jugendberufshilfe und betriebe - wie kooperation gelingen kann
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Gefördert durch das Niedersächsische
Ministerium für Soziales, Gesundheit und
Gleichstellung
Themenheft 3 2014
Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
Inhalt 0. Einleitung 1 1. Jugendsozialarbeit und
Betrieb – Wie geling Ko-operation? Prof. Dr. Thomas Gericke 3
2. Wandel der Berufsaus-bildung, Wandel der Ju-gendberufshilfe: Vom Bildungsträger zum Bil-dungsdienstleister!? Dr. Dietmar Heisler 11
3. Ein wechselseitiges Ge-ben und Nehmen. Firmen brauchen neue Fachkräf-te - und benachteiligte Jugendliche brauchen Hilfe beim Berufsstart Julia Schad 20
4. Assistierte Ausbildung Baden-Württemberg - Das Projekt carpo Berndt Korten 24
5. Kooperation mit Betrie-ben und passgenaue Ak-quisition – Ein Leitfaden aus der Weiterbildungs-sequenz „Kompetent för-dern und fordern“ Manuela Schneider und Silvia Mulik 28
6. Links und Impressum 38
0. Einleitung Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen, liebe Leser, die Grundgedanken und das Bestreben, Jugendsozialarbeit und Betriebe zusammenzuführen sind nicht neu. Bereits in einem unserer Newsletter (heute Themenheft) vor genau acht Jahren beschäftigten wir uns umfassend mit dieser Thematik und wollten damit zu einer engeren Zusammenarbeit und Ver-netzung mit der Wirtschaft im Sinne unserer Zielgruppe anre-gen. Seitdem hat sich viel auf dem Ausbildungs- und Arbeits-markt getan. Von 2,2 Millionen Betrieben in Deutschland haben nur noch eine Millionen die Berechtigung, überhaupt auszubil-den. Von dieser Million bilden jedoch nur 50% aus. Die Bereit-schaft der Betriebe, junge Menschen auszubilden, ist auffallend zurückgegangen. (vgl. Prof. Dr. Gericke auf dem LAG JAW-
Fachtag „Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation
gelingen kann“ am 27.11.2014). Auch die Zahlen der Bundes-agentur für Arbeit sind alarmierend: Im Sommer 2014 sind 495.000 freie Ausbildungsstellen gemeldet, 540.000 Bewer-ber/innen streben eine Ausbildung an. Im Hinblick auf die demografischen Aussichten und die prekäre Lage auf dem Ausbildungsmarkt empfiehlt sich aus unserer Sicht heute erst recht eine ver-stärkte Kooperation mit Betrieben. Auch wenn der Aufbau und die Verstetigung von Koope-rationen zwischen Trägern und Unternehmen zeitintensive Prozesse sind, möchten wir Sie mit unserem aktuellen Themenheft erneut ermutigen und unterstützen, auf Betriebe zuzuge-hen und Betriebe zu gewinnen. Wir haben zahlreiche Experten gewinnen können, die für uns bzw. für Sie, liebe Fachkräfte der Jugendsozialarbeit, ihre Erkenntnisse schriftlich zusammengefasst oder uns ihre bereits vorhandenen Fachartikel zur Verfügung gestellt haben. Den Einstieg macht Prof. Dr. Thomas Gericke von der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. Herr Prof. Dr. Gericke referierte auf dem Fachtag „Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann“ am 27.11.2014 in der Jugendwerkstatt Dannenberg zu dem Thema „Jeder macht das, was er gut kann – Anforderungen an eine professionelle Kooperation von Einrichtungen der Ju-gendberufshilfe mit Unternehmen“. Sein hier publizierter Beitrag ist gleichzeitig die schriftli-che Ausarbeitung seines dort gehaltenen Referates. Anschließend erhalten wir von Herrn Dr. Dietmar Heisler der Universität Erfurt einen weiteren wissenschaftlichen Einblick in die Zusammenarbeit zwischen Betrieben und der Jugendsozi-alarbeit und den Wandel der Berufsausbildung und der Jugendberufshilfe.
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Themenheft 3 2014
Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
Mit dem Titel „Ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Firmen brauchen neue Fachkräfte -
und benachteiligte Jugendliche brauchen Hilfe beim Berufsstart. Erfolg verspricht die
Assistierte Ausbildung, in der Wirtschaft und Jugendberufshilfe kooperieren“ gibt uns Frau Julia Schad, Projektleiterin bei IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit – Deutschland e.V., einen praxisbezogenen Blick auf die Idee der Assistierten Ausbildung. Vertiefender wird es bei Herrn Berndt Korten, Projektkoordination carpo und ISAtrans der Werkstatt PARITÄT gemeinnützige GmbH, der uns das Konzept der Assistierten Ausbildung in der Umsetzung vorstellt. Wie es ganz konkret gelingen kann, Betriebe als Ausbildungsorte für benachteiligte Jugendliche zu gewinnen, haben Manuela Schneider und Silvia Mulik vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) gemeinnützige GmbH in einem Leitfaden zur passgenauen Akquise festgehalten. Teile hieraus durften wir Ihnen freundlicherweise zur Verfügung stellen. Welchen tatsächlichen Weg einige Einrichtungen der Jugendberufshilfe in Niedersachsen bezüglich der Gewinnung von Betrieben bereits gehen, entnehmen Sie bitte unserer Tagungsdokumentation der bereits erwähnten Veranstaltung in Dannenberg (siehe S. 38 „Links“). Abschließend an die uns zur Verfügung gestellten Beiträge haben wir eine Liste mit diversen Links zum Thema zusammengestellt. Wir hoffen, offene Fragestellungen klären zu können. Vor allem aber möchten wir Anregungen geben und Impulse setzen, um den Prozess der Zusammenarbeit mit Betrieben wirkungsvoll zu unterstützen. Wir danken den Autorinnen und Autoren herzlich für ihre Beiträge, bzw. für die Zustimmung zur Verwendung ihrer Schriften im vorliegenden Themenheft. Das Referat Pro-Aktiv-Centren und Jugendwerkstätten der LAG JAW wünscht Ihnen viel Spaß beim Lesen und aufschlussreiche Anregungen! Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit sowie einen guten Start in das neue Jahr. Wir freuen uns, auch 2015 mit Ihnen zusammen zu arbeiten und auf zahlreichen Veranstal-tungen in den Austausch zu kommen!
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
1. Jugendsozialarbeit und Betrieb – Wie gelingt Kooperation?
Autor: (Vertr.) Prof. Dr. sc. phil. Thomas Gericke, Otto-von-
Guericke Universität Magdeburg, Lehrstuhl für soziale Integration
und berufliche Rehabilitation – Benachteiligtenförderung
Die Anstrengungen der Jugendsozialarbeit, Betriebe in unterschiedlichen
Förderkontexten als Lernort und Kooperationspartner zu gewinnen, haben eine lange Tradi-
tion (Gericke 2004, Hortskotte-Pausch/ Meier 2007, BAGKJS 2014). Die Gründe dafür sind
offensichtlich. Der Betrieb als Lernort ist – neben allen Risiken – deshalb so attraktiv, weil
- betriebliche Angebote ein hoher Ernstcharakter kennzeichnet, d.h., betriebliche An-
forderungen entsprechen weitgehend den Anforderungen der realen Arbeitswelt,
- Jugendliche in einer betrieblichen Ausbildung nicht nur fachlich und berufsbezogen
qualifiziert werden, sie “wachsen” in betrieblichen Lernphasen quasi in die Arbeitswelt
hinein,
- Jugendliche in betrieblichen Lernphasen meist nicht das Stigma außerbetrieblicher
Qualifizierungsprozesse erfahren, “erst einmal richtig Arbeiten lernen zu müssen”,
- Insbesondere “schulmüde” Jugendliche in betrieblichen Lernphasen durch praxisba-
sierte Lernprozesse neue Lernchancen erleben und Motivation gewinnen können,
- betriebliche Lernphasen eine reale Brückenfunktion ins Arbeitsleben darstellen,
- die Mehrzahl der Jugendlichen bei aller Wertschätzung der Arbeit von Sozialpädago-
gen und außerbetrieblichen Ausbildern Normalität will: in einem „normalen“ Betrieb
lernen oder arbeiten.
Natürlich birgt der Betrieb als Lernort für Benachteiligte auch Risiken. Nicht ohne Grund ist
es gerade für diese Jugendlichen schwer, überhaupt Zugang zu einer betrieblichen Ausbil-
dung oder Beschäftigung zu finden. Nicht selten stehen den vergleichsweise schlechten
schulischen und sozialen Voraussetzungen der Jugendlichen in den Betrieben allerdings
unzureichende pädagogische und soziale Kompetenzen gegenüber. Die Erkenntnis, dass
der erste Schritt in die berufliche Marginalisierung häufig eine betriebliche Berufsausbildung
war, die wegen qualitativ unzulänglicher Ausbildungsbedingungen abgebrochen wurde, ist
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nach wie vor aktuell (Lex 1997) und begründet auch aus dieser Sicht die Kooperation zwi-
schen Jugendsozialarbeit und Betrieben.
Während die Jugendsozialarbeit allerdings bis vor wenigen Jahren noch sehr engagiert und
einseitig um den Betrieb als Kooperationspartner ringen musste, haben sich in den letzten
Jahren die Rahmenbedingungen so verändert, dass immer mehr Betriebe der Kooperation
mit Trägern der Jugendsozialarbeit aufgeschlossen gegenüberstehen. Woran liegt das?
Nach Untersuchungen des IAB haben die Betriebe zunehmend Schwierigkeiten bei der Be-
setzung ihrer Ausbildungsstellen. Im Jahr 2013 blieb jeder fünfte angebotene Ausbildungs-
platz unbesetzt. Besonders betroffen davon sind kleine und ostdeutsche Betriebe, die immer
schwerer Auszubildende finden. Dass gleichzeitig die Zahl der unversorgten Ausbildungs-
platzbewerber gestiegen ist, deutet auf ein Passungsproblem: Die Jugendlichen mit ihren
Voraussetzungen und beruflichen Wunschvorstellungen passen nicht zu den, in ihrem Sozi-
alraum angebotenen, betrieblichen Ausbildungsplätzen (IAB 2014).
Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die Ausbildungsbereitschaft der ausbildungsberechtig-
ten Betriebe in Deutschland sinkt, obwohl ein Teil der Betriebe schon bereit ist, bei der Be-
werberauswahl Kompromisse, z.B. bei den schulischen Leistungen, einzugehen (ebenda).
In einer solchen „Gemengelage“ eröffnen sich für die Träger neue Handlungsfelder und –
auch im eigenen Interesse – neue Entwicklungsperspektiven. Kooperation zwischen Ju-
gendsozialarbeit und Betrieben ist dabei nicht nur förderpädagogisch wertvoll, sie ist auch
volkswirtschaftlich notwendig, weil sie durch die Erschließung zusätzlicher demographischer
Ressourcen die Betriebe bei der Sicherung des Fachkräftebedarfes unterstützen und so
auch einen Beitrag zum Erhalt der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe leisten kann. Aus
eigner Kraft sind viele Betriebe, insbesondere kleinere Betriebe, dazu nicht in der Lage. Zu
groß ist für sie das Risiko einer problematisch verlaufenden Berufsausbildung die zusätzliche
betriebliche Ressourcen bindet und so das wirtschaftliche Agieren am Markt erschwert. Die
Kooperation ist deshalb sowohl für die Betriebe als auch für die Träger der Jugendsozialar-
beit und die von ihnen betreuten Jugendlichen eine win-win-Situation: Die Betriebe gewinnen
einen Kooperationspartner, der sie bei der Qualifizierung bzw. Ausbildung des Fachkräf-
tenachwuchses unterstützt, der bei fachlichen und sozialen Problemlagen als Dienstleister
bereit steht und den Ausbildungsprozess fallbezogen begleitet. Der Träger der Jugendsozi-
alarbeit eröffnet „seinen“ Jugendlichen durch diese Kooperation die Möglichkeit, unter realen
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Arbeitsmarktbedingungen zu arbeiten und zu lernen und eröffnet mit dieser Kooperation
auch den Jugendlichen betriebliche Lernphasen, denen dieser Zugang u.U. ohne die Koope-
ration nicht möglich gewesen wäre. Aspekte dieses Ansatzes werden – mehr als zehn Jahre
nach ersten Publikationen dazu - gegenwärtig als Assistierte Berufsausbildung diskutiert (vgl.
auch: BAG KJS 2014, Gericke 2001, Gericke 2004).
