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Ruhr-Universität Bochum
Fakultät für Sozialwissenschaft
Katja Fox
Innovative Märkte zur Stärkung des Standortes Deutschland
Die Medizintechnikbranche in Nürnberg-Erlangen und dem Ruhrgebiet
Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades eines Doktors der Sozial-
wissenschaft (Dr.rer.soc.)
Betreuer: Prof. Dr. Rolf G. Heinze
Bochum, Juni 2007
2
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung ____________________________________________ 9 1.1 Aufbau der Untersuchung ____________________________________________ 14 1.2 Methodisches Vorgehen ______________________________________________ 16
2. Die Bedeutung von Innovationen und Steuerung durch Netzwerke aus ökonomischer und wirtschaftssoziologischer Perspektive des Institutionalismus ________________________________________ 21
2.1 Die Neue Institutionenökonomik und ihr Beitrag zur Innovations- und Netzwerkdebatte_______________________________________________________ 24
2.1.1 Grundannahmen des Ansatzes ........................................................................................... 24 2.1.1.1 Die Transaktionskostentheorie nach Williamson ....................................................... 28 2.1.1.2 Theorie der Verfügungsrechte.................................................................................... 36 2.1.1.3 Zwischenresümee ....................................................................................................... 39
2.1.2 Wirtschaftliches Wachstum und Innovationen in der Neuen Institutionenökonomik ........ 41 2.1.3 Netzwerke im Kontext der Neuen Institutionenökonomik................................................. 53
2.2. „Die Theorie sozialer Netzwerke“ und ihre Bedeutung für die Innovationsfähigkeit der Medizintechnikbranche ___________________________ 57
2.2.1 Ausgewählte Aspekte zum soziologischen Netzwerkverständnis...................................... 59 2.2.1.1 Systemtheoretische Annahmen zu interorganisationalen Netzwerken ....................... 59 2.2.1.2 Der Netzwerkgedanke im Rahmen des akteurzentrierten Institutionalismus ............. 62 2.2.1.3 ‚Netzwerktheorie’ zur Überwindung der Mikro-Makro-Dualität? ............................. 69 2.2.1.4 Zwischenresümee – soziologische Ansätze und der Netzwerkgedanke ................... 71
2.2.2 Steuerung durch Netzwerke – eine ausgewählte Typologie............................................... 73 2.2.2.1 Regionen und regionale Netzwerke in der globalen Ökonomie ................................. 74 2.2.2.2 Innovative Netzwerke als ‚Bedingung’ regionalen Wirtschaftswachstums ............... 79 2.2.2.3 Policy-Netzwerke als integrierte Steuerungsstrategie ................................................ 83
3. Wirtschaft im Strukturwandel – Problemaufriss zur Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb ___________________________________ 85
3.1 Wissen als Basis des ökonomischen Strukturwandels______________________ 86 3.2 Das deutsche Innovationssystem auf dem Prüfstand ______________________ 94
3.2.1 Die technologische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands................................................. 103
4. Die Gesundheitswirtschaft als Megatrend? ________________ 126 4.1 Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktor – ein erweitertes Gesundheitssystemverständnis __________________________________________ 127 4.2 Gesundheitswirtschaft in Deutschland – Kostenfaktor oder Zukunftsmarkt? 134
4.2.1 Beschäftigungspotenziale in der Gesundheitswirtschaft .................................................. 149
3
4.3 Die Medizintechnikbranche als Wachstumsmarkt für Deutschland_________ 153 4.3.1 Strukturindikatorenanalyse der Medizintechnikbranche.................................................. 159 4.3.2 Die technologische Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medizintechnikmarktes ......... 164 4.3.3 Handlungsmuster von Wissensmanagement in der Medizintechnik ................................ 187
4.4 Medizintechnik in der Gesundheitswirtschaft: Wettbewerbsfähigkeit durch Innovationen sichern – eine Ergebniszusammenfassung _____________________ 194
5. Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik und ihre unterschiedlichen Umsetzungen ___________________________ 199
5.1 Der Standort Nürnberg-Erlangen_____________________________________ 202 5.1.1 Bayern und die mittelfränkische Region – Wirtschaftsstruktur und Bestimmungsfaktoren
zur technologischen Leistungsfähigkeit .................................................................................... 202 5.1.2 Kernkompetenzen der Wirtschaftsregion Nürnberg......................................................... 212
5.1.2.1 Die Bedeutung der Medizintechnikbranche in und für die Region – eine Struktur und
Strategieanalyse vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Bayern ................................. 216 5.1.3 Innovationspolitische Maßnahmen und Governance durch Netzwerkaktivitäten zur
Unterstützung der Medizintechnikbranche in Nürnberg-Erlangen ........................................... 224 5.1.3.1 Regional Governance durch Netzwerkinitiativen..................................................... 231
5.2 Der Standort Ruhrgebiet ____________________________________________ 240 5.2.1 Nordrhein-Westfalen (NRW) und das Ruhrgebiet – Wirtschaftsstruktur und
Bestimmungsfaktoren zur technologischen Leistungsfähigkeit ................................................ 240 5.2.2 Kernkompetenzen der Wirtschaftsregion Ruhrgebiet ...................................................... 249
5.2.2.1 Die Bedeutung der Medizintechnikbranche in und für die Region – eine Struktur- und
Strategieanalyse vor dem Hintergrund der Entwicklungen in NRW.................................... 256 5.2.3 Innovationspolitische Maßnahmen und Governance durch Netzwerkaktivitäten zur
Unterstützung der Medizintechnikbranche im Ruhrgebiet........................................................ 269 5.2.3.1 Regional Governance durch Netzwerkinitiativen..................................................... 274
5.3 Medizintechnik in der Region – Wachstum auf bewährten Pfaden oder Neuorientierung? – Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Untersuchung_____ 282
6. Fazit: Die Medizintechnik als Wachstumsbranche in und für Deutschland – Innovationsleistung und Potenziale politisch-gesellschaftlicher Steuerung ______________________________ 293
7. Literatur ____________________________________________ 303
Anhang
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Abbildungen
Abbildung 1: Determinanten systemischer Wettbewerbsfähigkeit _____________ 17
Abbildung 2: Analysemethoden des Effizienzansatzes ______________________ 27
Abbildung 3: Effiziente Beherrschung und Überwachung ___________________ 34
Abbildung 4: Porters 'Diamant' unter Berücksichtigung der Rolle des Staates auf die vier Bestimmungsfaktoren des nationalen Wettbewerbsvorteils ___________ 50
Abbildung 5: Grundschema der soziologischen Netzwerkforschung ___________ 58
Abbildung 6: Zehn 'Gebote' für die Gestaltung effektiver Innovationsnetzwerke__ 82
Abbildung 7: Die Wissensspirale nach Nonaka und Takeuchi ________________ 89
Abbildung 8: Anteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt in % nach deutschen Regionen im Jahr 2003 _________________________________ 110
Abbildung 9: Struktur der Gesundheitswirtschaft als 'Zwiebelmodell' _________ 130
Abbildung 10: Anteil der Gesundheitsausgaben am Gesamtaufkommen nach Ausgabenträgern 2003 (in %)_____________________________________ 136
Abbildung 11: Entwicklung der Gesundheitsausgaben 1992-2003 als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (in %)______________________________________ 139
Abbildung 12: Ausgaben der GKV in % des Bruttoinlandsprodukts __________ 142
Abbildung 13: Beschäftigungsquoten im internationalen Vergleich 2002 ______ 145
Abbildung 14: Deutschlands Außenhandel mit medizintechnischen Waren 2002 mit ausgewählten Regionen und Ländern_______________________________ 183
Abbildung 15: RWA-Werte Deutschlands in ausgewählten Produktgruppen der Medizintechnik zwischen 1991 und 2001 ___________________________ 184
Abbildung 16: RCA-Werte Deutschlands in ausgewählten Produktgruppen der Medizintechnik zwischen 1991 und 2001 ___________________________ 186
Abbildung 17: Schema für die Analyse der regionalen Medizintechnikstruktur__ 201
Abbildung 18: Innovatorenanteile im Verarbeitenden Gewerbe in Bayern und Deutschland im Jahr 2004 (Anzahl der Unternehmen in % aller Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes)____________________________________ 204
Abbildung 19: Umsatzanteile in der Markteinführungs- und Abschwungphase von Produkten in Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in Bayern und Deutschland im Jahr 2004 (Umsatzanteile in %) ______________________ 205
Abbildung 20: Kernkompetenzen und Querschnittstechnologien in der Wirtschaftsregion Nürnberg______________________________________ 213
Abbildung 21: Geschäftstätigkeit der Unternehmen in Nürnberg-Erlangen im Jahr 2006 (Angaben in %) ___________________________________________ 220
Abbildung 22: Tätigkeitsfelder der Bayern Innovativ ______________________ 226
Abbildung 23: Struktur der Allianz Bayern Innovativ______________________ 231
Abbildung 24: Mitgliederstruktur des Forum MedTech Pharma e.V. __________ 234
Abbildung 25: Portfoliestruktur der Clusteroffensive Medizintechnik und des Forum MedTech Pharma e.V. __________________________________________ 237
5
Abbildung 26: Kompetenzfeld Chemie im Ruhrgebiet _____________________ 250
Abbildung 27: Kompetenzfeld Energiewirtschaft im Ruhrgebiet _____________ 251
Abbildung 28: Kompetenzfeld Logistik im Ruhrgebiet_____________________ 252
Abbildung 29: Kompetenzfeld Information und Kommunikation im Ruhrgebiet_ 253
Abbildung 30: Kompetenzfeld Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik im Ruhrgebiet ___________________________________________________ 254
Abbildung 31: Regionale Verteilung der Kompetenzfelder__________________ 255
Abbildung 32: Geschäftstätigkeit der Medizintechnikunternehmen im Ruhrgebiet im Jahr 2006 (Angaben in %) _______________________________________ 263
Abbildung 33: Vernetzung der Technologieverbünde innerhalb des LTR im Jahr 2006 (Stand: Herbst 2006 – laufende Änderungen)____________________ 281
Abbildung 34: Wege des Wissenstransfers aus der Forschung in die Unternehmen in Nürnberg-Erlangen im Jahr 2006 (Angaben in %) ____________________ 287
Abbildung 35: Wege des Wissenstransfers aus der Forschung in die Unternehmen im Ruhrgebiet im Jahr 2006 (Angaben in %) ___________________________ 292
6
Tabellen
Tabelle 1: Kostenrelevante Dimensionen verschiedener institutioneller Arrangements_____________________________________________________________ 35
Tabelle 2: Überblick über die Annahmen der drei Theorieteile der NIÖ ________ 40
Tabelle 3: Typologie von Koordinationsformen ___________________________ 56
Tabelle 4: Tätigkeitsprofil nach Sektoren 1995; vorwiegend ausgeübte Tätigkeit, in %___________________________________________________________ 101
Tabelle 5: Verwendetes Indikatorensystem zur Beurteilung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit___________________________________________ 104
Tabelle 6: Innovationsverhalten im Verarbeitenden Gewerbe und Bergbau 1993 bis 2003 ________________________________________________________ 108
Tabelle 7: Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung als Anteil am BIP 2002 ________________________________________________________ 109
Tabelle 8: Innovationstätigkeit nach Branchen im Jahr 2003 ________________ 111
Tabelle 9: Externe FuE-Aufwendungen der Unternehmen 1983-20011) nach Auftragnehmern _______________________________________________ 114
Tabelle 10: FuE-Beschäftigte im Wirtschaftssektor 1983 bis 2001*) nach Personalgruppen _______________________________________________ 116
Tabelle 11: FuE-Personal pro 1000 Erwerbstätigen in ausgewählten Ländern der Europäischen Union 1991-2002___________________________________ 117
Tabelle 12: Patentspezialisierung (RPA*) ausgewählter Länder nach Technologieklassen 1991, 2000 und 2002 ___________________________ 118
Tabelle 13: Intensitäten und Wachstumsraten von Triade Patenten in ausgewählten Ländern im Jahr 2002___________________________________________ 119
Tabelle 14: Indikatoren zur Außenhandelsspezialisierung ausgewählter OECD-Länder bei FuE-intensiven Waren 2000_____________________________ 121
Tabelle 15: Spezialisierung Deutschlands bei FuE-intensiven Waren insgesamt 1991-2000 ________________________________________________________ 122
Tabelle 16: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern (1992-2003) ________ 137
Tabelle 17: Gesundheitsausgaben nach Einrichtungen (1992-2003)___________ 138
Tabelle 18: Gesamtgesundheitsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausgewählter Länder (in %) ______________________________________ 140
Tabelle 19: Abgabenquoten im internationalen Vergleich___________________ 144
Tabelle 20: Beschäftigung im Gesundheitswesen nach Einrichtungen _________ 149
Tabelle 21: Beschäftigung in den Nachbarbranchen der Gesundheitswirtschaft in Deutschland 2003______________________________________________ 151
Tabelle 22: Statistische Kennziffern für fachliche Betriebsteile der Medizintechnikindustrie in Deutschland im Jahr 2004 (alle Angaben für WZ 33.40.1 für das Jahr 2002) _______________________________________ 160
Tabelle 23: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen (WZ 33.10 nach Untergruppen in den Jahren 2003 und 2004 _________________________ 162
7
Tabelle 24: Betriebsgrößenstrukturen in der deutschen Medizintechnikbranche _ 163
Tabelle 25: FuE-Gesamtaufwendungen der Unternehmen nach Herkunft der Mittel 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung____ 168
Tabelle 26: FuE-Gesamtaufwendungen der Unternehmen 2001 und 2003 in ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung nach Beschäftigten-größenklassen _________________________________________________ 170
Tabelle 27: Beschäftigte, Umsatz und FuE-Gesamtaufwendungen der Unternehmen des WZ 33.10 mit Ausweis der Fünfstellerebene WZ 33.10.1 bis 33.10.4 im Jahr 2003 ____________________________________________________ 171
Tabelle 28: Interne und externe FuE-Aufwendungen der Unternehmen 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung____________ 172
Tabelle 29: Interne und externe FuE-Aufwendungen der Unternehmen der WZ 33.1 mit Ausweise der Fünfstellerebene WZ 33.10.1 bis 33.10.4 im Jahr 2003 __ 173
Tabelle 30: Interne FuE-Aufwendungen in Unternehmen 2001 und 2003 nach Aufwendungen für Grundlagenforschung, angewandte Forschung sowie experimentelle Entwicklung nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung __________________________________________ 174
Tabelle 31:Verteilung der internen FuE-Aufwendungen der Unternehmen für Produkte und Verfahren nach Neu- und Weiterentwicklung 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung ____________________ 175
Tabelle 32:Verteilung der internen FuE-Aufwendungen der Unternehmen für Neu- und Weiterentwicklung nach Produkten und Verfahren 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung ____________________ 176
Tabelle 33: FuE-Personal in Vollzeitäquivalent nach Personalgruppen in Unternehmen 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung __________________________________________ 177
Tabelle 34: Beschäftigte, FuE-Personal und Kennzahlen der internen FuE-Aufwendungen in Unternehmen der WZ 33.1 mit Ausweis der Fünfstellerebene WZ 33.10.1 bis 33.10.4 im Jahr 2003 ______________________________ 179
Tabelle 35: Absolute Zahl der Anmeldungen aus dem WZ 33.1 am Europäischen Patentamt nach ausgewählten Ländern und jeweils der Anteil der WZ 33.1–Anmeldungen an weltweit allen EPA-Patentanmeldungen der WZ 33.1 (Jahre 1998 bis 2003) ________________________________________________ 182
Tabelle 36:Weiterbildungsaktivitäten von dynamisch-innovationsorientierten und statisch-traditionellen Medizintechnikunternehmen als Teil des Wissensmanagement im Jahr 2006 (Angaben in % des jeweiligen Unternehmenstypus)____________________________________________ 192
Tabelle 37 Wege des Wissenstransfers von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und deren Nutzung bei dynamisch-innovationsorientierten und statisch-traditionellen Medizintechnikunternehmen als Teil des Wissensmanagement im Jahr 2006 (Angaben in % des jeweiligen Unternehmenstypus)____________________________________________ 193
Tabelle 38: FuE-Personal im Wirtschaftssektor 1995 bis 2003 nach Bundesländern____________________________________________________________ 206
Tabelle 39: FuE-Kennzahlen von Unternehmen im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe zwischen 1997 und 2003 nach Bundesländern ________________ 207
8
Tabelle 40: FuE-Personal und interne FuE-Aufwendungen nach Technologiebereichen 2003 ______________________________________ 209
Tabelle 41: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen (WZ 33.10) in Bayern in den Jahren 2004 und 2005 _______________________________ 217
Tabelle 42: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen (WZ 33.10) im Regierungsbezirk Mittelfranken in den Jahren 2004 und 2005 ___________ 217
Tabelle 43: Die vier Säulen der High-Tech-Offensive Bayern _______________ 229
Tabelle 44: FuE-Aufwendungen insgesamt, im Staatsektor, im Hochschulsektor und im Wirtschaftssektor als Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Bundesländer 2001, 2003 und 2004 (Angaben in % des BIP) _______________________ 243
Tabelle 45: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen (WZ 33.10) in NRW in den Jahren 2003 und 2005 _____________________________________ 258
Tabelle 46: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen (WZ 33.10) im Ruhrgebiet (außer Hagen und Ennepe-Ruhr-Kreis) in den Jahren 2003 und 2005____________________________________________________________ 258
9
Abkürzungen Abb. Abbildung
AI akteurzentrierter Institutionalismus
Anm. d. Verf. Anmerkung der Verfasserin
BIP Bruttoinlandsprodukt
BMBF Bundeministerium für Bildung und Forschung
BWS Bruttowertschöpfung
bspw. beispielsweise
bzw. beziehungsweise
ders. derselbe
dies. dieselben
DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
d.h. das heißt
ebd. ebenda
etc. et cetera
e.V. eingetragener Verein
EU Europäische Union
FuE Forschung und Entwicklung
Hrsg. Herausgeber
IT Informationstechnik
IuK Informations- und Kommunikationstechnologie
KMU kleine und mittlere Unternehmen
NIÖ Neue Institutionenökonomik
NRW Nordrhein-Westfalen
OECD Organisation for Economic Cooperation and
Development
Tab. Tabelle
TK Transaktionskosten
TKT Transaktionskostentheorie
u.a. unter anderem
vgl. vergleiche
WZ Wirtschaftszweig
zit. n. zitiert nach
z.B. zum Beispiel z.T. zum Teil
Einführung
10
1. Einführung
Der zunehmende internationale Wettbewerb trifft ein exportorientiertes Land wie
Deutschland in herausragendem Maße und die inländischen Unternehmen können
sich schon lange nicht mehr auf dem ‚alten Gütesiegel’ Made in Germany ausruhen.
