r. 2 (studien) nr. 83
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RETROSPEKTIVEN IN SACHEN BILDUNG | Das Schulgebäude als bildungsgeschichtliches Panorama. Ein Beitrag zur Didaktik der Historischen Pädagogik.TRANSCRIPT
ISSN 1019-2379
RETROSPEKTIVEN
IN SACHEN BILDUNG
R. 2 (STUDIEN) NR. 83
Das Schulgebäude als bildungsgeschichtliches Panorama
Ein Beitrag zur Didaktik der Historischen Pädagogik
Von
ELMAR LECHNER
Klagenfurt 2014
Inhaltsverzeichnis
Sieben Thesen ..................................................................................... 1
„Wohnung des Directors der Anstalt“ ................................................ 5
„Conferenz-Zimmer der Lehrer“ / „Conferenz-Zimmer
der Lehrerinnen“ ........................................................................ 7
„Lehrer-Bildungs-Anstalt – Lehrzimmer“ /
„Lehrerinnen-Bildungs-Anstalt – Lehrzimmer“ ..................... 14
„Männliche Übungs-Schule – Lehrzimmer“ /
„Weibl. Übungs-Schule – Lehrzimmer“ ................................ 20
„Gemeinschaftliche Bibliothek“ ....................................................... 23
Literatur ........................................................................................... 27
Edition (Jubelfeier 1875, Stoy 1861, Deinhardt 1869,
Schumann 1875, Engelhard 1896, Böhm 2005,
Herrmann 2007) ......................................................................... I
Reproduktionen ........................................................................... XLIX
1
Das Schulgebäude als bildungsgeschichtliches Panorama
Ein Beitrag zur Didaktik der Historischen Pädagogik
Von
ELMAR LECHNER
Veranschaulichen und Vergleichen
Verhindert Vergessen
Sieben Thesen
1. Die Lehre der Historischen Pädagogik ist im Allgemeinen zu wenig
eindringlich und nachhaltig; sie geht vielfach ins Leere; nur ein Teil
dessen, was angeboten wird, wird angenommen. Indizien bzw. Wortmeldungen, die in diese Richtung weisen: „Bekanntermaßen
ist die Ausbildung der künftigen Unterrichtenden aller Schularten durch einen
nahezu vollständigen Ausfall an Schulgeschichte gekennzeichnet. Dies liegt we-
niger an dem oftmals beklagten, aber kaum beweisbaren mangelnden histori-
schen Verständnis der Gegenwart, als vielmehr an der Erwartung eines pädago-
gischen Handlungsdrucks, angesichts dessen historische Einsichten und Kennt-
nisse unnütz erscheinen, und an den früheren Formen der Vermittlung einer
Schulgeschichte als Institutionen- und Persönlichkeitsgeschichte. Die Institutio-
nengeschichte sprach nicht an, und die Geschichte pädagogischer ‚Persönlich-
keiten’ – in bester Absicht um der erwarteten Vorbildwirkung willen erzählt –
entmutigte eher. Was hatte man schon mit einem Pestalozzi, Herbart, Kerschen-
steiner und Glöckel gemein?“ (HIERDEIS 1985, S. 43 f.) „Tatsächlich hat eine
Analyse der Stellendenominationen der vergangenen 10 Jahre für die Allgemei-
ne Pädagogik ergeben, dass die historische Dimension nur noch äußerst selten in
einer Spiegelstrichvariante im Reigen der Lehrstuhlaufgabengebiete erscheint.
Geschichte der Pädagogik ist out – dieser Eindruck wird spätestens im Zusam-
menhang mit den Erkenntnissen aus der Analyse der ausgeschriebenen Professu-
ren bestätigt.“ (FIEGERT 2006, S. 17) „Eine Umorientierung der akademischen
Erziehungswissenschaft zur anwendungsbezogenen Bildungsforschung würde
die H.P. [Historische Pädagogik] als einen Kernbestand unseres ‚kulturellen Ge-
dächtnisses’ in ihrem Fortbestand bedrohen.“ (HERRMANN 2007, S. 321)
2
2. Dies liegt daran, dass es an “Sinnlichkeit“ und Sinnhaftigkeit der
Lehre fehlt. Es sieht danach aus, dass Otto Willmann – vor gut einhundert Jahren – die Phä-
nomene (akademische) Lehre und (schulischer) Unterricht zu streng voneinan-
der geschieden hat: „Jemand lehren heißt: ihm die Aneignung eines geistigen
Inhalts, des Lehrstoffes vermitteln; es wird zum Unterrichten gesteigert, wenn
sich damit zugleich die Obsorge für die Aneignung jenes Inhalts durch den Ler-
nenden verbindet.“ (WILLMANN 1908, S. 917 f.)
3. Die Alternative zu diesem doppelten Defizit lautet: Zum einen Ver-
anschaulichung und zum andern Verbindung von Geschichte und Ge-
genwart bzw. Verschränkung von verortendem und vergleichendem,
auch zeitgenössische kontroverse Diskussionen herausarbeitendem
Verfahren. Anschaulichkeit und Gegensätzlichkeit (Gegenwart als
„Didaktisches Gegenüber der Geschichte“ als vertikaler und die Äu-
ßerung gegensätzlicher Meinungen als horizontaler Aspekt) stellen
also die beiden gegen das genannte Defizit aufgebotenen Prinzipien
dar. In systematischer Weise zum Kriterium Veranschaulichung Christoph Semler,
in emphatischer Johann Heinrich Pestalozzi: „Nun sind aber in der Erkenntniß
derer sichtbaren Dinge in der Welt unterschiedene Gradus. Denn es giebt uns
eine Erkenntniß v.g. von der Stadt Rom 1) eine Beschreibung derselben in ei-
nem Buche. Diese Erkenntniß ist gegen die folgenden nur matt, und wie man
etwas Abends in der Demmerung siehet. Wird uns aber die Stadt Rom zum 2)
von einer Person die 20 Jahr darinnen gewohnet hat, und aller und jeder Gegen-
den derselben wol kundig ist, umständlich und deutlich durch einen weitläuffti-
gen Discours beschrieben, so wird die Erkenntniß viel lebhaffter, weil man in
dem, was man noch nicht genug verstehet; weiter fragen kan, welches sich bey
Lesung eines Buches nicht thun läßt, als welches mir keine Antwort zu geben
vermag. Wird nun die Stadt Rom uns zum 3) in einem grossen schönen Kupffer-
Stich, oder noch deutlicher 4) durch ein Gemählde mit lebendigen Farben vorge-
stellet, so wird die Idee von derselben in Gemüthe noch viel hellerer und deutli-
cher. Sähe ich aber zum 5) die Stadt Rom mit allen ihren Mauren, Thoren,
Thürmen, Pallästen und allen Strassen abgebildet in einem eigentlichen Modell,
so ist dieses ein solcher Gradus der Erkenntniß, der alle vorige übertrifft. Wenn
aber einer selbst nach Rom reisete, und 6) diese Stadt selbst gegenwärtig vor
Augen sähe, und ihre gantze Situation nach allen Gassen und Umständen be-
trachtete, so wäre solches vor allen vorerwähnten unstreitig der höchste Grad der
Erkenntniß. Und dieser höchste Grad der Erkenntniß derer, im menschlichen
Leben sehr nützlichen Sachen ist es, der bey aller Information billig zu erst in-
tendiret werden solte, also, daß alles entweder in natura oder im Modell gezeiget
würde.“ (Christoph Semler 1739, zit. n. LECHNER [Hrsg.] 2010, S. 53 f.) Bzw.
3
„Und bei jeder einzelnen Ansicht komme ich auf die Behauptung zurück: daß
die Lücken des europäischen Unterrichts oder vielmehr das künstliche Auf-den-
Kopf-Stellen aller natürlichen Ansicht desselben diesen Weltteil dahin gebracht
hat, wo er jetzt liegt, und daß kein Mittel gegen unsre schon geschehenen und
noch zu erwartenden bürgerlichen, sittlichen und religiösen Überwälzungen
möglich sei als die Rücklenkung von der Oberflächlichkeit, Lückenhaftigkeit
und Schwindelköpferei unsers Volksunterrichtes zur Anerkennung, daß die An-
schauung das absolute Fundament aller Erkenntnis sei, mit andern Worten, daß
jede Erkenntnis von der Anschauung ausgehen und auf sie müsse zurückgeführt
werden können.“ (Johann Heinrich Pestalozzi 1801, zit. n. PFEFFER [Bes.] 1961,
S. 158 f.) Und eine Stimme zum Kriterium Verbindung von Geschichte und Ge-
genwart: „Der Wert der Ideen- und Gedankenbildung aus historischen Kenntnis-
sen und aus dem Vergleich des Geschehenen mit dem Gegenwärtigen gilt auch
für die Pädagogik. (…) Die Wertbemessung alles Gegenwärtigen ist aber nur
aus dem Vergleich mit Vergangenem zu gewinnen. Darum bedarf auch der
Schulmann eigener historischer Schulung.“ (KÖCHL 1917, S. 118) Hinzuzufügen
ist, dass sich Anschaulichkeit in dem in der 5. These beschriebenen Falle nicht
nur auf die Architektur, sondern auch auf die Literatur, also die Abbildung von
Titelblättern und Texten verwendeter Schriften, bezieht. Das Kriterium Gegen-
sätzlichkeit kommt anlässlich der Vorstellung der Räume „Conferenz-Zimmer
der Lehrer / der Lehrerinnen“ (Geschlechterverhältnis bzw. -trennung als Prob-
lem) (hier S. 11-13) bzw. der Räume „Lehrzimmer Männliche / Weibl. Übungs-
Schule“ (hier S. 20 f.) (Praxis der praktischen Ausbildung als Problem) (hier S.
20 f.) ins Spiel.
4. In besonderer Weise eignet sich hierfür das Phänomen Lehrerbil-
dung, da sich dieses durch Komplexität und Aktualität auszeichnet.
5. Als diesbezügliches Musterbeispiel kann die „Lehrer- und Lehre-
rinnenbildungsanstalt“ in Klagenfurt fungieren: Sie wurde im „Be-
richt über österreichisches Schulwesen“ (WALSER 1873) als vorbild-
lich hin- bzw. vor Augen gestellt (S. 598 bzw. Taf. 8-111; siehe hier S.
1 Zum Bau und zur Baugeschichte die Anmerkung im I. BERICHT 1874, S. 84:
„Schulhausbau. Die k. k. Lehrerbildungsanstalt war im Gebäude der k. k. Ober-
realschule und im Bürgerspitale nothdürftig untergebracht und es war keine
Aussicht vorhanden, dass der Anstalt bei ihrer allmähligen Erweiterung neue
Lokalitäten zur Verfügung gestellt werden könnten. Deshalb brachte der Direk-
tor schon am 1. August 1870 den Neubau eines Anstaltsgebäudes in Anregung
und schlug den ehemaligen landwirtschaftlichen Garten in der Bahnhofstraße als
Bauplatz vor. [Die Kopie eines diesbezüglichen Handschreibens des Direktors
Brandl vom10. Mai 1870, Kärntner Landesarchiv, LSCHR 2, 1870, 4-2, 13-1,
hier S. CXVI] Der h. k. k. Landesschulrath nahm sich des Projects auf das
4
XLIX-LII), sie hat fast einhundert Jahre (1869-1962) ihren Dienst ge-
tan und sie bzw. ihr repräsentativer, zur Straßenseite hin gelegener
Trakt steht heute noch als Objekt der Veranschaulichung im reellen
(Bahnhofstraße 362) und im virtuellen Modus
3 zur Verfügung.
4
6. Mit Bezug darauf ist davon auszugehen, dass der betreffende Bau-
plan Ergebnis gesetzlicher Vorgaben bzw. eines bildungstheoretischen
und schulorganisatorischen Plans ist, und davon, dass das Schulge-
bäude und seine Einheiten bzw. Räumlichkeiten für den bildungsge-
schichtlichen Beobachter Ort und Schauplatz der Veränderungen die-
ses Plans im Laufe des betreffenden Jahrhunderts sind.
7. So ist es möglich, Historische Pädagogik im Modus eines Lehr-
gangs durch Raum und Zeit unter pädagogischen Vorzeichen zu leh-
ren. Dabei ist einerseits zu bemerken, dass als Vorzeichen das System
bzw. die Struktur der Allgemeinen Pädagogik nach Winfried Böhm
(BÖHM 2005, s. hier S. XLIII-XLV) gewählt (und exemplarisch ange-
wandt) wurde, und andererseits, dass der Durchgang durch das
Schulgebäude unter Berücksichtigung der hierarchischen Struktur des
Lehrkörpers erfolgt.
wärmste an und erwirkte vom h. k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht die
Bewilligung hiezu, welche am 2. November 1870 erfolgte. Wegen der nötigen
Vorbereitungen und der verfassungsmäßigen Genehmigung konnte der Bau erst
mit Juli 1871 begonnen werden. Noch in diesem Jahre bis zum Dache aufge-
führt, konnte das Gebäude Mitte Oktober 1872 bezogen und feierlich eröffnet
werden. Der Bau ist solid, architektonisch schön und in jeder Beziehung
zweckmäßig für beide Anstalten eingetheilt. Die Kosten beliefen sich sammt
Ankauf des Grundes in runder Summe auf 150000 fl.“ – Hier sei noch ange-
merkt, dass Gesperrtes durchwegs kursiv gesetzt wurde und dass die Abkürzun-
gen „LBA“ und „LnBA“ für „Lehrerbildungsanstalt“ bzw. „Lehrerinnenbil-
dungsanstalt“ stehen. – Spezialität: Suchrätsel im Buchtitel hier auf S. LXVI … 2 Eine realistische, von Egon Wucherer angefertigte Zeichnung dieses Trakts in:
75 JAHRE 1947, Blatt vor Titelblatt. (Reproduktion hier S. LIII.) 3 (www.schulmuseum.at/Ausstellungen/Ausstellung 2000)
4 In ähnlicher, essayistischer Weise hat Kurt Scholz die Entwicklung der Päda-
gogik und der Psychologie (von Sigmund Freud bis Lotte Schenk-Danzinger)
mit Bezug auf die Stadt Wien dargestellt (SCHOLZ 2014).
5
„Wohnung des Directors der Anstalt“ (Zweiter Stock) (Taf. 10)
Gesetzliche Grundlage, auf der die Einrichtung auch dieser „Woh-
nung“ beruht, ist das Reichsvolksschulgesetz (RVG) vom 14. Mai
1869: „Die (…) Herstellung der Lehrerwohnungen regeln besondere
Landesgesetze.“ (GESETZ 1869, S. 135, § 63). Dieses Gesetz steht in
der Tradition des frühneuzeitlichen Prinzips „Das Schulhaus als das
Haus des Schulmeisters“ (LANGE 1967, S. 20-81) bzw. des Verständ-
nisses des Lehrers als Hausvater, der hinsichtlich der Hausgenossen
sowohl weisungsbefugt als auch verantwortlich ist: Der erste Direktor,
Dr. Josef Brandl (Brustbild KÄRNTISCHER LEHRERKALENDER
1897/98, gegenüber Titelblatt, hier S. LIV; die Namensliste der Direk-
toren bei SEIWALD 1962, S. 59), „wohnt im Schulgebäude“ (I. BE-
RICHT 1874, S. 79; im FICKER 1873, S. 76, und bei BRAUMÜLLER
1925, S. 20, ist von der „Naturalwohnung des Directors“ die Rede)
und ihm ist (gem. § 1 der VERORDNUNG 1869, S. 220) „Die unmittel-
bare Leitung und Ueberwachung der Lehrerbildungsanstalt (…) und
die Vollziehung der gesetzlichen Vorschriften“ übertragen. Dies be-
deutet zum einen – da er auch für die als „Uebungs- und Musterschu-
le“ fungierende, der LBA zugeordnete Volksschule verantwortlich ist
–, dass er für das Erreichen des Ziels der Volksschule („Die Volks-
schule hat zur Aufgabe, die Kinder sittlich-religiös zu erziehen, deren
Geistesthätigkeit zu entwickeln, sie mit den zur weiteren Ausbildung
für das Leben erforderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten auszustat-
ten und die Grundlage für die Heranbildung tüchtiger Menschen und
Mitglieder des Gemeinwesens zu schaffen“ (GESETZ 1869, S. 127, §
15) geradezustehen hat und zum andern, dass er darauf zu achten hat,
„dass die Lehramtszöglinge jener Lehrerbildungsanstalten, mit denen
Convicte nicht verbunden sind, bei ehrbaren Familien wohnen.“
(VERORDNUNG 1869, S. 223, § 21; der nächstfolgende Paragraph:
„Der Besuch von Wirthshäusern, ausser mir Erlaubnis des Directors, 5 Dessen Pendant 1962, das sich allerdings auf das gesamte österreichische
Schulwesen bezieht: „Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Ent-
wicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen
Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen
ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mit-
zuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf
erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bil-
dungserwerb zu erziehen. (…)“ (BUNDESGESETZ 1962, S. 1178, § 2).
6
die Theilnahme an Spiel- und öffentlichen Tanzgesellschaften ist den
Zöglingen untersagt“.) Die Rolle des Direktors als Adressat gesetzli-
cher uns sonstiger obrigkeitlicher Anordnungen wird von vornherein
festgeschrieben: „Die Zöglinge sind durch Wort und Beispiel zur Re-
ligiosität, zum sittlichen Anstande, zur Verträglichkeit und Ordnungs-
liebe, zur Genauigkeit in der Pflichterfüllung anzuhalten. Ferner ist
auf die Kräftigung der Vaterlandsliebe, Anhänglichkeit und Treue an
den Monarchen und die Verfassung hinzuarbeiten.“ (Ebd. § 20) Unter
anderen politischen Umständen lauten die Anweisungen anders: „Am
22. Dezember 1931“, so wird berichtet, „waren die Bundesangestell-
ten an ihr besonderes Treueverhältnis dem Staate gegenüber erinnert
worden. Am 11. April 1933 wurde dieser Erlaß in Erinnerung ge-
bracht und jede parteipolitische Betätigung untersagt. Das Tragen von
Abzeichen im Amte wurde verboten. Die Mitglieder des Lehrkörpers
hatten die Kenntnisnahme dieser Verordnung mit Unterschrift zu be-
stätigen. Am 12. Mai wurde auf die Pflicht verwiesen, die Jugend in
vaterländisch-religiösem Sinne zu erziehen.“ (KELLERER 1935, S. 20)6
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich an die „Wohnung des Direc-
tors der Anstalt“ ein kleiner, einem (persönlichen) „Diener“ zugewie-
sener, den herrschaftlichen Status des Direktors (und seiner Familie)
unterstreichender Raum anschließt.
Die architektonische Situierung dieser zur privaten Nutzung gedach-
ten „Wohnung“ und die Funktion des Hausherrn machen den Ein-
druck einer Kommandobrücke. Von hier aus wird das Schiff „LBA“
gesteuert und vor hier aus ergibt sich die Zuordnung zur BÖHMschen
pädagogischen Struktur: In Ermangelung empirischer, von Seite der
Betroffenen kommender Daten sind es die angeordneten Maßgaben
und Maßregeln, die Rückschlüsse auf Ziel und Stil der pädagogischen
„Realgeschichte“, der Erziehung und Ausbildung an der LBA in den
letzten 50 Jahren der Habsburgermonarchie, zulassen.
6 Die politischen Umstände des Jahres 1935 bringen es mit sich, dass Direktor
Kellerer als Landesleiter der Vaterländischen Front für Volks- und Hauptschu-
len fungiert und dass „oberhalb der Eingangstore als Zeichen der Bundes-
Anstalten große Doppeladler (…) angebracht“ wurden. (KELLERER 1935, S. 27;
Reproduktion des Staatswappens hier S. CXVII)
7
„Conferenz-Zimmer der Lehrer“ / „Conferenz-Zimmer
der Lehrerinnen“ (Erster Stock)
Dies ist das dienstliche Zuhause des Lehrkörpers. Ihm gehören, vom
Direktor abgesehen, die Lehrer der folgenden Kategorien an:
„Hauptlehrer“, „Lehrer an der Uebungsschule“ und „Hilfslehrer“.
(VERORDNUNG 1869, S. 221, § 6) Sie „haben den Anordnungen und
Weisungen des Directors nachzukommen“ und „sind verpflichtet,
denselben in der Aufrechterhaltung der Disciplin, sowie in der
Ueberwachung der Zöglinge innerhalb und ausserhalb der Anstalt zu
unterstützten“ (ebd., S. 220, § 4)7 und es ist Aufgabe des gesamten
Lehrkörpers bzw. der „Lehrerversammlung“, eine „Monatliche Be-
sprechung über den Stand des Unterrichtes und die Disciplin, die sitt-
liche Haltung und den wissenschaftlichen Fortgang der Zöglinge“ ab-
zuhalten. (Ebd., S. 221, § 7, Nr. 8) Dienstliches Zuhause ist das „Con-
ferenz-Zimmer der Lehrer“ auch insofern, als es der Raum in der LBA
ist, in dem den Lehrern die Möglichkeit geboten ist, auch wissen-
schaftlich-publizistische Absichten und Aktivitäten zu diskutieren.
Denn solche – das auf eigene Initiative erarbeitete literarische Pendant
zum betreffenden Fachunterricht – kamen trotz der Lehrverpflichtung
von „bis zu wöchentlich 24 Stunden“ (ebd., S. 220, § 3) zustande; es
wird wohl in der Hauptsache die Ferienzeit gewesen sein, in der sich
die betreffende Publizistik entfalten konnte. Erwartungsgemäß wid-
men sich die (zum Teil akademisch geprüften) Fachlehrer mehr oder
weniger streng wissenschaftlich durchgeführten fachbezogenen und
die Übungsschullehrer fachdidaktischen Arbeiten. Im einen Fall be-
deutet dies, dass insbesondere die Schulgeschichte, im anderen eben
die Didaktik der einzelnen Fächer thematisiert wird.
Was den einen Fall angeht, ist festzustellen, dass in den ersten Jahr-
zehnten der LBA Braumüller Vater und Sohn (zu diesem LECHNER
2000) für einen Großteil der betreffenden Publikationen aufkommen:
7 Genau 50 Jahre später, nunmehr im Zeitalter der Republik, werden die Macht
und die Möglichkeit des Direktors eingeschränkt: „Ein Erlaß des Staatssekretärs
für Unterricht vom 12. September [1919] verfügte das Mitbestimmungsrecht des
Lehrkörpers bei allen Angelegenheiten, die den Schulbetrieb berühren.“ (GRA-
BER 1925, S. 67).
8
- „Fichte’s Reden an die deutsche Nation. Aus einem Vortrage
von Prof. J. Braumüller“ (BRAUMÜLLER 1880),
- „Die Entwicklung der Klagenfurter Lehrerbildungsanstalt seit
1869“ (BRAUMÜLLER 1882; teilw. neu hrsg.: LECHNER 2012, S.
I-VIII),
- „Gedenkrede auf Diesterweg (…)“ (BRAUMÜLLER 1890; neu
hrsg.: Ebd., S. XV-XX),
- „Zum dreihundertjährigen Wiegenfeste des Joh. Amos Comeni-
us“ (BRAUMÜLLER 1892; neu hrsg.: Ebd., S. XXXII-XLII)
- „Zur Geschichte des Klagenfurter Schulwesens in der Reforma-
tionszeit“ (BRAUMÜLLER 1924; neu hrsg.: LECHNER [Hrsg.]
2000, S. 1-12)
- „Die Geschichte der Klagenfurter Lehrerbildungsanstalt“
(BRAUMÜLLER 1925; neu hrsg.: Ebd., S. 13-28)8,
In den nachfolgenden Jahrzehnten sind es dann schon Dissertationen,
die diesem Thema gewidmet werden:
- „Geschichte des kärntnerischen Schulwesens mit besonderer Be-
rücksichtigung des niederen Schulwesens“ (HASSLER 1929 [zu
diesem LECHNER 1988]; teilw. neu hrsg.: LECHNER [Hrsg.]
2000, S. 1-109),
- „Geschichte des Kärntner Volksschulwesens von 1860 bis zum
Ausbruch des Ersten Weltkrieges“ (HÖNIGMANN 1958).
8 Sie hat in einem neuen Zeitalter der LBA vom damaligen Direktor großes Lob
geerntet: „Das in dieser Abhandlung zusammengefaßte Wissen um die Entwick-
lung der Lehrerbildung in Kärnten ist ein eindrucksvoller Ausschnitt aus der
heimatlichen Kulturgeschichte. Jeder standesbewußte Kärntner müßte sich die-
sen Abschnitt der Geschichte Kärntens besonders herausnehmen und einem ein-
gehenden Studium unterziehen. Im Rahmen der lehrplanmäßig vorzutragenden
Erziehungsgeschichte sollte man nicht versäumen, diese Arbeit unterrichtsmäßig
zu verwerten. Mit keinem anderen Lehrstoff läßt sich besonders die österreichi-
sche Erziehungsgeschichte nach dem Grundsatz des Heimatprinzips besser erar-
beiten.“ (SEIWALD 1962, S. 5) 9 Kleinere, thematisch verwandte Schrift: „90 Jahre Reichsvolksschulgesetz
1869-1959. Ein Beitrag zur Geschichte des Kärntner Pflichtschulwesens“
(HASSLER 1959 [repr. LECHNER [Hrsg.] 2000, S. 15-64]).
9
Zum Thema „mehr oder weniger streng wissenschaftlich durchgeführ-
te fachbezogene Arbeiten“ gehören zudem Publikationen zur Ge-
schichte der Theorie der Pädagogik wie
- „Die natürliche Erziehung, oder das objective System der Päda-
gogik. Nach Ewald Haufe“ (BRAUMÜLLER 1891a; neu hrsg.:
LECHNER [Hrsg.] 2012, S. XXI-XXVI) und
- „Das objective System und der Unterricht. Nach Dr. Ewald Hau-
fe“ (BRAUMÜLLER 1891b; neu hrsg.: Ebd., S. XXVII-XXXII)
- „Einhundertfünfzig Jahre Pädagogik“ (SCHLUGA 1925; neu
hrsg.: LECHNER [Hrsg.] 2006),
und etwa die
- „Hauptzüge der Geschichte Kärntens“ (BRAUMÜLLER [1928]),
- „Zur Ortsgeschichte von Klagenfurt“ (MORO 1947)
und zum Thema Bildungstheorie der einzelnen 1947 an der LBA ver-
tretenen bzw. unterrichteten Fächer wie
- „Das Wesen der Geographie als Wissenschaft und ihre Aufga-
benstellung im Unterricht einer Lehrerbildungsanstalt“ (SPREIT-
ZER 1947)10
- „Der Physikunterricht damals und heute“ (GRUBER 1947)
- „Einiges über Sinn und Wert des fremdsprachlichen Studiums an
höheren Schulen“ (RIEGLER 1947)
- „Der pädagogische Wert des Lateinunterrichtes für eine zeitge-
mäße Lehrerbildung“ (SEIWALD 1947)
- „Sinn, Gestaltung und Ziel des slowenischen Sprachunterrich-
tes“ (SCHEITHAUER 1947)
- „Zeichnen und Schriftpflege im Rahmen der Lehrerbildung“
(WUCHERER 1947)
- „Volkslied, Volkstanz, Volksmusik an der Lehrerbildungsan-
stalt“ (MAYER 1947)
- „Vom Sinn und Ziel des Schulturnens“ (TURNOWSKY 1947)
10
Dieser Beitrag scheint nicht zufällig an erster Stelle in der betreffenden Sam-
melschrift zu rangieren. Denn in diesem ist die Rede davon, dass die LBA „nicht
nur zu bilden, sondern selbst Volksbildner heranzuziehen hat“, sodass sich „ihre
Aufgabe der an der Hochschule“ nähert. (Ebd., S. 31) Aus dem biographischen
Zusammenhang wird diese Meinung bzw. Forderung verständlich: Der Autor
war bis 1945 Direktor des Geographischen Instituts der Deutschen Universität
Prag und nach seiner Tätigkeit an der Klagenfurter LBA ab 1947 Ordinarius für
Geographie an der Universität Graz. (75 JAHRE 1947, S. 97, Fußn.)