Die Erwartungen der Betriebe an die Kooperation
Welche Erwartungen haben nun insbesondere die Betriebe an diese Kooperation? In einer
Befragung von 304 Betrieben, die benachteiligte Jugendliche in Kooperation mit einem Trä-
ger der Jugendsozialarbeit ausbildeten, steht die Sicherung eines erfolgreichen Ausbil-
dungsprozesses im Mittelpunkt. Sie erwarten vor allem dann Unterstützung von den Trägern,
wenn sich in der berufspraktischen oder der berufstheoretischen Ausbildung Schwierigkeiten
abzeichnen (Abb. 1, vgl. Gericke 2004, S.101ff).
Abb. 1 Von den Betrieben angenommene Unterstützungsleistungen der Träger
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Ob eine Ausbildung oder eine betriebliche Qualifizierung erfolgreich verläuft hängt dabei
aber auch von der (Vor)Auswahl geeigneter Jugendlicher ab. Wenig Akzeptanz haben in den
Betrieben Leistungen oder Unterstützungsangebot, die in die Autonomie der Betriebe außer-
halb der Ausbildung hineinreichen: Beratung in Personalfragen über die Ausbildung hinaus
oder die Unterstützung der Betriebe in Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Trä-
ger, der bei der Vorauswahl von Jugendlichen und in seinem Angebot für die Ausbildungs-
begleitung Professionalität vermittelt, wird von den Betrieben nicht nur als Kooperations-
partner, sondern auch als professioneller Dienstleister wahrgenommen. Hier bietet sich den
Trägern eine neue Perspektive.
Die Entwicklung betriebsspezifischer Kooperationsstrategien
Ausgangspunkt jeder Kooperation muss die konzeptionelle Überlegung sein, welcher Partner
– Betrieb oder Jugendsozialarbeit – kann welches Potenzial zum Nutzen des Kooperations-
partners in die Kooperation einbringen. Die Potenziale der Betriebe sind da relativ stabil (be-
triebliche Lern- und Arbeitserfahrungen, vielfältige, praxisbezogene Lern- und Ausbildungs-
prozesse in einem breiten Berufespektrum, Arbeitswelt als Lern- und Sozialisationsraum,
Kunden- und Auftragsorientierung, Wettbewerbs- und Leistungsbezogen). Demgegenüber
haben viele Betriebe Defizite oder Unterstützungsbedarf bei abweichenden Qualifizierungs-
oder Ausbildungsverläufen, bei sozialen Problemlagen der Jugendlichen, vor allem aber bei
der Auswahl geeigneter Jugendlicher in einem engen Nachfragemarkt nach Ausbildungsstel-
len. Durch ihre Erfahrungen und das Know-how bei der Gestaltung individueller Aktivierungs-
und Qualifizierungsmaßnahmen, in der methodischen Kompetenz bei der Durchführung von
Eignungs- und Potenzialanalysen und der Fähigkeit, individuelle Förderbedarfe in individuel-
len Förderplänen zu operationalisieren und diese praktisch umzusetzen und zu begleiten
liegen die Potenziale der Träger der Jugendsozialarbeit für die Kooperation mit Betrieben.
Wichtig erscheint, dass die Träger ihre Potenziale gegenüber dem Kooperationspartner Be-
trieb als ihre Leistungen definieren und kommunizieren müssen.
Die praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Befunde aus Modellprogrammen und -
projekten zeigen, dass die erwarteten Begleit- und Unterstützungsbedarfe der Betriebe in
Abhängigkeit von Branche, Größe, Modernisierungsgrad und Region variieren können. Im
Rahmen der schon erwähnten Untersuchung ließen sich vier typische Konstellationen er-
kennen (Gericke 2004, S.29ff):
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Erstens: Kleine, traditionelle Handwerks- oder Dienstleistungsbetriebe in klassischen Hand-
werksdomänen wie Friseur-, Maler- oder Bäckerhandwerk, häufig mit offensichtlichen Mo-
dernisierungsrückständen und meist auch in wirtschaftlich instabilen, wenn nicht sogar pre-
kären, Situationen - “Die Traditionellen”
Zweitens: Markt- und wachstumsorientierte, “abgerundete”, Handwerks- und Dienstleis-
tungsbetriebe mit einer ausgeprägten Betriebs- und Produktphilosophie und definierten Er-
wartungen an Persönlichkeit und Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter - “Die Marktorientier-
ten”
Drittens: Kleine, meist junge und unternehmergeführte Firmen und Unternehmen im Bereich
der New Economy, der Kreativwirtschaft oder den modernen Dienstleistungen, häufig in
Qualifizierung und Ausbildung noch unerfahren, aber mit starker Teamkultur - “Die Newco-
mer”
Viertens: Mittelständische Unternehmen mit starker lokaler Verankerung und selbstbewuss-
ten Auftritt, trotz Konjunkturabhängigkeit mit Tradition und Erfahrung in Qualifizierung und
Ausbildung - “Der Mittelstand”
Abb. 2 Begleit- und Unterstützungsleistungen bei verschiedenen Betriebstypen
Betriebstypen Traditionelle Marktorientierte Newcomer Mittelstand
Akquisitions-strategie
Kleine, klassi-sche Hand-werks- und Dienstleis-tungs- unternehmen
Größer als ein Familienbetrieb, meist mehrere Filialen
Firmen der Compu-terbranche, Soft-wareentwickler, Videoproduktions- firmen, Show- und Eventmanagement
Betriebe der industriellen Fertigung, Garten- und Land-schaftsbau-betriebe, große Kauf-häuser
Finanzielle Förde-rung
Sehr wichtig Wichtig Weniger wichtig Bedeu-tungslos
Auswahl geeigneter TeilnehmerInnen
Weniger wichtig Sehr wichtig Sehr wichtig Bedeu-tungslos
Ausbildungsbeglei-tung der Teilnehme-rInnen
Weniger wichtig Wichtig Wichtig Weniger wichtig
Ausbildungsbeglei-tung der Betriebe
Wichtig Bedeutungslos Sehr wichtig Bedeu-tungslos
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Zuwachs an Ar-beitsvermögen
Wichtig Weniger wichtig Bedeutungslos Bedeu-tungslos
Gewinn an Sozial-prestige
Bedeutungslos Bedeutungslos Bedeutungslos Sehr wichtig
Entlastung bei den Formalitäten
Bedeutungslos Bedeutungslos Wichtig Wichtig
Vor dem Hintergrund dieser Typologie von Ausbildungsbetrieben kann die Aufgabe von Trä-
gern der Jugendberufshilfe professionalisiert werden, indem betriebsspezifisch differenzierte
Strategien bei der Gewinnung von Ausbildungsbetrieben umgesetzt werden. Das Spezifische
besteht dabei in der Entwicklung eines Dienstleistungsangebotes, das die realen Bedürfnisse
der Betriebe im Kontext von Berufsausbildung aufgreift. Die unterschiedlichen Akzentsetzun-
gen der die Strategien bei der Gewinnung von Kooperationsbetrieben folgen sollten, sind in
Abbildung 2 dargestellt.
Kooperation als Aufgabe
Wenn strategische Entscheidungen getroffen und umgesetzt sind, wenn Betrieb und Träger
die Kooperation vereinbart haben, bleibt die praktische Arbeit, die Kooperation mit erbrach-
ten Leistungen auszugestalten. Die in Abbildung 1 dargestellten Leistungen sind dabei nur
komplexe Handlungsfelder hinter denen sich mannigfaltige Aufgaben verbergen, die zu be-
arbeiten sind.
Die Jugendwerkstatt Felsberg e.V. (www.jugendwerkstatt-felsberg.de) hat sich in den letzten
Jahren zu einem Kompetenzzentrum für die Kooperation zwischen Trägern der Jugendsozi-
alarbeit und Betrieben entwickelt und die Erfahrungen in der Kooperation aufgabenbezogen
und handlungsorientiert aufbereitet und dokumentiert (vgl. Horstkotte-Pausch/Meier 2007).
Entsprechend der Vorstellung, dass in der Kooperation mit Betrieben die Rolle der Träger
der Jugendsozialarbeit die eines Dienstleisters für Jugendliche und Betriebe ist, lassen sich
für die erfolgreiche Gestaltung betrieblicher Lern- und Qualifizierungsphasen u.a. folgende
Aufgaben ableiten:
- Die (vor)Auswahl und Vorbereitung der Jugendlichen auf die betriebliche Lernphase –
orientiert an den Erwartungen der Betriebe an denen der Jugendlichen.
- Die Klärung der betrieblichen Voraussetzungen für die Qualifizierung oder Ausbildung
der Jugendlichen.
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- Die begleitende Unterstützung der Jugendlichen und der Betriebe während der be-
trieblichen Lernphasen.
Diese Aufgabenfelder sind weiter zu untersetzen. Für die Unterstützung der Jugendlichen in
den betrieblichen Lernphasen sind das z.B. folgende Aufgaben (vgl. Hortskotte-Pausch /
Meier 2007):
- Fortführung des individuellen Förderplans
- Individueller Stützungsunterricht bzw. Vermittlung in ausbildungsbegleitende Hilfen
- Unterstützung bei auftretenden Problemen und Konflikten im Privat- und Ausbil-
dungsbereich (z.B. Drogenkonsum, Verschuldung, Konflikte mit dem Recht, den El-
tern, dem Betrieb)
- Unterstützung bei Ämtergängen
- Regelmäßige Auswertungsgespräche gemeinsam mit den Ausbildenden im Betrieb
- Zusatzqualifikationen ermitteln
- Prüfungsvorbereitung, Bewältigung von Prüfungssituationen/ Angst
- Hilfe im Anschluss an die betriebliche Lernphase
- ...
Die Unterstützung der Betriebe könnte darin bestehen:
- Unterstützung beim Prozedere der Überbetrieblichen Lehrunterweisung
- Unterstützung beim Controlling der Schulergebnisse (Anwesenheit, Leistungs-
stand) und Einleitung von Unterstützungsszenarien (Nachhilfeunterricht, Prüfungs-
vorbereitungen)
- Moderation und Vermittlung in konkreten Konfliktfällen zwischen Betrieb und Ju-
gendlichen, um Ausbildungsabbrüche zu vermeiden
- Regelmäßige Auswertungsgespräche über Stand der Ausbildung
- Hilfe bei der Findung von Fortbildungsangeboten für Ausbilder/innen
- Informationen über Möglichkeiten der Prüfungsvorbereitung
- Informationen zur rechtlichen Regelung/ Verantwortlichkeit bei vorzeitigem Aus-
bildungsabbruch
- Informationen zur Verlängerung und Verkürzung des Ausbildungsverhältnisses
- …
Die detaillierte Untersetzung der Kooperationsbeziehung zwischen Jugendsozialarbeit und
Betrieb unterstreicht die professionelle Rolle der Träger als Dienstleister für die Jugendlichen
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und Betriebe. Es geht dabei nicht primär um die Unterstützung der Betriebe, sondern um
eine Verbesserung der Chancen der Jugendlichen durch die Kooperation mit Betrieben. Die
Bereitschaft der Betriebe, sich auf diese Kooperation einzulassen, war noch nie so groß, wie
jetzt, 2014. Viele Betriebe erleben, dass sie die Gewinnung des Fachkräftenachwuchses aus
eigener Kraft nicht hinreichend meistern können. Hier bietet sich den Trägern der Jugendso-
zialarbeit die Möglichkeit, sich als Dienstleister zu profilieren. In konkreten regionalen - oder
Branchenkontexten sollte es möglich sein, dass Betriebe die Inanspruchnahme dieser
Dienstleitung auch vergüten. Strategisch rückt allerdings ein anderes Szenario in den Mittel-
punkt der Entwicklung: Alle Anstrengungen, die die Betriebe darin unterstützen, auf die Viel-
falt bzw. die vielfältigen Voraussetzungen der Jugendlichen in Lern- und Qualifizierungspro-
zessen reagieren zu können, sind ein Beitrag zur Entwicklung eines inklusiven Ausbildungs-
system, das jedem und jeder Jugendlichen Teilhabemöglichkeiten an betrieblicher Qualifizie-
rung und Ausbildung eröffnet. Die Kooperation mit Trägern der Jugendsozialarbeit ermöglicht
so auch den Betrieben neue Lernprozesse.