Initiiert durch den industriellen Strukturwandel werden in Zukunft immer mehr
hochqualitative, auf die Kundenwünsche zugeschnittene Produkte, eingebettet in eine
Fülle von Dienstleistungsangeboten, zu einem Charakteristikum der deutschen Wirt-
schaft werden und werden müssen. Damit einher geht ein stetiger Wandel zur Wis-
sensgesellschaft: Wissen ist zu einem zentralen Produktionsfaktor geworden, dessen
besondere Bedeutung sich bei der Bewältigung hochkomplexer, dynamischer Inno-
vationsprozesse äußert. Die neue Qualität von wirtschaftlichen Aktivitäten ist eng
mit der Verarbeitung und Findung von Wissen verbunden. Wirtschaftlicher Erfolg
hängt zunehmend von gesellschaftlicher Interaktion in Form von Wissensteilung ab.
Die sozialwissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahren einen erheblichen
Beitrag zu einem komplexen Verständnis von Innovationsprozessen geleistet, das
über den technischen Fortschritt hinaus das Innovationsgeschehen als sozialen Pro-
zess versteht. Technische Innovationen vollziehen sich im Kontext gesellschaftlicher,
institutionalisierter Innovationssysteme und sind das Ergebnis der Akkumulation von
Wissensbeständen in der Interaktion von Akteuren als Rückkopplungs- und Rekom-
binationsprozesse, die schließlich zur Generierung von neuem Wissen führen kön-
nen. Die analytische Durchdringung von Innovationsprozessen ist in den einzelnen
sozialwissenschaftlichen Disziplinen weit vorangeschritten (vgl. zum Stand der De-
batte Blättel-Mink 2007), doch dies allein reicht nicht aus, um einen Beitrag zur Er-
höhung der Steuerungsfähigkeit moderner Gesellschaften zu leisten. Howaldt et al
fordern, dass die Sozialwissenschaften eine ‚Schlüsselfunktion’ bei der Gestaltung
von Innovationsprozessen einnehmen sollen, damit es zur „Stärkung des sozialwis-
senschaftlichen Gestaltungsanspruchs“ kommen kann (Howaldt et al 2007, 8). Die
anwendungsorientierten Disziplinen der Wirtschaftssoziologie und Politikwissen-
schaft haben sich der Innovationsforschung in den letzten Jahren vor allem mit Un-
tersuchungen zu regionalen Innovationsregimen zugewandt (vgl. stellvertretend
Cooke et al 2004) und mit Benchmarking-Studien einen Beitrag zum Ausbau der
wissenschaftlichen Gestaltungskompetenz geleistet. Mit der vorliegenden Arbeit soll
an die ‚Tradition’ anwendungsorientierter Sozialwissenschaften angeknüpft werden
und mit einem Blick über den einzeldisziplinären ‚Tellerrand’ ein multidisziplinärer
Einführung
11
Ansatz zur Analyse der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnik-
branche verfolgt werden.
Die Medizintechnikbranche zählt durch ihre, zu großen Teilen spitzentechnologische
Ausrichtung zu den politisch geförderten Leitbranchen mit einer hohen Wachstums-
dynamik. Gerade der hochtechnologische Markt für Medizintechnikprodukte steht
mit einem hohen Investitionsaufkommen für Forschung und Entwicklung von durch-
schnittlich 9 % der Unternehmensumsätze mit an der Spitze der innovationsfähigsten
Industrien in Deutschland. Innerhalb Europas nimmt die deutsche Branche die Spit-
zenposition ein. Als produktive Zuliefererbranche der Gesundheitswirtschaft wird ihr
Potenzial zunehmend auch von Regionen erkannt, die verstärkt auf ‚Gesundheit’ als
Zukunftscluster setzen. Die Kernfragen dieser Untersuchung lauten:
• Welchen Stellenwert hat die Medizintechnikbranche in der Debatte um die
Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf nationaler Ebene und in
den Bundesländern Bayern und NRW?
• Welche Innovations- und Organisationsstrukturen bilden sich auf regionaler
Ebene heraus und inwiefern können sie die Innovationsaktivitäten der Bran-
che befördern?
Wie eingangs konstatiert sind wirtschaftliche Innovationsprozesse in ein institutio-
nelles Umfeld eingebettet. Zu Beginn der Arbeit wird deshalb der Frage nachgegan-
gen, welche theoretische Begründung dieser These zugrunde liegt? Unter Bezugna-
me auf die wirtschaftswissenschaftliche Theorie der Neuen Institutionenökonomik
kann gezeigt werden, dass unter bestimmten Bedingungen der Markt wie auch die
Hierarchie als Koordinationsform wirtschaftlicher Transaktionen versagen und Inno-
vationsprozesse (‚Wissen’ als Gut wirtschaftlicher Transaktion) in Netzwerken als
institutionelles Arrangement dem wirtschaftlichen Nutzenkalkül am ehesten entspre-
chen können. Darauf aufbauend bilden die institutionell-historischen Ansätze von
Dosi (1988) und Freemann (1999) aus mikroökonomischer Perspektive eine Erklä-
rung technisch-ökonomischer Zusammenhänge, die in der Bedeutung nationaler In-
novationssysteme als Kooperationsmuster ihren Ausdruck auf Meso- und Makroebe-
ne finden. Die soziologische Perspektive der Netzwerkforschung wird gemäß des
multidisziplinären Vorgehens als Erweiterung der ökonomischen Ansätze beschrie-
ben. Sie rückt die Untersuchung sozialer Prozesse in den Vordergrund, die durch
soziales Handeln und Kommunikation entstehen und Strukturen aus der Wechselwir-
kung von Handlung bzw. Kommunikation generieren (Interorganisations-
Einführung
12
Netzwerke). Die grundlegende Annahme des Vertrauens als ‚Enabler’ von Koopera-
tionsbeziehungen führt zur Erklärung der Bedeutungszunahme von regionalen Netz-
werkmustern (Policy- und Innovationsnetzwerke), die Bestandteil der empirischen
Untersuchung der regionalen Beziehungsmuster in der Medizintechnikbranche sind.
Aufgrund der Bedeutungszunahme des Faktors ‚Wissen’ in Innovationsprozessen im
Rahmen gesellschaftlich-wirtschaftlicher Modernisierung wird der Analyse zum Sta-
tus quo und den Problemen des deutschen Innovationssystems ein theoretischer Dis-
kurs vorgeschaltet. In Anlehnung an die von Naschold (1997) konstatierten Probleme
des deutschen Wirtschaftsstandortes wird die folgende Hypothese überprüft: In
Deutschland herrscht eine fehlende Dynamik im Strukturwandel, die immer noch
zulasten spitzentechnologischer Branchen eine starke Konzentration auf traditionelle
Industriesektoren befördert. Es gilt zwei Fragen zu beantworten: Wie entwickeln sich
die wirtschaftlichen Branchenstrukturen (als Bezugs- und Vergleichsrahmen für die
Untersuchung der Medizintechnik) und wie gestalten sich die Kennzeichen der wirt-
schaftlichen Innovationsprozesse in Deutschland?
Die Entwicklung und Innovationspotenziale der Medizintechnikbranche in Deutsch-
land können nach meinem Verständnis nicht ohne den Bezug zur Gesundheitswirt-
schaft untersucht werden, da es aus innovationstheoretischen Überlegungen enge
Verflechtungen zwischen den Medizintechnikherstellern und ihren Abnehmern in
den Kernsektoren der Gesundheitsversorgung gibt. Aus diesem Grund wird die De-
batte um die Wachstumspotenziale der Gesundheitswirtschaft aufgegriffen und die
Frage gestellt, ob es sich um einen Kostenfaktor im deutschen Sicherungssystem
oder um einen Zukunftsmarkt mit beschäftigungspolitischer und innovationsorien-
tierter Wirkung handelt? Die Medizintechnik wird als Randbereich im Zwiebelmo-
dell der Gesundheitswirtschaft vom Institut Arbeit und Technik (vgl. Fretschner et al
2003) verstanden und nach diesem Verständnis in der Literatur bzgl. ihrer Auswir-
kungen auf und durch das deutsche Gesundheitssystem untersucht (vgl. u.a. DIW
2005). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung der Medizintechnikbranche wer-
den diese Faktoren allerdings nur am Rande erwähnt, im Vordergrund stehen die
Strukturen und Prozesse des Innovationsgeschehens. Deshalb wird an dieser Stelle
der Arbeit die Frage gestellt, welchen Beitrag die Branche zur technologischen Leis-
tungsfähigkeit Deutschlands leistet? Die Antwort erfolgt mit Hilfe einer Analyse von
input-, output- und marktorientierten Indikatoren, die im Rahmen der Untersuchung
zur Beurteilung der technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands (Kapitel 3) in
Anlehnung an Vogel (2000) entwickelt wurden.
Einführung
13
Wenn die Leistungsfähigkeit im Innovationsgeschehen zum zentralen Wachstums-
faktor in der Medizintechnik wird, steigt wiederum auch die Bedeutung institutionel-
ler Umgebungen, wie sie etwa Wirtschaftsregionen mit ihren Rahmenbedingungen
präsentieren. Regionale Innovationsvarianten müssen sich jedoch stärker als früher
dem Maßstab der Wettbewerbsfähigkeit unterordnen. Globalisierung, die Betonung
der Produktionsseite und die Anforderungen an innovative Milieus transformieren
den Anspruch der Politik. Sie muss sich nun primär auf die Aufgabe der Sicherung
von Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren. So gesehen erzeugen Globalisierungspro-
zesse durchaus eine Regionalisierung der Ökonomie und eine Aufwertung der Regi-
on als politisches Handlungsfeld, weil hier in räumlicher Nähe innovative Kooperati-
onsbeziehungen geknüpft werden. Ausgehend von dieser These konzentriert sich die
Forschung in den letzten Jahren auf die Analyse von ‚industrial districts’, ‚cluster’
und ‚regionalen Innovationssystemen’, in deren Terrain Strukturwandel beobachtbar
ist und sich neue Produktionsketten formieren (vgl u.a Rehfeld 2003, Adama-
schek/Pröhl 2003). Die Aufmerksamkeit, die gerade die regionalen Innovationszent-
ren der USA in der Mikroelektronik und Biotechnologie erregt haben, hat auch das
Bewusstsein für die hiesigen regionalen und lokalen Bedingungen erhöht. Je stärker
sich die Unternehmen spezialisieren, umso mehr sind sie auf externe Dienste wie
Berufsausbildung, Forschung und Entwicklung etc. angewiesen (vgl. die Beiträge in
Cooke et al 2004). Für die Untersuchung der regionalen Potenziale des Aufbaus von
Medizintechnikclustern in Deutschland wurden die Regionen Nürnberg-Erlangen –
als erfolgreiche Wirtschaftsregion, die frühzeitig auf Hochtechnologiebranchen ge-
setzt hat – und das Ruhrgebiet – als wirtschaftlich traditionelle Region im Struktur-
wandel – ausgewählt. Beiden Regionen gemeinsam ist die Konzentration auf die
Medizintechnik als politisch geförderte Leitbranche – dies allerdings in unterschied-
lichen Stadien der Entwicklung. Mit der Analyse der regionalen Ebene wird die
zweite Kernfrage der Dissertation beantwortet werden: Welche Innovations- und
Organisationsstrukturen bilden sich auf regionaler Ebene heraus und inwiefern kön-
nen Sie das Wachstum der Branche befördern? Durch die Unterstützung von innova-
tionspolitischen Programmen und Netzwerkinitiativen soll der Clusteraufbau in deut-
schen Regionen gelingen. Dass sich dieser Weg oft als schwierig erweist und auf
Ressentiments seitens der unternehmerischen Akteure stößt, macht eine eingehende
Untersuchung der regionalen Medizintechnikstrukturen notwendig.
Die Dissertation ist mit den angeführten Fragestellungen als multidisziplinäre Arbeit
zwischen Wirtschaftssoziologie, Politikwissenschaft und Ökonomie angesiedelt. Die
Einführung
14
wissenschaftlich theoretisch und empirisch begründete Untersuchung der Innovati-
onsprozesse in der Medizintechnikbranche auf regionaler Ebene ist ein ‚weißer
Fleck’ im Forschungskanon zu regionalen Innovationssystemen und Wachstums-
branchen in Deutschland. Die wirtschaftswissenschaftliche und sozialwissenschaftli-
che Regional- und Innovationsforschung, die Governance-Forschung in der Politik-
wissenschaft sowie die beiden Studien zur Medizintechnik der letzten Dekade haben
andere Schwerpunkte gesetzt:
• einen allgemeinen politikwissenschaftlichen Beitrag zur Steuerung und Ko-
ordination in regionalen Netzwerken als Form des Regierens liefern die
Sammelbände von Kleinfeld et al (2006) oder Adamaschek/Pröhl (2003);
• zur Modernisierung des öffentlichen Sektors und zur Steuerung der kommu-
nalen Verwaltungsmodernisierung vgl. die Arbeiten von Bogumil et al (u.a.
2007; 2006; 2003);
• einen grundlegenden Beitrag zu regionalen Innovationssystemen leisten die
Fallstudien u.a. zu NRW und Baden-Württemberg in Cooke et al (2004),
Gehrke/Legler (2001), Heidenreich (2005) und die internationalen Studien in
Hilpert (2003);
• Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge zum Innovationsverhalten von Bran-
chen und Unternehmen leisten u.a. Rammer et al (2003) und ders. (2005);
• Studien zu den Potenzialen der Gesundheitswirtschaft als Wachstumsbranche
für NRW und das Ruhrgebiet wurden am Institut Arbeit und Technik vorge-
legt: u.a. Hilbert et al (2004), Fretschner et al (2002) und ders. et al (2003);
• zum Wechselverhältnis zwischen Gesundheitssystem und medizintechni-
schem Fortschritt: Klump/Plagens (2000) und Knappe et al (2000);
• die wirtschaftliche Situation der Medizintechnikbranche in Deutschland (vor
allem aus technischer Sicht) im internationalen Vergleich wurde von einem
Forschungskonsortium im Auftrag des BMBF (2005) und vom DIW (2005)
untersucht;
1.1 Aufbau der Untersuchung
Die Arbeit beginnt mit der Ausarbeitung eines theoretischen Bezugsrahmens zur
Erfassung und Analyse der für Innovationsprozesse geeigneten Institutionen (Kapitel
2). Dabei soll zunächst der Stand der ökonomischen und sozialwissenschaftlichen
Theoriediskussion dargestellt werden. In Abgrenzung zur neoklassischen Theorie
Einführung
15
rücken in der Institutionenökonomik wirtschaftliche Regelsysteme zur Erklärung von
Nutzen maximierendem Akteurhandeln in den Vordergrund (Effizienzansatz). Unter
Verwendung der Transaktionskostentheorie lässt sich die Entscheidung für die Koor-
dinationsform Netzwerk als ’Hybrid’ zwischen Markt und Hierarchie erklären. Vor
allem aus betriebswirtschaftlicher Sicht spielen Transaktionskosten im Unternehmen
eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Frage, ob Medizintechnikunternehmen
sich für die Partizipation in Netzwerkstrukturen öffnen oder nicht. Der Komplexität
heutiger Innovationsprozesse wird in den Wirtschaftwissenschaften mit dem Ansatz
nationaler Innovationssysteme begegnet, der die Rolle von Staat und Wissenschaft
als Bestimmungsfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen betont.
Mit der Beschreibung der soziologischen Netzwerkansätze – ausgehend von system-
theoretischen Überlegungen werden der akteurzentrierte Institutionalismus und Ver-
suche, die Mikro-Makro-Dualität zu überwinden beschrieben – wird der Forschungs-
fokus auf die regionalen Innovationsnetzwerke gelenkt. Die Ansätze bieten in Erwei-
terung der ökonomischen Theorie die Möglichkeit über die Kostenersparnis hinaus
die Koordination in Netzwerken über strategische Motive zu erklären.
In Kapitel 3 wird ausgehend von der Erläuterung der Komplexität heutiger Innovati-
onsprozesse im Wirtschaftsgeschehen über den Indikator ‚Wissen’ als entscheiden-
den immateriellen Produktionsfaktor eine Bestandsaufnahme zum deutschen Innova-
tionssystem erfolgen. Anhand der Aufwendungen für Forschung- und Entwicklung,
des FuE-Personals, der Patent- und Exportaktivitäten (Außenhandelsstrukturen) soll
die technologische Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft untersucht wer-
den, in die sich die Kennzahlen der Medizintechnikbranche im weiteren Verlauf der
Studie einordnen lassen. In Kapitel 4 wird die Innovationstätigkeit in der Medizin-
technikbranche in Deutschland im Rahmen der Gesundheitswirtschaft untersucht.
Dem zugrunde liegt die Annahme, dass das Gesundheitswesen nicht mehr als kon-
sumptiver Wohlfahrtssektor verstanden wird, sondern als wertschöpfender Teil der
Volkswirtschaft betrachtet werden muss. Mit einer Strukturindikatorenanalyse der
Medizintechnikbranche wird diesem Verständnis Rechnung getragen und geklärt, ob
die Branche einen innovationsorientierten Wachstumsmarkt in Deutschland darstellt.
Zudem sollen die Innovationsprozesse in der Branche anhand von Indikatoren zu
Wissensmanagementaktivitäten beleuchtet werden.
Das in Kapitel 3 eingeführte Indikatorenschema zur Analyse der technologischen
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft findet in Kapitel 5 auf Bundes-
länderebene seine Entsprechung. Es stellt sich die Frage, ob der Status quo der FuE-
Einführung
16
Aktivitäten bayerischer und nordrhein-westfälischer Unternehmen erhebliche Unter-
schiede aufweist, die auch mit verschiedenen innovationspolitischen Governan-
cestrukturen einhergehen. Die Strukturen der regionalen Medizintechnikbranche in
Nürnberg-Erlangen und dem Ruhrgebiet, sowie deren Netzwerkaktivitäten und Wis-
senstransferstrategien bilden die Grundlage für die abschließende Untersuchung der
innovationspolitischen Maßnahmen. Vor allem die strategische Ausrichtung regiona-
ler Netzwerke als ‚Enabler’ der Innovationsprozesse wird überprüft. Es wird zum
Schluss die Frage beantwortet, ob die bisherigen regionalen Strategien die Entwick-
lung der Branche fördern.
1.2 Methodisches Vorgehen
Das vorrangige Forschungsinteresse dieser Arbeit besteht darin, die Innovationsakti-
vitäten der Unternehmen in der Medizintechnikbranche in Beziehung zur technologi-
schen Wettbewerbsfähigkeit anderer deutscher Wirtschaftsbranchen zu setzen und
die Branchenstrukturen und innovationsfördernden Institutionen auf regionaler Ebe-
ne herauszuarbeiten. Der Analyserahmen wird in Anlehnung an das ‚Konzept syste-
mischer Wettbewerbsfähigkeit’ entwickelt (vgl. Meyer-Stamer 2001 und Eßer et al
1995). Das Konzept fand in den 1990er Jahren vor allem Eingang in die entwick-
lungspolitische Forschung und lässt sich von zwei Seiten her operationalisieren: zum
einen als Suchraster bei der Analyse von Ländern und Regionen, zum anderen als
normatives Raster bei der Formulierung von Empfehlungen. Es ist als Vier-Ebenen-
Modell angelegt und beruht auf der Annahme, dass „[e]rfolgreiche industrielle Ent-
wicklung […] nicht allein durch das Walten der unsichtbaren Hand des Marktes [ent-
steht], sondern durch gezielte Anstrengungen. Es ist nicht allein das ständige indivi-
duelle Ringen dynamischer Unternehmer, das die industrielle Entwicklung prägt,
sondern auch und insbesondere gezieltes kollektives Handeln“ (Meyer-Stamer 2001,
175). Wettbewerbsfähigkeit wird in diesem Modell durch die Interaktion der Meta-,
Makro, Meso- und Mikroebene geschaffen (vgl. Abb. 1):
Einführung
17
Abbildung 1: Determinanten systemischer Wettbewerbsfähigkeit
Quelle: eigene Darstellung.
