metabolisches syndrom - aerztezeitung.at · risiko) liegt bis bmi 27 kg/m2 und beträgt beim...

5
Metabolisches Syndrom © SPL, picturedesk.com 32 österreichische ärztezeitung 3 2008

Upload: others

Post on 29-Jan-2020

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

MetabolischesSyndrom

© S

PL, p

ictu

rede

sk.c

om

32 › ö s t e r r e i c h i s c h e ä r z t e z e i t u n g ‹ 3 › 2 0 0 8

Das „Metabolische Syndrom“ beginnt oft ohne Diabetes

in einer Kombination von einigen anderen seiner

Determinanten – etwa Hyper- und Dyslipidämien sowie

Hypertonie – und bestimmt makrovaskuläre Risiken der

Patienten stärker als die spätere Blutzuckererhöhung.

Von Hermann Toplak*

Basisrisiko und Umwelt

Der Mensch trägt immer ein atherosklerotisches Basisri-siko mit sich – es ist zwar

relativ gering, aber doch vorhanden. Betrachtet man Asiaten mit ihrer ur-sprünglichen, fettarmen Ernährung, so weisen diese ein Gesamtcholesterin im Mittel von etwa 160 mg/dl und ein LDL-Cholesterin unter 100 mg/dl auf, normale Triglyzeride (in der Re-gel unter 100 mg/ dl), Normalgewicht und normalen Blutdruck – bei Absenz eines Diabetes eindeutig ein minima-les kardiovaskuläres Risiko. Selbst eine genetische Neigung zur essentiellen Hypertonie wird da noch nicht zur Katastrophe.

Ziehen Japaner mit dieser Aus-gangssituation nach Kalifornien, wei-sen sie plötzlich ein LDL-Cholesterin zwischen 230 und 240 mg/dl auf (wie die Amerikaner auch) und haben das gleiche Atheroskleroserisiko wie die Bewohner dort. Die Genetik tritt also in den Hintergrund, der Lebensstil mit all seinen Aspekten tritt hinzu und wird zum „Major player“. Aber wie kann man die Rolle eines „Syndromes“ dabei definieren? Triggert unser Le-bensstil nicht einfach die klassischen atherosklerotischen Risikofaktoren? Das würde bedeuten, dass Gesamtcho-

lesterin, LDL-Cholesterin sowie das Vorliegen einer Hypertonie oder eines Diabetes mellitus zusammen mit dem Alter das makrovaskuläre Risiko eines Patienten bestimmen sollten.

Bedeutung der Fettspeicherung

Gesamtcholesterin, LDL-Choles-terin und Hypertonie sowie auch der Diabetes sind nicht unabhängig vom Körperfett und besonders von der vis-zeralen Fettspeicherung zu sehen. Jede Fettspeicherung in unserem Körper ist wichtig für all diese konsekutiven Stoff-wechselstörungen. Je nach genetischer Disposition – also immer dann, wenn entweder der Mechanismus des Abbaues triglyzeridreicher Partikel (VLDL) via Lipoproteinlipasen (LPL) oder der Ab-bau der LDL-Partikel limitiert ist – wird zusätzlich eine Hyperlipidämie oder Dyslipidämie entstehen, die besonders im postprandialen Zustand erkennbar wird. Die Assoziation von bauchbe-tontem Übergewicht und Mortalität (in erster Linie kardiovaskulärer Genese) ist daher nicht überraschend. Wichtig ist, dass „freie Fettsäuren“ und Triglyzeride als Lieferanten derselben nicht nur via verstärkte Fettoxidation die Verwertung der Glukose vermindern, sondern auch selbst am Muskel die Insulinwirkung stören und somit die bereits genetisch

vorbestehende Insulinresistenz fördern und den Insulinbedarf weiter erhöhen, was die Entstehung von Glukosetole-ranzstörungen und Diabetes fördert.

Eine Zunahme des BMI um fünf Einheiten (rund 14,5 Kilogramm) er-höht die Wahrscheinlichkeit für eine Insulinresistenz und Hypersekretion von zehn Prozent auf 40 Prozent, eine weitere Zunahme des BMI um fünf Ein-heiten auf 70 bis 80 Prozent. Studien belegen auch direkte Zusammenhän-ge mit prokoagulatorischen Effekten auf die Blutgerinnung via PAI-1. Auf mögliche zentrale Mechanismen, die zur Fettmobilisierung im viszeralen Fett beitragen, wird hier nicht näher einge-gangen. Erwähnt sei jedoch, resultierend aus der Konstellation von Rezeptoren und deren Sensibilitäten, dass Stresshor-mone wie endogenes Kortison zu einer verstärkten Mobilisierung von Fett und daher sekundär zu einer Störung in der Insulinwirkung im Muskel (Resistenz-steigerung) führen müssen.