Quellen und Literatur:
- BAG KJS (2014): Assistierte Ausbildung verankern. Positionspapier der BAG KJS.
http://www.bagkjs.de/media/raw/20140127_Positionspapier_Assistierte_Ausbildung.p
df
- Hortskotte-Pausch, A./ Meier, J.(2007): Gemeinsam mit Betrieben ausbilden. Prakti-
sche Tipps für die Ausbildungskooperation. Jugendwerkstatt Felsberg e.V. (Hsg.).
Felsberg 2007, 58 Seiten.
- Gericke, Th.(2004): Duale Ausbildung für Benachteiligte. Eine Untersuchung zur Ko-
operation von Jugendsozialarbeit und Betrieben. Verlag Deutsches Jugendinstitut.
München 2004, 144 Seiten.
- Gericke, Th. (2001): Der Betrieb als Partner der Jugendberufshilfe, in Durchblick,
Zeitschrift für Ausbildung, Weiterbildung und berufliche Integration, Heft 1, Heidelberg
2001, S. 7-11
- IAB (2014): Betriebe und Bewerber finden schwerer zusammen, dafür sind Übernah-
men häufiger denn je. IAB-Kurzbericht 20/2014, Autoren: Sandra Dummert, Marek
Frei, Ute Leber.
- Lex, T.: Berufswege Jugendlicher zwischen Integration und Ausgrenzung. München
1997. In: Felber, Holm (Hrsg.): Berufliche Chancen für benachteiligte Jugendliche.
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2. Wandel der Berufsausbildung, Wandel der Jugendberufshilfe.
Vom Bildungsträger zum Bildungsdienstleister!? Zur Kooperati-
on von Jugendberufshilfe und Betrieben.
Autor: Dr. Dietmar Heisler, Universität Erfurt,
Fachgebiet Berufspädagogik
Das duale System der Berufsausbildung hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an
Veränderungen und Reformen erfahren. Nicht zuletzt, weil sich die Situation am Ausbil-
dungsstellenmarkt grundlegend verändert hat. So ist bspw. eine Vielzahl neuer Organisati-
onsmodelle der dualen betrieblichen Ausbildung entstanden. Das Ziel war es, damit zur Fle-
xibilisierung und Individualisierung des dualen Ausbildungssystems beizutragen. Es ging
darum, die berufliche Bildung durchlässiger, anschlussfähiger und kohärenter zu gestalten.
Es stellen sich zwei Fragen: 1.) Inwieweit werden die besonderen Förderbedarfe sozial be-
nachteiligter Jugendlicher in diesen Modellen berücksichtigt? 2.) Welchen Stellenwert hat
darin die Jugendberufshilfe und Benachteiligtenförderung?
Expertise zur Zukunft der Benachteiligtenförderung/ Jugendberufshilfe
Mit der Untersuchung der o. g. Fragestellungen befasste sich eine Expertise, die von der
Bundesarbeitsgemeinschaft örtlich regionaler Träger der Jugendsozialarbeit (BAG ÖRT) im
Jahr 2010 in Auftrag gegeben wurde (vgl. Heisler 2011). Die zentrale These dieser Expertise
war, dass der Betrieb als Lernort künftig eine größere Bedeutung bei der Ausbildung benach-
teiligter Jugendlicher besitzen wird. Demzufolge wird der Zusammenarbeit zwischen Bil-
dungsträgern und Betrieben in Zukunft eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der
Grund für diese Einschätzung resultierte aus der Beobachtung, dass die Relevanz sog. ko-
operativer Ausbildungsmodelle, in denen Betriebe und Bildungsträger bei der Ausbildung
junger Menschen miteinander kooperieren, zugenommen hat. Dieser Prozess wird als „Re-
Dualisierung“ bezeichnet (Eckert, Heisler, Nitschke 2007; Gericke 2003; Zimmermann 2004).
Damit ist die Rückgewinnung des Lernortes Betrieb für die Ausbildung benachteiligter Ju-
gendlicher gemeint. Es steht die Frage im Mittelpunkt, unter welchen Bedingungen eine er-
folgreiche Förderung dieser jungen Menschen im Betrieb gelingen kann. Der vorliegende
Beitrag wird die zentralen Ergebnisse der o. g. Expertise zusammenfassen. Es stellt sich die
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Frage, wie eine moderne Benachteiligtenförderung im Kontext des sich verändernden Aus-
bildungsmarktes aussehen wird?
Entwicklungen am Ausbildungsstellenmarkt: Bewerbermangel und Wettbewerb der
beruflichen Bildungsgänge
Das Bild der beruflichen Bildung hat sich in den letzten Jahren gravierend verändert: Der
demografische Wandel hat in vielen Regionen Deutschlands zu einem Rückgang von Aus-
bildungsplatzbewerbern im dualen System geführt. Im Jahr 2013 wurden 530.715 neu abge-
schlossene Ausbildungsverträge registriert. Dies ist seit der politischen Wiedervereinigung
der niedrigste Wert, der in diesem Zeitraum erreicht wurde. Erstmals in der Geschichte des
dualen Systems wurden im Jahr 2013 mehr Studienanfänger als Ausbildungsanfänger regis-
triert (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014; BiBB 2014). Dieser Prozess wird
als Akademisierung oder als „Bachelorisierung von Sachbearbeiter-Positionen“ bezeichnet
(DIHK 2014, S. 12). Damit ist die zunehmende Bedeutung bzw. das zunehmende Interesse
junger Menschen an einem Hochschulstudium gemeint.
Diese Befunde deuten auf den ersten Blick auf eine zu begrüßende Entwicklung hin. Offen-
bar erreichen doch immer mehr junge Menschen höhere Schulabschlüsse und münden da-
mit in ein Hochschulstudium ein. Gerade im Kontext internationaler Bildungsvergleiche und
Bildungssystemrankings, wie PISA, wird Deutschland immer wieder für die soziale Selektivi-
tät seines Bildungssystems kritisiert und wird sorgenvoll auf sein Akademikermangel hinge-
wiesen. Zu wenig Menschen würden in Deutschland an akademischer Bildung teilnehmen
(OECD 2011; vgl. auch OECD 2014). Kritiker formulieren, dass dies den großen Stellenwert
der dualen Ausbildung im deutschen Bildungssystem außer Acht lasse. Der Anstieg der Stu-
dienanfänger deutet darauf hin, dass sich dies möglicherweise gerade ändert.
Demgegenüber lassen sich weitaus problematischere Entwicklungen am Ausbildungsmarkt
beobachten. Einerseits sinkt zwar die Zahl der Ausbildungsplatzbewerber, parallel dazu sinkt
aber auch das Angebot an Lehrstellen. Gleichzeitig bleibt eine hohe Zahl an Ausbildungs-
plätzen unbesetzt (Gerhards, Ebbinghaus 2014). Die Zahl nicht besetzter Lehrstellen hat
sich zwischen 2006 und 2013 fast verdoppelt, von 15.400 nicht besetzten Lehrstellen auf
33.500 Lehrstellen (ebd., S. 2). Es wird befürchtet, dass dadurch der demografisch bedingte
Fachkräftemangel sogar verschärft wird. Weiterführende Analysen verdeutlichen, dass ein-
zelne Berufe davon in besonderem Maße betroffen sind, z. B. in der Gastronomie und dem
Nahrungsmittelhandwerk. Diese Berufe haben besondere Schwierigkeiten dabei, ihre Aus-
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bildungsplätze mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Einige Autoren sehen die Gründe
dafür in der geringen Attraktivität und dem schlechten Image dieser Ausbildungsberufe
(Eberhard, Scholz, Ulrich 2007), aber auch in der Qualität der Ausbildung (DGB 2014).
Genauso ist die Zahl unversorgter Ausbildungsplatzbewerber in den letzten Jahren wieder
gestiegen. Die Hoffnung, dass sich mit dem demografischem Wandel und dem zunehmen-
dem Bewerbermangel die Chancen benachteiligter Jugendlicher am Ausbildungsstellenmarkt
erhöhen, wird nicht erfüllt. Als Gründe dafür werden u.a. Passungsprobleme zwischen Be-
trieben und Jugendlichen benannt (Gerhards, Ebbinghaus 2014). Nach wie vor ist es in vie-
len Fällen die vermeintlich fehlende Ausbildungsreife der Ausbildungsplatzbewerber, die da-
zu führt, dass Betriebe ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen (können) (vgl. DIHK 2014).
Dennoch scheinen die Betriebe in Anbetracht des Bewerberrückganges zunehmend bereit
zu sein, auch leistungsschwächere Jugendliche in eine Berufsausbildung einzustellen.
Unabhängig von der demografischen Entwicklung und dem Ausbildungsplatzangebot, würde
die Modernisierung des Arbeitsmarktes ebenfalls zur Erosion bzw. zu krisenhaften Entwick-
lungen im Berufsbildungssystem führen. In seiner jetzigen Form sei es kaum in der Lage sich
den Modernisierungsprozessen des Arbeitsmarktes, seiner Flexibilisierung und seinen tech-
nischen Modernisierungsprozessen zeitnah anzupassen (Heisler 2011, S. 32 ff.).
Verbesserung betrieblicher Ausbildungschancen sozial benachteiligter Jugendli-
cher(?)
Einerseits zeichnet sich ab, dass der demografische Wandel zu einem Bewerberrückgang in
der dualen Ausbildung führt. Andererseits wurde damit aber immer auch die Hoffnung ver-
bunden, dass sich dadurch die Zugangschancen sozial benachteiligter junger Menschen zu
einer betrieblichen Berufsausbildung im dualen System verbessern würden. Die jährliche
Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie und Handelskammertages (DIHK) zeigt, dass
Betriebe zunehmend bereit dazu sind, leistungsschwächere Jugendliche oder Jugendliche
mit Lernschwierigkeiten einzustellen. Zwar stelle die fehlende Ausbildungsreife immer noch
das wichtigste Einstellungshemmnis dar, dennoch seien Betriebe zunehmend bereit, auch
leistungsschwächere Jugendliche in eine Ausbildung einzustellen. Viele Betriebe würden
dies mit zusätzlichen Aufwand und Unterstützungsangeboten versuchen zu kompensieren.
Zwei Drittel der an der Ausbildungsplatzumfrage des DIHK beteiligten Unternehmen formu-
lierten, dass sie grundsätzlich „Möglichkeiten sehen, auch lernschwächer Jugendliche zu
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fördern und in Ausbildung zu integrieren“ (DIHK 2014, S. 28). Als Förderangebote bietet die
Mehrzahl der Unternehmen hauseigene Nachhilfen an, sie würden ausbildungsbegleitende
Hilfen (abH) der Agentur für Arbeit oder Einstiegsqualifizierungen (EQ) nutzen. Zudem wür-
den sie diesen Jugendlichen die Möglichkeit bieten, zunächst eine zweijährige Ausbildung zu
absolvieren. Im Unterschied zu vollzeitschulischen Ausbildungsgängen sei bei diesen integ-
rationsformen der enge Kontakt zum Betrieb ein entscheidender Vorteil und ein Garant für
die gelingende Integration der Jugendlichen in die Arbeitswelt (ebd.).
Zwar deuten diese Befunde darauf hin, dass sich die Integrationschancen benachteiligter
Jugendlicher in betriebliche Berufsausbildung scheinbar verbessert haben, dennoch lässt
sich eine große Zahl Jugendlicher finden, die an diesen Entwicklungen nicht partizipieren
kann. Die Ausbildungsmarktstatistik der Agentur für Arbeit (September 2011 und September
2014) zeigt eben auch, dass die Zahl der unversorgten Bewerber in den letzten Jahren ge-
stiegen ist. Sie ist zwischen 2011 und 2014 von 76.740 Bewerbern auf 81.188 Jugendliche
angestiegen. Auffallend ist, dass sich dabei insbesondere die Zahl der sog. „unversorgten
Bewerber ohne Alternative zum 30.09.“ fast verdoppelt hat. Sie ist von 11.550 Jugendlichen
auf 20.872 Jugendliche gestiegen. Auffallend ist, dass über die Hälfte dieser Jugendlichen
die Schule nicht im jeweiligen Berichtsjahr, sondern bereits in den Vorjahren verlassen hat.
D.h. es handelt sich dabei offenbar zu einem großen Teil um Altbewerber, denen es nicht
gelingt, in eine Ausbildung überzugehen. Etwa ein Drittel von ihnen hat keinen oder nur ei-
nen Hauptschulabschluss, ein weiteres Drittel die mittlere Reife. Der Anteil Jugendlicher mit
Migrationshintergrund betrug im Jahr 2014 rund 14%.