10
- „Der Handarbeitsunterricht an der Lehrerinnenbildungsanstalt“
(FIALA 1947)
- „Lehrer und Landwirtschaft“ (KOPETZ 1947).11
Als Arbeiten, die aus der Feder von Fach- bzw. Hauptlehrern stammen
und didaktische Fragen behandeln, sind u. a. zu nennen:
- „Die Vaterlandskunde an unsern Lehrerbildungs-Anstalten unter
besonderer Rücksicht auf die Volksschule“ (PALLA 1874)
(Brustbild des Verfassers: KÄRNTISCHER LEHRERKALENDER
1898/99, gegenüber Titelblatt) und
- „Anleitung zur Ertheilung des physikalischen Unterrichts in der
Volksschule, mit Berücksichtigung der Apparatensammlung von
Batka“ (HAUPTMANN 1877).
Und im anderen Fall, wobei es sich also um fachdidaktische Arbeiten,
die von Übungsschullehrern publiziert wurden, sind u.a. die folgenden
Titel zu nennen:
- „Entwurf eines Wochenbuches für die ungetheilte einclassige
Volksschule“ (WÜSTNER 1886),
- „Die Kunst, ein guter Uebungsschullehrer zu werden. Einige
Worte zu den hiezu erteilten Belehrungen“ (KOLLITSCH 1904),
- „Einführung in die Praxis der Volksschule. Ein Hilfsbuch für
Lehramtszöglinge und junge Leute“ (FÜRPASS 1905) und
- „Wegweiser zur Bildung heimatlicher Rechenaufgaben“ (KOL-
LITSCH 1913).
Anzusprechen ist noch die im Bauplan der LBA Niederschlag finden-
de Differenzierung nach männlichen und weiblichen Lehrpersonen
und deren Aufenthaltsort (in der dienstfreien Zeit) im Gebäude der
LBA bzw. in den „k. k. Bildungs-Anstalten für Lehrer und Lehrerin-
nen zu Klagenfurt“ (I. BERICHT 1874, Titelbl.) Diese Differenzierung
erfolgte deshalb, „da es“, so die spätere ministerielle Anordnung, „ein
durchgreifender Grundsatz unseres Unterrichtswesens ist, dass min-
destens der höhere Unterricht stets unter Trennung der beiden Ge-
schlechter ertheilt wird.“ (VERORDNUNG 1878, S. 47) Die betreffende
11
Die diesen Beiträgen vorausgehenden Parallelarbeiten (Werkunterricht, slo-
wenischer Sprachunterricht, Musikarchiv, landwirtschaftlicher Unterricht, kör-
perliche Erziehung) im Bericht des Jahres 1925 (SIEBENTER BERICHT 1925, S.
77-93).
11
Bestimmung des RVG lautet: „Die Heranbildung der nöthigen Lehr-
kräfte erfolgt in nach dem Geschlechte der Zöglinge gesonderten
Lehrerbildungsanstalten.“ (GESETZ 1869, S. 131, § 26)12
Die Separa-
tion der „Zöglinge“ bzw. der Schüler und Schülerinnen gilt also auch
für die Lehrer und Lehrerinnen, was auch im Titel der schulischen
Einrichtung („Anstalten“) Niederschlag gefunden hat.13
Diese Separa-
tion wurde allerdings, wenngleich nur aus praktischen Gründen, nicht
auf die Spitze getrieben: „Gemeinschaftlich“ sind der „Zeichnen- zu-
gleich Prüfungs-Saal“, die „Bibliothek“ (Erster Stock), der „Hörsaal
für Naturwissenschaften“ und das „naturwissenschaftliche“ und das
„fisikalische Kabinet“ (Zweiter Stock) (zu diesen im I. BERICHT 1874,
S. 77) sowie der „Musik-Saal“ (Erdgeschoß), wobei hinzuzufügen ist,
dass Schüler und Schülerinnen gemeinsam nur in diesem Saal, näm-
lich als Gemischter Chor, agierten. (Dieser ist, geleitet von Hans
Neckheim, etwa bei der „Jubelfeier der Lehrerbildungsanstalt“ am 5.
Mai 1875 aufgetreten; s. hier S. V.)
In diesem Zusammenhang steht eine Diskussion, in der eine Absol-
ventin der Klagenfurter Lehrerinnenbildungsanstalt bzw. eine Lehre-
rin an einer Klagenfurter Mädchenvolksschule, Elise Engelhard
(DRITTER BERICHT 1882, S. 67, bzw. KÄRNTISCHER LEHRERKALEN-
DER 1895/96, S. 123), eine markante Rolle spielte, wobei sich diese
Diskussion nicht auf die Frage der Separation der Geschlechter inner-
halb des Lehrkörpers, sondern auf die Frage der Befähigung der Frau
12
Dem Buchstaben des Gesetzes nach wären demnach zwei separate, räumlich
getrennte Schulgebäude zu errichten gewesen – was im Gegensatz zu den größe-
ren für die kleineren Kronländer wie Salzburg und eben Kärnten (s. Die BIL-
DUNGSANSTALTEN 1884, nach S. 600; hier S. [CXVIII f.]) aus praktischen bzw.
finanziellen Gründen unberücksichtigt geblieben ist; dort wurde die räumliche
Separation also innerhalb des Gebäudes realisiert. – Nicht aus prinzipiellen,
sondern aus praktischen Gründen wurde im Kriegsjahr 1915 die Zöglinge ko-
edukativ erzogen bzw. unterrichtet (BRAUMÜLLER 1925, S. 22 bzw. LECHNER
[Hrsg.] 2000, S. 25); die Einführung der Koedukation in der Übungsschule er-
folgte 1936 (PFLEGERL 1947, S. 87). 13
Von dieser Separation der Geschlechter waren in den ersten Jahren betroffen
die „k. k. Hauptlehrerin“ Rosa Nitsche [Geografie, Geschichte, französische
Sprache], die „k. k. Lehrerin an der Mädchen-Uebungsschule“ Emerike Holzin-
ger und Albina Hribernigg sowie die „k. k. Arbeitslehrerin“ Amalie Delami [I.
BERICHT 1874, S. 79 f.]).
12
für den Lehrberuf und der Vereinbarkeit von Lehramt und Mutter-
schaft bezieht.14
Beide Fragen beantwortet sie in ihrer Schrift „Welche
Folgen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum Lehr-
berufe auf pädagogischem und socialem Gebiete?“ (ENGELHARD
1896; hier S. XXVII-XLI, Reproduktion des Titelblatts und der ersten
Seiten hier S. LV-LVII) ausführlich und ganz entschieden mit „Nein“,
da, so BARTH-SCALMANI 1995, S. 379, „der Frau die Eignung zum
Lehrberuf aufgrund ihrer physischen und geistigen Anlagen und man-
gelnden schöpferischen Fähigkeit“ fehle und ihr „eine von einem au-
ßerhäuslichen Beruf freie, rein häusliche Existenz“ angemessen sei
(ebd.). Als Ausnahme lässt sie – offenbar in Anlehnung an das Be-
rufsverständnis der katholischen Nonne – nur gelten, wenn die Begeis-
terung einer Lehrerin für den Lehrberuf „in einer hochentwickelten
religiösen Anlage und einem felsenfesten Gottvertrauen, welches in
allen Lebenslagen die sicherste Quelle des Glückes und der Zufrie-
denheit ist“ (ENGELHARD 1896, S. 13), wurzelt. Zur Widersprüchlich-
keit dieser Argumentation bzw. zwischen Wort und Werk – Engelhard
war 1896 also schon 18 Jahre als Lehrerin tätig – kommt hinzu, dass
sie an einer Stelle davon spricht, dass sie – mit Blick auf Kärnten –
„als Lehrerin in einem barbarischen Kronlande“ lebe, „welches keine
verheirateten Lehrerinnen anstellt“. (Ebd., S. 16) Damit ist das Hei-
ratsverbot bzw. die „Freiwillige Dienstesentsagung“ der Lehrerinnen
angesprochen, die 1870 gesetzlich fixiert wurde (Die WICHTIGSTEN
VOLKSSCHULGESETZE 1892, S. 79, § 56) und (wie auch in Salzburg,
Tirol und Vorarlberg) bis 1930 in Geltung stand (BARTH-SCALMANI
1995, S. 383; dazu und zu Engelhard auch SEEBAUER 2007, S. 127 ff.
bzw. 114 f.). Diese radikale und riskante schriftliche Wortmeldung ist
erwartungsgemäß nicht ohne Widerspruch geblieben. Engelhards Kol-
leginnen sollen sich öffentlich gegen sie gewandt haben (BARTH-
SCALMANI 1995, S. 379) und (zusätzlich zu anderen ähnlichen Aktivi-
täten; dazu SEEBAUER 2007, S. 114 ff.) legte namens des „Ersten Ver-
14
Engelhard wurde geboren am 4. Dezember 1859 in Feldkirchen in Kärnten,
hat 1878 die Lehrerinnenbildungsanstalt absolviert und im selben Jahr ihren
Dienst an der Schule angetreten. Diese war – wie auch eine Knabenvolksschule
– im heutigen Schulhaus am Benediktinerplatz untergebracht (SCHÖFFMANN
1994, S. 131); im Schuljahr 1895/96 unterrichteten in der 5klassigen Mädchen-
volksschule 11 Lehrerinnen (mit Direktorin und Arbeitslehrerin) 756 Schülerin-
nen. (KÄRNTISCHER LEHRERKALENDER 1895/96, S. 122 f.)
13
eines der katholischen Lehrerinnen und Erzieherinnen in Österreich“
die Wiener Lehrerin Karoline von Ambros eine Gegenschrift des Ti-
tels „Weib und Lehrberuf. Eine Erwiderung (…)“ (VON AMBROS
1896; Reproduktion des Titelblatts und der ersten Seite hier S. LVIII
f.) vor. Sie „bemühte die Natur, um die Veranlagung der Frau zur
Lehrerin plausibel zu machen, hielt unverheiratete und ältere Lehre-
rinnen für fähig, am Geschehen von Großstädten und gesellschaftli-
chen Leben von Kleinstädten teilzunehmen, und stimmte ihrer Kolle-
gin Engelhard nur in der Unverträglichkeit von Berufsausübung und
Ehestand zu.“ (BARTH-SCALMANI 1995, S. 380; dort zu weiteren u.
zw. weiterführenden Gegenargumenten in der Literatur). Mit der Sa-
che von Ambros gegen Engelhard liegt, soviel kann nunmehr festge-
stellt werden, im Sinne der 3. These eine instruktive zeitgenössische
Kontroverse vor.
Die professionelle Publizistik des Lehrkörpers der LBA stellt sich
damit, bezogen auf die Struktur der Allgemeinen Pädagogik nach
Böhm (7. These), als keineswegs unergiebig dar: Das Kapitel bzw. das
Thema „Geschichte des pädagogischen Denkens und der pädagogi-
schen Ideen“ wird bearbeitet bei BRAUMÜLLER 1891a, BRAUMÜLLER
1891b, SCHLUGA 1925 sowie in den oben aufgeführten, 1947 erschie-
nenen, die Bildungstheorie einzelner Schulfächer betreffenden Arbei-
ten; der Umstand, dass 1895/96 11 Lehrerinnen 758 Schülerinnen zu
unterrichten hatten (s. hier Fußn. 7), ist fraglos ein die „Geschichte der
tatsächlichen Erziehung (Realgeschichte)“ betreffendes Thema; die
„Geschichte der erzieherischen Institutionen“ ist das übergeordnete
Thema der Arbeiten BRAUMÜLLER 1882, BRAUMÜLLER 1924,
BRAUMÜLLER 1925, HASSLER 1929, HÖNIGMANN 1958; Gegenstand
des Themas „Die Geschichte der pädagogischen Wissenschaft (Wis-
senschaftsgeschichte)“ können jedenfalls die in der Publikation
BRAUMÜLLER 1882 en passant notierten wissenschaftstheoretischen
und didaktischen Anmerkungen (dazu LECHNER 2012, S. 2 f., S. 2:
Anstelle der herkömmlichen „handwerksmäßigen Unterweisung eine
wissenschaftliche Belehrung“) sein; die „Geschichte von Erzieherge-
stalten (Biographien)“ wird, wenngleich nicht in die Breite gehend,
bei BRAUMÜLLER 1880, BRAUMÜLLER 1890, BRAUMÜLLER 1892
thematisiert; und die Probleme der Separation nach Geschlechtern
(ENGELHARD 1896), der Integration von Ausländern (PERKONIG
14
1947) und der Rekrutierung bzw. der sozialen Situation der Zöglinge
der LBA (dazu KELLERER 1935, S. 42: „Fast alle Zöglinge kommen
vom Lande, sind wirtschaftlich nicht günstig gestellt und können nur
unter Entbehrungen ihr Studium durchführen.“) sind als „Fälle“ der
„Geschichte der gesellschaftlichen Determinanten von Erziehung und
Pädagogik (Sozialgeschichte)“ anzusehen.
„Lehrer-Bildungs-Anstalt – Lehrzimmer“ / „Lehrerinnen-Bildungs-
Anstalt – Lehrzimmer“ (Erster Stock)
Die theoretische Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen findet in die-
sen Lehrzimmern – es sind insgesamt acht – statt. Sie hat den Charak-
ter einer höheren berufsbildenden Schule, ihre Absolvierung berech-
tigt allerdings „allein zur Anstellung als Unterlehrer oder provisori-
scher Lehrer“ (GESETZ 1869, S. 132, § 38): Die Stundentafel weist ei-
ne über die (achtklassige) Volksschule bzw. Bürgerschule hinausfüh-
rende Allgemeinbildung aus, doch werden anstatt der (alten und neu-
en) Fremdsprachen die berufsspezifischen Fächer „Erziehungs- und
Unterrichtslehre, deren Geschichte und Hilfswissenschaften“, „Land-
wirthschaftslehre (…)“, „Musik“ und „Leibesübungen“ geführt.15
(Ebd., S. 131, § 29; die Stundentafel der Lehrerinnenbildungsanstalt
weicht in einigen Punkten davon ab; Übersicht bei ENGELBRECHT
1986, S. 506 f.)
Hier soll die Paradedisziplin bzw. das Herzstück des Lehrplans, also
die „Erziehungs- und Unterrichtslehre, deren Geschichte und Hilfs-
wissenschaften“ (LnBA: „Erziehungs- und Unterrichtslehre und Ge-
schichte derselben“) näher in Augenschein genommen werden.
Es beginnt damit, dass 1872 (nur) die beiden „Doktoren der Philoso-
fie“, nämlich der „Direktor der k. k. Lehrer- und Lehrerinnenbil-
dungsanstalt“, Josef Brandl, und der „k. k. Professor an der Lehrerin-
15
Den drei zuletzt genannten Fächern sind im Schulgebäude zum einen das
„Landwirthschaftl. Kabinet“ (Zweiter Stock) und die „Geräthekammer der
landwirthschaftl. Schule“, zum andern der „Gemeinschaftliche Musik-Saal“ und
zum dritten (seit 1879, BRAUMÜLLER 1882, S. 24) eine Turnhalle (anstelle der
von der Lehrerinnenbildungsanstalt genutzten Räume) (Erdgeschoß) zugeordnet.
15
nenbildungsanstalt“, Alois Platter, „Pädagogik“ nach dem folgenden
Lehrplan unterrichten (I. BERICHT 1874, S. 79 f. betreffend das Schul-
jahr 1873/74): „Erziehungs- und Unterrichtslehre. Ziel: Kenntniss des Menschen nach
Körper und Geist und insbesondere der Gesetze des Denkens; Kenntniss
der körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Kindes und der Mittel zur
Entwicklung und Ausbildung derselben; Vertrautheit mit den Grundsätzen
des Unterrichts überhaupt und in der Volksschule insbesondere; Kenntniss
der historischen Entwicklung der Volks- und Bürgerschule und der Aufga-
ben derselben für die Gegenwart; Kenntniss der Geschichte der Pädagogik
bis zur Gegenwart; Bekanntschaft mit den Grundsätzen der Schuldisciplin;
methodische Gewandtheit. – II. Classe, 2 Stunden. Anthropologie und Lo-
gik. – III. Classe, 3 Stunden. Pädagogik (in geschichtlicher Darstellung). –
IV. Classe, 2 Stunden. Zusammenfassung und abschliessende Wiederho-
lung des gesammten Lehrstoffes.“ (LEHRPLAN 1870, S. 477 f.)
Im Kapitel „Lehrstoff“ (I. BERICHT 1874, S. 56, 59 f.) wird dann mit-
geteilt, wie die konkrete Umsetzung dieser Ziele aussieht. Als Lehr-
buch bzw. als Anleitung für diese Umsetzung dient „Dr. Josef Mich,
Seelenlehre und Logik“ bzw. dessen „Erziehungs- und Unterrichtsleh-
re“ (Troppau, Vorwort von 1872). Deren zweite Auflage „Grundriß
der allgemeinen Erziehungs- und Unterrichtslehre“ (Wien und
Troppau 1875) (Reproduktion des Titelblatts und Inhaltsverzeichnis-
ses hier S. LX-LXII) zeichnet sich durch eine doppelte Geschlossen-
heit aus: Sie umfasst tendenziell die gesamte Pädagogik, ist aber auch
ein geschlossenes System, da Angaben zum geleisteten Forschungs-
prozess sowie zur verwendeten und zur weiterführenden Literatur
nicht gemacht werden.16
Einflussfaktoren, die das Ziel und den Gang des Unterrichts der Lehr-
amtskandidaten in den „Lehrzimmern“ bestimmen, sind also der
Lehrplan und das Lehrbuch. Diese sind dem Wandel sowohl der poli-
tischen Verhältnisse als auch dem der Wissenschaft unterworfen. Das
Ergebnis sind, was den Lehrplan angeht, vier ministerielle Verord-
nungen (1874, 1886, 1932, 1957), die einerseits das allgemeine Ziel
16
Mich firmiert als „k. k. Gymnasialprofessor, derzeit Mitglied der k. k. Prü-
fungs-Commission für allgemeine Volks- und Bürgerschulen, k. k. Bezirks-
Schulinspector“ (MICH 1875, Titelblatt). Ausführlich zu Mich GÖNNER 1967, S.
202 f. – Zur zeitgenössischen Diskussion der Lehrbuchfrage BRAUMÜLLER
1882, S. 12, bzw. LECHNER 2012, S. 2.
16
des Faches „Erziehungs- und Unterrichtslehre (Pädagogik)“ (1874)
bzw. „Pädagogik mit praktischen Übungen“ (1886, 1932) bzw. „Pä-
dagogik“ (1957) und anderseits die Themen definieren, die in den ein-
zelnen Jahrgängen bzw. auf den einzelnen Schulstufen zu behandeln
sind. In der jüngsten bzw. letzten Version (1957) sieht dieses allge-
meine Ziel bzw. „Bildungsziel“ so aus: „Die gesamte pädagogische Ausbildung an der Lehrer(innen)bildungs-
anstalt hat in erster Linie die Aufgabe, die Berufsgesinnung zu wecken und
zu vertiefen. Diese ist das Konzentrationsprinzip während des ganzen Bil-
dungsganges. – Dem Unterricht obliegt es, die wesentlichsten pädagogi-
schen Begriffe sowie die grundlegenden Erkenntnisse der pädagogischen
Theorie zu vermitteln und dadurch in den Gebrauch der Fachsprache einzu-
führen. Die Bekanntschaft mit großen erzieherischen Leistungen der Ver-
gangenheit, mit den Problemen der Gegenwart sowie mit pädagogischer Li-
teratur soll die Unteilsfähigkeit und Erkenntnis des Wertes der Arbeit des
Lehrers erhöhen. Die praktische Ausbildung erfolgt in engster Verbindung
mit der theoretischen Unterweisung. – Die einzelnen Arbeitsgebiete des
pädagogischen Unterrichts sollen stets aufeinander bezogen werden und
gehen nach Tunlichkeit von der erlebten Wirklichkeit (Übungsschulklas-
sen, Nachhilfeunterricht und anderes mehr) aus; auch die pädagogische Si-
tuation der Studierenden selbst kann mitunter Gegenstand der Besinnung
und Ausgangspunkt grundsätzlicher Erörterungen sein. – Der im III. Jahr-
gang beginnende und im IV. Jahrgang fortgesetzte Unterricht in Psycholo-
gie soll den künftigen Lehrer befähigen, die Eigenart und das Verhalten des
Kindes in der Schulstunde, im sonstigen Leben der Klassengemeinschaft
und in anderen Lebenssituationen beobachtend und verstehend zu erfassen.
Er soll mithelfen, dem unterrichtlichen und erzieherischen Tun Sicherheit
und bewußte Folgerichtigkeit zu verleihen. Um dieses Ziel zu erreichen,
muß die theoretische Unterweisung durch praktische Übungen gestützt
werden. Solche Übungen sind auch im Rahmen der Schulpraxis des IV.
und V. Jahrganges fortzusetzen.“ (NEUVERLAUTBARUNG 1957, S. 12 f.)
Was das Thema „Geschichte der Pädagogik“ angeht, liegt die Edition
LECHNER (Hrsg.) 2006 vor. Hier seien die dieses Thema einleitenden
Sätze in der ältesten und der jüngsten Version zitiert: „Geschichte der
Erziehung und des Unterrichtes in anschaulichen Bildern der hervor-
ragendsten Männer, der wichtigsten Epochen und der folgenreichsten
Verbesserungen auf dem Gebiete der Volksschule unter steter Hinwei-
sung auf die bedeutendsten pädagogischen Werke sowie mit Berück-
sichtigung der geschichtlichen Entwicklung der österreichischen
Volksschule.“ (1874, ebd., S. 1); „Der Unterricht in der Geschichte
17
der Erziehung soll in lebendiger Darstellung auf dem Hintergrund der
allgemeinen Kulturgeschichte Einblicke in denkwürdige pädagogische
Bemühungen unseres Volkes und der Menschheit bieten, mit dem
Ziel, das pädagogische Leben der Gegenwart zu verstehen.“ (1957,
ebd., S. 3 f.)
Was die Kategorie Lehrbuch angeht, werden 1882 und 1886 als Stan-
dardliteratur über das bisher diesbezüglich Mitgeteilte hinaus die
Werke „Erziehungs- und Unterrichtslehre von Dr. Lindner“ und „Leit-
faden der Geschichte von Niedergesäß“ (DRITTER BERICHT 1882, S.
43, VIERTER BERICHT 1886, S. 81, s. die Reproduktionen hier S.
LXIII bis LXXIII) angegeben, 1925 erscheinen an ihrer Statt die
„Psychologie und Erziehungslehre“ und die „Logik und Unterrichts-
lehre“ Anton Herget’s (HERGET 1914, HERGET 1917, s. die Reproduk-
tionen hier S. LXXIV f.) und die „Geschichte der Erziehung und des
Unterrichts für österreichische Lehrer- und Lehrerinnenbildungsan-
stalten“ von Piffl / Weiß / Herget (PIFFL / WEISS / HERGET 1916)17
(Reproduktion hier S. LXXVI) in der Liste der offiziellen Lehrbücher.
Berücksichtigung verdient in diesem Zusammenhang noch der Johann
Braumüller zu verdankende Hinweis auf – gewiss mehr oder minder
intensiv genutzte, im Raum „Gemeinschaftliche Bibliothek“ befindli-
che – Bibliotheksbestände. Da ist die Rede davon, dass aus der Zeit
vor 1869 u. a. immerhin „einige Jahrgänge österreichischer Schulbo-
te“ und „Schmidt’s Pädagogische Encyklopädie und Geschichte der
Erziehung“18
vorhanden war (BRAUMÜLLER 1882, S. 15 f., LECHNER
2012, S. X), dass von Seiten des Ministeriums Schenkungen getätigt
wurden (u. a. Bände der Richter’schen „Pädagogischen Bibliothek“,
17
Ein Musterbeispiel dafür, wie man mit der Tür ins Haus fallen kann: Die
Schrift beginnt mit der lapidaren Wendung „Die Erziehung bei den Griechen.“
(S. 1). Mildernder Umstand: Am Ende bzw. S. 272 ff. wird eine (gut strukturier-
te) Literaturliste „Werke zur Fortbildung des Lehrers in der Geschichte der Pä-
dagogik“) nachgeschoben. 18
Es handelte sich dabei um die „Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und
Unterrichtswesens bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten,
herausgegeben unter Mitwirkung der DD. Palmer, Wildermuth, Hauber von K.
A. Schmid“, Gotha (1. Bd., 2. Aufl. 1876), bzw. um K. A. Schmid: Geschichte
der Erziehung vom Anfang bis auf unsere Zeit, bearbeitet in Gemeinschaft mit
einer Anzahl von Gelehrten und Schulmännern, Stuttgart (1. Bd.: Die vorchrist-
liche Erziehung, 1884).
18
darunter u. v. a. Pestalozzi) (BRAUMÜLLER 1882, S. 16, LECHNER
2012, S. X, Reproduktion S. XLVIII) und dass bei der Neuanschaf-
fung insbesondere pädagogische Klassiker und pädagogisch-
methodische Werke Berücksichtigung fanden.19
Diesen Einflussfaktoren – es wird Einfluss genommen – stehen Er-
gebnisse gegenüber – es wird (in der Absicht, die Lehre bzw. den
Stoff, der „eingeflößt“ wird, zu behalten) zur Kenntnis genommen.
Als Indizien dienen hierfür Mitschriften und Prüfungsfragen.
Zur Kategorie Mitschriften: Die vorliegende, wohl als repräsentativ
anzusehende, die „Erziehungslehre“, die „Unterrichtslehre“ und die
„Geschichte der Erziehung“ behandelnde Mitschrift (Kopien der Ti-
telblätter und der einleitenden und abschließenden Passagen hier S.
LXXVII-LXXXXVIII) stammt aus der Feder von Albine Lebmacher.
Diese wird bei SEIWALD 1962, unpag., als Maturantin des Jahrgangs
1942/43 aufgeführt. (Um eine ähnliche, wenngleich schon 1937/38
und an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Innsbruck verfasste, übri-
gens sorgfältiger geführte Mitschrift handelt es sich bei GUTMANN
1937/38, teilw. reproduziert in LECHNER [Hrsg.] 2006, S. vii ff.)
