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Mit diesem Buch legt Björn Kuhligk seine erste Prosasammlung vor. Eine Sammlung über Çay in Eskişehir, Abteilungsleiter und Fußball, über Götter auf dem Speicher, Erste-Welt-Idioten, über gestrandete Junkies und Erste-Hilfe-Maschinen. ☞ www.belletristik-berlin.de/bodenpersonalTRANSCRIPT
Q21 Verlagshaus J. Frank | BerlinBibliothek Belletristik | Quartheft 21
isBn: 978-3-940249-36-4 | Preis: 18,90 € www.belletristik-berlin.de | 100% Independent ♥
Mit „Bodenpersonal“ legt Björn Kuhligk seine erste Prosasammlung vor.
In 24 Erzählungen von szenischer Dichte, Reisetagebuchskizzen und konsequent reduzierten Prosaminiaturen bewegt sich Kuhligk zwischen dem zyklischen Erleben der Fremde und der Signifikanz aufgeladener Augenblicke. Mit einer unmittelbaren, kräftigen und unge-zwungenen Sprache setzt Kuhligk seine Texte unter Strom.
Eine Sammlung über Çay in Eskişehir, Abteilungsleiter und Fußball, über Götter auf dem Speicher, Erste-Welt-Idioten, über gestrandete Junkies und Erste-Hilfe-Maschinen.
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Björn Kuhligk Illustrationen von
Oliver Hummel
Bodenpersonal
Björn Kuhligk Illustrationen von Oliver Hummel
Der liebe Herrgott auf dem Speicher
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— Quebec!
— Berlin!
— Ah, très bien, i will go there!
Sie ist mit ihrem besten Kumpel ins Bett gestiegen. Nur so, um
mal zu wissen, wie das ist. Dann wurde sie schwanger. Sie lebt mit
dem Vater ihres Kindes zusammen. Für das Mädchen, erklärt sie.
Er sagt, dass das gut wär, sie lächelt nur schief. Er ist ein Idiot, sagt
sie, manchmal auch ein Kind, dann habe ich zwei. Sie erzählt von
ihren Liebschaften, von den Frauen, die, bevor das Mädchen
morgens aufwacht, die Wohnung verlassen haben sollen.
Sie stößt mit einer ungelenken Handbewegung den Aschen-
becher um, den er wieder hinstellt. It’s my life, sagt sie.
Sie grinst und dreht einen Joint. Sie hat lange Haare, deren rost-
rote Locken sich nicht verfolgen lassen. Ein Haarlabyrinth. Er
versucht, ihr beim Aufpicken der Marihuanakrümel behilflich
zu sein. Er sagt, dass er nicht mitrauchen würde. Sie mustert ihn,
lächelt und dreht weiter. Als sie fertig ist, zündet sie den Joint an,
stößt den Rauch durch die Nasenlöcher und fragt, warum nicht.
Er sagt, dass er nicht mag. Die Wirkung würde ihn dermaßen hilflos und lächerlich erscheinen lassen, dass er keinen Spaß daran hätte. Sie raucht, er trinkt Dosenbier. Sie spiegeln sich in
der verglasten Wand. Laute Musik hämmert aus den Boxen, die
in jeder Ecke des Raums an der Decke hängen. Ich war Junkie,
sagt sie.
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Sie hat keine Geldanlage, keinen Bausparvertrag, kein Vertrauen.
Er sieht das.
Sie verlassen das Hotel und gehen durch die Straßen. Es ist kalt.
Es beginnt zu schneien. Sie trägt eine Wollmütze und hat sich
mit einem langen Schal vermummt. Eine Frau, die nicht erkannt
werden möchte, denkt er. Sie durchqueren das Rotlichtviertel,
während er immer unruhiger wird und die Bewegungen der ent-
gegenkommenden Passanten beobachtet. Sie läuft, als wären
diese Straßen wie alle anderen. Sie scheint nicht zu hören, wie
ihm flüsternd alle möglichen Drogen angeboten werden und
nicht zu sehen, wie sich ein Mann zitternd krümmt. Sie hört nicht,
wie ihn einer fragt, ob er blond wäre und der damit nur seine Nase
meint. Sie geht und er geht mit.
