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257 Zur frühen Gewinnung von Silber in Südamerika Einführung In der heugen Wahrnehmung des Metallreichtums Südamerikas spielt Silber nur eine relav unscheinbare Rolle zwischen dem fabelhaſten Gold- reichtum aus der Zeit der frühen Eroberungen, vor allem in Kolumbien, und dem Kupferboom der Gegenwart basierend auf den riesigen por - phyrischen Lagerstäen Chiles und Perus (vgl. die Beiträge von Sáenz/ Marnón-Torres und von Maldonado/Rehren in diesem Katalog). Dabei spielte südamerikanisches Silber für eine lange Zeit nach der Eroberung Südamerikas durch die Spanier eine ganz massive Rolle in der Entwick - lung der globalen Wirtschaſtsströme, insbesondere als Zahlungsmiel für den zunehmenden Handel zwischen Europa und Asien, und noch heute ist Peru der weltgrößte Silberproduzent, gefolgt von Mexiko. Spielte Sil- ber auch schon zu präkolumbischen Zeiten eine so große Rolle? Man weiß, dass sich Silber zumindest in den späteren Kulturen, d. h. unmit- telbar vor der spanischen Eroberung, in der Mythologie zu Gold verhielt wie der Mond zur Sonne und den Würdenträgern des Inka-Reiches vor- behalten war. Wo aber kam dieses Silber her, wie und seit wann wurde es erschmolzen? Die besten Belege für die frühe Silbergewinnng sind natürlich in erster Linie entsprechende archäologische Funde von Silberobjekten, die jedoch nicht besonders zahlreich erhalten und angesichts der schlechten Publika- onslage der meisten Sammlungen und Museen auch kaum zu quanfi- zieren sind. Es ist aber eindeug, dass Silber über fast die gesamte Anden- kee hinweg eine Rolle gespielt hat. Einigen Einblick in den Umfang der Silberprodukon geben Berichte aus der Zeit der spanischen Eroberer – sowohl in Form von Erzählungen als auch aus Ladelisten der spanischen Schatzschiffe und Steuerlisten in den Archiven der Kolonialverwaltungen. Nur als Beispiel sei hier der Bericht über das Lösegeld angeführt, dass der Inka Atahualpa im Herbst 1532 an Franscisco Pizarro gezahlt hat, ehe er von den Eroberern dann im Sommer 1533 doch umgebracht wurde: Ein Raum mit einer Grundfläche von rd. 7 m mal 5 m sollte innerhalb von zwei Monaten zur Hälſte seiner Höhe von 5 m mit Gold gefüllt werden, und zweimal zu seiner gesamten Höhe mit Silber. Den Berichten zufolge waren danach neun Öfen der Spanier drei Monate lang damit beschäf - Zur frühen Gewinnung von Silber in Südamerika Thilo Rehren gt, die Beute einzuschmelzen – mehr als 11 t Gold und doppelt so viel Silber wurden in Barren gegossen und abtransporert. Der Wahrheits- gehalt dieser Erzählung ist historisch schwer zu überprüfen, und viel von dem Gold mag auch in Wirklichkeit tumbaga (also mit Kupfer „ver - längert“) gewesen sein. Verlässlicher sind da die Steuerlisten von Sevilla als dem Haupthafen der spanischen Schatzschiffe. Diese Listen lassen erkennen, dass dort zwischen den Jahren 1531 und 1660 n. Chr. 155 t Gold und 17.000 t Silber angelandet wurden (Céspedes 1983, S. 132), dem Gewicht nach also mehr als hundertmal so viel Silber wie Gold, und damit auch wertmäßig weit überwiegend. Natürlich ist der Löwen- anteil des Silbers hier sicherlich auf den europäisch betriebenen Berg- bau zurückzuführen, aber der Bericht über Atahualpa zeigt doch, dass auch vor Eintreffen der Spanier bereits Silber in großen Mengen vor- handen gewesen war. Was ist nun über die präkolumbischen Wurzeln dieser historisch und noch heute weltweit wichgen Montanindustrie bekannt? Überraschen- derweise etwas mehr als über das Gold und das Kupfer. Spuren präkolumbischer Silbergewinnung Im Folgenden sollen schlaglichtarg einige Beispiele neuerer Forschun- gen vorgestellt werden, die zu diesem Kenntnisstand beigetragen haben. Dabei ist es zum jetzigen Zeitpunkt immer noch unmöglich, ein detaillier- tes Bild von der frühen Silbermetallurgie für einzelne Gebiete und Epo- chen zu zeichnen, vielmehr müssen Einzelbefunde aus unterschiedlichen Regionen und Zeiten nebeneinandergestellt werden, ohne dass sie unbe- dingt zueinander gehören. Das sich ergebende Bild ist demzufolge not - gedrungen lückenhaſt und erlaubt nicht, die sicherlich bestehenden kul- turellen Unterschiede und zeitlichen Entwicklungen zu erkennen. Daher werden die Beispiele hier in einer technologischen Reihenfolge vorge- stellt, wobei zu betonen ist, dass die einzelnen Funde nicht in einem geo- grafischen oder kulturellen Zusammenhang stehen.