Und zur Kategorie Prüfungsfragen: Die (aufgrund der Bestimmungen
des Reichsvolksschulgesetzes, § 34 [GESETZ 1869, S. 132]) gestellten
Reifeprüfungsfragen aus Pädagogik waren im „Gemeinschaftlichen
19
„Ein ähnlicher Lehrgang wie im Sprachfach muss in der Pädagogik und in der
theoretischen Methodik eingehalten werden; auch hier darf eine zusammenhän-
gende Darstellung nicht fehlen, aber die Lectüre soll sich an die pädagogischen
Classiker halten und nicht an Leitfäden und historische Abrisse. Es wurden da-
her außer den schon früher genannten älteren Erwerbungen und Geschenken
noch bisher angeschafft: Pestalozzi’s sämmtliche Schriften, Fröbel’s Leben und
Werke, Diesterweg’s Wegweiser für Lehrer, Gräfe’s deutsche Volksschule, Dit-
tes’ Schule der Pädagogik, die pädagogische Encyklopädie von Lindner, Köh-
ler’s Praxis des Kindergartens, Kellner’s Aphorismen. Aus älterer Zeit stammen
wahrscheinlich: Basedow’s Elementarwerk und Niemeyer’s Grundsätze der Er-
ziehung und des Unterrichts. – Von pädagogisch-methodischen Werken besitzt
die Bibliothek: (…), Kehr Praxis der Volksschule, Ohler Lehrbuch der Erzie-
hung und des Unterrichtes (…).“ (BRAUMÜLLER 1882, S. 18 bzw. LECHNER
2012, S. X; zu Ohler’s Lehrbuch SCHLUGA 1925, S. 37 bzw. LECHNER 2006
[Hrsg.], S. 22; Reproduktion des Titelblatts hier S. CXX)
19
Zeichnen- und Prüfungs-Saal“ (Erster Stock) zu beantworten und
wurden in den Tätigkeitsberichten der Öffentlichkeit mitgeteilt:
- 1877 (ZWEITER BERICHT 1877, S. 96 f.): 1) Wie kann der Lehrer
sittlich-religiöse Bildung fördern? – 2) Welche gesetzlichen
Bestimmungen bestehen über den Schulbesuch? (LBA) 1. Es
sind die Mittel zur Erzielung einer guten Schuldisziplin anzuge-
ben. 2. Welche Vorschriften bestehen über den Unterricht in den
weiblichen Handarbeiten? (LnBA)
- 1882 (DRITTER BERICHT 1882, S. 46): 1. Erziehung und Unter-
richt in ihrer Wechselseitigkeit. 2. Welche Kinder sind zum Be-
suche der öffentlichen Volksschulen verpflichtet und welche
nicht, und wie überzeugt man sich von der Erfüllung der Schul-
und Unterrichtspflicht? 3. Wer bestreitet den Aufwand für die
öffentlichen Schulen in Kärnten?
- 1886 (VIERTER BERICHT 1886, S. 84): 1. Unterschied zwischen
der katechetischen, sokratischen und genetischen Methode des
Unterrichtes. 2. Gesetzliche Bestimmungen über die Unter-
richtszeit.
- 1905 (FÜNFTER BERICHT 1905, S. 122): Die Begriffe: Empfin-
dung, Vorstellung, Wahrnehmung und Anschauung sind durch
ein selbstgewähltes Beispiel zu veranschaulichen und dann zu
definieren. (…) 3. Die Bedeutung des Benediktiner-Ordens in
der Erziehungsgeschichte. (…)
- 1925 (SIEBENTER BERICHT 1925, S. 48 f.): Der Lehrgang. Ge-
schichtlich und psychologisch betrachtet. – Schule und Haus als
Erziehungsstätten. Die Mutter als Erzieherin bei Pestalozzi.
- 1935 (KELLERER 1935, S. 28): 1. Von jedem Fehler seiner Schü-
ler suche der Lehrer die Ursache zuerst bei sich selbst. 2. Die
Aufgabe der Volksschule nach dem Reichsvolksschulgesetz. 3.
Wozu braucht der Mensch geschulte Sinne und wie schult man
sie? (LBA) 1. Felbigers Wirken in Österreich. 2. Vaterländische
Erziehung. 3. Bodenständiger und heimatkundlicher Unterricht.
- 1946 (75 JAHRE 1947, S. 102): 1. Lebensbezug der Schule in ge-
schichtlicher Beleuchtung. (…) 3. Der Weg und das Ziel der
neuen Schule. (…) 2. Familie, Staat und Kirche als Erziehungs-
gemeinschaften. 3. Erziehungsziele und Wege in der abendländi-
schen Erziehung von der Antike bis zur Gegenwart.
20
- 1947 (ebd., S. 103 f.): 1. Der Aufbau des Gegenstands- und Sub-
jektsbewußtseins. 2. Die wirtschaftliche, politischen und kultu-
rellen Grundlagen für den Aufstieg des europäischen Schulwe-
sens. (…) 2. Große Erziehungstheoretiker und Praktiker der
Neuzeit; ihre wichtigsten Werke. 3. Die Selbsterkenntnis als
Weg zur Menschenkenntnis.
„Männliche Übungs-Schule – Lehrzimmer“ / „Weibl. Übungs-Schule
– Lehrzimmer“ (Erdgeschoß)
Es ist verständlich, dass die Lehrzimmer der der LBA „als Uebungs-
und Musterschule“ (GESETZ 1869, S. 131, § 2720
) zugeordneten, die
Schulanfänger aufnehmenden Volksschule im Erdgeschoß situiert
wurden. Hier findet Schülerbildung parallel zur und im Dienste der
Lehrerbildung statt. Schlüsselpersonal sind die Übungsschullehrer und
-lehrerinnen: Ihr Unterricht dient als Muster und unter ihrer Anleitung
und Aufsicht werden die „Zöglinge“ bzw. Lehramtskandidaten mit
dem praktischen Schuldienst bekannt gemacht und befähigt, diesen zu
leisten. Dabei kommt es auf die Integration des erworbenen Fachwis-
sens mit der von Seiten der Übungslehrer kommenden Information
unter den Bedingungen der realen Unterrichtssituation an.
Einblick in die Probleme des Erreichens des Lehrziels der praktischen
Lehrerausbildung gewährt, worauf Peter Schöffmann hingewiesen hat,
die Wortmeldungen eines kritischen Kopfes und die Antwort der Ver-
antwortlichen. Mathias Petutschnig, „Lehrer und Schulleiter“ an der
Volksschule St. Peter im Holz bei Spittal an der Drau21
, stellte sich
1886 in aller Öffentlichkeit, nämlich in den „Pädagogischen Mitthei-
lungen. Beilage zur Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (PETUTSCHNIG
1886), gegen die „Überbetonung des Theoretischen und der Uniformi- 20
Nähere Ausführungen in VERORDNUNG 1869, S. 226, Kap. IV. Dass die
Übungsschule nicht eine Sonderstellung im Volksschulwesen einnimmt, sondern
repräsentativ für dasselbe bleibt und damit für das Thema „Geschichte der
Volksschule“ in der betreffenden Epoche stehen kann, soll durch § 49 dieser
Verordnung sichergestellt werden: „Der Unterricht in der Uebungsschule ist in
genauer Uebereinstimmung mit dem allgemeinen Lehrplane zu ertheilen.“ 21
Geb. 1861, LEHRER-KALENDER 1887, S. 38, Absolvent der LBA, Jg. 1880,
DRITTER BERICHT 1882, S. 65.
21
tät bei den spärlichen praktischen Übungen“ (SCHÖFFMANN 1994, S.
142) und als er keine Änderung bzw. Besserung erkennen konnte,
wiederholte und verschärfte er – freilich intern im Rahmen des
Lehrervereins – seine Kritik 1904. Es sind nicht weniger als zehn
Problembereiche, die er anspricht. Gegen Ende des zehnten heißt es:
„Kehr nennt die Seminare ‚Zentralstätten deutscher Volksbildung’, ein
anderer Schulmann bezeichnet sie als ‚Brennpunkte der wissenschaft-
lichen Didaktik, als Mittelpunkte für alle Strömungen des volksschul-
methodischen Strebens’. Unsere Lehrerbildungsanstalt kann diese Eh-
rennamen leider nicht beanspruchen. Wohl ist sie die Bildungsstätte
unseres Lehrernachwuchses, aber einsam und ohne weitere Berüh-
rungspunkte mit der Lehrerschaft steht sie da. (…) Die Lehrerbildner
wären ja eigentlich berufen, die Lehrerschaft noch weiterhin in ihrem
Streben und Handeln günstig zu beeinflussen, zu führen, zu unterstüt-
zen, während sie selber von den praktischen Lehrern gar manche
wertvolle Anregung erhalten würden. Doch ein solches an Diesterweg,
Kehr, Dittes, an Brandl und Palla erinnerndes Verhältnis wär’ zu
schön, es soll nicht sein!“ (PETUTSCHNIG 1904, S. 13; Reproduktion
des Artikels hier S. IC-CIV) Die Replik des – ohnehin lobend erwähn-
ten – Josef Palla fällt knapp und ausweichend aus: „Zum Vortrage des
Herrn Petutschnig spricht Herr Landesschulinspektor Palla. Er wendet
sich gegen den Vorwurf des Herrn Petutschnig, daß in unserer Lehrer-
bildungsanstalt nicht der Geist eines Diesterweg, Dittes und Kehr
wohne, und daß es der Lehrkörper versäume, den Zöglingen Begeiste-
rung und Idealismus ins Herz zu pflanzen. Hiezu seien die Vorbedin-
gungen nicht gegeben, denn die Zöglinge würden durch den vorzu-
nehmenden Lehrstoff geradezu erdrückt und da bleibe für Idealismus
und Begeisterung im Herzen des Zöglings kein Raum. Das Organisa-
tionsstatut sei für die Lehrerbildungsanstalten ein fehlerhaftes. (…)“
(UNSERE BUNDESVERSAMMLUNG 1904, S. 14 f.; hier S. CIV-CVI;
Brustbild Josef Palla’s in: KÄRNTISCHER LEHRERKALENDER 1898/99,
vor Titelbl., hier S. CVII).
Die oben angesprochene reale Unterrichtssituation ist mitbedingt
durch die zeitgenössischen politisch-legislativen Rahmenbedingun-
gen. Besonders deutlich wird dies beim Übergang vom monarchischen
zum republikanischen Zeitalter. Mit Bezug auf die Erlässe des Unter-
richtsamtes aus den Jahren 1920 notiert der „Lehrer der Schulpraxis“
22
Raimund Pflegerl zum neuen, primär die Volksschule betreffenden
Lehrplan und zur neuen, die Lehramtskandidaten betreffende Lehrme-
thode: „Der neue Lehrplan hat sein Gebäude auf drei felsenfesten Pfeilern aufge-
richtet: die Heimat- und Lebenskunde ist der Mittelpunkt des Gesamtunter-
richtes. (…) Die Schüler haben auf dem Wege der Selbständigkeit in den
Besitz ihres Bildungsgutes zu gelangen. Die Schule im Geiste des neuen
Lehrplanes soll Tatmenschen erziehen, die in der Heimat feste Wurzeln
fassen; sie braucht dazu willensstarke, mit idealer Berufsliebe beseelte Leh-
rer, die beobachten, suchen, sammeln und forschen – Die Zöglinge lernen
in der speziellen Methodik, ausgehend von den Erläuterungen des Lehrpla-
nes, das Wesen des Gesamtunterrichtes und die Literatur der Arbeitsschule
kennen, werden in der Aufstellung von Arbeitsplänen, die Behandlung ei-
ner Unterrichtseinheit und die Vor- und Nachteile des beweglichen und ge-
fächerten Stundenplanes eingeweiht und erhalten Anleitung zur Anlage von
Ortskunden und Heimatbüchern.“ (PFLEGERL 1925, S. 74)22
Als Beispiel bzw. Dokumentation dieser didaktischen Bemühungen
liegen die „Stundenbilder“ der Angela Kuscher, Maturajahrgang
1923/24 an der Lehrerinnenbildungsanstalt der Ursulinen in Kla-
genfurt (SEIWALD 1962, unpag.), vor; sie betreffen u. a. die „Sachge-
biete“ „Das Veilchen“ (Ausgangspunkt: Botanik), „Die Himmelskör-
per“ (Ausgangspunkt: Astronomie), „Das Zollfeld“ (Ausgangspunkt:
Geschichte) (Reproduktionen hier S. CVIII-CXIV).
„Zur praktischen Ausbildung der Zöglinge besteht“, so das RVG, „bei
Bildungsanstalten für Lehrerinen [sic!] auch ein Kindergarten.“ (GE-
SETZ 1869, S. 131, § 27) Das zugehörige theoretische Rüstzeug wird
22
Diesen Ausführungen vorausgeht die Definition des Bezugs der Methode des
Fachlehrers auf der einen und des Klassenlehrers auf der anderen Seite: „Zur
Erfüllung der Forderungen des neuen Lehrplanes gehört auch eine ihm entspre-
chende neue Lehrmethode. In der Vermittlung derselben teilen sich die Anstalts-
lehrer derart, daß jeder Fachlehrer den Unterricht in der speziellen Methodik
seines Lehrgegenstandes erteilt und die Klassenlehrer die praktischen Übungen
im Sinne des Erlasses leiten.“ (Ebd.) Angesicht dieser Argumentation ist auf ei-
ne verwandte Wortmeldung aus der Zeit der Etablierung der neuen Lehrerbil-
dung in Klagenfurt hinzuweisen: Es war Josef Palla, der im ersten Bericht der
LBA die Eigenart der „Vaterländischen Geschichte an Volksschulen“ einerseits
und die der „Vaterländischen Geschichte an Lehrerbildungs-Anstalten“ ander-
seits (PALLA 1874, S. 14-21 bzw. S. 40-45) herausarbeitete. – Zum Thema
„Übungsschule“ im Bericht vom Jahre 1947: MAIRITSCH 1947.
23
dort ebenfalls angesprochen: „Ausserdem sind die Zöglinge dort, wo
sich dazu die Gelegenheit findet, mit der Methode des Unterrichtes für
Taubstumme und Blinde, sowie mit der Organisation einer gut einge-
richteten Kleinkinderbewahranstalt (Kindergarten) bekannt zu ma-
chen.“ (Ebd., § 29) Dieser Unterricht wird (und zwar entsprechend der
gesetzlichen Vorgabe [VERORDNUNG 187223
]) in einem der „Lehr-
zimmer“ des ersten Stockes des Hauses stattgefunden haben.24
„Gemeinschaftliche Bibliothek“ (Erster Stock)
Als wissenschaftlich-literarische Visitenkarte des Hauses verdient
auch die Bibliothek Berücksichtigung. Vom diesbezüglichen Stand
der Dinge (und übrigens auch von dem der einzelnen Kabinette) wird
(bis 1925) fortlaufend berichtet.
- 1874 umfasst die (von Josef Palla betreute) Bibliothek insgesamt
600 Werke, davon 146 zum Thema „Pädagogik, Methodik, Phi-
losophie, Religion“ (I. BERICHT 1874, S. 76).
- 1877 sehen die betreffenden Zahlen so aus: 869 bzw. 184
(ZWEITER BERICHT 1877, S. 98).
- 1882 liefert der neu hinzugekommene Betreuer Johann Braumül-
ler einen detaillierten Bericht betreffend die „Bibliotheksverwal-
tung“ bzw. eben die Bibliothek; da ist – über das bereits Er-
wähnte hinaus (s. S. 17) – die Rede von Schriften zur Pädagogik
und zur theoretischen Methodik (Pestalozzi, Fröbel, Diesterweg,
Gräfe, Dittes, Basedow, Niemeyer, und auch von Lindner’s „Pä-
23
Dort, S. 227, Kap. VIII, auch die gesetzlichen Bestimmungen, was die „Bil-
dungscurse für Lehrerinnen weiblicher Handarbeiten“ angeht. 24
Eine relative frühe, beachtliche Wortmeldung zum Thema (Fröbel’s) Kinder-
garten stammt von Peter Benedicter, Oberlehrer, d.h. Direktor, an der Volks-
schule in Gmünd (geb. 1841 in Reisach im Gailtal, LEHRER-KALENDER 1887, S.
37): BENEDICTER 1886. – Als Fach der Lehrerausbildung scheint im RVG auch
die „Landwirthschaftslehre mit besonderer Rücksicht auf die Bodenculturver-
hältnisse des Landes“ auf (GESETZ 1869, S. 131, § 29). Ihr zugeordnet sind das
„Landwirthschaftl. Kabinet“ (Zweiter Stock) und die „Geräthekammer der
Landwirthschaftl. Schule“ (Erdgeschoß) sowie der im selben Gesetz (§ 27) ver-
ankerte „Schulgarten“. (Zu diesem im Allgemeinen NAGEL 1908 und im Beson-
deren im I. BERICHT 1874, S. 78, lit. k)
24
dagogischer Encyklopädie“25
) sowie von „pädagogisch-
methodischen Werken“ (BRAUMÜLLER 1882, S. 18, bzw. LECH-
NER 2012, S. IX-XI). Eine ebenfalls detaillierte Statistik berich-
tet von 87 Werken zur Allgemeinen Pädagogik, von 129 Werken
zur Speziellen Methodik und von 238 Werken, die in der Schul-
bücher-Sammlung aufbewahrt werden. (DRITTER BERICHT 1882,
S. 47) (Die betreffenden Zahlen von 1886: 98, 159, 262, und von
1905: 321, 259, --; VIERTER BERICHT 1886, S. 85 bzw. FÜNFTER
BERICHT 1905, S. 123).
- 1925 erscheint die – also nicht länger „Gemeinschaftliche“ –
Bibliothek aufgegliedert in eine „Lehrerbücherei“ (und zwar in
eine der Lehrerbildungsanstalt, ausgestattet mit 2066, und eine
der Lehrerinnenbildungsanstalt, ausgestattet mit 65 Werken)
(Reproduktion der betreffenden Statistik hier S. CXV) sowie in
eine „Zöglingsbücherei der Lehrerbildungsanstalt“ bzw. der
„Lehrerinnenbildungsanstalt“ (SIEBENTER BERICHT 1925, S. 49-
51).26
Nach dieser retrospektiv-literarischen Begehung und Besichtigung der
Räumlichkeiten der Klagenfurter „k . k. Bildungs-Anstalten für Lehrer
und Lehrerinnen zu Klagenfurt“27
unter den Auspizien der einleitend
aufgestellten Thesen lässt sich die folgenden Behauptung aufstellen:
Der Verzicht auf das – vermutlich wenig eindringliche und nachhaltig
wirksame – chronologisch-systematische Vorgehen bei der Darstel-
lung der Schul- und Bildungsgeschichte ist nicht nur zu akzeptieren,
25
Dabei ist offenbar die erste Auflage von dessen „Encyklopädischem Hand-
buch der Erziehungskunde“ (vgl. Reproduktion des Titelblatts hier S. CXXI)
gemeint. 26
Nicht unerwähnt bleiben soll auch die im Erdgeschoß gelegene, drei Räume
unfassende „Dieners Wohnung“; die zugehörige Notiz im I. BERICHT 1874, S.
81: „Dienerschaft. 1. Grubhofer Johann, Schuldiener der k. k. Lehrerbildungsan-
stalt. 2. Maßer Benedikt, Schuldiener der k. k. Lehrerinnenbildungsanstalt.
Wohnen beide im Schulgebäude.“ 27
So der Titel 1874; die folgenden: 1882: „k. k. Lehrerbildungsanstalt in Kla-
genfurt“, 1905: „k. k. Lehrer- u. Lehrerinnenbildungsanstalt in Klagenfurt“,
1925: „Bundes-Lehrer- und Lehrerinnenbildungs-Anstalt in Klagenfurt“, 1935:
„Bundes-Lehrer- und Lehrerinnenbildungs-Anstalt Klagenfurt“, 1937: „Lehrer-
akademie“ (75 JAHRE 1947, S. 87), 1947: „Bundes-Lehrer- und Lehrerinnenbil-
dungs-Anstalt in Klagenfurt“.
25
sondern zu favorisieren, wenn er zugunsten einer Darstellung erfolgt,
die eine durch synchrone und diachrone Gegensätzlichkeiten angerei-
cherte Veranschaulichung durch ein kombiniertes architektonisch-
literarisch-prosopographisches Vorgehen zu Erkenntnis und Ver-
ständnis transformiert. Wenn Gebautes, Geschriebenes und Gezeich-
netes in systematischer Zuordnung ins Spiel kommt, ist die Möglich-
keit gegeben, dass das System kippt und Geschichte mittels der Kraft
der quellenorientierten und logisch regulierten Vorstellung im
„Nachts-im-Museum-Modus“28
lebendig wird, belebend und schließ-
lich nachhaltig belehrend wirkt. Die Gegenstände archtektonischen,
literarischen und prosopographischen Charakters verlieren dann ihre
Statik und avancieren zu Objekten, die nicht mehr der der (naiven) Af-
firmation, sondern der Reflexion (Bernhard Tschofen, zit. n. KÜHN
2014) bzw. der Provokation (LECHNER 2014, S. 7) dienen.
Anzumerken ist noch, dass die gemachten Ausführungen (im Anhang)
nach Art eines „Readers“ durch zeitgenössisches und durch gegenwär-
tiges literarisches Material flankiert werden.
An erste Stelle zu stehen kommt, um dem Lokal- und Temporalkolorit
Tribut zu zollen, eine Reportage der (nachträglichen) Feier des Bezugs
des neuen Hauses der Lehrerbildung bzw. dessen Einhundertjahrfeier
am 5. Mai 1875. – Karl Volkmar Stoy’s „Encyclopädie der Pädago-
gik“ (Leipzig 1861) bzw. deren Kapitel „Von der historischen Päda-
gogik“ kommt – beschränkt auf die die Unterkapitel einleitenden The-
sen – hier zum Abdruck, weil er (RACH 1968, S. 224-226, BÖHM
2005, S. 615) der Erste zu sein scheint, der den Begriff „Historische
Pädagogik“ systematisch entwickelt, eingeführt und auf den Weg ge-
bracht hat (vgl. BREZINKA 1978, S. 168). – Die nächste in chronologi-
scher Reihenfolge ist Heinrich Deinhardt’s Schrift „Über Lehrerbil-
dung und Lehrerbildungs-Anstalten“ (Wien 1869); er hat sich nicht
nur mit Arbeiten zur Heilpädagogik in Österreich (ebd., S. 767, EN-
GELBRECHT 1986, S. 137), sondern eben auch „zur rechten Zeit“ zu
den Themen Lehrerbildung und Theoretische und Historische Päda-
gogik einen Namen gemacht. – Just im selben Jahr, in dem die öster-
reichische bzw. die Kärntner Lehrerbildung ihre Einhundertjahrfeier
28
Deutscher Titel des 2006 in die Kinos gekommenen USA-UK-CAN-Films mit
Ben Stiller in der Hauptrolle (Regie: Shaw Levy).
26
beging, also 1875, ist eine Arbeit zur Didaktik der Historischen Päda-
gogik erschienen. Verfasser ist Johann Christoph Gottlob Schumann
vom Seminar im niedersächsischen Alfeld (SCHUMANN 1875), der für
die zeitgenössische Pädagogik in Österreich auch insofern von Bedeu-
tung wurde, als sein „Lehrbuch der Pädagogik (In drei Bänden.)“
(SCHUMANN 1880) den Untertitel trägt: „Für österreichische Lehrer-
bildungsanstalten umgearbeitet und erweitert von Franz Tomberger,
Professor am n.-ö. Landes-Lehrerseminar und emerit. k. k. Bezirks-
schulinspector in Wiener-Neustadt.“29
– Zum Abdruck aus aktueller
Perspektive kommen noch die „einschlägigen“ Artikel „Geschichte
der Pädagogik“ (BÖHM 2055) und „Historische Pädagogik“ (HERR-
MANN 2007).
Zuletzt seien einige Zeilen zitiert, die „Zum Gebrauche an der k. k.
Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt und zum Selbstunterrichte“ ge-
dacht waren: „Das Vaterhaus, der Schauplatz des Jugendlebens, das engbegrenzte Hei-
matland liegen dem Menschen unendlich näher, als die Paläste, prächtigen
Städte und alle Herrlichkeiten der Fremde; auch spielt sich für die weitaus
meisten Menschen das Erdenleben lediglich auf dem heimatlichen Boden
ab: diesen Boden näher kennen zu lernen, zu erfahren, was auf demselben
seit Menschengedenken sich zugetragen, was die Väter auf demselben ge-
schaffen, – die Freuden und Leiden der Vorfahren nachzuempfinden, ist
Herzenssache und nächste Pflicht. – Allein, außerhalb der heimatlichen
Marken gibt es ja auch Länder mit Bergen und Flüssen, mit Menschen, die
gleich uns denken und fühlen und streben; über die Heimat und die Fremde
wölbt sich derselbe Sternenhimmel: wir sollen also und müssen unsere Bli-
cke, unsere Schritte oft in die große Welt lenken. Damit wir uns aber in der
Fremde zurechtfinden, damit wir sie vor allem nicht überschätzen, müssen
wir aus diesem zweiten Grunde im verständigen Anschauen der alltägli-
chen Erscheinungen der Umgebung die Sinne üben, durch die ruhige und
liebevolle Betrachtung der einfachen und vielleicht bescheidenen Verhält-
nisse der Heimat die Urtheilskraft schärfen, eingedenk der Wahrheit: die
Heimat ist die Welt im kleinen.“
29
1899 ist die 11. Auflage seines – vermutlich auch in Klagenfurt verwendeten
– Werkes „Einleitung und Geschichte der Pädagogik mit Musterstücken aus den
pädagogischen Meisterwerken der verschiedenen Zeiten“ (SCHUMANN 1899)
erschienen.
27
Sie stehen im Vorwort der Schrift „Heimatskunde des Herzogthums
Kärnten. (…) Herausgegeben von Edmund Aelschker, k. k. Professor
an der Oberrealschule, und Josef Palla, k. k. Professor an der Lehrer-
bildungsanstalt und Stadtschulinspector in Klagenfurt“ (Klagenfurt
1887) (AELSCHKER / PALLA 1887). Und sie können als Symbol dafür
stehen, dass „Heimatlichkeit“ nicht Weltfremdheit bedeuten muss,
dass die eine sogar Bedingung der Erkenntnis der anderen, also der
Welt, ist, dass auf solidem Fundament stehen muss, wer das weite
Firmament studieren will. Dass dies nicht allein in geschichtlicher und
geographischer Hinsicht gelten sollte, darum ist es in den vorliegen-
den Ausführungen gegangen. Im vorliegenden Falle steht also das zi-
tierte „Vaterhaus“ für das Klagenfurter Haus der Lehrerbildung und
die „große Welt“ für die Historische Pädagogik.
Literatur
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In: SIEBENTER BERICHT 1925, S. 9-25 (Neu hrsg.: LECHNER [Hrsg.] 2000, S.
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Josef WÜSTNER: Entwurf eines Wochenbuches für die ungetheilte einclassige
Volksschule. In: VIERTER BERICHT 1886, S. 1-80
ZWEITER BERICHT der k. k. Bildungs-Anstalten für Lehrer und Lehrerinnen zu
Klagenfurt am Schlusse des Schuljahres 1877, Klagenfurt
Nachtrag: Die auf Mitschriften von Albine Lebmacher und die Vorbereitungen
bzw. „Stundenbilder“ von Angela Kuscher (S. 18 bzw. 22) befinden sich im Ar-
chiv der Österreichischen Gesellschaft für Historische Pädagogik und Schulge-
schichte, Klagenfurt.
I
I.
Klagenfurt, 7. Mai.