Die Zahl der unversorgten Bewerber mit Alternative ist im gleichen Zeitraum von 65.190 auf
60.316 zurückgegangen. Insgesamt deutet dies auf einen Rückgang der Vermittlung in alter-
native Ausbildungsmöglichkeiten. Die Zahl derjenigen, die in eine geförderte Ausbildung
übergegangen sind, ist nur leicht gestiegen. Genauso die Zahl derer, die in eine Erwerbstä-
tigkeit eingemündet ist. Die Zahl der Teilnehmer an Berufsvorbereitungen ist hingegen zu-
rückgegangen.
Reformansätze und -modelle der beruflichen Bildung
Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen des dualen Ausbildungssystems, insbe-
sondere des demografisch bedingten Bewerberrückgangs, des scheinbar sinkenden Interes-
ses, insbesondere leistungsfähiger Jugendlicher, an der dualen Berufsausbildung sowie der
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Akademisierung der Berufsausbildung, hat die duale Ausbildung in den letzten Jahren eine
Vielzahl an Reformen erfahren. Dies beinhaltete z. B. Bestrebungen zur Professionalisierung
des betrieblichen Ausbildungspersonals. Dabei geht es u.a. darum, die Professionalität des
betrieblichen Ausbildungspersonals im Umgang mit leistungs- und lernschwachen Auszubil-
denden zu verbessern. So soll schließlich auch der hohen Anzahl vorzeitiger Vertragslösun-
gen gegengesteuert werden.
Einerseits ging es immer darum, die Attraktivität der Berufsausbildung für leistungsstärkere
Jugendliche zu erhöhen. Dafür wurden verschiedene neue Organisationsformen der Berufs-
ausbildung entwickelt. Dabei handelt es sich z. B. um sog. Laufbahnmodelle, mit denen ver-
sucht wurde, die Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit der Berufsausbildung an akademi-
sche Ausbildungsgänge zu erhöhen. Dies sollte nicht zuletzt durch die Einführung dualer
Studiengänge sowie durch die Beschleunigung von Karrieremöglichkeiten erreicht werden.
Entsprechende Reformmodelle sind z. B. „Dual mit Wahl“ des DIHK oder das „Laufbahnmo-
dell im Handwerk“. Durch Modularisierung bieten diese Modelle die Möglichkeit zur Flexibili-
sierung und Individualisierung der Berufsausbildung. Leistungsstärkere Jugendliche konnten
durch die Wahl von zusätzlichen Ausbildungsmodulen oder – im Handwerk – durch die Vor-
wegnahme von Teilen der Meisterausbildung berufliche, betriebliche Karrierewege be-
schleunigen.
Andererseits sollten auch für leistungsschwächere Jugendliche neue Zugangs- und Ausbil-
dungsmöglichkeiten geschaffen werden. Sie sollten bspw. durch Module und Stufen die
Möglichkeit haben ihre Ausbildung zu verkürzen bzw. unter Anrechnung erworbener Qualifi-
kationen zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Ziel war es
zielgruppenadäquate Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen.
Auch in der Benachteiligtenförderung, bei Bildungsträgern lassen sich Modelle finden, die
Module als Möglichkeit zur Flexibilisierung und Individualisierung der Berufsausbildung für
benachteiligte junge Menschen nutzen. Ein solches Modell ist z. B. der sog. „3. Weg in der
Berufsausbildung in Nordrhein-Westfalen“. Durch Modularisierung sollte die Unterbrechung
und Wiederaufnahme der Ausbildung ermöglicht werden. Dies sollte in einem Zeitfenster von
fünf Jahren möglich sein. Ziel war es zunächst, eine zweijährige Ausbildung abzuschließen.
Der Durchgang in eine dreijährige Ausbildung war möglich, solange sich die Jugendlichen
noch innerhalb des Zeitfensters von fünf Jahren bewegten. Begleitet wurden die Jugendli-
chen durch ein Bildungscoaching.
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Die Bertelsmann Stiftung entwarf mit „Berufsbildung 2015“ ein eigenes „Leitbild“ zur Zukunft
der dualen Berufsausbildung (Bertelsmann Stiftung 2010). Mit den Zielen der individuellen
Entwicklung, der gesellschaftlichen Integration des Einzelnen, der wirtschaftlichen Verwert-
barkeit der erworbenen Abschlüsse und mit dem Festhalten am Prinzip der Beruflichkeit, was
die Berufsausbildung von einzelbetrieblichen Qualifikationsinteressen entkoppelt, unter-
scheidet sich dieses Leitbild jedoch kaum vom bisherigen Modell der Berufsausbildung.
Allerdings – darauf wurde bereits hingedeutet – sollten auch in der betrieblichen Ausbildung
die Bedarfe benachteiligter Jugendlicher in diesen Reformen und Organisationsmodellen
berücksichtigt werden. So zielen die Bemühungen der Unternehmen derzeit auch darauf ab,
neue Bewerbergruppen, Adressatenkreise und Zielgruppen für die duale Berufsausbildung
anzusprechen. Zu diesen „neuen Bewerbergruppen“ (DIHK 2014) gehören Studienabbrecher
und junge Menschen, die eine Berufsausbildung nur in Teilzeit absolvieren können. Gerade
die scheinbar zunehmende Akzeptanz der Teilzeitberufsausbildung war vor einigen Jahren
kaum vorstellbar. So sollte durch die Einführung der Teilzeitberufsausbildung es jungen Müt-
tern erleichtert werden, Ausbildung und Familie leichter miteinander zu vereinbaren. Tat-
sächlich ist die Zahl der abgeschlossenen Teilzeitausbildungsverträge von 2011 zu 2012
leicht gestiegen, von 795 auf 1.344 Teilzeitausbildungsverhältnissen (BiBB 2014, S. 118).
Quantitative Entwicklung von Maßnahmen der Benachteiligtenförderung
Die Bereitschaft der Betriebe, junge Menschen in eine Ausbildung einzustellen, die zu den
benachteiligten Zielgruppen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gehören, nimmt demnach
scheinbar zu. Genauso die Bereitschaft dazu, die individuellen Förderbedarfe dieser Jugend-
lichen zumindest teilweise zu berücksichtigen. Dafür werden offenbar nicht nur die Möglich-
keiten zur Flexibilisierung und Individualisierung der Ausbildung stärker ausgenutzt, sondern
auch gezielt Fördermaßnahmen in Anspruch nehmen. Für die Ausbildung dieser Jugendli-
chen würden die Betriebe bspw. in zunehmenden Maße abH nutzen. Die Statistik der BA1
zeigt jedoch, dass die Zahl der abH-Eintritte in den letzten Jahren eher zurückgegangen ist.
Zwischen 2005 und 2012 hat sich ihre Zahl fast halbiert, von 71.417 Eintritten in 2005 auf
40.371 Eintritten in 2012. In 2013 wurden 55.232 Jugendliche und damit ein Anstieg der Ein-
tritte in abH registriert. Ähnlich ist die Entwicklung bei den Einstiegsqualifizierungen (EQ).
1 Online unter statistik.arbeitsagentur.de (19.11.2014).
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Auch hier sind die Eintrittszahlen rückläufig. 2010 mündeten noch 29.900 Jugendliche in EQ
ein, 2013 nur noch 19.859.
Auch bei den Angeboten der geförderten Ausbildung, bei der Berufsausbildung in außerbe-
trieblichen Einrichtungen (BaE) scheint eine Verschiebung stattzufinden. Hier ist vor allem
die Zahl der integrativen Angebote, bei denen die Ausbildung überwiegend bei einem Bil-
dungsträger stattfindet, rückläufig und hat sich ebenfalls in den letzten beiden Jahren hal-
biert. Besonders deutlich ist dieser Rückgang in Ostdeutschland (von 2012 zu 2013 um -
62%). Im Unterschied dazu ist die Zahl der Eintritte in kooperative BaE, bei denen der über-
wiegende Teil der praktischen Ausbildung nur leicht zurückgegangen (-2,3%), in Ostdeutsch-
land haben sie sogar um 23% zugenommen (7.176 Eintritte). Vor allem in dieser Entwicklung
zeigt sich ab, was bereits als Re-Dualisierung der Benachteiligtenförderung bezeichnet wur-
de (s.o.).
Diese Entwicklungen, insbesondere der Rückgang der Eintrittszahlen, können zum einen
das Resultat der demografischen Entwicklung sein, die sich freilich auch in den Teilnehmer-
zahlen der Maßnahmen wiederspiegelt. Sie können zum anderen im Zusammenhang mit der
Entwicklung des Ausbildungsstellenmarktes stehen. Sie können auch das Ergebnis von Ein-
sparmaßnahmen der Agentur für Arbeit sein, zumal bereits gezeigt wurde, dass der Bedarf
an Maßnahmen tendenziell eher steigend ist. Einerseits steigt die Zahl unversorgter Jugend-
licher, andererseits nehme das betriebliche Interesse an entsprechenden Förderangeboten
für Auszubildende zu (vgl. DIHK 2014).
Zusammenfassung
Das Berufsbildungssystem und auch die berufliche Integrationsförderung haben sich in den
letzten Jahren massiv verändert. Der Fokus des vorliegenden Beitrags lag dabei auf den
Veränderungen des Ausbildungsstellenmarktes, insbesondere auf dem Bewerberrückgang
und der Verringerung der Eintrittszahlen in Maßnahmeangebote der Benachteiligtenförde-
rung. Die Veränderungen der formalen, gesetzlichen Rahmenbedingungen der Förderpraxis
wurden dabei gar nicht berücksichtigt. Allerdings sind auch sie ohne Zweifel für die weitere
Entwicklung der Förderstruktur und ihrer Angebote von großer Bedeutung (ausführlich dazu
Heisler 2013).
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Betrachtet man die hier skizzierten Entwicklungen, zeichnet sich u.a. ein Wandel in der Be-
gründung des Fördersystems ab: Ging es bislang darum, fehlende Lehrstellen im dualen
Systems zu kompensieren, geht es nun verstärkt um Fachkräftesicherung im demografi-
schen Wandel. Das Ziel ist es, individuelle Förderangebote zur Verfügung zu stellen, die es
letztlich auch benachteiligten jungen Menschen ermöglichen sollen, erfolgreich eine Ausbil-
dung zu absolvieren. Dabei zeichnet sich auch eine Verlagerung der Förderung in die Be-
triebe ab. Begründet wird dies mit der zunehmenden Bereitschaft der Unternehmen, auch
leistungsschwächer Jugendliche und – so wurde formuliert – andere Bewerbergruppen in
eine Berufsausbildung einzustellen, die dafür bislang noch nicht in Frage kamen. Parallel
dazu hat die Bedeutung kooperativer BaE-Maßnahmen und ausbildungsbegleitender Hilfen,
die die Ausbildung im Betrieb unterstützen sollen, zugenommen.
Die Vermutung war, dass sich aufgrund des Bedeutungsgewinns des Lernortes Betrieb für
die Förderung benachteiligter Jugendlicher, auch die Zusammenarbeit von Bildungsträgern
und Betrieben verändert und vor allem intensiviert. Die These war, dass Bildungsträger aus
ihrer Position als Bittsteller um Praktikumsplätze herauskommen und sich vielmehr als Bil-
dungsdienstleister und Expertiseträger für die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher neu
positionieren. Darüber hinaus muss es zunehmend darum gehen, Bildungsangebote zu ent-
wickeln und als Dienstleistungen anzubieten. Allein von der Durchführung öffentlich geförder-
ter Maßnahmen werden Bildungsträger der Benachteiligtenförderung und Jugendberufshilfe
nicht mehr überleben können. Dies führt letztlich dazu, dass sich das Aufgabenspektrum der
Bildungsträger bzw. Dienstleister verändern wird. Diese These wurde bereits in der o.g. Ex-
pertise (Heisler 2011) vertreten.
Problematisch ist, dass sich derzeit kaum wissenschaftliche Arbeiten finden lassen, die diese
Transformationsprozesse der Förderstruktur untersuchen. So lassen sich immer nur punktu-
elle Einblicke in die aktuelle Förderpraxis finden.
Quellen:
- Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014): Bildung in Deutschland 2014. Biele-
feld.
- Bertelsmann Stiftung (2010): Berufsausbildung 2015. Eine Entwicklungsperspektive
für das duale System. Gütersloh.
- Bundesinstitut für Berufsbildung - BiBB (2014): Datenreport zum Berufsbildungsbe-
richt. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn.
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
- Deutscher Industrie und Handelskammertag - DIHK (2014): Ausbildung 2014. Ergeb-
nisse einer DIHK-Online-Unternehmensbefragung. Berlin. Online
www.dihk.de/ressourcen/downloads/dihk-ausbildungsumfrage-2104.pdf (18.11.2014).
