lyrikfestival in czernowitz gedanken des autors andreas

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Lyrikfestival in Czernowitz Gedanken des Autors Andreas Neeser aus der Ukraine «Die Ukraine braucht und verdient Freunde», sagt der deutsche Botschaf- ter und bekräftigt im Namen von Ange- la Merkel die Solidarität des deutschen Volkes. Der Bürgermeister von Czerno- witz dankt für die Unterstützung der freien Länder in dieser schwierigen Zeit. Die Rektorin der Universität be- schwört die Wichtigkeit der Kultur in Ausnahmesituationen: «Kultur kennt keine Grenzen. Ich glaube an die souve- räne Ukraine.» Schliesslich bittet die Kuratorin von Meridian Czernowitz das Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten Marmorsaal der Universität, sich für eine Schweigeminute zu erhe- ben. «Wir wollen an all jene denken», sagt sie, «die gerade jetzt im Osten der Ukraine sterben.» So beginnt ein Lyrikfestival in Zeiten des Kriegs. So beginnt das 5. Internatio- nale Lyrikfestival Meridian Czernowitz. Feierlich, aber unpathetisch, fast schon trotzig. Weitere Stellungnahmen zur ak- tuellen Situation in der Ukraine wird es nicht geben. An den zahlreichen Veran- staltungen bleibt das Thema, das Einhei- mische wie Gäste gleichermassen be- drückt, ausgespart. «Die Musen schwei- gen nicht», heisst das diesjährige Festi- valmotto – und es impliziert, dass wäh- rend dreier Tage die Sprache der Literatur den tödlichen Lärm von Rake- ten- und Panzerfeuer übertönen soll. Drei Tage Pause vom Krieg, auch wenn in jeder Kneipe Nachrichten von der Ostfront in Endlosschlaufe zu sehen sind. Ein bisschen Frieden, auch wenn als Zeichen des stummen Protests, als Ausdruck der Behauptung einer natio- nalen Identität, an fast jedem Haus die blaugelbe Nationalflagge hängt, Stras- senleuchten und Brückengeländer in den Landesfarben gestrichen sind. Und die Musen? Dafür, dass sie tat- sächlich nicht schweigen, sorgen die 35 Autorinnen und Autoren aus Deutsch- land, Österreich, Polen, Frankreich, Dä- nemark, der Schweiz und der Ukraine. Aber da ist hinter und unter den Wör- tern ein unablässiges Murmeln zu hö- ren, ein merkwürdiger Generalbass, der den Musengesang stört. Es ist das Schweigen über den Krieg, das manch- mal sogar lauter ist als die Literatur. Es sind die drängenden, stummen Fragen, mit denen die Gäste aus dem Westen hergekommen sind und auf die es nun also keine öffentlichen Antworten ge- ben soll, auch nicht anlässlich der Podi- umsgespräche zum Thema «Kultur und Politik». Ein Missverständnis? Vielleicht. Ein Problem? Nein. Denn es gibt wohl kei- nen Westler, der die Sehnsucht der Ein- heimischen nach ein paar Tagen kultu- reller Ablenkung nicht nachvollziehen könnte. Vor allem aber: Die Abwesen- heit des Kriegs ist nicht herbeigeschwie- gen, sie ist in den Strassen von Czerno- witz omnipräsent, in einer Art und Wei- se, die fast schon körperlich weh tut. Flanierende Menschen in leichten Som- merkleidern, Leierkastenmänner, Stras- sentheater, Eistheken, Popmusik in den Cafés. Kein Militär, keine Polizei. Ein Spätsommer wie aus dem Bilderbuch. Die Normalität im Krieg hat etwas Ver- störendes. Nein, hier wird der Krieg nicht totgeschwiegen. Es gibt ihn nicht. Die Panzer, die Abwehrraketen, die Strassenkämpfe – das alles findet 1100 Kilometer weiter östlich statt, in der Grenzregion zu Russland. Hier das pral- le, durchaus touristische Leben – dort das Sterben. Eine groteske, um nicht zu Ein bisschen Frieden Literatur und Politik Der Krieg war so anwesend wie fern am 5. Internationalen Lyrikfestival Meridian im westukrainischen Czernowitz. Der Schweizer Autor Andreas Neeser berichtet über seine zwiespältigen Gefühle und die Kraft der Kunst. VON ANDREAS NEESER * Ein Spätsommer wie aus dem Bilderbuch in Czernowitz: Touristen flanieren, der Krieg findet weit weg im Osten statt – aber in den Denkmal für Paul Celan, den grossen Dichter. ANDREAS NEESER Patriotisches Gelb-Blau dominiert die Stadt. ANDREAS NEESER

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Page 1: Lyrikfestival in Czernowitz Gedanken des Autors Andreas

Lyrikfestival in CzernowitzGedanken des Autors Andreas Neeser aus der Ukraine

«Die Ukraine braucht und verdientFreunde», sagt der deutsche Botschaf-ter und bekräftigt im Namen von Ange-la Merkel die Solidarität des deutschenVolkes. Der Bürgermeister von Czerno-witz dankt für die Unterstützung derfreien Länder in dieser schwierigenZeit. Die Rektorin der Universität be-schwört die Wichtigkeit der Kultur inAusnahmesituationen: «Kultur kenntkeine Grenzen. Ich glaube an die souve-räne Ukraine.» Schliesslich bittet dieKuratorin von Meridian Czernowitz dasPublikum im bis auf den letzten Platzgefüllten Marmorsaal der Universität,sich für eine Schweigeminute zu erhe-ben. «Wir wollen an all jene denken»,sagt sie, «die gerade jetzt im Osten derUkraine sterben.»