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thilo rehrenZur frühen Gewinnung von silber in südamerikaeinführungIn der heutigen Wahrnehmung des Metallreichtums Südamerikas spielt Silber nur eine relativ unscheinbare Rolle zwischen dem fabelhaften Goldreichtum aus der Zeit der frühen Eroberungen, vor allem in Kolumbien, und dem Kupferboom der Gegenwart basierend auf den riesigen porphyritischen Lagerstätten Chiles und Perus (vgl. die Beiträge von Sáenz/ Martinón-Torres und von Maldonado/Rehren in diesem Katalog). Dabei spielte südameri

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Zur frühen Gewinnung von Silber in Südamerika

einführungIn der heutigen Wahrnehmung des Metallreichtums Südamerikas spielt Silber nur eine relativ unscheinbare Rolle zwischen dem fabelhaften Gold-reichtum aus der Zeit der frühen Eroberungen, vor allem in Kolumbien, und dem Kupferboom der Gegenwart basierend auf den riesigen por-phyritischen Lagerstätten Chiles und Perus (vgl. die Beiträge von Sáenz/Martinón-Torres und von Maldonado/Rehren in diesem Katalog). Dabei spielte südamerikanisches Silber für eine lange Zeit nach der Eroberung Südamerikas durch die Spanier eine ganz massive Rolle in der Entwick-lung der globalen Wirtschaftsströme, insbesondere als Zahlungsmittel für den zunehmenden Handel zwischen Europa und Asien, und noch heute ist Peru der weltgrößte Silberproduzent, gefolgt von Mexiko. Spielte Sil-ber auch schon zu präkolumbischen Zeiten eine so große Rolle? Man weiß, dass sich Silber zumindest in den späteren Kulturen, d. h. unmit-telbar vor der spanischen Eroberung, in der Mythologie zu Gold verhielt wie der Mond zur Sonne und den Würdenträgern des Inka-Reiches vor-behalten war. Wo aber kam dieses Silber her, wie und seit wann wurde es erschmolzen?Die besten Belege für die frühe Silbergewinnng sind natürlich in erster Linie entsprechende archäologische Funde von Silberobjekten, die jedoch nicht besonders zahlreich erhalten und angesichts der schlechten Publika-tionslage der meisten Sammlungen und Museen auch kaum zu quantifi-zieren sind. Es ist aber eindeutig, dass Silber über fast die gesamte Anden-kette hinweg eine Rolle gespielt hat. Einigen Einblick in den Umfang der Silberproduktion geben Berichte aus der Zeit der spanischen Eroberer – sowohl in Form von Erzählungen als auch aus Ladelisten der spanischen Schatzschiffe und Steuerlisten in den Archiven der Kolonialverwaltungen. Nur als Beispiel sei hier der Bericht über das Lösegeld angeführt, dass der Inka Atahualpa im Herbst 1532 an Franscisco Pizarro gezahlt hat, ehe er von den Eroberern dann im Sommer 1533 doch umgebracht wurde: Ein Raum mit einer Grundfläche von rd. 7 m mal 5 m sollte innerhalb von zwei Monaten zur Hälfte seiner Höhe von 5 m mit Gold gefüllt werden, und zweimal zu seiner gesamten Höhe mit Silber. Den Berichten zufolge waren danach neun Öfen der Spanier drei Monate lang damit beschäf-

