konstruktion mehrgeschossiger holzbauwerke
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Konstruktion mehrgeschossiger Holzbauwerke
Dipl.‐Ing. MSc Tobias Linse
Universität der Bundeswehr München Lehrstuhl für Baustatik
Werner‐Heißenberg‐Weg 39, 85577 Neubiberg [email protected]
Prof. hon. Julius Natterer
Bois Consult Natterer SA Route de la Gare 10, 1163 Etoy, Schweiz
Einleitung Wird Holz als nachwachsender Werkstoff das Baumaterial der XXI. Jahrhunderts? In der heutigen Zeit, in der ökologische Überlegungen zunehmend an Bedeutung gewinnen, kann der Werkstoff Holz vor allem unter dem Aspekt der CO2 Emissionen und Speicherung von Kohlenstoff gewichtige Trümp‐fe ausspielen. Zum einen benötigt die Verarbeitung im Vergleich zu anderen Baustoffen nur sehr wenig fossile Energie, zum anderen kann das im Holz abgelagerte CO2 nicht nur sinnvoll „entsorgt“, sprich verbaut werden, sondern neues CO2 der Atmosphäre durch Wiederaufforstung gebunden werden.
Im letzten Jahrhundert wurden mit ungeheurem Aufwand die Erforschung von Baumaterialien wie Stahl und Stahlbeton vorangetrieben. Der Holzbau ist während dieser Zeit zunehmend ins Abseits geraten, obwohl der Baustoff Holz davor eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat. Heute, in Zeiten von wachsendem Umweltbewusstsein werden die Vorteile des natürlichen Baustoffes wiederent‐deckt. Obwohl bereits beeindruckende Bauten in den letzten Jahren in Holz erstellt wurden, wird gerade an diesen Projekten deutlich, dass die Erforschung dieses Werkstoffes intensiviert werden muss, damit das immer noch vorhandene riesige Entwicklungspotential ausgeschöpft werden kann. Unter Planern, Architekten und Bauherren besitzt Holz ein uneingeschränkt positives Image. Den‐noch wurde in der Vergangenheit aus mangelnder Kenntnis seiner Eigenschaften zu wenig verwen‐det.
Mit der Einführung der neuen europäischen Normung, in die auch die neuesten Kenntnisse über Belastungen im Grenzbereich einfliessen, hat die Anwendung von Holz in vielerlei Hinsicht Fortschrit‐te gemacht. Beispielsweise hat die Definition der charakteristischen Werte bei Bruch gezeigt, dass die heute noch in verschiedenen Ländern gültigen Kriterien für die visuelle Sortierung keine optimale Abschätzung der Werkstoffausnützung darstellen. Tatsächlich können die aufgrund solcher Kriterien definierten Eigenschaften 100 % bis 200 % von den tatsächlichen Werten abweichen. Als Folge dieser breiten Streuung werden Sicherheitsfaktoren angenommen, die weit auf der sicheren Seite liegen, was unvermeidlich zu einer unwirtschaftlichen Verwendung vor allem in den höheren Holzqualitäten führt. Die Einführung von zerstörungsfreien Messmethoden, wie z.B. die Anwendung von Ultraschall, erlauben es jedoch, verschiedene Werte wie Güte, Elastizität und Festigkeiten zuverlässig, reprodu‐zierbar und mit einer viel höherer Genauigkeit zu bestimmen. Dadurch ist es möglich höherwertige Holzqualitäten mit besseren Eigenschaften zu definieren. Um eine wirtschaftliche Verwendung dieser Holzqualitäten zu gewährleisten, müssen die qualitativ hochwertigsten Hölzer in die stark bean‐spruchten Bereiche der Konstruktion eingebaut werden. Da die Anforderungen an Widerstand und
Festigkeit von Fall zu Fall variieren, ist es möglich aus der Vielfältigkeit des Materials für jeden Ver‐wendungszweck die wirtschaftlich und ästhetisch optimalste Lösung zu finden.
Neue Techniken im Holzbau Die Mehrverwendung von Holz im Bauwesen ist von der ingenieurmäßigen Weiterentwicklung des Materials Holz als tragender Baustoff abhängig, um den bescheidenen Anteil am gesamten Bauvolu‐men von etwa 1 % vielleicht auf 2‐3 % anzuheben.
Die Kriterien der Entwicklung sind dabei, bessere Evaluierung der Qualität des Bauholzes, Erhöhung der Vielfalt und bessere Behandlung der Materialvarianten und vor allem Entwicklung neuer arbeits‐zeitsparender Verbindungsmitteltechniken, welche einen möglichst hohen Vorfertigungsgrad mit geringem Montageaufwand erlauben.
Zudem sind einmal quantitätsbezogene Techniken für Decken, Wände, Dächer des verdichteten Sied‐lungs‐ und Verwaltungsbaues auch im Verbund mit anderen Massivbaustoffen, und als zweites die qualitätsbezogenen Hi‐Tech Sonderkonstruktionen im Dach‐, Hallen‐ und Brückenbau für die moder‐ne Architektur wichtige Komponenten, um das Image des Baustoffes Holz verbessern und anderen Baustoffen eine konkurrenzfähige Alternative darzustellen.
Die Chancen des Ingenieurholzbaues und die Verwendung des Holzes als tragender Baustoff, ist von Qualitätskriterien abhängig. Die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von Holz als Baustoff im Wettbe‐werb mit anderen Baustoffen ist dabei das Wichtigste. Holz als Material für tragende Konstruktionen ist eine Initialzündung für weitere Holzverwendung im Ausbau. Dabei sind alle Holz‐ und Holzwerk‐stoffe vom Rundholz, Kantholz, profiliertem Kantholz bis zum zusammengesetzten Verbundquer‐schnitt aus Brettern und Kanthölzern sowie Brettschichtholz, Furnierschichtholz, Sperrholz, als auch Furnierstreifenschichtholz, usw., insbesondere in Kombination mit anderen Materialien, zu entwi‐ckeln und einzusetzen.