Sie dreht sich einen neuen Joint. Sie raucht so viele Joints, wie
er Zigaretten raucht. Sie macht das mit den immer gleichen Be-
wegungsabläufen. Sie ist keine von denen, die sich mit einer
großen Wasserpfeife für die Erinnerung fotografieren lassen.
It’s my life, sagte sie.
Sie suchen sich einen Coffee-Shop und bestellen Früchtetee. Er
fragt, wie sie abhängig geworden sei, sie möchte darüber nicht
sprechen. Sie geht zur Theke, wählt eine Gras-Sorte aus den
dreißig Plastikbehältern, die den Coffee-Shop wie einen Tee-
laden wirken lassen, und kommt zurück. Er entschuldigt sich für
seine Frage und nippt an dem heißen Tee. Mit vierzehn sei sie
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abhängig geworden, beginnt sie zu erzählen. Mit achtzehn hat
mich meine Mutter in eine Therapie gesteckt. Sie hat eines
Morgens in meinem Zimmer eine Spritze gefunden. Meinen
Vater hat das nicht interessiert. Ich war dann ein halbes Jahr lang
in der Klinik und später in einer offenen Therapie. Die Schule
habe ich nicht geschmissen, das denkst du bestimmt, würde ja
auch ins Bild passen, nein, sagt sie, das kannst du vergessen, ich
war gut in der Schule.
Er könnte ihr jetzt sagen, dass er keine Geldanlage und keinen
Bausparvertrag hat. Aber dass er Vertrauen hat. Und dass er niemandem etwas vorzuwerfen hat. Und dass er denkt, dass jeder
bitte für sich.
Ich habe den Abschluss mit Auszeichnung bestanden. Ich war
in Chemie besonders gut und habe mir aus Apotheken Zutaten
besorgt, mit denen ich auf eine preiswerte Art Drogen herstellen
konnte, die ich dann verkauft habe. Weißt du, you know, sagt sie
immer wieder verschwörend, anfangs brauchte ich nur wenig,
aber es wurde immer mehr. Ich brauchte Geld und habe alles
gestohlen, was man schnell zu Geld machen konnte: Zigaretten,
Alkohol, Autos. Die Autos habe ich an einen Kumpel verkauft, der
sie weiterverkauft hat. Viel Geld habe ich dafür nicht bekommen.
Es ist ein Klischee, denkt er und es ist wahr, er könnte es anfassen
und sie hat ein Mädchen mit dem Vater ihres Kindes.
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Ich habe nie meinen Körper verkauft, sagt sie nach einer halben
Stunde, in der er eine deutsche Zeitung las und sie mit einem
blauen Stift Bierdeckel schraffierte. Sie sagt es so, als wäre ihr
diese Feststellung wichtig, bedeutend für sie und auch für ihn.
Sie erklärt, dass sie das brauchen würde und nickt mit dem Kopf
Richtung Joint. 28 Gramm in der Woche, sagt sie. Er nickt und
sagt nichts.
Draußen läuft sie wieder mit diesem Schal im Gesicht. Er begehrt
sie.
Sie stehen in dem Raum, in dem sie sich trafen. Sie wünschen ein-
ander eine gute Nacht und verabreden sich für den nächsten Tag
zum Frühstück. Er sagt, dass er ihr morgen ein Grachtenhaus
zeigen möchte, wo der liebe Herrgott auf dem Speicher wohnt.
Sie lächelt und sagt, dass sie das freuen würde.
Er liegt im Bett und sieht in Quebec ein kleines Mädchen mit
roten Haaren aufwachen. Der Vater dieses Kindes bereitet das
Frühstück.
Während er sich ein Brötchen schmiert, dreht sie den ersten Joint
des Tages und raucht ihn hastig zum zweiten Kaffee. Als sie auf
der Straße stehen, bindet sie wieder ihren Schal um den Kopf
und setzt sich eine Wollmütze auf, so dass nur noch ihre Augen
zu erkennen sind. Sie laufen zu dem Grachtenhaus und werden
von zwei Museumswärtern begrüßt. Ihre Jacken stecken sie in
ein Schließfach und betreten die Museumsräume. Er sagt, dass er
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erzählen möchte, was er noch von seinem letzten Besuch erinnern
könne. Das Haus hat fünf Stockwerke. Es gab einen Krieg, in dem
die Katholiken den Protestanten unterlagen. Ab diesem Zeit-
punkt durften die Verlierer ihre Religion nur noch im Privaten
ausüben und so bauten wohlhabende Katholiken Gebetsräume
in ihren Häusern, weniger wohlhabende hängten Kreuze in ihren
Wohnzimmern auf. Sie lächelt. Aufmerksam betrachtet sie die in
Glasvitrinen ausgestellten Gegenstände.