Die Jubelfeier der Lehrerbildungsanstalt.1
Ein herrliches Fest feierte Mittwoch die hiesige Lehrerbildungsanstalt, näm-
lich die Jubelfeier zur Erinnerung an ihr hundertjähriges Bestehen. Die große
Kaiserin, welcher Klagenfurt zuerst ein Denkmal gesetzt, hat diese Volksschule
– eine der ersten in Oesterreich – in weiser Fürsorge für Unterricht und Bildung
des Volkes, wie wir bereits neulich berichtet, im Jahr 1774 begründet. Wenn je
die Erinnerung an eine That gefeiert zu werden verdiente, so ist es die Erinne-
rung an die Schöpfung der Volksschule durch Maria Theresia. Der Bedeutung
dieses Ereignisses entsprechend war auch die Jubelfeier würdevoll und erhe-
bend.
Vormittag celebrirte der hochw. Fürstbischof Wiery in der Domkirche eine
Festmesse, an welcher kirchlichen Feier außer den Lehrern und Schülern der
Anstalt zahlreiche andere Personen theilnahmen.
Die eigentliche Feier fand Nachmittag 4 Uhr im großen Wappensaale des
Landhauses nach dem von uns bekanntgegebenen Programme2 statt. Vor 4 Uhr
waren die Candidaten und die Schüler der Anstalt, geführt von ihren Professoren
und Lehrern, erschienen. Auf der Tribüne stellten sich die Candidaten und
Candidatinnen auf, während die Uebungsschüler und Schülerinnen an den
Längswänden ihre Plätze angewiesen erhielten. Der übrige Raum war für die
Ehrengäste und übrigen Festtheilnehmer reservirt und war dicht besetzt. Er-
schienen waren Se. Excellenz der Herr Statthalter Graf Lodron mit ihrer
Excellenz der Frau Gemalin, Se. Excellenz der Herr Landeshauptmann Graf
Goëß, der hochw. Herr Fürstbischof Dr. Wiery, der Herr Statthaltereirath Novak,
Herr Bürgermeister G. Jessernig, Herr Landesschulinspector Dr. Gobanz und
zahlreiche Honoratioren der Aristokratie und des Bürgerstandes. Das Gros der
Theilnehmer bildeten natürlich die Directoren, Professoren und Lehrer der hie-
sigen Unterrichtsanstalten.
Die Feier wurde mit der Ouverture zur Oper Titus von Mozart eröffnet; dieser
folgte eine Festhymne von Neckheim, worauf der Director der Lehrerbildungs-
anstalt Herr Dr. Brandl von der Tribüne aus folgende Festrede hielt:
Hochansehnliche Versammlung!
Im Leben des Menschen spielt die Erinnerung eine wichtige Rolle. Wir tragen
das Andenken an jene seligen Stunden in unsern Herzen, als der ehrwürdige
Großvater uns so selig auf den Knien schaukelte, als der liebende Vater den ers-
1 In: Klagenfurter Zeitung, 8. Mai 1875, S. 776-777, 9. Mai 1875, S. 782.
2 Artikel vom 29. April 1875, S. 718, Reproduktion hier S. CXXII f.
II
ten Samen des künftigen Glückes in das jugendliche Herz legte und als der
Jüngling sich losriß von der treuen Mutterbrust, um in die Welt hinauszustür-
men. Wie beim Einzelnen, so zeigt sich auch bei ganzen Geschlechtern dieser
Hang, das Andenken an große Thaten, an berühmte Männer oder segensreiche
Institutionen zu feiern. Gerührt und dankbar treten wir hin vor den Denkstein
der Geschichte, der von den Geistern spricht, die für uns gekämpft, gewirkt und
gelitten haben, und es ist ein schönes Zeugniß, wenn wir diese kindlichen Ge-
fühle in uns fortvererben und die Liebe der Väter durch den Dank der Enkel ver-
zinsen. Wir stehen an der Scheidegrenze eines Jahrhunderts in der Geschichte
unserer Anstalt, ja, ich kann sagen, in der Geschichte unseres Volksschulwesens.
Wie der Frühling von den Bergen steigt, so erklangen vor hundert Jahren, nach-
dem aller Unterricht nur Privatsache war, von Oben herab, von der großen Kai-
serin Maria Theresia, die großen Worte: „Die Volksbildung ist ein Politikum.“
Im Jahre 1774 erschien die allgemeine Schulordnung und damit ein Um-
schwung, wie man ihn größer und gewaltiger nicht denken konnte. Diesem ver-
dankt auch unsere Anstalt ihre Entstehung. Vor dem Jahre 1774 gab es für den
zukünftigen Lehrer keine besondere Standesbildung, wer ein wenig lesen und
schreiben konnte, war auch gut genug für einen Schulmeister. Waren auch die
ersten Einrichtungen höchst primitive, denn noch in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts war die Ausbildung eines Landschullehrers mit drei Monaten, jene
eines Hauptschullehrers mit sechs Monaten beendigt, so war doch wenigstens
der Anfang zu einer Fachbildung gemacht. In dem bewegten Jahre 1848 wurde
ein Anlauf zur Reform unseres gesammten Schulwesens genommen, aber das
Meiste verlief in den Sand, weil man mehr von Oben angefangen hat, als von
Unten hinauf. Erst der ruhmreichen Regierung unseres erhabenen Monarchen
war es vorbehalten, wie in allen Zweigen des öffentlichen Lebens, so auch auf
dem Gebiete des Unterrichtswesens zu reformiren, so daß wir den vorgeschrit-
tensten Staaten ebenbürtig zur Seite stehen.
Aber alle Reformen werden zu Formen, sie können nicht in Fleisch und Blut
übergehen, wenn nicht von Unten auf gebaut wird, wenn wir unsere Kinder
nicht zu Menschen erziehen, wenn wir ihnen nicht jene geistigen Schätze ins
sturmbewegte Leben mitgeben, die ihnen einen sichern Halt verschaffen. Die
Gewalt der Jahre ändert alle Menschen und alle menschlichen Verhältnisse, nur
die höchsten Güter des Geistes sind allein das ewig Feste, sie sind ein Leucht-
thurm, der weit hinausragt in das wogende Meer des Lebens und den Schiffern
im Sturme der Zeit Rettung bietet gegen die Fluthen der Vergänglichkeit. Wo
aber finden wir die höchsten Güter des Geistes, wo wird der Grund gelegt für
die Menschenrechte, die wahre Freiheit, für die Sittlichkeit und den Charakter?
Die Grundlagen dafür sind eine weise Erziehung und ein guter Unterricht. Was
wir mit den Griffeln des Wissens in unsere Seele schreiben, damit meiseln und
schleifen wir unser eigenes Herz, daß es glatt wird und die Makeln der Verir-
rung verschwinden. Wer viel weiß und kann, wird auch das Gute vom Bösen
leichter unterscheiden, den wahren Werth alles Seienden erkennen und darin die
Triebfedern zu seinem Handeln finden.
III
Darum ist es die erste Arbeit eines jeden zu freiem Leben erwachenden Staa-
tes gewesen, der Schule seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und dort seine ver-
bessernde Hand anzulegen. Und sollte er es nicht? Das ganze Volk gibt ja seine
Kinder, seinen Stolz, seine Hoffnung, die Zukunft des Staates der Schule in die
Hände. Hat das Bäumchen sich dem mütterlichen Schooße der Erde entrungen,
so pflegt und lenkt es die sorgsame Hand des Gärtners, er muß es stutzen und
beugen, wenn es zum lebenskräftigen Baume erblühen, wenn es fortkeimen und
lohnende Früchte tragen soll. Die Schule ist der fruchtbare Garten, in welchem
emsige Gärtner das Kind pflegen und heilsame Lehren als köstlichen Samen in
sein Herz legen; es muß gebeugt, aber auch gestutzt werden, daß alle Rauheit
und ungebundene Kraft mit der schlummernden Milde und Menschenwürde sich
in Harmonie auflöse und früh sich beuge in die Schranken des göttlichen und
des menschlichen Gesetzes, denn die Schule weckt in dem Kinde die Achtung
vor allem Edlen und Hohen, die sittliche Kraft und die Menschenwürde. Es ist
das höchste Ziel des Lebens, taugliche Glieder der Menschheit und kräftige
Stützen des Staates, des Vaterlandes zu sein. Wohl dem Lande, das eine edle
und kräftige Jugend erzieht, es wird eine feste Mauer an seinen Bürgern haben.
Das Vaterland ist es, das uns die Möglichkeit bietet, vom Quell des Wassers zu
trinken, indem es mit segensvoller Hand Schulen errichtet, und außer der Liebe
fesselt uns noch die Dankbarkeit an das Vaterland. Unsere ganze Kraft sei ihm
geweiht, daß es feststehe, wie ein Fels im Meere, daß wir einen kleinen Theil
unsrer großen Schuld an ihm abtragen. Darum Dank dem erhabenen Monarchen,
Dank dem Reiche und der h. Regierung, Dank dem engeren Heimatlande für alle
Sorgfalt und alles Wohlwollen, das sie der Schule angedeihen ließen.
So mancher Knabe tritt entblößt von allen Mitteln in unsere Mauern, drü-
ckende Armuth hat ihn von Kindesbeinen an verfolgt, aber er kann dem Drange
seines Herzens nicht widerstehen, seinen Geist auszubilden, er verläßt die Hei-
mat, bauend auf milde Hände, denn der Ruf der Wohlthätigkeit der Bewohner
unserer Stadt ist bis in seine entlegene Hütte gedrungen. Er hat sich nicht ge-
täuscht, denn mit vollen Händen spendeten die edlen Bewohner der Stadt und
namentlich das ehrwürdige Institut der Sparkasse reichliche Liebesgaben der
aufstrebenden wißbegierigen Jugend. Ich spreche den Dank aus für diese Milde
und Menschenfreundlichkeit.
Ihnen aber, theure Amtsgenossen, Ihnen danke ich für Ihren unermüdlichen
Eifer, zum Wohle der Lehranstalt und der Ihnen anvertrauten Jugend, der keine
Mühe scheut, lassen Sie uns stets treu zusammenstehen in dem schwierigen,
aber auch erhabenen Berufe, denn was wir mit vereinter Kraft beginnen, macht
uns muthiger im Ringen, kraftbewußt zum Ausharren und hoffnungsfreudig für
einen segensreichen Erfolg.
Sie aber, meine lieben Schüler, die Sie einen schönen, aber auch schweren
Beruf gewählt, denn Ihnen ist das Glück unserer Jugend in die Hand gegeben,
mögen Sie denselben mit ganzer Seele ergreifen, denn was der Mann ist, muß er
ganz sein; dringen sie mit frischem Muthe und frischer Kraft vorwärts auf der
Bahn des Wissens und praktischer Thätigkeit. Sehen Sie allen Mühen und Sor-
IV
gen muthvoll entgegen und der Lohn wird nicht ausbleiben, er wird unvergäng-
lich sein, wie er Dichter sagt:
Wisse, daß die Gunst der Musen
Unvergänglich verheißt,
Den Gehalt in deinem Busen
Und die Form in deinem Geist.
Stürmischer Beifall folgte den mit Begeisterung gesprochenen schönen Wor-
ten.
Nach Executirung zweier musikalischer Piecen hielt der Lehramtscandidat
Felix Knotz folgende Rede:
Hochverehrte Versammlung!
Wenn ein Diener des Volkes oder Staates sein Dienstjubiläum feiert, so wett-
eifern die Amtsgenossen, den ergrauten Amtscollegen zu begrüßen, zu be-
glückwünschen. Wenn ein ehrwürdiges Ehepaar seine goldene Hochzeit feiert,
so eilen die Kinder, Enkel und Urenkel herbei, das seltene Fest mitzufeiern und
Gefühlen der Pietät Ausdruck zu verleihen. Doch in die Freude solcher Feste
mischen sich stets Gefühle der Wehmuth, zumal solche Jubiläen zugleich
gleichsam Abschiedsfeste vom Leben sind. Unsere Lehrerbildungsanstalt begeht
heute auch ein Dienstjubiläum und empfängt Anerkennung von Nah und Fern
für ihr hundertjähriges Streben und Wirken im Dienste der Volksbildung, emp-
fängt Glückwünsche zu ihrer hundertjährigen Vermählung mit der pädagogi-
schen Wissenschaft. Aber in die Freude und feierliche Stimmung dieses Jubel-
festes mischt sich kein Gefühl der Wehmuth, denn die Jubilantin ist zwar reich
an Jahren, aber noch reicher an jugendlicher Kraft und wird, dessen sind wir
überzeugt, nicht altern, so lange die Menschen dem Bewußtsein der Macht und
der Nothwendigkeit der Volksbildung leben. Ein solches Fest läßt den Strom der
Gedanken und Gefühle höher gehen und rechtfertigt manches Ungewöhnliche,
so auch die Erscheinung, daß ein bescheidener Jüngling im Namen von seines-
gleichen das Wort ergreift. Die Lehrerbildungsanstalt ist ihren Zöglingen gleich-
sam Vater und Mutter zugleich, die Zöglinge selbst, in deren Namen ich spre-
chen darf, sind ihre Schoßkinder! Die Natur, göttliche und menschliche Gesetze
verlangen aber: Du sollst Vater und Mutter ehren! Darum sei es mir gegönnt, im
Namen meiner Mitschüler unserer geistigen Mutter, unseren Lehrern und Pro-
fessoren besonders auch am heutigen Tage die tiefste Verehrung, den besten
Dank zu bezeugen, und dies geschehe durch das feierliche Versprechen, daß wir
einst im Dienste der Volksbildung von ihrem selbstlosen Streben und Wirken
volles und unverfälschtes Zeugniß ablegen werden. Soll ich auch der erhabenen
Fürstin gedenken, welche vor einem Jahrhundert durch die Gründung der Nor-
malschule der Volksbildung eine reine und unversiegliche Quelle erschloß? –
Bemerken will ich nur, daß die große Kaiserin, diese unverzagte Heldin im
Kampfe für ihr Recht, für den Ruhm und für die Größe unseres Vaterlandes,
uns, den Zöglingen und künftigen Lehrern, ein leuchtendes Vorbild der Liebe
zum Vaterlande und Volke, des Bewußtseins für Recht und Pflicht sein wird.
V
Und die Geschichte Maria Theresias und ihres großen Sohnes soll uns künftigen
Lehrern eine Quelle sein von Beispielen der Heldenkraft, gepaart mit echter
Humanität, die wir den Söhnen des Volkes an’s Herz legen wollen, damit sie in
der Liebe zum Vaterlande, in der Anhänglichkeit an das erhabene Kaiserhaus
nie ermatten. Die Zöglinge der Lehrerbildungsanstalt sind sich noch einer an-
dern Pflicht bewußt und ergreifen durch mich die heutige Gelegenheit, die ge-
ziemend zu erfüllen. Es ist die Pflicht der Dankbarkeit gegen unsere Wohlthäter,
insbesondere gegen sie hochverehrten Bürger von Klagenfurt. Was wir ihnen als
Zöglinge zu danken haben, das wollen und werden wir als Lehrer in unserem
künftigen Berufe durch Erziehung der Volksjugend zu echter Humanität vergel-
ten. Es sei mir noch gestattet, zum Schlusse eine Bitte an die hochverehrte Ver-
sammlung zu richten. Mögen die Sympathien aller Freunde der Volksschule uns
und unseren Genossen, insbesondere aber der Anstalt und ihren jeweiligen Zög-
lingen erhalten bleiben. Die Kraft des Lehrstandes wirkt doppelt, der Erfolg der
Schule hundertfach, wenn der Segen des Volkes, der Gebildeten auf ihr ruht.
Die Versammlung nahm diese Rede mit großem Beifalle auf.
Klagenfurt, 8. Mai.
II.
Einen anderen Theil der Festfeier bildete neben den beiden Festreden die
Concertproduction, bei welcher sämmtliche Musik- und Gesangstücke von An-
gehörigen der Lehranstalt (nur in der Ouverture wirkten zwei auswärtige Herren
mit) aufgeführt wurden. Das Concertprogramm enthielt folgende Nummern:
Ouverture zur Oper Titus von Mozart.
Festhymne, gemischter Chor mit Orchesterbegleitung von Hans Neckheim,
Musiklehrer der k . k. Lehrerbildungsanstalt.
„Die Wasserrose“, Männerchor von Gaugler.
Duo sur des motifs de l’Opera Faust, von Gounod für Violine und Piano, vor-
getragen von dem Lehramtscandidaten Victor Pollak.
Morgenlied, gemischter Chor, Melodie von J. Gersbach, harmon. von Hans
Neckheim.
„O wie wunderschön“, gemischter Chor von Hans Neckheim.
La Traviata für Flöte und Piano von Terschak, vorgetragen von dem Lehr-
amtscandidaten Karl Meinecke.
„Frühlings Wiederkehr“, Männerchor von Rich. Müller.
„Mein Oesterreich“, Marsch für Blechmusik von Hallmayer.
Volkshymne mit Blechmusikbegleitung.
Es war eine weihevolle Stimmung, welche die Theilnehmer des Festes wäh-
rend der Production zur Schau trugen, man lauschte den Musik- und Gesangstö-
nen und ungetheilter Beifall nach jeder einzelnen Piece sprach den wackeren
Lehrern, sowie den staunenswerthen Leistungen der Schüler Anerkennung und
Lob aus. Besonders erhebend wirkte zum Schluß die Absingung der Volkshym-
ne mit Blechmusikbegleitung. Die Theilnehmer der Feier gaben ihrem Loyali-
VI
tätsgefühle durch Erheben von den Sitzen Ausdruck; zahlreiche Anwesende
stimmten in die Klänge der Volkshymne ein.
Abends fand im großen Casinosaale ein glänzendes Festbanquett statt, an
welchem auch Ihre Excellenzen der Herr Statthalter Graf Lodron und der Herr
Landeshauptmann Graf Goëß theilnahmen.
Den Reigen der zahlreichen Festreden eröffnete Herr Director Dr. Brandl mit
folgendem Toaste auf Se. Majestät den Kaiser:
Hochansehnliche Versammlung!
„Gestatten Sie mir, unter dem erhebenden Eindrucke des heutigen Festes die
Gefühle einer dreifachen Liebe auszusprechen. Die Liebe zum Vaterlande, die
Liebe zum Fürsten, die Liebe zum Volke sind unzertrennlich, wenn sie recht und
echt sind. Die Schönheiten und Segnungen des ersten, die Würde und die Groß-
thaten des zweiten, die Urtugenden des dritten begeistern jede fühlende Brust
und wenn diese freieinige Liebe alle Herzen erwärmt, dann ist es wohlbestellt
mit dem Staate und jeder Gesellschaft. Ein Fürst aber kann es nicht besser mit
dem Vaterlande und seinem Volke meinen, nichts Besseres für sein Volk thun,
als wenn er dasselbe geistig und sittlich immer höher zu stellen sucht, und je hö-
her es innerlich steht, desto mehr Macht und Ansehen wird es auch nach außen
hin gewinnen. Wir aber, die wir an dem schwierigen Werke der Volkserziehung
arbeiten, wir werden vom Vaterlande, von Fürst und Volk unterstützt und dafür
sind wir Ihnen auch Dank schuldig. Lassen Sie uns dahin arbeiten, daß das gan-
ze Volk mit den Waffen des Geistes wie eine lebendige Mauer um die alte
Habsburg steht. Oesterreich hat sich verjüngt unter der segensreichen Regierung
unseres erhabenen Monarchen und wer sein Vaterland und sein Volk liebt, der
muß dafür auch deren Repräsentanten seine Liebe, seine Ehrfurcht und seinen
Dank weihen. Deshalb stimmen Sie ein mit mir: Se. Majestät unser allergnä-
digster Kaiser, der Regenerator unseres Unterrichtswesens, der Schöpfer unse-
res verjüngten Vaterlandes, lebe hoch!“ Die Versammlung stimmte mit Begeis-
terung in diese Hochrufe ein.
Hierauf ergriff das Wort Se. Excellenz der Herr Statthalter Graf Lodron und
brachte folgenden warm gefühlten Toast auf das Land Kärnten:
Meine Herren!
„Das Fest, das wir heute begehen, ist ein Fest der Volksschule im eminentes-
ten Sinne des Wortes; denn das Verhältniß der Lehrerbildungsanstalt zur Volks-
schule ist ein so nahes, so inniges, wie das der Mutter zur Tochter und das Ge-
burtsfest der Mutter ist doch sicher ein Freudenfest für die Tochter.
Der Tochter Ehre ist der Mutter Freude; darum geziemt es sich wol, am heuti-
gen Tage auf die Fortschritte hinzuweisen, welche die kärntnerische Volksschu-
le seit den Tagen der großen Kaiserin gemacht hat, und wenn wir einen verglei-
chenden Blick auf Einst und Jetzt werfen, so muß insbesondere der Fortschritt
unseres Volksschulwesens im letzten Quinquennium uns mit hoher Freude und
Befriedigung erfüllen.
VII
Dieser Fortschritt aber, meine Herren, wäre nicht möglich gewesen, wenn des
Landes Bevölkerung der neuen Schulgesetzgebung nicht ein so tiefes und richti-
ges Verständniß der Wichtigkeit der Volksschule und ihrer Bedeutung für die
Zukunft des Einzelnen und des Volkes entgegengebracht hätte.
Dieses Verständniß hat die Opferwilligkeit erzeugt, mit welcher Kärnten die
schweren Lasten für die Schule auf sich genommen hat; dieses Verständniß ist
der Motor, welcher die Bevölkerung selbst zur Errichtung neuer Schulen drängt
und die Gemeinden trotz der Ungunst der Verhältnisse zu kostspieligen, den
neuen Anforderungen entsprechenden Schulbauten bewegt.
Meine Herren! Kärnten kann mit berechtigtem Stolze auf seine Leistungen für
die neue Volksschule blicken; es mag aber auch mit Beruhigung der Entwick-
lung des Samens, den es in den Boden legt, entgegensehen; er wird aufgehen
und mit hundertfachen Früchten die heutigen Opfer loben.
In dieser Ueberzeugung hebe ich mein Glas und lade Sie, meine Herren, ein,
dem Danke und der Anerkennung, die wir dem Lande für seine opferwillige
Förderung der Volksschule zollen, Ausdruck zu geben mit einem begeisterten
Hoch auf Kärnten und seine schulfreundliche Bevölkerung!“
Se. Excellenz der Herr Landeshauptmann Graf Goëß gedachte des Lehrkör-
pers und der Lehrerbildungsanstalt mit folgendem Toaste:
„Der heutige Tag ist für das Land und dessen Vertretung, an deren Spitze ich
die Ehre habe zu fungiren, ein ebenfalls hochwichtiger. Das Land kann sich
rühmen, daß seine Hauptstadt zu den ersten Städten der Monarchie gehört, in
welcher vor einem Säculum unter der Regierung der großen Kaiserin Maria
Theresia eine Anstalt gegründet wurde, deren Zweck nicht nur allein die geistige
Ausbildung der Jugend, sondern auch die Heranbildung derjenigen war, welche
sich diesem Berufe gewidmet haben.
Wenn auch in vergangener Zeit diese damaligen Muster- und Präparanden-
schulen für Lehramts-Candidaten (wie man sie nannte) gleichsam noch in Kind-
heit und theils durch die damaligen Gesetze und Anschauungen in ihrem Wir-
kungskreise beschränkt waren, so führt uns doch die Geschichte Männer vor,
welche schon damals herangebildet wurden, deren Namen ewig ruhmvoll blei-
ben werden.
Jetzt, hundert Jahre nach Gründung dieser Anstalt, ist Ihr Wirkungskreis,
meine Herren, in so hohem Maße erweitert, es ist Ihnen die Möglichkeit und Ge-
legenheit gegeben, nach Ihrer freien Anschauung Ihre Kenntnisse Andern zu
lehren.
Durch diese Resultate und die richtige Auffassung Ihrer Aufgabe haben Sie
sich der allgemeinen Anerkennung vollkommen würdig gemacht.
Möge dieses Bewußtsein Sie noch ferners aneifern, fortan mit Kraft und That
Ihrem Berufe nachzukommen, damit diese Anstalt die Früchte, deren Samen in
den vergangenen hundert Jahren gestreut wurde, in abermals hundert Jahren in
vielfachem Maße ernten könne.
Aber auch drängt es mich, des gesammten Lehrkörpers zu erwähnen, der mit
vollem Rechte die Anerkennung für seine Erfolge in hohem Grade verdient.
VIII
Ich bringe somit zum Schlusse dem gesammten Lehrkörper ein Hoch! und
der Lehrerbildungs-Anstalt ein aufrichtiges Glückauf! für deren ferneres Gedei-
hen und Zukunft!“
IX
II.
K. V. Stoy
Encyclopädie der Pädagogik1
(Encyclopädie, Methodologie und Literatur der Pädagogik, Erster Theil),
Leipzig 1861
2. Von der historischen Pädagogik.
§ 40.
Einleitung.
Das Bedürfnis, welchem die historische Pädagogik dienen soll, verlangt vor
Allem Kenntniss des gegenwärtigen Momentes, an welchen der zukünftige soll
angeknüpft werden, führt somit zunächst auf eine pädagogische Statistik. Da in-
dessen die Gegenwart nur kann verstanden werden als Resultat der Vergangen-
heit, so wendet sich das Interesse weiter rückwärts zu vergangenen Jahren und
Jahrhunderten, somit zu einer historischen Pädagogik im eigentlichen Sinne.
Dieselbe hat demzufolge im Motiv ihrer Entstehung ein Princip, welches für
Umfang und Art ihrer Untersuchungen maassgebend ist.
§ 41.
Das Verständniss des historischen Materials ist selbstverständlich an be-
stimmte Voraussetzungen geknüpft. Da nun erstens die Erziehungsgeschichte
ihrem Begriff nach der Gesammtgeschichte als Theil zugehört, so wird diese
sammt der ihr zugehörigen Chronologie und Geographie für die historische Pä-
dagogik zur allgemeinen Hilfswissenschaft: da aber ferner zweitens die eigent-
hümlichen Quellen für die Geschichte der Erziehung sprachliche Kenntnisse al-
ler Art und diplomatische Fertigkeiten in Anspruch nehmen, so werden Philolo-
gie im weitesten Sinne des Wortes und Diplomatik zu besondern Hülfswissen-
schaften für die historische Pädagogik.
1 Reproduktion des Titelblatts, des Inhaltsverzeichnisses und der Seite 110 hier
S. CXXIV ff.
X
§ 42.
Historischen Zuständen kann der Beobachter in zwiefacher Hinsicht gegen-
übertreten, entweder so, dass er die Gesammtheit der zusammengehörigen Din-
ge in ihrer Wechselwirkung und Aufeinanderfolge betrachtet, oder so, dass er,
ein Element aus der Mehrheit heraushebend, die Fortbewegung und Fortentwi-
ckelung dieses einen im Strome der Zeiten im Auge behält. Dem ersteren Ver-
fahren hat der allgemeine Theil der historischen Pädagogik, dem letzteren der
besondere zu entsprechen.
1. Allgemeiner Theil.
§ 43.
Es liegt in der Natur der erziehenden Thätigkeit, dass das Handeln oftmals
durch die Forderungen des Augenblicks und der Verhältnisse, unbestimmte Ein-
drücke, unerwartete Erregungen, kurz nicht durch Einsicht und klares Vorstellen
veranlasst wird, und wiederum, dass die Gestaltung, Veredlung oder Trübung
des pädagogischen Gedankenkreises unabhängig von einer zugehörigen Praxis
von Statten geht. In diesen nothwendigen und eben darum im Grossen wie im
Kleinen sich wiederholenden Vorgängen liegt für die historische Pädagogik ein
zwingendes Motiv, die Geschichte der pädagogischen Praxis von derjenigen der
pädagogischen Meinungen gesondert zu betrachten und erst auf Grund solcher
Sonderung die gegenseitigen Beziehungen in Betracht zu ziehen.