- Deutscher Gewerkschaftsbund – DGB (2014): Ausbildungsreport 2014. Berlin. Online
www.dgb.de (24.11.2014).
- Eberhard, Verena; Scholz, Selina; Ulrich, Joachim Gerd (2009): Image als Berufs-
wahlkriterium. Bedeutung für Berufe mit Nachwuchsmangel. In: Berufsbildung in Wis-
senschaft und Praxis – BWP (3). Bielefeld, S. 9-13.
- Gerhards, Christian; Ebbinghaus, Margit (2014): Betriebe auf der Suche nach Ausbil-
dungsplatzbewerberinnen und -bewerbern: Instrumente und Strategien. Ergebnisse
aus dem BiBB-Qualifizierungspanel 2013. In: BiBB-Report. Forschungs- und Arbeits-
ergebnisse aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung, 3. Bonn.
- Gericke, Thomas (2003): Duale Ausbildung für Benachteiligte. Eine Untersuchung zur
Kooperation von Jugendsozialarbeit und Betrieben. München.
- Zimmermann, Hildegard (Hrsg.) (2004): Kooperative Berufsausbildung in der Benach-
teiligtenförderung. Ein Ansatz zur Verzahnung außerbetrieblicher und betrieblicher
Berufsausbildungen. Bielefeld.
- Heisler, Dietmar (2013): Die Folgen neuer Steuerung: Von der politischen Dauerauf-
gabe zur Projektförmigkeit? Eine kritische Auseinandersetzung mit Sonderprogram-
men und Projekten als Finanzierungsquellen der Benachteiligtenförderung. In:
BWP@ Ausgabe 25. Online http://www.bwpat.de/ausgabe/25/blog (24.11.2014).
- Heisler, Dietmar (2011): Zukunftsmodelle in der Berufsbildung und deren Potenziale
und Auswirkungen für die zukünftige Gestaltung von Maßnahmen der Jugendberufs-
hilfe. Eine Expertise im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft örtlich regionaler
Träger der Jugendsozialarbeit (BAG ÖRT). Erfurt und Berlin.
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
3. Ein wechselseitiges Geben und Nehmen - Firmen brauchen neue
Fachkräfte - und benachteiligte Jugendliche brauchen Hilfe beim Berufs-
start. Erfolg verspricht die Assistierte Ausbildung, in der Wirtschaft und
Jugendberufshilfe kooperieren.
Autorin: Julia Schad, Projektleiterin des Projekts „Er-
folgreich gemeinsam ausbilden“, IN VIA Katholischer
Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit –
Deutschland e.V.
Hochgelobt werden die Entwicklungen auf dem Arbeits- und
Ausbildungsmarkt in Deutschland, auch im internationalen Kontext. Ein Beschäftigungsre-
kord, der starke Mittelstand, gute Exportraten und Innovationskraft sind Schlagworte für eine
vermeintlich krisensichere Arbeitsmarktpolitik und florierende Wirtschaftsleistung. Auf den
ersten Blick könnte also von stabilen Entwicklungen gesprochen werden. Aber: Trotz der mit
knapp acht Prozent vergleichsweise niedrigen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland und
dem bewährten dualen Ausbildungssystem bleiben zu vielen jungen Menschen Zugänge zu
betrieblicher Ausbildung und damit Zukunftschancen verwehrt.2 Vor allem Akteure aus den
Reihen der Jugendberufshilfe kritisieren, dass ein Teil der jungen Menschen dauerhaft aus-
gegrenzt bleibt und von Armut betroffen ist. Gleichzeitig steigt in der Wirtschaft der Nach-
wuchs- und Fachkräftebedarf aufgrund erster Auswirkungen des demografischen Wandels.
Wie kann diese Diskrepanz überwunden werden? Kooperationen von Unternehmen mit Trä-
gern der Jugendberufshilfe bieten hier vor allem über das Instrument der assistierten Ausbil-
dung zukunftsweisende Möglichkeiten, die beiden Seiten zugutekommen. Auf dem Ausbil-
dungs- und Arbeitsmarkt wird die Entwicklung hin zu einer älter werdenden Gesellschaft bei
sinkender Geburtenrate deutlich zu spüren sein. Entsprechend verstärken sich Schwierigkei-
ten in der Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung, gerade in Deutschland. Schon jetzt ist in
einigen Wirtschaftsbranchen ein akuter Fachkräftemangel zu verzeichnen. Dies betrifft ins-
besondere das Handwerk, die Bauindustrie, technische Berufe, aber auch das Gastgewerbe
und in besonderem Maß das Pflege- und Gesundheitswesen.
2 StatiSta GmbH: Jugendarbeitslosenquote in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im März 2013 (saisonbereinigt). http://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa
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Zu viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt
Angesichts dieser Veränderungen verwundert es, dass trotz zahlreicher unversorgter Be-
werber/innen jedes Jahr viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben und immer weniger Be-
triebe ausbilden. IN VIA Katholischer Verband für Mädchen und Frauensozialarbeit kritisierte
diesen Zustand anlässlich der Bilanz der Bundesagentur für Arbeit zum Ende des Berufsbe-
ratungsjahres 2011/2012, nach dem noch fast 15.700 junge Menschen unversorgt waren.3
Sehr viele Betriebe bekunden Schwierigkeiten bei der Suche nach Auszubildenden sowie
Fachkräften und können vorhandene Ausbildungsplätze, momentan insgesamt 33.275, nicht
besetzen.4 Die Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass es eine Diskrepanz zwi-
schen den angebotenen Ausbildungsplätzen und der Nachfrageseite, den Berufswünschen
von jungen Menschen, gibt.
Vorhandene Potenziale nutzen
Aufgrund der zahlreichen unbesetzten Ausbildungsplätze und einer vermeintlich sinkenden
Zahl an Bewerber/innen wird die Lage auf dem Ausbildungsmarkt häufig für gut befunden, da
weniger Jugendliche mehr Auswahl an freien Plätzen hätten.5 Diese Einschätzung erscheint
paradox angesichts der fast 1,4 Millionen jungen Menschen in Deutschland ohne Berufsab-
schluss.6 Zahlreiche Jugendliche werden auf dem Ausbildungsmarkt benachteiligt und haben
kaum eine Chance, in betriebliche Ausbildung zu gelangen. Insbesondere sozial benachtei-
ligte und individuell beeinträchtigte Jugendliche können die hohen Zugangsvoraussetzungen
und Ausbildungsanforderungen vieler Betriebe nicht erfüllen.7 Sie verweilen oft jahrelang im
Übergangssystem und sind faktisch „ausbildungslos“.8 Betroffen sind weitaus mehr Jugendli-
che mit Migrationshintergrund als ohne. Alarmierend und nicht hinzunehmen ist, dass bei
fast 90.000 Jugendlichen, die die Beratung der Bundesagentur für Arbeit nicht mehr nachfra-
gen, nicht bekannt ist, ob sie in Ausbildung, Arbeitslosigkeit oder den ersten Arbeitsmarkt
gemündet sind.9 Insgesamt bleiben zu viele junge Menschen ohne betrieblichen Ausbil-
dungsplatz, besonders Jugendliche mit Unterstützungsbedarf. Nach Einschätzung von IN
VIA kann ein Großteil dieser Jugendlichen bei angemessener Begleitung und Unterstützung
3 Vgl. Pressemeldung iN Via Deutschland: Zu viele Jugendliche bleiben ohne Ausbildungsplatz – Neues Modellprojekt Efa
erprobt Dienstleistungsangebot für Unternehmen und Auszubildende. Freiburg, 6. November 2012. 4 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Berufsbildungsbericht 2013. Bonn/Berlin, 2013 5 Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): Insgesamt gute Situation auf dem Ausbildungsmarkt. Gemein-same Erklärung der Partner des Ausbildungspaktes. 5. November 2012. 6 BMBF: Berufsbildungsbericht 2013, a.a.o. 7 Dies ist die Zielgruppe der Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII). Sie ist gemeint, wenn im vorliegenden Beitrag von „benachtei-ligten Jugendlichen“ gesprochen wird. 8 Nach der Definition des Nationalen Bildungsberichts 2006 zählen zum „Übergangssystem“ „(Aus-)Bildungsangebote, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen bzw. zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen…“. 9 BMBF: Berufsbildungsbericht 2013, a.a.o.
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
seine Potenziale entfalten und einen Ausbildungsabschluss erreichen. Dies wäre ein wichti-
ger Beitrag zur Minderung des Fachkräftemangels. Auch wenn die Ausbildungsbefragung
2013 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ergeben hat, dass viele Betriebe
sich mittlerweile auch auf lernschwächere Bewerber/innen einstellen und teilweise eigene
Unterstützungsangebote für Auszubildende anbieten, fehlen häufig Kapazitäten, Jugendliche
individuell so zu unterstützen, dass mehr Ausbildungsabbrüche vermieden werden können.10
Besonders kleinere Betriebe profitieren von Kooperation
Angesichts der Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist es dringend erforderlich, Ausbil-
dungschancen durch Kooperationen von Unternehmen mit der Jugendberufshilfe zu verstär-
ken. Gerade kleine und mittlere Betriebe sind auf die Zusammenarbeit angewiesen, da sie
meist einen hohen Fachkräftebedarf haben, Ausbildungsplätze nicht besetzen können und
wenig Kapazitäten haben, Auszubildende individuell zu fördern. Ziel der verstärkten Koope-
ration ist es daher, Synergien entstehen zu lassen, die das Erreichen gemeinsamer Ziele
ermöglichen. Für benachteiligte Jugendliche ergeben sich auf diese Weise höhere Chancen,
in betriebliche Ausbildung zu gelangen und sie erfolgreich abzuschließen. Gleichzeitig wer-
den Unternehmen unterstützt, ihre Ausbildungsplätze passgenau zu besetzen und Entlas-
tung im Ausbildungsverlauf zu erfahren. Offenheit, Verständigung über die Ziele und transpa-
rentes Handeln sind Grundvoraussetzungen für die Zusammenarbeit mit dem Ziel eines er-
folgreichen Ausbildungsverlaufs.
Was erwartet der Partner?
In zahlreichen Projekten der beruflichen Bildung wurde die Erfahrung gemacht, dass die
Gewinnung von Unternehmen und der Aufbau einer Kooperation zeitintensive Prozesse sind,
die durch bestimmte, anzupassende Verhaltens- und Vorgehensweisen unterstützt werden
können. Für die Jugendberufshilfe kommt es beispielsweise darauf an, dass sie mit ihrem
Angebot Betriebe individuell anspricht und den jeweiligen Unterstützungsbedarf dezidiert
erfassen kann. Beide Seiten sollten versuchen, sich in die Denk- und Entscheidungskontexte
des Partners hineinzuversetzen, um Gemeinsames sondieren zu können. Sicherlich ist es
dabei von Vorteil, bereits bestehende Kontakte, Geschäftsbeziehungen und -partner bezüg-
lich einer Kooperation im Bereich der beruflichen Bildung zu nutzen. Für Betriebe sowie für
die Jugendberufshilfe ist es hilfreich, wenn Kontakte zum Beispiel durch Kammern, Innun- 10 Die Abbruchquote beziehungsweise Quote der vorzeitigen Vertragsauflösungen bei der betrieblichen Ausbildung steigt und beträgt derzeit über 24 Prozent. Siehe BMBF: Berufsbildungsbericht 2013, a.a.o.
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
gen, Jobcenter und Wirtschaftsverbände vermittelt werden. Bei einem konkreten Angebot zur
Zusammenarbeit sollten der Mehrwert und die Vorteile für beide Seiten deutlich werden.
Grundsätzlich bedeutet eine Kooperation Entlastung und Risikominimierung für die Betriebe,
da sie durch kompetente und erfahrene Fachkräfte im Umgang mit Jugendlichen und bei der
Ausbildungsorganisation unterstützt werden. Die Kooperation von Trägern der Jugendbe-
rufshilfe mit Unternehmen stellt das Kernstück der „assistierten Ausbildung“ dar. Mit diesem
Konzept werden Betriebe und Jugendliche individuell und passgenau unterstützt. Seit einiger
Zeit erproben verschiedene Initiativen und Projekte die assistierte Ausbildung bundesweit.