Die Wechselwirkung zwischen den Ebenen ergibt sich wie folgt. Gesellschaftlicher
Konsens hinsichtlich der Notwendigkeit erfolgreicher industrieller Entwicklung wie
auch soziokulturelle Faktoren auf der Metaebene prägen die Handlungsmuster und
Denkweisen der Akteure auf den anderen Ebenen. Umgekehrt – wenn auch langsam
– können Prozesse z.B. auf der Mesoebene, die sich durch Vernetzung und Kommu-
nikation auszeichnen, auch zu Veränderungen auf der Metaebene führen (z.B. Kom-
munikationsfähigkeit; von der geschlossenen zur offenen Gesellschaft). Eine bei-
spielsweise wettbewerbsorientierte oder stabilitätsorientierte Makropolitik setzt eine
dementsprechende Sinnorientierung auf Metaebene voraus. Die Unternehmen auf
Mikroebene erhöhen ihre Wettbewerbsfähigkeit durch stabile wirtschaftpolitische
Rahmenbedingungen, die eine Voraussetzung unternehmerischer Handlungsstrategie
sein können, und im Rahmen komplexer Innovationsprozesse durch die Unterstüt-
zung entsprechender Strukturen auf Mesoebene. Aktivitäten auf der Mesoebene kön-
nen ebenso nur funktionieren, wenn eine stabile Makropolitik existiert und ein ge-
sellschaftlicher Grundkonsens über die Entwicklungsstrategien. Das Systemver-
ständnis des Konzeptes geht mit dem in der vorliegenden Arbeit einher und orientiert
sich an dem Ansatz des Nationalen Innovationssystems (vgl. Lundvall 1992, Free-
mann 1995). „’System’ bedeutet in diesem Sinn ein Geflecht von Akteuren, Instituti-
onen und Politiken, die sich durch vielfältige Feedback-Mechanismen gegenseitig
beeinflussen und in ihrer Gesamtheit ein gewisses Maß an Kohärenz erreichen“
Mikroebene: Unternehmensstrategien, Innovations-management, Integration in Netzwerke / Wertschöpfungsketten etc.
Mesoebene: Technologie- und Innovati-onspolitik - Re-gionalpolitik – regionale Netz-werke – FuE-Institutionen
Metaebene: Grundmuster politischer, rechtlicher und ökonomischer Organisation – gesell-schaftliche Leitbilder
Makroebene: Geldpolitik, Währungspolitik, Wettbewerbs- und Außenhan-delspolitik etc.
Wettbewerbsfähigkeit durch Interaktion stärken
Einführung
18
(Meyer-Stamer 2001, 180). In der vorliegenden Dissertation wird in Anlehnung an
dieses Analyseraster die Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnikbranche durch
Innovationsaktivitäten auf Mikro- und Mesoebene untersucht. Die Annahme lautet:
Sowohl die Makropolitik als auch der Grundkonsens auf Metaebene befördern Akti-
vitäten auf der Mesoebene und lassen auf Mikroebene strategisches Unternehmens-
handeln zu. Die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland (im
Gegensatz zu den Transformationsgesellschaften in Entwicklungsländern) werden im
Rahmen der Dissertation als Konstanten angesehen, weil keine Langzeituntersu-
chung erfolgt und in den letzten 10-15 Jahren keine tief greifenden wirtschaftspoliti-
schen Richtungswenden und gesellschaftlichen Wertumbrüche stattgefunden haben,
so dass zur Analyse der Medizintechnikbranche auf die Untersuchung auf Makro-
und Metaebene verzichtet wird.
Zur Durchführung der einzelnen Forschungsschritte wird auf Sekundäranalysen,
schriftliche Befragung und leitfadengestützten Experteninterviews zurückgegriffen.
Die Regionalanalysen erfolgen im Rahmen von Fallstudien.
Die Überprüfung der Innovationsaktivitäten und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaftsbranchen und im Speziellen der Medizintechnik erfolgt anhand eines ein-
heitlichen Indikatorensystems, das am Input und Output des Innovationsprozesses
ansetzt. Drei Gruppen von Indikatoren lassen sich für die Sekundäranalyse nutzen:
input-, output- und marktorientierte Indikatoren.1
→ Inputorientierte Indikatoren: Daten zu FuE-Ausgaben und FuE-Beschäftigung
können Aufschluss über das Bestreben eines Landes geben, neues technisches Wissen
hervorzubringen; dieses Wissen stellt die Basis für eine Innovation dar.
→ Outputorientierte Indikatoren: Hierbei geht es vor allem um Aussagen über die
zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Landes anhand derzeitiger FuE-Aktivitäten
bezüglich der Patentanmeldungen. Den Triade-Patenten kommt für den internationa-
len Vergleich eine besondere Stellung zu.
→ Marktorientierte Indikatoren: Diese Indikatorengruppe zeigt die erfolgreiche Um-
setzung von technischem Wissen in Produkte und deren Absatz an. Dies kann bei-
spielsweise mit dem Relativen Welthandelsanteil (RWA) berechnet werden.
Als Datenquellen der Sekundäranalysen dienen die amtliche Statistik, zudem wurden
für die Dissertation Sonderauswertungen des Stifterverbandes für die deutsche Wis-
senschaft für die Erhebung der FuE-Aktivitäten und des Fraunhofer Instituts für Sys- 1 Eine genaue methodische Abgrenzung der Daten und die Einschränkungen der Aussagekraft der Indikatoren sind den Sekundäranalysen in Kapitel 3 und 4 vorgeschaltet.
Einführung
19
tem- und Innovationsforschung für das Patentgeschehen in der Medizintechnik vor-
genommen. Dabei handelt es sich in der Regel um Daten, die im Verlauf der Disserta-
tion aufbereitet bzw. aggregiert wurden.
Auf regionaler Ebene werden die Forschungsfragen am Beispiel zweier Fallstudien
als explorative Untersuchungsform analysiert. Im Sinne eines holistischen Verständ-
nisses wird versucht, so viele als relevant erachtete Variablen wie möglich zu unter-
suchen. Für Schnell et al (2005) hängt die Entscheidung für diese Untersuchungsform
von der Vielschichtigkeit der interessierenden theoretischen Aspekte und dem bishe-
rigen Kenntnisstand in dem betreffenden Forschungsgebiet ab. Bei der Untersuchung
der Medizintechnikstrukturen und Innovationsmuster in Nürnberg-Erlangen und dem
Ruhrgebiet handelt es sich nach der Typologisierung von Lijphart (1971) um eine
Mischung aus konfigurativen und theorieorientierten, interpretativen Fallstudien. Der
Untersuchungsgegenstand soll in seiner Ganzheit erfasst werden, die Interpretation
erfolgt aber durch theoretische Bezüge. Die Auswahl der beiden Fälle ergab sich aus
der Fragestellung des Forschungsvorhabens (vgl. Hildenbrand 1991). Dazu werden
umfangreiche Vorkenntnisse über das zu untersuchende Feld vorausgesetzt. Die Fall-
auswahl folgte der Konkordanzmethode nach Mill. „Deren theoretischer Impetus liegt
darin begründet, dass eine auffällige Gemeinsamkeit von in vielen Dimensionen sehr
unterschiedlichen Fällen erklärt werden soll. Idealtypisch resultiert dies in der Praxis
in einer Fallauswahl, bei der die Untersuchungsobjekte sich bezüglich einer Vielzahl
von potenziellen Bestimmungsfaktoren unterscheiden, jedoch hinsichtlich einer erklä-
renden und der zu erklärenden Größe Gemeinsamkeiten aufweisen“ (Schmidt et al
2003, o.S.).
Im Rahmen der Fallstudien wurden die Fragestellungen durch den Einsatz der Teiler-
gebnisse einer quantitativen Erhebung (schriftliche Befragung von Medizintechnikun-
ternehmen – verwendeter Teil des Fragebogens siehe Anhang) und leitfadengestützter
Experteninterviews beantwortet. Die Verfasserin war als wissenschaftliche Mitarbei-
terin an einen Forschungsprojekt mit dem Titel „Regionale Innovations- und Qualifi-
zierungsstrategien in der Medizintechnik“ beteiligt, das von Prof. Dr. Rolf G. Heinze
und PD Dr. Josef Hilbert im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung von April 2005 bis
März 2007 durchgeführt wurde. Ziel war es, die sich wandelnden Qualifikationsan-
forderungen an die Beschäftigten in dieser Branche in den drei Bereichen – duale
Ausbildung, Hochschulausbildung und Weiterbildung – zu untersuchen und regionale
Strategien herauszuarbeiten, die unter dem Gesichtspunkt einer besseren Qualifizie-
rung für den Erhalt und Ausbau der Innovationsfähigkeit von Bedeutung sein könn-
Einführung
20
ten. Im März 2006 wurde eine teilstandardisierte Befragung von 612 Medizintechnik-
unternehmen in vier deutschen Regionen (München, Nürnberg-Erlangen, Aachen und
Ruhrgebiet) vorgenommen. Ein gewisses Fragenkontingent lässt sich für die vorlie-
gende Untersuchung nutzen. Die Erkenntnisse wurde mit Hilfe von 15 Experteninter-
views, die im Zeitraum zwischen September 2006 und Mai 2007 in den beiden Regi-
onen geführt wurden, vertieft.
Eine leitfadengestützte Gesprächsführung wird dabei sowohl dem thematisch be-
grenzten Interesse des Forschers an den Experten wie auch dem Expertenstatus des
Gegenübers gerecht, da über den Leitfaden eine gewisse Steuerung möglich ist. Die
offene Fragestellung bietet dem Experten allerdings genügend Raum für eigene
Schwerpunktsetzung und verhindert damit die Voreingenommenheit des Forschers
bezüglich des Ergebnisses (vgl. Meuser/Nagel 1991). Der Experte wird dabei als
Repräsentant einer Gruppe in die Untersuchung einbezogen (vgl. Flick 1999). Die
Auswahl der Experten erfolgte nach den beiden Untersuchungsebenen der Dissertati-
on. Für die Beantwortung der Fragen zu den Unternehmensstrategien bei Innovati-
onsaktivitäten (Mikroebene) wurden Geschäftsführer und Abteilungsleiter von FuE-
Abeilungen in Medizintechnikunternehmen befragt. Dabei wurden vorwiegend kleine
und mittlere Unternehmen ausgewählt, um den Medizintechnikstrukturen in den Re-
gionen zu entsprechen. Auf der Mesoebene wurden Geschäftsführer und wissen-
schaftliche Mitarbeiter der zu untersuchenden Netzwerkinitiativen interviewt. Des
Weiteren ergaben sich durch den Besuch einschlägiger Fachtagungen Kontakte zu
Medizintechnikakteuren, die keiner der beiden regionalen Untersuchungseinheiten
zugeordnet werden können, aber aufgrund ihrer Bedeutung für die Branche als so
genannte Strategiegespräche in die Arbeit Eingang finden. Alle Expertenaussagen
wurden während des Interviews stichwortartig notiert und im Anschluss zeitnah in
einem ausführlichen Protokoll erfasst. Damit wurde einer Verzerrung der Antworten
entgegengewirkt, die durch eine digitale Aufzeichnung hätten entstehen können (vgl.
zu dieser Vorgehensweise Schmid 1995). Aus diesem Grund finden sich in der Dis-
sertation auch keine Zitate aus Experteninterviews, die Kennzeichnung der Gespräche
im Text erfolgt nummeriert in Klammern. Eine Übersicht zu den Leitfäden findet sich
im Anhang. Zugunsten des Leseflusses wird auf die Verwendung der männlichen und
weiblichen Form verzichtet. Zur Verbesserung der Lesbarkeit werden die Jahrzehnt-
angaben des letzten Jahrhunderts in Kurzform geschrieben: 80er Jahre für 1980er
Jahre etc. – gemeint ist aber immer das 20. Jarhundert.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
21
2. Die Bedeutung von Innovationen und Steuerung durch Netzwerke
aus ökonomischer und wirtschaftssoziologischer Perspektive des In-
stitutionalismus
„Innovation ist einer der großen Leitbegriffe moderner Gesellschaften“ (Howaldt et
al 2007, 4). Er findet sich in Konzepten zur Erklärung wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Wandels und ist als Leitmotiv in politischen Programmen zu finden.
Gerade auch in der Auseinandersetzung mit Wachstumspotenzialen von Wirtschafts-
branchen und damit der Bestimmung von Faktoren zur Steigerung der Leistungsfä-
higkeit von Volkswirtschaften nehmen Innovationen einen herausragenden Stellen-
wert ein.2 Wenn von Innovationen die Rede ist, kann man ganz allgemein von einer
Abweichung routinierter Handlungsabläufe sprechen, die etwas Neues generieren.
Damit wird Innovation zu einer „kreativen Handlung“ (Rammert 1997, 397), die in
der Innovationsforschung im Zeitverlauf einen Perspektivwechsel erlebt hat. Nicht
mehr allein die wirtschaftlichen Aspekte von technologisch orientierten Produkt- und
Prozessinnovationen stehen im Vordergrund, vielmehr ist es zu einer Erweiterung
des sozialwissenschaftlichen Innovationsverständnisses gekommen, das ebenso sozi-
ale, organisatorische und institutionelle Neuerungen einbezieht (vgl. u.a. Ader-
hold/John 2005). Technische Innovationen vollziehen sich im Kontext gesellschaftli-
cher Innovationssysteme und beruhen in der Regel nicht mehr, wie noch in den frü-
hen Werken von Schumpeter konstatiert, auf der Leistung einzelner Individuen (‚Un-
ternehmer’) als ‚Prozesse schöpferischer Zerstörung’ (vgl. Schulte 2002). Sie sind
vielmehr „komplexe, koevolutive Prozesse von Wirtschaft, Wissenschaft, Technik,
Natur und Gesellschaft“ (Blättel-Mink 2007, 21). Innovationen sind ein hochkom-
plexes Ergebnis der Akkumulation von Wissensbeständen in der Interaktion, deren
Rückkopplung und Rekombination schließlich zur Generierung von neuem Wissen
führen kann. Diese Einsicht hat zur Abkehr von linearen Innovationsmodellen ge-
führt, die einen sequentiellen Prozess von der Forschung, Entwicklung bis zur Inno-
vation und der Diffusion derselben angenommen haben (vgl. Heidenreich 1997a).
Zur Steuerung des Wissenstransfers und der Wissensteilung treten soziale und öko-
nomische Institutionen hervor, die befördernd oder hemmend auf die Handlungen
einwirken können. Der Koordination von Akteurhandeln in Netzwerkstrukturen kann
dabei als ‚Enabler’ von Innovationsprozessen verstanden werden, denn Wissenstei- 2 Eine ausführliche Darstellung der Bedeutung von Wissen für das Hervorbringen von Innovation und deren Bedeutung für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erfolgt in Kapitel 4.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
22
lung erfordert Vernetzung. Die instutionalistischen Theorien und Ansätze, die im
Folgenden den theoretischen Bezugsrahmen der Arbeit darstellen, bieten eine Mög-
lichkeit, die Mechanismen der Handlungsentscheidungen für die unterschiedlichen
Koordinationsformen Hierarchie, Markt und Netzwerk zu erklären.
Kern der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die sich dem Institutionenbegriff
zugewandt haben, ist die Erklärung akteurzentrierten Handelns innerhalb einer insti-
tutionellen Umwelt (z.B. Verträge, Hierarchien, Märkte, Netzwerke). Dabei wird der
Begriff Institution je nach Disziplin unterschiedlich breit definiert. Verbindend ist die
Vorstellung, dass es sich bei Institutionen um soziale Gebilde handelt, um Rege-
lungsaspekte, „die sich vor allem auf die Verteilung und Ausübung von Macht, die
Definition von Zuständigkeiten, die Verfügung über Ressourcen sowie Autoritäts-
und Abhängigkeitsverhältnisse“ (Mayntz/Scharpf 1995, 40) konzentrieren. Oder
vereinfacht, wie Berger und Luckmann (2000) betonen, handelt es sich bei Institutio-
nen um ein Regelwerk, das den Individuen hilft eine gemeinsame Definition der so-
zialen Wirklichkeit aufzubauen. Im Vordergrund der Analyse zur Bedeutung von
Innovationen und Netzwerken, die, wie später gezeigt wird, entscheidende Faktoren
für die Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnikbranche darstellen, stehen aus die-
sem Grund die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) als wirtschaftswissenschaftliches
Paradigma sowie soziologische Konzepte zur Erklärung von Netzwerkstrukturen, vor
allem das Konzept des akteurzentrierten Institutionalismus (AI) in der Soziologie,
das dem Neuen ‚soziologischen’ Institutionalismus zugeordnet werden kann.3 Die
Modelle werden in den ersten beiden Teilen des Kapitels zur Erklärung von Akteur-
handeln in Netzwerken (u.a. als Teil des Innovationsprozesses) herangezogen. Dabei
zeigt die NIÖ im Gegensatz zur Neoklassik Bedingungen auf, unter denen der Markt
als Koordinationsform für wirtschaftliche Transaktionen versagt. Wenn Transaktio-
nen Unsicherheiten über das Ergebnis beinhalten, zudem häufig auftreten und dar-
über hinaus Investitionen wie Geld und Zeit veranschlagen, kommt es zu Transakti-
onskosten, die eine marktliche Steuerung unrentabel machen. Dies führt zu der
grundlegenden Unterscheidung von Markt und Hierarchie (Unternehmung) als
Kerndifferenzierung wirtschaftlicher Ordnung. Das administrativ-hierarchisch ge-
3 Beide Modelle stellen nur einen Ausschnitt aus der Vielfalt institutionalistischer Theorien dar. Ne-ben den ökonomischen Institutionentheorien (vgl. u.a. die Arbeit von Williamson 1985/1990 oder die Überblickdarstellung von Richter/Furubotn 1999 zur NIÖ) und dem weiten Forschungsfeld der insti-tutionalistischen Organisationssoziologie (vgl. u.a. Powell/DiMaggio 1991, Scott 1995) existiert ein politikwissenschaftlicher Neo-Institutionalismus der mit dem Governance-Ansatz einen Großteil der Debatte innerhalb der politischen Ökonomie trägt (als Überblick über den Diskurs dient Lütz 2003; als Vertreter des Neo-Institutionalismus seien u.a. March/Olsen 1984 zu nennen).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
23
gliederte Unternehmen ist unter bestimmten Bedingungen effizienter in der Lage
Transaktionen durchzuführen als der Markt. Als dritter Typus institutioneller Steue-
rung tritt das Netzwerk zwischen Markt und Hierarchie. Allerdings ist der Netzwerk-
ansatz nicht von vorneherein in dem theoretischen Modell angelegt und Erklärungen
zur Effizienz von Netzwerken lassen sich nur eingeschränkt über die regulative Di-
mension des Preismechanismus geben. Zudem gelingt über institutionenökonomi-
sche Ansätze die Erklärung von Innovationsprozessen als Verbindung von Technik
(Unternehmen) und Wissenschaft sowohl durch die Arbeiten von Dosi (1988) und
Freeman (1999) als auch über den Ansatz des nationalen Innovationssystems (vgl.
