Nachwuchspro-
grammen in Mittel- und Osteuro-
pa sowie in der MENA-Region
erzählte, thematisierte die Rosa-
Luxemburg-Stiftung das Thema
Unternehmensverantwortung für
Menschenrechte. Gegenstand des
Workshops der Friedrich-
Naumann-Stiftung war die Men-
schenrechtsarbeit der Stiftung.
Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung
gab es Input zur Demokratieförde-
rung und -festigung anhand kon-
kreter Länderbeispiele. Die Hein-
rich-Böll-Stiftung stellte ihren
Kohleatlas vor, wohingegen die
Hanns-Seidel-Stiftung sich mit
der Stärkung von föderalen Struk-
turen im Ausland auseinander-
setzte.
Die gelebte politische Vielfielt
spiegelte sich nicht nur in der
Zusammenkunft der verschieden
parteinahen politischen Stiftun-
gen wieder, sondern auch in den
unterschiedlichen Perspektiven
und Positionen der internationa-
len Stipendiatinnen und Stipen-
diaten. Angeregte, teils kontrover-
se Diskussionen bestimmten die
Atmosphäre in den Sitzungssälen.
Die Stiftungen erhielten dabei
wertvolle Anregungen, die sie in
ihre praktische Arbeit, sei es im
In- oder Ausland, einfließen las-
sen möchten. Von den Meinungen
und Erfahrungen der politisch
interessierten Nachwuchstalente
zu hören, macht den Austausch
mit den jungen Menschen des IPS
immer wieder aufs Neue so span-
nend und abwechslungsreich.
Wir freuen uns daher schon jetzt
auf die nächsten gemeinsamen
Seminare im Sommer und ganz
besonders auf den zweiten Stif-
tungstag: Am 11. Juli konnten
sich interessierte Stipendiatinnen
und Stipendiaten genauer über
Fördermöglichkeiten der Stiftun-
gen informieren. Wir hoffen, die
Stipendiaten hatten eine gute Zeit
und interessante Einblicke in die
Arbeit der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages.
Tag der politischen Stiftungen 2018
Paulina Conrad, Mitarbeiterin der
Hanns-Seidel-Stiftung e.V.
© Hanns-Seidel-Stiftung e.V./Kathrin Fröhling
© Hanns-Seidel-Stiftung e.V./Kathrin Fröhling
© Hanns-Seidel-Stiftung e.V./Büro Berlin
IP-Stipendiat*innen in der Diskussion
World Café im Paul-Löbe-Haus
© Hanns-Seidel-Stiftung e.V./Kathrin Fröhling
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Das diesjährige IPS-Programm star-
tete offiziell auf der Auftaktveran-
staltung, wo die Stipendiaten zu
Beginn ihres Stipendiums von
Bundestagsvizepräsidentin Frau
Claudia Roth willkommen gehei-
ßen wurden, deren Datum zufällig
mit meinem Geburtstag zusammen-
fiel. Nach der herzlichen Bestär-
kung, der Austausch im Rahmen
des IPS sei das Gegenteil von Be-
quemlichkeit, gerade in Zeiten der
Vereinfachung und Vertrauensver-
luste, ist mir klargeworden, dass
im politischen Wettstreit der Par-
teien das Menschliche nicht zu
kurz kommen muss. Am Ende ih-
res Grußwortes gratulierte Frau
Roth mir vor anwesenden Abgeord-
neten, Mitarbeitern und Mitarbeite-
rinnen und Gästen völlig überra-
schend zum Geburtstag, wobei ich
gestehen muss, es nicht gewohnt
zu sein, Glückwünsche von Parla-
mentsvizepräsidentinnen zu erhal-
ten und die wahrzunehmen, ver-
tieft im Gespräch mit den Mitarbei-
terinnen von Frau Abg. Doris Bar-
nett, auf einer solchen Veranstal-
tung nicht jedem vergönnt ist.
Frau Barnett hatte ich bereits beim
Auswahlgespräch in Tiflis als Lei-
terin der Kommission für Armeni-
en und Georgien kennengelernt, zu
dem ich aus Berlin angereist war,
wo ich an der Humboldt-
Universität zu Umweltstrafrecht
promoviere. Obwohl ich dort ge-
fragt worden war, ob ich als Dok-
torand bereit wäre, auch Kaffee zu
kochen, kann ich nach dem ersten
Monat im Deutschen Bundestag
bestätigen: Von wegen Kaffeeko-
chen! Schon in der ersten Woche
musste ich mich in komplexe
Materie einarbeiten, die Abläufe
des parlamentarischen Alltags
kennenlernen und mich mit
innenpolitischen sowie europäi-
schen Themen auseinandersetzen.
Mitarbeit an Europathemen
Wenn man im Bundestag arbeitet,
ist es sehr wichtig, sich schnell
mit den Abkürzungen und der so
genannten Bundestagssprache
vertraut zu machen. So musste
ich für meine Tätigkeit schnell
lernen, dass HHA - Haushaltsaus-
schuss und UAEU - Unteraus-
schuss zur Fragen der Europäi-
schen Union bedeutet. Und ich
war auch auf die Frage gefasst, ob
man sich im Casino zum Mittag-
essen treffe.
Am Anfang meines Praktikums
durfte ich an Plenar- und Aus-
schusssitzung teilnehmen und
musste feststellen, dass die
Hauptarbeit des Deutschen Bun-
destags in den Ausschüssen, Un-
terausschüssen und Arbeitskrei-
sen stattfindet. Dabei ist die Palet-
te zu besprechender Themen sehr
umfangreich. Frau Abg. Doris Bar-
nett, bei der ich das Praktikum
absolviere, ist die Vorsitzende des
Unterausschusses zu Fragen der
Europäischen Union im Haus-
haltsausschuss. Bei der Vorberei-
tung für die Unterausschusssit-
zungen musste ich mich schnell
in die verschiedensten Themen
einarbeiten und mich nicht nur
mit den innenpolitischen The-
men, sondern auch mit europapo-
litischen Themen, wie dem
Brexit, der Griechenlandkrise,
dem Europäischen Währungs-
fonds oder Antworten auf
Macrons Reformpläne auseinan-
dersetzen. Plötzlich lagen die gan-
zen theoretischen Europarechts-
kenntnisse, die ich aus meinem
Studium kannte, vor mir als Pra-
xis auf dem Tisch und ich musste
feststellen, welchen immanenten
Einfluss die EU-Politik auf ein
europäisches Arbeitsparlament
wie den Deutschen Bundestag
hat.
Der Alltag im Abgeordnetenbüro
Zu einem schnellen Einstieg im
Büro verhalf mir Frau Barnetts
ehemalige IPS-Stipendiatin, die
für meine Fragen immer zur Ver-
fügung stand. Im Abgeordneten-
büro habe ich gelernt, welchen
Anteil der Dialog mit Bürgern ein-
nimmt, die das Parlamentsgebäu-
de während der Plenarsitzungen
besuchen. Ich fand interessant,
dass die Schülergruppen bereits
im Grundschulalter den deut-
schen Parlamentarismus und ihre
Repräsentanten kennenlernen
und sich mit der Politik auseinan-
dersetzen.
Wenn man selbst Teil eines Aus-
tauschprogrammes im Rahmen
des IPS ist und das demokratische
Leben vor Ort erfährt, lernt man
alle Facetten parlamentarischer
Arbeit kennen. Und das ist doch
das Gegenteil von Bequemlich-
keit.
Mein erster Monat im Deutschen Bundestag
Davit
Chikhladze,
Georgien
© Davit Chikhladze
12
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Die Wahlkreisreise
Aus Berlin in die Berge
Das Herz der politischen Arbeit schlägt nicht nur in Berlin, sondern auch in den 299 Wahlkreisen Deutschlands. Um diesen Teil der Aufgaben eines MdBs hautnah zu erleben, müssen alle IP-Stipendiaten drei Tage in den je-weiligen Wahlkreisen verbringen. Ich hatte die Gelegenheit den Wahlkreis meines Abgeordneten, Jürgen Hardt, Wuppertal II, Rem-scheid und Solingen im Mai 2018 zu besichtigen. Als ich aus mei-nem ICE gestiegen bin, war das ers-te, was ich in Wuppertal gesehen habe, die vielen Baustellen. Der Wahlkreis wächst und wird häufig von Stadt, Land, und Bund dabei unterstützt. In der Woche vor mei-ner Reise habe ich eine Pressemit-teilung über Investitionen des Bun-des im Wahlkreis geschrieben und es war für mich sehr interessant das vor Ort zu sehen. Bei meinem Spaziergang durch die Altstadt Wuppertals, hörte ich viel mehr Sprachen als nur Deutsch. Es über-raschte mich wie vielfältig der Wahlkreis ist. Nach meinem Spa-ziergang in der Altstadt, ging ich Richtung Oberbarmen, mit der be-liebten und berühmten Schwebe-bahn – was für ein Spaß! Ich fühlte mich als ob ich in Disney World wäre, mit einer süßen Altstadt und einer Art Achterbahn.
An meinem zweiten Tag im Wahlkreis bin ich pünktlich um 9 Uhr im Wahlkreisbüro Wuppertal an-gekommen, wo ich meine Kol-legin, ihren Hund, und meinen Abge-ordneten ganz und gar in die
Arbeit vertieft vorgefunden habe. Die Woche war Europawoche und mein Abgeordneter kam, als au-ßenpolitischer Sprecher der Bun-destagsfraktion CDU/CSU, mit Schülern über Themen wie Euro-papolitik, Brexit, das Verhältnis zu Russland und den USA sowie der Flüchtlingsthematik ins Ge-spräch. Danach haben ein Mitar-beiter aus dem Wahlkreis und ich eine Stadtrundfahrt gemacht.
Wir haben zuerst die berühmte Müngstener Brücke besichtigt, die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Es ist mir in die-sem Moment aufgefallen, dass unser Wahlkreis sehr fortgeschrit-ten in Verkehrsdingen ist!
Mit der Schwebebahn, dieser Brücke, und auch dem größtem Oberleitungsbusbe-trieb Deutschlands. In derselben Richtung sind wir weiter Rich-tung Schloss Burg an der Wupper gefahren. Dort konnten wir ei-nen schönen Ausblick in die Natur und in die Geschichte genie-ßen. Danach sind wir in dem Wahlkreisbüro Solingen angekom-men, wo unser nächster Termin das Kennenlernen einer Amerika-
nerin aus dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm (PPP) war. Wir haben mit Herrn Hardt über ihre Zukunft als Bauingenieurin gesprochen und sind im Stadtteil Gräfrath ein Eis essen gegangen.
Zuletzt mussten wir uns auf eine gemeinsame Bürgersprechstunde mit dem Bürgermeister Solingen vorbereiten. Viele Bürger haben sich über die aktuelle Flüchtlings-lage und Unterstützung für das Wohlsein der Flüchtlinge geäußert. Besonders gut gefallen hat mir, dass mein Abgeordneter sich die Zeit genommen hat, jedem einzel-nen Bürger persönlich zuzuhören.
Während einer Sitzungswoche ist in Berlin viel los im Hauptstadtbü-ro, aber im Wahlkreisbüro nicht. Genau umgekehrt ist es in einer Nichtsitzungswoche, wenn der Ab-geordnete im Wahlkreis ist.
Was ich von meiner Wahlkreisreise gelernt habe ist, dass es einem Abgeordneten nie lang-weilig wird. Ob in Berlin, auf Dienstreise oder im Wahlkreis, müssen Abgeordnete ihr Privatle-ben opfern, um den Bürgern und ihrem Land zu dienen.
Mary Jones, USA
© Mary Jones
Mary Jones auf ihrer Wahlkreisreise
© Mary Jones
© Mary Jones
© Mary Jones
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Eine aktive Werbung für das
Internationale Parlaments-Stipendium
Scott Usatorres,
stellver. Vorsit-
zender des Ame-
rican Bundestag
Network
„War dein Deutsch gut genug?“
„Wie geht man als Ausländer mit
der AfD um?“
„Wird man im Abgeordnetenbüro
gut bezahlt?“
Auf solche Fragen musste man bei
der „Career Days 2017“ Veranstal-
tung an der Brown University als
IPS-Alumnus und jetziger Abgeord-
netenmitarbeiter eine Antwort gut
überlegt haben! Im Rahmen der
Alumniarbeit des American Bun-
destag Network wurde mir die Ge-
legenheit gegeben, einen Vortrag an
der Brown University über meine
Zeit im IPS zu halten und über mei-
ne aktuelle Tätigkeit im Abgeordne-
tenbüro zu berichten. Nebenbei
ehemalige Professoren zu besuchen
war nett, aber Hauptziel meiner
Reise zurück in die USA war eine
aktive Werbung fürs IPS-
Programm.
Als Teil unserer Gesamtstrategie
im ABN für eine bessere und akti-
vere Werbung des IPS-Programms
haben wir die amerikanischen IPS
-Alumni darauf hingewiesen,
Kontakt mit ihren ehemaligen
Universitäten aufzunehmen. Ver-
bunden mit einer einheitlichen
und verfestigten Social Media
Präsenz, einem regelmäßigen
Newsletter und verlässlichen Re-
gionalkoordinatoren konnten wir
die Anzahl der fürs Programm
Jahr 2018 eingegangenen Bewer-
bungen um über 75% erhöhen.
Mit dieser Zahl haben wir einen
Rekord für US-Bewerbungen auf-
gestellt und wir werden in den
folgenden Jahren danach streben,
diesen Rekord zu überbieten.
Uns wäre dieser Erfolg natürlich
nie gelungen, ohne die Unterstüt-
zung vom Referat WI4. Das Team
war immer bereit, uns IPS-
Werbemittel („Give-Aways“ auf
Deutsch, wie ich gelernt habe) zur
Verfügung zu stellen, oder Vor-
schläge für eine gute Planung einer
Veranstaltung zu geben. Egal ob ein
Telefonat, eine Mail, oder ein Tref-
fen zum Mittagessen im Paul-Löbe-
Haus, alle IPS-Alumni haben Zu-
gang zu WI4-Resourcen, die eine
aktive Alumniarbeit vereinfachen
und ermöglichen. An dieser Stelle
möchte sich der ganze ABN-
Vorstand bei WI4 bedanken.