§ 44.
Pädagogische Meinung und Praxis haben gemeinsame Beziehungen zu Re-
ligion und Wissenschaft und werden demnach beide von den auf diesen Gebie-
ten vorhandenen Zuständen berührt werden. Dagegen werden Veränderungen in
dem philosophischen Bewusstsein einer Zeit mehr die pädagogische Meinung,
Bewegungen auf dem politischen und socialen Gebiete mehr die pädagogische
Praxis bestimmen.
§ 45.
Gegenüber dieser Vielheit von allerlei, oftmals gegenseitig sich aufheben-
den Meinungen wie dem bald aufwärts, bald abwärts gerichteten Treiben der
Praxis ist das Verlangen nach Einheit vollkommen gerechtfertigt. Diesem Ver-
langen entspricht nicht die Darstellungsform der Chronik, noch die des Me-
moirs, noch die des Pragmatismus, sondern einzig und allein die genetische Ge-
schichtschreibung. Die Frage nach der Gliederung des Stoffes in Perioden findet
innerhalb dieser Form von selbst ihre Erledigung.
XI
§ 46.
Die genetische Geschichtschreibung erweist sich ihrer Natur nach auch al-
lein geeignet, die durch ihre Nähe leicht verwirrenden pädagogischen Erschei-
nungen der Gegenwart verständlich zu machen und über dieselben den Betrach-
ter zu erheben. Sie übt so den wohlthätigen Einfluss aus, dass sie, ebenso wohl
vor eiliger Bewunderung als vor unzeitigem Kleinmuthe bewahrend, die dem
erziehlichen Handeln unentbehrliche richtige Stimmung erzeugen und schützen
hilft.
2. Besonderer Theil.
[§ 47.]
Die Anzahl der Materien, an deren Bearbeitung die pädagogische Special-
historie gehen kann, ist unendlich und muss es sein, weil jede pädagogische
Aufgabe ihre Geschichte hat und als Element in der historischen Gesammtent-
wickelung angesehen werden kann. Die Gesichtspunkte für den Ueberblick über
die überhaupt möglichen historischen Specialuntersuchungen liegen in den pä-
dagogischen Wissenschaften.
§ 48.
1. Geschichte der pädagogischen Diätetik.
Die pädagogische Diätetik enthält vorerst die Hauptbegriffe der Nahrung,
Wohnung, Kleidung, Lebensordnung, nächstdem die der Gymnastik. Auf Grund
dieser Hauptbegriffe untersucht die historische Forschung die verschiedenen
Formen, in denen das leibliche Leben der Kinder zu verschiedenen Zeiten sich
bewegt hat. Es handelt sich nicht bloss darum, die Zustände selbst darzustellen,
sondern auch ihren Ursprung und Zusammenhang mit andern Potenzen, endlich
ihre etwaigen pädagogischen Folgen.
§ 49.
2. Geschichte der Didaktik.
Wie die Didaktik an die Begriffe der Materie und Form des Unterrichts ihre
allgemeinen Betrachtungen anknüpft, so legt die Historie die verschiedenen An-
sichten und Veranstaltungen vor, welche in Materie und Form des Unterrichtes
im Laufe der Zeiten ihren Ausdruck gefunden haben. Nächstdem aber führt die
specielle Didaktik auf eine Geschichte der Methodik jedes einzelnen Unter-
richtszweiges, der zugehörigen Technik und ihrer Hülfsmittel.
XII
§ 50.
3. Geschichte der Hodegetik.
Die Geschichte derjenigen Begriffe, in denen die Führung sich bewegt,
weist mitten hinein in die stilleren Kreise des Lebens. Die engeren und weiteren
Schranken, in welchen die Jugend eingeschlossen ist, die Zuchtmittel und insbe-
sondere die Strafen und Belohnungen, welche die Erwachsenen für nothwendig
erachten, die Beschäftigungen, die Arbeiten wie die Spiele – das sind die Haupt-
punkte für die pädagogische Meinung und Praxis. Hier versprechen auch Denk-
mäler der Poesie und der bildenden Kunst manche Ausbeute.
§ 51.
4. Geschichte der praktischen Pädagogik.
Von den Verhältnissen, über welche die praktische Pädagogik handelt, sind
offenbar Haus und Schule diejenigen, an welche alle historischen Untersuchun-
gen sich anschliessen werden. Insbesondere ist die in der christlichen Welt mehr
und mehr in den Vordergrund tretende Schule ein historisches Problem von dem
weitesten Umfange. Selbstverständlich kann jede Art von Schule Gegenstand
historischer Untersuchung werden.
XIII
III.
Heinrich Deinhardt
Über Lehrerbildung und Lehrerbildungs-Anstalten1
Wien 1869
Die theoretische Pädagogik
In dem Unterrichte der Lehrerschule, der die pädagogische Theorie betrifft, ist
Alles als überflüssig und daher schädlich zu vermeiden, was dem Zwecke, die
künftigen Lehrer zu orientieren, um sie zu befähigen, die Aufgabe der gegen-
wärtigen Volksschule mit Rücksicht auf gegebene Verhältnisse selbständig zu
bestimmen, abseits liegt oder über sie hinausgeht. Wir negieren daher vor Allem
eine Darstellung der pädagogischen Theorie, welche darauf angelegt ist, sich zu
einem speciell ausgeführten Schul- und Unterrichtsplane zuzuspitzen, welche
also den Charakter der Anweisung annimmt oder vielmehr von vornherein hat.
Das Planmachen, die durchgeführte Anwendung pädagogischer, didaktischer
und methodischer Grundsätze auf das Ganze des Unterrichts und der einzelnen
Disciplinen muß den selbständig gewordenen Lehrern – abgesehen von den
maßgebenden Bestimmungen der Schulgesetzgebung, wie abgesehen von ihrer
freiwilligen und in Anspruch genommenen Verständigung und Einigung – über-
lassen bleiben, und insofern schon die Lehrschulzöglinge damit beginnen wer-
den und sollen, muß ihr Verhalten dabei ein innerliches und freies sein.
Ein Unterricht, der in dieser Beziehung vorgreift, indem er, um recht
praktisch zu sein, den künftigen Lehrern Irrungen und vergebliche Anstrengun-
gen zu ersparen prätendirt, ist wesentlich unpraktisch, weil er bei den schwäche-
ren oder fügsameren Naturen das Selbstdenken in Ruhe setzt, bei den begabteren
oder kräftigeren die geheime Opposition bedingt. Der an sich theoretische Un-
terricht muß durchaus, um seinem Zwecke zu entsprechen, also wahrhaft prak-
tisch sein, theoretisch bleiben. Er darf sich aber auch nicht in Abstractionen be-
wegen, um durch ein „zwingendes“ Beweisverfahren die Satzreihen, von denen
für praktische Pläne ausgegangen werden soll, festzustellen, sondern muß, um
einerseits die Objectivität zu wahren, welche bei den Hörern oder Zöglingen das
Gefühl der Freiheit und Unbefangenheit erzeugt, andrerseits, indem er Anschau-
ungen bietet, die Gedankenbewegung als dialektische zu vergegenwärtigen und
1 S. 129-135. Reproduktion der Titelblatts und der Seiten 129 und 130 hier S.
CXXVIII ff.
XIV
die pädagogischen Fragen hervortreten zu lassen, zu verfolgen und über ihren
Stand thatsächlich zu orientiren, historisch-entwickelnde Darstellung sein.*)
Die rein philosophische Darstellung, die von Begriffen ausgeht, um zu
Wahrheiten und zu praktischen Resultaten zu gelangen, setzt überhaupt ein an
verschiedenen Stellen wissenschaftlich geschultes Denken und insbesondere die
Kenntnis der historischen Gedankenentwicklung, die sie überall für den Kundi-
gen genügend, also andeutend zu recapituliren hat, voraus; sie läuft daher als
verfrühte auf das Vormachen von Beweisen und auf die Scheinbegründung auf-
oktroyirter Sätze hinaus, an welche sich die vorgreifende Anweisung, die von
vornherein der eigentliche Zweck ist, am bequemsten anschließt. Indem wir aber
für die Lehrerschule die pseudophilosophische Darstellung negiren und die his-
torisch-entwickelnde Darstellung verlangen, wollen wir keineswegs, wie es
scheinen könnte, den theoretisch-pädagogischen Unterricht auf eine Disciplin:
die Geschichte der praktischen und theoretischen Pädagogik: reduciren, und
zwar so wenig für die gewöhnliche, wie für die höhere Lehrerschule. Wir neh-
men drei Disciplinen der theoretischen Pädagogik, nämlich außer der Geschich-
te der Pädagogik die allgemeine Erziehungslehre und die Didaktik und Metho-
dik in Anspruch, und da diese nach unserer Ansicht nicht aufeinander folgen,
sondern mit besonders zu erwähnenden Ausnahmen nebeneinander herlaufen,
sich also unmittelbar ergänzen sollen, während die Forderung einer historisch-
entwickelnden Darstellung sich auf den ganzen theoretischen Unterricht bezieht,
da ferner die unentbehrliche Unterlage der allgemeinen Culturgeschichte in Be-
zug auf bestimmte Zeiten und Völker zur Charakteristik ihres besonderen Erzie-
hungswesens vollkommen ausreicht, und da endlich dem gegenwärtigen und
künftigen Selbststudium der Zöglinge zu überlassen ist, was ihm füglich über-
lassen werden kann, so versteht es sich von selbst, daß wir keine sich gleichmä-
ßig fortspinnende Geschichte der Pädagogik, sondern einzelne, ausgiebig ausge-
*)
Ein aufmerksamer, nichts vergessender Leser könnte schon hier fragen, wie
dabei von einer politischen (im guten Sinne officiellen) Pädagogik die Rede sein
könne. Wir beantworten diese Frage „negativ“, indem wir wiederholen, daß der
freie Staat abgerichtete Lehrer nicht brauchen kann, sondern selbständige Lehrer
haben muß, und hinzufügen, daß es sich für ihn nicht ziemt, das „System“ eines
Pädagogen zu dem seinen zu machen; in positiver Richtung aber, indem wir da-
rauf hinweisen, daß das pädagogische Ideal ein Culturideal als Hintergrund ver-
langt, die pädagogische Aufgabe, um sich zu bestimmen, aus dem Zwecke der
Culturverwirklichung auf einem gegebenen Boden abgeleitet werden muß, und
die Lehrerschule des besonderen Staates allerdings verpflichtet ist, ihren Zöglin-
gen die Bestimmung dieses Staates allmählig zum Bewußtsein zu bringen, also
sowohl den welt- und heimathkundlichen wie den culturhistorischen Unterricht
an dieses Ziel zu richten. Geschieht dies und hat die Darstellung der Pädagogik
zu dem Gesammtunterrichte das zu fordernde organische Verhältnis, so ist jede
weitere Sorge für eine der „politischen Pädagogik“ entsprechende Tendenz der
künftigen Lehrer überflüssig und darum nachtheilig.
XV
führte Partien derselben, die durch cultur-historische Uebersichten, respective
Recapitulationen zu verbinden sind, im Auge haben. Solche Partien sind bei-
spielsweise für die alte Zeit: die spartanische und athenische Erziehung, Sokra-
tes; für die neuere und neueste Zeit: die Schulenbegründung bei der Reformati-
on, das Erziehungssystem der Jesuiten, Franke und die Pietisten, Basedow und
die Philanthropinisten, Pestalozzi und Fröbel. Dabei ist auf Volkszuständliches
und Persönliches derart einzugehen, daß lebendige, nachhaltige und fruchtbare
Bilder und Eindrücke erzeugt werden, während sich die allgemeine Erziehungs-
lehre, wo sie das Hervortreten der pädagogischen Ideen und ihren Kampf be-
handelt, an die Sache zu halten und von dem allgemeingeschichtlichen Hinter-
grunde, dem Zusammenhange mit weitreichenden Culturveränderungen zwar
nicht absehen, aber sich auf die Recapitulation und Andeutung zu beschränken
hat. Wir nehmen aber das Ausgehen von der historischen Darstellung und Refle-
xion bei der allgemeinen Erziehungslehre durchgehends in Anspruch, ohne deß-
halb den Fortschritt der Erörterung als einen dem Verlaufe der Geschichte pa-
rallel gehenden im Auge zu haben, da ein derartiger Parallelismus der Natur der
Disciplin widerstrebt, sie also ihres eigenthümlichen Charakters berauben und
die Ergänzung, die wir verlangen, ausschließen würde.
Im Begriff der Lehre liegt ein consequenter Uebergang von der allgemei-
nen zu den besonderen Fragen und Wahrheiten, wobei die Uebersicht immer
wieder herzustellen und die Auffassung der Grundsätze fortschreitend zu vertie-
fen ist, und wir sind weit entfernt, diesem logischen Vorgehen ein chronologi-
sches substituiren zu wollen. Wie aber die Geschichtsbetrachtung ihre – wesent-
lich der neueren Zeit angehörige – Geschichte hat und jede Geschichtsbetrach-
tung die gesamte Vergangenheit unter eine relativ neue, respective einseitige
Beleuchtung bringt, so ist thatsächlich jede pädagogische Frage irgend einmal in
den Vordergrund gestellt, als die pädagogische Frage schlechthin behandelt und
mit Pathos debattirt worden, und von dieser Sache abzusehen, also das histori-
sche Heraustreten und Sichreduciren der pädagogischen Gedanken, denen jeden-
falls eine momentane Bedeutung zukommt, zu ignoriren, ist eine Abstraction,
durch welche jedenfalls die Anschaulichkeit und Eindringlichkeit der wissen-
schaftlichen Darstellung verkürzt und verkümmert wird, wenn sie auch nicht
nothwendig den wissenschaftlichen Standpunkt und die wissenschaftliche Be-
trachtung verengt und vereinseitigt. Umso mehr ist bei einer Behandlung der
Erziehungslehre, welche den eigentlich wissenschaftlichen Character noch nicht
anstreben und annehmen darf, welche durchweg anschaulich sein und ein gewis-
sermaaßen leidenschaftliches Interesse an den einzelnen pädagogischen Fragen
ohne das künstliche Mittel des subjectiv-rhetorischen – das theils unwirksam,
theils bedenklich ist – hervorrufen muß, die historische Einleitung und Illustrati-
on der verschiedenen Themen zu fordern. So ist z. B. bei dem wichtigen Thema
„Naturgemäßheit“ der Erziehung vor Allem das Auftreten Rousseau’s zu schil-
dern und sein Standpunkt zu entwickeln, bei dem Thema der öffentlichen und
Familienerziehung und ihrem Verhältnis die gewaltig und gewaltsam erschei-
nenden Postulate Fichte’s in seinen Reden an die deutsche Nation voranzustel-
XVI
len und auf historische Gegensätze – den der Griechen und Römer, der Sparta-
ner und Athener u. s. w. – zurück- und einzugehen, bei dem Thema der religiö-
sen Erziehung die Tendenzen der jesuitischen und pietistischen Erziehungswei-
se, die Aufklärung der Philanthropinisten, der Streit Diesterwegs gegen die Re-
gulative, der Palmer’sche Standpunkt zu berücksichtigen. Auch bei den anthro-
pologischen Themen, welche die Erziehungslehre einschließt – das Specifische
der menschlichen Organisation, die Altersstufen, der Geschlechtsunterschied,
die Temperamente und Anlagen u. s. w. – ist die Berücksichtigung ethnographi-
scher und geschichtlicher Thatsachen nicht zu versäumen. – Daß die Didaktik
und Methodik*)
neben der allgemeinen Erziehungslehre, von der sie eigentlich
ein Theil sind, behandelt werden, hat seine Begründung in dem Organismus der
Lehrerschule und insbesondere darin, daß das Eingehen auf den Unterrichtsstoff
und die Unterrichtsaufgaben unverhältnismäßig viel Zeit erfordert und doch für
eine anschauliche Darstellung sowie theilweise für die Recapitulation des zur
Aneignung gebrachten realistischen Wissens nothwendig ist. Eine unberechtigte
Voranstellung des Zweckes, die Unterrichtsfähigkeit zu vermitteln, ist darin
nicht zu sehen, da nur die abstracte und falsche Auffassung dieses Zweckes das
Voranstellen desselben gefährlich macht und wir davon ausgehen, daß der Un-
terricht als Erziehungsmittel zu betrachten und zu behandeln ist. Die Forderung
aber, mittelst der historischen Einleitung und Illustration zu verhindern, daß die
„Lehre“ einen abstracten und vorgreifenden Charakter annimmt, stellen wir in
Bezug auf die Didaktik und Methodik noch bestimmter als bezüglich der Erzie-
hungslehre. Hier ist eine kritisch-historische Darstellung, welche die histori-
schen Debatten über die verschiedenen Unterrichtsgrundsätze und die histori-
schen Umbildungen jedes besonderen Unterrichtsbetriebes – indem sie die be-
grifflichen Abgrenzungen festhält, also ohne den Charakter einer allgemein ge-
schichtlichen Darstellung anzunehmen – verfolgt, in ungezwungener Weise
möglich und für die Objectivität des Standpunktes, für die Entwicklung des Inte-
resses und die ausreichende Orientirung nothwendig.
Den Einwand, daß ein pädagogischer Unterricht der Lehrerschule, der in
der angegebenen Art „historisch“ werden solle, eine zu weite Ausdehnung ge-
winne, Ueberflüssiges heranziehe und auf Umwegen das „praktische Ziel“ zu
spät oder gar nicht erreiche, haben wir schon im Voraus abgethan, wollen aber
*)
Die Bezeichnung Didaktik und Methodik werden abweichend gebraucht. Wir
verstehen unter Didaktik: die allgemeine Erörterung des Unterrichtszweckes, der
Unterrichtsformen und der Unterrichtsgegenstände; unter Methodik: die gleich-
falls oder wiederum vom Unterrichtszwecke ausgehende Darstellung der Unter-
richtsanlage, der Unterrichtsziele, der Unterrichtsstufen und des Unterrichtsver-
fahrens, wobei von der allgemeinen zur Methodik der einzelnen Gegenstände
überzugehen ist. Die Didaktik ist hiernach nicht mehr als eine zur Uebersicht
dienende Einleitung. Andere mögen die Worte anders brauchen; es kömmt da-
rauf nicht allzuviel an. Die Frage, ob eine vorgreifende Methodik einzelner Ge-
genstände unter Umständen erlaubt ist, bejahen wir.
XVII
doch noch hervorheben, daß ein Räsonnement, welches die Stelle der histori-
schen Darstellung einnimmt, hinsichtlich der Breite keine anderen Grenzen hat,
als das subjective Belieben, daß es aber, wenn die Lehre sich systematisch glie-
dern und dabei das Verständnis wirklich vermittelt und die Ueberzeugung be-
gründet werden soll, sich viel weiter ausdehnen müßte als ein Unterricht, der
den sichern Weg der historisch-kritischen Darstellung einschlägt, ohne daß der
gleiche Erfolg zu erwarten wäre. So würde der räsonnirende systematische Vor-
trag, z. B. auch die „Gedanken“ des alten Comenius, soweit sie Gemeingut ge-
worden sind oder geworden scheinen, in moderner Ausdrucksweise enthalten
und vorführen, damit aber keinesfalls und nicht von weitem der Gewinn ersetzt
werden, den eine treue historische Darstellung der Didaktik des Comenius für
die Basirung der didaktischen Gesichtspunkte und für ein klares Urteil über den
Stand der gegenwärtigen Didaktik, ihren Fortschritt und ihr Zurückgeblie-
bensein hat.
Daß freilich das Räsonnement leichter in die ausdrückliche Anweisung
übergeht als eine historisch-kritische Darstellung, läßt sich nicht verkennen und
ist von uns anerkannt worden, für unsere Ueberzeugung aber ist diese Anwei-
sung schädlicher Ueberfluß, und der Alternative eines sich zum Schul- und
Lehrplan zuspitzenden und auf diese Zuspitzung vonvornherein berechneten,
systematisch-räsonnirenden und eines bloßen Gelegenheitsunterrichtes gegen-
über würden wir uns unbedingt für den letzteren entscheiden, der jedenfalls eine
Zeitersparung wäre. Uebrigens finden wir auf den Seminar-Lehrplänen die Ge-
schichte der Pädagogik durchwegs neben der Erziehungslehre und Didaktik, und
wenn die letzteren Disciplinen rein räsonnirend behandelt werden, also von ge-
schichtlichen Einleitungen und Illustrationen absehen, so nimmt die erste ver-
möge der Absonderung und Selbständigkeit, die ihr gewährt werden, eine
gleichmäßige und möglichst vollständige Ausführung in Anspruch, aus jener
Abstraction ergibt sich also keine Ersparung an Zeit und Lernmühe, während
man sich nach unserer Ansicht das abstracte Räsonnement, also den Zeit- und
Kraftaufwand, den es erfordert, ersparen kann und soll.
Dabei läßt sich nicht sagen, daß, wie es sich auch mit dem abstracten Rä-
sonnements verhalte, der Gewinn der geschichtlichen Darstellung jedenfalls der
gleiche sei. Neben dem Unterrichte, der die Geschichte im ganzen verfolgt, ist
ein anderer, der in sie zurückgreift und die besondere historische Betrachtung
unmittelbar zur Basis besonderer, durch das Reflexionsbedürfnis motivirter Re-
flexionen macht, durchaus nothwendig, wenn die fortlaufende geschichtliche
Darstellung ihre volle Ergiebigkeit bewähren soll. Wären wir von dieser
Nothwendigkeit nicht überzeugt, so würden wir uns auch nicht bedenken, die
theoretische Pädagogik der Lehrerschule auf eine Disciplin – eben die Geschich-
te der Pädagogik – zu reduciren, während wir zusammengreifende Disciplinen,
also einen gegliederten und sich conzentrirenden Unterricht fordern.
Was die Methode der einzelnen Volksschul-Gegenstände betrifft, so
braucht sie keineswegs durchweg und ausnahmslos als ein Theil der Didaktik
behandelt zu werden, so wenig, wie diese als ein Theil der allgemeinen Erzie-
XVIII
hungslehre behandelt werden muß, d. h. es ist nicht absolut nothwendig, die di-
daktischen Grundsätze allseitig erörtert und festgestellt und das Bild des Ge-
sammtunterrichtes ausgeführt zu haben, bevor man sich mit der Methodik einer
besonderen Disciplin beschäftigt. Daß die verschiedenen Disciplinen als sich
ergänzende und zusammengreifende aufgefaßt werden, ist allerdings unerläss-
lich, aber einestheils läßt sich das Verhältnis, in welchem eine Disciplin zu einer
andern steht, vorläufig charakterisiren, anderntheils handelt es sich dabei nach
unserem Anspruche zunächst um einer historische, bis zur Gegenwart fortge-
führte Darstellung, so daß auch dann, wenn die Methodik sich an die Didaktik
anschließt, von einer unmittelbaren Anwendung festgestellter Grundsätze nicht
die Rede sein kann. Es fragt sich also nur, ob die beschränktere historische Dar-
stellung vor der allgemeineren möglich ist und ob sie einen ausreichenden
Zweckmäßigkeitsgrund hat. Beides aber scheint uns bezüglich zweier Gegen-
stände der Methodik – der Mathematik und der Formenarbeiten – ohne weiteres
zu bejahen, und zwar sind wir der Ansicht, daß, während die Didaktik und die
ihr ein- und anzufügende Methodik des gesammten Volksschulunterrichtes erst
im dritten Jahre der Lehrerschule zu behandeln sind, die Methodik der Mathe-
matik und der Formenarbeiten schon im ersten Jahre zu beginnen und sich bis
zum dritten fortzusetzen hat.
XIX
IV.
J. Chr. Gottlob Schumann
Wie ist die Geschichte der Pädagogik im Seminar zu behandeln?1
(1875)
Nach der Pause ward um 10 Uhr 20 in einem eingehenden Vortrage, der
eine weitere Ausführung der zuvor gedruckten und vertheilten acht Thesen bot,
von Schumann=Alfeld die Frage beantwortet:
Wie ist die Geschichte der Pädagogik im Seminar zu behandeln?
Derselbe lautete in abgekürzter Form:
Ueber die Nothwendigkeit der Geschichte der Pädagogik im Seminarun-
terrichte ist kein Wort mehr zu sagen, nachdem dieselbe überall erkannt ist.
Auch ihr Nutzen leuchtet von selbst ein, wenn auch der Grundsatz: Die Ge-
schichte einer Wissenschaft ist ihre Methode, wie er überhaupt vielfach unhalt-
bar ist, für die Anordnung in der unterrichtlichen Behandlung der Pädagogik
keine Geltung beanspruchen kann. Ich finde den Nutzen der Geschichte der Pä-
dagogik mit G. Bauer darin, daß sie zeigt, wie durch die wechselweise sich er-
gänzende Thätigkeit ganzer Völker und Zeiten, wie einzelner Pädagogen, das
eigentliche Ziel der Erziehung sich immer bestimmter und zugleich umfassender
herausstellt, daß sie den Pädagogen als dienendes Glied in das Gebiet einer
durch Jahrhunderte und Jahrtausende sich verbreitenden, großartigen gemeinsa-
men Thätigkeit einführt und bei der Fassung des Begriffes und der Aufgaben der
Pädagogik Umsicht, Besonnenheit und Gründlichkeit befördert. Sie mahnt, in-
dem sie auf unserm Gebiete den so nöthigen geschichtlichen Sinn entwickelt,
eben so sehr das bewährte Alte zu achten, als den Sinn offen zu halten für die
neuen Aufgaben, welche der nie rastende Fortschritt des geistige Lebens und die
veränderten Verhältnisse der Erziehung stellen, und warnt vor dem blinden Ver-
trauen auf eine alleinseligmachende Theorie. Sie lehrt die realen Mächte der In-
dividualität, der Familie, der socialen und geschichtlichen Verhältnisse, der Na-
tionalität und Religion gehörig würdigen und in Rechnung bringen, und führt
den Lehrer mitten in das Kulturleben und die pädagogischen Bestrebungen unse-
rer Zeit hinein.
1 In: Pädagogische Blätter für Lehrerbildung und Lehrerbildungsanstalten. Unter
Mitwirkung einer Anzahl Schulmänner hrsg. von C. Kehr, Gotha, 4 (1875), S.
123-132. – Reproduktion der Seiten 123-125 hier S. CXXXI ff.
XX
These 1.
Die Geschichte der Pädagogik im Seminar hat die Aufgabe, durch Pflege
des geschichtlichen Sinnes überhaupt den Zögling zum richtigen Verständniß
der Pädagogik unserer Zeit zu führen. Sie hat insbesondere ihn zu begeistern für
seinen Beruf durch anschauliche Beschreibung des Lebens großer Meister und
liebevolles Versenken in ihre Werke und ihm Achtung einzuflößen vor dem be-
währten Alten. Sie hat ihn auch durch die Betrachtung der fortlaufenden Entwi-
ckelung des Lebens und der daraus sich ergebenden veränderten Aufgaben der
Pädagogik anzuleiten, den Sinn offen zu halten für die neuen Aufgaben, welche
der nie rastenden Fortschritt der Kultur der Pädagogik stellt, und für die neuen
Versuche, dieselben zu lösen. Sie hat ihn dadurch zu bewahren einerseits vor
dem falschen Konservatismus, der, des idealen Schwunges bar, die berechtigen
Forderungen der Gegenwart nicht anerkennt, und andererseits der phantasti-
schen Neuerungssucht, welche die realen Lebensmächte ignoriert.