Er hat das Gefühl, dass sie noch nie zuvor in einem Museum war.
Das mag täuschen. Vielleicht ist es auch zu lange her. Er meint zu
sehen, dass sich in ihren Augen etwas öffnet. Etwas Staunendes.
Sie hat ein Kind, denkt er.
Dazu sagen die Amsterdamer „Der liebe Herrgott auf dem
Speicher“, sagt er und tritt eine weitere Stufe empor, sodass sie
die Kirche sehen kann. Es war auch für ihn das erste Mal ver-wunderlich, ein Wohnhaus zu betreten, und plötzlich im dritten
Stock eine Kirche zu finden, die sich über drei Stockwerke zieht
und diesen Raum, der für zweihundert Personen geschaffen
wurde, zu begreifen. Sie gehen in den zweiten, dann in den dritten Stock und stehen später hinter der alten Orgel, deren Tastatur durch Plexiglas geschützt wird. Er erklärt ihr den Mecha-
nismus und zeigt auf den Hebel, der den Blasebalg betätigt. Sie
möchte es ihrem Mädchen zeigen, sagt sie, irgendwann.
Vor dem Grachtenhaus rutscht sie aus und fällt unglücklich auf
den Rücken. It’s my life, sagt sie, als er ihr wieder auf die Beine hilft.
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Ich weiß, sagt er auf deutsch und schickt j’ai compris hinterher.
Sie wird das schon verstehen, denkt er, seine Bemühungen, ver-
standen zu werden.
Sie gehen in ein Café, das unweit des inneren Grachtengürtels
liegt. Er bestellt Kaffee, sie dreht am nächsten Joint. Er wartet an
der Theke, sieht aus dem Fenster, vor dem sie rauchend sitzt und
hinter dem sich die Schneeflocken Richtung Pflastersteindecke
senken. Er denkt an seine Freundin, die zu Hause geblieben ist
und mit der er vor einigen Tagen in der Oper saß, wo er nach
dem Schlusston einer Arie gedanklich darauf bestand, dass sie
zusammen schön sind. Er bestand darauf im Stillen. Das war
nichts für seine Freundin. Er balanciert die mit heißem Kaffee
gefüllten Becher an den Fensterplatz, wo sie ihn lächelnd be-
grüßt und leise merci sagt.
Er denkt, wie leicht es wäre, für Jahre hier zu sitzen und von der
Gegenwart überholt zu werden. Es würde ihn nicht stören.
Es kribbelt an seinem Bein. Er holt das Handy aus der Hosen-
tasche. Sein Bruder wünscht ihm ein frohes Fest und, wenn sie
sich nicht mehr sehen sollten, auch einen guten Rutsch. Er drückt
die Nachricht weg.
Weißt du, beginnt sie wieder, ich muss dir das jetzt weiter-
erzählen. You know, sagt sie wieder eindringlich, sonst hast du nur
den halben Abfalleimer gehört. Sie lächelt. Da war ein Tag, ich
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war vollkommen zugedröhnt und stand an einer Ausfallstraße,
ich stand da einfach so rum. Plötzlich hielt ein Auto neben mir, in
dem drei Typen saßen, die mich fragten, ob ich Lust auf eine Party
hätte. Ich überlegte, aber es gab nicht viel zu überlegen. Weißt du,
ich war damals locker, ich war cool, es war mir egal, was abging, ich
brauchte nur Stoff, mehr nicht. Also stieg ich ins Auto und dachte,
ja klar, Party, laute Musik und Bässe, die im Magen ankommen,
was reinziehen und feiern, klar bin ich da mitgegangen.
Das ist einfach, sagt sie, wenn dein ganzes Leben darauf ausge-
richtet ist, den nächsten Schuss zu bekommen, wird dein Gehirn
taub. Das Fleisch wird dumm. Es läuft, es isst, es scheißt und dann
läuft es wieder zum nächsten Schuss. Und dann macht man jeden
Mist. Wir hielten an der Hintertür einer Diskothek, stiegen aus
dem Wagen und einer der Typen schlug mit der Faust dagegen.
