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Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie
Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems
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Adrenomyeloneuropathie - seltene
Ursache einer spastischen
Paraparese
Jankovic M, Güler N, Kopsa W
Podreka I
Journal für Neurologie
Neurochirurgie und Psychiatrie
2003; 4 (4), 31-34
31J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2003
FALLBERICHT
ZUSAMMENFASSUNG
Wir berichten über einen Patientenmit über Jahre langsam progredienterspastischer Paraparese, zerebellärerDysarthrie und Ataxie. Der beglei-tende hypergonadotrope Hypogona-dismus und die auffällige MRT vonGehirn und Rückenmark legten eineAdrenomyeloneuropathie, eineX-chromosomal vererbte peroxy-somale Stoffwechselstörung, alsUrsache der Symptome nahe. DieDiagnose konnte mittels Nachweiseiner erhöhten Konzentration derüberlangkettigen Fettsäuren im Plas-ma gesichert und durch die Elektro-physiologie sowie den Nachweiseiner kompensierten Nebennieren-rindeninsuffizienz zusätzlich bestä-tigt werden. Die Therapie war sym-ptomorientiert, da der Patient sowohldie Therapie mit Lorenzo’s Öl alsauch mit Lovastatin ablehnte. DasKrankheitsbild der Adrenomyeloneu-ropathie kann bei Fehlen der weglei-tenden Begleitsymptome oder einerpositiven Familienanamnese diffe-rentialdiagnostische Probleme berei-ten, weshalb die Patienten manch-mal als Multiple Sklerose oder here-ditäre Spinalparalyse fehldiagnosti-ziert werden. Deshalb sollte im Ver-dachtsfall die Bestimmung der über-langkettigen Fettsäuren im Plasmaveranlaßt werden, um eine unnötigbreitbandige Durchuntersuchung zuvermeiden. Die Therapie dieserErkrankung ist schwierig.
EINLEITUNG
Das dem Kliniker häufig begegnendeKrankheitsbild der Paraparese istätiologisch vielfältig und trotz allerverfügbaren Zusatzuntersuchungenbisweilen eine diagnostische Heraus-forderung. In der Regel erfolgt einestationäre Abklärung zumindest mitkranialer und spinaler Magnetreso-nanztomographie, einer Liquorunter-
ADRENOMYELONEUROPATHIE –SELTENE URSACHE EINER SPASTISCHENPARAPARESEM. Jankovic, N. Güler, W. Kopsa, I. PodrekaNeurologische Abteilung, Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien
suchung und elektrophysiologischenUntersuchungen. Im konkreten Fallhandelt es sich um eine äußerst lang-sam progrediente Form einer spasti-schen Paraparese bei einem männli-chen Erwachsenen.
KLINISCHER VERLAUF
Der Patient war bis zu seinem 23.Lebensjahr gesund. Zuerst bemerkteer eine minimale Gangunsicherheitmit häufigem Stolpern, die im Laufeder nächsten 9 Jahre langsam, aberstetig an Intensität zunahm, sodaßerstmals eine stationäre Durchunter-suchung eingeleitet wurde. Klinisch-neurologisch präsentierte sich derPatient damals mit einer mäßigenspastischen Paraparese und einemsensiblen Niveau auf Höhe Th8. DieMRT des Gehirns und der gesamtenWirbelsäule ergab – bis auf eine ge-neralisierte Atrophie des Rücken-marks – einen unauffälligen Befund.Als bemerkenswerter Nebenbefundzeigte sich im damaligen Hormonsta-tus ein hypergonadotroper Hypogo-nadismus. Die weite Abklärung wur-de vom Patienten zunächst abgelehnt.
In den folgenden Jahren lebte derPatient alleine, ohne soziale Dienstein Anspruch zu nehmen, und konntesich bis dahin mehr schlecht alsrecht in den Aktivitäten des täglichenLebens selbst versorgen. Er beklagtezudem Impotenz und zunehmendenHaarausfall. Da nunmehr auch Koor-dinationsstörungen der Arme undeine undeutliche, schlecht artikulierteSprache hinzugetreten waren, kam esim 45. Lebensjahr unvermeidlich –nach 22jährigem Krankheitsverlauf –zur Dekompensation der sozialenSituation mit konsekutiver stationärerAufnahme an unserer NeurologischenAbteilung im November 2002, nachzahlreichen Stürzen im Wohnbereich,in dem er sich nur noch im Bürodreh-stuhl sitzend fortbewegen konnte.Soziale Dienste hatte er bislang nie-mals in Anspruch nehmen wollen.