Konstruktionen aus Massivholz Der Einsatz von qualitativ hochwertigem Holz darf jedoch nicht das einzige Ziel bei Holzkonstruktio‐nen sein. Es ist ebenso notwendig, den Gebrauch von Holz unter allen Gesichtspunkten zu fördern. So muss neben der selektiven Verwendung für die Ausführung von extrem beanspruchten High‐Tech Konstruktionen wie Hallen, Brücken und Überdachungen auch die quantitative Anwendung für Wän‐de, Dächer und Böden gefördert werden. Möglich sind dabei auch Kombinationen mit anderen Mate‐rialien wie Stahl, Beton, Glas oder Glasfasern.
Die Brettstapelbauweise verwirklicht dieses Ziel in idealer Weise. Bei dieser Methode werden Bretter flächig aneinandergereiht und vernagelt, verdübelt, verschraubt oder verleimt. So entstehen massive Elemente, deren Dicke der Breite der Bretter entsprechen. Bei diesen Systemen entstehen durch die Verbindung der einzelnen Bretter eine Art „sozialer Verband“, in dem ein eventueller Defekt eines einzelnen Brettelementes nicht zur generellen Zerstörung der ganzen Struktur führt, weil die Bean‐spruchung durch die benachbarten Bretter aufgenommen wird. Die Vorteile solcher Strukturen sind vielfältig. Sie ermöglichen es, die notwendige statische Höhe im Vergleich zu traditionellen Zwi‐schendecken zu verringern. Wegen ihres Gewichts verbessern sie sowohl den Schallschutz als auch das thermische Verhalten. Die Gefahr der Überhitzung des Gebäudes in den Sommermonaten wird dadurch verhindert und die durch Sonneneinstrahlung gewonnene Energie im Winter gespeichert und gleichmässiger über den ganzen Tag verteilt. Werden diese Strukturen sichtbar belassen, ergibt sich eine architektonisch reizvolle und optisch sehr ansprechende Möglichkeit der Raumgestaltung. Alternativ können sie mit einer Gipsschicht oder Tapete überdeckt werden. Die Ausführung in meh‐reren Profilen gestattet die Gestaltung verschiedener Oberflächen zu geringen Kosten. Durch die
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Verwendung unterschiedlich breiter Bretter besteht zudem die Möglichkeit der verdeckten Installa‐tion.
Für Deckenelemente können höhere Spannweiten durch kombinierte Systeme, wie z. B. Holz‐Beton‐Verbund‐Decken erreicht werden. Holz wird dabei im Zug‐, Beton im Druckbereich verwendet. So werden die verschiedenen Werkstoffe ihren Eigenschaften entsprechend optimal eingesetzt. Die Verbindung der beiden Komponenten erfolgt am Einfachsten durch Kerven. Entsprechend den ver‐schiedenen Belastungen und ästethischen Anforderungen können die Holzelemente aus unterschied‐lichen Formen und Querschnitten bestehen. So ist für Brücken der Einsatz von zweiseitig sägege‐streiftem Rundholz denkbar, während für Decken Halbrundholz benutzt werden kann. Im Innern der Gebäude wird vorzugsweise die Brettstapelbauweise angewendet. Für sehr hohe Belastungen kann dieses Verfahren zusammen mit Brettschichtholz als Plattenbalken verwendet werden. Im Vergleich zu gängigen Systemen ist das Eigengewicht der Struktur deutlich niedriger.
Abbildung 1: Vergleich der Steuungen der Bauteilfestigkeiten für Einzelbretter und Bretterverbunde
Abbildung 2: Verschiede Gestaltungsmöglichkeiten von Brettstapelquerschnitten
Abbildung 3: Vergleich Eigenlasten und Nutzlasten für ver‐schiedener Deckenaufbauten
Abbildung 4: Systemskizze der Funktionsweise von Kerven als Schubverbindung
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Überblick über verschiedene mehrgeschossige Bauten
Historische Blockbauweise
Evolène, Schweizer Alpen (CH)
Mehrgeschossige Holzbauten wurden schon vor geraumer Zeit erstellt, wie dieses 5 ge‐schossige Gebäude in traditio‐neller Blockbauweise in den Schweizer Alpen beweist. Der Baustoff Holz kann, bei richtiger Konstruktion Jahrhunderte überdauern. Die Blockbauweise dieses Gebäudes entspricht natürlich nicht mehr den heuti‐gen Anforderungen hinsichtlich Schall‐ und Brandschutz, groß‐flächigen Fensterfronten oder variabler Grundrissgestaltung, zeigt aber die Dauerhaftigkeit von Holzkonstruktionen bei richtiger Ausführung.
Holzfachwerkbauweisen in der Stadt
Geschäftshaus in London (GB)
In diesem Geschäftshaus in London ist ein Kauf‐haus untergebracht. Die Brandsicherheit dieser Fachwerkkonstruktion wird durch eine Sprink‐leranlage gewährleistet. Die bei dieser Holzkon‐struktion wurde Holz recycelt: Das Gebäude wurde aus einem ehema‐ligen Schiff aus Holz ge‐fertigt.
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Knochenhauer Amtshaus in Hildesheim (D), 1529
Das ursprünglich im Jahr 1529 gebaute Amtshaus der Knochenhauer (Flei‐scher) wurde im März 1945 zerstört. Ab 1986 wurde es in der traditio‐nellen Bauweise rekons‐truiert. Hierzu wurden 400 Kubikmeter Eichenholz verbaut und über 4.300 Verbindungen mit ca. 7.500 Holznägeln herges‐tellt. Um die Standsicher‐heut des 8 geschossigen Gebäudes sicherzustellen, wurden die besonders belasteten Bauteile mit einem Ultraschallverfah‐ren ausgewählt.
Brettstapelbauweisen
Wohnsiedlung, Arlesheim (CH), 1999
Die Wohnsiedlung besteht aus 72 zwei‐bis dreistöcki‐gen Häusern mit einem zu‐sätzlichen Flachdachaufbau. Die Wohnungstrennwände bestehen aus zwei Brettsta‐pelelementen, deren Zwi‐schenraum mit Sand verfüllt wurde und welche die Hori‐zontalausteifung gewähr‐leisten. Die sichtbaren Flä‐chen der Trennwände sind mit Gipskartonplatten ver‐kleidet. Als konstruktiver Holzschutz wurde die Fassa‐de des Gebäudes aus 30*30mm starken Dougla‐sienlatten hergestellt. Zur Minimierung der Kosten wurde ein Grossteil der Elemente vorgefertigt.