Zur frühen Gewinnung von silber in südamerika

thilo rehren

tigt, die Beute einzuschmelzen – mehr als 11 t Gold und doppelt so viel Silber wurden in Barren gegossen und abtransportiert. Der Wahrheits-gehalt dieser Erzählung ist historisch schwer zu überprüfen, und viel von dem Gold mag auch in Wirklichkeit tumbaga (also mit Kupfer „ver-längert“) gewesen sein. Verlässlicher sind da die Steuerlisten von Sevilla als dem Haupthafen der spanischen Schatzschiffe. Diese Listen lassen erkennen, dass dort zwischen den Jahren 1531 und 1660 n. Chr. 155 t Gold und 17.000 t Silber angelandet wurden (Céspedes 1983, S. 132), dem Gewicht nach also mehr als hundertmal so viel Silber wie Gold, und damit auch wertmäßig weit überwiegend. Natürlich ist der Löwen-anteil des Silbers hier sicherlich auf den europäisch betriebenen Berg-bau zurückzuführen, aber der Bericht über Atahualpa zeigt doch, dass auch vor Eintreffen der Spanier bereits Silber in großen Mengen vor-handen gewesen war. Was ist nun über die präkolumbischen Wurzeln dieser historisch und noch heute weltweit wichtigen Montanindustrie bekannt? Überraschen-derweise etwas mehr als über das Gold und das Kupfer.

spuren präkolumbischer silbergewinnung

Im Folgenden sollen schlaglichtartig einige Beispiele neuerer Forschun-gen vorgestellt werden, die zu diesem Kenntnisstand beigetragen haben. Dabei ist es zum jetzigen Zeitpunkt immer noch unmöglich, ein detaillier-tes Bild von der frühen Silbermetallurgie für einzelne Gebiete und Epo-chen zu zeichnen, vielmehr müssen Einzelbefunde aus unterschiedlichen Regionen und Zeiten nebeneinandergestellt werden, ohne dass sie unbe-dingt zueinander gehören. Das sich ergebende Bild ist demzufolge not-gedrungen lückenhaft und erlaubt nicht, die sicherlich bestehenden kul-turellen Unterschiede und zeitlichen Entwicklungen zu erkennen. Daher werden die Beispiele hier in einer technologischen Reihenfolge vorge-stellt, wobei zu betonen ist, dass die einzelnen Funde nicht in einem geo-grafischen oder kulturellen Zusammenhang stehen.

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die Verhüttung

Die Metallurgie des Silbers beginnt mit dem Erschmelzen des Erzes. Dabei ist sicherlich davon auszugehen, dass die frühesten Metallurgen leichten Zugriff auf gediegenes Silber hatten, das an der Oberfläche reicher Lager-stätten anstand und nur umgeschmolzen zu werden brauchte – davon sind kaum archäologisch sichtbare Spuren zu erwarten. Von einem nicht näher bekannten Zeitpunkt an werden jedoch auch die präkolumbischen Metallurgen auf komplexere Erze zugegriffen haben, die entweder von Natur aus mit Bleierzen verwachsen waren oder denen zur Verhüttung Bleierz zugegeben wurde. Die Funktion des Bleis ist dabei, das im Erz fein verteilte Silber gewissermaßen wie ein Schwamm aufzunehmen und von den übrigen Bestandteilen des Erzes abzutrennen; Blei wird daher auch als Sammler für Silber (und Gold) bezeichnet und ist in der Silbermetal-lurgie unerlässlich.Die Verhüttung von bleireichem Silbererz wird in den Anden von den frühen Autoren stets mit einem besonderen Ofentyp verbunden, dem huayrachina (Abb. 1; Peele 1893; Pfordte 1893; vgl. auch den Beitrag von Téreygeol/Cruz in diesem Band). Der huayrachina-Ofen wurde stets in einer besonders windexponierten Lage errichtet, da er mit seinen zahl-reichen seitlichen Öffnungen auf einen starken Windzug angewiesen war, um auf die nötige Betriebstemperatur zu kommen und die schwefelrei-chen Erze während des Schmelzens hinreichend zu oxidieren; auf diese Weise erübrigt sich das vorherige Rösten der Erze.