Lundvall 1992; Freeman 1995).
Die sozialwissenschaftliche Forschung über Innovationsprozesse und das Netzwerk-
konzept ist weniger einheitlich, es finden sich institutionelle Forschungsrichtungen in
vielen Fachdisziplinen (u.a. Organisations-, Technik-, Wirtschaftssoziologie, Poli-
tikwissenschaft) (vgl. zum Stand der Diskussion Blättel-Mink 2007 und für den poli-
tikwissenschaftlichen Institutionalismus Lütz 2003). Im Rahmen dieser Arbeit wird
ausgehend von systemtheoretischen Überlegungen (vgl. Kämper / Schmidt 2000) der
Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus untersucht, der von Renate Mayntz
und Fritz Scharpf (1995) im Rahmen ihrer Forschung zur Steuerung moderner Ge-
sellschaften entwickelt wurde. Die teilsystemische Selbstregelung, die von der luh-
mannschen Systemtheorie propagiert wird, wird um die Dimensionen ‚institutionelle
Ordnung’ und ‚Akteurkonstellation’ erweitert. Alle drei Dimensionen dienen der
Handlungsorientierung von Akteuren – wobei Mayntz und Scharpf vor allem kollek-
tive Akteure meinen. Das Netzwerk wird als spezieller Typus von Sozialstruktur
verstanden, der sowohl marktliche als auch hierarchische Elemente vereint. Es wird
gestützt durch die Komponente des Vertrauens, von deren Ausprägung seine Effi-
zienz stark abhängt. Da Netzwerke durch eine lose Kopplung der Elemente und dar-
aus resultierend durch Informalität gekennzeichnet sind und außerdem mittel- bis
langfristige Steuerungsstrukturen darstellen, können innovative Prozesse und Lö-
sungswege ohne sofortige und direkte Veränderung von Organisationsstrukturen
‚getestet’ werden.
Unter Einbeziehung der bislang erzielten Erkenntnisse über Innovation und Netz-
werke richtet sich der Forschungsfokus im Anschluss auf die Darstellung von unter-
schiedlichen Typen von Netzwerken: Policy-Netzwerken, regionalen und Innovati-
ons-Netzwerken, die eine Grundlage des empirischen Teils der Arbeit darstellen.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
24
2.1 Die Neue Institutionenökonomik und ihr Beitrag zur Innovations-
und Netzwerkdebatte
2.1.1 Grundannahmen des Ansatzes
Die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) kann nicht als zielgerichteter Versuch der
Entwicklung einer neuen Lehre interpretiert werden. Aufgrund einer zunehmenden
Unzufriedenheit mit der Erklärungskraft der neoklassischen Produktions- und
Tauschmodelle in der Nachkriegszeit Mitte des 20. Jahrhunderts war es vielmehr ein
Richtungswechsel, aufbauend auf der neoklassischen Theorie, der angestrebt wurde.
Bestimmte Grundvorstellungen der Neoklassik – z.B. vollkommene Information und
Transaktionskosten von null – wurden aufgegeben und mikroökonomische Phäno-
mene aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Die wesentlichen Annahmen und
Hypothesen der NIÖ werden der vertiefenden Untersuchung vorangestellt (vgl. u.a.
Schmid et al 2006, Scharpf 2000, Esser 2000, Wiesenthal 1997, Williamson 1990,
Granovetter 1973, Simon 1957).
Methodologischer Individualismus: Der Ansatz geht davon aus, dass alles gesell-
schaftliche Handeln sowie makrosoziologische Sachverhalte auf individuelle Hand-
lungen reduzierbar sind. Individuelles Verhalten oder Motivation lässt sich im Um-
kehrschluss nicht durch Makroannahmen erklären. Daraus folgt, dass die Organisati-
on oder das Kollektiv als solche keinen Bestand haben, derartige soziale Konstrukte
entstehen erst durch die Verhaltensformen und Handlungen der Individuen.
‚Homo Oeconomicus’: In der Tradition der neoklassischen Theorie steht dieses
konstruierte Menschenbild für das rational handelnde Individuum, das durch das ö-
konomische Prinzip der Maximierung des Nutzens bei gegebenem Mitteleinsatz ge-
leitet wird.
Unvollkommene individuelle Rationalität: Als Einschränkung zu den ‚harten’
Vorstellungen über den ‚homo oeconomicus’ konstatiert die NIÖ – hier vor allem in
der Forschungsrichtung der Transaktionskostentheorie – die Unvollständigkeit der
individuellen Rationalität. Individuelle Präferenzen sind unvollkommen und über die
Zeit veränderlich, zudem sind Individuen nur eingeschränkt informiert, was aufgrund
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
25
der Annahme positiver Transaktionskosten dazu führt, dass die Beschaffung voll-
ständigen Wissens geradezu unmöglich wird.
Opportunismus: Individuen verfolgen ihre eigenen Interesse unter Zuhilfenahme
von Mitteln wie dem Verbergen von Präferenzen oder der Fälschung von Informati-
onen oder Daten zu ihrem Vorteil. Gerade innerhalb von Netzwerken und bei relativ
informellen Kooperationen, die auf Vertrauen basieren, erhöht opportunistisches
Verhalten die Störanfälligkeit. Soziologen unter den Neuen Institutionalisten kritisie-
ren diese stringente Annahme der Ökonomen, die Vertrauen als mögliche Grundan-
nahme ausschließt.
Zudem geht die NIÖ ganz allgemein von einer Wirtschaftsgesellschaft mit einem
System von Regeln und Normen (Institutionen) aus, die jedem Individuum Verfü-
gungsrechte (das Recht, materielle oder immaterielle Güter und Leistungen zu
gebrauchen) zuordnet und diese mit Hilfe eines Überwachungs- und Durchsetzungs-
systems sanktioniert.
Ronald Coase (1937) hat bereits vor dem Zweiten Weltkrieg die Bedeutung von
Transaktionskosten bei der Entscheidung für eine der beiden ökonomischen Organi-
sationsformen Markt oder Unternehmen hervorgehoben und gilt daher als „Vater“
der Neuen Institutionenökonomik. Er stellte den Institutionenvergleich in den Mittel-
punkt seiner Forschungen und grenzte sich dahingehend von den Neoklassikern ab.
Die neoklassische Mikroökonomik kann durchaus als institutionenneutral angesehen
werden, da ihr Schwerpunkt auf der Allokationseffizienz liegt und institutionelle
Rahmenbedingungen nur als Ersatzmittel zur Schaffung der Voraussetzungen für ein
Pareto-Optimum – und damit als ‚allokationsneutral’ – gelten. Zudem ist die Trans-
aktionskostenannahme von null – bedingt durch die idealtypische Vorstellung voll-
kommener Information der Akteure – unrealistisch, lässt aber im Gegenzug auf abs-
traktem Niveau eine Analyse der Bedeutung relativer Preise für den Entscheidungs-
prozess im ökonomischen System zu. Das neoklassische Preissystem ist somit das
einzige Instrument zur Erklärung der Koordination verschiedener Transaktionen, das
Unternehmen mit seinen internen Koordinationsmechanismen bleibt als ‚black box’
im Raum stehen. Alles, was über preisvermittelte Markttransaktionen hinausgeht,
liegt nicht im Erklärungsradius der neoklassischen Theorie (vgl. Richter/Furubotn
1999).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
26
Trotz des viel versprechenden Ansatzes von Coase blieb die Institutionenökonomik
und mit ihr die Überlegungen zu Transaktionskosten bis in die 60er bzw. 70er Jahre
des letzten Jahrhunderts aufgrund der mangelnden Operationalisierung von Transak-
tionskosten im Schatten ökonomischer Erklärungsansätze. Wie Williamson betont
lag das Dilemma der bisherigen Forschung darin, dass sich nahezu jedes Ergebnis
durch Bezug auf die Transaktionskostenüberlegungen rechtfertigen ließe (vgl. Willi-
amson 1990, 18). Williamsons bahnbrechende Arbeit „The Economic Institutions of
Capitalism“ (1985) bildet einen Höhepunkt auf dem Weg der Renaissance des Insti-
tutionalimus in den Wirtschaftswissenschaften. Bereits in den 70er Jahren zeichnete
die Forschungsrichtung der Neuen Institutionenökonomie eine Abkehr von der Vor-
stellung des Unternehmens als Produktionsfunktion hin zur Annahme des Unterneh-
mens als Beherrschungs- und Überwachungssystem aus. Die Transaktionskostenthe-
orie von Williamson stellt in diesem Zusammenhang einen Forschungsstrang des
neuen ökonomischen Institutionalismus dar, der im Folgenden diskutiert wird (Kapi-
tel 2.1.1.1). Die beiden anderen Ansätze der NIÖ, die Theorie der Verfügungsrechte
wie auch die Annahmen der Agenturtheorie (in dieser Untersuchung speziell der
Principal-Agent-Theorie) finden in Form kurzer Zusammenfassungen Eingang in die
Untersuchung. Alle drei angeführten Analyseeinheiten lassen sich methodisch dem
Effizienzansatz innerhalb der Industrieökonomik zuordnen. Der Schwerpunkt liegt
im Folgenden bewusst auf der Transaktionskostentheorie, da diese auch unter sozio-
logischen Aspekten von Bedeutung ist, insbesondere im Hinblick auf ihre kritische
Würdigung.4
EXKURS: Der Effizienzansatz der Industrieökonomik
Die Teilgebiete der Neuen Institutionenökonomik – die Transaktionskostentheorie
(TKT), die Theorie der Verfügungsrechte wie auch Teile der Agencytheorie – lassen
sich in das Analyseschema der Industrieökonomik einordnen. Die Industrieökonomik
untersucht Abweichungen von der klassischen Form des Markttausches unter den
Bedingungen von Verträgen. Welchem Zweck dienen Verträge bei der Organisation
von ökonomischen Tauschprozessen. Hierbei lassen sich zwei grundlegende Unter-
4 Vor allem die Opportunismus-Annahme wurde von soziologischer Seite als zu enge Verhaltensan-nahme kritisiert, Verhaltensweisen wie Solidarität, Tradition und Vertrauen sind durchaus relevant. Einen Überblick über Kritik und Probleme der Theoriekonstruktion bieten Ebers und Gotsch 2002, 243ff, aber auch Williamson 1990 selbst räumt Mängel in seiner Theorie ein, 325ff.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
27
scheidungen festlegen: zum einen die Monopolbetrachtung des Vertrags5, zum ande-
ren der Effizienzansatz. Der Schwerpunkt der folgenden Überlegungen liegt auf letz-
terer Kategorie. Abbildung 2: Analysemethoden des Effizienzansatzes
Quelle: eigene Darstellung
Die Effizienzbetrachtungen des Vertrages gehen allgemein davon aus, dass Abwei-
chungen vom klassischen Marktschema Einsparungszwecken dienen. Auf der einen
Seite betonen Ansätze zur Anreizordnung (Theorie der Verfügungsrechte bzw.
Agencytheorie) die Vorvertragsphase. Dabei geht es der Verfügungsrechtstheorie
darum, den Einsatz komplexer Verträge anstelle des traditionellen Markttaussches
mit der Annahme zu begründen, dass die eindeutige Erteilung von Verfügungs- oder
Eigentumsrechten durch Verträge Fehlallokationen von Produktionsmitteln verhin-
dert. Die Agencytheorie betont dagegen die Trennung von Eigentums- und Kontroll-
rechten, die durch Verträge zwischen Auftraggebern (Principalen) und Agenten ent-
steht. Obwohl sich der Principal des Risikos der kaum greifbaren Kontrollrechte be-
wusst ist und somit sein Anreiz des Gewinns gemindert wird, geht er den Vertrag
ein, indem er sich bereits in der Vorvertragsphase absichert und zukünftige Vertrags-
probleme verhandelt.
5 Der Monopolansatz begründet die Abweichung vom klassischen Markttausch mit dem Monopol-zweck
Der Effizienzansatz in der Industrieökonomik
Anreizordnungs-Ansatz Transaktionskostentheorie [ex-ante-Vertragsphase] [ex-post-Vertragsphase]
Theorie d. Agencytheorie Beherrschungs- Messtheorie Verfügungsrechte und
Überwachungstheorie Positive Principal- Agencytheorie Agent-
Theorie Wirksamkeit von Wirksamkeit von
gerichtlichen Regelungen außergerichtlichen Regelungen
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
28
Im Gegensatz dazu betont die TKT die Phase der Vertragserfüllung. Zwar räumt der
Ansatz auch die Bedeutung von Eigentum und Ex-Ante-Anreizordnungen ein, aller-
dings sind vielmehr Institutionen zur Erfüllung des Vertrages ex post entscheidend.
Mit Hilfe von Beherrschungs- und Überwachungssystemen, die bereits in der Pla-
nung angelegt werden, sollen mögliche Konflikte bei der Vertragserfüllung vermie-
den werden. Die Betonung liegt auf Institutionen der außergerichtlichen Regelung
(vgl. Williamson 1990).6
2.1.1.1 Die Transaktionskostentheorie nach Williamson7
Aufbauend auf dem Grundverständnis der NIÖ, dass Individuen über eine ‚einge-
schränkte Rationalität’ (Simon 1957) verfügen, fällt den Transaktionskosten eine
exponierte Stellung zu. Sie entstehen im Zusammenhang mit einem Tauschprozess
(Transaktion) und ihre Höhe entscheidet über die Art der Organisation wirtschaftli-
chen Handelns. Allgemein fallen unter den Begriff Transaktionskosten (TK) Such-
und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten wie auch Überwa-
chungs- und Durchsetzungskosten. Somit zählen jene Ressourcen zu den TK, die für
die Entstehung, Erhaltung, Benutzung und Weiterentwicklung von Institutionen und
Organisationen8 aufzuwenden sind (vgl. Richter/Furubotn 1999). Sie lassen sich in
Transaktionskosten ex ante und TK ex post unterteilen. Generell stehen bei der öko-
nomischen Analyse von Institutionen nicht nur die rein ökonomischen Tauschprozes-
se bzw. Transaktionen im Vordergrund, sondern jegliches Handeln, das in Bezug auf
soziale Beziehungen angewendet wird. In diesem Sinn lassen sich die ökonomischen
Transaktionen als Unterkategorie von sozialem Handeln im Weberschen Verständnis
abgrenzen (vgl. Weber 1984). Das soziale Handeln ist demzufolge notwendig für die
Entwicklung und Erhaltung des institutionellen Rahmens, in dem wirtschaftliche
Tätigkeit ausgeübt wird.
Die Hauptfrage, die mit Hilfe der Transaktionskostentheorie beantwortet werden
kann lautet: „Wie lassen sich Organisationen als Transaktionskostensparende Ein-
richtungen analysieren oder beschreiben?“ (Richter/Furubotn 1999, 62)
6 Die Analysemethode der Messtheorie findet in dieser Untersuchung keine Anwendung und sei daher nur kurz definiert als Beschäftigung mit der Vieldeutigkeit von Leistungen in Verbindung mit der Produktion eines Gutes oder einer Dienstleistung (vgl. Williamson 1990, 33f). 7 Das Kapitel bezieht sich vor allem auf die Arbeit von Williamson aus dem Jahre 1985 (deutsche Ausgabe 1990), da in diesem Band seine langjährigen Forschungsergebnisse gebündelt präsentiert werden. 8 Unter Organisationen im Verständnis der NIÖ sind Institutionen einschließlich der daran beteiligten Individuen zu verstehen (vgl. North 1990).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
29
Coase (1937) hatte bereits früh erkannt, dass die Tauschprozesse auf dem Markt mit
Kosten verbunden sind, diese bislang aber nicht in die neoklassische Analyse einbe-
zogen worden waren. Die Unternehmer stehen grundsätzlich vor der Entscheidung
‚make or buy’; sobald sich Transaktionen unternehmensintern kostengünstiger orga-
nisieren lassen (‚make’) spielen Unternehmungen eine wesentliche Rolle im Wirt-
schaftssystem. Nachdem der Begriff der Transaktionskosten jahrzehntelang relativ
unbeachtet in den Wirtschaftswissenschaften geblieben ist, belebten u.a. Williamsons
Forschungen die Debatte wieder.
„Die Transaktionskostentheorie bietet einen institutionalistisch vergleichenden Zu-
gang zur Untersuchung ökonomischer Organisation, für den die Transaktion die
Grundeinheit der Analyse ist“ (Williamson 1990, 324).
Williamson konzentriert sich vornehmlich auf die ökonomischen Institutionen des
Kapitalismus, die neben dem Markt auch Unternehmen und Kooperationen umfas-
sen. Mit zwei Kernthesen lässt sich seine Transaktionskostentheorie in einer ersten
groben Abgrenzung charakterisieren:
I) Märkte, Unternehmen und Kooperationen sowie ihre unterschiedlichen
Mischformen dienen in erster Linie (aber durchaus nicht ausschließlich)
zur Einsparung von Transaktionskosten. Einsparungen ergeben sich da-
durch, dass Transaktionen in unterschiedlicher Weise Beherrschungs- und
Überwaschungssystemen zugeordnet werden, die im Hinblick auf ihre
Anpassungsfähigkeit und ihre Kosten differieren.
II) Verträge rücken in den Mittelpunkt der Analyse. Jedes Problem, das als
Vertragsproblem gesehen werden kann und dementsprechend jede Art
von Tauschbeziehung lässt sich unter der Prämisse der Transaktionskos-
teneinsparung untersuchen. Dabei stehen vor allem die ex post Institutio-
nen eines Vertrages im Vordergrund (z.B. der Sicherungsaufwand zur
Durchsetzung verlässlicher Zusagen) (vgl. Williamson 1990, 19f).
Für die Beschäftigung mit den Formen ökonomischer Organisation sind vor allem
zwei Annahmen in Bezug auf das Akteurverhalten von herausragender Bedeutung:
Welches Maß an Erkenntnisfähigkeit besitzen die Akteure in einem Tauschprozess
und was für eine Art von Eigeninteresse legen sie an den Tag? Die TKT geht von
begrenzt rational agierenden Akteuren aus, die sich darüber hinaus opportunistisch
verhalten. Ein weiterer Aspekt ist die Faktorspezifität (asset specificity), die den
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
30
Grad der Wiederverwendbarkeit bestimmter Güter oder Leistungen in alternativen
Verwendungsmöglichkeiten und bei unterschiedlichen Akteuren/Nutzern ohne Ver-
lust des Wertes wiedergibt. Dabei ist eine bilaterale Akteurkonstellation wichtig.