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Studentenwohnheim „La Bourdonnette“ in Lausanne (CH), 2004
Im Jahre 2004 wurden 7 vier geschossige Wohn‐gebäude in Holzbauweise errichtet. Die Wände wurden in Holz‐Rahmen‐Bauweise erstellt, die Decken als Massivholzde‐cken mit Brettstapeln. Die Treppenhäuser und Sani‐tärbereiche wurden als vorgefertigte Stahlbeton‐elemente ausgeführt. Die Bauweise besticht durch ihren sehr einfachen aber sehr durchdachten modu‐laren Aufbau. Auf diese Art und Weise konnte ein sehr hoher Vorferti‐gungsgrad erreicht wer‐den und die Bauausfüh‐rung äußerst zügig fertig gestellt werden.
Holz‐Beton‐Verbundbauweise
Rodablen, Rheinland‐Pfalz (D), 1993
In diesem an einem Hang stehenden vier, bzw. fünfgeschossigem Gebäude sind Wohnungen unter‐gebracht. Die Decken wurden als Holz‐Beton‐Verbund‐Decken ausgeführt, die über eine Spannweite von 9 m verfügen.
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Schaanwald, Multi‐Family House (CH), 1995
Dieses Gebäudeensemble besteht aus 5 Zweifamilien‐häusern. Die Decken und das Dach wurden als Einfeldträ‐ger ausgeführt, die auf den Trennwänden zum Nachbar‐haus aufliegen. Die Decken wurden als Holz‐Beton‐Verbund‐Decken erstellt. Die Deckenunterseite wurde profiliert ausgeführt, um eine gute Raumakustik zu gewährleisten. Der Estrich wurde als Fließestrich auf‐gebracht. Aus Gründen des Schall‐ und Brandschutzes wurden die aus zweischali‐gen Brettstapalelementen bestehenden Wohnungs‐trennwände innen ausbeto‐niert.
Schule, Buchegg (CH), 1997
Erweiterung eines bestehen‐den Gebäudes mit leicht gerundeter, ca. 60 x 10 m2 grosser Grundfläche. Das Kellergeschoss, zwei Gebäu‐dekerne sowie die gekrümm‐te Innenwand bestehen aus Stahlbeton. Die Zwischende‐cke ist als Brettstapel‐Beton‐Verbundkonstruktion ausge‐führt. Die Vertikallasten werden von der Stahlbeto‐ninnenwand und Rundholz‐stützen mit Brett‐schicht‐holzunterzügen abgetragen. Die Gebäudehülle wurde als vorgehängte, nichttragende Holzfassade ausgeführt. Die Krümmung der Brettstapel‐elemente wurde durch zu‐sätzliche keilförmige Brettla‐gen erreicht.
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Wohnhaus, Rieselfeld (D), 1999
Dieses Bauvorhaben wurde als 4‐geschossiges Wohn‐haus mit horizontalen und vertikalen Trasystemen in Holz‐Beton‐Verbund Bau‐weise ausgeführt. Brand‐schutztechnisch erfüllen die Trennwände die Anforder‐ung F90. Die auskragende Decke der 3. Etage über‐dacht einen außenliegenden Gang, der durch ein Vertikal‐träger‐system aufgelagert wurde. Die Trennwände der Appartements bestehen aus zwei 8 cm starken Brettstapelwänden, deren Zwischenraum mit 15 cm Beton ausgefüllt wurde.
Gilamont (CH), 1995
Bei diesem Bauvorhaben handelt es sich um insge‐samt 9 Gebäude mit jeweils vier Etagen. Die Decken wurden als Holz‐Beton‐Verbund‐Decken ausgeführt und verfügen über eine Spannweite von bis zu 13,5 m. Die tragenden Trenn‐wände wurden ebenfalls in Holz‐Beton‐Verbund‐Bauweise ausgeführt, hierfür wurden zwei Brettstapel mit je 8 cm Dicke und einem Abstand von 12 vor Ort aus‐betoniert.
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Schulhaus in Triesenberg (FL), 1994
Die Decken der Unterrichts‐trakte bestehen aus Holz‐Beton‐Verbund‐Decken aus Brettstapeln. In der Fassa‐denebene überträgt ein BSH‐Überzug die Lasten aus den Decken in die Stützen. Das Dach der Unterrichtstrakte wurden mit Brettstapeln konstruiert. Eine Besonder‐heit stellen die deckenglei‐chen Unterzüge aus BSH aus Buche dar, mit denen es möglich war, die Kräfte aus den Decken direkt und ohne weitere Hilfsmittel in die Stützen zu übertragen.
Holz‐Skelett‐Bauweise
Berlin (D), 2007‐2008
Dieses Wohnhaus in stellt in vielerlei Hinsicht einen Meilenstein für den urbanen Holzbau dar. Die etwa 22,5 m hohe Holz‐Skelett‐Konstruktion ermöglichte eine freie Grundriss‐ und Fassaden‐gestaltung. Die Brandschutzanforderungen wurden durch das außen stehende Treppenhaus und die Verkapselung der Tragkonstruktion mit Gips‐kartonplatten erfüllt. Die Decken wurden als Holz‐Beton‐Verbund‐Decken mit ausgeklinkter Auflagerung ausgeführt. Detailliertere Informationen am Ende dieses Tagungsbeitrags.
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Überblick über verschiedene Konstruktionsprinzipien
Mehrgeschossige Gebäude aus Holz werden in verschiedensten Konstruktionen ausgeführt. Für jedes Gebäude sind meist verschiedene Konstruktionen denkbar, Ziel ist aber eine wirtschaftliche und öko‐logisch sinnvolle Konstruktion, welche zudem viel Gestaltungsfreiheit erlaubt.