Abb. 1: Darstellung des huayrachina-Ofens durch Alonso Barba in 1640, mit Flammen die aus den zahlreichen Windöffnungen schlagen

Abb. 2a: Huayrachina im Betrieb nahe Porco, Bolivien (Foto: B. Mills)

Abb. 2b: Don Carlos Cuiza mit seinen beiden huayrachinas (Foto: B. Mills)

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Arbeiten von Dr. Mary Van Buren von der Colorado State University im Gebiet von Porco im Süden Boliviens, rd. 40 km von Potosí entfernt, haben kürzlich den überraschenden Nachweis erbracht, dass dort ein-zelne Bewohner noch regelmäßig huayrachinas benutzen, um Bleierze zu schmelzen, so auch Don Carlos Cuiza (Abb. 2a-b; Van Buren/Mills 2005). Eine eingehende Untersuchung von mehreren, durch Dr. Van Burens Team gut dokumentierten Schmelzepisoden erfolgte im Rahmen der Doktorar-beit von Claire Cohen am UCL Institute of Archaeology (2008). Sie konnte belegen, dass der Brennstoffverbrauch dieser Öfen im Vergleich zu euro-päischen Schmelzöfen sehr gering ist, wenn auch auf Kosten einer unvoll-ständigen Metallausbeute (Cohen et al. 2009a). Die schlechte Metallaus-beute ist zu einem großen Teil durch das nur unvollständige Aufschmelzen der Gangart als Schlacke zu erklären, bedingt durch die ungenügende Betriebstemperatur des Ofens. Dies führt dazu, dass zahlreiche Metall-tropfen in der Schlacke eingeschlossen bleiben, anstatt sich am Boden des Ofens abzusetzen. Angesichts des örtlichen Reichtums an Bleierzen und der Knappheit an Brennmaterial – die Öfen werden auf rd. 4000 m Seehöhe weit oberhalb der Baumgrenze betrieben – macht diese Brenn-stoff schonende Verschwendung von Bleierz aber durchaus Sinn. Das Schmelzgut bestand dort aus ungefähr zwei Teilen Bleiglanz und einem Teil an bleireichen Kupellationsresten, die von einer vorhergehenden Sil-bergewinnung übrig geblieben waren. Als Brennstoff diente Holzkohle, die mit trockenem Gras gezündet wurde. In dem noch heute durchge-führten Verfahren wurde in diesem Schritt lediglich Blei erschmolzen, das dann später als Silbersammler eingesetzt wurde. Unsere Untersuchun-gen von älteren huayrachina-Fragmenten, die in der weiteren Umgebung reichlich auftreten, aber als Oberflächenfunde kaum datierbar sind, zeig-

ten allerdings, dass in früheren Zeiten regelmäßig silberreiches Bleierz verhüttet wurde. Dies ist vor allem an den silberreichen Metalltröpfchen erkennbar, die in der Schlacke eingeschlossen und teilweise mit dem blo-ßen Auge erkennbar sind (Abb. 3). Das Alter dieses Ofentyps ist schlecht abzuschätzen, da es kaum archäo-logisch ausgegrabene huayrachinas aus präkolumbischen Schichten gibt – die Technologie ist offenbar an die Hochlagen der Anden gebunden

Abb. 3: Mikroskopaufnahme eines silberreichen Bleitropfens in huayrachi-na-Schlacke von Porco, Bolivien; Bildbreite ca. 4 mm

Abb. 4a, b: Zwei der zahlreichen Tiegelfragmente aus Huajja, Titicacasee, mit schwarzer Schlacke und deutlich sichtbaren Abdrücken des am Boden zusammengeflossenen Silberkornes; Breite der Fragmente rd. 30 mm (Foto: C. Schultze)