Ähnliches ist auch beim Blutdruck festzustellen (Abb. 1, pathophysiolo-gische Details in Tab. 1). In einer Stu-die mit normalgewichtigen und über-gewichtigen Personen (Cut-Off ca. 27kg/m2) wurde bei rund fünf Pro-zent der normalgewichtigen Normo-tensiven, aber 13 Prozent der über- :

33› ö s t e r r e i c h i s c h e ä r z t e z e i t u n g ‹ 3 › 2 0 0 8

: gewichtigen Normotensiven als Endorganschaden eine Links-Ventri-kuläre-Hypertrophie (LVH) diagnosti-ziert. Bei den normalgewichtigen Hy-pertensiven waren es 30 Prozent, bei den übergewichtigen Hypertensiven etwa 50 Prozent. In beiden Kollektiven war das Gewicht also entscheidend.

Damit wird die vor einiger Zeit im JAMA (Journal of the Ameri-can Medical Association) publizierte Neudefinition der Prä-Hypertonie ab 120/80 mm Hg und der Hypertonie ab 140/90 sehr sinnvoll, da sie be-reits Übergänge zum Risiko erfasst. Schon die Framingham Studie hat ja auf den kontinuierlichen Anstieg des kardiovaskulären Risikos bereits ab 115 mm Hg systolischen Blutdruckes hingewiesen, was sich in anderen Stu-dien und Meta-Analysen bestätigt hat. Auch bei alten Menschen besteht die Korrelation von Blutdruck und Risiko entgegen aller alter Hypothesen über den gesamten Bereich. All das erfolgt an sich schon bei Normalgewicht. Je-denfalls beschrieb Rudermann bereits 1981 “The metabolically obese, nor-mal weight individual“ und Reaven beschrieb ähnliches 1988 in seiner lecture über die „Role of insulin resi-stance in human disease“.

In jedem Fall ist das Metabolische Syndrom ein überzufälliges Zusam-mentreffen von Risikofaktoren, die

häufig mit Insulinresistenz vergesell-schaftet ist. Die „Insulin Resistance in Atherosclreosis Study“ konnte be-legen, dass bei Weißen, aber nicht bei Dunkelhäutigen, die Insulinresistenz bei der Atherosklerose wichtig ist. Ein systematischer rezenter Review konn-te belegen, dass auch unabhängig von den anderen Risikofaktoren das Meta-bolische Syndrom als Cluster bedeu-tend ist.

Ein modernes Verständnis der „Fett-leibigkeit“ muss daher jede deutliche Vermehrung der Körperfettmasse, in jedem Fall aber auch eine isolierte viszerale Fettverteilung ohne wesent-liches Übergewicht berücksichtigen (sarkopenische Adipositas = wenig Muskel, daher vom Gewicht her nicht auffällig). An sich reicht der Normbe-reich von 25 kg/m2 für den BMI für Weiße in Europa aus. Eine bauchbe-tonte viszerale Fettverteilung entsteht aus der Erfahrung immer dann, wenn der Patient kleiner ist oder im Erwach-senenalter deutlich Gewicht zunimmt, was eine rezente Studie belegt. Jede Zunahme des Bauchumfanges ist dann auch Indikator einer Ablagerung von Fett im viszeralen Anteil des Bauches. Exaktere, direkte Fettmessungen sind mittels MR und CT und in der Zu-kunft vielleicht mit speziellen neuen Impedanzmethoden möglich, stehen für Routinezwecke aber nicht zur Ver-fügung. So empfehlen wir heute die Messung des Bauchumfanges („Wa-ist“) als Mittelwert zwischen tiefer In-spiration und tiefer Expiration.