Die Anforderungen an ein Gebäude können äußerst verschieden sein. Bei Einfamilienhäusern spielen Schallschutz und Brandschutz eine wesentlich geringere Rolle als bei Mehrfamilienhäusern. Weiter sind bei niedrigen Gebäuden die in den unteren Geschossen abzutragenden Lasten wesentlich gerin‐ger als bei mehrgeschossigen Bauten. Zudem beeinflussen gestalterische Randbedingungen, wie zum Beispiel die Gestaltung des Grundrisses und der Fassade den Entwurf der Tragstruktur. Die zur Aus‐führung kommende Tragstruktur muss den Anforderungen des jeweiligen Projektes Rechnung tra‐gen, daher sollte für jedes Projekt ein optimal zugeschnittenes Tragwerk entworfen werden. Die Viel‐fältigkeit der Anforderungen spiegelt sich ein einer Vielfalt von Konstruktionen wider, die einer, oder einer Kombination der folgenden Bauweisen, zugeordnet werden kann.
Holztafel‐Bauweise
Die Holztafelbauweise kommt insbesondere beim Bau von Einfamilienhäusern zur Anwendung. Die Konstruktionsweise hat sich aufgrund der Möglichkeit des sehr hohen Vorfertigungsgrads bewährt. Wände und Decken werden üblicher Weise aus Ständern aus Konstruktionsholz mit beidseitiger Be‐plankung aus Holzwerkstoffplatten ausgeführt. Dank der industriellen Vorfertigung können diese Bauten wirtschaftliche Alternativen zu traditionellen Massivbauten sein.
Müssen höhere Anforderungen an Schall‐ und Brandschutz gestellt werden, können diese Ziele zum Teil durch zusätzliche Beplankung mit Gipskartonplatten oder mehrschaligen Wandaufbauten erfüllt werden. Bei höheren Gebäuden oder Gebäuden mit größeren Stützweiten kommt die Holztafelbau‐weise jedoch aufgrund von Problemen mit der Lastabtragung an ihre Grenzen. In diesem Fall sind zusätzliche massive Brettschichtholzträger, Brettstapel oder der Einbau von Stahlträgern erforderlich.
Holz‐Fachwerk‐Bauweise
Die wohl bekannteste Bauweise in Holz ist die Fachwerksbauweise, in der seit Jahrhunderten in ganz Europa unzählige mehrgeschossige Gebäude aber auch z.B. beeindruckende Dachstühle errichtet wurden. Es wurden im Mittelalter Gebäude mit beachtlichen Höhen ausgeführt, eine Rekonstruktion des Knochenhauer Amtshauses in Hildesheim belegt dies eindrucksvoll. Die Aussteifung der Gebäude erfolgte durch zahlreiche Diagonalen die in der Konstruktion eingebaut wurden und zusätzlich durch die Ausfachungen aus Mauerwerk oder Lehm. Trotz des hohen Potentials dieser Bauweise wurde sie vor allem aus Gründen des Brandschutzes und des hohen Aufwandes bei der Errichtung vom Markt verdrängt.
Holz‐Skelett‐Bauweise
Die grundlegenden Ideen der Fachwerkbauweise wurden in der Holz‐Skelett‐Bauweise wieder aufge‐griffen. Diese Bauweise ist für hohe Gebäude mit großen Stützweiten geeignet. Bei dieser Bauweise können Grundrisse und Fassaden weitgehend frei gestaltet werden. Die tragende Struktur eines Ge‐bäudes in Holz‐Skelett‐Bauweise besteht im Wesentlichen aus vertikalen Stützen und horizontal ver‐laufenden Riegeln, auf denen die Decken aufliegen. Die Konstruktion gleicht daher der Konstruktion der wohlbekannten Fachwerkbauten. Der Unterschied wird insbesondere in den Stützenabständen und der Verbindung der Stützen und Riegeln miteinander deutlich. Um möglichst schlanke vertikale Bauteile zu ermöglichen, die alle hoch ausgenützt sind, erfolgt die Verbindung der Knoten mit spe‐ziell entwickelten Stahlknoten. Als Deckenkonstruktionen haben sich Holz‐Beton‐Verbund‐Decken
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bewährt, die Aussteifung des Gebäudes kann entweder durch einen zentralen Kern oder Ausfachun‐gen in der Fassade mit Brettstapeln oder Windverbänden erfolgen. Diese Konstruktion hat den Vor‐teil, dass die Fassaden und Grundrisse frei gestaltet werden können. Da alle Bauteile voll ausgenützt sind, ist der Anteil von wenig beanspruchtem Material ist deutlich geringer als bei allen anderen Holzbauweisen. Weiter ist ein sehr hoher Vorfertigungsgrad möglich. Aus diesen Gründen ist diese Bauweise äußerst wirtschaftlich. Gestalterisch und bauphysikalisch sind zu der Stahl‐Beton‐Skelett‐Bauweise keine Nachteile zu erkennen.
Massivholz‐Bauweise
Die Massivholzbauweise ist vor allem durch die traditionelle Blockbauweise bekannt. Das Zusam‐mensetzen massiver Querschnitte führt zu Konstruktionen, die hinsichtlich der Lastabtragung, Brand und Schallschutz deutliche bessere Eigenschaften als die Holztafelbauweise aufweist.
Konstruktionselemente sind zum Beispiel gestapelte, genagelte, verdübelte oder geschraubte Brett‐stapelelemente oder geleimte massive Brettlagenelemente. Insbesondere Konstruktionselemente aus genagelten Brettstapelelementen haben sich für kleinere Unternehmen als sehr wirtschaftlich erwiesen, da sie einfach hergestellt werden können und keine besonderen Anforderungen an die Ausführung und die Holzqualität stellt. Eine Weiterentwicklung der Brettstapelbauweise ist die Holz‐Beton‐Verbund‐Bauweise, die sich insbesondere für Decken bewährt hat. Holz‐Beton‐Verbund‐Decken sind für größere Spannweiten (ab 6 m) bestens geeignet, sind einfach zu erstellen. Zudem bieten sie Vorteile bezüglich des Brandschutzes, Schallschutzes und der Luft‐ und Wasserdichtheit. Dank dieser Eigenschaften ist die Holz‐Beton‐Verbundbauweise auch für Gebäude mit mehreren Nutzereinheiten bestens geeignet. Als Verbindungsmittel haben sich verschiedenste in Bauaufsichtli‐chen Zulassungen geregelten Schrauben oder eingefräste Kerven (Abbildung 4) bewährt.