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und regelmäßig auf Bergrücken oder an Berghängen platziert, die star-ker Erosion unterliegen und daher kaum datierbare Schichten aufbauen. Allerdings werden die huayrachinas schon von den ersten Europäern als ungewöhnlich beschrieben, und haben auch nichts mit den etwas später von den Spaniern eingeführten europäischen Öfen gemein (Cohen et al. 2009a; b). Deshalb gilt es als gesichert, dass die huayrachinas eine einhei-mische Entwicklung sind.Dass die Verhüttung von blei- und schwefelreichen Silbererzen schon lange vor dem Eintreffen der Europäer begonnen hat, wurde unlängst ein-drucksvoll von Carol Schultze nachgewiesen, die im Rahmen ihrer Disser-tation an der University of California in Los Angeles einen Fundplatz am Ufer des Titicacasees bearbeitet hat. Sie konnte bei einer tiefen Grabung in Schichten eines Werkstattbereichs belegen, dass dort über nahezu 2000 Jahre hinweg in kleinen Tiegelchen silberreiche Schlacken verar-beitet wurden (Abb. 4a-c; Schultze et al. 2009). Weiterführende Unter-suchungen haben mitterweile außerdem gezeigt, dass vermutlich metall-reiche Schlacke zerstoßen, die Metalleinschlüsse herausgeklaubt und danach in der Seeufersiedlung umgeschmolzen wurden, um sie zu grö-ßeren Klumpen zu vereinigen und auf Silber weiterzuverarbeiten (Reh-ren/Schultze 2010). Es ist denkbar, dass diese reiche Schlacke aus huayra-china-Öfen stammt, die weiter oberhalb im Gebirge nahe der Bergwerke und an hinreichend windigen Stellen betrieben wurden. Dieses Nach-klauben geschah vermutlich als regelmäßiger Teil der Silbergewinnung, da die Tiegelfunde in den Schichten kontinuierlich über einen sehr langen Zeitraum hindurch schon vor der Zeitenwende bis zur Ankunft der Spa-

nier auftreten. Damit war der scheinbar unvermeidliche Verlust an Silber im huayrachina-Ofen durch ein mechanisches Ausklauben der metallrei-chen Tröpfchen und ihr anschließendes Umschmelzen aufgefangen, ohne dass sehr viel mehr Brennmaterial erforderlich geworden wäre. Dass diese lang anhaltende Silbermetallurgie am Ufer des Titicacasees nicht ein Einzelfall gewesen ist, wird auch durch andere Arbeiten deutlich, die anhand von Umweltuntersuchungen in Bolivien eine umfangreiche und lang andauernde präkolumbische Silbergewinnung ebenfalls belegen (Abbott/Wolfe 2003).

die Kupellation

Sobald bei der Silberverhüttung Blei als Sammler eingesetzt wird, ist das Produkt des Ofens zuerst einmal ein silberreiches Blei. Silberreich heißt dabei oft nicht mehr als 1 % Silber in 99 % Blei, kann aber natürlich auch sehr viel mehr sein. In jedem Fall aber müssen Silber und Blei noch von-einander getrennt werden, ehe das Silber hinreichend rein vorliegt, um zu Objekten verarbeitet oder mit Kupfer legiert werden zu können. Diese Trennung von Silber und Blei erfolgt durch einen oxidierenden Prozess-schritt, die so genannte Kupellation. Bei diesem Vorgang wird das unedle Blei in einem Herd bei stetiger Luftzufuhr zu Bleiglätte verbrannt, wäh-rend das edle Silber am Ende als reines Metall zurückbleibt. Dieser Pro-zess geht in der Alten Welt bis in die Frühbronzezeit zurück (Pernicka et al.

Abb. 4c: Mikroskopaufnahme von komplexen Metalleinschlüssen in der Tiegelschlacke von Huajja. Orange angelaufen ist Silbermetall, eingebettet in dunkelgraues Bleimetall. Der äußere hellgraue Rand besteht aus Silber-Kupfer-Sulfid. Die dunkelgrauen Kristalle in der Schlacke sind Magnetit; Bildbreite ungefähr 0,4 mm

Abb. 5: Claire Cohen vor der Kupellationshütte von Don Carlos Cuiza, nahe Porco, Bolivien