Mit ungefähr 30 jungen Studenten
und Studentinnen konnte ich ins
Gespräch im Rahmen der Career
Days 2017 kommen. Das neue von
WI4 gemachte IPS-Video auf der
Homepage ist bei denen sehr gut
angekommen. Auch alle IPS Blei-
stifte und Schlüsselbänder waren
sofort weg. Ich habe mich sehr ge-
freut, nachdem manche sich sofort
geäußert hatten, sich im kommen-
den Jahr fürs IPS zu bewerben.
Aber ob man im Abgeordnetenbüro
gut bezahlt wird? Naja, zuerst
müssten Sie einen Platz im Pro-
gramm schaffen, dann können Sie
sich selbst die Frage beantworten!
Katarína Kissová,
Vorsitzende des
IPS-Alumni Ver-
eins Slowakei,
Büroleiterin der
Vertretung der
Hanns-Seidel-
Stiftung in Bra-
tislava
Die Regionalkonferenz der Visegrád-Staaten in Bratislava
Der IPS-Alumni-Verein Slowakei
organisierte in Zusammenarbeit
mit der Hanns-Seidel-Stiftung
Bratislava, dem Deutschen Bun-
destag und der Deutschen Bot-
schaft in Pressburg eine Regional-
tagung für die ehemaligen Stipen-
diatinnen und Stipendiaten des
Internationalen Parlamentsstipen-
diums des Deutschen Bundesta-
ges (IPS) in der slowakischen
Hauptstadt. 2017 in Bratislava.
© Scott Usatorres/Marina Polovinkina
© Katarína Kissová
14
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Auf Einladung der Kooperations-
partner trafen 22 junge IPS-
Absolventen aus den sog. Vise-
grád-Staaten (Slowakei, Tsche-
chien, Ungarn und Polen) vom
11. bis 15. Oktober 2017 in Bra-
tislava zusammen.
Die Regionalkonferenz hat einen
hervorragenden Rahmen für das
gegenseitige Lernen und Verste-
hen von Politikansätzen zwi-
schen den Visegrád-Staaten, der
EU und Deutschland geboten.
Die hochqualifizierten jungen
Teilnehmer haben die Möglich-
keit erhalten, sich mit höchsten
Entscheidungsträgern, Regie-
rungsvertretern und Experten
zum Thema „EU und Visegrád –
Zerfall oder Koalitionsbildung“
auszutauschen.
Dem gegenseitigen Meinungsaus-
tausch zwischen den Teilnehmer-
ländern diente auch eine öffentli-
che Diskussionsveranstaltung un-
ter Beteiligung des Bundestagsab-
geordneten, Herrn Bartholomäus
Kalb und von Repräsentanten der
Hanns-Seidel-Stiftung in Mittel-
europa. Herrn Martin Kastler ist
es in der Diskussion gelungen, die
IPS-Markenbekanntheit im Kreis
der slowakischen Politikerinnen
und Politiker zu erhöhen.
Die Teilnehmer haben sich dar-
über hinaus mit dem Thema Inno-
vative und zukunftsorientierte
Alumni-Arbeit auseinanderge-
setzt. Im Rahmen eines Kommu-
nikationstrainings suchten sie
gemeinsam Lösungsansätze für
die Frage, wie man als Alumni-
Verein die potenziellen Bewerbe-
rinnen und Bewerber für das IPS-
Stipendium gewinnen kann.
Zudem haben sich die Alumni zum
Ziel gesetzt, einen Rahmen für den
regelmäßigen und nachhaltigen
Austausch und die Kontaktpflege
unter den Visegrád-Ländern zu
gründen.
Dementsprechend sollten ähnliche
Regionalkonferenzen und Tagun-
gen der Visegrád-Staaten auf regel-
mäßiger Basis stattfinden. Der
IPS-Alumni-Verein dankt herzlich
allen Kooperationspartnern, die die
Regionaltagung in Bratislava unter-
stützt haben.
© Hanns-Seidel-Stiftung/Stanislav Zupa (12.10.2017)
© Hanns-Seidel-Stiftung/Stanislav Zupa
...Die Regionaltagung der Visegrád-Staaten in Bratislava
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
IPS Alumni Regionalkonferenz in Rabat:
„Herausforderungen irregulärer Migration bewältigen,
Chancen regulärer Migration nutzen“
Nach der ersten erfolgreichen Regi-
onalkonferenz für die Region Nord-
afrika in Tunesien war es uns eine
besondere Freude, die zweite Regi-
onalkonferenz vom 16. bis 19. No-
vember 2017 in Rabat zu organi-
sieren. Sie brachte diesmal sowohl
die Alumni Nordafrikas als auch
des Nahen Ostens zusammen.
An der Konferenz haben 21 Alumni
aus Marokko, Algerien, Tunesien,
Ägypten, Jordanien, Palästina und
dem Libanon teilgenommen.
Die Konferenz war eine Möglich-
keit über das Thema „Migration“
auf verschiedenen Ebenen und
mit verschiedenen deutschen
sowie auch marokkanischen Insti-
tutionen zu diskutieren.
Die Konferenz war gekennzeich-
net durch die interessanten Vor-
träge, die die Alumni über Flucht
und Migration in ihren Heimat-
ländern gehalten haben. Der Aus-
tausch mit den Alumni war sehr
interessant und fruchtbar.
Die Teilnahme von Herrn Prof.
Dr. Ulrich Schöler, Leiter der Ab-
teilung Wissenschaft und Außen-
beziehungen, hat die Diskussion
und unsere Konferenz sehr berei-
chert, weil er u.a. Fragen zur
deutschen Migrationspolitik be-
antwortet hat. Prof. Schöler
sprach darüber, dass Deutsch-
land und die Mitgliedstaaten der
EU sich verstärkt bemühen, eine
wirksame, humanitäre und sichere
europäische Migrationspolitik zu
entwickeln. Prof. Schöler sagte des
Weiteren, dass Deutschland in den
letzten Jahren umfassende Maß-
nahmen ergriffen hat, um auf den
Migrationsdruck zu reagieren. Au-
ßerdem betonte er, dass die Be-
kämpfung der irregulären Migrati-
on schon im Atlas Gebirge be-
ginnt.
Während der dreitägigen Konfe-
renz konnten die Alumni einerseits
mehr über die Erfahrung Marokkos
und seiner Migrationspolitik erfah-
ren, andererseits hatten wir die
Gelegenheit, mehr über die Situati-
on der Migranten und die Migrati-
onspolitik der Herkunftsländer zu
erfahren und darüber zu diskutie-
ren.
Die Konferenz wurde beendet mit
Workshops, in denen wir die Mög-
lichkeit hatten, über die zukünfti-
gen und möglichen Maßnahmen
zu diskutieren, um die Migrations-
potenziale zu nutzen.
Die Konferenz war eine Gelegen-
heit, um uns über das Thema der
Migration auszutauschen und die
Netzwerke zwischen den Alumni
und damit auch zwischen unseren
Herkunftsländern auszubauen.
Asma
Merzaq,
IPS-Alumna© Asma Merzaq
© Asma Merzaq
© Asma Merzaq
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Die überregionale IPS-Alumni-Konferenz in Viscri,
Rumänien
Demokratische Werte und gute Freundschaft!
Politisches Engagement, Weltoffen-
heit und eine gemeinsame Erfah-
rung im Herzen der deutschen De-
mokratie – diese Merkmale kenn-
zeichnen das länder- und alters-
übergreifende IPS-Netzwerk, das
mittlerweile 2.500 Menschen aus
42 Ländern umfasst. Wir, die
Alumni des Internationalen Parla-
ments-Stipendiums, bezeichnen
uns (nicht ohne Stolz) noch lange
nach Abschluss unserer Praktika in
Berlin als „IPS-ler“. Viele von uns
sind untereinander gut vernetzt
und sogar eng befreundet. Wir un-
ternehmen halbe Weltreisen, um
uns gegenseitig zu besuchen, tref-
fen uns privat, überbrücken die
Entfernungen zwischen unseren
Ländern mit angeregten Diskussio-
nen im virtuellen Raum, feiern
‚internationale‘ Geburtstagpartys
und Hochzeiten sowie legendäre
IPS-Silvesternächte. Und was noch
schöner ist: Wir veranstalten regel-
mäßig Alumni-Konferenzen, bei
denen Erfahrungen ausgetauscht,
Kontakte gepflegt und Freundschaf-
ten aufgefrischt werden.
45 ehemalige Stipendiatinnen und
Stipendiaten des IPS haben sich
nun vom 27. April bis 1. Mai 2018
im siebenbürgischen Viscri (oder:
Deutsch-Weißkirch) in Rumänien
erstmals zu einer überregionalen
Konferenz getroffen. Das Thema
lautete: „Die Rolle Deutschlands
in den Heimatländern der IPS-
Alumni aus politischer, wirt-
schaftlicher und kultureller
Sicht“. Die Initiative zu dieser
Veranstaltung kam von zwei ehe-
maligen Stipendiaten des Jahr-
gangs 2008, Ursula Radu-
Fernolend aus Rumänien und
Victor Bashkatov aus Russland.
Sie hatten sich nach langer Zeit –
und mit der dazugehörigen Porti-
on von IPS-Nostalgie – auf einen
Drink dort verabredet, wo IPS für
die meisten von uns beginnt: in
Berlin-Kreuzberg. Ursprünglich
wollten sie ein kleines Treffen
zum zehnjährigen Jubiläum ihres
IPS-Jahrgangs planen. Daraus ist
eine dreitägige Konferenz in der
Kirchenburg von Deutsch-
Weißkirch geworden, an der „IPS-
ler“ der Jahrgänge 1990 (Adam
Peszke aus Polen) bis 2017
(Kenan Melhem aus Syrien) teilge-
nommen haben.
„Gemeinsame Werte in unseren
Herkunftsländern stärken“
19 Länder waren vertreten: Belarus,
Bosnien und Herzegowina, Bulgari-
en, Griechenland, Israel, Jordanien,
Kasachstan, Kroatien, Republik
Moldau, Montenegro, Polen, Russ-
land, Serbien, Syrien, Tschechien,
die Ukraine, Ungarn, die USA, und
natürlich Rumänien. Im Mittel-
punkt der Konferenz stand nicht
allein unsere langjährige, internati-
onale Freundschaft. Vielmehr han-
delte es sich um einen Versuch, mit
dem IPS-Netzwerk „den aktuellen
Rückschritten der Demokratie ent-
gegenzuwirken und gemeinsame
Werte im europäischen Sinne in
unseren Herkunftsländern zu stär-
ken“, wie Ursula Radu-Fernolend
in ihrer Begrüßungsansprache er-
klärte.
Die Konferenz startete mit einem Kennenlernspiel
© Christine Chiriac/Janek Wiechers
Christine Chiriac, IPS-Alumna
© Christine Chiriac/
Janek Wiechers
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
...Demokratische Werte und gute Freundschaft!
Im Rahmen der Podiumsdiskussio-
nen am ersten Konferenztag ging es
thematisch um politisches Engage-
ment, die parlamentarische Demo-
kratie und den Gemeinschaftssinn,
aber auch um aktuelle Herausforde-
rungen der Demokratie, um Popu-
lismus und Krieg. So baute Herr
Cord Meier-Klodt, Botschafter
Deutschlands in Rumänien, seine
Rede auf „vier Hurras und eine Sor-
ge“ auf. Er würdigte das zivile En-
gagement, die europäische „Einheit
in der Vielfalt“, die gelebte parla-
mentarische Demokratie und die
„IPS-ler als Vertreter eines einge-
schworenen internationalen Netz-
werks“, äußerte aber auch seine
Besorgnis über die weltweit zuneh-
mende „Tendenz zu politischen
Alleingängen“, das „populistische
Arbeiten mit Ängsten“ und die
„absichtliche Eskalation von Prob-
lemen, die eine einfache Lösung
haben könnten“.
Seinen Arbeitsalltag im Europäi-
schen Parlament schilderte uns aus
erster Hand der rumänische EU-
Abgeordnete Siegfried Mureşan. Er
hat vor zwölf Jahren selber das In-
ternationale Parlaments-
Stipendium absolviert und be-
zeichnet dieses Programm heute
noch als „Meilenstein“ für seine
politische Karriere. Auf der Kon-
ferenz, wie in seinem gesamten
Wirken, plädierte er für mehr
Transparenz in der Politik und für
eine verstärkte Kontrolle der Poli-
tiker durch die Bürger. Insbeson-
dere im heutigen Rumänien sei es
wichtig, „dass die Menschen den
Politikern ganz genau auf die Fer-
sen schauen“.
„Den Mitmenschen auf gleicher
Augenhöhe begegnen“
Als Gastgeberin sprach Caroline
Fernolend, Kreisrätin in Braşov
(zu Deutsch: Kronstadt) und Lei-
terin des „Mihai Eminescu Trust“,
einer Stiftung, die sich in Rumä-
nien seit vielen Jah-
ren im Bereich der
dörflichen Entwick-
lung engagiert und
den Erhalt der einzig-
artigen siebenbürgi-
schen Architektur
mit einer Vielfalt von
gemeinschaftsför-
dernden Maßnahmen
verbindet. Frau Fern-
olend begrüßte uns
herzlich in ihrem
Heimatdorf und warf
einen Blick zurück
auf die jüngste Ge-
schichte von Deutsch-Weißkirch:
Das Dorf sollte während der
Ceauşescu-Ära abgerissen wer-
den, verlor nach der Wende von
1989 seine traditionelle sieben-
bürgisch-sächsische Gemeinschaft
fast vollständig und „existierte bis
vor zwanzig Jahren nicht auf der
Karte“. Mit kleinen Schritten und
dem gemeinsamen Ziel ein besseres
Leben für alle zu schaffen, sei es
gelungen, Differenzen zwischen
Rumänen, Siebenbürger Sachsen
und Roma zu überbrücken und
dem Dorf eine Zukunft und einen
neue Gemeinschaft zu geben. Wie
uns Caroline Fernolend erklärte,
erhalten heutzutage „nur noch vier
Familien Sozialhilfe von noch 45
im Jahr 2007“, und Deutsch-
Weißkirch hat rund 40.000 Besu-
cher im Jahr. Frau Fernolend teilte
zum Schluss ihr Erfolgsrezept mit
uns: „Den Mitmenschen auf glei-
cher Augenhöhe zu begegnen und
gemeinsam zu versuchen, etwas für
die
an-
deren zu tun – denn das alles
kommt sicherlich vielfach zurück!“
Auch Emil Hurezeanu, Botschafter
Rumäniens in Deutschland, hieß
uns in Siebenbürgen herzlich will-
kommen, erzählte uns über wichti-
ge historische und politische Zäsu-
ren in der jüngsten Geschichte Ru-
mäniens, und ermutigte uns stets
„Schnittstellen zu finden, da wo
andere Trennlinien sehen und
Podiumsdiskussion mit (v.l.) Botschafter Emil Hurezeanu,
Botschafter Cord Meier-Klodt, Kommunalpolitikerin Caroline
Fernolend und den Organisatoren der Konferenz, Ursula Radu
-Fernolend und Victor Bashkatov.