Grundlegende Empfehlungen zum Entwurf
Die bisher ausgeführten Gebäude zeigen, dass mit den verschiedenen Holzbauweisen im Grunde alles möglich ist. Natürlich geht es aber bei Gebäuden primär nicht um die Machbarkeit, sondern um die Wirtschaftlichkeit der Konstruktion. Die folgenden Absätze sollen nochmals, obwohl grundsätz‐lich bekannt, aber doch oft missachtet, die Grundprinzipien für eine solide, dauerhafte, wertbestän‐dige Konstruktion mit geringen Unterhaltskosten zusammenfassen.
Grundrissgestaltung
Insbesondere bei Holztragwerken spielt die Grundrissgestaltung eine entscheidende Rolle. Fragen wie die Platzierung des Treppenhauses oder die Gestaltung der Fassaden sollten nicht nur aufgrund gestalterischer Gesichtspunkte festgelegt werden, Aspekte des Tragverhaltens und des Brandschut‐zes sollten mit einfließen. Ist eine wirtschaftliche Konstruktion gewünscht, sollten idealer Weise alle Fachplaner miteinbezogen werden.
Brandschutz
Der Brandschutz ist derzeit stetig im Wandel. Heute sind Konstruktionen genehmigungsfähig, die bis vor kurzem noch als utopisch bezeichnet worden wären. Ein besonderer Aspekt ist hier, dass in Eu‐ropa verschiedenste Vorschriften gelten und dass in der Regel zur Errichtung von mehrgeschossigen Bauwerken Ausnahmen und Abweichungen zu den Brandschutzbestimmungen beantragt werden müssen. Eine Abstimmung des Tragkonzeptes mit dem Brandschutzkonzept ist daher unbedingt er‐forderlich.
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Zeitplan, Honorare
Durch einen vernünftigen Zeitplan sind Optimierungen und qualitativ hochwertigere Arbeit möglich. Ergebnis sind wirtschaftlichere und hochwertigere Konstruktionen. Die weitverbreitete Methode der Kostenreduktion durch Planungs‐ und Bauzeitverkürzung ist aus betriebswirtschaftlichen Gesichts‐punkten verständlich, führt aber oft dazu, dass Konstruktionen unwirtschaftlich ausgelegt werden und dass unsauber konstruiert und ausgeführt wird. Ein vernünftiger Zeitplan ist insbesondere bei nicht alltäglichen Bauvorhaben von besonderer Bedeutung. Holzkonstruktionen sind oft, abgesehen von Standard‐Einfamilienhäusern, komplexe Konstruktionen bei denen Details genau geplant und ausgeführt werden müssen. Dies ist nur mit auskömmlichen Honoraren für alle Fachplaner möglich. Bauherren die der Ansicht sind Kosten einsparen zu können, indem die Honorare der Planer gedrückt werden „schneiden sich fast immer ins eigene Fleisch“.
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Esmarchstraße Berlin, 7Geschosser
Baubeschreibung
In den Obergeschossen des Siebengeschossers wird je eine Wohneinheit, bzw. zwei im 2. Obergeschoss, unter‐gebracht. Im Erdgeschoss sind Büroflächen vorgesehen. Das Treppenhaus aus Stahlbeton wurde dem Wohnhaus aus Holz ausgegliedert. Durch Übergänge aus Stahlbeton wird das Wohn‐ mit dem Treppenhaus verbunden (vgl.
). Abbildung 5
Das etwa 22,5 m hohe Wohnhaus (Grundfläche ca. 12,5 x 13,5 m) wurde in Holz‐Skelett‐Bauweise ausgeführt. Die tragende Struktur besteht aus Stützen und Riegeln aus Brettschichtholz; die Verbindung der Holzbauteile erfolgt mittels aus Stahlblechen geschweißten Knoten. Die De‐cken des Wohnhauses wurden als Holz‐Beton‐Verbunddecken ausgeführt.
Trennung des Wohnhauses und des Treppenhauses
Der erste Tragwerksentwurf ging davon aus, dass das Treppenhaus aus Stahlbeton und das Wohnhaus aus Holz in einem Gesamtsystem zusammen wirken. Es zeigte sich jedoch, dass ein Zusammenspiel der zwei Konstruktionen nur schwer zu verwirklichen ist. Sollte das Wohnhaus durch das Treppenhaus oder umgekehrt ausgesteift werden, so hätten, zusätzlich zu den Übergängen, Bauteile angeordnet wer‐den müssen, die ein Zusammenwirken gewährleisten. Des Weiteren stellten die unterschiedlichen Verformungsverhalten der beheizten Holzkonstruktion und der unbeheizten Stahlbetonkonstruktion sowie die in bauphysikalischer Hinsicht erforderliche Trennung von warmen und kalten Bauteilen Herausforderungen für den Tragwerksplaner dar. Daher wurden das Treppenhaus und das Wohn‐haus komplett von einander getrennt. Dies erwies sich als wirtschaftlicher, „konstruktiv sauberer“ und einfacher in der Ausführung.
Abbildung 5: Gartenansicht nach Fertigstellung
Die Trennung des Treppenhauses und des Wohnhauses ergab ein architektonisch interessantes Grundkonzept, das sowohl aus bauphysikalischer, als auch aus gestalterischer Sicht Vorteile zeigt:
In bauphysikalischer Hinsicht ist die Trennung nicht nur von zentraler Bedeutung für die Lösung der Brandschutzproblematik, sie bringt auch thermische und akustische Vorteile mit sich. Da das Trep‐penhaus nicht beheizt wird, ist der zu heizende Gebäudekern kompakter und somit energieeffizien‐ter. Außerdem entfallen aufwändige Maßnahmen, um den Wohnbereich schalltechnisch und ther‐misch vom Treppenhaus zu entkoppeln.