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1998), und ist sehr anschaulich von Plinius beschrieben worden, der die Trennung des Silbers von der Bleiglätte mit der von Öl und Wasser ver-gleicht (Rehren/Klappauf 1995).Dank der Arbeiten von Dr. Van Buren und der Kooperation von Don Carlos Cuiza im Gebiet des heutigen Porco lässt sich auch die Kupellation des Sil-bers aus erster Hand beobachten. Er bereitete seinen Kupellationsherd aus der Asche eines einheimischen Kriechbaums namens Llareta oder Yareta (azorella compacta) in einer kleinen Hütte abseits des eigentlichen Wohn-gebäudes seiner Farm vor (Abb. 5). In einer geschlossenen Brennkammer mit reichlicher Luftzufuhr brachte er dort zunächst das zuvor erschmolzene Blei aus dem huayrachina zum Schmelzen, ehe er dann das reiche Silber-erz separat mit einem langen Löffel in das Bleibad einführte (Abb. 6; Cohen et al. 2009a). Als Brennmaterial nutzte er den Dung seiner Lamas, der in großen Mengen kostengünstig zur Verfügung stand und hinreichend Hitze entwickelte, um den Prozess durchzuführen. Die anschließende Untersu-chung des mit Bleiglätte vollgesogenen Kupellationsherdes zeigte im Lon-doner Labor im Vergleich zu europäischen Kupellationsresten einen relativ hohen Schwefelgehalt. Dies ist sicherlich eine Folge des geschlossenen Her-des und dem Prozess nicht unbedingt zuträglich, was sich an den damit ver-bundenen Silberverlusten belegen lässt.Interessanterweise berichtet Heather Lechtman in ihrer 1976 publizier-ten grundlegenden Zusammenstellung von Spuren der Metallurgie in den peruanischen Anden von zahlreichen tellerförmigen Funden aus Bleiglätte aus Ancón, die in die Zeit des Mittleren bis Späten Horizonts datieren.

Unter den von ihr hervorgehobenen Merkmalen sticht der hohe Schwe-felgehalt der Kupellationsreste hervor, der darauf hinweisen mag, dass es sich bei diesem Merkmal um ein Charakteristikum der vorspanischen Metallurgie der Anden handelt, die sich trotz der 500 Jahre andauernden Koexistenz zwischen einheimischen und europäischen Metallurgen in der heutigen Praxis noch erhalten hat.Wenn man die hier nur sehr kurz vorgestellten einzelnen Prozessschritte in ihrem (hypothetischen!) Zusammenhang betrachtet, dann fällt auf, dass zwar jeder einzelne Schritt seine technischen Unzulänglichkeiten haben mag, insgesamt aber lassen sich die einzelnen Schritte geschickt soweit miteinander verbinden, dass sich eine fast verlustfreie Kette ergibt, die vor allem auf Brennstoffersparnis ausgerichtet ist. Die erste Verhüttung im huayrachina erfolgt bei relativ niedriger Temperatur, was zu einer schlechten Trennung von Schlacke und Metall führt: Die Metallverluste hier werden aber durch Handklauben aus der zerstoßenen Schlacke und durch Wiederaufschmelzen der gesammelten Tröpfchen weitgehend auf-gefangen. Die Kupellation des Reichbleis erfolgt anschließend in einem geschlossenen und daher ebenfalls Brennstoff sparenden Herd, wodurch die Entschwefelung des Kupellationsgutes unvollständig bleibt und zu Sil-berverlusten in der Bleiglätte führt. Die Bleiglätte wird dann aber kom-plett der nächsten Ofencharge des huayrachinas zugegeben und das Silber somit doch noch gewonnen bzw. in den Kreislauf zurückgeführt. Dieses systematische Rückführen der Bleiglätte in den Schmelzprozess erklärt auch, warum in den Anden so wenig archäologische Kupellati-onsreste gefunden wurden. Selbst die heute operierenden huayrachina-Schmelzer berichten, dass sie regelmäßig „in den Bergen“ Bleiglätte sam-meln, um sie ihren Öfen zuzugeben. Leider war Herr Cuiza nicht bereit, uns Archäologen die entsprechenden Fundstellen zu zeigen.