© Janek WiechersEine Reportage über die Konferenz wurde
im staatlichen Fernsehen TVR ausgestrahlt
© Janek Wiechers
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
...Demokratische Werte und gute Freundschaft!
Spaltung fördern“. Zu den Podi-
umsgästen zählten zudem Alina-
Roxana Gîrbea, politische Bericht-
erstatterin bei der Vertretung der
Europäischen Kommission in Buka-
rest, Stephan Meuser, Leiter der
Friedrich-Ebert-Stiftung Bukarest,
Raimar Wagner, Projektmanager der
Friedrich-Naumann-Stiftung in Bu-
karest (und IPS-Alumnus des Jahr-
gangs 2003) und Christine Chiriac,
Redakteurin der Allgemeinen Zei-
tung für Rumänien (IPS 2009). Die
Moderation übernahm Robert
Schwartz, Leiter der rumänischen
Redaktion der Deutschen Welle.
„Politik kann eine zerstörte Gesell-
schaft wieder aufbauen“
Über die politische Lage in seinem
Heimatland Syrien und die Erfah-
rung als Stipendiat im Deutschen
Bundestag berichtete Kenan Mel-
hem, Architekt und Alumnus des
IPS-Jahrgangs 2017. Besonders rüh-
rend war seine Schilderung der
Situation in Damaskus. Er habe er-
kannt, dass „Politik die Gesell-
schaft vollkommen zerstören, oder
ganz im Gegenteil, eine zerstörte
Gesellschaft wieder aufbauen
kann“ und habe deshalb beschlos-
sen, sich politisch zu engagieren.
Eine kontroverse, politisch brisante
Diskussion ergab sich schließlich
rund um die amerikanische Präsi-
dentschaft zwischen Arik Kot-
kowski, Unternehmensberater für
geopolitische Risiken und IPS-
Alumnus aus den USA (Jahrgang
2012) und einigen seiner Mitstipen-
diaten. Dies wurde jedoch bald als
willkommene, konstruktive Mei-
nungsverschiedenheit gedeutet und
im Laufe des Abends in kollegialer
Atmosphäre und guter IPS-
Tradition weiterdiskutiert.
Und selbstverständlich stand
nicht „nur“ Politik auf dem Pro-
gramm der Konferenz. Die IPS-ler
konnten das wunderbare Wetter
genießen und gleichzeitig das
bauliche Kulturerbe und die Ge-
schichte Siebenbürgens näher
kennenlernen, etwas über die
kommunistische Vergangenheit,
die politische Entwicklung Rumä-
niens nach der Wende und die
aktuelle Lage der Minderheiten
im Karpatenland erfahren. Beliebt
waren die Erzählrunden auf einfa-
chen Holzbänken unter blühen-
dem Flieder. Gemächliche Besu-
che der Kirchenburg Deutsch-
Weißkirch sowie der Stadt
Sighişoara (Schäßburg) – beide
UNESCO-Weltkulturerbe – ließen
uns etwas von der einmaligen
Stimmung dieser Kulturland-
schaft erspüren. Besonders lustig
waren die Abende in der frisch
sanierten Scheune unweit der Kir-
chenburg in Deutsch-Weißkirch,
wo wir mit der lokalen siebenbür-
gischen Kulinarik Bekanntschaft
machen durften oder ein paar Stun-
den lang ungestört Pantomime ge-
spielt haben. Das Thema lautete
auch hier selbstverständlich: Deut-
scher Bundestag. Wörter wie
„Wahlkreisreise“ und
„Koalitionsvertrag“, die pantomi-
misch kaum darstellbar sind, sorg-
ten für allgemeines Geläch-
ter. Danach ergab sich eine sponta-
ne Tanzveranstaltung, der sich
nach und nach fast alle angeschlos-
sen haben: Alumni aus knapp 20
Ländern haben gemeinsam zu ara-
bischer, türkischer und westbalka-
nischer Musik in der Scheune des
evangelischen, siebenbürgisch-
sächsischen Pfarrhauses in Deutsch
-Weißkirch in Rumänien getanzt...
Nach diesem Abend waren wir uns
alle einig, dass es in der Welt ein-
deutig noch Hoffnung gibt ;-)
Entspannte Abschlussrunde am letzten Konferenztag
© Janek Wiechers
© Janek Wiechers
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
IPS Alumni immun gegen Populismus
Rückblick auf eine gelungene Konferenz in Moldau
Alexandr Filipp,
Mitarbeiter des Pres-
sereferats in der
Botschaft Chisinau
und Alumnus 2015
Zwischen dem 6. und 9. September 2018 fand in Chisinau, Moldau die erste Regionalkonferenz der IPS Alumni mit dem Thema Rolle des Populismus bei Wahlen in Europa und Moldau statt, bei der Absolven-tinnen und Absolventen des Pro-gramms aus Moldau und 13 weite-ren Ländern (Armenien, Belarus, Bulgarien, Georgien, Kasachstan, Lettland, Litauen, Mazedonien, Ru-mänien, Russland, Serbien, Ukrai-ne, Ungarn), mit 2013 als durch-schnittlicher IPS Jahrgang, teilge-nommen haben.
Zum Auftakt des Programms wur-den die IPS Alumni vom ersten Sekretär der deutschen Botschaft Chisinau zu einem Empfang einge-laden, wo die Stipendiatinnen und Stipendiaten auch von dem ehemaligen Parla-mentsvorsitzender, der auch früher Botschaf-ter Moldaus in Deutschland war und jetzt das Moldauisch-Deutsche Forum leitet, begrüßt wurden. Wäh-rend eines Besuchs im Parlament hatten die Alumni die Möglich-keit, Fragen über Popu-lismus in Moldau und die allgemeine politi-sche Situation im Land an den Vizevorsitzen-der des moldauischen Parlaments zu stellen. Darüber hinaus lernten die Alumni mehrere Politiker, Experten und
Journalisten im Rahmen zweier Podiumsdiskussionen (Wahlkampfthema EU vs. EAU und Werkzeuge des Populismus in der digitalen Ära) kennen. Das Meinungsvielfalt und die heißen Debatten der Teilnehmer an den Podiumsdiskussionen haben den Alumni besonders gefallen.
Andere Höhepunkte des Pro-gramms waren die Vorträge der ehemaligen Praktikantinnen und Praktikanten zum Thema der Konferenz und zum Alumnileben in ihren Ländern. Den „politischen“ Stadtrundgang durch Chisinau fanden die Gäste auch besonders spannend. Da das Programm auch abends dicht war, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den 4 Tage wenig geschlafen, dafür wurden die aber mit köstliches Essen, gutes Wein und tolle Atmosphäre belohnt J Im Allgemeinen war das Feed-back der Alumni gut, außer der kurzfristige Anmeldung die das Reduzieren des geplantes Anzahl der Alumni erzwungen hat. Die Konferenz fand dank der Un-
terstützung des Deutschen Bundes-
tages, der Deutschen Botschaft Chi-
sinau, der Hanns-Seidel-Stiftung,
der Friedrich-Ebert-Stiftung, des
Moldauisch-Deutschen Forums, der
Freihandelszone Balti und anderen
Partnern statt.
Und ein paar O-Töne von unserer
WhatsApp-Gruppe:
Viktorija Stadnika, Lettland, IPS
2012: „Ihr habt so einen grandiosen
Event veranstaltet! Tolle Organisa-
tion, großer Lob und herzlichen
Dank!“
Christine Chapidze, Georgien,
2017: „Vielen Dank an euch alle für
eure Mühe und wunderbare Zeit!“
Tamara Manukyan, Armenien,
2018: „Es war wirklich eine tolle
Reise für uns alle! Ich dank euch
allen sehr herzlich für die schöne
Zeit und Stimmung in Moldau.“
© Janek Wiechers
© Alexandr Filipp
© Alexandr Filipp
20
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Eine Art Heimkehr
Ein Besuch als ehemaliger IPS-Stipendiat im Bundestag
András
Fekete-Győr,
Vorsitzender der
Partei Momen-
tum
(Budapest)
Es ist noch keine zwei Jahre her,
dass ich als IPS-Stipendiat ein hal-
bes Jahr im Deutschen Bundestag
verbringen durfte. Mitte November
2017 war ich wieder dort – mittler-
weile als Vorsitzender der neuen
ungarischen Bewegung Momen-
tum. Es war wie eine Heimkehr für
mich. Die Zeit im Bundestag hat
mich sowohl persönlich als auch
politisch sehr geprägt.
Der Kontrast zur politischen Kultur
meines Heimatlandes war verblüf-
fend: während die ungarische Ge-
sellschaft weitgehend polarisiert ist
und in der Politik eine äußerst ag-
gressive Grundstimmung herrscht,
war es augenfällig, dass es in
Deutschland bei allen Streitigkei-
ten einen festen demokratischen
Konsens zwischen den etablierten
Parteien gibt und alle bereit sind,
die demokratischen Grundwerte zu
verteidigen. Auch wissen und beto-
nen alle etablierten Kräfte, dass
Demokraten untereinander grund-
sätzlich koalitionsfähig sein müs-
sen – und daran ändert auch die
Tatsache nichts, dass die Sondie-
rungsgespräche zu einer Jamaika-
Koalition just am Tag meiner An-
kunft in Berlin gescheitert sind.
Wir bei Momentum wollen diese
Werte und diese konstruktive
Art auch in der ungarischen Po-
litik verankern. Momentum ist
eine junge Partei, die für eine
neue politische Generation steht:
eine Generation, für die das ge-
meinsame Europa gelebte Reali-
tät ist. So gut wie alle Grün-
dungsmitglieder haben bereits
im Ausland gelebt und erlebt,
dass Politik auch anders geht.
Das merkt man auch an der in-
ternen Streitkultur: Selbst, wenn
es mal hoch hergeht, geht die
gegenseitige Achtung nicht ver-
loren. Auch das macht uns als
Gemeinschaft stark.
Während meiner Reise habe ich
viele politische Kontakte zu
deutschen Parlamentariern und
Entscheidungsträgern knüpfen
können. Ein besonderer Höhe-
punkt war die Einladung bei der
Außen- und Sicherheitspoliti-
schen Vereinigung der Parla-
mentsmitarbeiter/innen (ASVP).
Hier hatte ich die Möglichkeit,
über Ungarns Rolle in Europa,
die Zukunft der Visegrád- Gruppe
und die innenpolitische Entwick-
lung in meinem Heimatland zu
sprechen. Ich habe betont, wie
wichtig es ist, bei der Regierung
Orbán genau hinzuschauen und
hinzuhören: Während ihre Reprä-
sentanten in Brüssel und Berlin oft
einen versöhnlichen Ton anschla-
gen, läuft in Ungarn zum wieder-
holten Male eine aus Steuergel-
dern finanzierte antieuropäische
und fremdenfeindliche Hasskam-
pagne, die in Europa seinesglei-
chen sucht. Auch die V4- Gruppe
ist nur noch eine leere Hülle. Wir
bei Momentum wollen Ungarn
nach Kerneuropa führen, dabei
aber auch die
regionale Zusam-
menarbeit auf
neue Füße stel-
len, am besten
unter Einbezie-
hung anderer
Länder wie Ös-
terreich und Ru-
mänien.
Anschließend
stellte ich mich
den Fragen der
Teilnehmer. Da
das Treffen hinter verschlossenen
Türen stattfand, konnten wir uns
offen miteinander austauschen.
Die dabei gestellten Fragen und
die Kommentare waren für mich
ein eindrücklicher Beweis dafür,
wie groß die Sorge um Ungarn ist,
aber auch wie groß das Interesse
daran ist, dass dort endlich eine
neue politische Kraft ent-
steht und sich das Land
© András Fekete-Györ
© András Fekete-Györ
21
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
wieder stärker auf das gemeinsame
europäische Projekt besinnt.
Im nächsten Frühjahr sind Wahlen
in Ungarn. Wir stellen uns zur
Wahl und gehen fest davon aus,
dass Momentum ins Parlament ein-
ziehen wird. Die Erfahrungen, die
ich und noch andere meiner Mit-
streiter im deutschen Parlament
gemacht haben und die Kontakte,
die wir dabei geknüpft haben, nicht
zuletzt mit IPS-Stipendiaten aus
anderen Ländern, werden für unse-
re Arbeit dort unverzichtbar sein.
Es war sicherlich nicht mein letzter
Besuch in Berlin.
… Eine Art Heimkehr
Ein Besuch als ehemaliger IPS-Stipendiat im Bundestag
Die Internationale Diplomatenaus-bildung des Auswärtigen Amts in Berlin führt seit 1992 Fortbildun-gen für ausländische Diplomatin-nen und Diplomaten durch.
Dadurch ist bis dato ein Netzwerk von über 3.500 Alumni entstanden. Durch die jüngste Kooperation zwi-
schen der Internationalen Diplo-matenausbildung und dem Inter-nationalen Parlamentsstipendium (IPS) wird die Alumni Arbeit bei-der Programme vernetzt. Teil die-ser Kooperation ist eine Öffnung der Alumni-Arbeit der Internatio-nalen Diplomatenausbildung für IPS-Alumni.