An vier Standorten setzt IN VIA Deutschland das Konzept im Projekt „Erfolgreich gemeinsam
ausbilden (Efa)“ um. Fundierte Erfahrungen liegen auch aus dem Projekt „carpo“ vor, das in
Baden-Württemberg vom Paritätischen Baden-Württemberg und dem Diakonischen Werk
Württemberg getragen wird.
Jugendliche und Betriebe bedarfsgerecht unterstützen
Im Grunde bedeutet assistierte Ausbildung, dass zwischen den Anforderungen der Betriebe
und den Voraussetzungen der Jugendlichen vermittelt wird. Häufig besteht genau an dieser
Stelle eine Diskrepanz, die es zu überwinden gilt. Bisher ist der Begriff nicht fest definiert.
Assistierte Ausbildung bietet die Möglichkeit der passgenauen Vermittlung in Ausbildung und
der Flankierung der betrieblichen Berufsausbildung mit begleitenden Dienstleistungen, das
heißt umfassenden Vorbereitungs- und Unterstützungsangeboten für Jugendliche und Be-
triebe.11 Diese werden gemeinsam und bedarfsgerecht abgestimmt. Jugendliche werden in
und während der Ausbildung begleitet, indem sie sich gezielt vorbereiten und Unterstützung
bei fachlichen, organisatorischen sowie persönlichen Belangen im Ausbildungsverlauf erhal-
ten. Die Betriebe profitieren von der Assistenz, da sie ihre Ausbildungsplätze besetzen,
Nachwuchs und zukünftige Fachkräfte gewinnen sowie das Risiko eines Ausbildungsab-
bruchs minimieren können. Sie erhalten zum Beispiel Hilfen bei der Bewerberauswahl, der
Ausbildungsorganisation, im Konfliktmanagement und werden für den pädagogischen Um-
gang mit den Jugendlichen qualifiziert. Assistierte Ausbildung wird in der Fachöffentlichkeit,
vermehrt auch auf politischer Ebene, als Modell der Zukunft gesehen und ihre gesetzliche
Verankerung gefordert.12 Hierfür ist eine systematische Zusammenarbeit von Jugendberufs-
11 Vgl. Deutscher Bundestag: Umsetzung und Perspektive der Assistierten Ausbildung. Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zur „Assistierten Ausbildung“. Berlin, 2013, sowie: Bundesinstitut für Berufsbildung (bibb):
Gemeinsam Zukunftschancen sichern – neue Formen kooperativer Ausbildung. Tagungsdokumentation. Bonn, 2012. 12 Förderinstrumente im Sinne Assistierter Ausbildung sind im 3. Sozialgesetzbuch (SGB III) noch nicht vorhanden. Für Auszu-bildende und Arbeitnehmer(innen) mit Behinderung existieren Unterstützungsformen wie zum Beispiel „Arbeitsassistenz“ (§ 102 abs. 4 SGB IX).
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
hilfe und Unternehmen notwendig. Nur durch eine enge Kooperation kann der Ausbildungs-
verlauf für alle Beteiligten passgenau gestaltet werden. Da eine verlässliche Finanzierung
gewährleistet sein muss, plädiert IN VIA dafür, Unternehmen und Agenturen für Arbeit zur
Mitfinanzierung der Begleitung zu gewinnen. Auf Fachveranstaltungen und im Rahmen von
Projekten signalisieren Unternehmensvertreter/innen ihre grundsätzliche Bereitschaft, derar-
tige Hilfestellungen mitzufinanzieren. Gemeinsam mit Unternehmen und möglichst weiteren
Wirtschaftsakteuren, etwa Kammern und Gewerbeverbänden, sollten verschiedene Möglich-
keiten der langfristigen Finanzierung zügig ausgelotet werden.
4.Assistierte Ausbildung Baden-Württemberg –
Das Projekt carpo
Autor: Berndt Korten, Projektkoordinator carpo und ISAtrans, Werkstatt PARITÄT gemeinnützige GmbH Stuttgart
In Baden-Württemberg wird die Assistierte Ausbildung seit 2004 in
gemeinsamer Verantwortung des PARITÄTISCHEN Baden Würt-
temberg e.V., der Werkstatt PARITÄT gGmbH und des Diakonischen Werks Württemberg
e.V. an mittlerweile 20 Stadt- und Landkreisen durchgeführt.
1. Was ist Assistierte Ausbildung?
Die Assistierte Ausbildung nimmt die Ausbildung als Ganzes in den Blick. Sie steht für einen
Ansatz in der Ausbildungsförderung, der eine reguläre betriebliche Ausbildung auf dem all-
gemeinen Arbeitsmarkt mit umfassenden Unterstützungsangeboten seitens der Jugendhilfe
flankiert. Diese Angebote ermöglichen auch jungen Menschen mit Förderbedarf eine betrieb-
liche Ausbildung. Der „Normalitätscharakter“ der Assistierten Ausbildung hat hohe Bedeu-
tung: die volle Ausbildungsverantwortung bleibt bei den Betrieben und den Jugendlichen.
Die gleichzeitige Beratung und Unterstützung für die Betriebe bei der Anbahnung und Durch-
führung der Ausbildung ist zentraler Bestandteil des Konzepts. Eine kontinuierliche und ver-
lässliche Ansprechperson steht sowohl den Betrieben wie den Jugendlichen zur Verfügung,
Berufsschulen werden in den Unterstützungsprozess systematisch mit einbezogen.
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2. Zielgruppe
Zielgruppe der Assistierten Ausbildung sind junge Menschen mit besonderem Unterstüt-
zungsbedarf und Vermittlungshemmnissen, denen die Aufnahme und Durchführung einer
beruflichen Erstausbildung auf dem ersten Ausbildungsmarkt ohne weitergehende Unterstüt-
zungs- und Förderangebote nicht möglich ist. Voraussetzung für eine Förderung im Rahmen
der Assistierten Ausbildung ist, dass die jungen Menschen bisher noch keine Berufsausbil-
dung abgeschlossen haben und die nötigen Voraussetzungen für eine Ausbildung mitbrin-
gen.
Zur Zielgruppe gehören insbesondere
Altbewerber/innen, junge Eltern, junge
Menschen mit genderuntypischen beruf-
lichen Interessen und junge Menschen
mit Migrationshintergrund.
3. Wie arbeitet die Assistierte Ausbil-
dung?
In der Vorbereitung, die bis zu neun Mo-
naten dauern kann, reflektieren die Ju-
gendlichen ihre Stärken und Schwächen
und aktuelle Lebenssituation ebenso wie
ihre beruflichen Wünsche und Vorstel-
lungen. Die individuellen Potenziale so-
wie die beruflichen und sozialen Kompe-
tenzen werden mit den gängigen Verfah-
ren erhoben und Zielvereinbarungen
getroffen. Praktika bieten die Gelegen-
heit herauszufinden, ob Betrieb und die
Jugendliche/r zusammenpassen.
In der Ausbildungsphase werden die Jugendlichen wie auch die Betriebe durchgängig bis
zum erfolgreichen Abschluss begleitet. Die Intensität und Reichweite der Leistungen korres-
pondiert mit den jeweiligen Bedarfen der Jugendlichen, Betriebe und Berufsschulen. Im Kern
geht es darum, den Ausbildungsverlauf so zu begleiten, dass Probleme und Konflikte mög-
lichst frühzeitig erkannt und konstruktiv bewältigt werden können („Frühwarnsystem“).
Grundlage der Kooperation mit den Betrieben ist eine Kooperationsvereinbarung, in der die
wesentlichen Aufgaben der Partner definiert werden
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Über 1000 junge Menschen in Ausbildung
Bis 30.September 2014 haben über 1.600 junge Menschen am Projekt carpo teilgenommen,
von denen 1057 junge Menschen (davon 55 Prozent weiblich) einen Ausbildungsvertrag ab-
geschlossen haben. 90 Prozent der Teilnehmenden haben den Status Altbewerber/innen,
drei Viertel waren vorher arbeitslos, rund ein Drittel bereits länger als ein Jahr arbeitslos.
Fast zwei Drittel haben maximal Hauptschulabschluss, über 50 Prozent der carpo-
Teilnehmenden haben Migrationshintergrund, über 20 Prozent sind junge Mütter.
Die Vermittlungsquote in Ausbildung lag bei 65 Prozent (davon 90 Prozent Assistierte Aus-
bildung und 10 Prozent Ausbildung ohne Assistenz), die Erfolgsquote bei den Abschlüssen
in Assistierter Ausbildung lag bei gut 96 Prozent, die Ausbildungsabbruchquote bei knapp 20
Prozent.
Die sehr große Bandbreite der über 120 Ausbildungsberufe spiegelt die individuelle Berufs-
wahl wider, genderuntypische Berufe waren mit rund einem Drittel vertreten. 80 Prozent der
Auszubildenden wurden direkt nach Abschluss im Ausbildungs- oder einem anderen Betrieb
übernommen. Die Ausbildung wurde zu zwei Dritteln in Kleinbetrieben bis 50 Beschäftigte
erbracht, mit einem Drittel der Ausbil-
dungsstellen war das Handwerk am
stärksten vertreten.
Erfolgsfaktoren für die Assistierte
Ausbildung
Zusätzlich zu den unverzichtbaren
sozialpädagogischen Kernelemente
der Assistierten Ausbildung:
- Dienstleistungsangebot von der
Vorbereitung bis zum Abschluss
der Ausbildung - aus einer Hand
mit einer festen Ansprechperson
- Ressourcenansatz, der auf die
Potenziale und Fähigkeiten der
Jugendlichen vertraut
- Individuelle Gestaltung der Assis-
tenz gewährleistet bedarfsgerech-
te Unterstützung der Jugendlichen
und Betriebe
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sehen wir drei weitere Faktoren als entscheidend für den Erfolg der Assistierten Ausbildung
an.
Partnerschaft der Akteure
Jugendberufshilfeträger, Betriebe, Berufsschulen und Auszubildende verstehen sich als
Partner in der Assistierten Ausbildung, deren Verhältnis auf Vertrauen, Beziehung und Ver-
lässlichkeit basiert. Die Fördergeber beteiligen sich an konstruktiven Lösungen und sichern
Kontinuität.
Mitarbeiterschaft
Um eine fachlich hohe Professionalität zu gewährleisten, setzen wir an allen Standorten so-
zialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte mit entsprechender Entlohnung ein und einem Per-
sonalschlüssel von 1:16 / 1:14 in der Vorbereitung bzw. in der Ausbildungsbegleitung. Die
Mitarbeiter/innen brauchen für ihre Arbeit Kenntnisse der subjekt- und lebensweltorientierten
Arbeit mit Jugendlichen, der Kooperation mit Betrieben und Berufsschulen, der regionalen
Arbeits- und Ausbildungsmärkte sowie der Vernetzungsarbeit mit regionalen Akteuren im
Feld der Ausbildung.
Projektsteuerung und Beratung
Wir führen auf der Basis eines fachlich fundierten Monitorings eine mindestens halbjährliche
Auswertung der Daten durch, um zeitnah Entwicklungen abbilden und Steuerungsprozesse
durchführen zu können. Die kontinuierliche Begleitung der Mitarbeiter/innen durch die Pro-
jektberatung, der kollegiale Austausch der Mitarbeiter/innen untereinander sowie neue fach-
liche Impulsen durch Workshops gehören zum fachlichen Standard.
Ausblick - Assistierte Ausbildung als Gestaltungsrahmen
Assistierte Ausbildung ist nicht als standardisiertes Angebot, sondern als Gestaltungsrahmen
mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten zu verstehen. Wir sehen für die Zukunft große Chan-
cen in einer Erweiterung der Zielgruppe, der Erschließung von Schnittstellen zu allgemeinbil-
denden Schulen und vorbereitenden berufsschulischen Bildungsgängen ebenso wie zur Ju-
gendhilfe. Die Anschlussfähigkeit an die vorhandenen Förderinstrumentarien ist vorhanden.
Bisher unausgeschöpfte Potenziale sehen wir angesichts des Nachwuchskräftemangels
auch in der Beteiligung der Wirtschaft, speziell von Branchenverbänden. Die finanzielle und
gestalterische Beteiligung dieser und weiterer Akteure an der Assistierten Ausbildung erfor-
dert bei den künftigen Förderregularien hohe Flexibilität und klare Qualitätsstandards.