So beginnt ein Lyrikfestival in Zeitendes Kriegs. So beginnt das 5. Internatio-nale Lyrikfestival Meridian Czernowitz.Feierlich, aber unpathetisch, fast schontrotzig. Weitere Stellungnahmen zur ak-tuellen Situation in der Ukraine wird esnicht geben. An den zahlreichen Veran-staltungen bleibt das Thema, das Einhei-mische wie Gäste gleichermassen be-drückt, ausgespart. «Die Musen schwei-gen nicht», heisst das diesjährige Festi-valmotto – und es impliziert, dass wäh-rend dreier Tage die Sprache derLiteratur den tödlichen Lärm von Rake-ten- und Panzerfeuer übertönen soll.Drei Tage Pause vom Krieg, auch wennin jeder Kneipe Nachrichten von derOstfront in Endlosschlaufe zu sehensind. Ein bisschen Frieden, auch wennals Zeichen des stummen Protests, alsAusdruck der Behauptung einer natio-nalen Identität, an fast jedem Haus dieblaugelbe Nationalflagge hängt, Stras-

senleuchten und Brückengeländer inden Landesfarben gestrichen sind.

Und die Musen? Dafür, dass sie tat-sächlich nicht schweigen, sorgen die 35Autorinnen und Autoren aus Deutsch-land, Österreich, Polen, Frankreich, Dä-nemark, der Schweiz und der Ukraine.Aber da ist hinter und unter den Wör-tern ein unablässiges Murmeln zu hö-ren, ein merkwürdiger Generalbass,der den Musengesang stört. Es ist dasSchweigen über den Krieg, das manch-mal sogar lauter ist als die Literatur. Essind die drängenden, stummen Fragen,mit denen die Gäste aus dem Westenhergekommen sind und auf die es nunalso keine öffentlichen Antworten ge-ben soll, auch nicht anlässlich der Podi-umsgespräche zum Thema «Kulturund Politik».

Ein Missverständnis? Vielleicht. EinProblem? Nein. Denn es gibt wohl kei-nen Westler, der die Sehnsucht der Ein-heimischen nach ein paar Tagen kultu-reller Ablenkung nicht nachvollziehenkönnte. Vor allem aber: Die Abwesen-heit des Kriegs ist nicht herbeigeschwie-gen, sie ist in den Strassen von Czerno-witz omnipräsent, in einer Art und Wei-se, die fast schon körperlich weh tut.Flanierende Menschen in leichten Som-merkleidern, Leierkastenmänner, Stras-sentheater, Eistheken, Popmusik in denCafés. Kein Militär, keine Polizei. EinSpätsommer wie aus dem Bilderbuch.Die Normalität im Krieg hat etwas Ver-störendes. Nein, hier wird der Kriegnicht totgeschwiegen. Es gibt ihn nicht.Die Panzer, die Abwehrraketen, dieStrassenkämpfe – das alles findet 1100Kilometer weiter östlich statt, in derGrenzregion zu Russland. Hier das pral-le, durchaus touristische Leben – dortdas Sterben. Eine groteske, um nicht zu

EinbisschenFriedenLiteratur und Politik Der Krieg war soanwesend wie fern am 5. InternationalenLyrikfestival Meridian im westukrainischenCzernowitz. Der Schweizer Autor AndreasNeeser berichtet über seine zwiespältigenGefühle und die Kraft der Kunst.

VON ANDREAS NEESER *

Ein Spätsommer wie aus dem Bilderbuch in Czernowitz: Touristen flanieren, der Krieg findet weit weg im Osten statt – aber in den

Denkmal für Paul Celan, den grossen Dichter. ANDREAS NEESER Patriotisches Gelb-Blau dominiert die Stadt. ANDREAS NEESER

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NORDWESTSCHWEIZDIENSTAG, 16. SEPTEMBER 2014 KULTUR 19

sagen obszöne Situation. In persönli-chen Gesprächen mit den ukrainischenGastgebern wird dann allerdings schnellklar: So wenig, wie es den Krieg gibt, sowenig gibt es die Normalität. Denn unterden Soldaten an der Ostfront sind auchMänner aus Czernowitz; die wenigen,die wieder nach Hause gebracht wur-den, sind bereits begraben. Kaum eineFamilie, die nicht Geld in den Ostenschickt für das Nötigste, für Waffen, ge-gen die Invasoren aus Russland, gegenPutin. Dies ist der Alltag in Czernowitz,und gerade deshalb ist das Festival indiesem Jahr so wichtig wie nie zuvor.Der menschlichen Rohheit und Dumpf-heit, dem perversen Machtgebaren dasWort entgegensetzen, eine geballte La-dung Wort. Czernowitz, die «vergesseneMitte Europas» (so Heinrich Detering,Präsident der Deutschen Akademie fürSprache und Dichtung in einem Gruss-wort an das Festival), mit Nachdruckwieder auf die intellektuelle LandkarteEuropas setzen.