Durch die Aufnahme in die Da-tenbank können Sie zu Veranstal-tungen der Internationalen Diplo-matenausbildung, von Einzelver-anstaltungen und einwöchigen Fortbildungen in Deutschland bis hin zu regionalen Netzwerktreffen im Ausland, eingeladen werden. Auch Deutsche Auslandsvertre-tungen erhalten Zugang zu den Kontaktdaten und können Ihnen Einladungen zu Empfängen, Kul-turveranstaltungen oder Netz-
werktreffen in Ihrem jeweiligen Aufenthaltsland zukommen las-sen. Registrieren Sie sich jetzt über MovingIn* und werden auch Sie Teil unseres weltweiten Netz-werkes!**
*Mit der Bereitstellung Ihrer Daten stimmen Sie deren Nutzung durch die Internationale Diplomatenausbildung und durch die Deutsche Auslandsver-tretung in Ihrem Aufenthaltsland zu. Die Daten werden darüber hinaus keiner dritten Partei zugänglich ge-macht, ebenso gelten höchste Anfor-derungen an die Datensicherheit. **Bitte beachten Sie, dass für die Aufnahme in diese Datenbank Alum-ni des IPS sein müssen. Der Link zum ,,MovingIn"-Formular darf des-halb nicht mit Dritten geteilt werden.
Internationale Diplomatenausbildung:
Werden Sie Teil unseres weltweiten Netzwerks!
© András Fekete-Györ
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Vortrag über die politische Situation in Polen
IPS-Alumnus ist Vorstandsvorsitzender von Global.Lab
Als ich 2013 als IPS-Stipendiat
mein Praktikum im Bundestag ab-
solviert habe, galt das deutsch-
polnische Verhältnis als Beispiel
für gelungene Versöhnung und gu-
te Zusammenarbeit zwischen euro-
päischen Nachbarstaaten. Doch seit
dem Regierungswechsel 2015 in
Polen ist das deutsch-polnische
Verhältnis zunehmend angespannt.
Es wird um die Flüchtlinge, den
Kurs der Europäischen Union, die
Reparationsforderungen für den
zweiten Weltkrieg, die deutsch-
russische Ostsee-Pipeline Nord-
stream 2, die Rechtsstaatlichkeit
und die kontroversen Justizrefor-
men in Polen gestritten.
Die jüngsten politischen Ent-
wicklungen in Polen sind für
viele eine Überraschung. Lange
galt Polen doch als Musterknabe
der Transformation nach dem
Umbruch von 1989 und ein ver-
lässlicher Partner in der EU seit
der Osterweiterung von 2004.
Die Regierungsumbildung An-
fang des Jahres stellte einen ge-
eigneten Anlass sich intensiver
mit der Lage in Polen zu beschäf-
tigen. Ich hatte dabei die Gele-
genheit auf Einladung der Verei-
nigung deutsch-polnischer Parla-
mentsmitarbeiter (VDPP) e.V. im
Bundestag über mein Heimat-
land zu berichten.
Die Vereinigung deutscher und
polnischer Parlamentsmitarbei-
ter setzt sich für die Vertiefung
der deutsch-polnischen Freund-
schaft und Verständigung, insbe-
sondere auf der Ebene der Parla-
mente ein. Ähnlich wie das IPS
trägt die VDPP somit dazu bei,
die freundschaftliche Zusam-
menarbeit zu fördern und Ver-
ständigung zwischen den Völ-
kern zu vertiefen. Gerade in Kri-
sensituationen kommt solchen
Initiativen des zivilgesellschaftli-
chen Austausches eine besonde-
re Rolle zu. Denn sie halten den
Dialog aufrecht, sogar wenn die
Stimmung zwischen den politi-
schen Entscheidungsträgern von
Verständnislosigkeit geprägt
wird.
Umso mehr freute ich mich, dass
die Veranstaltung, die im Jakob-
Kaiser-Haus stattgefunden hat,
sehr gut besucht war. Anwesend
waren nicht nur zahlreiche Vertre-
ter der Fraktionen, sondern auch
Mitarbeiter des Auswärtigen Am-
tes und andere Interessierte, denen
an guten Beziehungen zwischen
Deutschland und Polen gelegen
ist.
So kam es zu einem lebhaften Ge-
dankenaustausch, bei dem ich ver-
sucht habe den von der polni-
schen Regierung selbstproklamier-
ten „guten Wandel“ zu erklären.
Im Mittelpunkt meiner Ausfüh-
rungen standen dabei jüngste Er-
kenntnisse des Soziologen Maciej
Gdula und die These das die regie-
renden Nationalkonservativen ein
inklusives Bild einer nationalen
polnischen Gemeinschaft geschaf-
fen haben, die vielen früher sym-
bolisch ausgegrenzten Polinnen
und Polen das Gefühl gibt zur
Gruppe der "normalen Menschen"
zu gehören. Die Aufgabe der poli-
tischen Entscheidungsträger liegt
also darin, eine neue progressive
Vision der politischen Gemein-
schaft zu entwickeln, die gleich-
zeitig pluralistisch ist und die
wachsenden Ambitionen der Po-
linnen und Polen berücksichtigt.
Mein Besuch im Bundestag erlaub-
te mir somit nicht nur, mich an
wunderbare Zeit als IPS-
Stipendiat zu erinnern, sondern
auch über die Gegenwart zu reflek-
tieren und einen Blick in die Zu-
kunft zu werfen.
Adam Traczyk,
IPS-Alumnus und Vorstandsvorsit-
zender des ThinkThanks Glo-
bal.Lab
© Adam Traczyk
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Meine IPS-Erfahrungen
IPS-Alumni Fadi Janho
Als ich noch ein Student an der
"German Jordanian University" war,
hat mein ehemaliger, aus Algerien
stammender Deutschprofessor, ein
Alumni des IPS, mir vom IPS Son-
derprogramm für die Arabischen-
Staaten erzählt und mich ermun-
tert, mich dafür zu bewerben. Das
erste was ich nach meinem Uniab-
schluss unternahm war, mich beim
Deutschen Bundestag für das Son-
derprogramm zu bewerben und
nach zwei Vorstellungsgesprächen
war es so weit - im Handumdrehen
befand ich mich in Berlin!
Das Programm war sehr intensiv
und wurde in den ersten drei Wo-
chen in verschiedene Module mit
unterschiedlichen Themen geteilt,
während in der letzten Woche ein
Praktikum bei einer der Fraktio-
nen im Bundestag anstand. Es
gab Einführungen in die The-
men Vielfalt und gesellschaftli-
chen Pluralismus, in das politi-
sche System Deutschlands und
wie der Bundestag funktioniert.
Was mich am meisten interes-
siert hat, war das Modul
„Erinnerungskultur“. Das han-
delte von der Nazi-Zeit. Meiner
Meinung nach, kann man die
deutsche Kultur nur dann gut
verstehen, wenn man sich mit
der deutschen Erinnerungskul-
tur beschäftigt hat. Das ist der
Grund warum ich die Deut-
schen respektiere und schätze:
Sie versuchen nicht, vor der
Vergangenheit zu fliehen, son-
dern beschäftigen sich in der
Schule, in Museen und auf an-
dere Weise mit der NSDAP-
Diktatur um sicherzugehen,
dass sich die Geschichte nicht
wiederholt.
Beim Thema Religionsfreiheit,
besuchten wir eine Kirche, Mo-
schee und Synagoge und dort
hatten Einblick in das christli-
che, muslimische und jüdische
Leben durch einen Vertreter von
jeder Gruppe in Berlin und ei-
nen interreligiösen Dialog mit
jedem. Das hat uns gezeigt, wie
Pluralismus und Säkularismus
in Deutschland nebeneinander
existieren und wie in Deutsch-
land Akzeptanz und Toleranz
gelebt werden.
Ich habe mein Abgeordneten-
Praktikum bei der Fraktion AfD
im Büro des parlamentarischen
Geschäftsführers Hansjörg Müller
absolviert. Obwohl das Praktikum
nur eine Woche dauerte habe ich
sehr viel dabei gelernt. Während
des Praktikums sah ich wie die
Fraktionen im Bundestag arbeite-
ten, ich nahm an Sitzungen der
Arbeitskreise und Ausschüsse teil
und war auch im Plenum. Durch
das Praktikum habe ich einen
kleinen Einblick in das Gesetzge-
bungsverfahren in Deutschland
bekommen.
Deutschland wird für mich immer
das Modell sein, wie ich mein
Land voranbringen möchte. Der
Deutsche Bundestag ist ein
Leuchtturm der Demokratie. Ich
denke, dass wir als Araber aus
den deutschen Erfahrungen in der
Legislative lernen können, um
unsere politischen Systeme wei-
terzuentwickeln, natürlich müs-
sen wir dazu die Umstände und
die Phasen berücksichtigen, in
denen wir leben. Ich würde je-
dem, der sich für Politik interes-
siert, empfehlen, sich für dieses
Stipendium zu bewerben. Für
mich war es eine lebensverän-
dernde Erfahrung. Herzlichen
Dank an alle Programmleiter,
Praktikanten und alle meine IPS-
Kollegen. Herzlich Dank Deutsch-
land!
IPS-Alumni Fadi Janho
© Fadi Janho
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Meine IPS-Erfahrungen
IPS-Alumni Houssam Bakri
Das IPS-Programm mit seinen vielen
Seminaren und Vorträgen zu diver-
sen Themen hat mich beeindruckt.
Ich habe nicht nur in beruflicher
Hinsicht einen sehr guten Überblick
über das deutsche politische System
erhalten, sondern auch persönlich
habe ich viele Einsichten mitgenom-
men. Ich konnte feststellen, dass es
keine endgültige Demokratie gibt,
sondern dass Demokratie einem
ständigen Prozess unterliegt, an dem
man ständig arbeiten und den man
fortwährend erhalten muss. Darüber
hinaus beinhaltete das Programm
mehrere Vorträge und Seminare zur
deutschen Geschichte, in denen alle
politischen Entwicklungen in
Deutschland ausführlich erklärt
wurden. Der Besuch der drei Gottes-
häuser der drei Religionen (Islam,
Christentum und Judentum) war für
mich sehr eindrucksvoll. Ich habe
erlebt, wie religiöse Toleranz in
Deutschland gelebt wird und wie
sich der deutsche Staat engagiert,
um Religionsfreiheit zu schützen.
Ferner hatten wir die Gelegenheit,
uns mit Margot Friedländer, einer
jüdischen Überlebenden des Holo-
causts zu treffen, die uns ihre Ge-
schichte erzählte und der wir völlig
frei jegliche Art von Fragen dazu
stellen durften.
Am meisten hat mich aber das Erle-
ben einer Plenardebatte im Deut-
schen Bundestag beeindruckt. Die-
ser Besuch war für mich persönlich
das Highlight des gesamten Pro-
gramms. Bei der Vorstellung des
Kanzleretats haben wir nicht nur
Bundeskanzlerin Angela Merkel,
sondern die Reden aller Fraktionen
anhören können. Dadurch wur-
de klar, wie Meinungsfreiheit in
Deutschland funktioniert. Das
Programm ist für mich und
mein Land sehr positiv, da es
die Beziehungen zwischen
Deutschland und Marokko för-
dert.
Den Abschluss bildete ein ein-
wöchiges Praktikum im Büro
einer Abgeordneten der SPD.
Während dieser Zeit hatte ich
Gelegenheit, mich einer SPD-
Gruppe aus einem Wahlkreis
aus NRW anzuschließen und
das Ministerium der Finanzen
sowie das Willy-Brandt-Haus zu
besuchen. Diese Woche war
ebenfalls sehr informativ für
mich,
da ich
vieles
über die
SPD
erfahren
konnte:
Die aktuelle schwierige Situation,
in der sie steckt, das Erneuerungs-
programm der SPD, usw. darüber
hinaus durfte ich die Abgeordnete
zu einer Sitzung im Finanzaus-
schuss begleiten, an der auch
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
teilnahm.
Alles in allem war die Zeit in Ber-
lin eine sehr ereignisreiche und
positive Erfahrung. Dieses Erleb-
nis, alles hautnah zu sehen und
miterleben zu können war sehr
eindrucksvoll! Nun bin ich Mit-
glied des Alumni-Vereins der ehe-
maligen marokkanischen IPS-
Stipendiaten und möchte versu-
chen, einiges von dem, was wir in
Berlin gelernt haben, in Marokko
umzusetzen.
IPS-Alumni Houssan Bakri
© Houssam Bakri
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Meine IPS-Erfahrungen
IPS-Alumni Mahmood Zidan
Hallo, ich heiße Mahmood Zidan,
komme aus Syrien und habe be-
reits Rechtswissenschaften studiert
mit dem Ziel zu einer Rechtsord-
nung in Syrien zu kommen, die
unabhängig von Religion und ext-
remen politischen Interessen funk-
tionieren kann. Zurzeit studiere
ich an der Universität Konstanz
und werde dort in einem Master
Programm des Fachbereichs
Rechtswissenschaften einen Mas-
ter of law erwerben.
Dies hat mich in meiner Entschei-
dung bestärkt, mich für das IPS zu
bewerben und an diesem Pro-
gramm teilzunehmen.
IPS-Alumni Mahmood Zidan
Das vierwöchige Programm
war sehr abwechslungsreich,
intensiv und informativ. Es
hat mir wertvolle berufliche
Einsichten gebracht und dar-
über hinaus habe ich in die-
ser Zeit viele interessante
Menschen kennengelernt und
neue Freundschaften ge-
schlossen.
Als Praktikanten erhielten
wir Hausausweise, die uns
Zugang zu allen Gebäuden
des Deutschen Bundestages
ermöglichten.
Mein Kurzpraktikum absol-
vierte ich in dem Berliner
Abgeordnetenbüro von Frau
Dr. Franziska Brantner
(Fraktion Bündnis 90 / Die
Grünen) in der letzten Sep-
temberwoche.
Während dieser Zeit bin ich
mit allen parlamentarischen
Vorgängen vertraut gemacht
worden. Ich hatte die Mög-
lichkeit, in ihrem Büro, dass
aus 3 zimmern besteht, mit-
zuarbeiten und konnte mich
mit ihr und den Mitarbeitern
austauschen. Auch für meine
Fragen nahm sie sich Zeit.
Ich nahm an Fraktionssitzun-
gen und Ausschusssitzungen
teil, konnte Plenardebatten
besuchen und begleitete Frau
Dr. Brantner zu mehreren
Terminen. Beispielweise
durfte ich sie zu einer nicht
öffentlichen Ausschusssit-
zung begleiten, bei der der
US-Botschafter und Frau
Brantner eine Rede gehalten
haben. Anschließend beglei-
tete ich sie zu einem Gedan-
kenaustausch in das Reichs-
tagsgebäude mit einer Schü-
lerklasse aus Heidelberg. Ich
war positiv überrascht, dass
Frau Brantner in der Öffent-
lichkeit im Großen und Gan-
zen dieselbe Meinung geäu-
ßert hat, wie bereits zuvor im
Ausschuss.