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5. Kooperation mit Betrieben und passgenaue Akquisition – Ein Leit-
faden aus der Weiterbildungssequenz „Kompetent fördern und fordern“
Autorinnen: Manuela Schneider und Silvia Mulik Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) gemeinnützige GmbH
Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung einer Akquisition von Ausbildungsstellen
bzw. neuen Praktikumsmöglichkeiten sind grundlegende Elemente, die den Erfolg der Akqui-
se bestimmen. Die Durchführung der Akquisition profitiert von der Vorbereitung, die Nachbe-
reitung ist für die Akquisition der Zukunft von Bedeutung. Die Phasen der Akquisition lassen
sich zwar in der Theorie klar voneinander trennen, in der Praxis verschwimmen die Grenzen
aber immer wieder. Ebenso wichtig wie die grundsätzliche Definition von Teilschritten ist es,
in der Durchführung flexibel zu bleiben. Einzelne Methoden werden im folgenden Leitfaden
vorgestellt.
Ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor ist die Einstellung zu den Kunden, den Jugendli-
chen und zur Akquisition. Der Leitfaden will dazu ermutigen, locker und zuversichtlich in die
Verhandlungen zu gehen, Barrieren zu überwinden und eine positive Beziehung zu dem je-
weiligen Gesprächspartner aufzubauen.
Nicht zuletzt ist die Eigenmotivation ein wichtiges Kriterium im Akquisitionsprozess. Nur
wenn ich von meiner Tätigkeit überzeugt und motiviert bin, kann ich erfolgreich Praktikums-
und Ausbildungsstellen akquirieren.
1. Die Vorbereitung auf die Akquise
Am Anfang jeder erfolgreichen Akquisition steht das Ziel. Wer sein Ziel nicht kennt, weiß
auch nicht, welche Wegstrecke er einplanen und gehen muss, welche Verpflegung (Ener-
gien) er mitnehmen sollte, wann und von wo er starten muss (Tun), und er kann nicht über-
prüfen, auf welchem Teilabschnitt des Weges zum Ziel er sich befindet.
Persönliche Akquiseziele definieren
Mit dem Maßnahmeziel der BvB, BaE etc. steht fest, was erreicht werden soll. Nun geht es
darum, wie die Vorgaben erfüllt werden, welche Firmen wie angesprochen werden. In die
Planung gehen folgende Fragen ein:
• Auf welchen Wegen spreche ich wie viele Kunden grundsätzlich an?
• Wie viele Telefonate führe ich in den nächsten Monaten oder bis Projektende?
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• Wie viele Akquisegespräche finden in den Firmen und Betrieben statt?
• Wie viele Messen und Veranstaltungen besuche ich? Wie viele Gespräche führe ich
dort vor Ort?
In diese Überlegungen muss natürlich einfließen, welche Erfolge realistisch erzielbar sind.
Hierzu gehören Fragen wie:
• Bei wie vielen Telefonaten erreiche ich den Entscheider direkt?
• Wie viele Anrufe führen zu einem Vorstellungstermin?
• Wie hoch ist die Vermittlungsquote bei den persönlichen Akquisegesprächen?
Die SMART – Formel hilft Ziele zu erreichen
Vielleicht kennen Sie das Phänomen, dass Sie genau wissen, was eigentlich zu tun ist, aber
dennoch keinen Anfang für die Arbeit finden. Gründe dafür können sein, dass die anstehen-
de Aufgabe zu unkonkret definiert ist oder kein Zeitpunkt angegeben ist, wann sie erledigt
sein muss. Dann finden sich schnell Ausreden, warum es gerade jetzt ungünstig ist anzufan-
gen oder warum andere Tätigkeiten im Moment wichtiger sind. Gute Zielvorgaben nehmen
solchen Ausweichstrategien den Wind aus den Segeln.
Die SMART - Methode unterstützt den Zielfindungsprozess, v. a. bei der konkreten Festle-
gung Ihrer Akquisitionsziele. Empfehlenswert ist es, ihre Ziele mit der SMART – Methode zu
überprüfen und zu überarbeiten.
Die SMART – Formel zeichnet sich durch fünf Merkmale aus:
• S = Specific: Die Beschreibung des Ziels ist genau und konkret. Am besten ist es so
formuliert, als wäre die Vorgabe bereits erfüllt.
• M = Measurable: Das Ziel muss messbar sein. Feste – inhaltliche und zeitliche –
Maßstäbe zeigen den Erfüllungsgrad.
• A = Attainable: Gute Ziele sind auch erreichbar. Stehen genügend Ressourcen für
die Umsetzung zur Verfügung? Das gilt für die Zeit, Finanzen, Personaldecke und
andere mögliche Kapazitäten.
• R = Realistic: Nur realistische Ziele bewegen überhaupt zum Handeln, denn warum
sollte sich jemand für etwas abmühen, das ohnehin unerreichbar ist?
• T = Time phased: Ein gutes Ziel hat einen Endzeitpunkt und ist in einzelne, über-
schaubare, nachvollziehbare und terminlich festgelegte Schritte gegliedert.
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Alle Vorgaben lassen sich nach diesem Schema gestalten und formulieren – auch qualitative
Ziele. Wenn Sie reine Zahlen vor sich liegen haben, schreiben Sie sich die oben genannten
Punkte auf ein gesondertes Blatt und formulieren Sie sie nach der SMART – Formel um.
Beispiele für Ziele nach der SMART – Formel:
Quantitatives Ziel: Ende der BVB am 31.08.2008 habe ich 70 Prozent der Jugendlichen in
eine betriebliche Ausbildung untergebracht, 20 Prozent sind in einer überbetrieblichen Aus-
bildung und 10 Prozent haben noch keine Ausbildungsreife oder konnten aus persönlichen
Gründen (Schwangerschaft) nicht vermittelt werden. 100 Prozent der Jugendlichen haben
Praktika in verschiedenen Bereichen durchlaufen. Ich habe 10 neue Ausbildungsbetriebe
gewonnen.
Qualitatives Ziel: Ende der BVB am 31.08.2008 habe ich 15 Prozent weniger Praktikaabbrü-
che durch die Jugendlichen. Der Jugendliche ist durch unsere Ausbilder und meine Gesprä-
che sehr gut auf die anstehenden Praktika vorbereitet. Durch persönliche Gespräche mit den
Verantwortlichen in den Ausbildungsbetrieben konnte die Zusammenarbeit verbessert wer-
den und Konflikte wurden frühzeitig interveniert.
Sie haben nun Ihre Ziele klar fixiert. Was jetzt noch fehlt, ist die Bewegung in Richtung Ziele.
Dazu brauchen Sie einen Plan. Beginnen Sie nun, einen auf Ihre Ziele abgestimmten Plan
zu erstellen. Dies ermöglicht Ihnen, die Zielerreichung zu überprüfen, Korrekturen vorzu-
nehmen und konkrete Umsetzungsschritte einzuleiten. Je größer die Zielklarheit ist, desto
besser kann eine überzeugende Argumentationskette aufgebaut werden. Im Gespräch selbst
eröffnen sich dadurch bewusste und zielgerichtete Steuerungsmöglichkeiten. Ausreichende
Informationen über einen Betrieb sollten vorliegen und das Wissen über die eigene Dienst-
leistung (Alleinstellungsmerkmal) sollte zur Verfügung stehen. Davon hängt es ab, wie über-
zeugend sie ihre Argumentationskette entwickeln können.
Schriftliche Notizen helfen, sich auf das Wesentliche zu beschränken und können beim Ge-
spräch als Gedächtnisstütze genutzt werden.
Gehen Sie im „Gehirn Ihres Gesprächspartners spazieren“, um potenzielle kritische Fragen
und Gegenargumente vorausdenken zu können und später im Akquisegespräch auf Fragen
und Anmerkungen reagieren zu können.
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2.Das Gespräch im Akquisitionsprozess
Das persönliche Akquisitionsgespräch ist die direkteste Form der Kommunikation mit dem
Ausbildungsbetrieb, denn es wird nicht durch ein Medium wie Brief oder Telefon vermittelt.
„Auge in Auge“ sitzen Sie hier Ihrem Gesprächspartner gegenüber. Alle Instrumente der
Kundenansprache dienen dazu, Schritt für Schritt die persönliche Distanz zum Kunden zu
verringern. Während das Mailing noch relativ unpersönlich ist, ist die persönliche Distanz
zum Kunden beim Telefonieren schon um einiges geringer. Das persönliche Akquisitionsge-
spräch stellt die direkteste und zugleich komplexeste Kommunikationssituation dar. Der Pä-
dagoge und der Mitarbeiter des Ausbildungsbetriebes registrieren gegenseitig nicht nur das
Gesagte, wahrgenommen werden auch andere „Informationsquellen“, wie zum Beispiel die
Körpersprache. In der Regel ist das persönliche Gespräch der letzte Schritt der Kundenan-
sprache in einem Akquisitionsprozess (außer Kaltakquisition). Dem persönlichen Kennenler-
nen gehen oft Mailings oder Telefonate voraus. Dadurch wurde bereits eine bestimmte Er-
wartungshaltung hinsichtlich der Personen und der zu besprechenden Inhalte sowie der da-
mit verbundenen Chancen erzeugt.
Besonders anspruchsvoll sind Akquisitionsgespräche, die als erste Stufe zur Neukundenge-
winnung (Kaltakquisition) eingesetzt werden. Sie erfordern ein hohes Maß an kommunikati-
ver und sozialer Kompetenz. In kürzester Zeit müssen Sie einen Menschen, der noch nie
zuvor etwas von Ihnen gehört hat und dem womöglich auch Ihr Träger fremd ist, davon
überzeugen, dass es für ihn vorteilhaft wäre, Ihnen seine kostbare Zeit zu schenken, weil Sie
eine Lösung für ein Problem haben, das ihm vielleicht noch nicht einmal bewusst ist.
Gesprächsführung
Um die Entscheidungsfindung in Ihren Gesprächen zu steuern, eignet sich die folgende, aus
vier Schritten bestehende Strategie:
1. Jetzige Situation (Ist) feststellen.
2. Bedarf des Kunden aufdecken.
3. Geeignete Vorschläge machen und geeignete Dienstleistungen anbieten.
4. Die Vorteile dem Kunden darstellen.
Um den Bedarf des Kunden analysieren zu können, müssen Sie zunächst erfahren, wie sei-
ne jetzige Situation ist.
1. Aktuelle Projekte?
2. Interne Organisation?
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3. Änderungen im Bedarf?
4. Wettbewerb?
Stellen Sie verschiedene Arten von Fragen und erfahren Sie auf diese Weise etwas über die
Ist – Situation beim Kunden. Während der Kunde über die jetzige Situation berichtet, sollten
Sie intensiv zuhören und Notizen machen, um Ansatzpunkte für Ihr Anliegen zu finden (Aus-
bildungsstelle oder Praktikumsplatz).
Sobald Sie im Großen und Ganzen einen Überblick über die Ist-Situation gewonnen haben,
können Sie die Vorteile Ihres Anliegens (Ausbildung eines benachteiligten Jugendlichen)
anbringen. Dabei gilt nahtlos auf diese Themen überzuwechseln und nicht in andere Themen
abzuschweifen. Auch sollten Sie daran denken, dass der Kunde unter Umständen mit der
jetzigen Situation zufrieden ist. Sie haben die Möglichkeit, das Gespräch zu lenken, indem
Sie z. B. fragen:
• „Wäre das für die Zukunft von Interesse?“ oder
• „Könnte es Ihnen helfen, durch den Einsatz von unterschiedlichen Praktikanten einen
geeigneten Auszubildenden für das kommende Ausbildungsjahr zu finden?“
Wichtig ist es, nicht den Fehler zu begehen, schon jetzt auf die Verbesserungen durch die
Zusammenarbeit mit Ihnen hinzuweisen. Selbst dann nicht, wenn Sie den Bedarf sehen. Es
ist von größter Bedeutung, dass auch der Kunde den Bedarf erkennt – zuvor ist er verständ-
licherweise nicht bereit, über Änderungen zu sprechen. Ihre Aufgabe besteht darin, den
Kunden auf Themen zu bringen, bei denen er selbst die Notwendigkeit erkennt, Jugendliche
auszubilden.
Bedarf des Betriebes aufdecken
Beim nächsten Schritt geht es darum, dass der Kunde erkennt, ob er einen Bedarf an Aus-
zubildenden/Praktikanten hat. In ihm sollte der Wunsch geweckt werden, offen für Ihre An-
gebote zu sein, andernfalls wäre das Gespräch an dieser Stelle beendet. Hier kann die
Wenn-Technik bei der Fragestellung von großem Nutzen sein. Beispiele:
• „Wenn sich durch den Einsatz eines Praktikanten einfache Hilfsarbeiten abdecken
ließen, wäre das für Sie von Vorteil?“
• „Wäre es für Sie interessant, durch Praktika einen geeigneten Auszubildenden zu fin-
den und sich dadurch die Mühen eines Bewerbungsverfahrens zu sparen?“
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Die Frageart, die hier dargestellt ist, soll natürlich Themen berühren, die für den Kunden inte-
ressant sind. Aufgrund dieser Technik werden die Wünsche und Bedarfe des Kunden klar
dargelegt. Wichtig: Er sollte sie selbst äußern!