2.
Es ergibt sich nun zunächst die Frage: Welche Stellung soll im pädagogischen
Unterrichte des Seminars die Geschichte der Pädagogik einnehmen? Es gibt
zwei Ansichten: Die einen beginnen mit der Geschichte der Pädagogik, die an-
deren schließen mit derselben den Unterricht in der Pädagogik und geben ihr
dadurch auch eine verschiedene Bedeutung und Aufgabe für das Studium der
Pädagogik. Die allgemeinen Bestimmungen in Preußen stellen sie an den An-
fang, geben ihr also eine propädeutische Bedeutung in ähnlicher Weise, wie sie
die Encyklopädie der verschiedenen Wissenschaften im Anfange der Universi-
tätsstudien hat, sie orientieren den Zögling, indem die verschiedenen Gebiete,
deren Pädagogik sich nach und nach im Laufe ihrer Entwickelung bemächtigt
hat, vor seine Augen treten, so daß er am Schlusse, wenn, wie es geschehen
muß, die Geschichte der Pädagogik bis auf unsre Tage herabgeführt wird, ein
Verständniß für die pädagogischen Fragen und Aufgaben, die uns bewegen, ge-
wonnen hat. Dies könnte freilich auch durch eine Encyklopädie geschehen, aber
durchaus nicht so anschaulich, als durch die Geschichte der Pädagogik, in der in
konkreten Lebensbildern historisch-genetisch ihm die einzelnen Fragen mit den
bereits versuchten Lösungen entgegentreten. Dabei ist freilich der Hegel’sche
Gedanke, als ob die Philosophie geschichtlich in der Abfolge einer philosophi-
schen Kategorienlehre sich entwickelt habe, auch hier abzuweisen. Die Wissen-
schaften sind in ihrer geschichtlichen Entwickelung nicht den philosophisch-
genetischen Weg gegangen; ihr Gang ist vielmehr der historisch-genetische mit
scheinbaren Rückgängen und Sprüngen, in dem aber ein besonnener Forscher
doch einen vernünftigen Fortgang der Entwickelung erkennt. So ist es auch mit
der Pädagogik. Wir sehen in diesem Gange gerade einen Vortheil für die erste
Orientierung des jungen Zöglings in der Pädagogik. Er wird durch die histori-
sche Erscheinung gerade lange genug an einer Stelle festgehalten, um Einblick
und Interesse dafür zu gewinnen, sie hält ihn aber noch nicht auf die Dauer an
dieser Stelle fest, eine neue Erscheinung richtet seine Blicke auf neue Gebiete,
XXI
bis wiederum andere Erscheinungen die alte Frage nicht nur erneuern, sondern
auch zeigen, ob die Lösung der Fragen nun besser gelungen, tiefer gefaßt ist, u.
s. w. Es sei dies im allgemeinen genug, um die Stellung der Geschichte der Pä-
dagogik im Anfange des pädagogischen Studiums zu rechtfertigen, nur eins will
ich noch hervorheben. Wir bedürfen für ihr Amt begeisterte Schulmänner, und
doch herrscht so vielfach der Schlendrian. Ich habe nun vielfach die Erfahrung
gemacht, daß wirkliche Liebe zum Schulamte uns Zöglinge zuführt, ich weiß
auch, daß noch heute gilt, was von Vater Pestalozzi gerühmt wird, daß nämlich
die Liebe eines für sein Amt begeisterten Lehrers auch die Liebe anderer anfacht
zu heller Glut; aber nirgends wird sich die Liebe zum Amte herrlicher ausspre-
chen und offenbaren können, als wenn wir den eintretenden Berufsgenossen an
der Schwelle zum Heiligthum dieses hohen Amtes diejenigen schildern, welche
der Schule Liebe und Treue vor uns bewiesen, für sie gehofft, geduldet, gerun-
gen und Herrliches geschafft haben. Hier gilt recht eigentlich: Exempla trahunt.
Indessen ist doch auf den ersten Anblick ersichtlich, daß nicht alles aus
der Geschichte der Pädagogik an den Anfang zu verlegen ist. Manche Fragen, z.
B. die Entwickelung der Pädagogik als Wissenschaft, können auf der Anfangs-
stufe gar nicht behandelt werden. Darum verdient auch die andere Ansicht, wel-
che mit der Geschichte der Pädagogik schließen will, Beachtung. Während näm-
lich in dem fortlaufenden pädagogischen Unterrichte an geeigneter Stelle der
Lehrer durch Rückbeziehungen dafür Sorge getragen hat, daß die Ergebnisse des
ersten Unterrichts in der Geschichte der Pädagogik nicht verloren gehen,
schließt der Unterricht in der Pädagogik mit einem Repetitionskursus ihrer Ge-
schichte, bei der einzelne Sachen je nach Lage der Zeit ausführlicher behandelt
werden, indem aber nun die Entwickelung der Pädagogik als Wissenschaft, so
weit es möglich ist, die Hauptsache bildet, um die jungen Schulmänner, damit
sie wackere Schwimmer werden, für ihr Weiterstudium zu orientieren.
These 2.
Diese Aufgaben hat die Geschichte der Pädagogik durch zwei Kurse zu
lösen, durch einen einjährigen Vorbereitungskursus, welcher am Anfange des
pädagogischen Unterrichtes in anschaulichen Lebensbildern die großen Meister
und die Zustände der großen Kulturepochen in historischer Reihenfolge schil-
dert, und einen Repetitionskursus am Ende der Seminarzeit, in welchem beson-
ders die Entwickelung der Pädagogik als Wissenschaft in den Vordergrund tritt.
3.
Die fernere Frage ist die nach der Auswahl und Vertheilung des Stoffes.
These 3.
Die Stoffauswahl für den Vorbereitungskursus hat sich im Interesse einer
gründlichen Verarbeitung auf das geschichtliche Material zu beschränken, von
dem sich ein Einfluß auf die Gestaltung unserer Zeit und unseres Volkes leicht
XXII
nachweisen läßt. Es darf aber nicht fehlen eine Zeichnung der Erziehung Spar-
tas und Athens, der Lehrweise des Sokrates, der Erziehung Roms, die Darstel-
lung des Einflusses des Christenthums auf die Erziehung, der mönchischen Er-
ziehung und einiger großer Meister des Mittelalters, wobei die Heimatprovinz
besondere Berücksichtigung verdient, die Veranschaulichung der Bestrebungen
des Humanismus an einem seiner Vertreter, ein Durchschnittsbild von dem Zu-
stande der Erziehung vor dem Eintritt der deutschen Reformation. Diese Bilder
bilden bei einer Theilung des Schuljahres in Tertiale den Stoff für das erste, o-
der bei jährlich 84 Unterrichtsstunden für ungefähr 26 bis 28 Stunden. In den
beiden übrigen Tertialen wird die Geschichte der Pädagogik seit der Reformati-
on und zwar nach der Neuzeit hin immer ausführlicher behandelt.
3.
Geschichte muß erzählt werden, daher muß der Lehrer die Lebensbilder
quellenfrisch darstellen. Er darf nicht Anekdotenjagd treiben, wenn auch in den
Anekdoten in Dinters Leben manches Gute sich findet, aber er darf auch nicht
trocken aufzählen, sondern muß charakteristische Einzelzüge hervorheben. An
einzelnen Stellen gibt er einen Querschnitt zur Einsicht in die gesammten Le-
bensverhältnisse der Zeit und um die Beziehung und den Einfluß der pädagogi-
schen Arbeit auf die Zeit zur Anschauung zu bringen. Hilfsmittel hierfür anzu-
führen ist nicht nöthig; nur darauf sei aufmerksam gemacht, daß die gleichzeiti-
ge schöne Literatur nicht unberücksichtigt zu lassen ist. (Göthes Dichtung und
Wahrheit aus meinem Leben, Jean Pauls Leben des vergnügten Schulmeisters
Maria Wuz zu Auenthal u. s. w. sind wohl zu beachten.) Manches wird zur wei-
teren Ausführung für die Privatlektüre aufgegeben und das Lesebuch von Kehr
und Kriebitzsch wird in den Dienst gezogen. Was der Lehrer vorgetragen hat,
wird von den Schülern in der folgenden Stunde wieder erzählt.
These 4.
Der Lehrer muß die Lebensbilder quellenfrisch darstellen und dabei ohne
Anekdotenjagd besonders charakteristische Einzelzüge hervorheben. Er gibt die
leicht zugänglichen Quellen zu weiteren Studien an und hält auf lebendige Wie-
dergabe durch die Schüler.
5.
Einen Hauptgegenstand bildet als Ergänzung der Lebensbilder die Lektüre
ausgewählter Stücke aus den Meisterwerken großer Pädagogen. Diese Lektüre
darf nicht dem Privatfleiß allein überlassen werden, sondern sie muß zum Theil
in den Unterrichtsstunden geschehen, damit die Zöglinge zugleich zur Privatlek-
türe pädagogischer Schriften und zum weitergehenden Studium größerer päda-
gogischer Werke angeleitet und tiefer in das Verständniß und die Bedeutung pä-
dagogischer Fragen und Aufgaben eingeführt werden. Ich habe dazu in dem ers-
ten Theile meines Lehrbuches der Pädagogik (Hannover, C. Meyer) eine Aus-
wahl von Stücken aus den Meisterwerken großer Pädagogen der verschiedenen
XXIII
Zeiten geboten. Der Privatlektüre, welche monatlich kontroliert wird, werden
zunächst ausgeführtere Lebensbilder z. B. Pilz Quintilianus, Scheffels Ekkehard,
Thomas Platter, Luther und Melanchthon (von Heppe), Löschkes J. B. Trotzen-
dorf etc.; ferner die Abschnitte aus Gölls Kulturbildern aus Hellas und Rom, aus
Freitags Bildern aus der deutschen Vergangenheit, Falke, die ritterliche Gesell-
schaft im Zeitalter des Frauenkultus, Burow, Ulrich von Hutten, der Simplicis-
simus, Göthes Dichtung und Wahrheit etc.; ferner leichtere Schriften von den
großen Pädagogen z. B. Salzmanns Krebsbüchlein, des A. Comenius Mutter-
schule, Pestalozzis Lienhard und Gertrud etc., überlassen.
These 5.
Ergänzt wird der Vortrag des Lehrers durch die Privatlektüre, welche bei
der monatlichen Repetition kontroliert wird. Ihr werden zunächst ausgeführtere
Lebens- und Kulturbilder, dann die leichten Schriften der pädagogischen Meis-
ter zugewiesen.
These 6.
Dazu tritt in den Unterrichtsstunden die statarische Lektüre ausgewählter
Stücke aus den Meisterwerken der großen Pädagogen, aus denen als aus siche-
ren, konkreten Unterlagen sowohl das Urtheil über die Männer und ihre Zeit,
als auch allgemeine Wahrheiten entwickelt werden. Ohne diese Arbeit an solch
konkretem Stoffe bleiben die Einzelheiten todtes Gedächtnißmaterial und das
Urtheil sowie das Allgemeine hängt in der Luft, während in ihr der Zögling Er-
fahrungen sammelt wie in der Praxis des Schullebens und dadurch zur fruchtba-
ren Betreibung der systematischen Pädagogik befähigt wird.
These 7.
Die statarische Lektüre hat auch die Aufgabe, zur Privatlektüre pädagogi-
scher Schriften und zum Studium größerer pädagogischer Werke anzuleiten. Sie
hat daher außer dem bereits angeführten Gesichtspunkte darauf zu sehen:
a) daß der Schüler ein größeres Stück disponieren und dann zusammenfas-
send wiedergeben,
b) der Art der Entwickelung folgen und die Gründe, welche die Behauptun-
gen stützen, beurtheilen lerne,
c) allgemeine pädagogische Sätze aufsuche und einpräge,
d) ähnliche oder verschiedene Ausführungen bei verschiedenen Pädagogen
mit einander vergleiche,
e) aus den Musterstücken den Mann und seine Zeit charakterisiere,
f) die Ideen aus den Zeitverhältnissen oder den Lebensumständen des Päda-
gogen begreife.
XXIV
These 8.
Bei dem Repetitionskursus wird besonders die Entwickelung der Pädago-
gik als Wissenschaft beachtet, um für die Fortbildung die nöthigen Winke zu ge-
ben.
Nachdem Horwitz sich bemüht hatte, These 1 kürzer zu fassen und beson-
ders statt des ihm zu weit erscheinenden Ausdruckes „Pflege des geschichtlichen
Sinnes überhaupt“ einen engeren und begrenzteren zu finden, bewegte sich die
Debatte namentlich um die Frage nach der Zeit, in welcher Geschichte der Pä-
dagogik zu lehren sei.
Israel=Zschopau. So wenig ich Geographie im Seminar mit der Geschich-
te der Geographie, oder Physik mit der Geschichte dieser Wissenschaft beginnen
werde, ebenso wenig will es mir angemessen erscheinen, als ersten Theil der
Pädagogik deren Geschichte zu lehren.
Beckh=Künzelsau. Wir lehren im ersten Jahre Propädeutik der Pädagogik
und haben unserer Behörde auf ihre Anfrage erwidert, daß wir die Geschichte
der Pädagogik nicht als solche Propädeutik fassen könnten.
Ein zweiter Würtemberger Gundert. Die Pädagogik ist im Seminar des-
halb keine leichte Disciplin, weil kein Alter dem kindlichen Alter ferner steht als
die Jünglingsjahre 16-20. Es gibt wohl bessere Mittel, den Zöglingen den Weg
zum kindlichen Denken zu bahnen, als gerade Geschichte der Pädagogik, die
immer in gewisser Weise einen wissenschaftlichen Charakter tragen wird.
Auch von den Preußen, denen die Geschichte der Pädagogik für das erste
Jahr vorgeschrieben ist, erklären sich nicht alle für dasselbe.
Bethe. Wir arbeiten in Weißenfeld insofern unter günstigen Verhältnissen, als
unsere Seminaristen fast alle schon ein oder einige Jahre in unserer eigenen Prä-
parandenanstalt unsere Schüler gewesen sind; trotzdem finde ich, wenn ich Ge-
schichte der Pädagogik in der dritten Klasse treibe, selten die gewünschte Be-
friedigung, weil die nöthige Voraussetzung fehlt, die Kenntniß der Kulturge-
schichte.
Seidel. Auch ich muß mir sagen am Schluß mancher Lehrstunde in diesem
Fache: „Du hast heue nicht das erwünschte Ziel erreicht.“ Namentlich ist es
schwer, Lebensbilder aus der alten Geschichte zu bieten, weil sich die noch jun-
gen Zöglinge nicht leicht in die damaligen Anschauungen und Lebensverhältnis-
se hinein denken können. Sie bringen noch zu wenig Analogien dafür mit.
Gabriel. Allerdings ist es nicht immer leicht, so tief in die Geschichte der
Pädagogik einzuführen, wie man gern möchte; namentlich deshalb, weil uns
noch ein wirklich gutes, knappes und doch reichhaltiges Lehrbuch für diesen
Unterricht fehlt. Aber für lebensvolle Bilder ist immer Empfänglichkeit da, und
die sind die Hauptsache. Ich freue mich über die Herren Kollegen aus Sachsen
und Würtemberg, daß sie nicht noch viel entschiedener unserem Modus, die Ge-
schichte der Pädagogik schon im ersten Jahre zu treiben, Opposition machen,
und über den Herrn Vortragenden, daß er so fein theilt und einen Repetitions-
kursus für das letzte Jahr der Seminaristen anempfiehlt, der die Entwickelung
der Pädagogik im Zusammenhang vorführt.
XXV
Schumann. Ich arbeite allerdings unter ziemlich günstigen Verhältnissen,
weil die Alfelder Zöglinge meist aus den herumliegenden kleinen Gelehrten-
schulen herkommen, also auch schon einige weltgeschichtliche Kenntnisse mit-
bringen, und ich kann sagen: Sobald ich mir vornehme, nur volksthümliche Ge-
schichte der Pädagogik, Einzelbilder anregender Art zu bieten, so finde ich auch
in der dritten Klasse das nöthige Verständniß für den Unterricht. Veranschauli-
chende Analogien liegen oft nahe. So kann der Turnplatz die Schule der Sparta-
ner nahe legen, und daß die Athener gern Musik und Kunst trieben, kann auch
ein angehender Seminarist, der darin seine ersten Studien macht, wohl verste-
hen. Für wirklich wissenschaftliche Geschichte der Pädagogik bin ich außer an-
deren Gründen auch deshalb nicht, weil wir noch kein vollständiges und gründ-
liches wissenschaftliches Werk z. B. das von Schmidt, wie Dr. Schneider im ers-
ten Bande unserer Blätter für Lehrerbildung nachgewiesen hat, eben noch keine
eigentliche wissenschaftliche Geschichte der Pädagogik geben und bei dem
dermaligen Stande der wissenschaftlichen Forschung auch nicht geben können.
Aber deshalb braucht die geschichtliche Ueberleitung von einem Lebensbild
zum anderen nicht zu fehlen. Geschichte aus dem Zusammenhange zu reißen
rächt sich stets. Die Zöglinge werfen dann leicht die Männer, deren Biographien
gegeben werden, aus einem Jahrhundert in das andere.
Auch Schultz=Cöslin erklärt, daß er, obgleich unter ungünstigen Vorbe-
dingungen, d. h. an wenig vorgebildetem Material arbeite, doch schon an dem
eben eingetretenen Kursus in diesem Unterrichtszweige Erfreuliches erreicht
habe. Man dürfe sich nur das Ziel nicht zu hoch stecken.
Trinius. Wenn wir namentlich auf These 3, 6 und 7 des Vortrages sehen,
so wird sich wohl kaum irgend ein principieller Widerspruch dagegen regen. Im
Gegentheil, wir alle werden uns wohl schon bestrebt haben, nach diesen Ge-
sichtspunkten zu verfahren, und werden es künftig noch treuer thun. Aber das
kann uns nicht entgehen: Es ist für die kurze Zeit von etwa 80 Unterrichtsstun-
den ein fast zu reiches Arbeitsfeld, das da vor uns aufgerollt wird. Wollen wir,
daß unsere Schüler nicht überschüttet und erdrückt werden, sondern wirklichen
Wissensstoff, klare, feste Bilder und Begriffe mitnehmen in das zweite Lehrjahr,
wollen wir sie im besonderen vor dem bei diesem Lehrfach so nahe liegenden
Phrasenmachen über pädagogische Größen hüten, so ist eine fortgehende Be-
schränkung auf die Kernpunkte des aufgeführten Stoffes und eine knappe, mit
viel Uebung und Wiederholung verbundene Behandlung nöthig, ein scharfes
Herausheben der wichtigsten geschichtlichen Data und bei der Lektüre der pä-
dagogischen Meisterwerke auch ein Betonen der besonders klassischen Ansprü-
che. Mögen auch einzelne hervorragende Glieder der Klasse dessen weniger be-
dürfen, wir haben immer den Durchschnittsstandpunkt derselben ins Auge zu
fassen, und der dürfte in jeder Stunde eines solchen Anhalts bedürfen, da er an
abstractes Denken erst gewöhnt sein will. Es ist ja eben die dritte Seminarklasse.
Dies nur zur Ergänzung jener Thesen!
XXVI
Schumann. Ich meine, daß eben die Vorführung frischer Lebensbilder und
die Durchnahme der Meisterstücke aus den Werken großer Pädagogen die beste
Bewahrung von Phrasenmachen ist.
Im allgemeinen konnte konstatiert werden, daß ein großer Theil der Thei-
lnehmer an dieser Sektion, auch derer, die anfänglich entgegengesetzter Mei-
nung waren, sich dem Satze zuneigte: „Auf dem geschichtlichen Wege führt
man am besten in die Pädagogik hinein“ und daß der hohe Werth der Geschichte
der Pädagogik immer allgemeiner auf allen deutschen Seminaren erkannt wird.
XXVII
V.
Welche Folgen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum Lehrberufe
auf pädagogischem und socialem Gebiete?1
Von
Elise Engelhard,
Lehrerin in Klagenfurt.
Motto: "Gebet dem Manne, was des Mannes,
und dem Weibe, was des Weibes ist."
"Welche Folgen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum
Lehrberufe?" Eine seltsame Frage in der That! Allerorten ruft es und lärmt es nach
Eröffnung neuer Heilswege für das bedrängte weibliche Geschlecht; schon haben
einzelne Universitäten der alten und neuen Welt weiblichen Studenten ihre Thore
geöffnet und auch auf österreichischem Boden sind fortschrittlich gesinnte Männer
und Frauen rüstig am Werke, dem weiblichen Geiste neue Heimstätten der Bildung
zu gründen: hier ein Lyceum, da eine Fortbildungsschule, heute eine Handelsaka-
demie, morgen wohl gar eine Kriegsschule. Wer A sagt, muß schließlich auch B
und zuletzt das ganze Alphabet sagen. Und in einer so vorwärts drängenden Zeit
solch rückschrittliche Frage? Denn in ehrliches Deutsch übertragen, heißt dieselbe
ja doch nur: Welche Nachtheile hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes
zum Lehrberufe? Oder ist nur unser Geist schon so mit Pessimismus durchsetzt,
daß wir einer harmlos kühlen, objectiven Frage einen feindlichen Sinn unterschie-
ben?
Die verschiedenen Berufszweige, welche sich im Zusammenleben der Men-
schen nach und nach entwickelten, setzen, indem sie das Wohl der Gesammtheit
bezwecken, die Kräfte des Individuums in Bewegung und ermöglichen demselben
hiedurch eine mehr oder weniger angemessene Existenz. Je wohler und zufriedener
sich der Einzelne in seinem Berufe fühlt, je mehr ihm nämlich derselbe Gelegen-
heit zur Entfaltung der ihm angeborenen Talente und Fähigkeiten gibt, desto besser
1 In: Welche Folgen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum Lehr-
berufe auf pädagogischem und socialem Gebiete? Zwei preisgekrönte Abhand-
lungen, veröffentlicht vom Curatorium der Wiener Pestalozzi-Stiftung, Wien 1896,
S. 12-28. – Reproduktion des Titelblatts und der Seiten 12 und 13 hier S. LV-LVII.
XXVIII
wird sich dabei auch die Gesammtheit befinden. Der Beruf, der mich beglückt, in-
dem er meinen Gaben Spielraum und folglich meinem Dasein Werth verleiht, den
werde ich mit leidenschaftlichem Eifer erfassen und mit lebendiger Wärme durch-
dringen. Auf diesem Boden werde ich streben, das Höchste zu leisten, dem mir an-
vertrauten Arbeitsgebiete die besten Früchte abzugewinnen. Beleuchten wir daher,
bevor wir an die Beantwortung des eigentlichen Themas gehen, auf einen Augen-
blick die Frage: "In welchem Maße entspricht der Lehrberuf der weiblichen Natur,
und inwiefern ist er geeignet, die in derselben schlummernden Kräfte, welche nach
Entfaltung drängen, loszubinden?"
In der Theorie läßt sich diese Frage sehr gut optimistisch beantworten. Der
mächtigste Instinct der weiblichen Natur ist der mütterliche, das kleine Mädchen
verräth ihn schon in der zärtlichen Sorgfalt für seine Puppe, dem ersten Uebungs-
objecte seines bemutternden Triebes. Verheiratet und als Mutter von Kindern steht
die Frau am Ziele ihrer Wünsche; in der Pflege und Erziehung ihrer Kleinen sieht
sie die Erfüllung ihres Schicksals, athmet sie ihr Wesen aus. Liegt nicht der Ge-
danke nahe, daß eine Erweiterung dieses Arbeitsfeldes, eine Ausdehnung dessel-
ben auf eine Schar von Kindern die gleiche Wirkung auf das Gemüth der Frau ha-
ben müsse? Der Umstand, daß es in dem einen Falle die eigenen, in dem andern
fremde Kinder sind, deren Entwicklung ihr anvertraut ist, kann doch bei einem
ideal gesinnten Wesen - und ein solches muß ja vor allem die Lehrerin sein! - nicht
ins Gewicht fallen.
Dieser sonnigen Theorie steht eine ziemlich graue Praxis gegenüber, näm-
lich das ganze Heer jener Lehrerinnen, welche, unterstützt durch ein stählernes
Pflichtgefühl, von 8 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags, ein Jahr ums andere, mit
der Treffsicherheit eines Uhrwerkes im Schulzimmer erscheinen und ihre Pflicht
thun, so gut sie es vermögen, ohne einmal in ihrem Leben das beseligende, das be-
glückende, das hinreißende Gefühl kennen zu lernen: "Diese Pflicht ist eins mit
deinem Herzen!"
Schreiberin dieser Zeilen ist seit 15 Jahren Lehrerin und lernte in diesem
langen Zeitraume, in welchem sie mit zahlreichen Colleginnen in Berührung kam,
eine einzige kennen, welche diesem Berufe mit fragloser, uneingeschränkter Liebe
anhing und denselben mit Begeisterung ausübte. Diese Begeisterung hatte ihre
Wurzel jedoch nicht im Berufe selbst, sondern in einer hochentwickelten religiösen
Anlage und einem felsenfesten Gottvertrauen, welches in allen Lebenslagen die
sicherste Quelle des Glückes und der Zufriedenheit ist. Daß man auch an autorita-
tiver Stelle, welcher ein großes Beobachtungsfeld zu Gebote steht, einer pessimis-
tischen Auffassung in dieser Richtung huldigt, zeigt, um nur ein Beispiel anzufüh-
ren, folgende Bemerkung des Landesschulinspectors eines ärmeren österreichi-
schen Kronlandes, welcher, auf die ungünstigen Pensionsverhältnisse in diesem
Lande von einer Vertreterin des Lehrstandes aufmerksam gemacht, mit einer mit-
XXIX
leidigen Handbewegung ausrief: "Aber ich bitte Sie, eine pensionirte Lehrerin! Die
hat ja ohnehin schon längst mit dem Leben abgeschlossen!"
"Theoretisch" sind wir durch unsern Beruf also vollauf befriedigt, die Pra-
xis, die Wirklichkeit, läßt jedoch zu wünschen übrig, und ohne Anhänger der mate-
rialistischen Schule zu sein, stellen wir doch die Frage: Ist die Theorie, d.h. der
Zustand der Dinge, wie er sein soll, oder die Praxis, d.h. der Zustand der Dinge,
wie er ist, der Maßstab für die Wahrheit einer Sache? Kann es eine Wahrheit außer
der Wirklichkeit geben?
Was folgt daraus? –
"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." Dürfen wir, wenn die Wirkung
unseren Erwartungen nicht entspricht, nicht auf einen Fehlgriff in den Ursachen
schließen und kühn behaupten, der Lehrberuf tauge überhaupt nicht für das weibli-
che Geschlecht, denn würde er taugen, so müßten seine Trägerinnen sich im Rah-
men desselben wohl fühlen und nicht - man könnte in manchen Fällen sagen mit
Teufelsgewalt - aus demselben hinaus und in den natürlichen Wirkungskreis der
Frau, den häuslichen, hineinstreben? Aus meiner eigenen Erfahrung muß ich der
Wahrheit gemäß bezeugen, daß ich den Lehrberuf von allem Anfang an immer nur
als eine längere oder kürzere Uebergangsstation ansah, ja, daß es Zeiten gab, in
welchen ich denselben als eine schwere Last, als eine drückende Bürde empfand
und mein Ehrgefühl mich nur mit Mühe in dem Geleise der Pflicht aufrecht erhielt.