26
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Heute ist es ein Jahr her, dass die
großartigste Zeit meines Lebens
begonnen hat – das IPS. Im August
2017, als das Programm schon zu
Ende war habe, ich eine tiefe
Zufriedenheit, Vollkommenheit
und Dankbarkeit empfunden.
Etwas müde, aber auch in
Herzensruhe saß ich im Zug, der
von Berlin wegfuhr und habe
durchgelesen, was mir die
Stipendiaten geschrieben haben.
Dieser Tag war zugleich das Ende
vom Programm, aber auch der
Anfang von einem neuen Leben:
Nie zuvor habe ich mich so
erneuert, inspiriert und motiviert
gefühlt wie nach dem IPS.
Für mich war klar – bevor ich im
„IPS-Kummer“ versinke, muss ich
etwas dagegen tun. Ich habe
meinen Rucksack gepackt und flog
nach Albanien, wo ich Freunde
vom Programm besucht habe
(Ledia und Henri). Danach ging es
gleich weiter nach Mazedonien,
wo ich nicht nur die ansässigen
IPS-ler getroffen habe (Katerina
und Vladimir), sondern auch
einen Stipendiaten aus den USA
(Kyle). Diese kleine Balkanreise
endete in meinem Heimatland,
Bulgarien. (Wo ich selbstverständ-
lich Vladislava und Sarah traf).
#IPSneverends – das Leben nach dem Programm
Die Deutsche Botschaft Sofia hat
anlässlich der Bundestagswahlen
am 24. September 2017 eine
Wahlparty organisiert. Es gab ein
Wahltippspiel, wo man raten
durfte, wie viel Prozent jede
Partei bekommt. Die Person, die
die geringste Abweichung von der
ersten Hochrechnung der ARD
erreicht hat, hat den ersten Preis
gewonnenen – Flug nach
Deutschland und zurück für zwei
Personen. Überraschung oder
nicht – diese Person war ich.
Das Praktikum im Deutschen
Bundestag hat, glaube ich, etwas
dazu beigetragen, so treffend raten
zu können. Also ein sehr
gelungener Abend – ich ging
voller Freude mit dem Preis nach
Hause.
Mir bedeuten die Menschen, die
ich während des Programms
getroffen haben, sehr viel. In
meinem Erfahrungsbericht vom
Juli 2017 schrieb ich: „Der
Austausch unter uns war so
wertvoll - wir haben so viel
voneinander und über unsere
Länder gelernt. Wir sind nicht nur
richtig gute Freunde, sondern
potentielle Kollegen im Bereich
des internationalen Arbeitens und
warum nicht auch zukünftige
Partner in transnationalen Projek-
ten geworden. Über unsere
Landes-grenzen hinweg vernetzt
bleiben und arbeiten und somit
die globale Gemeinschaft stärken
– das sah nie so machbar aus wie
jetzt.“ So hat es eben nicht lange
gedauert, bis wir das im Oktober
in Realität umgesetzt haben – das
erste Mal in Budapest, wo wir in
einer kleinen Gruppe am
jährlichen „European Strategy fort
he Danube Re-gion“ (EUSDR)
Forum teilgenom-men haben und
uns mit einem eigenen Workshop
zum Thema „Participation through
Media“ eingebracht haben. Mehr
zum Thema kann man hier
finden— http://www.ladder-
project.eu/?p=18977.— mein
Artikel über das EUSDR und unser
Engagement am Participation Day.
Die anderen fünf Teilnehmer
Adam, Iryna, Margarita, Anna und
Maria) haben auch spannende
Beiträge über unseren Aufenthalt
in der Hauptstadt Ungarns
geschrieben, diese kann man auf
der gleichen Webseite finden. Das
7. EUSDR Forum fand im Oktober
2018 in der Hauptstadt Bulgariens,
in Sofia statt und ich habe mich
sehr gefreut, die beteiligten
Stipendiaten in meiner
Heimatstadt empfangen zu können.
2017 war ein sehr internationales
Jahr für mich, da ich im November
an einem Erasmus+ Projekt in
Italien teilgenommen habe:
„Entrepreneurship Skills 4 Youth“,
was zum Ziel hatte, Jugendliche
darauf aufmerksam zu machen,
was die Chancen und
Herausforderungen von
Unternehmertum als einem
möglichen Karriereweg sind. Das
Projekt ist in verschiedenen Phasen
unterteilt, die unter anderem E-
Learning-Kurse, Job Shadowing
Aktivitäten, Training Kurse,
Austauschphasen für Jugendliche
und eine finale Konferenz
beinhalten. Insgesamt acht Länder
machen mit - Bulgarien, Spanien,
Dorothea Iordanova, Russland
© Dorothea Iordanova
27
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Italien, Belgien, Argentinien, Chile,
Paraguay, Uruguay. Die Phase im
Projekt, wo ich mitgemacht habe,
war ein Training Course in
Terranova da Sibari, eine Stadt in
der Provinz Kalabrien, Italien. Ich
freue mich aber sehr, bei der
letzten Phase mit dabei sein zu
dürfen - wenn alles gut läuft, bin
ich im September in Paraguay!
Im Januar 2018 nahm ich an noch
einem weiteren Erasmus+ Projekt
Teil: „Via Carpathia – the road to
diversity“. Das Projekt hatte zum
Ziel, osteuropäische Länder
zusammenzubringen, um von
einander kulturell und politisch zu
lernen sowie die internationale
Kooperation zu stärken. Jede
Landesgruppe bestand aus fünf
Teilnehmer – junge Erwachsene
aus Litauen, Polen, Ungarn, der
Slowakei, Rumänien, Bulgarien,
Griechenland und der Türkei
haben über die sozioökonomischen
Angelegenheiten der geplanten
Autobahn „Via Carpathia“
diskutiert, die durch alle diese
Länder gebaut werden soll. Zehn
Tage verbrachten wir in Cieszyn,
einer kleinen Stadt im Süd-Westen
Polens, die auch zur Hälfte in
Tschechien liegt. Diese Zeit war
voller Workshops, kulturellen
Abenden, geopolitische
Präsentationen, sowie
Diskussionen mit interessanten
Personen, wie dem Bürgermeister
der Stadt und einer polnischen
Abgeordneten. Das polnische
Fernsehen fand es auch toll, was
wir in dem Städtchen machten und
kam, um uns zu interviewen, wie
uns das Projekt gefällt. Nicht zu
vergessen ist: An diesem Projekt
nahmen außer mir noch zwei IPS-
interaktiven Format werden
bestehende Initiativen und
Strukturen vorgestellt. Zudem
wird es einen Austausch zu den
Zielen und Vorstellungen der
verschiedenen
Fördereinrichtungen und
Projektträger mit Blick auf
künftige Projekte und
Förderstrukturen geben. Das
Ganze in Kooperation mit der
EUSDR.
Makroregionale Strategien,
Osteuropäische Partnerschaften,
Reisen und Neuorientierung! So
habe ich das vergangene halbe
Jahr nach dem Programm
verbracht!
Hätte ich die Möglichkeit mich
nochmal für das IPS-Programm zu
bewerben, würde ich es immer
wieder machen! Ich freue mich
für die zukünftigen Generationen,
die auch diese einmalige
Erfahrung machen können.
IPS bleibt tief in Erinnerung und
IPS wird weiterhin Menschen
zusammenbringen. Unser
Jahrgang sagt: #IPSneverends!
ler meines Jahrgangs teil, was ich
natürlich toll fand und was meine
bereits oben genannte
Behauptung aus dem
Erfahrungsbericht erneut
bestätigt.
In Bulgarien bin ich zum
Vorstand der Jugendorganisation
meiner Partei (die im Januar 2017
gegründete „Ja, Bulgarien!“)
gewählt worden. Da alles ganz
neu ist und sich die Strukturen
noch im Aufbau befinden, sehe
ich das gleichzeitig als einen
Nachteil und eine Chance. Ein
Nachteil, weil alles etwas
langsamer funktioniert. Eine
Chance, weil man vieles
mitgestalten kann.
Ende Februar 2018 freute ich
mich wieder eine Mitstipendiatin,
Ryna aus der Ukraine, im Rahmen
eines vom Staatsministerium
Baden-Württemberg organisierten
Workshops, zu sehen. Ziel ist es
das komplexe Thema des
Jugendengagements im
Donauraum aus
unterschiedlichen Blickwinkeln
zu beleuchten. In einem
...#IPSneverends
© Dorothea Iordanova
28
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Aktuelles in Deutschland
Am 12. November 1918 verkündet
der Rat der Volksbeauftragten in
seinem Aufruf „An das deutsche
Volk“: „Alle Wahlen zu öffentli-
chen Körperschaften sind fortan
nach dem gleichen, geheimen, di-
rekten, allgemeinen Wahlrecht auf
Grund des proportionalen Wahl-
systems für alle mindestens 20 Jah-
re alten männli-
chen und weibli-
chen Personen zu
vollziehen.“ Damit
erlangt das Wahl-
recht für Frauen in
Deutschland erst-
mals Gesetzeskraft.
Die Verkündung
des Frauenwahl-
rechts durch die am
10. November aus
der Revolution her-
vorgegangene Re-
gierung aus Mehr-
heits- und Unab-
hängigen Sozialde-
mokraten bedeutet
die Erfüllung einer
Forderung, für die
Frauenrechtlerinnen viele Jahre
lang vergeblich gekämpft hatten.
Spätestens seit der Französischen
Revolution wird der Anspruch von
Frauen auf gleichberechtigte Teil-
habe am sozialen und politischen
Leben immer wieder geltend ge-
macht. Im öffentlichen Leben der
frühindustriellen Staaten Europas,
das ganz auf Männer zugeschnitten
ist, findet er jedoch keinen nen-
nenswerten Niederschlag. Nach
dem bis weit ins 20. Jahrhundert
verbreiteten Frauenbild haben
sich Frauen auf die häusliche
Sphäre zu beschränken. Der Aus-
schluss des weiblichen Ge-
schlechts vom öffentlichen und
politischen Leben wird als Ga-
rant für den Erhalt der Familie
bewertet. Opposition gegen die
Vorherrschaft der Männer und
der Anspruch der Frauen auf
selbständige Teilnahme am poli-
tischen Leben gilt vielen männli-
chen wie auch weiblichen Zeit-
genossen als unschicklich, un-
weiblich und wirkt auf
„Deutsche wie ein rotes Tuch auf
den Stier“, wie die in Berlin le-
bende Publizistin Eliza Ichen-
haeuser bemerkt. So werden
schon im Verlauf der Französi-
schen Revolution die den Frauen
vorübergehend eingeräumten Mit-
wirkungsrechte mit Verweis auf
das vermeintliche „Wesen des
weiblichen Geschlechts“, das als
„in besonders hohem Maß dem
Irrtum und der Verführung ausge-
setzt“ angesehen wird, wieder zu-
rückgenommen. Auch in Deutsch-
land wird die Forderung nach ei-
ner stärkeren poli-
tischen Beteili-
gung von Frauen
zumeist als abson-
derlich verworfen.
Das Wort des His-
torikers Heinrich
von Treitschke
„Obrigkeit ist
männlich“ bringt
die in allen Bevöl-
kerungskreisen
verbreitete Ableh-
nung des politi-
schen Engage-
ments von Frauen
auf den Punkt.
Dennoch entsteht
in Deutschland
seit Mitte des 19. Jahrhunderts
eine zunächst von bürgerlichen
Kreisen getragene Frauenbewe-
gung, die unter anderem von Loui-
se Otto-Peters, der Gründerin des
Allgemeinen Deutschen Frauen-
vereins, Hedwig Dohm und Hele-
ne Lange geprägt wird. Sie setzt
sich besonders für Frauenbildung
und eine Verbesserung der sozia-
len Lage von Frauen ein, betont
jedoch auch die Bedeutung des
100 Jahre Frauenwahlrecht
Kunstwerk "Gedächtnis auf Rädern" bei der Ausstellung " Mit Macht
zur Wahl. 100 Jahre Frauenwahlrecht"
© DBT/ Achim Melde
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Stimmrechts für Frauen, das sie
meist als Fernziel betrachtet. Hält
sich die Mehrheit der bürgerli-
chen Frauenrechtlerinnen ent-
sprechend den traditionellen Vor-
stellungen von der Frauenrolle in
der Frage des Wahlrechts zurück,
drängen vor allem Vertreterinnen
der radikalen bürgerlichen und
sozialistischen Frauenbewegung
wie Minna Cauer, Lily Braun und
später vor allem Clara Zetkin auf
die Einführung des Frauenstimm-
rechts. Es wird 1891 als Forde-
rung in das Parteiprogramm der
SPD aufgenommen und 1895
durch August Bebel erfolglos in
den Reichstag eingebracht. In An-
lehnung an die so genannte Sufra-
gettenbewegung in England grün-
den Lida Heymann und Anita
Augspurg 1902 in Hamburg den
„Deutschen Verband für Frauen-
stimmrecht“. Zwei Jahre später
markiert die Gründung des
„Weltbunds für Frauenstimm-
recht“ in Berlin einen wichtigen
Schritt in den Bemühungen um
eine internationale Koordinierung
des Kampfes für die Einführung
des Frauenwahlrechts. 1906 führt
Finnland als erstes Land in Euro-
pa, 1913 Norwegen, 1915 Däne-
mark und Island und 1917 die
Niederlande sowie die Sowjetuni-
on das Frauenwahlrecht ein.
Im Deutschen Reich wird 1908
ein neues Vereinsgesetz verab-
schiedet, das Frauen erstmals er-
möglicht, sich politisch zu betäti-
gen. Während des Ersten Welt-
krieges engagieren sich Frauen
verstärkt in der kommunalen
Wohlfahrtspflege und werden öf-
fentlich sichtbarer. Im November
1917 fordern die bürgerliche und
die sozialdemokratische Frauen-
bewegung in Deutschland in ei-
ner gemeinsamen Resolution an
den preußischen Landtag die
Durchsetzung des aktiven und
passiven Wahlrechtes für Frauen.
Die Gleichberechtigung der Frau
und die Einführung des Frauen-
stimmrechts gehören auch zu den
Forderungen der Revolutionäre
von 1918. Der von Mehrheitssozi-
aldemokraten (MSPD) und Unab-
hängigen Sozialdemokraten
(USPD) gebildete Rat der Volks-
beauftragten erlässt schließlich
auf dem Verordnungswege am 30.