Die TKT spricht von einer begrenzten Rationalität der Akteure, die im Gegensatz
zum nutzenmaximierenden Akteur der Neoklassik als dem einen Extrem und dem
organisch rationellen Wirtschaftssubjekt der evolutorischen Schule auf der anderen
Seite eher als halb-starke Form der Rationalität angesehen werden kann. Herbert
Simon sieht die Akteure als „intendiert rational, aber nur begrenzt“ an (zit.n. ders.
1990, 51). Damit ist zwar ein nutzenmaximierendes Streben im Rationalitätsver-
ständnis angelegt und die Einsparungsorientierung von Transaktionen begründet,
dennoch steht die Begrenztheit des Akteurerkenntnisses, die wichtig für die Untersu-
chung von Institutionen ist, im Mittelpunkt. Für die Wahl geeigneter Beherrschungs-
und Überwachungssysteme ist demzufolge wichtig, dass sie nicht allzu große An-
sprüche an die Erkenntnisfähigkeit der Individuen stellt. Die zweite Erkenntnis lei-
tende Annahme ist die des Opportunismus als „Verfolgung des Eigeninteresses unter
Zuhilfenahme von List“ (ders. 1990, 54), der als starke Form der Motivationsannah-
me angesehen wird (schwache Form: Gehorsam; mittlere Form: Verfolgung des Ei-
geninteresses im neoklassischen Sinn). Diese Verhaltensweise drückt sich beispiels-
weise in der unvollständigen oder verzerrten Weitergabe von Informationen aus, die
von den Akteuren bewusst zu einer Informationsasymmetrie führt, welche wiederum
Vertragsprobleme und Verhaltensunsicherheiten herbeiführen. Aus diesem Grund
müssen durch Opportunismus ex post gefährdete Transaktionen ex ante abgesichert
werden.
Somit stellen sich die vertragsrelevanten Eigenschaften zusammenfassend wie folgt
dar: Kommt es zu einem vertraglich geregelten Tauschvorgang so ist die Planung
aufgrund der begrenzten Rationalität der Akteure niemals vollständig, Vereinbarun-
gen können wegen der opportunistischen Verhaltensmerkmale unerfüllt bleiben und
die bilateralen Identitäten der Vertragspartner treten aufgrund der Faktorspezifität in
den Vordergrund. Unter der Bedingung aller drei Annahmen ist die gerichtliche Re-
gelung bei Vertragsproblemen fast unmöglich, so dass Institutionen des außergericht-
lichen Regulativs – die Beherrschungs- und Überwachungssysteme – eingreifen.
Williamson spricht in diesem Zusammenhang von dem organisatorischen Imperativ
der TKT: „Organisiere Transaktionen so, dass die begrenzte Rationalität sparsam
eingesetzt wird, die Transaktionen aber gleichzeitig vor den Risiken des Opportu-
nismus geschützt werden“ (Williamson 1990, 36).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
31
Wie und aus welchen Gründen werden aber nun verschiedene Transaktionen organi-
siert? Welche Faktoren sind für die Unterschiede zwischen den Transaktionen ver-
antwortlich? Bislang gestaltete es sich schwierig eine genaue Transaktionskosten-
rechnung zu erstellen, es bestand ein Operationalisierungsproblem. Neben dem all-
gemeinen Problem, die Produktionskosten, die bei der Erstellung eines Gutes oder
einer Leistung entstehen, zu bestimmen, trat die große Schwierigkeit, die Kosten, die
sich im Tauschprozess entwickeln, zu quantifizieren; folglich können Aussagen über
die Vorteilhaftigkeit bestimmter institutioneller Arrangements nicht exakt definiert
werden. Nun kann man argumentieren, dass die genaue Messung der Kosten inner-
halb der TKT gar nicht erforderlich ist, da für die relative Vorteilhaftigkeit bereits
Tendenzaussagen ausreichen (vgl. Ebers/Gotsch 2002), trotzdem galt es zu klären,
von welchen Faktoren die Transaktionskosten abhängen, um angeben zu können
welche institutionellen Arrangements am effektivsten sind. Um dieses Problem zu
lösen unterscheidet Williamson in seiner Theorie der Kostendeterminanten zunächst
drei Dimensionen von Transaktionen: Faktorspezifität, Unsicherheit und Häufigkeit
(ders. 59ff).
a) Faktorspezifität: Im Gegensatz zur neoklassischen Annahme, dass ‚anonyme’
Käufer bzw. Verkäufer standardisierte Güter zu Gleichgewichtspreisen tau-
schen, geht es bei der Faktorspezifität zum einen um die große Bedeutung
von personenbezogenen Attributen von Transaktionen, die organisatorische
Auswirkungen haben, d.h. es erfolgt häufig eine Bindung an den Tauschpart-
ner und dauerhafte Tauschbeziehungen werden angestrebt. Zum anderen stellt
sich den Partnern die Frage der Einzweck- (Investitionen lassen sich ohne
Einbußen an Produktivwert nicht weiterverwenden, sind aber unter der Be-
dingung der Vertragserfüllung kostengünstiger) oder der Mehrzweckinvesti-
tion (auch im Falle des Vertragsbruches finden z.B. Technologien Wieder-
verwendung). Faktorspezifität kann zu einer Kostenersparnis führen, wenn
sich die Partner aneinander anpassen und die Inputfaktoren speziell auf die
Erstellung von Gütern und Leistungen zugeschnitten sind (Einzweckinvestiti-
onen). Die Probleme des Opportunismus und der begrenzten Rationalität
werden dadurch allerdings nicht überdeckt, d.h. durch transaktionsspezifische
Investitionen können zwar die Produktionskosten sinken, die Tauschpartner
sind aber auch abhängiger voneinander und opportunistisches Verhalten nach
Vertragsabschluss wird wahrscheinlicher, so dass es umfassender institutio-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
32
neller Regelungen bedarf dieses zu verhindern, was wiederum die TK anstei-
gen lässt.
Williamson unterscheidet sechs Arten der transaktionsspezifischen Investiti-
on oder Faktorspezifität:
1. Standortspezifität (geringere Logistikkosten durch räumliche Unter-
nehmensnähe),
2. Anlagenspezifität (Einzweckinvestition für die spezielle Herstellung
von Gütern und Leistungen),
3. Spezifität des Humankaptials (spezielle Berufsqualifizierung z.B.
durch training-on-the-job oder learning-by-doing)
4. Abnehmerspezifität (Kapazitätsausweitung zur Bedienung eines be-
stimmten Kunden),
5. Investitionen in die Reputation (Markenname),
6. terminspezifische Investition in Güter und Leistungen, die zeitlich nur
begrenzt absetzbar sind (Saisongüter, Materiallieferungen für Just-in-
Time-Produktion) (vgl. Ebers/Gotsch 2002).
Resümierend gesehen ist die Kostenwirkung der Faktorspezifität nicht eindeutig:
Zwar sinken die Produktionskosten durch transaktionsspezifische Investitionen,
jedoch steigen tendenziell die Transaktionskosten.
b) Unsicherheit: Für das Verständnis der Probleme der TKT ist die Verhaltens-
unsicherheit, die neben der primären (zustandsbedingt) und der sekundären
(aufgrund mangelnder Kommunikation) Unsicherheit besteht, evident. Die
erstgenannte Form der Unsicherheit ist strategischer Art und auf opportunisti-
sches Verhalten zurückzuführen. Nicht-Vertragserfüllung oder Vertragsände-
rungen des einen Partners lösen Unsicherheit beim anderen aus, so dass es zu
Verlusten kommen kann. Unsicherheiten stehen in Wechselwirkung mit der
Faktorspezifität, d.h. sobald Transaktionen durch transaktionsspezifische In-
vestitionen gestützt werden und auf dauerhaften Verträgen beruhen, die nicht
einfach durch andere Akteurkonstellationen austauschbar sind, steigt die Un-
sicherheit.
c) Häufigkeit: Allgemein gesprochen sind die Kosten für Beherrschungs- und
Überwachungssysteme bei sich wiederholenden Transaktionen geringer. Im
Einzelnen bedeutet dieser Umstand, dass bei Transaktionen, die durch spezi-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
33
fische Investitionen gestützt werden, der Nutzen von hinreichenden Beherr-
schungs- und Überwachungssystemen aus den oben genannten Gründen groß
ist. Umfassende Beherrschungs- und Überwachungssysteme sind kostenin-
tensiv, folglich rentieren sie sich bei umfangreichen Transaktionen, die sich
wiederholen.
Als zweite Annahme der Theorie der Kostendeterminanten werden verschiedene
institutionelle Arrangements hinsichtlich ihrer Effizienz unterschieden. Der Aus-
tausch von Gütern und Leistungen erfolgt durch implizite oder explizite Verträge,
Williamson (1990) unterscheidet dabei drei Vertragsformen: den klassischen, den
neoklassischen und den kooperativen bzw. relationalen Vertrag. Diese drei Formen
bedingen jeweils bestimmte institutionelle Formen der Transaktionsabwicklung über
den Markt, durch langfristige Verträge oder in Organisationen (vgl. Ebers/Gotsch
2002, 231ff). Die zunehmende Langfristigkeit und Komplexität von Verträgen macht
eine Abkehr von dem klassischen und neoklassischen Vertragsrecht unausweichlich.
Handelt es sich im klassischen Vertragsrecht um isolierte (unter Ausschluss Dritter),
standardisierte Verträge, deren Rechtsmittel eng umschrieben und die Vereinbarun-
gen ex ante klar definiert werden, geht es bei neoklassischen Verträgen neben der
klassischen Vertragsform um den Einbezug von Kontrollmechanismen z.B. durch ein
Schiedsverfahren oder Sicherungsklauseln, da nicht alle Bedingungen der Transakti-
on ex ante im Vertrag festgelegt werden können. Im Kooperationsansatz hingegen
müssen nicht mehr zwingend die ursprünglichen Vereinbarungen Bezugspunkt für
erforderliche Anpassungen sein, vielmehr wird die gesamte Kooperation mit ihren
Veränderungen über die Zeit hinweg betrachtet. Es handelt sich hierbei um langfris-
tige Vereinbarungen, die u.a. durchaus durch ein System an Sozialbeziehungen cha-
rakterisiert werden können und in Organisationen stattfinden.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
34
Abbildung 3: Effiziente Beherrschung und Überwachung
Quelle: eigene Darstellung nach Williamson 1990, 89.
Die drei Vertragsformen bieten je nach Art der Investition und Häufigkeit der Trans-
aktion unterschiedlich effiziente, institutionelle Formen der Beherrschung und
Überwachung an (vgl. Abb. 3). Im klassischen Vertragsrecht stellt der Markt die
wichtigste Kontrollform für nichtspezifische Investitionen dar. Es handelt sich um
einen isolierten Tauschvorgang, bei dem die Identitäten der Partner nicht von Belang
sind und allgemeine Rechtsnormen gelten; deswegen schützt der Markt aufgrund
seines Konkurrenzmechanismus zur Kostenkontrolle vor Opportunismus, da beide
Partner über eigene Erfahrung bzw. über die Erfahrung anderer Käufer dieser stan-
dardisierten Güter verfügen und einen Anreiz zu vertrauensvollem Verhalten haben.
Dagegen bedient sich das neoklassische Vertragsrecht einem dreiseitigen Beherr-
schungs- und Überwachungssystem. Hier fallen die Investitionen in der Regel ge-
mischt oder hochspezifisch aus und haben steigende Opportunität zur Folge. Oftmals
sind es gerichtliche Regelungen oder das Schiedsverfahren, die bei Vertragsproble-
men regulierend einschreiten. Relationale, kooperative Verträge zeichnen sich durch
einheitliche oder zweiseitige Kontrolle aus. Als Beispiel für die vereinheitlichte Kon-
trolle führt Williamson (1990) die vertikale Integration an. Darunter ist die Vereini-
gung von z.B. Zulieferer und Abnehmer in einer internen Organisation zu verstehen
oder vereinfacht die Entscheidung des Unternehmers für ‚make’ anstelle von ‚buy’,
was bei transaktionspezifischen Investitionen von wiederholter Häufigkeit Kosten
Investitionsmerkmale
nichtspezifisch gemischt hochspezifisch
dreiseitige Kontrolle (neoklass. Vertrag) Marktkontrolle (klass. Vertrag)
zweiseitige vereinheitlichte Kontrolle Kontrolle (Kooperation)
Häufigkeit gelegentlich wiederholt
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
35
senkend wirkt. Die zweiseitige Kontrolle hingegen findet nicht marktfern statt, da die
Tauschpartner rechtliche Selbständigkeit bewahren und eine Mischung aus gerichtli-
cher und außergerichtlicher Regelung in bilateralen Beziehungen erfolgt.
Zusammengenommen unterscheidet Williamson zwischen drei Governance-
Strukturen: Markt, Hierarchie und Hybride (vgl. Ebers/Gotsch 2002 oder Brand
2002). Diese Formen wirtschaftlicher Organisation lassen sich anhand ihrer Ausprä-
gungen der folgenden fünf Dimensionen charakterisieren: das Maß der Anreizinten-
sität, die bürokratische Kontrolle und Steuerung, die autonome und die koordinierte,
bilaterale Anpassungsfähigkeit sowie der Einfluss des Vertragsrechts. Folgendes
Schema verdeutlicht das Maß der Adaptation der Governance-Formen an die kosten-
relevanten Charakteristika.
Tabelle 1: Kostenrelevante Dimensionen verschiedener institutioneller Arran-gements
Governance-Form
Markt Hybrid Hierarchie
Anreizintensität ++ + --
bürokratische Kon-
trolle
-- + ++
autonome Anpas-
sung
++ + --
koordinierte Anpas-
sung
-- + ++
Vertragsrecht ++ + -- Quelle: eigene Darstellung nach Williamson 1991, 281. Symbolerklärung: ++ = stark ; + = mittel; -- =
schwach
Der Markt kann Tabelle 1 folgend als Koordinationsform mit starker Anreizintensität
über den Preismechanismus charakterisiert werden, der kaum bürokratische Lenkung
zulässt und auf dem sich viele Nutzen maximierende, autonome Individuen ohne
gegenseitige Absprachen auf Preisänderungen einstellen und ihre Transaktionen auf
den klassischen Vertrag stützen. Es bleibt jedoch zu beachten, dass es sich auch hier-
bei um theoretische Konstrukte handelt, deren Grenzen in der Realität häufig flie-
ßend sind. Die Hybridform stellt eine Mischform aus Markt- und Hierarchieausprä-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
36
gungen dar und lässt damit mehr Effizienz als die Hierarchie-Struktur und mehr Ko-
ordinationspotenzial als der Markt zu. Semlinger erfasst die Nachteile der beiden
Koordinationsformen Markt und Hierarchie in der Unvereinbarkeit von Kontrolle
und Autonomie, die bei der Lösung von zunehmend komplexeren Problemstellungen
notwendig sind.
„Die Nachteile der damit verbundenen ex-ante Verhaltensfestlegung [in Markt und Hierar-
chie, Anm. d. V.] werden evident je mehr Spezialisierung zu asymmetrischer Wissenstei-
lung führt, je dynamischer sich das Wissen entwickelt und je komplexer und variabler die
Aufgabenstellungen werden. In dem Maße, wie es heute immer weniger um standardisierte
und statische Aufgabenstellungen geht, sondern um flexible, (kunden-)differenzierte und
innovative Leistungsabforderung, in dem Maße müssen alle Akteure eines arbeitsteiligen
Verbundes hinreichende Freiräume haben, ihr spezielles Wissen weiterzuentwickeln und si-
tuationsgerecht einzubringen. […] Um das verteilte (und ständig wachsende) Wissen inner-
halb eines Verbundes voll nutzen zu können, bedarf es also einer gewissen dezentralen Ent-
scheidungsautonomie. Damit diese Autonomie nun aber nicht zu nachlassendem Engage-
ment und nachlassender Verlässlichkeit führt, braucht es Kontrolle“ (Semlinger 2006, 50f).
Gewisse wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Akteuren in sozialen Bezie-
hungen (hier in arbeitsteiligen Kooperationsbeziehungen z.B. zwischen Zulieferern
und Herstellern) sorgen für ein Maß an Entscheidungskontrolle, das auf Handlungs-
ebene im kooperativ gesteuerten Netzwerk der Autonomie aber nicht entgegenwirkt.
Als vorläufiges Fazit sei an dieser Stelle festzuhalten: Die Theorie der Transaktions-
kosten zeigt sich aufgrund der Komplexität der vertragstheoretischen Ansätze äußerst
bruchstückhaft. Jedoch ist ihr Allgemeinheitsgrad nicht zu unterschätzen. Ebers und
Gotsch sprechen zwar von einem ‚Tunnelblick’ auf Organisationen (dies. 2002, 249),
betonen aber, dass gerade die Einfachheit der Theorie, ihre geschlossene Konzeption
mit einer geringen Anzahl an Faktoren, allgemeine Aussagen und einfache Erklärun-
gen für eine Reihe von empirischen Regelmäßigkeiten in den Organisationsstruktu-
ren und dem Verhalten der Organisationsakteure liefern kann.
2.1.1.2 Theorie der Verfügungsrechte
Die Theorie der Verfügungsrechte findet aufgrund ihrer geringeren Erklärungskraft
für das Innovationsgeschehen in der Medizintechnikbranche nur in Ansätzen Ein-
gang in die vorliegende Untersuchung. Als eine von drei theoretischen Ansätzen der
NIÖ kann sie allerdings nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Zu den Begrün-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
37
dern und Hauptvertretern der Verfügungsrechtstheorie zählen neben Coase (1937;
1960) unter anderen auch Demsetz (1964; 1967) und Alchian (1961). Letzterer ver-
steht die Verfügungsrechte als Grundelement der Wirtschaftstheorie: ‚Im wesentli-
chen untersucht die Wirtschaftstheorie die Verfügungsrechte an knappen Ressour-
cen... Die Allokation knapper Ressourcen in einer Gesellschaft besteht in der Zuwei-
sung von Rechten zur Nutzung dieser Ressourcen...die Frage der Wirtschaftswissen-
schaft bzw. die Frage, wie Preise zu bestimmen seien, ist die Frage, wie und unter
welchen Bedingungen Verfügungsrechte abzugrenzen und zu tauschen seien.’ (zit.n.
Richter/Furubotn 1999, 83).