Und dennoch sind wir Lehrerinnen im Vergleiche zu den oft so vielgeplagten Müt-
tern und Hausfrauen ja nur einige Stunden des Tages beschäftigt und können die
übrige Zeit, wenn wir wollen, dem dolce far niente widmen. Warum also vergöt-
tern wir unseren gewiß edlen Beruf nicht, wie Mütter ihre Kinder vergöttern, selbst
wenn dieselben ihnen die Ruhe ihrer Nächte und die Behaglichkeit des Tages rau-
ben?
Vernehmet die Antwort auf diese Frage aus einem schönen Ausspruche Jean
Paul's:
"Wie selbst über dem höchsten Gebirge noch hoch der Adler schwebt, so
über der schwer ersteigbaren Pflicht die rechte Liebe." -
Das weibliche Nervensystem ist zarter, reizbarer als das männliche von Haus
aus. Nun läßt man es sich angelegen sein, dasselbe noch durch anstrengende Stu-
dien, welche in die wichtigsten Lebensjahre der Frau, in die Zeit der Entwicklung
vom 15. bis zum 19. Jahre fallen, über Gebür und auf unvernünftige Weise anzu-
spannen, das von Natur aus Subtile noch zu raffinieren. Wer je mit offenem und
menschenfreundlichem Auge das Treiben dieser armen Bildungsopfer, der Lehr-
amtscandidatinnen, beobachtet hat, wer sie insbesondere in dem Jahre der Maturi-
tätsprüfung beobachtet, der muß mit Betrübnis bemerken, wie nach und nach in-
folge angestrengten Lernens, welchem die minder Begabten allzu häufig ihre
Nächte opfern müssen, die Rosen auf den jugendlichen Wangen erbleichen und
XXX
Mattigkeit, Mißmuth, Verdrossenheit an die Stelle heller Lebensfreude tritt. Ein
hoher Procentsatz der Mädchen tritt mit einem schon erschöpften oder wenigstens
überreizten Nervensystem seinen schweren Beruf an, welcher doch an sich wieder
nichts ist, als eine fortwährende, unausgesetzte, nie pausierende Anspannung der
Nerven und des Gehirns. Ob der weibliche Organismus für eine solche Thätigkeit
geschaffen ist, ob nicht vielmehr rege körperliche Beschäftigung sein eigentliches
Lebenselement ist, das sind Fragen, welche früher oder später sicherlich die Wis-
senschaft lösen wird, deren erste aber die Praxis schon jetzt durch die zahllosen
Opfer, welche die Nervosität gerade unter den Lehrerinnen fordert, energisch ver-
neint.
Der Lehrberuf ist eine Beschäftigung, welcher sich die weibliche Natur nur
mit Widerwillen und auf Kosten ihrer geistigen und physischen Gesundheit anzu-
passen vermag und welchen sie stets als etwas Aufgezwungenes, Fremdes in sich
fühlt.
Die Frage nach den pädagogischen Folgen der Heranziehung des weiblichen
Geschlechtes zum Lehrberufe scheint mir demnach von einem Gesichtspunkte aus
am besten erhellt zu werden: Dort, wo ein hochentwickeltes Pflicht- und Ehrgefühl
den natürlichen Widerwillen, welchen jedes unbefangen und ursprünglich fühlende
weibliche Wesen gegen einen ihm von unerbittlichen Verhältnissen aufoctroyier-
ten Beruf empfindet, zu überwinden imstande ist, wo endlich aus der Gewöhnung
Hingabe an die einmal erfaßte Beschäftigung entsteht, wo sich mit den fortschrei-
tenden Jahren zu alldem noch die Resignation gesellt, dort werden die pädagogi-
schen Folgen gewiß keine geradezu ungünstigen, wenn auch, wie später bewiesen
werden soll, keine hervorragenden sein. Wer nicht tiefer und weiter blickt, mag
sogar finden, daß eine gute Lehrerin das Gleiche leistet wie ein guter Lehrer, drillt
sie doch das Einmaleins so gut ein wie er, und ruft sie doch hundertmal des Tages
den Kindern zu: "Seid artig!"
Wie eine Lehrerin, welche nicht durch ein außerordentlich hohes Pflicht-
und Ehrgefühl in ihrer Thätigkeit unterstützt und getragen wird, sich in derselben
zurechtfindet, das vermag ich nicht zu beurtheilen, sie scheint mir jedoch das un-
glücklichste und bedauernswertheste Geschöpf unter der Sonne zu sein. Daß die
pädagogischen Folgen eines solchen Waltens in der Schule keine ersprießlichen
sein werden, liegt klar zu Tage, doch trifft das Verschulden nicht allein das Indivi-
duum, sondern auch die Noth der Zeit, welche von der Frau Dinge fordert, die sie
eben nur ungern, unter dem Hochdrucke des materiellen Bedürfnisses, leistet. Ern-
tet man Feigen von den Disteln und Datteln von den Dornen?
Ein wahres Unicum, fast möchte ich sagen ein Monstrum von Leistungsfä-
higkeit, eine Riesin an Pflichtgefühl aber muß die Frau sein, welche mit der Schule
auch die Führung eines eigenen Haushaltes, die Erziehung ihrer eigenen Kinder zu
verbinden imstande ist: die verheiratete Lehrerin also. Kann man zweien Herren
XXXI
dienen? Und wenn man dieses Kunststück unternimmt, muß nicht einer, müssen
nicht beide dabei zu Schaden kommen? Es fragt sich nur, welcher von den beiden
Herren, die ein Recht auf die Arbeitskraft der Lehrerin haben, wird aller Wahr-
scheinlichkeit nach den Kürzeren ziehen, die Schule oder das Heim? Offenbar der-
jenige, dem sie mit weniger Freude, folglich mit lahmerem Eifer dient, derjenige,
welchem sie mehr mit dem Kopfe als mit dem Herzen unterthan ist. Meine lieben
Colleginnen! Die Hand auf's Herz! Könnt ihr sagen, daß dasselbe für die Schule
schlägt, oder müßt ihr nicht vielmehr gestehen, daß nicht ein Tropfen eures war-
men Blutes ihr gehört? Ich als Lehrerin in jenem barbarischen Kronlande, welches
keine verheirateten Lehrerinnen anstellt, ich weiß nicht, wie einer Frau zu Muthe
ist, wenn sie ihr eigenes süßes Baby auf dem Schoße hält, wie Mutterglück und
Muttersorge sich beständig die Wage halten und doch immer wieder in eins ver-
schmelzen; nur mit der Phantasie vermag ich mir also den Schmerz ausmalen, wel-
chen ihr empfinden müßt, wenn die harte Pflicht euch, verheiratete Lehrerinnen
und Mütter, vom Bettchen eures Kindes reißt, dessen Pflege ihr fremden, bezahlten
Händen überlassen müßt, während ihr euren eigenen pädagogischen Zartsinn auf
die Cultur gewiß auch lieber, aber doch nicht so lieber Kinder verwenden müßt,
wie es euer eigenes ist.
Aber – wendet ihr ein – die Schule beschäftigt uns ja doch nur einige Stun-
den des Tages, die übrige Zeit gehört unseren Kindern! - Und bleibt euch dazu
auch die Kraft? Sind 4-5 Stunden Schulehalten, in der Volksschule wenigstens,
nicht hinreichend, um den Geist auf einen Tag zu erschöpfen, ist das Maß von Ge-
duld und Selbstbeherrschung, dessen jeder Mensch fähig ist, nicht am Ende auch
ein beschränktes? Werdet ihr, nachdem ihr durch Stunden all die Unruhe, die un-
vermeidlichen kindlichen Ungezogenheiten, das ganze undefinierbare Milieu eines
überfüllten Schulzimmers ertragen hat, euren Kindern mit einem heiteren, Frieden
athmenden Antlitz gegenübertreten? Seid ihr, wenn ihr abgespannt, ermüdet um
vier Uhr nach Hause kommt, wirklich aufgelegt, eurem Kinde jene Sorgfalt zu
widmen, welche es verdient, auf welche es kraft des Umstandes, daß ihr ihm das
Leben gegeben, den vollsten Anspruch hat? Muß nicht die Unordnung in einem
Haushalte einreißen, dem die Hausfrau den größten Theil des Tages fern bleibt,
und ist nicht die unvermeidliche Folge alles dessen die Zerstörung des Familien-
glückes? Ich gestehe, daß die Vorstellung des Haushaltes und des Familienlebens
einer verheirateten Lehrerin für mich etwas geradezu Beängstigendes und Absto-
ßendes hat. "Und lehret die Mädchen und wehret den Knaben -", ja, du ärmste,
verheiratete Lehrerin! Mußt du nach der Schule nicht Theken corrigieren, Aufsätze
präparieren, das Lesebuch studieren, um demselben immer neue Seiten abzuge-
winnen? Morgen kommt vielleicht der Inspector! Mag doch dein eigen Fleisch und
Blut zusehen, wie es dabei von selber gedeiht. Was verschlägt es schließlich, wenn
die Mädchen zerrissene Strümpfe und die Knaben durchlöcherte Aermel haben?
XXXII
Möglich auch, daß Mariechen aus dem Fenster stürzte, während du gerade in der
Schule warst, und Karlchen krumme Beine hat, weil das Kindsmädchen ihn einmal
vom Tisch fallen ließ, während die Soldaten gerade vorüberzogen - dich tröstet das
Bewußtsein, auf dem Felde der Pflicht goldenen Samen in jugendliche Herzen ge-
streut zu haben.
Ich bekenne, daß ich aus einer solchen Collision der Pflichten nur einen
Ausweg finde: den Haß gegen die Schule, welche sich zwischen mich und mein
Kind stellt und folglich die nach und nach eintretende Vernachlässigung meiner
Pflichten dort, oder aber die Nothwendigkeit, mich selbst in ein paar Jahren nutz-
los aufzureiben; denn der Vereinigung dieser beiden schweren Pflichten, der Leh-
rerin und der Mutter, ist keine Frau, weder physisch noch geistig, gewachsen. Die,
welche das Unmögliche leisten und beiden Theilen vollkommen gerecht werden
will, muß früher oder später der Last der Pflichten erliegen, jene, welche den kür-
zeren Weg einschlägt und entweder ihre Pflichten in der Schule oder die zu Hause
vernachlässigt, entwerthet sich hiedurch moralisch selbst und fügt so der Schule
und der Familie, den zwei wichtigsten Factoren der Gesellschaft, unberechenbaren
Schaden zu.
Daß die Frau, welche zwar noch nicht Mutter ist, aber es werden soll – ein
Fall, der ja bei einer verheirateten Lehrerin einmal eintreten kann – aus ästheti-
schen wie pädagogischen Gründen kein geeigneter Factor zur Führung einer Schu-
le ist, bedarf wohl keines Beweises, und unterliegt es keinem Zweifel, daß dieser
hoffnungsvolle Zustand, welcher viele Frauen auch physisch so bedeutend beein-
flußt, eine Beurlaubung der betreffenden Lehrerin, folglich einen Ersatz ihrer Ar-
beitskraft, folglich zahlreiche, vom Standpunkte der Allgemeinheit nicht zu recht-
fertigende Störungen verursacht und nothwendig macht.
Daß eine verheiratete Lehrerin, sobald sie Kinder hat, ihr ganzes Sein und
Leben auf diese concentrieren, daher ihren Schuldienst überhaupt aufgeben soll,
wird jeder aufrichtige Vertreter dieses Standes zugeben. Liegt nun aber, für den
Mann wie für die Frau, welche unter dieser Voraussetzung eine Ehe schließen,
nicht der Wunsch nahe, ihrem Bunde mögen überhaupt keine Kinder entsprießen,
damit durch einen Verzicht der Frau auf ihre Anstellung das Einkommen nicht ge-
schmälert werde, und was bedeutet dieser Wunsch Anderes als eine unerhörte
Entwerthung der Ehe selbst, ja im Grunde nichts Anderes als die Verneinung der-
selben? Welche unverdorbene, sittlich vollwerthige Frau kann den Muth haben,
eine solche Ehe einzugehen?
Man sage nicht, diese Consequenzen seien Uebertreibungen: auch Arbeite-
rinnen und Geschäftsfrauen seien auf doppelte Weise thätig, als Hausfrauen und
außer dem Hause im Gewerbe; aber abgesehen davon, daß in der Regel deren Bil-
dungsniveau, folglich auch die Feinheit der moralischen Empfindung eine andere
ist und sie weder den Umfang ihrer mütterlichen Pflichten, noch die Collision der-
XXXIII
selben mit den anderen so eindringlich empfinden, haben wir die mindeste Bürg-
schaft dafür, daß das häusliche Leben nicht unter dieser Ausbeutung der weibli-
chen Arbeitskraft leide?
Verbannen wir also die verheiratete Lehrerin aus der Schule: sie kann dem
mannigfachen Kreise ihrer Pflichten unmöglich genügen.
Die Schule fordert und verbraucht die ganze, volle Kraft eines Menschen,
die geringste Zerstreutheit, Müdigkeit, Abspannung seitens des Lehrers hat in der
kürzesten Zeit Theilnahmslosigkeit und Gleichgiltigkeit der Schüler und endlich
völlige Disciplinlosigkeit, also den Ruin der Erziehung, zur Folge.
Sollen wir nun folgern, daß jene Kronländer Recht haben, welche an die
Verheiratung einer Lehrerin den Verzicht auf ihre Stelle knüpfen, welche über-
haupt nur unverheiratete weibliche Personen als Lehrerinnen anstellen?
Daß eine unverheiratete Lehrerin mehr Interesse an der Schule nehmen wird
als eine mit häuslichen und Kindersorgen belastete Frau, dies unterliegt wohl kei-
nem Zweifel, aber wie alle irdischen Dinge, so hat auch das Cölibat der Lehrerin-
nen Schattenseiten, deren Wirkungen sich in der Schule fühlbar machen. Trotz
Lehrerinnenbildungsanstalten und Lyceen wissen nämlich die Mädchen sehr gut -
die Erkenntnis scheint ihnen im Blute zu liegen und braucht wenig Zeit zur Ent-
wicklung - daß sie zum Heiraten und nicht zum Schulehalten da sind. Die unmit-
telbarste Folge des Cölibats der Lehrerinnen ist daher die, daß jede trachtet, so
schnell als möglich von der Schule wegzukommen und zu heiraten. Jedes vernünf-
tige Mädchen benützt hiezu die Zeit der Blüte, die Jugend, und die Erfahrung be-
stätigt, daß in jenen Kronländern, wo die Lehrerinnen nicht verheiratet sein dürfen,
die weiblichen Lehrkräfte durchaus kein stabiles Element auf dem Gebiete des Un-
terrichtes und der Schulerziehung bilden. Für eine Lehrerin auf dem Lande, dem
Dorfe oder Markte ist es in der Regel sogar sehr leicht, einen Mann zu finden, da
sie vermöge ihrer größeren Bildung die wenigen übrigen Concurrentinnen leicht
aus dem Felde schlägt. Wir sehen also, daß auch die unverheiratete Lehrerin ihr
Herz nicht der Schule, sondern lieber - einem Manne schenkt, und daß wir daher
auch ihrem pädagogischen Ernste in der Schule nicht viel Glauben schenken dür-
fen. Allerdings, nicht alle Lehrerinnen verheiraten sich, und diese übrig bleiben-
den, der Mehrzahl nach, ja fast durchschnittlich nervös gewordenen, sind das si-
chere Stammcapital, welches der Schule aus den weiblichen Lehrkräften bleibt, ein
Capital von sehr zweifelhaftem Werthe, wenn man bedenkt, wieviel vergebliche
Sehnsucht und Bitterkeit enttäuschter Hoffnung oft in solch einem weiblichen
Herzen begraben sind; wie selten es einem alternden Mädchen möglich ist, sich le-
bensfroh und lebensfreudig zu erhalten. Und soll der Lehrer und Erzieher nicht ein
froher und zufriedener Mensch vor Allem sein? Die sprichwörtlich bekannte bissi-
ge Natur und üble Laune "alter Jungfrauen" - das Wort selbst ist schon ein Para-
doxon - ist nicht etwa ein zufälliges, sondern nothwendiges Ergebnis ihres zweck-
XXXIV
losen, einsamen Daseins, und zwecklos oder vielmehr von einem falschen Zwecke
erfüllt ist das Dasein auch der Lehrerin. Mag die Vernunft noch so praktisch predi-
gen, ihr Herz verneint die aufgedrungenen Pflichten und wird müde, verdrossen
unter der Last derselben. Berufsfreudigkeit! - ein schönes Wort - aber von uns Leh-
rerinnen in den seltensten Fällen gekannt und gefühlt.
Daß die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum Lehrberufe in der
Gegenwart, bei der immer mehr überhandnehmenden Abneigung der Männer,
Ehen zu schließen, eine eminent praktische Seite hat: daß die Schule ein sicherer
Hafen der Versorgung für viele Mädchen ist, mit welchen sonst die Eltern nichts
anzufangen wüßten, daß dieses Institut folglich eine ökonomische Bedeutung ers-
ten Ranges für zahlreiche Familien und Individuen hat, wer wollte dies leugnen?
Von diesem Standpunkte aus müßte man jedoch schließlich der Frau alle Berufsar-
ten freigeben; es fragt sich nur, ob die Menschheit dadurch wirklich vorwärts kä-
me, es fragt sich vor allem, ob die Wahl des Lehrberufes, welchem in erster Linie
die Bildung und in letzter folglich die Geschicke zukünftiger Generationen anver-
traut wird, eine bloße Magenfrage sein soll, was sie beim weiblichen Geschlechte
thatsächlich ist.
Um die Bedeutung dieser Frage voll zu würdigen, müssen wir die äußersten
Consequenzen derselben ziehen, wir müssen uns nämlich genau vorstellen, auf
welchen Standpunkt die Schule gerathen würde, wenn sie bei dem fortwährenden
Andrange des weiblichen Geschlechtes zu derselben endlich ganz oder größtent-
heils in weibliche Hände ausgeliefert würde.
Wie jeder Zweig menschlichen Schaffens ist auch die Schule ein lebendiger,
sich ewig erneuernder, sich unaufhörlich fortbildender Organismus, muß es we-
nigstens sein, wenn sie gesund bleiben und nicht in ihrem eigenen Blute ersticken
soll. Ist nun der weibliche Geist, der Träger des Schulgedankens in der von uns
vorgestellten Zukunft, ein schöpferischer, ist derselbe in seinem Wesen fortschritt-
lich oder conservativ? Ist es Aufgabe der Frau, im großen Haushalte der Natur
zeugend oder empfangend zu wirken? Wenn wir zugeben, daß dieselben Gesetze,
welche für das physische Leben und Weben eines bestimmten Individuums maß-
gebend sind, auch sein geistiges Leben bedingen, daß mit anderen Worten die Na-
tur sich selbst nicht widerspricht, daß sie keine Einseitigkeit, sondern nur Harmo-
nie innerhalb desselben Zellorganismus kennt, so müssen wir den ersten Theil die-
ser Frage rückhaltlos verneinen. Wie der weibliche Körper vom männlichen be-
fruchtet werden muß, soll neues Leben sich in seinem Schoße geheimnisvoll ent-
falten, so ist auch das Verhalten der weiblichen Psyche hauptsächlich ein recepti-
ves und ein Blick auf die jahrtausendlange Geschichte unseres Geschlechtes be-
weist dies zur Genüge. Welche Frau ist je schöpferisch thätig gewesen? Und wenn,
was bedeuten die paar interessanten Ausnahmen gegenüber der Regel? Sind sie
imstande, das Gesetz der Gattung aufzuheben? Verdanken wir nicht selbst die Er-
XXXV
findung jener Geräthe und Werkzeuge, welche jetzt fast nur von weiblichen Fin-
gern gehandhabt werden, dem männlichen Erfindergenie? Wir sticken, stricken,
nähen seit Jahrhunderten: ist es aber einer Frau vorbehalten gewesen, das Räthsel
der Strick- und Nähmaschine zu lösen? Einen schlagenden Beweis für die durch-
dringende Allgewalt dieses Gesetzes liefert insbesondere auch das Studium der
Musikgeschichte. Die Musik ist die Sprache des Gefühls, des eigentlichen Lebens-
elementes der Frau, und selbst auf diesem Felde ist nicht sie, sondern der Mann
schöpferisch hervorgetreten. Wird es, soll es der fortschreitenden Civilisation ge-
lingen, dem innersten, geheimsten Weben und Schaffen der Natur neue Gesetze zu
dictieren? Der Eifer, mit welchem Männer und Frauen die Idee der Gleichstellung
beider Geschlechter verfechten, die frohe Hoffnung, welche sie sich in Bezug auf
den Erfolg ihrer Bestrebungen hingeben, scheint anzudeuten, daß sie an eine völli-
ge Umwälzung der ewigen Naturgesetze durch "Menschenwitz und Menschenlist"
glauben. Gottlob sind dieselben jedoch unverrückbar und weichen nicht um Haa-
resbreite dem Ansturme der feurigsten Emancipationsbestrebungen. Im Gegenthei-
le: je weiter dieselben fortschreiten, je größere Kreise sie ziehen, je mehr sich die
Frau dem wahren, von der allgütigen Natur mit so reicher Glückfülle ausgestatte-
ten Heim ihres Wesens entzieht, desto rascher wird auch die nothwendige Reaction
hereinbrechen und alle künstlichen und widernatürlichen Einrichtungen fort-
schwemmen.
Ich wirke seit 15 Jahren an derselben Schule im Vereine mit 9 anderen Leh-
rerinnen, welche durchgängig recht begabte Mädchen sind: trotzdem hat sich in
unserem Schulwesen seit ebensoviel Jahren nicht das mindeste geändert, respecti-
ve gebessert, jede Lehrerin drillt heute genau so wie vor 15 Jahren, und ist Still-
stand, wenn die Welt um uns her fortschreitet, nicht eigentlich Rückschritt? Auto-
maten gleich, gläubig, pünktlich thun wir unsere Pflichten, strenge wird jeder
Buchstabe des Gesetzes erwogen und erfüllt, auch wo derselbe dem Bedürfnisse
der Wirklichkeit entsprechend corrigiert werden sollte. Dem todten Buchstaben
immer neues, frisches Leben einzuhauchen, ihn lebendig fortzuentwickeln, fällt
erstens keiner von uns ein, und zweitens hätten wir unserer behutsamen Natur zu-
folge auch schwerlich den Muth dazu, das Gesetz auf eine noch nie dagewesene
Weise zu interpretieren, weil wir fürchten würden, Anstoß zu erregen. Besser als
alle Reflexionen und allgemeinen Bemerkungen mag der Vergleich mit der in
demselben Hause untergebrachten Knabenvolksschule meinen Gedanken illustrie-
ren. Beide Schulen sind fünfclassig, die Mädchenschule unter weiblicher, die Kna-
benschule unter männlicher Leitung. Aber wie oft sind uns des Gegensatzes beider
Institute lebhaft bewußt geworden!
Da in der Stadt auch eine dreiclassige Bürgerschule für Knaben und Mäd-
chen im Anschlusse an die fünfclassige Volksschule besteht, so fügt es sich natur-
gemäß, daß in der 5. Schulclasse sich nur Kinder einer Altersstufe befinden und
XXXVI
folglich auch keine Sonderung in Abtheilungen stattfindet, weil das 6., 7. und 8.
Schuljahr in der Bürgerschule durchgemacht wird. Die 5. Classe hat daher auch
nur den Lehrstoff für das 5. Schuljahr zu bewältigen und braucht folglich auch nur
die hiefür nöthige Stundenzahl einzuhalten, welche geringer ist als die für eine 5.
Classe mit Unterabtheilungen vorgeschrieben Anzahl von Lehrstunden. In diesem
Sinne verfuhr man denn auch an der Knabenvolksschule, ohne je den mindesten
Einspruch seitens der Behörden zu erfahren. Anders an der Mädchenvolksschule:
hier wurde, in der Absicht, das vom Gesetze vorgezeichnete Bild der fünfclassigen
Volksschule darzustellen, in der 5. Classe ein Stundenmaß und Lehrplan festgehal-
ten, welche nicht der 5., sondern der 5. bis 8. Altersstufe zusammen entsprachen,
bis endlich ein einsichtsvoller Inspector diesem Unwesen den Garaus machte und
unsere Schulmädchen von der Pein vierstündigen Sitzens an einem Vormittage er-
löste. Ich kenne eine Directorin in Z., welche, so oft eine Anordnung zu treffen ist,
die nur im Geringsten der Oeffentlichkeit zur Kenntnis gelangt, ganz aufrichtig ge-
steht, daß sie sich erst mit dem Herrn Oberlehrer So und So berathen müsse; selbst
die Feststellung des Termins der Zeugnisvertheilung wird von ihr als ein unerhör-
tes Wagestück angesehen, das sie selten ohne vorherige Berathung mit dieser
männlichen Egeria unternimmt. Liegt aber dieses Bedürfnis, sich vor den Augen
der Welt zu schützen, keine öffentliche Verantwortung auf sich zu laden, nicht tief
in der weiblichen Natur begründet, und schließt es nicht jede selbständige Ent-
wicklung der Schule geradezu aus? Die Schule der Frau ausliefern heißt nichts an-
deres, als sie dem Stillstande, der Reaction anheimfallen lassen.
So paradox es klingen mag, so ist es doch eine tiefe Wahrheit, daß nur der
Mann das Weib erziehen kann. Er weiß besser als sie selbst, welche Eigenschaften
ihm an ihr am besten gefallen, am wünschenswerthesten sind, welche die
nothwendige Ergänzung seiner eigenen Natur bilden. Sind nicht die lieblichsten
und edelsten Frauengestalten der Poesie, eine Dorothea, eine Iphigenie, Schöpfun-
gen männlichen Geistes, welcher darin den weiblichen Thypus verewigt, wie er ihn
im Leben geschaut hat oder wohl zu schauen sich sehnt? - Auf ein halbwüchsiges,
junges Mädchen, das die Bürgerschule besucht, wird ein mahnender oder tadeln-
der, ein ermunternder Blick eines tüchtigen und taktvollen Lehrers viel nachhalti-
ger wirken als die eindringliche Strafpredigt seitens einer Lehrerin, weil im erste-
ren Falle der erwachende Instinct, der Trieb des Weibes, dem Manne zu gefallen,
unbewußt der Mahnung von außen zu Hilfe kommt. Selbstverständlich bedarf es
hiezu eines eminent taktvollen Lehrers, dessen Charakter so fest gegründet ist wie
sein Wissen; denn gerade in den Jahren der beginnenden Entfaltung des weibli-
chen Bewußtseins kann umgekehrt ein ungeschickter, seiner Würde vergessender
Lehrer den größten Schaden stiften. Aber auf einen tüchtigen Lehrer müssen wir
doch hoffen, ihn wenigstens theoretisch in Rechnung ziehen, wenn auch die Wirk-
lichkeit in einzelnen Fällen immer hinter dem Ideale zurückbleibt. An der Lehre-
XXXVII
rinnenbildungsanstalt, an welcher Schreiberin dieser Zeilen ihre Ausbildung zum
Lehrberufe erhielt, wirkten neben den Professoren auch vier Lehrerinnen. Obgleich
dieselben über ein tüchtiges Wissen verfügten und liebenswürdige weibliche Cha-
raktere waren, so gelang es doch keiner einzigen, auf uns einen maßgebenden er-
ziehlichen Einfluß zu üben, denn ach! wir hatten ein zu scharfes Auge für ihre
weiblichen Schwächen. Wir wußten genau, wie eitel die eine derselben war, und
rechneten ihr ihren Riesenverbrauch an buntfarbigen Bändern, Schleifen, Spitzen
u. dergl. ziffermäßig nach. Es machte nicht den geringsten Eindruck auf uns, wenn
sie gegen die Putzsucht, die Schwatzhaftigkeit unseres Geschlechtes zu Felde zog,
uns tadelte, daß wir Schnürleiber trugen, da wir doch sehr gut sahen, daß sie selbst
uns in dieser Hinsicht mit keinem guten Beispiele vorangieng. Ja die Vorgeschrit-
tenen, die Altklugen unter uns wollten in einer solchen Philippica nichts anderes
entdecken als die mir jetzt so verständliche und begreifliche Unmuthsäußerung der
älteren Frau beim Anblicke weiblicher Jugendblüte. Wir amüsierten uns königlich,
als wir bemerkten, daß eine der Damen ihr Herz an einen Professor verlor, und
wußten genau, so oft sie eine besondere Strenge gegen uns walten ließ, in welcher
Phase der Entwicklung sich ihr Liebes- und Herzensroman befand. Es gewährte
uns ein fanatisches Vergnügen, sie am Schlusse der Stunde durch allerhand mehr
oder weniger wichtige Fragen und Bitten aufzuhalten, weil wir wußten, daß sie
sich darnach sehnte, in Begleitung des Professors nach Hause zu gehen, und als sie
vollends, von ihrer Neigung verblendet und von Eifersucht gequält, seinen Lehr-
stunden bei uns beizuwohnen anfieng, da kannte unsere Lust, sie zu quälen, keine
Grenzen.