November 1918 das Reichswahl-
gesetz für die Wahlen zur verfas-
sungsgebenden Deutschen Natio-
nalversammlung. Es wendet die
im Aufruf vom 12. November
1918 verkündeten Wahlrechts-
grundsätze auf eine reichsweite
Wahl an und legt fest:
„Wahlberechtigt sind alle deut-
schen Männer und Frauen, die
am Wahltag das 20. Lebensjahr
vollendet haben.“
Von den insgesamt 421
Sitzen der auf Grundlage
des neuen demokratischen
Wahlrechts gewählten Na-
tionalversammlung werden
zunächst 36, später 41 Sit-
ze
(8,5 bzw. 9,6 %) von weib-
lichen Abgeordneten be-
setzt. Zu den Parlamenta-
rierinnen der ersten Stunde
gehören unter anderem
Gertrud Bäumer und Marie
-Elisabeth Lüders von der
DDP, Marie Juchacz von
der SPD, Luise Zietz von der USPD
sowie Hedwig Dransfeld von der
Zentrumspartei. Von 1919 bis 1933
sind insgesamt 111 Frauen und
1677 Männer Mitglied des Reichs-
tages, was einem Frauenanteil von
durchschnittlich 6,2 Prozent ent-
spricht. Im Parlamentarischen Rat,
der nach dem Zweiten Weltkrieg
das Grundgesetz und das Wahlge-
setz zum Deutschen Bundestag
schafft, sind 1948/49 mit Elisabeth
Selbert, Frieda Nadig, Helene We-
ber und Helene Wessel nur vier
Frauen vertreten.
In der Nachkriegszeit steigt der
Anteil der Frauen unter den Abge-
ordneten des Deutschen Bundesta-
ges von 6,8 Prozent in der 1. Wahl-
periode (1949-1953) auf 36,5 Pro-
zent in der 18. Wahlperiode (2013-
2017). Derzeit liegt er bei 30,9 Pro-
zent.
©Dr. Jana Leichsenring/Wilhelm
Weege (aktualisiert von Natalie
Weis) / WD1
Ausstellung "Mit Macht zur Wahl.
100 Jahre Frauenwahlrecht"
...100 Jahre Frauenwahlrecht
© DBT/ Achim Melde
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Aktuelles in Deutschland
der 9. November im 20. JahrhundertDer 9. November gilt als komple-
xester Erinnerungstag der deut-
schen Geschichte. Im Rückblick
erscheinen die 9. November 1918,
1923, 1938 und 1989 wie eine un-
trennbare „symbolische Kette“ (G.
Merlio) die Deutschlands Pendeln
zwischen Demokratie und Diktatur
versinnbildlicht.
9. November 1918: Angesichts der
sich abzeichnenden Kriegsnieder-
lage hatten bereits am 30. Oktober
Marinesoldaten in Kiel und Wil-
helmshaven den Befehl zum Aus-
laufen verweigert
und damit weitere
Aufstände ausge-
löst, die sich rasch
zu einer revolutio-
nären Massenbewe-
gung entwickelten.
Als am 9. November
schließlich große
Demonstrationen
durch Berlin zogen,
verkündete Reichs-
kanzler Prinz Max
von Baden eigen-
mächtig die Abdan-
kung des Kaisers,
der sich in das Große
Hauptquartier im
belgischen Spa zurückgezogen hat-
te. Anschließend übertrug von Ba-
den dem MSPD-Vorsitzenden
Friedrich Ebert das Amt des
Reichskanzlers, der durch eine Re-
gierungsumbildung eine weitere
Radikalisierung verhindern wollte.
Noch am selben Tag verkündete
Philipp Scheidemann (MSPD) ei-
ner vor dem Reichstag versammel-
ten Menschenmenge die Abdan-
kung des Kaisers, beschwor die
Aufgabe „Ruhe, Ordnung und
Sicherheit“ zu bewahren und
proklamierte schließlich die Re-
publik. Wenig später rief auch
Karl Liebknecht, einer der An-
führer des revolutionären Sparta-
kusbundes, vom Berliner Stadt-
schloss aus „die freie sozialisti-
sche Republik“ aus. Symbol-
trächtig schien den meisten Zeit-
genossen an diesem Tag wohl
eher das Ende der Hohenzollern-
herrschaft als die pathetische
Proklamation der neuen Repub-
lik. Dementsprechend nutzten in
der Weimarer Republik vor al-
lem deren Gegner das Datum,
um die Ergebnisse und Versäum-
nisse der „Novemberrevolution“
öffentlich zu kritisieren. Dagegen
griff die staatliche Erinnerungs-
kultur den 9. November nicht
auf. Im Gedenken an die Unter-
zeichnung der Weimarer Reichs-
verfassung durch Friedrich Ebert
1919 bestimmte die Republik statt-
dessen den 11. August zu ihrem
Nationalfeiertag.
9. November 1923: Auch der Hit-
ler-Ludendorff-Putsch besaß einen
symbolischen Bezug auf die No-
vemberrevolution. Für den Abend
des 8. November 1923 hatte der
bayerische Generalstaats-
kommissar Gustav von Kahr eine
„Vaterländische Kundgebung“ im
Münchner Bürgerbräukeller einbe-
rufen, auf der am Vorabend des
fünften Jahrestags der
„marxistischen Novem-
berrevolution" mit der
Berliner Reichsregierung
„abgerechnet" werden
sollte. Diese wurde zum
Ausgangspunkt des Hitler
-Ludendorff-Putsches, als
Hitler in einer Proklama-
tion „An das deutsche
Volk“ die „Regierung der
Novemberverbrecher in
Berlin“ für abgesetzt er-
klärte. Der nach dem Vor-
bild Mussolinis geplante
„Marsch auf Berlin“ wur-
de jedoch bereits am
nächsten Tag vor der
Feldherrnhalle von der Bayeri-
schen Landespolizei niederge-
schlagen. Die Rädelsführer wur-
den im Laufe der nächsten Tage
verhaftet, und die NSDAP wurde
als Partei verboten. Mit alljährli-
chen Erinnerungsfeiern avancierte
der Putsch nach 1933 zu einem
zentralen Bezugspunkt nationalso-
zialistischer Mythen- und Traditi-
onsbildung.
9. November 1918: Massendemonstration in Berlin "Unter den Linden"
© Bundesarchiv, BildY 1-6C43-227-67
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
9. November 1938: Anlässlich des
15. Jahrestages traf sich Hitler mit
den zu „alten Kämpfern“ verklärten
Putschteilnehmern von 1923 in
München, als die Nachricht eintraf,
dass der zwei Tage zuvor in Paris
angeschossene Legationssekretär
Ernst vom Rath seinen Verletzun-
gen erlegen war. Der Attentäter, ein
17jähriger Jude, hatte damit gegen
die brutale Abschiebung polnischer
Juden aus Deutschland protestieren
wollen. Dem nationalsozialisti-
schen Regime diente dieses Attentat
als willkommener Vorwand, um
antisemitische Ausschreitungen zu
legitimieren. Diese Novemberpogro-
me waren keineswegs Ausdruck
eines „spontanen Volkszorns“, wie
Reichspropagandaminister Goeb-
bels glauben machen wollte, son-
dern – nach Absprache mit Hitler –
von ihm selbst initiiert und vor al-
lem von SA- und SS-Mitgliedern
ausgeführt. Wochenlang kam es an
hunderten Orten zu gewalttätigen
Übergriffen, denen über 100 jüdi-
sche Frauen und Männer zum Op-
fer fielen. Viele weitere wurden in
den Suizid getrieben. Über 30.000
jüdische Männer wurden in Kon-
zentrationslager verschleppt. Die
materielle Bilanz der Gewalt waren
7.500 zerstörte jüdische Geschäfte
und 1.200 niedergebrannte Synago-
gen und Gebetshäuser. Dieser orga-
nisierte Pogrom markierte den
sichtbaren Übergang von der admi-
nistrativen und legislativen Diskri-
minierung zur offenen Verfolgung
der jüdischen Bevölkerung, die in
den organisierten Massenmord an
den Juden Europas mündete.
9. November 1989: Im Herbst 1989
beschleunigte sich der durch die
Reformpolitik des KPdSU-
Vorsitzenden Michail Gor-
batschow angestoßene Wandel in
Mittel- und Osteuropa. Neben ei-
ner stark anwachsenden Flucht-
welle formierte sich in der DDR
eine politische Opposition, die
seit September 1989 in Massende-
monstrationen gegen den Refor-
munwillen der SED-Führung auf
die Straße ging. Ausgehend von
den Leipziger Montagsdemonstra-
tionen, die wöchentlich im An-
schluss an die Friedensgebete in
der Nikolaikirche stattfanden, for-
derten immer zahlreichere De-
monstranten das Ende von Bevor-
mundung und Repression, durch-
greifende Reformen, freie Wahlen
sowie Reise-, Meinungs- und Ver-
sammlungsfreiheit. Vor dem Hin-
tergrund der massiven öffentli-
chen Proteste lehnte die Volks-
kammer am 7. November den Ent-
wurf eines restriktiven Reisegeset-
zes ab, woraufhin der DDR-
Ministerrat und das SED-
Politbüro zurücktraten. Am
… der 9. November im 20. Jahrhundert
Abend des 9. November setzte eine
Kettenreaktion ein, nachdem der
Sprecher des Zentralkomitees
Günter Schabowski auf einer Pres-
sekonferenz eine Erklärung zu ei-
ner neuen Reiseverordnung verle-
sen hatte, der zufolge künftig ohne
Angabe von Gründen kurzfristig
Genehmigungen für Reisen ins
Ausland erteilt würden. Auf Nach-
frage eines Journalisten, wann die
Verordnung in Kraft trete, antwor-
tete Schabowski, dass nach seiner
Kenntnis die Regelung „sofort, un-
verzüglich“ gelte. Im Laufe der
nächsten Stunden strömten immer
mehr Menschen zu den Grenzüber-
gängen in Berlin, die schließlich –
zunächst um 22.30 Uhr an der
Bornholmer Straße – geöffnet wur-
den. Dort versammelten sich da-
raufhin Menschen aus Ost und
West zu spontanen Freudenfeiern.
Der Mauerfall besiegelte den Un-
tergang der DDR und bereitete den
Weg zur Wiedervereinigung
Deutschlands.
©Dr. Klaus Seidl / WD1
9. November 1989: Feiernde Menschen vor dem Brandenburger Tor nach
dem Fall der Berliner Mauer
© Bundesregierung, B145 Bild-00000446, Foto: Klaus Lehnartz
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
„Es lebe die deutsche Republik!“
Was war das für ein gewaltiger
Umbruch, den Philipp Scheide-
mann am 9. November 1918 den
Menschen auf den Straßen Berlins
verkündete, hier an diesem Ort,
von einem Fenster des Reichstags
aus: der Zusammenbruch des Kai-
serreichs, das Ende einer jahrhun-
dertealten monarchischen Ord-
nung, der Beginn einer demokrati-
schen Zukunft für Deutschland!
Was für ein Ausruf in den letzten
Tagen des Weltkriegs! Welche Bot-
schaft für müde, ausgemergelte
Männer und Frauen, für ein vom
Krieg gezeichnetes Land, für die
Städte, Kasernen, Betriebe, in de-
nen Meutereien und Massenstreiks
wie ein Lauffeuer um sich griffen,
Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei
der Gedenkstunde zum 9. November 2018
in dieser explosiven Stimmung
aus Protest, Hunger, Ungewiss-
heit. Endlich Frieden, endlich
politische Selbstbestimmung und
soziale Gerechtigkeit – das war
die Verheißung jener Worte. Ein
Lichtblick an einem trüben No-
vembertag! Die Revolution, so
ungeplant und improvisiert sie
auch war, steht für eine tiefgrei-
fende Zäsur in der deutschen Ge-
schichte, für einen Aufbruch in
die Moderne. Viele ihrer Errun-
genschaften prägen heute unser
Land, auch wenn uns das gar
nicht mehr bewusst ist. Die Revo-
lution brachte allen deutschen
Parlamenten das allgemeine und
gleiche Wahlrecht – endlich, zum
ersten Mal auch für die Frauen!
Sie bahnte den Weg zur Weima-
rer Nationalversammlung, zu ei-
ner republikanischen Verfassung,
zur parlamentarischen Demokra-
tie, der ersten in der Geschichte
unseres Landes. Auch die Funda-
mente des modernen Sozialstaats
legte diese Revolution: Achtstun-
dentag, Tarifpartnerschaft, Mitbe-
stimmung durch Betriebsräte –
all das steht für den sozialen
Fortschritt, der damals inmitten
der Nachkriegswirren begann.
Aber trotz alledem hat die Revo-
lution bis heute kaum Spuren im
Gedächtnis unserer Nation hin-
terlassen. Der 9. November 1918
ist auf der Landkarte der deut-
schen Erinnerungsorte zwar ver-
zeichnet, aber er hat nie den Platz
gefunden, der ihm zusteht. Er ist
ein Stiefkind unserer Demokratie-
geschichte– eben auch, weil der 9.
November tatsächlich ein ambiva-
lenter Tag ist, weil er für Licht
und für Schatten steht, weil wir
jene Demokratie, die damals be-
gann, fast nie von ihrem Anfang,
sondern meist von ihrem Ende her
denken. Manchmal scheint mir,
als sei jene Zeitenwende auf ewig
überschattet vom Scheitern der
Republik, als sei der 9. November
1918 diskreditiert und entwürdigt
durch den 30. Januar 1933. Ja, das
Ende der Weimarer Republik führ-
te hinab ins furchtbarste Kapitel
der deutschen Geschichte. Aber,
verehrte Abgeordnete: Historisch
gescheitert ist nicht die Demokra-
tie – historisch gescheitert sind
ihre Feinde! Der übersteigerte Na-
tionalismus, die Diktatur, die
menschenverachtende Ideologie
der Nationalsozialisten haben Eu-
ropa mit Krieg und abscheulichen
Verbrechen überzogen, sie haben
dieses Land politisch und mora-
lisch ruiniert. Zu unser aller Glück
erhielt Deutschland eine neue
Chance auf Selbstbestimmung in
Einheit und Freiheit – und diese
Chance ist Wirklichkeit geworden:
sie, die Republik, hat sich histo-
risch behauptet! Das dürfen wir
hundert Jahre später für uns fest-
halten! Dabei bleibt natürlich rich-
tig: Jene Revolution war vom ers-
ten Tag an auch eine paradoxe,
© DBT/ Stella von Saldern
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Aktuelles in Deutschland
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
eine widersprüchliche Revolution.