Verfügungsrechte wirken sich damit in spezifischer Weise auf die Verteilung und
den Nutzen von ökonomischen Ressourcen aus. Das Recht des Eigentums an einem
Gut etc. setzt sich aus dem Recht des Gebrauchs und des Ertrages, dem Recht der
Veränderung und dem Recht der Übertragung zusammen und zählt zu den absoluten
Verfügungsrechten. Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse basieren wiederum auf relati-
ven Verfügungsrechten. Regelungen, die in einem institutionellen Kontext gelten,
bestimmen die Weise, in der ein Akteur eine Ressource nutzen darf – dies geschieht
in der Regel per staatlichem Gesetz. Neben diesem Konzept der Verfügungsrechte an
sich, geht die Theorie generell von dem Verhaltenskonzept eines nutzenmaximieren-
den Individuums aus, wie auch von der Annahme, dass die Bestimmung, Übertra-
gung und Durchsetzung von Verfügungsrechten mit (Transaktions-)Kosten verbun-
den sind. „Eine Kernaussage der Theorie der Verfügungsrechte lautet: Akteure wer-
den bei gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen solche Formen der Ressour-
cennutzung wählen und solche Verfügungsrechtsstrukturen etablieren, die ihren Net-
tonutzen maximieren“ (Erbers/Gotsch 2002, 202). Dabei beeinflusst die Höhe der
Transaktionskosten ganz entscheidend die Allokationsentscheidung der Individuen.
Zusammenfassend leistet die Theorie einen Beitrag zur Erklärung von Verhaltens-
wirkungen verschiedener Eigentumsformen und Unternehmungsverfassungen und
begründet die Notwendigkeit von nicht-marktlichen Organisationsformen und die
spezifischen Strukturen von Verfügungsrechten in ihrer Auswirkung, ihrer Entste-
hung und in ihrem Wandel. Ähnlich wie bei der Transaktionskostentheorie, so kons-
tatieren Ebers und Gotsch (2002), beherrscht ein Operationalisierungsproblem die
Diskussion und macht die empirische Überprüfbarkeit des Konzeptes schwierig, da
die Differenziertheit und Vielfalt von Verfügungsrechtsstrukturen bei weitem nicht
dem einfachen theoretischen Konstrukt entspricht.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
38
2.1.1.3 Agenturtheorie
Die Agenturtheorie bezieht anders als die neoklassische Mikroökonomie die vertrag-
liche Gestaltung von Agenturbeziehungen (Prinzipal-Agent-Beziehungen) in die
Analyse der ökonomischen Leistungserstellung mit ein. „The economic theory of
agency“ (Ross 1973) untersucht dahingehend “die vertragliche Gestaltung der Be-
ziehung zwischen Auftraggeber (‚Prinzipal’) und Auftragnehmer (‚Agent’) unter Be-
dingungen ungleicher Informationsverteilung und Unsicherheit sowie unter Berück-
sichtigung der Risikoverteilung. Sie analysiert typische Probleme von Auftragsbezie-
hungen und erörtert, durch welche Mechanismen (Anreiz-, Kontroll- und Informati-
onssysteme) sich diese Probleme effizient handhaben lassen“ (Ebers/Gotsch 2002,
209). Der normative Forschungsschwerpunkt der Theorie – die ‚principal-agent-
theory’ – untersucht dabei auf einem hohen Abstraktionsniveau die entscheidungslo-
gisch-formale Darstellung einer pareto-optimalen Vertragsbeziehung. Mathematische
Modelle bilden hierbei die Grundlage. Die deskriptive Richtung – die ‚positive agen-
cy theory’ – ist stärker empirisch ausgerichtet und weist Bezüge zur Theorie der Un-
ternehmung auf. Im Vordergrund stehen zum einen Vorschläge zu ergebnisorientier-
ten Vergütungssystemen (Kontrollstrukturen) bei Managern zur Risikominimierung
seitens des Prinzipals, zum anderen die Kontrollinstanzen der Aufsichtsräte, denen
Manager und Vorstände Rechenschaft ablegen müssen. (vgl. u.a. Arrow 1985; Ei-
senhardt 1989; Jensen/Murphy 1990).
Organisationen und ihre Umweltbeziehungen werden als Netzwerke von individuel-
len Verträgen betrachtet und damit wird die bislang formulierte Trennung von ‚Or-
ganisation’ und ‚Umwelt’ innerhalb der Organisationstheorie überwunden. In Anleh-
nung an die beiden anderen Ansätze der NIÖ steht auch das Verhaltensmodell des
‚homo oeconomicus’, allerdings unter den Bedingungen des Opportunismus und der
ungleichen Informationsverteilung, im Vordergrund. Zudem gelingt eine optimale
Vertragsgestaltung nicht ohne Berücksichtigung von (Agentur-)Kosten (Steuerungs-
und Kontrollkosten, Garantiekosten sowie Residualkosten). Probleme, die in den
Vertragsbeziehungen zwischen Prinzipal und Agenten auftauchen, bestehen aufgrund
von Interessenunterschieden und asymmetrischer Information. Verfügt der Agent ex
ante oder auch in der Phase zwischen Abschluss und Vertragserfüllung über Informa-
tionen, die dem Prinzipal verborgen sind, spricht man von dem Konflikt der ‚hidden
information’. Der Agent kann diesen Wissensvorsprung im eigenen Interesse ausnut-
zen, dadurch wächst das Risiko für den Auftraggeber. Ein weiteres Agenturproblem
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
39
stellt die ‚hidden action’ (vgl. Arrow 1985) dar. In dem Zeitraum zwischen Vertrags-
erfüllung und Abschluss hat der Prinzipal ohne die Einwirkung von Kontrollsyste-
men wenig Kenntnis über die Handlungsmöglichkeiten und über das reale Verhalten
des Agenten. Beide Probleme beruhen auf Interessenunterschieden und asymmetri-
scher Informationsverteilung zuungunsten des Prinzipals, deshalb konstatiert die
Agenturtheorie, „daß Agenten solange die Leistung reduzieren oder Ressourcen
zweckentfremden, wie ihre Aufträge unmittelbar ihren eigenen Interessen entspre-
chen“ (Ebers/Gotsch 2002, 214). Aus diesem Grund liegt das zweite Hauptaugen-
merk der Theorie auf der Analyse geeigneter Anreiz-, Kontroll- und Informations-
mechanismen. Wie bereits oben angeführt, können diese z.B. in Form einer Gewinn-
beteiligung des Agenten am Ergebnis oder in der Ausweitung der Rechenschafts-
pflicht bestehen.
Die Vorteile der Theorie können – ähnlich wie bei der Transaktionskostentheorie und
der Theorie der Verfügungsrechte – in der einfachen Konstruktion derselben gesehen
werden. Durch die Verhaltensannahme des Opportunismus und der begrenzt rationa-
len Akteure sowie der Agenturkosten erweitert sie die vereinfachten Annahmen des
neoklassischen Modells des Austausches hin zu einem ‚größeren’ Wirklichkeitsbe-
zug. Probleme ergeben sich wiederum durch Schwierigkeiten bei der Operationali-
sierung, vor allem durch die kaum bestimmbare Höhe der Agenturkosten, die eine
empirische Überprüfbarkeit diffizil machen. Zudem ist die meist eingeschränkte
Sicht auf den Prinzipal – d.h. die Rolle des Agenten allein wird als problematisch
erfasst – realitätsfern, im Modell aber bewusst so angelegt.9
2.1.1.3 Zwischenresümee
Bevor sich der Fokus im Folgenden auf die institutionenökonomischen Annahmen
von Innovation und Netzwerken richtet, werden die wichtigsten Faktoren der drei
Theorien innerhalb der NIÖ zusammengefasst (vgl. Tab. 2).
9 Da die Agenturtheorie im Rahmen dieser Arbeit nur in Ansätzen diskutiert wird, muss der Hinweis auf Ebers/Gotsch 2002, 221ff. genügen, die eine Fülle an weiteren Kritikpunkten zusammenfassend darstellen.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
40
Tabelle 2: Überblick über die Annahmen der drei Theorieteile der NIÖ Transaktionskosten-
theorie
Agenturtheorie Theorie der Verfü-
gungsrechte
Verhaltensannahmen - begrenzt rationale
Akteure
- individuelle Nutzen-
maximierung
- Opportunismus
- begrenzt rationale
Akteure
- individuelle Nutzen-
maximierung
- Opportunismus
- individuelle Nutzen-
maximierung
Charakteristika der
Institutionen
Vertrag (klassisch,
neoklassisch und relati-
onal)
- ex post Betrachtung
Vertrag (undifferen-
ziert)
- ex ante Betrachtung
Verteilung und Gestal-
tung von Verfügungs-
rechten in Vertragsbe-
ziehungen
- ex ante Betrachtung
Austausch-
beziehungen
Dimensionen von
Transaktionen:
- Faktorspezifität
- Unsicherheit
- Häufigkeit
Transaktionen unter
folgenden Bedingun-
gen:
- asymmetrische Infor-
mation
- Risikoverteilung
- Unsicherheit
keine spezifische Cha-
rakterisierung
Kosten- und Effi-
zienzbestimmung
- Transaktionskosten
- Bestimmung der Effi-
zienz der Institutionen-
wahl und -gestaltung
ausgerichtet an indivi-
duellem Effizienzkalkül
(kosteneffizientes Ma-
nagement von Tausch-
beziehungen)
- Agenturkosten
- Bestimmung der Effi-
zienz der Institutionen-
wahl und -gestaltung
ausgerichtet an indivi-
duellem Effizienzkalkül
(kosteneffizientes Ma-
nagement von Tausch-
beziehungen)
- Transaktionskosten
- Bestimmung der Effi-
zienz der Institutionen-
wahl und -gestaltung
ausgerichtet an indivi-
duellem Effizienzkalkül
(kosteneffizientes Ma-
nagement von Tausch-
beziehungen)
Quelle: eigene Darstellung
Alle drei Theorien zielen auf die Steuerungs- und Kontrollschemata innerhalb der
Institutionenanalyse und deren Auswirkung auf das Verhalten von Akteuren ab. Ge-
genüber der neoklassischen Mikroökonomie liegt die große Bedeutung der Institutio-
nenökonomie darin, dass sie umfassende Organisationsanalysen möglich macht und
die Wahl der institutionellen Arrangements auf wirtschaftliche Kalküle zurückzufüh-
ren ist, wodurch sie soziologische Organisationstheorien um Knappheits- und Effi-
zienzaspekte zur Erklärung des Gegenstandes und Wandels von organisatorischen
Strukturen ergänzt und damit eine Verbindung von Wirtschafts- und Organisations-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
41
theorie herstellt. Einschränkungen hinsichtlich ihrer Reichweite sind bei allen drei
Theoriesträngen durch die begrenzten Verhaltensannahmen gegeben. Damit werden
Faktoren wie Macht, Tradition, Vertrauen oder beispielsweise soziale Bindungen
ausgeblendet. Des Weiteren stehen lediglich Steuerungs-, Kontroll- und Anreizas-
pekte von Institutionen im Vordergrund der Analysen, so dass Macht- und Herr-
schaftsfragen, aber auch der Zusammenhang von Verteilungsgerechtigkeit und Insti-
tutionenwahl und -gestaltung außer Acht gelassen werden. Mit ihrer Konzentration
auf vertragstheoretische Aspekte der Institutionenanalyse bleiben andere Organisati-
onsprobleme wie z.B. Gruppenprozesse unbeachtet (vgl. Ebers/Gotsch 2002).
2.1.2 Wirtschaftliches Wachstum und Innovationen in der Neuen Institutionenöko-
nomik
„Innovation ist eine kreative Handlung, in der neue Kombinationen von Methoden
und Maschinen situativ geschaffen werden und gleichzeitig alle bisher produzierten
Werte, bestens funktionierende Fabrikanlagen wie höchst entwickelte Fähigkeiten
der Arbeitskräfte, radikal entwertet werden“ (Rammert 1997, 397). Ist somit Innova-
tion im schumpeterianischen Sinne ein Akt der schöpferischen Zerstörung? Die in-
novationstheoretische Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie die Innovations-
funktion wahrgenommen wird (vgl. u.a. Heidenreich 2001). Wer oder was sind die
treibenden Kräfte im Innovationsprozess? Der dynamische Unternehmertypus wie
Joseph A. Schumpeter ihn in den 1950er Jahren sah oder etwa staatliche bzw. private
Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen? Vielleicht sind es aber auch weit über
die ‚demand-pull’- und ‚technology-push’-Ansätze (vgl. Dosi 1982) hinausgehende
interorganisationale, oftmals regionale Netzwerke von Herstellern, Anwendern und
Wissenschaftlern (vgl. u.a. Cooke et al 2004, Freeman 1991)?
Im Folgenden werden vor allem die institutionell-historischen Ansätze – die tech-
nisch-ökonomische Zusammenhänge und ihre historische Entwicklung aus mikro-
ökonomischer Sicht erklären – zur Erklärung von technischem Fortschritt und Inno-
vation nach Dosi und Freeman genauer betrachtet. Im Einklang mit dieser Denkrich-
tung steht der Ansatz der ‚Nationalen Innovationssysteme’, dessen Ursprünge im 19.
Jahrhundert auf Friedrich List zurückgehen und aktuell von Nelson, Lundvall und
Porter diskutiert werden. Darauf aufbauend folgt ein ökonomischer Diskurs über
Innovationsnetzwerke. Vorab gilt es in einem kurzen Exkurs die Problematik des
derzeitigen inadäquaten Innovationsgeschehens in Deutschland zu durchleuchten.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
42
EXKURS: Probleme des deutschen Innovationsgeschehens
Bis auf einige wenige konjunkturelle Hochphasen leidet die deutsche Volkswirt-
schaft seit gut 30 Jahren unter einer Wachstumsschwäche. Wobei sich immer deutli-
cher herauskristallisiert, dass es sich weniger um eine konjunkturelle Schwäche, als
vielmehr um ein strukturelles Problem handelt. Zu hohe Produktions-, vor allem
Lohnnebenkosten und eine generelle Innovationsschwäche werden der deutschen
Industrie attestiert. Gerade traditionelle industrielle Branchen wie der Maschinen-
oder der Automobilbau – jahrzehntelang die Aushängeschilder der deutschen Wirt-
schaft – geraten zunehmend unter den Druck internationaler Konkurrenz. Ein zentra-
les Problem stellt vor allem die geringe Umsetzungsrate von Grundlagenforschung
hin zu Entwicklung und Anwendung dar oder wie Freeman (1991, 501) konstatiert:
„The problem of innovation is to process and convert information from diverse sour-
ces into useful knowledge about designing, making and selling new products and
processes.“
Die nachkriegszeitlichen industriellen Innovationsmuster geraten zunehmend unter
Veränderungsdruck. So reichten die Wurzeln des deutschen Innovationsgeschehens
in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts historisch weit zurück. Wichtigstes
Merkmal des technologischen Fortschritts war der inkrementelle Charakter der Inno-
vationen: Sie bauten in der Regel auf konventionellen Technologien auf, verliefen
auf festgeschriebenen Entwicklungspfaden und wurden schrittweise in herkömmliche
Produktionsschritte und -verfahren aufgenommen. Darüber hinaus gab es eindeutig
zuzuordnende Zentren des Innovationsgeschehens, meist ein, den Prozess vorantrei-
bendes Unternehmen einer Branche, um das sich weitere Akteure organisierten.
Hirsch-Kreinsen (1997, 157) bezeichnet diese Art des nachkriegszeitlichen Innovati-
onsmusters als „kooperativ-praxisorientiert“, aber durchaus technologisch konventi-
onell. In Zeiten des globalen Wettbewerbs, wo sich die Konkurrenz um Produkte und
Ideen verschärft hat, reichen die routinierten Innovationsmuster mit ihren gewohnten
Tempi nicht mehr aus. Ursachen für den zunehmenden Veränderungsdruck sind zum
einen die schnelle Zunahme von ‚Hochtechnologiewissen’ z.B. in der Informatik, der
Mikroelektronik, der Nano- und Biotechnologie, so dass gerade neue Wirtschafts-
segmente wie beispielsweise die Medizintechnik immer forschungsbasierter werden.
Zu nennen ist aber auch das, durch die Globalisierung hervorgerufene beschleunigte
Innovationstempo. Immer kürzere Markteintrittszeiten (die so genannte Minimierung
des ‚time to market’) bestimmen die neuen Innovationsmuster. Einhergehend mit
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
43
letzterem sei an den flexibleren und immer spezieller werdenden Technikeinsatz sei-
tens der Anwender gedacht, der Massenproduktion und standardisierte Güter zuse-
hends ausgrenzt. Die treibenden Kräfte der Globalisierung machen auch vor For-
schung und Entwicklung nicht halt, Innovationsprozesse sind heutzutage vermehrt
Prozesse transnationalen Lernens entlang gesamter Wertschöpfungsketten (vgl.
Hirsch-Kreinsen 1997 sowie Gerybadze et al 1997).
Wie Rammert (1997, 8) bemerkt sind moderne „Gesellschaften [...] auf Gedeih und
Verderb zur Innovation verdammt“ und darum gilt es neue Strukturen und Muster zu
identifizieren, die auch dem Problem der Kooperationswiderstände seitens der Ak-
teure entgegenwirken.
Um innovative Problemlösungswege aufzeigen zu können wird im Folgenden der
Blick auf die ökonomische Theorie zu den Entwicklungsmöglichkeiten technologi-
scher Strukturen innerhalb und zwischen Branchen und Sektoren gerichtet, sowie auf
die Konzeption von nationalen Innovationssystemen (vgl. Dosi 1982; 1988 sowie
Freeman 1991; Freeman/Soete 1999 als auch Westermann 1997; Porter 1993; Lund-
vall 1992). Die neoklassische Theorie stößt bei der Erklärung von Innovation und
technischem Fortschritt bedingt durch ihren Fokus auf gleichgewichtstheoretische
Annahmen und der Trennung von Ökonomie und Technik (technischer Fortschritt
wird nicht durch ökonomische Aktivitäten beeinflusst)10 schnell an ihre Grenzen.
Daher gehen vor allem neuere Ansätze in evolutionärer und institutionalistischer
Tradition von existenziellen Ungleichgewichten und heterogenen technologischen
Entwicklungen aus, die für wirtschaftliches Wachstum und Innovation verantwort-
lich sind. So können die Arbeiten von Dosi und Freeman ganz in der Tradition der
institutionell-historischen Schule gesehen werden, die versucht, einen klaren Gegen-
pol zur neoklassischen Theorie zu etablieren. Aufbauend auf dem realen technologi-
schen Wandel bilden die Institutionalisten Typologien und Klassifikationen, wobei
sie auch strukturelle, technische und sozioökonomische Entwicklungen in histori-
scher Sicht mit einbeziehen und auf Basis von empirischem Datenmaterial Hypothe-
sen über die technischen Entwicklungsschritte formulieren. Diese sind qualitativer
10 Eine Ausnahme bildet die ‚Endogene Wachstumstheorie’ oder auch ‚Neue Wachstumstheorie’ genannt, die als Kritik auf die neoklassischen Wachstumsmodelle in den 80er Jahren entwickelt wurde und die technischen Fortschritt unter Einbezug von Lernprozessen, FuE-Ausgaben oder Beschäftig-tenanzahl sowie Altersstrukturen von Kapitalstöcken zu erklären versucht (vgl. Westermann 1997, Arnold 1997 oder Romer 1990). Allerdings bleiben auch hier technologische Unregelmäßigkeiten, die durch Innovationen verursacht werden, unerklärt.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
44
Art und grenzen sich damit von den Formalmodellen der Neoklassik ab (vgl. Grupp
1997).