Die Tür öffnete sich nach einigen Momenten und dann weiß ich
nicht mehr viel. Ich sah nur, wie einer der Typen eine Pistole zog
und dem Mann, der die Tür geöffnet hatte, ins Gesicht schoss.
Ich stand direkt vor ihm. Ich hatte Blut im Haar. Ich schrie wie
bescheuert.
Es begann alles besser zu werden, als meine Mutter nach vier
Jahren diesen ganzen Horror beendete. Und da sah ich mit einem
Mal die Angst in ihren Augen. Und da ist ja immer das Bedürfnis,
seinen Eltern zu gefallen und das ging da nicht mehr, aber das
nur am Rand. You know, ich hatte einen besten Kumpel. Wir ver-
brachten eigentlich die ganze Zeit miteinander. Wir benutzten
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auch immer dieselbe Spritze. Es war klar, dass wir sauber sind. Er
ist später an Aids gestorben. Ich war damals in Behandlung, das
hat mich für lange Zeit zurückgeworfen.
Er hat die Hände auf seinen Kopf gelegt und massiert die Haut.
Er schaut auf und fragt sie nach einem weiteren Kaffee. Sie nickt.
Er geht zur Theke. Während er auf den Kaffee wartet, sieht er aus
dem Fenster. Mir geht es gut, denkt er, so schlecht kann es mir
nicht gehen. Es geht schon besser. Draußen schneit es noch
immer. Er kommt mit den Bechern zurück, setzt sich und fragt
sie, wie sie sich mit dem Vater ihres Kindes verstehen würde.
Sie lächelt müde, bewegt die Hände nach unten und sagt, dass
sie sich mal geliebt hätten. Aber das wurde mit den Monaten zu
einem Austausch von Gewohnheiten, später wurde es Ekel vor
dem anderen Körper. Und wenn man zusammen mit dem Kind
verreist war und man ein Hotelzimmer betrat, ließ man die
Betten getrennt stehen.
Sie hat ein verlebtes Gesicht, gerahmt von dem Labyrinth der
Haare. Es sind kleine und schmale Locken, die er gern zwischen
Daumen und Zeigefinger nehmen würde. Er ist sich sicher, dass
ihr Mädchen auch ein solches Labyrinth hat.
Ich arbeite jetzt beim Film, sagt sie und grinst. Ich verdiene gutes
Geld für schnelle Arbeit. Ich bin da jeden Morgen und sage den
anderen, wo sie stehen sollen. Dann kommt mein Boss und
segnet das ab. Ich brauche Geld. Das ist alles. Für mein Mädchen,
fügt sie hinzu.
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Kanada hat viel Natur, es ist wunderschön. I like it, sagt sie. Es ist
still dort. Nach der Stille befragt, schüttelt sie den Kopf und sagt,
dass sie das nur auf Französisch erklären könne. Er zieht verlegen
an seiner Zigarette.
Draußen das gefrorene Wasser der Grachten. Er könnte mit
Schnee nach ihr werfen, denkt er, damit sie ihn stößt, um ihn
davon abzuhalten. Nur, damit sie ihn mal berührt. Sie muß eine
schöne Brust haben.
Sie legt sich in den Schnee und bewegt ihre Arme, sodass Halb-
kreise entstehen, und lässt sich dann von ihm nach oben helfen.
Sieh dir das an, sagt sie, jetzt habe ich einen Engel gemacht. Er hat
keine Augen, denkt er.
Morgen ist Weihnachten und da bin ich wieder zu Hause, sagt er
auf Deutsch und sieht sie an. Sie lächelt und sagt auf Französisch,
dass sie es nicht verstanden hätte. Er nimmt ihre linke Hand,
drückt sie kurz und lässt sie wieder los. C’est bon, sagt er. Mit der
Körperhaltung muss man es tun, denkt er und fühlt, dass er sehr
ungelenk wirkt.
Er hat ihr einen kleinen Weihnachtsmann aus Plastik gekauft.
Wenn man ihn seitlich drückt, singt er eine Melodie.