Aus gestalterischer Sicht ermöglicht die Trennung für das Wohnhaus eine dritte Fassade, durch die Licht ins Gebäudeinnere fallen kann. Weiterhin war eine variablere Grundrissgestaltung der einzel‐nen Geschosse möglich, da die Übergänge zwischen Wohn‐ und Treppenhaus nahezu beliebig plat‐ziert werden konnten.
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Pfosten–Riegel–Konstruktion / Holz‐Skelett‐Bauweise
Im Gegensatz zu bisher ausgeführten höheren Gebäuden in Holzbauweise war bei diesem Projekt ein sehr hoher Fensterflächenanteil gewünscht. Außerdem sollten die Fensterflächen und die Grundrisse variabel anzuordnen sein, wodurch die Außenwände zur Lastabtragung nicht herangezogen werden konnten. Die Lastabtragung erfolgt daher mittels einer Pfosten‐Riegel‐Konstruktion, die auch als Holz‐Skelett‐Bauweise bezeichnet werden kann. In den Fassaden wurden in einem regelmäßigen Raster Stützen und Riegel angeordnet (vgl. ). Die Holz‐Beton‐Verbund‐Decken lagern auf Riegeln auf, welche wiederum die Lasten in die Stüt‐zen weiterleite
Abbildung 6
Abbildung 6
n.
Abbildung 7 zeigt den Positionsplan des 3. Obergeschosses. Die Konstruktion ist in allen Geschos‐sen identisch, lediglich die Lage der Windverbände variiert. Im 1., 3. und 4. Obergeschoss wurden im Be‐reich der Gemeinschaftsterrassen Stahlstützen ge‐wählt, um möglichst schlanke Stützenquerschnitte realisieren zu können. Der Unterzug in Gebäudemit‐telachse wurde aus Stahlbeton ausgeführt, um eine ebene Deckenuntersicht zu erhalten. Dieser Stahlbe‐tonunterzug liegt auf der Brandwand in Achse AI, den Installationsschächten und auf der Holz‐Skelett‐Konstruktion in Achse AV auf.
Bei Betrachtung der Tragstruktur im Rohbau werden Parallelen zur Stahlbeton‐Skelett‐Bauweise deutlich: Es handelt sich um eine Skelett‐Bauweise aus Holz und stellt damit ein Novum dar. Zur Verbindung der Stüt‐zen und Riegel mussten spezielle Verbindungsknoten
entwickelt werden (Abbildung 9).
Durch diese Konstruktion konnten die Grundrisse weitgehend variabel gestaltet werden. Lediglich das Stützenraster und die Lage der Installations‐schächte waren bei der Grundrissgestaltung der Wohnungen zu beachten. Die Anordnung der Au‐ßen‐ und Innenwände, der Fensterflächen, der Terrassen und Balkone war für jedes Geschoss frei wählbar.
Abbildung 6: Tragstruktur im Rohbau
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Abbildung 7: Positionsplan des 3. Obergeschosses
Aussteifung
Für die Aussteifung des Wohnhauses können zum einen die Brandwand aus Stahlbeton und die De‐ckenscheiben der Holz‐Beton‐Verbund‐Decken mit einbezogen werden. Zum anderen wurden zwei der drei Fassadenfronten als Scheiben ausgebildet. Die in den Fassaden verbleibenden Massivholz‐wände können die, aufgrund der Gebäudehöhe beachtlichen, Horizontallasten nicht aufnehmen. Die Pfosten‐Riegel‐Konstruktion ist daher auf der Straßen‐ und der Gartenseite mittels Windverbänden aus Flachstählen ausgesteift. Die Holz‐Beton‐Verbund‐Decken sind als Scheiben ausgeführt und kraftschlüssig mit den Fassaden und der Brandwand verbunden. Die Steifigkeit der zwei Installations‐schächte in der Mittelachse des Wohnhauses ist zu gering, um die Horizontallasten als Kragarmsys‐tem aufzunehmen zu können, außerdem steht kein Kellergeschoß als ausreichende Einspannung zur Verfügung.
Stöße mittels Knotenblechen
Die Stöße der Riegel, Stützen und Windverbände erfolgt mit einem neu entwickelten System von Stahlknoten. Neben der Bedingung, den Schlupf der Verbindungen möglichst zu minimieren, müssen hohe Stützen‐ und Windverbandskräfte weitergeleitet werden.
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telle.
Schließlich wurde ein System mit Schlitzblechen und Stabdübeln entwickelt. Ein Detail ist in Abbildung 9 in Form einer Explosionszeichnung dargestellt. Die Stabdübel sind in der Werkstatt ge‐setzt worden, die Knotenbleche untereinander wurden auf der Baustelle mit üblichen Stahlbauver‐schraubungen verbunden. Dieses System ermöglicht einen sehr hohen Vorfertigungsgrad und eine zügige Montage auf der Baus
Abbildung 8: Knoten während der Bauausführung Abbildung 9: Explosionszeichnung
Aus Gründen der Gebrauchstauglichkeit muss vermieden werden, dass unter äußeren Einflüssen merkliche Verformungen entstehen. Dies würde zu Rissen in den Gipskartonverkleidungen und zu Undichtigkeiten der Gebäudehülle führen. Die Holzkonstruktion ist relativ weich, insbesondere auf‐grund des Schlupfes der Stabdübelverbindungen. Um den Schlupf zwischen den Knotenblechen zu minimieren, wurden die Knotenbleche untereinander mit Passschrauben verschraubt. Die Windver‐bände wurden mit gleitfesten Verschraubungen angeschlossen.