Technologische Paradigmen als Motoren eines innovativen Wirtschaftsgeschehens
Mit seinem Paradigmen-Trajektorien-Ansatz verweist Dosi (1982; 1988) vor al-
lem auf die Heterogenität der beteiligten Akteure. Sein mikroökonomisch orientierter
Ansatz zur Erklärung von technischem Fortschritt stellt technische Innovationen als
Ergebnis von Prozessen dar. Dabei führt er den Begriff des ‚technologischen Para-
digmas’ ein und versteht darunter „a ‚pattern’ of solution of selected technoeconomic
problems based on highly selected principles derived from natural sciences, jointly
with specific rules aimed to acquire new knowledge and safeguard it [...] against ra-
pid diffusion to the competitors“ (Dosi 1988, 1127).
Innovationen werden also als an ein Paradigma11 gebundene Problemlösungsprozes-
se angesehen, die von zwei Faktoren abhängen: den unterschiedlichen Chancen zum
Zugang zu Schlüsseltechnologien (je nach Unternehmen und Branche differierende
Strategien) und den Aneignungsmöglichkeiten der Innovationsrenten durch das Un-
ternehmen als Institution (vgl. Grupp 1997). Das technologische Paradigma legt so-
mit neben den technologischen Chancen Priorität auf bestimmte Such- und Problem-
lösungsmuster im Innovationsprozess, bei denen Wissen aggregiert wird wie auch
auf die ökonomisch relevanten Probleme. Technische Neuerungen hängen damit von
der Sammlung und Anhäufung von Wissen ab, das zum einen firmenspezifischer und
kumulativer (Erkenntnisse aus der Vergangenheit fließen in Suchprozesse mit ein)
Art ist, zum anderen aus allgemeinem und speziellem wissenschaftlichen Know-How
besteht. Jedes Paradigma besteht demzufolge aus bestimmten Suchmustern und ver-
schiedenen Wissensbasen, einer Kombination aus unternehmensinternem und öffent-
lich zugänglichem technologischem Wissen (z.B. aus der Grundlagenforschung an
den Universitäten). Der institutionalistischen Tradition folgend ist der Innovations-
prozess charakterisiert durch eine starke Form der Unsicherheit, die mit unvollstän-
11 Unter den vielen in der Literatur zu findenden allgemeinen Verwendungen des Paradigma-Begriffs findet das Verständnis von Stegmüller exemplarisch Eingang in diese Arbeit: „Zu einem Paradigma gehört eine gemeinsame intuitive Grundeinstellung gegenüber einem Bereich von Phänomenen; es bestimmt darüber hinaus, was für Fragen unter den Forschern als wichtige und relevante Probleme anerkannt sind und welche Lösungsmethoden als zulässig erachtet werden. Ja noch mehr: Das ge-meinsame Paradigma reicht über das rein Theoretische hinaus und ist mitbestimmend für das, als was etwas wahrgenommen oder beobachtet wird“ (1987, 293).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
45
diger Information der Akteure einhergeht. Dosi (1982) sieht in den technologischen
Paradigmen eine Möglichkeit, diese Unsicherheit zu reduzieren, da Entwicklungen
im Zeitverlauf auf technologischen Pfaden (den so genannten Trajektorien) ablaufen
und damit eine bestimmte Richtung technischen Wandels vorgegeben wird. Innova-
tionsprozesse sind häufig auch durch Paradigmen- und Pfadänderungen gekenn-
zeichnet, sobald neue Erkenntnisse alte Ergebnisse vernachlässigbar machen.
Dosis Annahmen gehen von zwei Blickwinkeln aus, dem intersektoralen und dem
intrasektoralen. Zwischen Branchen (intersektoral) ergeben sich Unterschiede in Be-
zug auf Innovationsprozesse und technologische Chancen hinsichtlich Regelungen
zum Patentschutz, Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Forschungssystem etc. e-
benso wie durch marktliche Anreizmechanismen wie Nachfrage, Einkommens- und
Preiselastizität. In den einzelnen Branchen (intrasektoral) ergeben sich Unterschiede
institutioneller Art, bedingt durch differierende Unternehmensgrößen und -strukturen
als auch durch Strategieunterschiede (z.B. durch den Grad des internen Know-hows).
Pavitt (1984) – den Dosi zur Erklärung seiner Annahmen heranzieht – typisiert das
industrielle Innovationsverhalten in vier Sektoren:
1. ‚Supplier-dominated Sectors’ mit den folgenden Kennzeichen:
Prozessinnovationen, die hauptsächlich als Verbreitung von ‚best-
practice’ Kapitalgütern oder Inanspruchnahme von innovativen inter-
mediären Inputs (z.B. die Verwendung von Basiserfindungen wie syn-
thetische Fasern bei der Weiterentwicklung von modernen Textilien)
gesehen werden;
Tendenz zu kleiner Unternehmensgröße mit wenig Aufwand in eige-
nen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (FuE-Abteilungen)
(z.B. Textilindustrie oder Landwirtschaft);
2. ‚Specialized Suppliers’ mit den folgenden Kennzeichen:
Produktinnovationen, die anderen Sektoren häufig als Kapitalinputs
dienen unter Verwendung von firmenspezifischem, ‚stillschweigen-
dem’ Wissen;
Tendenz zu kleiner Unternehmensgröße, enger Kontakt zu Verbrau-
cher, wenig formalisierte FuE (z.B. Maschinenbau- oder Werkzeugin-
dustrie)
3. ‚Scale-intensive Sectors’ mit den folgenden Kennzeichen:
Produkt- und Prozessinnovationen entlang der Wertschöpfungskette
(komplexe Produktserien) mit großer Bedeutung von Skaleneffekten;
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
46
Tendenz zu großen Unternehmen mit hohem Aufwand an FuE (z.B.
Metall- oder Lebensmittelindustrie)
4. ‚Science-based Sectors’ mit den folgenden Kennzeichen:
Innovationen bauen auf wissenschaftlicher Grundlagenforschung auf
und dienen häufig anderen Sektoren als intermediäre Inputs;
Tendenz zu großen Unternehmen mit eigenen FuE-Laboratorien (gro-
ßes Investitionsvolumen in FuE), aber auch hoch spezialisierte kleine
Firmen (z.B. chemische Industrie, Pharma- und Biotechnikindustrie)
Dosi fasst die Unternehmensgröße und die Industriestruktur als endogene Variablen
des Innovations- und Wettbewerbsprozesses auf. Grupp (1997, 82) kritisiert, dass
durch die Wissenschaftsgebundenheit nur eines Sektors die staatliche und nichtindus-
trielle Wissenschaftsinfrastruktur keine Berücksichtigung findet. Staatliche Techno-
logiepolitik beeinflusst durchaus die Chancen und Aneignungsmöglichkeiten der
Unternehmen (bspw. durch marktliche Nachfrageanreize, Risikokapital etc.).
Im Einklang mit Dosi sieht auch Freeman die Verbindung von Technik und Wissen-
schaft als Voraussetzung zur Erklärung von unternehmerischen Innovationsprozes-
sen. In seinem Werk ‚The Economics of Industrial Innovation’ (1999) zeigt er an-
hand eines historischen Rückblicks von den wirtschaftlichen Wachstumsmärkten
(Chemie, Mineralöl, Kunststoffe) des 20. Jahrhunderts hin zu Entwicklungen in der
Automobiltechnik und der elektronischen Industrie (Computer) die zunehmende Pro-
fessionalisierung und Wissensbasierung (vermehrt durch wissenschaftliche Erkennt-
nisse) von Innovationstätigkeiten. Freeman betont damit die Bedeutung von formali-
sierten FuE-Laboratorien, sowohl unternehmensintern als auch -extern. Als Ursachen
für den Professionalisierungsprozess sieht er nicht nur den wissenschaftlichen Cha-
rakter neuzeitlicher Technologien, sondern auch die wachsende Komplexität von
High-Tech-Netzwerktechniken und den Trend zur Spezialisierung am Arbeitsplatz.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
47
Nationale Innovationssysteme – die Berücksichtigung von Institutionen im Innovati-
onsprozess
Mit der Absage an lineare Innovationsmodelle, die einen sequentiellen Prozessablauf
von der Grundlagenforschung über die Entwicklung bis hin zum marktreifen Produkt
verfolgt haben, wendet sich die Forschung in den 80er Jahren vor allem den Rück-
kopplungs- und Interaktionsverläufen zwischen den verschiedenen Ebenen im Inno-
vationsprozess zu, was schließlich in den 90er Jahren in Annahmen von Netzwerk-
modellen mündet (vgl. Howaldt et al 2007). Mit dem Ansatz der ‚Nationalen Innova-
tionssysteme’ wird vor allem die Bedeutung von Institutionen im Wechselspiel von
technischem Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum betont, denn sie sind für die
Durchführung, Umsetzung und Finanzierung von Forschung und Entwicklung ver-
antwortlich. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Verknüpfung von Staat, Wirtschaft
und Wissenschaft, die ein nationales Innovationssystem bilden. Der Staat bzw. die
Politik setzt dabei durch die Gesetzgebung und die nationale Forschungs- und Tech-
nologiepolitik Rahmenbedingungen, die Wirtschaft investiert in Forschung und Ent-
wicklung und setzt die Ergebnisse in marktfähige Produkte und Prozesse um und das
Wissenschaftssystem mit seinen öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen
betreibt sowohl Grundlagen- als auch anwendungsorientierte Forschung. Die Ur-
sprünge dieser Denkrichtung gehen auf Friedrich List Mitte des 19. Jahrhunderts
zurück, der mit seinem Buch ‚Das nationale System der politischen Ökonomie’ (List
1971) eine Gegenposition zu Adam Smith einnimmt. List sieht verschiedene Ursa-
chen für den Wohlstand einer Nation und erweitert damit den eingeschränkten
Blickwinkel Smiths, der die Arbeit als den entscheidenden Produktionsfaktor in den
Vordergrund seiner Überlegungen stellt. „Der jetzige Zustand der Nationen ist eine Folge der Anhäufung aller Entdeckungen, Erfindungen, Verbesserungen, Vervollkommnungen und Anstrengungen aller Genera-tionen, die vor uns gelebt haben; sie bilden das geistige Kapital der lebenden Mensch-heit; und jede Nation ist nur produktiv in dem Verhältnis, in welchem sie diese Errun-genschaft früherer Generationen in sich aufzunehmen und sie durch eigene Erwerbun-gen zu vermehren gewusst hat“ (List 1971, 179).
Auch die Rechtsordnung und die staatliche Gesetzgebung sowie freies Grundeigen-
tum und Transportmittel werden als Ursachen der produktiven Kräfte verstanden. Mit
seinen Überlegungen zur Rolle der Politik im Wirtschaftprozess legte List die Grund-
lagen für die Wirtschafts-, Ordnungs- und Bildungspolitik im Preußen des 19. Jahr-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
48
hunderts. Damit betonte er offenkundig die Bedeutung des Einflusses des Staates auf
die ökonomischen Strukturen.
Seine Ideen haben Eingang in die gegenwärtigen Ansätze zu nationalen Innovations-
systemen gefunden. Hervorzuheben sind hier besonders die Ausführungen von Lund-
vall und Porter12, die im Folgenden in gegebener Kürze dargestellt werden. Allen
Ansätzen gemein ist das grundlegende Verständnis der nationalen Innovationssyste-
me als Netzwerke von Institutionen im öffentlichen und privaten Sektor, dessen Akti-
vitäten und Interaktionen neue Technologien initiieren, modifizieren und verbreiten
(vgl. Freeman 1987). Es geht folglich um das Zusammenspiel von Unternehmen, For-
schungseinrichtungen und staatlichen Akteuren, um neue Technologien zu entwi-
ckeln, zu finanzieren und somit die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft
zu sichern.
Lundvall (1988; 1992) hebt in seinen Arbeiten zu nationalen Innovationssystemen
und interaktivem Lernen vor allem die Bedeutung von Anwender-Hersteller-
Beziehungen hervor, die innerhalb eines nationalen Produktionssystems zu finden
sind. Zudem verweist er auf indirekte und direkte Austauschbeziehungen. For-
schungsinstitutionen bieten technisches Know-how an und stehen in engen Koopera-
tionen zu den nationalen Unternehmen, um gemeinsame Produktentwicklung zu
betreiben.
Diese Art der Beziehung ist als direkt einzustufen. Eine indirekte Zusammenarbeit
findet sich hingegen bei dem qualitativen Austausch von Informationen zwischen
Anwendern und Herstellern. Erstere informieren die Hersteller über ihre Bedürfnis-
strukturen und erhalten im Gegenzug Informationen über die Möglichkeiten der tech-
nischen Umsetzung. Lundvalls Blickwinkel beschränkt sich dabei nicht nur auf den
Bereich der Forschung und Entwicklung, sondern bezieht den tatsächlichen Produkti-
onsprozess wie auch ein Finanzierungssystem mit ein. Dabei steht die Wissensbasie-
rung der modernen Ökonomie im Vordergrund seiner Überlegungen, was wiederum
die Bedeutung von kollektiven Lernprozessen hervorhebt. Komplexe Lernprozesse
innerhalb und zwischen Unternehmen bzw. zwischen Unternehmen und Forschungs-
einrichtungen müssen vor dem Hintergrund von kulturellen Strukturen und einem
institutionellen Rahmen verstanden werden, sie sind folglich sozial eingebettet. Dar-
über hinaus zeichnet sich ein nationales Innovationssystem durch regulierende und
fördernde Maßnahmen des öffentlichen Sektors und durch ein breites Finanzierungs- 12 Vgl. auch zur Diskussion um nationale Innovationssysteme die Arbeiten von Nelson (1988; 1993) und Freeman (1995).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
49
system aus, das u.a. privates Kapital zur Verfügung stellt. Des Weiteren sind die nati-
onalen Bildungssysteme bedeutsam für die Bereitstellung von adäquatem Humanka-
pital.
Einen wichtigen Beitrag zur Debatte um nationale Innovationssysteme und Wettbe-
werbsvorteile liefert Michael E. Porter (1993; 1995; 2000), der Branchen- und Unter-
nehmensstrategien sowie die Rolle der staatlichen Politik in westlichen und südost-
asiatischen Ländern untersucht. Porter bezeichnet sein System der Bestimmungsfak-
toren zur Ausschöpfung nationaler Wettbewerbsvorteile als ‚Investitions- und Innova-
tionstheorie’. Um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen
innovativ tätig sein, d.h. in Forschung und Entwicklung, moderne Techniken und
Anlagen und in eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung investieren. Zur Analyse
dieser Wettbewerbsstrategien hat Porter das Modell des ‚Diamanten’ entworfen, das
Bestimmungsfaktoren und deren Wechselbeziehungen für eine erfolgreiche Unter-
nehmens- und Branchenentwicklung und letztlich für ein nationales Innovationssys-
tem aufzeigt. Das Zusammenspiel der Bestimmungsfaktoren, ihre gegenseitige Ver-
stärkung kann schließlich zur Bildung von Clustern in einem regionalen Umfeld füh-
ren. Im Folgenden wird die Grundstruktur des Modells unter Berücksichtigung der
Rolle des Staates nachgezeichnet.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
50
Abbildung 4: Porters 'Diamant' unter Berücksichtigung der Rolle des Staates auf die vier Bestimmungsfaktoren des nationalen Wettbewerbsvorteils
Quelle: Porter (1993, 151).
Porter sieht die angemessene Rolle des Staates – der die vier Bestimmungsfaktoren
positiv und negativ beeinflussen kann – als die „eines Anschiebers und Herausforde-
rers“ (1993, 699). Dabei kann der Staat in erster Linie nur indirekt eingreifen, in dem
er das Unternehmensumfeld in der Art prägt, dass Firmen einen Wettbewerbsvorteil
erzielen können. Dies kann auf den Gebieten der Bildungs- und Steuerpolitik, aber
auch im Kartellrecht oder bei Regulierungsmaßnahmen geschehen. Im Einzelnen
gestalten sich der Einfluss der vier Bestimmungsfaktoren und die Rolle des Staates
wie folgt:
1. Faktorbedingungen
Gemeint sind die Produktionsfaktoren eines Landes, d.h. die allgemeine Ausstat-
tung an Produktionsfaktoren (wie z.B. Quantität und Qualität der Arbeitskräfte),
natürliche Faktoren (geographische Lage, Klima, Rohstoffvorkommen), Instituti-
onen des Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung, Infrastruktur und Kapi-
talverfügbarkeit, die hierarchisch nach ihrer Bedeutung geordnet werden können.
So stehen gut qualifizierte Arbeitskräfte und eine breit gefächerte Forschungs-
und Bildungsinfrastruktur (fortschrittliche Faktoren) oben in der Rangordnung,
währenddessen die natürliche Ausstattung (Basisfaktoren) aufgrund der zuneh-
menden Wissensbasierung ökonomischer Tätigkeiten eher am unteren Ende der
Zufall
Unternehmensstrategie, Struktur und Wettbewerb
Nachfragebedingungen
Faktorbedingungen
Verwandte und unterstüt-zende Branchen
Staat
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
51
Skala rangiert. Hinzu kommen spezielle Faktoren wie Personen mit Spezialaus-
bildung oder wissenschaftliche Institute, die sich auf eine bestimmte Branche
konzentrieren. „Am klarsten und dauerhaftesten ist ein Wettbewerbsvorteil, wenn
ein Land Faktoren besitzt, die für den Wettbewerb in einer bestimmten Branche
gebraucht werden und sowohl fortschrittlich als auch speziell sind“ (Porter 1993,
102). Der Staat spielt in der Faktorbildung und -aufwertung eine entscheidende
Rolle, da er u.a. für das Schul- und Hochschulsystem als auch für die Struktur der
Ausbildung verantwortlich ist. Da sich Wettbewerbsvorteile aber hauptsächlich
durch fortschrittliche und spezielle Faktoren, die in enger Verbindung zu den
Branchen stehen, ergeben, können staatliche Akteure ohne die Faktor bildenden
Maßnahmen der Unternehmen – spezielle Ausbildungsprogramme oder bran-
chenzentrierte Forschungsprojekte zu initiieren – allein wenig Einfluss ausüben.
2. Nachfragebedingungen
Der Inlandsnachfrage kommt der zweite bedeutende Einflussfaktor auf die Wett-
bewerbsfähigkeit zu. Die Art der Käuferbedürfnisse (anspruchsvolle Käufer, an-
tizipatorische Käuferbedürfnisse, die die Bedürfnisse von Käufern in anderen
Ländern vorwegnehmen) und die Verteilung der Nachfrage nach bestimmten Gü-
tern gehören dabei zu den wichtigsten Aspekten. Zudem verstärken die Größe
und die Wachstumsrate der Nachfrage die Wettbewerbsvorteile. Ein schnelles
Wachstum der Inlandsnachfrage verleitet Unternehmen beispielsweise zu einer
rascheren Adaption neuer Technologien und zur Investition in neue Anlagen.