Welche Autorität, welche Hochachtung und Verehrung besaßen dagegen
einzelne unserer Professoren, die Verstand mit Herzensbildung vereinten! Da war
es in manchen Stunden so still, daß man ein Mäuschen hätte laufen hören können,
und dies ohne allen Zwang, von selbst war es so, weil jede von uns sich in die See-
le hinein geschämt hätte, von einem der Herren wegen Schwatzhaftigkeit oder Un-
ruhe getadelt zu werden. Was lag uns daran, wenn eine der Lehrerinnen sagte, wir
seien schwatzhaft, aber wie ein Brandmal fürchteten wir dieses Wort aus dem
Munde eines der verehrten Lehrer. Da galt es zu zeigen, daß wir zwar Mädchen,
aber den bekannten weiblichen Schwächen und Untugenden nicht unterworfen sei-
en, daß wir im Gegentheile alle die Vorzüge besäßen, welche unserem Geschlechte
zugeschrieben werden: Bescheidenheit, Sanftmuth, Geduld. Und ist dieser
Wunsch, die lebhafte Sehnsucht, besser zu scheinen, als man vielleicht wirklich ist,
nicht schon der Beginn des Besserwerdens? Das unbewußte Streben des heran-
wachsenden Mädchens, vor dem Manne "echt weiblich" zu erscheinen, sein Gefal-
len nicht bloß körperlich, sondern auch geistig zu erregen, scheint mir ein unend-
lich heilbringender Factor in der weiblichen Erziehung, welcher bei der Ausliefe-
rung der Schulen (wenigstens der Mädchenschulen) an die Frauen gänzlich aus
XXXVIII
dem Spiele fällt. Und auf eine vollständige Auslieferung der Schulen, und zwar der
Mädchenschulen in erster Linie, an die Frau läuft ja doch der Zudrang des weibli-
chen Elementes zum Lehrfache endlich hinaus. Immer mehr Mädchen wollen und
müssen, durch die Verhältnisse gedrängt, Lehrerinnen werden, was ist natürlicher,
als daß schließlich der Grundsatz aufgestellt wird: Mädchenschulen sollen nur von
weiblichen Lehrkräften geleitet, Mädchen sollen nur von Lehrerinnen unterrichtet
werden - eine Einrichtung, welche im Interesse der Zukunft ihres Geschlechtes,
dessen intellectueller und moralischer Entwicklung auf das Tiefste zu bedauern
wäre, weil sie eine vollständige Stagnation auf dem Gebiete weiblicher Bildung
zur Folge hätte.
"Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte", dieser Vers enthält im
Kerne die Aufgabe beider Geschlechter, ihre Stellung in der menschlichen Gesell-
schaft. Der Mann muß vorwärts streben, neue Gebiete der wirklichen und der Geis-
teswelt erschließen, die Frau muß das Erworbene erhalten, am Gewonnenen mit
liebevoller Treue hängen: sie ist im innersten Wesen conservativ und muß dieses
Gepräge ihres Wesens auch der Schule aufdrücken, welche doch die stetig sich er-
neuernde Quelle des Fortschrittes sein soll.
Daß die Lebensweise einer Frau, auch wenn dieselbe sich ihr Brot selbst er-
wirbt, eine zurückgezogenere sein soll als die des in jeder Hinsicht unabhängigen
Mannes, werden selbst die begeistertsten Freunde der Frauenemancipation zuge-
ben. Auch sie wünschen nicht, daß im tobenden Kampfe ums Dasein die Frau in
den Vordergrund trete, um dabei unvermeidlich die edelsten Attribute ihres Ge-
schlechtes, die Bescheidenheit, Zurückhaltung, Sanftmuth, zu verlieren. Der Mann
mag auch im trotzigen Kampfesungestüm noch schön und anziehend sein, die Frau
wirkt abstoßend und widerwärtig. Die Würde ihres Geschlechtes legt ihr mit uner-
bittlicher Strenge gewisse Schranken und Opfer an Freiheiten auf, welche sie nicht
ungestraft außeracht lassen darf.
Das ewige Einerlei der Schule erschöpft aber den Geist, wenn derselbe nicht
immer neue Nahrung aus dem Leben saugt und in frischer Berührung mit der Welt
bleibt. Wie kann dies die Lehrerin erreichen? Man vergegenwärtige sich doch die
Existenz eines solch einsamen Geschöpfes und mache sich - da wir die verheiratete
Lehrerin ja aus anderen Gründen aus der Schule eliminieren müssen - ein Bild von
dem Leben der alleinstehenden, unverheirateten Lehrerin. Darf sie einen Schritt
nach rechts oder links, nach vorwärts oder rückwärts thun, der nicht bekritelt wür-
de? Gewiß, sie mag sich nach der Schule erholen, so gut sie kann, aber bei wem?
Bei Freundinnen, welche entweder Colleginnen, also im gleichen Falle sind wie sie
selbst, oder bei Frauen, welche, in einer anderen Sphäre thätig, für ihre Interessen
kein Verständnis haben können? Eine Ausdehnung ihres Bekanntenkreises auf
Männer, von welchen sie Anregung, Belehrung empfangen könnte, ist ihr durch
Sitte und Vorurtheil schwer gemacht, es bleibt ihr nahezu nichts anderes übrig, als
XXXIX
im Geiste und im Gemüthe zu verkümmern, ein Los, welchem jede ältere Lehrerin
unerbittlich anheimfällt und welches seinen Reflex auf die von ihr geleitete Schule
wirft. Darf es uns Wunder nehmen, wenn nun gar manche ihr Heil im Gebete, in
übertriebenen religiösen Uebungen sucht, und muß man nicht mit Recht fürchten,
daß sie die ihr anvertrauten Zöglinge in eben dem Sinne erziehen und nach Kräften
trachten wird, sie zu bigotten Menschen zu machen? Wes das Herz voll ist, des
geht nun einmal der Mund über, so wirkt z.B. an einer der Schreiberin dieser Zei-
len bekannten Schule eine Lehrerin, welche, selbst äußerst bigott, an ihre Schüle-
rinnen die überspanntesten, aller Pädagogik hohnsprechenden Anforderungen in
Bezug auf Selbstüberwindung und Selbstkasteiung stellt. Es ist geradezu erstaun-
lich, was für allerliebste kleine Heuchlerinnen sie auf diese Art "für den Himmel"
heranbildet, wie denn ja auch das Hauptproduct der klösterlichen Erziehungsweise
bei fügsamen Charakteren die Heuchelei, bei störrischen der Eigensinn ist.
Mit Stolz erzählte mir einmal eine bejahrte Collegin, was für lernlustige
Schülerinnen sie habe. Als sie denselben nämlich am Vortage des Faschingdiens-
tags ankündigte, daß der Ortsschulrath den kommenden Tag ausnahmsweise frei-
gegeben habe, da entstand wie auf Commando unter den Schülerinnen ein Gemur-
mel des Unwillens ob des freien Tages. Jede suchte die andere an Lerneifer zu
übertrumpfen und darzuthun, daß sie lieber auf der Schulbank hocke als sich eine
Faschingshetze ansehe. "Wer's glaubt, wird selig", dachte ich mir selber, über-
zeugt, daß die ganze Classe geheuchelt und wie aus einem Munde gelogen hatte.
Niemand ist so sehr der steten Anregung, des steten Auslüftens von Leib
und Seele bedürftig als der Schulmeister, dessen Hirn tausend- und abertausendmal
im Jahre dieselbe Vorstellung reproducieren muß. Wenn schon der Lehrer, welcher
durch seine größere Theilnahme am öffentlichen Leben der Nation von mehr als
einer Seite angeregt wird, nur mit Anstrengung und großer Wachsamkeit der Ge-
fahr der Einseitigkeit, eines pedantischen Schulfuchsenthums entgeht, wie soll die
fast nur auf ihr Schulzimmer angewiesene Lehrerin diesem Uebel Stand halten?! Je
vielseitiger, je reicher und verzweigter das Interesse des Lehrenden an der Welt ist,
von desto mehr Seiten wird er auch seine Schüler anzuregen, desto mehr Augen
wird er ihnen sozusagen zu öffnen wissen. Wer wollte bestreiten, daß der Mann
von Natur aus mit einer größeren Fähigkeit, das gesammte Weltbild aufzufassen,
ausgestattet ist, da doch seine Stellung in der Welt, sein hervorragender Antheil am
Kampfe um's Dasein seit Paradieses Zeiten ihn hiefür besser ausgerüstet hat? Der
Mann ist Jäger, Fischer, Bergsteiger, Beobachter und Erforscher der Natur von al-
len Seiten: ist es nicht selbstverständlich, daß in Folge tausendjähriger Vererbung
sein Geist und seine Sinne geschärfter sind, alle die Räthsel der großen Sphinx zu
lösen, als die der Frau? Wie wenig interessiert sich letztere z.B. für das Leben und
Weben der Thiere, für deren Eigenthümlichkeiten, sofern es nicht gewisse ausge-
sprochene Lieblingsthiere und Spielkätzchen sind! Immer ist es der Mensch in al-
XL
len seinen Verhältnissen, also vor allem die Welt des Gemüthes und des Willens,
welche das wirkliche Interesse der Frau wachruft, und auch die Natur ist ihr viel
mehr ein Gegenstand der Bewunderung, des Gefühls, als der Beobachtung, der
Analyse. Der Lehrer aber darf nicht bloß die Natur lieben, er muß sie auch, soll
nicht der Aberglaube sein drohend Haupt erheben, verständig beobachten lehren,
und dies kann eben nur der Lehrer, nicht die Lehrerin, oder letztere wenigstens nur
in beschränktem Maße und in seltenen Fällen. Einen überzeugenden Beweis, wie
wenig das erforschende und wissenschaftliche Beobachten der Natur der Frau am
Herzen liegt, bildet die Leichtigkeit, mit welcher junge Mädchen alles, was sie
über Physik, Geologie, Mineralogie, Mathematik an einer höheren Töchterschule
oder Lehrerinnenbildungsanstalt lernen, wieder vergessen. Ihre Leistungen in die-
ser Hinsicht sind geradezu erstaunlich und jeder aufrichtige Lehrer an einer sol-
chen Schule dürfte diese Wahrnehmung bestätigen. Sie lernen eben nur gezwun-
gen, ohne inneres Interesse, nur der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe,
und werfen das Gelernte so schnell wie möglich über Bord. Und selbst die geist-
vollsten, ernsthaftesten Mädchen machen hierin selten, und dann auch nur für ge-
wisse, ihnen besonders zusagende Fächer, eine Ausnahme. Ich habe unter Hunder-
ten von Colleginnen und Mädchen, welche ich im Laufe meiner Studien- und
Berufsjahre kennen lernte, eine Einzige gefunden, die sich eine Käfersammlung
anlegte. Sie wurde von uns allen als ein Original angesehen.
Auf der Bildung des Anschauungs- und Beobachtungsvermögens, der Expe-
rimentierkunst im weiteren Sinne, ist der ganze moderne Unterricht, die ganze mo-
derne Cultur aufgebaut. Wer die Fähigkeit der Anschauung unvollkommen ausbil-
det, wie dies die Lehrerin thut, stellt den gesammten Bildungsbau auf eine unsoli-
de, schwankende Grundlage, vernichtet geradezu das Princip der modernen Schule.
Welchen Einfluß weiters die Anschaulichkeit, d.h. nichts anderes als die Wahrhaf-
tigkeit des Unterrichtes, auf die Bildung des Charakters hat, wie gründliches Ler-
nen den Trieb nach Wahrheit stärkt und fördert, dies braucht nicht erst bewiesen
und erörtert zu werden.
Das Haupterziehungsmittel, über welches die Schule verfügt, wird und muß
stets der Unterricht selbst bleiben: wer folglich vermöge seiner angeborenen Geis-
tesanlagen oder vermöge der günstigeren Bildungsbedingungen, unter welchen er
selbst lebt, in der Lage ist, besser, gründlicher, vielseitiger, praktischer zu unter-
richten, der nützt der Schule mehr und verdient als Bildner der Jugend den Vorzug
vor demjenigen, der allerdings vielleicht ebensoviel oder mehr guten Willen, aber
schwächere Kräfte zu diesem schweren Amte mitbringt. Gönnen wir dem Manne
den Ehrenplatz im öffentlichen Leben, der Frau aber die stille, doch um so heilige-
re Wirksamkeit am häuslichen Herde, wo allein ihre angeborenen Gaben sich zu
herrlichster Blüte entfalten können, wo sie niemand ersetzen kann und wo sie im
Herzen der Gesellschaft, im Mittelpunkte der socialen Welt steht, in welchem alle
XLI
Strahlen der Liebe, die das Weltall durchdringt, wie in einem Brennpunkte zu-
sammentreffen.
XLIII
VI.
Winfried Böhm
Geschichte der Pädagogik1
(2005)
Geschichte der Pädagogik. Die G.d.P. als eigene Disziplin der Pädagogik entwi-
ckelte sich nach Ansätzen bei Niemeyer und Schwarz im 19. Jahrhundert
und brachte damals als die bedeutendsten Leistungen u. a. die Werke von
Raumer, Schmid und Th. Ziegler hervor. Entsprechend der Mehrdeutigkeit
des Begriffs Pädagogik kann G.d.P. die Geschichte des pädagogischen Den-
kens und der pädagogischen Ideen, die Geschichte der tatsächlichen Erziehung
(Realgeschichte), die Geschichte der erzieherischen Institutionen (z. B. Schul-,
Universitätsgeschichte), die Geschichte der pädagogischen Wissenschaft (Wis-
senschaftsgeschichte), die Geschichte von Erziehergestalten (Biographien), die
Geschichte von gesellschaftlichen Determinanten von Erziehung und Pädagogik
(Sozialgeschichte) meinen oder (meist nur programmatisch) auch alle diese As-
pekte zusammen umfassen. Da sich Erziehung und Pädagogik zwischen den
beiden extremen Polen von unreflektiertem Brauchtum, unbedachten, über-
kommenen Erziehungsgewohnheiten einerseits und bloß gedachten Erziehungs-
idealen ( Utopien) andererseits erstrecken, ist das Feld der G.d.P. sehr breit.
Da über Erziehung nachgedacht und pädagogische Praxis vollzogen wurde, seit
es Menschen gibt, ist die G.d.P. sehr tief, in ihrer kulturellen Vielfalt uner-
schöpflich und greift weit vor das Entstehen der Pädagogik als Wissenschaft zu-
rück.
Erziehung und Pädagogik stellen unbeschadet ihres überzeitlichen Sinnes ge-
schichtliche Phänomene dar und sind deshalb in ihrer jeweiligen geschichtlichen
Verortung und ihrem geschichtlichem Wandel zu begreifen; andererseits können
pädagogische Fakten und Zusammenhänge als solche überhaupt nur identifiziert
und begriffen werden, wenn dieser (historischen) Erfassung schon (systemati-
sche) pädagogische Kategorien zugrunde liegen; daher bedingen sich historische
und systematische Erziehungswissenschaft wechselseitig. Schon Schwarz hat
darauf hingewiesen, dass sich die tatsächliche Erziehungswirklichkeit wegen der
enormen Datenmenge und des gleichzeitigen Datenmangels nicht vollständig
rekonstruieren lässt; auch heute gilt diese Schwierigkeit, wenngleich das Quel-
lenmaterial beträchtlich angewachsen ist und die Forschungsmethoden erwei-
tert worden sind. Seit den 1970er Jahren wurde in der pädagogischen Ge-
schichtsforschung der Versuch unternommen, in der Analyse und Erklärung ge-
1 In: Winfried Böhm: Wörterbuch der Pädagogik, 16. vollst. überarb. Aufl. unt.
Mitarb. von Frithjof Grell, Stuttgart 2005, S. 248-250.
XLIV
genwärtiger Verhältnisse erprobte sozial-wissenschaftliche Theoriestücke auf
die G.d.P: „anzuwenden“, ohne dass man sich dabei immer volle Rechenschaft
darüber gegeben hat, inwiefern dieser methodische Zugriff den Forschungsge-
genstand konstruiert und möglicherweise verfälscht. Von einem primär pädago-
gisch orientierten Standpunkt aus kann die Bedeutung der G.d.P. nicht so sehr in
ihrer retrospektiven Schärfe als vielmehr in ihrer prospektiven Brisanz gesehen
werden: d. h. G.d.P. als konstitutives, dynamisches und kritisches Moment pä-
dagogischen Denkens und erzieherischen Handelns.
Im Anschluss an Brezinkas Rezeption des Kritischen Rationalismus und
Luhmanns Unterscheidung von Wissenschafts- und Erziehungssystem wen-
det sich die pädagogische Geschichtsschreibung zunehmend der Geschichtswis-
senschaft zu und will als erziehungswissenschaftliche Historiographie aus-
schließlich historische Forschung betreiben. Die damit verbundene Auflösung
des konstitutiven Zusammenhangs von Systematischer und Historischer Päda-
gogik ist dabei ausdrücklich intendiert. Die Erforschung der Geschichte der pä-
dagogischen Geschichtsschreibung steht noch in den Anfängen.
Zs.: Paedagogica Historica, Gent 1961ff.; Jb. für Hist. Bildungsforschung,
1994ff.; Zs. für päd. Historiographie, Zürich 2001ff.
Schr.: J. Dolch, Gegenstände und Formen der Pädagogischen Geschichtsschrei-
bung, in: Zs. f. Gesch. der Erziehung und des Unterrichts 20 (1930); F. Paulsen,
Gesch. des gelehrter Unterrichts, 2 Bde., 1885, 31919-21, Nachdr. 1966; ders.,
Das dt. Bildungswesen, 1906, Nachdr. 1966; P. Barth, Gesch. der Erziehung,
1911, 61925, Nachdr. 1976; H. Leser, Das päd. Problem in der Gesch. der Neu-
zeit, 2 Bde., 1925-28, A. Messer, G.d.P., 3 Bde., 1925, 31930-31; W. Moog,
G.d.P., 2 Bde., 1928-33, 81967; H. J. Rechtmann, G.d.P., 2 Tle., 1948-50,
31969;
F. Blättner, G.d.P., 1951, 14
1973; A. Reble, G.d.P., 1951, 18
1995; J. van den
Driesch; J. Esterhues, Gesch. der Erziehung und Bildung, 2 Bde., 1951-52, 61964; Th. Ballauff (m. K. Schaller), Päd., 3 Bde., 1969-73; H. Blankertz, Die
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Päd. 80 (2004) 2-3 (Themenheft); W. Böhm, Von der hist. Dimension der Päd.
zur erziehungswiss. Historiographie – Königsweg oder Holzweg?, in: I. M.
Breinbauer, E. Lechner (Hg.), Retrospektiven in Sachen Bildung, Klagenfurt
2004.
XLVI
VII.
Historische Pädagogik1
Ulrich Herrmann
H.P. ist eine Fachrichtung der Erziehungswissenschaft. Ihre Gegenstände waren
ursprünglich die Geschichte der pädagogischen Ideen und Menschenbilder, die
Theorie der Erziehung und Bildung sowie die Geschichte des Schul- und Erzie-
hungswesens. Diese Themen sind seit der Ausgestaltung der P. zu einer selbst-
ständigen Universitätsdisziplin im ausgehenden 18. Jh. fester Bestandteil des
Faches neben der Philosophisch-Theoretischen, Praktisch-Angewandten und
Vergleichenden P. ( ÜA „Vergleichende Pädagogik“). Sie hat die Aufgabe,
die Studierenden des Faches und die angehenden Lehrkräfte mit der Geschichte
des pädagogischen Denkens vertraut zu machen, damit sie angesichts unter-
schiedlicher pädagogisch-politischer und -praktischer Positionen, Kontroversen
und Herausforderungen einen eigenen kritisch-konstruktiven Standort und ein
realistisches Berufsfeld finden. Die Geschichte der pädagogischen Institutionen
und ihrer Berufe sollte bekannt sein, um die Herausforderungen der Gegenwart
für anstehende Reformen und für ein berufliches Selbstverständnis verstehen zu
können.
Die traditionelle Ideen-, Theorie- und Institutionengeschichte wurde sowohl
in Deutschland als auch international in den 1960er- und 1970er-Jahren in ver-
schiedene Richtungen weiterentwickelt.
Von der Ideen- zur Realgeschichte
Innerhalb der H.P. und in ihrem Umfeld (Philosophie, Soziologie, Geschichts-
wissenschaft) ist zunächst die Öffnung zur Sozialgeschichte zu nennen: Welche
besonderen gesellschaftlichen, geschichtlich gewachsenen, ökonomischen, kul-
turellen Lebens- und Erfahrungsumstände bestimmen ganz konkret das Denken
und die Praxis der Erziehung und des Unterrichts? Wie formt diese Praxis die
Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der jeweiligen jungen Ge-
neration? (Diese Fragestellungen begründeten in Deutschland auch die Nähe der
H.P. zur Kritischen Theorie.) Nicht Ideen und Theorien sollten im Mittel-
punkt des Interesses stehen, sondern die Realität der Erziehungs-, Bildungs- und
schulischen Lernprozesse und ihre Ergebnisse. Die Bearbeitung dieser Fragen
setzte eine intensive Forschung in Gang, v.a. des Kindes- und Jugendalters, des
Familien-, Schul- und Alltagslebens. Quellenausgaben, Einzelstudien und Über-
blicksdarstellungen für den Zeitraum vom18. Jh. bis zur Gegenwart liegen für
alle wichtigen Entwicklungen, Schularten und außerschulischen Bildungsein-
1 In: Beltz Lexikon Pädagogik, hrsg. von Heinz-Elmar Tenorth und Rudolf Tip-
pelt, Weinheim und Basel 2007, S. 320-321.
XLVII
richtungen vor sowie für den Vorschulbereich und die Berufspädagogik, die Er-
wachsenenbildung und die Sozialpädagogik, für die (internationale) Reformpä-
dagogik, die Bildungspolitik und die Wissenschaftsgeschichte der Erziehungs-
wissenschaft. Es gibt bemerkenswerte Ansätze auch zur quantitativen Erfor-
schung der Schul- und Hochschulentwicklung, eine Historische Bildungsöko-
nomie hat sich partiell etabliert.
Historische Sozialisationsforschung
Zugleich entwickelten die Sozialwissenschaften neue interdisziplinäre Fragestel-
lungen, v.a. die für die H.P. wichtige Sozialisationstheorie: Durch welche
Erfahrungen und Umstände werden aus Kindern Erwachsene mit ihren Einstel-
lungen, Mentalitäten und Lebensstilen? Wie lernen junge Menschen, sich damit
auseinanderzusetzen und ihren eigenen Weg zwischen Fremdbestimmung und
Selbstbehauptung zu finden? Jetzt traten in der Historischen Sozialisationsfor-
schung Gruppenprozesse und Sozialisationserfahrungen in den Mittelpunkt des
Interesses sowie die lebensgeschichtliche Bedeutung und Wirkungen von prä-
genden (familien- und schichtspezifischen) Erlebnissen und Lebensverhältnis-
sen, Schule und (Berufs-)Ausbildung. Hierher gehören die Forschungen zu den
Jugendbewegungen und Jugendkulturen ( ÜA „Jugendkultur“) im 20. Jh.
sowie zum Geschlechterverhältnis, aber auch zu spezifischen Generationser-
fahrungen z.B. vor dem Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik, in der NS-
Zeit, in den Kriegs- und Nachkriegszeiten.
Historische Bildungsforschung
Für die H.P. eröffnete sich von hieraus der Weg zu einer umfassenden Histori-
schen Bildungsforschung. Das überkommene Konzept der „Bildung“ als eines
Prozesses der personalen individuellen Selbstwerdung und -bestimmung wurde
eingeordnet in umfassendere lebensgeschichtliche Erfahrungen und Zusammen-
hänge. Jetzt begann Historische Bildungsforschung auf breiter Front sich auch
mit Bildungsinstitutionen und -medien zu beschäftigen: mit Theater und Muse-
um, Lektüre (besonders Kinder- und Jugendliteratur) und Massenmedien. Dies
hing eng zusammen mit der gleichzeitigen Hinwendung der Sozial- und Ge-
schichtswissenschaften zu kulturwissenschaftlichen Themen. Die Ergebnisse
dieser historisch-empirischen Bildungsforschung können auch ein grundlegen-
des Element jeder Politikberatung sein.
Aus der Historischen Sozialisationsforschung und in Anlehnung an die histo-
rischen Gesellschafts- und Kulturwissenschaften formierte sich die Historische
Bildungsforschung als neue interdisziplinäre Fachrichtung, sowohl innerhalb der
Erziehungswissenschaft als auch als anregungsreiches Fachgebiet in den Ge-
schichtswissenschaften, von deren theoretischen und methodischen Innovatio-
nen sie in der Nutzung neuer Quellen, z.B. der Bilder, oder neuer Methoden,
z.B. der linguistischen Analyse, ebenfalls profitiert hat.
H.P. hat in den letzten Jahrzehnten des 20. Jhs. in Deutschland und internatio-
nal eine ungewöhnliche Blüte erlebt. Eine Umorientierung der akademischen
XLVIII
Erziehungswissenschaft zu anwendungsbezogener Bildungsforschung würde die
H.P. als einen Kernbestand unseres „kulturellen Gedächtnisses“ in ihrem Fort-
bestand bedrohen.
Literatur
Berg, Ch. u.a. (Hrsg.) (1987/2005): Handbuch der deutschen Bildungsge-
schichte, 6 Bde. München.
Böhme, G. / Tenorth, H.-E. (1990): Einführung in die Historische Pädagogik.
Darmstadt.
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