Ihre Geschichte lässt sich nicht
geradlinig erzählen. Doch welche
deutsche Geschichte lässt sich das
schon? Die Widersprüchlichkeit
der Revolution zeigte sich bereits
am selben 9. November, als Karl
Liebknecht, der Führer des Sparta-
kusbundes, ein zweites Mal die
Republik ausrief – nur zwei Stun-
den nach Philipp Scheidemann.
Friedrich Ebert wollte zuvörderst
Chaos, Bürgerkrieg und ein militä-
risches Eingreifen der Siegermäch-
te verhindern; er war getrieben
von dem Wunsch, den Menschen
Arbeit und Brot zu geben. Der Rat
der Volksbeauftragten sah seine
Handlungsspielräume eng be-
grenzt in diesen ungewissen Mo-
naten, im Strudel radikalerer Kräf-
te von rechts wie von links. Und
doch hätten die Volksbeauftragten
wohl mehr Veränderung wagen
müssen, als sie aus ihrer damali-
gen Sicht für verantwortbar hiel-
ten. Zu viele geschworene Gegner
der jungen Republik behielten ihre
Ämter in Militär, Justiz und Ver-
waltung. Wahr ist allerdings: Ge-
gen den Versuch der radikalen
Linken, die Wahlen zur National-
versammlung mit Gewalt zu ver-
hindern, mussten die Volksbeauf-
tragten um Friedrich Ebert sich zur
Wehr setzen. Aber es gab keinerlei
Rechtfertigung dafür, der Brutalität
nationalistischer Freikorps fak-
tisch freie Hand zu lassen. Viele
wurden damals ermordet, unter
ihnen Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht. Verehrte Abgeordnete,
auch der Opfer jener Tage wollen
wir heute gedenken. Ja, diese Re-
volution war auch eine Revolution
… Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
bei der Gedenkstunde zum 9. November 2018
mit Irrwegen und enttäuschten
Hoffnungen. Aber es bleibt das
große Verdienst der gemäßigten
Arbeiterbewegung, dass sie – in
einem Klima der Gewalt, inmitten
von Not und Hunger – den Kom-
promiss mit den gemäßigten Kräf-
ten des Bürgertums suchten, dass
sie der parlamentarischen Demo-
kratie den Vorrang gaben! Der 9.
November 1918 ist ein Meilen-
stein der deutschen Demokratie-
geschichte: Er steht für die Geburt
der Republik in Deutschland. Er
steht für den Durchbruch der par-
lamentarischen Demokratie. Und
deshalb verdient er einen heraus-
ragenden Platz in der Erinne-
rungskultur unseres Landes!
Denn, meine Damen und Herren:
Wer heute glaubt, unsere Demo-
kratie sei doch mittlerweile eine
Selbstverständlichkeit, und dieses
Parlament ein Alltagsgegenstand,
ganz wie ein altes Möbelstück –
der schaue auf jene Tage! Nein,
dieses Parlament ist keine Selbst-
verständlichkeit und erst recht
keine Nebensache! Es ist eine his-
torische Errungenschaft, und für
diese Errungenschaft, für dieses
Erbe müssen wir streiten, zualler-
erst in diesem Haus! In der Wei-
marer Republik hat der 9. Novem-
ber nie die symbolische Kraft ei-
nes Gründungsmythos gewinnen
können. Selbst entschiedene Re-
publikaner mochten sich nicht
aus vollem Herzen zu einer Revo-
lution bekennen, deren Sonne so
„getrübt“ aufgegangen war, wie
Theodor Wolff an ihrem ersten
Jahrestag im Berliner Tageblatt
schrieb. Statt Einheit zu stiften,
verschärfte die Erinnerung an den
9. November sogar die ideologi-
sche Spaltung der Gesellschaft:
Für Teile der radikalen Linken
stand das Datum für den vermeint-
lichen Verrat an der Arbeiterklas-
se, für die Republikfeinde von
rechts für ihre Lüge vom
„Dolchstoß“, für den angeblichen
Verrat an den Frontkämpfern. Es
war kein Zufall, dass Adolf Hitler
ausgerechnet am 9. November
1923 in München den ersten An-
lauf zum Sturz der Republik unter-
nahm, jenes „undeutschen Sys-
tems“, dessen Repräsentanten die
völkische Rechte mit mörderi-
schem Hass überzog. Es war insbe-
sondere die Flagge der Republik,
auf die es ihre Feinde abgesehen
hatten und die sie immer wieder
in den Schmutz zogen: Schwarz-
Rot-Gold, die Farben der deut-
schen Freiheitsbewegung seit dem
Hambacher Fest von 1832. Verehr-
te Abgeordnete: Das allein ist
Grund genug, den 9. November
1918 aus dem geschichtspoliti-
schen Abseits zu holen! Wer heute
Menschenrechte und Demokratie
verächtlich macht, wer alten natio-
nalistischen Hass wieder anfacht,
der hat gewiss kein historisches
Recht auf Schwarz-Rot-Gold. Den
Verächtern der Freiheit dürfen wir
diese Farben niemals überlassen!
Sondern lassen Sie uns stolz sein
auf die Traditionslinien, für die sie
stehen: Schwarz-Rot-Gold, das
sind Demokratie und Recht und
Freiheit, meine Damen und Her-
ren! Die Revolution von 1918/19
war ein Aufbruch in die Demokra-
tie, in ein politisches Experiment
mit offenem Ausgang. Heute wis-
sen wir, welch schwere Lasten die
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Zeitgenossen zu schultern hatten,
die damals in Reich und Ländern
die Demokratie erprobten. Der ver-
lorene Krieg und sein blutiges Erbe
der Gewalt, die Folgen des Versail-
ler Vertrages, die Wirbelstürme
von Wirtschaftskrise und Inflation,
von Hunger und Massenelend – all
das belastete die Weimarer Repub-
lik und überforderte sie bisweilen
auch. Und es war vor allem die
lange Tradition antiliberalen Den-
kens, die die politische Kultur der
Republik vergiftete: Intellektuelle
wie Carl Schmitt zogen gegen den
Interessenpluralismus der
„modernen Massengesellschaft“ zu
Felde und schmähten die
„taktischen Kompromisse und Ko-
alitionen“ einer so genannten poli-
tischen „Klasse“. Auch Vertreter
der radikalen Linken geißelten Par-
lamente und Regierungen als Herr-
schaftsinstrumente der
„bürgerlichen Klasse“. Wenn wir
uns diese Anfechtungen heute vor
Augen führen, dann wird uns be-
wusst, wie beeindruckend die
Leistung derjenigen war, die da-
mals politische Verantwortung
schulterten: die eine demokrati-
sche Verfassung auf den Weg
brachten, das Justiz- und Bildungs-
system modernisierten, für Woh-
nungsbau und Arbeitslosenversi-
cherung sorgten, die Kunst und
Wissenschaft erblühen ließen und
die – in all diesen Jahren - zer-
brechliche Koalitionen durch in-
nen- wie außenpolitische Krisen-
stürme steuerten: Reichskanzler
und -minister wie Hermann
Müller, Gustav Stresemann oder
Matthias Erzberger, Abgeordnete
… Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
bei der Gedenkstunde zum 9. November 2018
wie Marianne Weber und Helene
Weber, Ernst Heilmann, Marie
Elisabeth Lüders oder Marie
Juchacz. Zu viele von ihnen sind
heute vergessen! Auch in Justiz
und Verwaltung stützten über-
zeugte Demokraten den Verfas-
sungsstaat. Staatsrechtslehrer wie
Hugo Preuß, der Vater der Weima-
rer Reichsverfassung, Gerhard An-
schütz, Richard Thoma, Hermann
Heller oder Hans Kelsen entwi-
ckelten Ideen, die noch heute in-
spirieren. Wissenschaftler wie der
Nationalökonom Moritz Julius
Bonn oder der Theologe Ernst Tro-
eltsch brachten liberales Denken
voran. Viele, die sich für die Re-
publik engagierten, wurden von
den Feinden der Demokratie ver-
höhnt, verfemt und angegriffen.
Führende Politiker wie Erzberger
und Walter Rathenau fielen
rechtsextremen, meist antisemi-
tisch motivierten Morden zum
Opfer. Meine Damen und Herren:
Lassen Sie uns nicht länger be-
haupten, dass die Weimarer Re-
publik eine Republik ohne Demo-
kraten war! Diese mutigen Frauen
und Männer standen viel zu lange
im Schatten der Geschichte vom
Scheitern der Weimarer Demokra-
tie. Ich finde: Wir schulden ihnen
Respekt, Hochachtung und Dank-
barkeit! Das Denken und Handeln
der Weimarer Demokraten wirkte
über die erste Republik hinaus.
Die Mütter und Väter der Bundes-
republik, von denen viele in der
Weimarer Zeit geprägt worden
waren, konnten nach 1945 auf de-
ren Kenntnissen aufbauen und aus
ihren Irrtümern lernen. In den
Worten von Heinrich August
Winkler: „Dass Bonn nicht Weimar
wurde, verdankt es auch der Tatsa-
che, dass es Weimar gegeben hat.“
Ich will seinen Gedanken auch für
unser heutiges Berlin in Anspruch
nehmen. Ja, wir leben in Zeiten, in
denen die liberale Demokratie wie-
der unter Druck gerät, in denen
ihre Gegner lauter und selbstbe-
wusster werden. Aber wenn bis-
weilen, in raunenden Tönen, vor
„Weimarer Verhältnissen“ gewarnt
wird, dann weise ich das entschie-
den zurück. So machen wir unsere
Demokratie kleiner und ihre Geg-
ner größer, als sie sind! Gerade
wenn wir uns an die mutigen Frau-
en und Männer von damals erin-
nern, wenn wir ihre Erfahrungen
als unseren Fundus begreifen,
dann habe ich die Hoffnung: Nicht
nur unsere Institutionen sind fester
und wehrhafter errichtet, sondern
vor allem wir als Demokraten kön-
nen lernen von denen, die vor uns
kamen. Freiheit, Rechtsstaatlich-
keit und Demokratie sind unser
Erbteil von diesen Müttern und
Vätern – lassen Sie es uns selbstbe-
wusst beanspruchen, lassen Sie es
uns klug und wachsam pflegen!
Meine Damen und Herren, am 9.
November erinnern wir Deutsche
an beides: an Licht und an Schat-
ten unserer Geschichte. Dieser Tag
ist ein Tag der Widersprüche, ein
heller und ein dunkler Tag, ein
Tag, der uns das abverlangt, was
für immer zum Blick auf die deut-
sche Vergangenheit gehören wird:
die Ambivalenz der Erinnerung.
Vor genau achtzig Jahren, in der
Nacht vom 9. auf den 10. Novem-
ber 1938, brannten in Deutschland
die Synagogen. Jüdische Geschäfte
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
wurden geplündert und zerstört.
Hunderte Frauen und Männer wur-
den von Nationalsozialisten getö-
tet, begingen Selbstmord oder star-
ben, nachdem sie in Konzentrati-
onslagern misshandelt worden wa-
ren. Diese Pogrome -für alle sicht-
bar!- waren ein Vorbote der Verfol-
gung und Vernichtung der europäi-
schen Juden. Sie stehen für den
unvergleichlichen Bruch der Zivili-
sation, für den Absturz Deutsch-
lands in die Barbarei. Wir geden-
ken heute der Opfer des National-
sozialismus, und wir wissen um
unsere Verantwortung, die keinen
Schlussstrich kennt! Meine Damen
und Herren, dieser 9. November
stellt uns, verdichtet in einem ein-
zigen Datum, vor die wohl schwie-
rigste und schmerzhafteste Frage
der deutschen Geschichte: Wie
konnte es sein, dass dasselbe Volk,
das am 9. November 1918 den Auf-
bruch in demokratische Selbstbe-
stimmung wagte, das in den Folge-
jahren auf so vielen Gebieten
menschlichen Strebens Fortschritte
feierte, das in seinen Konzertsälen
Symphonien lauschte und in sei-
nen Nachtclubs Swing tanzte, des-
sen Wissenschaftler Nobelpreise
gewannen, dessen Arbeiter genos-
senschaftliche Siedlungen bauten,
dessen Künstler Traditionen über
den Haufen warfen, dessen Kinofil-
me die Welt begeisterten – wie
konnte es sein, dass dieses selbe
Volk innerhalb weniger Jahre in
demokratischen Wahlen den De-
mokratiefeinden zur Mehrheit ver-
half, seine europäischen Nachbarn
mit Krieg und Vernichtung über-
zog, wegschaute, wenn nicht gar
… Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
bei der Gedenkstunde zum 9. November 2018
gaffte und jubelte, wenn daheim
in der eigenen Straße jüdische
Nachbarn, Homosexuelle, see-
lisch Kranke aus ihren Häusern
gezerrt wurden, abgeführt von
den Schergen eines verbrecheri-
schen Regimes eines Regimes,
das jüdische Familien in Viehwa-
gen pferchte und Eltern mit ihren
Kindern in Gaskammern schick-
te? Dies bleibt die schwierigste
und schmerzhafteste Frage der
deutschen Geschichte. Die Ant-
wort, meine Damen und Herren,
kann kein Historiker-Kongress
uns abnehmen. Keine historische
Einordnung kann unser Herz be-
ruhigen. Die Antwort ist über-
haupt nicht allein mit Worten zu
geben. Sondern wir können sie
nur durch unser Handeln geben!