Der europäische Einfluss

Die Umstellung der Silbermetallurgie von den einheimischen huayrachi-nas mit ihren geringen Produktionsvolumina und Ansprüchen an relativ reiche Erze auf die europäische Amalgamationsmetallurgie des seit dem Jahre 1570 staatlich organisierten Patioprozesses ist weithin bekannt und vor allem am Beispiel von Potosí auch historisch gut belegt (Abb. 7; Bake-well 1997; Probert 1997). Weniger gut bekannt aber sind die zahlreichen europäischen Silberöfen, die offenbar für Jahrhunderte noch Silber nach dem pyrometallurgischen Verfahren produzierten, wenn auch wohl nur im relativ kleinen Maßstab oder in privater Regie. Die beste historische Quelle hierfür ist das Buch „Arte de los Metales...“ von Alonso Barba aus dem Jahre 1640, das einen umfassenden Überblick über die südameri-kanische metallurgische Praxis rd. 150 Jahre nach der spanischen Erobe-rung vermittelt. Darin stellt er unter anderem auch die ihm bekannten verschiedenen Ofentypen vor (Abb. 8).Hier sind vor allem die so genannten Drachenöfen anzuführen, d. s. halb-kugelförmige Öfen mit einem langen Kamin und seitlichen Feuerungs-kammern (Abb. 9a-c; Cohen et al. 2009b). Im Umland von Porco sind einige dieser Öfen noch relativ gut erhalten, und die Untersuchung ihrer Schlacken konnte nachweisen, dass sie wie die huayrachinas der Silber-

Abb. 6: Der Kupellationsherd von Carlos Cuiza. Rechts ist die Feuerungs-öffnung zu erkennen, mit dem Brennmaterial Lamadung rechts unten. Die Öffnung (Bildmitte) wird nur zum Einfüllen des Silbererzes oder zum Prü-fen des Prozessverlaufs geöffnet.

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gewinnung aus sulfidischen Erzen dienten, allerdings mit sehr viel bes-ser geschmolzener Schlacke und daher wohl auch mit sehr viel höhe-rem Brennstoffverbrauch! Hierfür liegen zwar keine konkreten Angaben vor, aber die Befunde im Feld und die Ergebnisse der Untersuchungen im Labor erlauben mit ziemlicher Sicherheit die Vermutung, dass sehr viel mehr Holz(kohle) verbraucht wurde, als die einheimischen Metallurgen in ihren Öfen für die gleiche Menge an Erz gebraucht hätten. Es ist plau-sibel, dies als Ergebnis der auf kurzfristiges Gewinnstreben gerichteten europäischen Metallurgie zu sehen, die nicht an einer langfristigen und nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzung des Ökosystems der Hochanden interessiert gewesen war.

Abb. 7: Darstellung der spanischen Silbergewinnung von Potosí, von einem unbekannten Künstler von 1584. Im Vordergrund sind die Aufbereitung und Verarbeitung der Erze zu erkennen

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Zusammenfassung Die hier nur kurz vorgestellten Arbeiten belegen in aller Deutlichkeit, wie-viel metallurgisches Wissen über die Entwicklung der Silbermetallurgie während der beiden letzten Jahrtausende durch archäometallurgische Forschungen im Feld und im Labor noch gewonnen werden kann. Glück-licherweise liegen die meisten archäologischen Fundstellen in wenig zugänglichen und landwirtschaftlich kaum genutzten Gegenden, so dass sie sich trotz der harschen Umweltbedingungen relativ gut erhalten haben. Man erkennt klare Spuren einer optimal an die Holzarmut ange-passten Metallurgie der präkolumbischen Bevölkerung, die sich zumin-dest in einigen Gebieten der Anden noch 500 Jahre nach der spanischen Eroberung erhalten hat. Daneben gibt es die vorherrschende offizielle Gewinnung der Silberlagerstätten durch den Patio-Prozess, der weitge-hend ohne Öfen auskommt und daher auf seine Art an die Umweltbe-dingungen angepasst ist: Vor allem dieser ermöglichte die Verarbeitung auch relativ armer Erze. Das Auftreten deutlich europäisch beinflusster und vermutlich von Europäern betriebener Drachenöfen ist hingegen weniger bekannt, und bietet noch reiches Potenzial für weitere Studien. Insgesamt sind aber bereits zum jetzigen Zeitpunkt mindetens drei von-einander unabhängige metallurgische Traditionen erkennbar, die jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen und organisatorischen Situationen angepasst waren und offenbar über Jahrhunderte hindurch nebeneinan-der existierten.

Abb. 8: Darstellung eines europäischen Drachenofens von Alonso Barba, 1640

Abb. 9a,b: Ruine eines Drachenofens im Umland von Porco, Bolivien Abb. 9c: Blick in die Feuerungsöffnung des Drachenofens

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