Geeigneter Vorschlag
Jetzt erst – nachdem die Bedarfe des Kunden offenliegen – unterbreiten wir unseren Vor-
schlag. Wir geben dem Kunden eine kurze Beschreibung unseres Angebotes. Wir empfehlen
und heben die wichtigsten Punkte hervor, die den Nutzen der Zusammenarbeit zwischen
dem Kunden und Ihrem Träger ausmachen. Wir betonen nochmals seine Wünsche und Be-
darfe, die ja schon vorher genannt wurden und verweisen in diesem Zusammenhang auf
unser Angebot, das es dem Kunden ermöglicht, eben diesen Bedarf zu decken.
Vorteile für den Kunden
Nachdem Sie nun einen entsprechenden Vorschlag gemacht haben, wollen Sie das Interes-
se des Kunden steigern. Zu diesem Zeitpunkt können Sie, falls notwendig, Referenzen an-
führen. Der Kunde sollte nicht nur weitere Informationen zum Angebot erhalten, sondern die
Vorteile für das Unternehmen, die sich aus einer Kooperation mit Ihrem Träger bzw. Ihrer
Einrichtung ergeben, sind noch einmal klar herauszustellen. Der Betrieb kann sich beispiels-
weise Zeit und Kosten bei der Auswahl potenzieller Auszubildender bzw. Mitarbeiter sparen.
Er kann gezielt Nachwuchskräfte finden und aufbauen, indem er die Jugendlichen zunächst
nur als Praktikanten einsetzt, um deren Neigungen und deren Eignung für den Betrieb aus-
findig zu machen. Zudem können Sie den Betrieb bei der Auswahl der Auszubildenden pro-
fessionell unterstützen, indem Sie bereits eine Vorauswahl von für den Ausbildungsberuf
geeigneten Jugendlichen treffen. Auch bei Formalien können Sie dem Betrieb Entlastung
bieten.
Um mit Ihrem Angebot überzeugen zu können, denken Sie an folgendes:
• Wählen der richtigen Argumente (nicht zu viele und solche, die die Motive des Ge-
sprächspartners decken)
• keine Worte benutzen, die Widerstand hervorrufen
• ihr Alleinstellungsmerkmal
Gerade in der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen kommt es immer wieder zu Schwierig-
keiten, wie Praktikumsabbrüche, Probleme im sozialen Bereich usw. Eine gut vorbereitete
Gesprächsstrategie unterstützt die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber. Die fol-
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gende Gliederung bezieht sich auf die Vorbereitung und Durchführung von Gesprächen bei
anstehenden Konflikten.
Ablauf Problemgespräch
Vorbereitung
1. Formulieren Sie das Ziel (Was will ich erreichen?)
2. Versetzen Sie sich in die Rolle des Kunden und formulieren Sie das „Kundenziel“.
3. Je nach Gap legen Sie Ihre/des Kunden Schmerzgrenze fest.
4. Formulieren Sie Ihr angepasstes Ziel für das Gespräch: „Mein Ziel für heute ist ...“
Das Gespräch
1. Führen Sie ins Thema ein und nennen Sie die Zeit, die zur Verfügung steht und Ihr Ziel.
2. Legen Sie Ihr Vorgehen offen.
3. Fragen Sie den Kunden nach seinen Problemen. Achtung: Lassen Sie den Kunden
ausreden und notieren Sie. Keine Rechtfertigungen!
4. Fassen Sie die Probleme zusammen. Falls es zu viele sind für die Zeit, die Ihnen zur Ver
fügung steht, priorisieren Sie gemeinsam mit dem Kunden.
Worte, die Widerstand erzeugen
Ein häufiger Fehler in Gesprächen ist es, Worte zu verwenden, die Widerstand erzeugen. Es
passiert leicht, dass wir mit ihnen argumentieren, insbesondere dann, wenn wir selber sehr
überzeugt von unseren Argumenten sind. Es ist jedoch bekannt, dass bestimmte Worte bei
unserem Gesprächspartner schnell einen inneren Widerstand erzeugen. Dies führt dazu,
dass er eine Verteidigungsstellung einnimmt. Solche Worte sind z.B.: absolut, entschieden,
definitiv, muss, uneingeschränkt. Sie können sie weglassen oder durch andere ersetzen, die
leichter akzeptiert werden, z.B.: ziemlich, wahrscheinlich, relativ, dürfte, mit geringen Ein-
schränkungen. Diese Worte haben einen bedeutend größeren Anerkennungsgrad und es ist
einfacher für Sie, die Zustimmung des Kunden zu erreichen.
„Sünden“ beim Telefonieren
Machen Sie sich zur Gesprächsvorbereitung auch die folgenden “Sünden” bewusst, die Sie
unbedingt vermeiden sollten, wenn Sie zu einem positiven Ergebnis kommen wollen. Sie
haben eine unklare Zielsetzung.
• Sie haben bei der Vorbereitung nur improvisiert.
• Sie rufen zum falschen Zeitpunkt an.
• Sie suchen die Teilnehmernummer.
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• Sie telefonieren ohne die nötigen Unterlagen.
• Sie haben sich vorher keine Stichworte notiert.
• Sie monologisieren, statt zu fragen und zuzuhören.
• Sie machen sich keine Telefonnotiz.
• Sie treffen keine konkreten Abmachungen.
3.Die Nachbereitung
Nach einem Akquisitionsgespräch erfolgt die Nachbereitung. Jetzt stellen sich Ihnen drei
folgende Aufgaben:
1. das Gespräch analysieren
2. Abmachungen umsetzen
3. die weitere Zusammenarbeit (Folgeschritte) vorbereiten
Halten Sie schriftlich fest, in welcher Hinsicht Sie mit dem Gespräch zufrieden sind und auch
in welchen Bereichen Sie sich noch verbessern möchten. Überprüfen Sie nicht nur Ihre fach-
liche Kompetenz, sondern auch Ihr soziales Verhalten. Fixieren Sie ebenfalls schriftlich, zu
welchen Abmachungen Sie sich gegenseitig in dem Gespräch verpflichtet haben. Bevor Sie
sich an eine oft zeitintensive Ausarbeitung des Besprochenen machen - zum Beispiel die
Ausarbeitung eines Praktikumsvertrages-, setzen Sie ein Schreiben an Ihren Gesprächs-
partner auf, in dem Sie sich für die Einladung, das Gespräch und die Vereinbarung bedan-
ken. Halten Sie den Kontakt zu Ihrem Gesprächspartner aufrecht. Versorgen Sie ihn regel-
mäßig mit neuen Angeboten und Informationen.
Anhand der folgenden Checkliste „Hauptfehler im Akquisitionsgespräch“, die ausführlich die
häufigsten Fehler bei einem Akquisitionsgespräch auflistet, können Sie abschließend noch
einmal die Qualität Ihrer Gesprächsführung überprüfen.
Checkliste: Hauptfehler im Akquisitionsgespräch
• Unklare Zielvorstellungen
• Zu wenig Informationen über den Kunden bzw. den Markt eingeholt
• Mangelndes Fachwissen
• Unsicheres Auftreten
• Zu wenig Zeit für die Vorbereitung
• Falsche Terminwahl/Termin musste verschoben werden
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
• Ungepflegtes Äußeres/ unvorteilhafte Kleidung
• Mangelhafte Rhetorik und mangelnde Gestik
• Fehlende Ausdauer/fehlende Geduld
• Mangelhaftes Demonstrationsmaterial
• Mangelnde Argumentationstechnik
• Mit falschen Fragen das Gespräch eröffnet
• Den Gesprächspartner mit einem Redeschwall überschüttet
• Den Gesprächspartner nicht ausreden lassen
• Mangelndes aktives Zuhören
• Fehlender Blickkontakt beim Gespräch
• Falsche oder ungeschickte Fragestellung
• Zu wenig Fragen gestellt und gestellte Fragen nicht beantwortet
• Plumpe Vertraulichkeit/Indiskretion
• Andere Gesprächsteilnehmer nicht berücksichtigt
• Zu wenig Informationen vermittelt
• Kein Interesse durch das Gespräch geweckt
• Keine Problemlösung angeboten
• Zu viele Probleme auf einmal angesprochen
• Verwendung von zu vielen Spezialausdrücken und Fremdwörtern
• Nicht in der Sprache des Gesprächspartners gesprochen
• Zu viele Widersprüche
• Den Gesprächspartner gedrängt
• Fehler oder Schwächen des Gesprächspartners aufgedeckt
• Wettbewerb schlechtgemacht oder kritisiert
• Arroganz oder Überheblichkeit, alles besser gewusst (unbewusst)
• Gespräch nicht logisch und sachlich geführt
• Falsche Beurteilung des Gesprächspartners
• Negatives Verhalten bei Misserfolg
• Dank nach Vertragsabschluss vergessen
• Versprechen nicht eingehalten
• Nicht genügend auf Kundeneinwände eingegangen
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Themenheft 3 2014
Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
Noch einmal zusammengefasst:
Die acht Schritte zur erfolgreichen Akquisition
1. Erfolgreiche Akquisition setzt ein detailliertes Zielmanagement voraus.
2. Um Ziele verwirklichen zu können, ist eine genaue Planung notwendig.
3. Planungsschritte lassen sich verwirklichen, wenn der Verkäufer sich verpflichtet, sie
nach und nach sowie konsequent umzusetzen.
4. Erfolgreiche Umsetzung setzt voraus, seine Energien ganz und gar auf sie zu fokus-
sieren.
5. Energiegeladene Umsetzung führt schließlich zum konkreten Handeln und Tun.
6. Wer erfolgreich handelt, darf sich belohnen und sich anerkennend auf die Schulter
klopfen, um so weitere Motivation zu gewinnen.
7. Kontinuierliche Verbesserungen bei die Akquisition sind möglich, wenn permanent
analysiert wird, wo es noch Optimierungspotenziale gibt.
8. Erfolgreiche Akquisition lebt davon, dass eine Controllingsystem ständig Aufschluss
darüber gibt, ob das Zielmanagement immer noch stimmig ist oder geändert werden
muss: Der Kreis schließt sich.
Der Inhalt dieses Artikels besteht aus einer Kürzung des „Leitfaden Modul 2 Kooperation mit
Betrieben und passgenaue Akquisition“ der Weiterbildungssequenz „Kompetent fördern und
fordern“. Er wurde gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur,
Verkehr und Technologie. Den Link zu dem kompletten Leitfaden finden Sie auf S. 38.
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Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann
Links
� http://www.f-bb.de/uploads/tx_fffbb/08-01-25_BNFausbetrieblicherSicht_MK_05.pdf,
Benachteiligtenförderung aus betrieblicher Sicht – Untersuchungsergebnisse einer
Befragung betrieblicher Ausbildungsexperten, von Manuela Kramer und Michael Res
� http://nord.jugendsozialarbeit.de/fileadmin/Bilder/Themenhefte/Newsletter_5_2006__
Unternehmen_und_Jugend.pdf, Newsletter des Pro-Aktiv-Teams der LAG JAW aus
2006
� http://www.youtube.com/watch?v=4ZRujKLcBGc, Film „Ausbildung in Kooperation“
der Jugendwerkstatt Felsberg e.V.
� http://www.kas.de/wf/doc/kas_38909-544-1-30.pdf?140930154703, Broschüre zur
Assistierten Ausbildung der Konrad-Adenauer-Stiftung
� http://www.bagkjs.de/aktuelle_aspekte, With a little help…Jugendliche und Unter-
nehmen durch Assistierte Ausbildung unterstützen!
� http://nord.jugendsozialarbeit.de/index.php?id=48&tx_ttnews[tt_news]=166&cHash=3
e1e9013ebc0a87eba4c8518933d1330, Dokumentation der LAG JAW-Fachtagung
„Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann“ am 27.11.2014 in
und mit der Jugendwerkstatt Dannenberg
Impressum Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen (LAG JAW) Referat Pro Aktiv Centren und Jugendwerkstätten Kopernikusstraße 3, 30167 Hannover Mail: [email protected] Homepage: www.nord.jugendsozialarbeit.de