DIAGNOSESTELLUNG
In Anbetracht der klinischen Sym-ptomkonstellation einer äußerst lang-sam progredienten spastischen Para-parese, zerebellärer Ataxie beideroberen Extremitäten und zerebellärer
Tabelle 1: Klinik und Befunde der X-ALD (modifiziert nach [1])Adrenoleuko- Adrenomyelo-dystrophie neuropathie Addison only
Manifestationsalter Meist < 21 a; > 18 a (meist > 2 aselten später 3.–4. Dekade)
Verhaltensstörung Immer Nein NeinKognitive Störungen Immer Nein NeinPyramidenbahnläsion Im Verlauf Von Anfang an NeinMRT-Leukenzephalo- Extensiv Hirnstammbetont Selten, allenfallspathie mildPNP Möglich Sensomotorisch axonal NeinPath. evozierte VEP; BAEP VEP, BAEP Selten BAEPPotentiale im VerlaufEndokrine Störungen Meist Addison Meist Addison und Immer Addison
HypogonadismusVerlauf Meist rasch, Meist langsam, Nicht progredient
selten langsam; selten rasch;progredient progredient
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FALLBERICHT
Dysarthrie, verbunden mit einemHypogonadismus, wurde trotz desFehlens einer klinisch manifestenNebennierenrindeninsuffizienz pri-mär an eine Adrenomyeloneuropa-thie (AMN), die Erwachsenenform derAdrenoleukodystrophie (= X-ALD),gedacht und zur zielsicheren Diagno-stik als erstes die Bestimmung derüberlangkettigen Fettsäuren im Serumveranlaßt, mit wiederholt positivemErgebnis. Auch die weiteren Zusatz-befunde waren mit einer AMN inEinklang zu bringen (Tab. 1). DieElektrophysiologie ergab eine axonaleNeuropathie und nicht auslösbareVEPs, der CRH-Test einen inadäqua-ten ACTH-Anstieg, der Hormonstatuseinen hypergonadotropen Hypo-gonadismus. In der kranialen MRTfanden sich nunmehr ausgedehnteSignalstörungen wie bei homogenerDemyelinisierung im Marklager mitSchwerpunkt um die Hinterhörnerder Seitenventrikel und mit zarter,
randständiger Kontrastmittelaufnahme(Abb. 1–3). Die spinale MRT zeigte –wie schon 1989 – eine ausgeprägtegeneralisierte Atrophie des Rücken-marks (Abb. 4). Aufgrund des X-chro-mosomalen Erbgangs der Erkrankungwurde eine eingehende Familien-anamnese mit Stammbaum durchge-führt, die etliche Fälle von ungeklär-ten Todesfällen ausschließlich männ-licher Kinder im Kleinkindesalter zuTage förderte, welche – auch im Erb-gang – durchaus mit Fällen vonX-ALD in Einklang zu bringen waren.Eine entsprechende genetische Bera-tung wurde der Familie angeboten.
THERAPIE
Die Therapie wurde symptomorien-tiert ausgerichtet, da der Patient so-wohl die Therapie mit „Lorenzo’s Öl“
als auch mit Lovastatin ablehnte(s. u.). Ein entsprechendes sozialesSetting wurde vereinbart und eineCortisonsubstitution in Streßsituatio-nen indiziert. Die Testosteronsub-stitution wurde vom Patienten – nachumfassender Aufklärung – ebensoabgelehnt.
DISKUSSION
Die X-ALD ist eine X-chromosomalvererbte peroxysomale Stoffwechsel-störung der Beta-Oxidation mit kon-sekutiver Abbaustörung überlangket-tiger Fettsäuren (VLCFA), die dadurchin Organen bzw. allen Körperflüssig-keiten – insbesondere aber in ZNS,PNS, der Nebennierenrinde und denKeimdrüsen – akkumulieren und fürdie klinischen Symptome verantwort-lich sind. Die Häufigkeit der Hemi-
Abbildung 1: Axiale T2 des Gehirns: Ausgeprägte hyper-intense Signalveränderungen im Centrum semiovaleerkrankungstypisch im dorsalen Anteil
Abbildung 2: Koronale TIRM: Ausdehnung der Hyper-intensitäten bis zur Subkortikalregion
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FALLBERICHT
zygoten (= männliche Krankheits-träger) wird in den USA auf 1:42.000geschätzt [2]. Die AMN ist eine derklinischen Varianten der X-ALD(Tab. 1) mit vorrangigem Befall vonRückenmark und peripheren Nerven.Klinische Leitsymptome sind einelangsam progrediente spastischeParaparese, eine axonale Neuro-pathie, Hypogonadismus und eineNebennierenrindeninsuffizienz;häufig findet sich auch progredienterHaarausfall. In der MRT finden sichtypischerweise eine hirnstammbe-tonte Leukenzephalopathie und eineRückenmarkatrophie. Die Elektro-physiologie zeigt das Bild einer axo-nalen sensomotorischen Neuropathieund pathologische akustische Hirn-stammpotentiale. Die Diagnosesiche-rung und Identifizierung des Über-trägerstatus ist bei den Erkranktenbzw. Überträgerinnen mit Hilfe derKonzentrationsbestimmung derVLFCA C26 oder C24 im Plasma
bzw. dem Quotienten C26/C22 oderC24/C22 möglich.