Beim Entwurf der Knotendetails wurde darauf geachtet, Exzentrizitäten zu vermeiden. Es gelang, die Geometrie und die Lage der Riegel, Stützen und Windverbände so zu wählen, dass sich alle Schwer‐achsen der anschließenden Bauteile eines Knotens in einem Punkt schneiden. Die hohen Vertikallas‐ten aus den Stützen werden über die Schlitzbleche zum Anschluss der Riegel weitergeleitet. Abbildung 8zeigt einen Knoten während der Bauausführung. Bei beiden Abbildungen ist zu erkennen, dass ein Knoten aus je vier verschiedenen Knotendetails zusammengefügt wurde: Ein Riegel‐Detail für einen Riegel ohne Windverband, ein Riegel‐Detail mit Anschlusslaschen für den Windverband, ein Stützen‐Detail für einen Stützenkopf und ein Stützen‐Detail mit Schlitz in der Fußplatte, um die Durchdringung des Windverbands zu ermöglichen. Der Windverband aus Flachstahl wird zwischen den beiden Laschen am Riegel‐Detail eingelegt, vorgespannt und mittels gleitfester Verschraubungen fixiert. Er wurde als Flachstahl ausgeführt, da es mit diesem Querschnitt möglich ist, einfache Ver‐schraubungen zu realisieren und den Windverband in den Außenwänden unterzubringen.
Ein besonderes Knotendetail ist für die Ecken des Gebäudes erforderlich. Die Knoten‐Details werden hier analog zu den Entwurfskriterien des oben dargestellten Knotens konzipiert. Abbildung 11 zeigt, dass die Knoten‐Details für die Riegel mit einem 45° Winkel konzipiert werden. Neben der einzulei‐
tenden Quer‐ und Normalkraft muss hier zusätzlich das Versatzmoment aufgenommen werden, das aufgrund der exzentrischen Lage des Schwerpunktes des Stabdübelanschlusses entsteht.
In Mitte der Fassade auf der Treppenhausseite (Achsenschnittpunkt AV‐BIII), wurde ein Knotendetail erforderlich, das neben zwei Riegeln und zwei Stützen noch den Anschluss des Stahlbetonunterzugs in der Mittelachse ermöglicht. Abbildung 13 zeigt eine Explosionszeichnung dieses Knotens. Kern‐stück dieser Knotenverbindung ist ein „Stahl‐Würfel“. An dessen Ober‐ und Unterseite werden die Stützen, an den Seiten die Riegel angeschlossen. Die Verbindung mit dem Stahlbetonunterzug wird hergestellt, indem der Würfel zusammen mit dem Unterzug ausbetoniert wird, wodurch eine Konso‐le am Ende des Stahlbetonriegels entsteht. Abbildung 12 zeigt die Anschlusskonstruktion und die Bewehrung des Stahlbetonriegels und der Holz‐Beton‐Verbund‐Decke vor dem Betonieren. Die ge‐zeigte Bewehrung des Stahlbetonriegels ist noch unvollständig, es fehlt unter anderem die Konsol‐bewehrung, die in den Würfel hineinragt.
Abbildung 10: Eckknoten
Abbildung 11: Eckknoten Explosionszeichnung
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Abbildung 12: Anschluss Stahlbetonunterzug
Abbildung 13: Explosionszeichnung Mittelknoten
Zusammenwirken des Holz‐Skeletts mit den Deckenscheiben und der Brandwand
Die an das Nachbarhaus angrenzende Wand und die Installationsschächte mussten aufgrund der Brandschutzauflagen in Beton ausgeführt werden. Aus gestalterischen Gründen wurde gewünscht, die Stützen und Wände im Erdgeschoss in Stahlbeton auszuführen, sowie die Stützen bei den Ge‐meinschaftsterrassen im 1., 3. und 4. Obergeschoss in Stahl zu anzufertigen.
Für die Anschlüsse der Riegel an die Brandwand und die aussteifenden Wandscheiben im Erdge‐schoss und 1. Obergeschoss wurden Knotendetails mit angeschweißten Bewehrungsstäben entwi‐ckelt, welche die Einleitung der Schnittgrößen aus den Riegeln in die Stahlbetonwand übernehmen.
Da die Deckenscheiben und die Brandwand zur Aussteifung des Gebäudes erforderlich sind, sind auch hier kraftschlüssige Verbindungen erforderlich.
Holz‐Beton‐Verbund Decke
Holz‐Beton‐Verbunddecken (HBV‐Decken) zählen im Holzbau inzwischen schon zu den üblichen Bauweisen. Diese Bauweise, bei der die Materialien Holz und Beton vorwiegend materialgerecht beansprucht werden (Holz auf Zug, Beton auf Druck) hat sich in konstruktiver und bauphysikalischer Hinsicht bewährt.
HBV‐Decken mit „Auflagerung auf Beton“
Holz‐Beton‐Verbunddecken werden üblicherweise auf dem Holz aufgelagert. Bei diesem Bauvorha‐ben zeigte sich, dass die Auflagerung auf Holz die gestalterische Freiheit der Fassade erheblich beein‐trächtigen würde. Außerdem würden die zur Auflagerung der Decke erforderlichen Riegel über den Fenstern störend hoch wirken. Deshalb wurde eine „Auflagerung auf Beton“ ausgeführt. Durch die Auflagerung auf Beton kann der Sturz über den Fenstern von 28 auf 12 cm Höhe reduziert werden.
Die „Auflagerung auf Beton“ wurde so konzipiert, dass lediglich Standard Bauteile benötig wurden: Handelsübliche selbstbohrende Schrauben, Flachstähle und üblicher Betonstahl. Abbildung 14 zeigt die Ausführung des Auflagerdetails: Die Holzbalken werden mittels selbstbohrender Schrauben hochgehängt. Die Lasteinleitung der Schrauben in die Betondecke wird durch Flachstähle sicherge‐stellt, die auf der Betonplatte aufliegt und die Einzellasten aus den Schrauben verteilen. Die 10 cm starke Betonplatte wird im Bereich der Auflagerung mit üblichem Betonstahl als Konsole bewehrt. Zur zentrischen Lasteinleitung der Deckenlasten in die Riegel der Fassade wird ein T‐Profil in der Mit‐te der Riegel eingelassen.