Erinnerung, die pflichtbewusst an
Gedenktagen unsere Lippen be-
wegt, die aber nicht mehr unser
Handeln prägt, erstarrt zum Ritu-
al. Schlimmstenfalls führt sie so-
gar zu Ressentiments, zu Ent-
fremdung zwischen offiziellem
Gedenken und dem Lebensalltag,
dem Empfinden der Bürgerinnen
und Bürger, gerade der jungen
Menschen, die sagen: ‚Was hat
das denn mit mir tun?‘ Verehrte
Abgeordnete, liebe Gäste: In un-
serem Handeln müssen wir be-
weisen, dass wir, die Deutschen,
wirklich gelernt haben, dass wir
wirklich wachsamer geworden
sind im Angesicht unserer Ge-
schichte! Wir müssen handeln,
wo auch immer die Würde des
Anderen verletzt wird! Wir müs-
sen gegensteuern, wenn eine
Sprache des Hasses um sich
greift! Wir dürfen nicht zulassen,
dass einige wieder von sich be-
haupten, allein für das „wahre
Volk“ zu sprechen, und andere
ausgrenzen! Wir müssen wider-
sprechen, wenn Gruppen zu Sün-
denböcken erklärt werden, wenn
Menschen einer bestimmten Religi-
on oder Hautfarbe unter General-
verdacht gestellt werden, und wir
lassen nicht nach in unserem
Kampf gegen den Antisemitismus!
Wir müssen verhindern, dass sich
die Gruppen immer mehr vorei-
nander verschanzen! Wir müssen
uns aufraffen und aufeinander zu-
gehen! Wir müssen dafür sorgen,
dass diese Gesellschaft mit sich im
Gespräch bleibt! Und – auch das:
Wir müssen wieder kämpfen für
den Zusammenhalt in Europa, und
wir müssen streiten für eine inter-
nationale Ordnung, die angefoch-
ten wird – selbst von unseren Part-
nern. Denn dieser europäischen
Einigung und dieser internationa-
len Zusammenarbeit haben wir es
zu verdanken, dass wir Deutschen
heute wieder ein Volk sind, das
wirtschaftlich und politisch zu
Kräften gekommen ist, das in sei-
ner großen Mehrheit weltoffen und
europäisch leben will, das von vie-
len in der Welt geachtet, ja sogar
geschätzt wird, das immer noch in
seinen Konzertsälen Symphonien
lauscht und in seinen Nachtclubs
heute vielleicht nicht mehr zu
Swing, sondern zu Electro-Beats
tanzt, dessen Wissenschaftler wie-
der Nobelpreise gewinnen, dessen
Athleten Rekorde brechen, dessen
Unternehmen und Universitäten
junge Menschen aus der ganzen
Welt anziehen, ja, sogar und ganz
36
IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
besonders viele aus Israel! Dass
wir diesem großen Glück durch
unser Handeln gerecht werden –
das ist der wahre Auftrag dieses
Tages. Er richtet sich an jeden
Deutschen, weit über Gedenkstun-
den hinaus. Nehmen wir die Ver-
pflichtung an! Berlin ist nicht Wei-
mar und wird es nicht werden. Die
Gefahren von gestern sind nicht
die Gefahren von heute. Wer im-
mer nur vor der Wiederkehr des
Gleichen warnt, droht neue Her-
ausforderungen aus den Augen zu
verlieren. Aber: Erinnerung kann
den Blick schärfen für neue An-
fechtungen. Und die gibt es ge-
wiss! So wenig der Demokratie am
9. November 1918 ihr Scheitern
schon vorherbestimmt war, so we-
nig ist heute, einhundert Jahre spä-
ter, ihr Gelingen garantiert! Wir
beobachten ein wachsendes Unbe-
hagen an der Parteiendemokratie,
bis hinein in die Mitte unserer Ge-
sellschaft. Wir erleben, wie man-
che die Parlamente gar nicht mehr
als Orte für politische Lösungen
ansehen wollen. Nicht alle diese
Menschen sind Gegner der Demo-
kratie – aber sie alle fehlen der De-
mokratie. Gerade die Geschichte
der Weimarer Republik zeigt doch,
wie sehr wir Bürgerinnen und Bür-
ger brauchen, die bereit sind, Ver-
antwortung zu übernehmen, die
sich den Mühen demokratischer
Politik aussetzen – weil sie an ih-
ren Wert glauben. Ich wünsche
mir, dass heute, an ihrem 100. Ge-
burtstag, möglichst viele Menschen
in unserem Land dem Wert der
parlamentarischen Demokratie
nicht nur nachspüren – sondern
… Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
bei der Gedenkstunde zum 9. November 2018
dass sie daraus die Kraft schöp-
fen, den Mut fassen, sich in und
für diese Demokratie zu engagie-
ren. Denn: Mut, den braucht es
dafür auch heute! Aber der Mut
des Einzelnen wird nicht genü-
gen. Wir brauchen den verbin-
denden Moment. Denn wir spü-
ren doch, dass große Fliehkräfte
an unserer Gesellschaft zerren,
dass die Gräben tiefer werden,
nicht nur die ökonomischen, son-
dern auch kulturelle. Wir alle
haben ein tiefes Bedürfnis nach
Heimat, Zusammenhalt, Orientie-
rung. Und dafür spielt der Blick
auf die eigene Geschichte eine
entscheidende Rolle. Jedes Volk
sucht Sinn und Verbundenheit in
seiner Geschichte – warum sollte
das für uns Deutsche nicht gel-
ten? Wir brauchen die Erinne-
rung. Auch deshalb ist heute ein
wichtiger Tag! Der 9. November
kann Orientierung geben, ja! –
aber keine Eindeutigkeit. Man
kann diese Bundesrepublik nicht
begründen ohne die Katastrophe
zweier Weltkriege, ohne das
Menschheitsverbrechen der
Schoah. Sie sind unverrückbarer
Teil unserer Identität. Aber: Die
Bundesrepublik erklärt sich auch
nicht allein ex negativo, nicht
allein aus dem „Nie wieder!“
Man kann unser Land nicht be-
gründen ohne die weit verzweig-
ten Wurzeln von Demokratie-
und Freiheitsstreben, die es über
Jahrhunderte hinweg gegeben hat
und aus denen die Bundesrepub-
lik nach 1945 erst wachsen konn-
te. Ich weiß: Es ist schwer, beides
im Herzen zu tragen. Aber wir
dürfen es versuchen! Wir können
stolz sein auf die Traditionen von
Freiheit und Demokratie, ohne den
Blick auf den Abgrund der Schoah
zu verdrängen. Und: Wir können
uns der historischen Verantwor-
tung für den Zivilisationsbruch
bewusst sein, ohne uns die Freude
über das zu verweigern, was ge-
glückt ist in unserem Land! Ja: Wir
dürfen uns diesem Land anver-
trauen – auch wenn beides in ihm
steckt. Denn wir nehmen uns bei-
des zu Herzen! Das ist der Kern
eines aufgeklärten Patriotismus. Es
geht ihm weder um Lorbeerkränze
noch um Dornenkronen. Er ist nie-
mals laut und auftrumpfend – er
ist ein Patriotismus mit leisen Tö-
nen und mit gemischten Gefühlen.
Manche mögen das eine Schwäche
nennen –vermutlich gerade die,
die einen neuen, aggressiven Nati-
onalismus schüren. Ich empfinde
das genaue Gegenteil. Der Nationa-
lismus vergoldet die eigene Ver-
gangenheit, er suhlt sich im Tri-
umph über andere. Der Nationalis-
mus, auch der neue, beschwört
eine heile alte Welt, die es so nie
gegeben hat. Ein demokratischer
Patriotismus aber ist kein wohliges
Ruhekissen, sondern ein beständi-
ger Ansporn, für alle, die nicht
sagen: ‚Die beste Zeit liegt hinter
uns‘, sondern die sagen: ‚Wir wol-
len und wir können die Zukunft
besser machen‘! Das ist die Zuver-
sicht von Demokraten! Zuversicht
haben die Frauen und Männer be-
wiesen, die uns auf dem langen
Weg zu Einigkeit und Recht und
Freiheit in unserem Land vorange-
gangen sind. Die Vorkämpfer zur
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
Zeit der Französischen Revolution,
in der sehr kurzlebigen Mainzer
Republik etwa, und im liberalen
Vormärz, während der Revolution
von 1848 und in der Frankfurter
Paulskirche, deren Geist nicht nur
die Weimarer Verfassung durch-
zieht, sondern auch unsere heuti-
ge! Und wenn wir genau hinschau-
en, dann entdecken wir noch
frühere Anfänge von Selbstbestim-
mung und Gewaltenteilung, An-
fänge, die bis ins Mittelalter zu-
rückreichen, zum Stolz der Freien
Reichs- oder Hansestädte etwa, zu
den Freiheitsforderungen der deut-
schen Bauern, oder zur alten
Reichsverfassung, von der sich
sogar amerikanische Verfassungs-
väter inspirieren ließen. Wir erin-
nern an diejenigen, die im Kaiser-
reich und in der Weimarer Repub-
lik, im Exil und im Widerstand
gegen den Nationalsozialismus für
Freiheit und Demokratie kämpften
und von denen nicht wenige ihr
Leben ließen. Und vor allem den-
… Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
bei der Gedenkstunde zum 9. November 2018
ken wir heute an die Frauen und
Männer, die im Herbst 1989 auf
die Straßen strömten – in
Leipzig, Dresden, Plauen und
Chemnitz, in Berlin, Potsdam,
Halle und Magdeburg, in Arn-
stadt, Rostock und Schwerin. Sie
haben den Weg zur Wiederverei-
nigung unseres Landes bereitet.
Ohne ihre Friedliche Revolution,
ohne ihren Mut und Freiheits-
willen hätte es ihn nicht gege-
ben: den Fall der Mauer, jenen
glücklichsten 9. November in
unserer Geschichte! Auch daran
erinnern wir heute in Dankbar-
keit! All diese Frauen und Män-
ner haben nach und nach errun-
gen, wovon die Deutschen lange
Zeit nur träumen konnten: ein
freies, vereintes, demokratisches
Deutschland. Zu viele von ihnen
sind heute vergessen. Ich wün-
sche mir, dass wir mehr Auf-
merksamkeit, mehr Herzblut
und, ja, gern auch mehr finanzi-
elle Mittel den Orten und den
Protagonisten unserer Demokratie-
geschichte widmen! Für das Selbst-
verständnis unserer Republik soll-
ten wir mehr investieren als nur in
die Grablege von Königen oder die
Schlösser von Fürsten! Wir alle,
die wir uns zur Demokratie beken-
nen, die Millionen, die sich Tag
um Tag für dieses Land engagieren,
stehen in dieser Tradition! Sie zei-
gen durch tägliches Beispiel: Ein
demokratischer Patriotismus ist
keine Abstraktion und keine Kopf-
geburt. Das Engagement dieser Bür-
gerinnen und Bürger entspringt
doch nicht allein aus kühlem Ver-
stand, sondern bei den allermeisten
aus tiefstem Herzen! Also: Trauen
wir uns doch! Trauen wir uns, die
Hoffnung, die republikanische Lei-
denschaft jener November-Tage
auch in unserer Zeit zu zeigen.
Trauen wir uns, den Anspruch zu
erneuern: Es lebe die deutsche Re-
publik! Es lebe unsere Demokratie!
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IPS-Newsletter Ausgabe 14
November 2018
In eigener Sache
Impressum
Herausgeber: Deutscher Bundestag -Verwaltung Referat WI 4
Internationale Austauschprogramme
Luisenstraße 32-34, 10117 Berlin
Verantwortlich: Sabine Holthusen, Joshua S. Neumann,
Sophia S. Kujat
E-Mail: [email protected]
© Deutscher Bundestag, Berlin 2018
Seit Januar 2018 bin ich Refe-rentin für das Internationale Parlaments Stipendium. Mit der neuen Aufgabe schließt sich für mich beruflich ein weiterer Kreis: Als langjähri-ge Wissenschaftliche Mitar-beiterin eines Abgeordneten und zuletzt als Persönliche Referentin eines Vizepräsi-denten des Deutschen Bun-destages hatte ich regelmäßig eine IPSlerin oder einen IPS-
ler zu Gast in meinem Büro.
Besonders spannend war für mich dabei immer wie-der das Kennenlernen einer anderen Kultur, gesell-schaftlicher und politischer Unterschiede im Ver-gleich zu Deutschland, regionaler Besonderheiten und gleichzeitig vieler Gemeinsamkeiten. Vor allem aber das Interesse und der Enthusiasmus für das IPS und unser Parlament, der bei allen spürbar war und ist.
Das IPS bringt die Menschen zusammen; es vermittelt Verständnis füreinander und Respekt für unterschied-liche politische Meinungen, Religionen und Gesell-schafts- und Wirtschaftsverhältnisse. Das IPS zeigt uns, wie viel uns verbindet und was wir gemeinsam alles zustande bringen können. Dieses Programm nun selber mitgestalten zu können, ist eine wunderbare und spannende neue Aufgabe, in die ich mit viel Freu-de gestartet bin.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und den Aus-tausch mit Ihnen allen.
Ihre Ute Scheidt
Herzlich Willkommen im Team von WI4:
März 2018 markiert das Da-tum des Wechsels in den mehr operativen Bereich für Außenpolitik des Deutschen Bundestages: das IPS-Sonderprogramm für die ara-bischen Staaten bei WI 4. Zu-vor habe ich bei den Wissen-schaftlichen Diensten das Feld der Außenpolitik, Men-schenrechte, humanitären Hilfe und Sicherheitspolitik
beackert. Diese wichtige Aufgabe nun mit der Praxis zu verbinden, ist für mich eine Herzensangelegenheit.
In meiner neuen Tätigkeit geht es darum, bei der Aus-wahl und Programmgestaltung für das IPS-Sonderprogramm junge Talente mitzubestimmen und sie mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland, seiner Erinnerungskultur und gelebten Demokratie vertraut zu machen. Dabei sind die bei den Wissenschaftlichen Diensten gewachsene Kennt-nisse um die politischen Verhältnisse in den arabi-schen Staaten und Widerstände gegenüber zivilgesell-schaftlichem Engagement in diesen Ländern für mich von großem Wert.
Beeindruckt bin ich von der Tatkraft und dem Ideen-reichtum der jungen IPSler, ihr Land auf demokrati-sche Weise voranbringen zu wollen. Hier auf den Er-fahrungsschatz eines gut strukturierten Teams bei WI 4 zurückgreifen zu können ist für mich ein großes Ge-schenk. Ich freue mich auf gute Zusammenarbeit und neue Kontakte.
Ihre Sabrina Sperlich
Frau Lilli Risto,
neu als Sachbearbeiterin im IPS-Team,insbesondere zuständig für die Auftaktveranstaltung, das IPS-Alumni-Kolloquium sowie für die allgemeine Alumni-Arbeit.