Der „ideale Bauchumfang“ beträgt für Europäer < 80 Zentimeter bei der Frau und < 94 Zentimeter beim Mann, ist aber abhängig von eth-nischen Einflüssen und kann daher selbst bei Europäern manchmal etwas niedriger liegen. Bei Asiaten gibt es je-denfalls niedrigere Grenzwerte, da sie eine besondere Tendenz zur viszeralen Fettverteilung haben. :

34/35 › ö s t e r r e i c h i s c h e ä r z t e z e i t u n g ‹ 3 › 2 0 0 8

Spezifika der androiden Fettverteilung

1. Adipositas des Mannes und der „bio- logisch älteren“ Frau2. Risiko für Neoplasien und Gallen- steine3. Risiko für degenerative Gelenkser- krankungen4. Risiko für kardiovaskuläre Erkran- kungen Tab. 1

© p

ictu

rede

sk.c

om

: Der „Übergangsbereich zur Krank-heit“ (mäßig erhöhtes kardiovaskuläres Risiko) liegt bis BMI 27 kg/m2 und beträgt beim Bauchumfang rund acht Zentimeter (bis 88 Zentimeter bei der Frau, 102 Zentimeter beim Mann) und ist mit der Indikation zur Lebensstilin-tervention verbunden.Ziel ist sowohl

bei BMI 25 bis 27 kg/m2 als auch beim Überschreiten der Bauchumfangsgren-zen zumindest die Stabilisierung der Entwicklung, und – insbesondere was die viszerale Fettverteilung betrifft – die Rückkehr unter die Bauchumfangs-grenze. Trotz oder gerade wegen seines Übergangscharakters ist dieser Bereich

auch das Stadium, in dem eine früh-zeitige Lebensstilintervention häufig geeignet ist, den Ausbruch der eigent-lichen „Krankheit“ zu verhindern oder zumindest deutlich zu verzögern.

Ab einem BMI von 30 kg/m2 befin-det sich der Betreffende unabhängig von der Fettverteilung im eigentlichen „Krankheitsbereich“ oder besser in einem „krankhaften Zustand“. Adipös heißt nicht notwendigerweise schon aktuell manifest symptomatisch krank. Nach längerer Zeit wird man das aber.

Ein pathophysiologisches Konzept

Das Metabolische Syndrom ist keine Krankheit per se, aber ein Zustand, der das Basisrisiko be-einflusst. Die Einzelerkrankungen des „Metabolischen Syndromes“, also Diabetes mellitus Typ 2, Hy-per- und Dyslipidämien, Hyperto-nie werden mit „Körperverfettung – Fettleibigkeit – Adipositas“ („Fett-krankheit“) assoziiert. Das „Metabo-lische Syndrom“ beginnt - rein zeitlich – oft ohne Diabetes in einer Kombi-nation von einigen anderen seiner Determinanten und bestimmt dann makrovaskuläre Risiken der Patienten stärker als die spätere Blutzuckerer-höhung selbst, auch wenn speziell postprandiale Blutzuckerspitzen si-cher ihren Teil zum kardiovasku-lären Risiko beitragen. Lange Zeit wurden zu hohe Nüchternblutzu-ckerwerte toleriert (bis 140 mg/ dl), Schon eine Studie aus dem Jahr 1986 belegt 5,7 mmol/l (104 mg/dl) als Grenzwert für Risikodefinitionen, weswegen nunmehr 100 mg/dl ge-nutzt werden. Trotzdem ist besonders bei jüngeren Risiko-Patienten (zu-mindest unter 50, möglicherweise 60 Jahren) immer ein OGGT anzuraten, da Glukose-Pathologien sonst leicht übersehen werden. Nach WHO-Kri-terien (mit OGTT) hat ein Diabeti-

Effekte der (viszeral > subcutanen) Fettspeicherung

1) Effekte auf den Lipidstoffwechsel: Dyslipidämie* (small dense LDL*, HDL-C* Erniedrigung, erhöhtes non HDL-C*)2) Effekte auf die Insulinresistenz3) Effekte auf Glukosetoleranz und Diabetes4) Leberfunktionsstörung (NASH)5) Hyperurikämie6) Effekte auf die Hypertonie (vor allem viszerales Fett) a) Natriumretention/Volumenexpansion b) Steigerung von Renin-Angiotensin-Aldosteron c) Steigerung der Sympathischen Nervenaktivität d) Leptin/Insulinresistenz assoziierte Mechanismen7) Vermehrung der Akutphasenproteine8) Effekte auf die Koagulabilität und Endothelfunktion

* Höheres Risiko dieser Trias als aus den absoluten (nicht spektakulär aussehenden) Werten zu vermuten, wird unterschätzt. Tab. 2

Hypertonie bei Gewichtszunahme

Abb. 1

36 › ö s t e r r e i c h i s c h e ä r z t e z e i t u n g ‹ 3 › 2 0 0 8

ker gegenüber einem Nichtdiabetiker nach 30 Jahren eine um 70 Prozent reduzierte Wahrscheinlichkeit des Überlebens, nach ADA-Kriterien (nur Nüchternblutzucker) ist sie um rund 60 Prozent vermindert.