Verschiedene Mutationen imALD-Proteingen sind beschrieben[http://www.x-ald.nl], wobei selbstbei identen Mutationen – auch inner-halb einer Familie – äußerst variablePhänotypen vorkommen, sodaß eineindividuelle Prognosestellung unmög-lich ist, wenngleich MRI-Prognose-kriterien diskutiert werden [3]. Betrof-fen sind die männlichen Nachkom-men. Auch ein Großteil der hetero-zygoten Überträgerinnen zeigt instark abgemilderter Form klinischeund biochemische Merkmale einerX-ALD.
Die therapeutischen Möglichkeitensind begrenzt (Tab. 2). Bei X-ALD mitallenfalls leichtem zerebralem Befallkann prinzipiell eine Knochenmarks-transplantationBesserung brin-
gen, jedoch ist die Indikations-stellung dazu äußerst problematisch,da der individuelle Krankheitsverlaufnicht vorhersagbar ist. Möglicherwei-se können MRI-Kriterien bei derSelektion der geeigneten Patienten-subgruppe hilfreich sein [3].
Zur Beeinflussung des Stoffwechselsder überlangkettigen Fettsäuren ste-hen derzeit zwei Therapiestrategienzur Verfügung: Gezielte alimentäreZufuhr einer speziellen Fettsäuren-
Abbildung 3: Sagittale T1 des Gehirns mit Kontrastmittel:zarte, randständige Kontrastmittelaufnahme
Abbildung 4: Spinale T1-TSE sagittal: Atrophie desgesamten Myelons
Tabelle 2: Therapie der X-ALD• Knochenmarktransplantation• Lorenzo’s Öl• Lovastatin• Symptomatische Therapie• Hormonsubstitution
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FALLBERICHT
zusammensetzung – Lorenzo’s Öl –soll einerseits die exogene Zufuhrvon langkettigen Fettsäuren mit derNahrung reduzieren und andererseitsdie endogene Biosynthese dieser Fett-säuren unterdrücken [4, 5]. Die Thera-pie ist aufwendig und umstritten. Neu-erdings werden Hoffnungen in eineTherapie mit Lovastatin, einem Lipid-senker vom Statintyp, gesetzt [6, 7].
Wesentlich sind in jedem Fall diesymptomatische Therapie der moto-rischen Komplikationen (Spastizität,
zerebelläre Ataxie, Dysarthrie/Dys-phagie, Blasenfunktionsstörung),eine Hormonsubstitution und eineentsprechende soziale Versorgungder Patienten; darüber hinaus sollteder Familie eine genetische Beratungangeboten werden.
Differentialdiagnostisch ist die AMNbeim Fehlen einer positiven Familien-anamnese oder diagnostisch weg-leitender Begleitsymptome, wieHypogonadismus oder MorbusAddison, schwierig abzugrenzen(Tab. 3). Viele Patienten werdeninitial als Multiple Sklerose oderhereditäre spastische Spinalparalysefehldiagnostiziert. Bei geringstemklinischem Verdacht sollte dieBestimmung der VLCFA veranlaßtwerden, womit eine breitbandigeDurchuntersuchung vermiedenwerden kann.
Literatur:1. Van Geel BM, Assies J, Wanders RJ, Barth BG.X-linked adrenoleukodystrophy. Clinical presen-tation, diagnosis and therapy. J Neurol NeurosurgPsych 1997; 63: 4.
Tabelle 3: Differentialdiagnose derAMN im Erwachsenenalter• Multiple Sklerose• Hereditäre spinale Paraparese• Andere Leukodystrophien• Varicosis spinalis• ALS• Spinozerebelläre Ataxie• Olivopontozerebelläre Ataxie
2. Bezman I, Moser AB, Raymond GV, Rinaldo P,Watkins PA, Smith KD, Kass NE, Moser HW.Adrenoleukodystrophy: incidence, new mutationrate, and results of extended family screening.Ann Neurol 2001; 49: 512.3. Moser HW, Loes DJ, Melhem ER, Raymond GV,Bezman L, Cox CS, Lu SE. X-linked adrenoleuko-dystrophy: overview and prognosis as a functionof age and brain magnetic resonance imagingabnormality. A study involving 372 patients.Neuropediatrics 2000; 31: 227.4. Moser HW. Lorenzo’s oil for adrenoleukodys-trophy: a prematurely amplified hope. Ann Neurol1993; 34: 121.5. Simon E. Efficacy of Lorenzo oil in adreno-myeloneuropathy. Ann Neurol 1994; 36: 116.6. Pai GS, Khan M, Key LL, Craver JK, Betros R,Singh I. Lovastatin therapy for X-linked adreno-leukodystrophy: clinical and biochemical obser-vations on 12 patients. Mol Genet Metab 2000;69: 312.7. Singh I, Khan M, Key L, Pai S. Lovastatin forX-linked adrenoleukodystrophy. N Engl J Med1998; 339: 702.
Korrespondenzadresse:Dr. med. Martin JankovicNeurologische AbteilungKrankenanstalt Rudolfstiftung1030 Wien, Juchgasse 25E-Mail: [email protected]
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