Die Musen schweigen nicht in diesenTagen. Ebenso wenig, wie sie früher ge-schwiegen haben in diesem geschichts-trächtigen Zentrum der Bukowina. KarlEmil Franzos, Rose Ausländer, Immanu-el Weissglas, Paul Celan, Gregor vonRezzori sind nur einige der bedeutendenAutorinnen und Autoren, die die Buko-wina hervorgebracht hat. Und die Stim-men der Alten sind mitzuhören wäh-rend der drei Lesetage, auch sie sindTeil der klanglichen Festivalgrundie-rung, auch wenn die Autoren auf derBühne Michael Krüger, Franz Josef Czer-nin, Friedrich Achleitner, Philippe Beck,Dragica Rajcic, Evelyn Schlag oder IgorPomerantsev, Jurij Andruchowytsch undSerhij Zhadan (alle drei übrigens Mit-begründer des Festivals) heissen. Stim-men, hörbare und erinnerte. Sie erhe-ben das Wort gegen den Krieg in einerStadt, wo das Töten nur in seinerschrecklichen Abwesenheit zu spürenist. Oder sie tragen den Tod in ihremstummen Klang, weil sie vom Unfassba-ren berichten, das ihnen widerfahren istin einer Region, die während über hun-dert Jahren zu Österreich-Ungarn gehör-te. Später, von 1919 bis 1940, war die Bu-kowina ein Teil Grossrumäniens, dannwurde sie von der Sowjetunion besetzt,

bis rumänische Truppen das Gebiet 1941zurückeroberten. 1944 schliesslich wur-de die Bukowina erneut der Sowjetuni-on zugeschlagen. Seit 1991 ist die RegionTeil der unabhängigen Ukraine.

Insbesondere in den 40er-Jahren desvorigen Jahrhunderts wurde ein Gross-teil der deutschsprachigen Bevölkerung«heim ins Reich» geholt, Tausende Ju-den fielen dem Holocaust zum Opfer.Auch die Eltern von Paul Celan wurdenin ihrem Haus in Czernowitz abgeholtund in ein Lager in Transnistrien depor-tiert, von wo sie nicht zurückkehrten.Stellvertretend für all die qualvoll Ver-stummten tritt Eric Celan, der Sohn desberühmten Dichters, am Festival auf. Erliest einen bewegenden Text vor, einsprachmächtiges Plädoyer für Respektund Toleranz, dessen Aktualität gerade-zu erschreckend ist.

Bei so vielen lauten und stillen Stim-men – was wäre da noch über den Kriegzu sagen? Und wo nichts zu sagen bleibt,weil alles immer mitgedacht und mitge-hört ist, das Vergangene, das Gegenwär-tige – da ist das Lachen. Humor als Ven-til. Humor gegen die Beklemmung unddie Ohnmacht im Alltag. Etwa währendder Lesung des deutschen Autors Micha-el Krüger. Nachdem der Übersetzer ei-nes seiner Gedichte auf Russisch vorge-tragen hat, fragt Krüger halb verwun-dert, halb erstaunt ins Publikum: «Ver-stehen Sie denn alle Russisch?» DerÜbersetzer, in Czernowitz geboren undseit Jahren Literaturprofessor an derUniversität seiner Heimatstadt, antwor-tet ohne zu zögern: «Wir verstehen alleRussisch – aber wir verstehen überhauptnicht Russland.» Der tosende Applaus,das schallende Gelächter im überfülltenSaal sagt in Czernowitz im September2014 mehr als alle klugen Worte und po-litischen Einschätzungen von irgendwel-chen Podiumsteilnehmern. – Es ist nurein Lachen. Aber es ist mehr als das. Einbisschen Frieden.

* Andreas Neeser, 1964 geboren, ist

Schriftsteller und Lyriker, er lebt in Suhr.

Zuletzt von ihm erschienen sind der Ro-

man «Zwischen zwei Wassern» (Haymon-

Verlag, 2014) und «S wird nümme, wies

nie gsi isch» (Mundartprosa, Zytglogge-

Verlag, 2014).

Köpfen und Herzen der Menschen, in den Familien ist er präsent. HO

Andreas Neeser (links im Bild) am internationalen Lyrikfestival Meridian in Czernowitz. MERIDIANCZ.COM