Schubverbindung zwischen Holz und Beton
Üblicherweise wird der Verbund zwischen Holz und Beton durch spezielle, in bauaufsichtlichen Zulas‐sungen geregelte, Schrauben, Schubverbinder oder Flachstahlschlösser hergestellt. Es können auch in das Holz gefräste Kerven zur Schubübertragung herangezogen werden.
Aus Kostengründen fiel die Wahl der Verbindungsmittel zu Gunsten der Lösung mit den eingefrästen Kerven. Es wurde hierzu eine Zustimmung im Einzelfall beantragt, da der Tragwerksplaner und der Prüfingenieur der Ansicht waren, dass es sich um eine nicht geregelte Bauweise handelt. Die oberste Baubehörde in Berlin entschied jedoch, dass die Decke mit den einschlägigen Normen beurteilt wer‐den kann und befand eine Zustimmung im Einzelfall daher als nicht erforderlich.
Abbildung 14: Auflagerdetail ‐ Auflagerung auf Beton
Treppenhausturm
Bei dem Treppenhaus handelt es sich um eine von dem Wohnhaus unabhängige eigenständige Stahlbetonkonstruktion. Von den Proportionen gleicht das Treppenhaus mit 24 m Höhe und nur 2,8 m Breite einem Turm. Eine weitere gestalterische Vorgabe war die möglichst filigrane und transpa‐rente Ausführung des Treppenhauses. Zur Aussteifung wurde daher ein Windverband aus Baustahl auf der Straßenseite vorgesehen.
Die Übergänge zum Wohnhaus wurden in die Decken des Treppenhauses eingespannt und kragen etwa 2,8 m aus. Durch dieses Kragarmsystem entfallen die Auflagerung auf der Wohnhausseite und aufwändige und wärmetechnisch problematische Durchdringungen.
Gründung
Die Gründung des Wohnhauses und des Treppenhauses erfolgt auf einem ebenerdig liegenden Trä‐gerrost aus Stahlbetonbalken, welches die Lasten in Bohrpfähle weiterleitet. Als Randbedingungen der Gründung waren die Kellerruine eines im zweiten Weltkrieg zerstörten Hauses, die geringe Trag‐
Konstruktion Mehrgeschossiger Holzbauwerke, J. Natterer und T. Linse Seite 19
Konstruktion Mehrgeschossiger Holzbauwerke, J. Natterer und T. Linse Seite 20
fähigkeit des Bodens sowie die Nachbarbebauung zu berücksichtigen. Um Kosten einzusparen, wurde beschlossen, die Kellerruine zu belassen und mit Bohrpfählen durch die Ruine hindurch zu gründen.
Brandschutz
In den letzten Jahren wurden in Deutschland vermehrt höhere Gebäude in Holz ausgeführt, zum Beispiel die viergeschossiges Wohnanlage in Freiburg und das 6‐geschossige Pflegeheim in Berlin‐Lichtenberg.
Die neue Musterbauordnung 2002 (MBO 2002) ermöglicht Gebäude in Holzbauweise bis zur Gebäu‐deklasse 4 (Fußbodenhöhe des obersten Geschosses maximal 13 m über Geländeoberfläche). Da im vorliegenden Fall die Fußbodenhöhe des 7. Geschosses mit 19,4 m erheblich über der maximal zuläs‐sigen Höhe der Musterbauordnung liegt, musste ein genehmigungsfähiges Brandschutzkonzept mit Zustimmungen im Einzelfall ausgearbeitet werden.
Kernpunkt dieses Konzepts ist die Ausgliederung von Wohnhaus und Treppenhaus: Das Wohnhaus aus Holz ist über einen Treppenhausturm aus Stahlbeton zugänglich, der in einem Abstand von knapp 3 m neben dem Wohnhaus steht. Auf diese Weise kann im Brandfall ein gut belüfteter und kurzer Fluchtweg sichergestellt werden.
Für die Stützen, Riegel und Wände wurde die Kapselklasse K60 mit 2 x 18 mm Gipsfaser‐Platten (in‐nen) und 1 x 18 mm Gipsfaser‐Platten + 10 cm Steinwolle‐Lamellen außen gefordert. Die Holzbeton‐verbunddecke konnte von unten sichtbar gelassen werden. Die Brandwand wurde in Stahlbeton aus‐geführt.
Die Feuerwiderstandsdauer aller tragenden Bauteile ist F 90. Lediglich an die Balkone und die aus‐steifenden Stahldiagonalen im Treppenhaus wurden keine Anforderungen gestellt, sie konnten in F 0 ausgeführt werden.
Inwiefern bei zukünftigen Projekten auf eine Verkapselung bei Einsatz einer Sprinkleranlage verzich‐tet werden kann, ist zu prüfen. Dies kann hinsichtlich gestalterischer Freiheit und Kostenoptimierung von Bedeutung sein.
Bauausführung
Mit der Bauausführung wurde ein mittelständiger Holzbaubetrieb beauftragt, der einen Subunter‐nehmer für die Stahlbetonarbeiten engagierte. Die Holzkonstruktion wurde komplett vorgefertigt, so dass auf der Baustelle die einzelnen Holzbauteile nur noch verschraubt werden mussten. Abbildung 19 zeigt verschiedene vorgefertigte Stützen und Riegel vor dem Einbau.
Der Rohbau des Wohnhauses konnte dank der gewählten Knotenverbindungen und der guten Ar‐beitsvorbereitung in nur 8 Wochen (ohne Gründung) erstellt werden. Die Bauausführung verlief weitgehend reibungslos. Es gelang, die verschiedenen Gewerke gut aufeinander abzustimmen, so dass wöchentlich eine komplette Etage erstellt werden konnte.
Weiterführende Literatur
Holzbauatlas – vierte Auflage, T. Herzog, J. Natterer, R. Schweitzer, W. Winter, Volz, ISBN 3-7643-6984-1 Birkhäuser, Verlag Detail München
New technologies for engineered timber structures, J. Natterer, Progress in Structural Engineering and Materials, Vol 4 No 3, July-September 2002
Ein 7-Geschosser fast ganz aus Holz, T. Linse und J. Natterer, Bauingenieur Band 83, Dezember 2008