Integriertes Risikofaktormanagement

Erst rezente Studien beweisen, dass nur ein intensives, zielorientiertes Ri-sikomanagement von echtem Wert für den Patienten ist. Somit wird auch in der evidenz-basierten Medizin das pathophysiologische Verständnis von multiplen, mit dem Metabolischen Syndrom assoziierten Risikofaktoren bestätigt.

Diskussion

Die „Fettleibigkeit“, die auch ger-ne als „Fettkrankheit“ bezeichnet wird, kommt selten allein, ist aber in jedem Fall von Krankheitswert. Wie die „Kuopio-Studie“ zeigen konnte,

beginnt das allerdings bei Europäern aber früher – etwa ab einem BMI von 25 kg/m2 und auch darunter – schon mit viszeraler Fettverteilung. Jeder assoziierte Risikofaktor kann allein, aber auch in variabler Kombination vorkommen. Das individuelle Risiko steigt dabei ganz klar mit der Zahl der Risikofaktoren, wird aber von den klassischen Risikotabellen nicht ganz erfasst, da eben Bauchumfang und Gewicht nicht eingehen.

Bereits zwei der Faktoren zusam-men mit der viszeralen Fettakkumu-lation ergeben in Wahrheit bereits vaskuläres Hochrisiko. Patienten ohne „Fettkrankheit“ hingegen können fol-gerichtig bei Einzelsymptomen wie beispielsweise Hypertonie oder Hy-perlipidämie etwas höhere Zielwerte aufweisen als Betroffene. Das absolute vaskuläre Risiko leichter und mäßiger monosymptomatischer Störungen ohne vermehrtes Körperfett ist zu-meist nämlich nur diskret erhöht. Selbstverständlich sind aber schwerere Störungen wie familiäre Hyperchole-

sterinämie oder schwerere Hypertonie-formen jedenfalls zu beachten und zu behandeln. Interessant ist, dass auch bei Familiärer Hypercholesterinämie (FH) das Insulinresis tenzsyndrom be-deutsam ist (Abb. 2).

Schlussfolgerungen

Unzählige Studien der letzten Jahre belegen die Bedeutung des Metabo-lischen Syndromes und die Notwen-digkeit der Lebensstilintervention. Interessanterweise gibt es keine andere Therapie, die so zentral in den Meta-bolismus eingreift wie dieselbe. Die Senkung von Blutzucker, Blutdruck, Blutfetten und Verbesserung der Dys-lipidämien, vornehmlich Erhöhung des HDL-Cholesterines sind ebenso festzustellen wie die Senkung von pro-koagulatorischen Faktoren und Ent-zündungsparametern.

Somit werden Waage und Maßband, eventuell auch die Körperfettmessung zum integralen Bestandteil einer ver-nünftigen vaskulär-präventiven Thera-pie. Damit ist der klinische Alltag, der oft allzu Labor- und Untersuchungs-orientiert abläuft, wieder auf dem Weg, „praktischer“ und patientenge-rechter zu werden. Es ist aber auch notwendig, von der ausschließlichen Behandlung von Einzelsymptomen wieder hin zu Konzepten zu kommen, die auch das Gewicht und die viszerale Fettleibigkeit einschließen. Da wird auch die Sozialversicherung umden-ken müssen, denn derzeit sind Thera-pien mit dem Ziel der Gewichtsreduk-tion von der Erstattung ausdrücklich ausgeschlossen. :

Univ. Prof. Dr. Hermann Toplak, Medizinische Universität Graz/ Universitätsklinik für Innere Medizin, Auenbruggerplatz 15, 8036 Graz; Tel.: 0316/385/80 246; E-Mail: [email protected]

Insulinresistenz und KHK-Risiko bei Patienten mit und ohne Familäre Hypercholesterinämie

Abb. 2

37› ö s t e r r e i c h i s c h e ä r z t e z e i t u n g ‹ 3 › 2 0 0 8