Darüber hinaus ist auch eine internationale Verbreitung der Produkte und Dienst-
leistungen entscheidend. Diesen Aspekt können mobile inländische Käufer an-
treiben, in dem sie zu Kunden auf Auslandsmärkten werden. Der Staat tritt in
diesem Zusammenhang häufig als Käufer von Dienstleistungen und Gütern in
Erscheinung. Beeinflussend wirken vor allem regulierende Maßnahmen auf Pro-
duktanforderungen und Herstellungsverfahren (z.B. Umweltauflagen, Qualitäts-
standards).
3. Verwandte und unterstützende Branchen
Die Existenz von international wettbewerbsfähigen Zuliefererbranchen und ver-
wandten Branchen ist der dritte Bestimmungsfaktor. Hierbei spielen vor allem
ausgeprägte Kooperationsstrukturen eine entscheidende Rolle. Durch die enge
Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen Zulieferern und End-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
52
herstellern können neue Verfahren und Technologien effizienter umgesetzt und
das Innovationstempo gesteigert werden. Wettbewerbsvorteile durch verwandte
Branchen entstehen durch ähnliche Wertschöpfungsketten oder die Herstellung
von komplementären Produkten (z.B.: Computer und Anwendungssoftware).
Damit können teilweise dieselben Technologien genutzt werden, was zu einer,
bedingt durch die stärkere Marktmacht, Forcierung ihrer Weiterentwicklung füh-
ren kann. Die staatliche Politik übt ihren Einfluss durch die Unterstützung bei der
Clusterbildung aus. So können die Akteure Forschungseinrichtungen und Bil-
dungsträger in Anlehnung an die örtliche Branchenkonzentration ansiedeln oder
Technologiezentren initiieren.
4. Unternehmensstrategie, Struktur und Wettbewerb
Die Organisationsstrukturen und die strategische Ausrichtung von Branchenun-
ternehmen als auch die inländische Konkurrenz bilden den vierten Bestimmungs-
faktor. Unternehmensziele, Unternehmens- und Branchenstruktur müssen aufein-
ander abgestimmt sein. Auf der anderen Seite fördert ein gewisses Maß an Kon-
kurrenz aber auch die Innovationstätigkeit der Unternehmen. Zudem beeinflusst
auch die Art der Unternehmensführung die Positionierung im Wettbewerb. Porter
(1993, 132) verweist beispielsweise auf die vermehrt technische Ausbildung vie-
ler Unternehmensmanager in Deutschland, die eine große Neigung zu methodi-
schen Produkt- und Verfahrensverbesserungen aufweisen. Dies wirkt sich positiv
auf die stark technikorientierten Branchen des Maschinenbaus oder der Automo-
bilindustrie aus, die zu den erfolgreichen deutschen Industriesegmenten zählen.
Der Staat kann durch Maßnahmen der Exportförderung die global ausgerichteten
Unternehmensstrategien fördern, z.B. durch Regelungen über direkte Auslandin-
vestitionen. Als weiteres Beispiel können die Investitionstätigkeiten von Unter-
nehmen durch eine unternehmensfreundliche Kapitalertragssteuer angeregt wer-
den. Porter (1993, 680) spricht sich zudem für eine Stärkung des Kartellrechts
aus, um den Inlandswettbewerb zu stärken, denn – so sein Argument – nur Un-
ternehmen, die am heimischen Markt konkurrieren müssen, sind auch internatio-
nal erfolgreich. Damit spricht sich Porter gegen die Marktbeherrschung von we-
nigen nationalen Wettbewerbern und übersteigerten Fusionsstrategien aus.
Die vier vorgestellten Bestimmungsfaktoren bilden ein dynamisches, sich wechsel-
seitig beeinflussendes System, bei dem der Staat als begleitender und unterstützender
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
53
Akteur in Erscheinung tritt. Neben den bereits dargestellten Komponenten des ‚Dia-
manten’ spielt der ‚Zufall’ eine zusätzliche Rolle. Gemeint sind unbeeinflussbare
Faktoren wie Kriege, Veränderungen der Weltfinanzlage aber auch radikale Basisin-
novationen, die die Wettbewerbsposition einer Branche oder eines Landes unvorher-
gesehen verändern können. Porter hat mit seinem Modell über die Bestimmungsfak-
toren für nationale Wettbewerbsvorteile einen weit gefassten Ansatz entworfen und
damit einen vertiefenden Beitrag zur Diskussion um nationale Innovationssysteme
geleistet.
Wie gezeigt haben grundlegend neue Innovationsmuster Einzug in die Unterneh-
mensstrategien gehalten. Eine zunehmende Professionalisierung und Wissensbasie-
rung von Forschung und Entwicklung ist unumstritten. Es muss also im Folgenden
der Frage nachgegangen werden, mit welchen Strategien diesen neuen Innovations-
anforderungen begegnet werden kann. In einem ersten Schritt wird der Versuch un-
ternommen, Kooperationsbeziehungen als einen Lösungsweg aus den theoretischen
Gegebenheiten abzuleiten.
2.1.3 Netzwerke im Kontext der Neuen Institutionenökonomik
Wie Williamson in seinen späteren Veröffentlichungen (z.B.1985) herausarbeitet,
müssen nicht nur Märkte und Hierarchien als transaktionskostenoptimale Tausch-
formen gelten, sondern es existieren eine Reihe von hybriden Organisationsformen
zwischen diesen beiden Polen. Der Organisationsform ‚Netzwerk’ nähert sich die
wissenschaftliche Debatte aus verschiedenen Richtungen. Eine Gruppe Wissen-
schaftler (vgl. Sydow 1992, Kenis/Schneider 1996 u.a.) sieht das Netzwerk als hyb-
riden Steuerungstypus mit fließenden Grenzen zwischen den Typen Markt und Hie-
rarchie angesiedelt. Eine andere Forschungsrichtung (u.a. Powell 1996, Willke 1998)
betont die Eigenständigkeit der Kategorie ‚Netzwerk’, die in sich geschlossen ist, in
der sich allerdings wesentliche Elemente der beiden Pole Markt und Hierarchie wie-
derfinden.
Sydow konstatiert, dass Kooperationsbeziehungen durchaus transaktionskostenmi-
nimierend wirken: „Für die praktische Organisation strategischer Netzwerke lenkt der Transaktionskos-tenansatz den Blick auf die Möglichkeit, Transaktionskosten durch Gestaltung einer entsprechenden Interorganisationskultur, durch Aufbau interorganisationaler Informa-tionssysteme oder durch die Schaffung von Organisationseinheiten, die die Koordinati-on von Entscheidungen im Netzwerk übernehmen, zu reduzieren“ (Sydow 1992, 299).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
54
Vor allem im Hinblick auf das Phänomen der Unsicherheit im Innovationsprozess
tragen Kooperationsbeziehungen oder Netzwerke im Sinne von vertraglichen Bezie-
hungen zur Senkung von Kosten bei (vgl. auch Belzer 1993).
Neben der Bedeutung von kooperativem Verhalten zur Minimierung von Unsicher-
heiten, können Netzwerke ebenfalls dem Faktum der begrenzten Rationalität der Ak-
teure entgegenwirken, da ein stetiger Informationsaustausch und dadurch ein wech-
selseitiges Lernen stattfinden. Semlinger sieht Vorteile von Netzwerken darin be-
gründet, dass „ein zunehmend ausdifferenziertes und verteiltes Wissen […] nun aber
nicht nur die Steuerungskapazität hierarchischer Koordination [übersteigt]. Wach-
sende Wissensteilung überfordert vielmehr auch das Steuerungspotenzial des Markt-
mechanismus, denn zunehmende Spezialisierung ist gleichbedeutend mit wachsender
Informationsasymmetrie, und Informationsasymmetrie ist ein klassischer Anlass für
Marktversagen“ (Semlinger 2006, 50).
Somit stellen Netzwerke besonders in Branchen mit einem hohen Aufwand an FuE,
häufigen Produktveränderungen und bezüglich der Nachfrage unbeständigen Märk-
ten echte Alternativen zu den traditionellen Steuerungsformen dar, gerade weil sich
funktionierende Netzwerke durch Flexibilität auszeichnen (vgl. Hasse 2003).
Verschiedenartige Akteure lassen sich zur gemeinsamen Zielerreichung aufeinander
ein, dabei kann dies ebenso in Form strategischer Allianzen zur Erschließung neuer
Märkte geschehen wie in Innovationsnetzwerken13 oder Produktionsverbünden. Die
Formen der Kooperation sind vielfältig und werden in der Industrie- und Wirtschafts-
forschung in erster Linie als strategische Reaktionen auf die ökonomischen Anforde-
rungen seitens der Unternehmen betrachtet – damit spielt die Minimierung von Kos-
ten eine geringere Rolle als bislang angenommen. Zu den ökonomischen Herausfor-
derungen zählen u.a.: ein forcierter globaler Wettbewerb, ein zunehmend komplexer
werdendes Wissen und eine Notwendigkeit zu flexiblen Organisationsformen.
13 Freeman definiert Innovationsnetzwerke – die grundlegend auch für die spätere soziologische Be-trachtung sind – wie folgt: „Network organisation is a basis institutional arrangement to cope with systematic innovation. Networks can be viewed as an inter-penetrated form of market and organisa-tion. Empirically they are loosely coupled organisations having a core with weak and strong ties among constituent members... We emphasise the importance of kooperative relationships among firms as a key linkage mechanism of network configurations. They include joint ventures, licensing ar-rangements, management contracts, sub-contracting, production sharing and R&D collaboration“ (Freeman 1991, 502).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
55
Zwischenresümee:
Die Neue Institutionenökonomie kann wie dargestellt zur Erklärung von Innovati-
onsmustern und Netzwerkaktivitäten herangezogen werden. Im Gegensatz zu frühe-
ren Innovationsstrategien von Unternehmen, deren wichtigstes Merkmal der inkre-
mentelle Charakter der Innovationen war, somit in der Regel auf konventionellen
Technologien aufbaute und auf festgeschriebenen Entwicklungspfaden verlief, sowie
eindeutig bestimmten Zentren zuzuordnen war, zollen neuere Innovationsmuster der
zunehmenden Wissensbasierung von Produkten und Prozessen Tribut. Wie Freeman
(1991) und Dosi (1982) herausfanden, kommt es zu einer stetigen Zunahme der Pro-
fessionalität von Forschung und Entwicklung. Technische Neuerungen hängen von
der Sammlung und Anhäufung von Wissen ab, das zum einen firmenspezifischer und
kumulativer Art ist, zum anderen aus allgemeinem und speziellem wissenschaftli-
chem Know-how besteht. Technologische Paradigmen beinhalten neben den Chan-
cen zu Schlüsseltechnologien vor allem Such- und Problemlösungsmuster. Dosi
(1982) sieht in den technologischen Paradigmen eine Möglichkeit, Verhaltensunsi-
cherheiten, die häufig das größte Problem in Austauschbeziehungen darstellen, zu
reduzieren, da Entwicklungen im Zeitverlauf auf technologischen Pfaden ablaufen
und damit eine bestimmte Richtung technischen Wandels vorgegeben wird. Innova-
tionsprozesse sind vielfach durch Paradigmen- und Pfadänderungen gekennzeichnet
sind, sobald neue Erkenntnisse alte Ergebnisse vernachlässigbar machen. Freeman
betont vor allem die Bedeutung von formalisierten FuE-Laboratorien, sowohl unter-
nehmensintern als auch -extern. Als Ursachen für den Professionalisierungsprozess
sieht er nicht nur den wissenschaftlichen Charakter neuzeitlicher Technologien, son-
dern auch die wachsende Komplexität von High-Tech-Netzwerktechniken und den
Trend zur Spezialisierung am Arbeitsplatz.
Im Zuge der Diskussion um neue Innovationsstrategien bietet die Neue Institutio-
nenökonomik netzwerkartige Kooperationsbeziehungen als eine Möglichkeit zur
Steigerung der Effektivität von ökonomischem Handeln an. „Netzwerke stellen Leis-
tungen zur Verfügung, die sonst entweder per Markt oder per Hierarchie zu erhalten
sind, nämlich die Flexibilität marktförmiger Interaktion und die Verlässlichkeit und
Effizienz organisierter Strukturen zugleich“ (Weyer 2000, 10).
In Anlehnung an Williamsons Typologie im Rahmen seiner Transaktionskostentheo-
rie, die das theoretische Gerüst für zahlreiche Versuche über Netzwerkanalysen bil-
det, verdeutlicht die folgende Abbildung zusammenfassend die verschiedenen Arten
von wirtschaftlichen Koordinationsformen:
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
56
Tabelle 3: Typologie von Koordinationsformen
Koordinationstyp Markt Hierarchie/Organisation Netzwerk
Koordinationsmittel Preise formale Regeln Vertrauen
Koordinationsform spontan, spezi-
fisch
geregelt, unspezifisch diskursiv
Akteurbeziehungen unabhängig abhängig interdependent
Zugang offen geregelt begrenzt, exklu-
siv
Zeithorizont kurzfristig langfristig mittelfristig
Konfliktregulierung Recht Macht Verhandlung Quelle: in Anlehnung an Weyer 2000, 7
Im Kern bietet die Transaktionskostenökonomik mit dieser Typologie ein Erklä-
rungsmuster für die unterschiedliche Wahl von institutionellen Formen zur Durch-
führung von ökonomischen Prozessen. Der Markt ist hierbei eine Interaktionsform,
bei der unabhängige Akteure (offener Marktzugang) spontan zusammenfinden,
Tauschprozesse lediglich über den Preis koordiniert werden und Verpflichtungen
über (Kauf-)Verträge hergestellt werden. Im Gegensatz dazu steht die Hierarchie, im
ökonomischen Sinn die Unternehmensorganisation. Tauschprozesse erfolgen nach
festen Regeln und die Akteure sind Mitglieder der jeweiligen Organisation (z.B. per
Arbeitsvertrag) und dadurch von ihr abhängig. Es handelt sich eher um Herrschafts-
verhältnisse in bürokratischen Strukturen, so dass Konflikte gegebenenfalls autoritär
gelöst werden. Tauschprozesse – beispielsweise von zu erbringenden Leistungen –
sind häufig (anders als am Markt) unspezifisch. Netzwerke im Sinne der Institutio-
nenökonomik lassen Tauschaktivitäten zu, ohne sich auf marktliche Unsicherheiten
einzulassen oder starren bürokratischen Organisationsstrukturen zu unterliegen.
Trotz alledem reicht die Neue Institutionenökonomik nicht allein zur Erklärung von
Netzwerkvorteilen und durch den Ausschluss von ‚weichen’ Faktoren wie etwa dem
Problem des Vertrauens in Kooperationsbeziehungen bei weitem nicht zur Erklärung
von Nachteilen aus. Wie Hagedoorn und Schakenraad (1990) in einer empirischen
Studie zu den Motiven von kooperativen Arrangements herausfanden, ist es im häu-
figsten Fall die strategische Motivation zur Verbesserung der eigenen Marktposition
oder zur Generierung neuen Wissens über technologische Entwicklungen und nicht
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
57
die Kostenersparnis im Sinne der Transaktionskostentheorie, die Firmen zu Koopera-
tionsbeziehungen veranlasst.
Im nachfolgenden Kapitel zur Theorie sozialer Netzwerke wird eine Ergänzung zur
rein ökonomischen Betrachtungsweise mittels der wirtschaftssoziologischen Debatte
um Netzwerke, Innovationen und in diesem Kontext auch Regionen stattfinden.
Nicht nur der rein ökonomische Nutzen ist entscheidend, vielmehr scheitern Netz-
werkbeziehungen häufig an den ‚weichen’ Faktoren (wie z.B. dem fehlenden Ver-
trauen der Akteure). Genau um diesen Aspekt muss die ökonomische Theorie und
hier im Speziellen die Neue Institutionenökonomie erweitert werden, um den eindi-
mensionalen Blickwinkel zu umgehen.
2.2. „Die Theorie sozialer Netzwerke“ und ihre Bedeutung für die Inno-
vationsfähigkeit der Medizintechnikbranche
Das Steuerungsmodell des Netzwerkes wurde bislang vor allem unter Effizienzge-
sichtspunkten untersucht, wobei diese Reduktion der sozialen Interaktion zwischen
Akteuren auf rein ökonomische Faktoren bei weitem nicht ausreicht, um innovative
Prozesse zu erklären. Weyer (2000) sieht als Kern sozialer Netzwerke die vertrau-
ensvolle Kooperation zwar selbstständiger, aber dennoch wechselseitig dependenter
Akteure und durchbricht damit die Vorstellung des aus wirtschaftlichem Kalkül han-
delnden Netzwerkakteurs – des ‚homo oeconomicus’. 14 Das Leitbild des ‚homo oe-
conomicus’ ist nur unter Einschränkungen zur Analyse komplexer gesellschaftlicher
Prozesse einsetzbar. Vielmehr geht es um gegenseitige Rücksichtnahme, Vertrauen
und damit um eine Bündelung von Ressourcen (Akkumulierung von Wissen), die
zeitweilig sogar partikulare Interessen in den Hintergrund rücken lassen, um gemein-
same Ziele zu erreichen, die durch nicht-koordiniertes Handeln nicht realisierbar
wären. Unter dieser Prämisse lassen sich Innovationsprozesse durchführen, die für
jeden Akteur alleine nicht zu vollführen sind. Hirsch-Kreinsen sieht den soziologi-
schen Aspekt von Netzwerken in Anlehnung an Granovetter (1985) wie folgt: „in-
formell, personenbezogen, nicht unbedingt zweckorientiert, generell als Beziehungs-
geflecht, das in unterschiedlicher Weise mit ökonomischen Austauschbeziehungen
verschränkt ist, diese ermöglicht, aber keinesfalls mit ihnen gleichzusetzen ist“ (ders.
2006, 139).
14 Zum rationalen Aspekt von Vertrauen in der interpretativen Soziologie vgl. Strohmeier 1993.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
58
Die soziologische Perspektive der Netzwerkforschung rückt die Untersuchung sozia-
ler Prozesse in den Vordergrund, die durch soziales Handeln und Kommunikation
entstehen und Strukturen aus der Wechselwirkung von Handlungen bzw. Kommuni-
kation generieren.15 Trotz einer Vielzahl von soziologischen Netzwerkansätzen las-
sen sich zwei Grundrichtungen herausfiltern: die Vertreter einer eher formalen
Netzwerkanalyse (u.a. Scott 1988, Schenk 1984) und die eher qualitativ orientierten
Analytiker (u.a. Mayntz 1997, Powell 1996, Sydow 1992a, Willke 1998), die sich
vorwiegend um die Untersuchung von Interorganisations-Netzwerken bemühen.
Abbildung 5: Grundschema der soziologischen Netzwerkforschung
Quelle: in Anlehnung an Weyer 2000, 15
Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem Innovationsgeschehen und der Netz-
werkbildung in der Medizintechnikbranche wird vor allem die qualitative Methode
der Interaktionsanalyse von Policy-Netzwerken, regionalen und innovativen Netz-
werken sein (vgl. Abb. 5). Innerhalb der formalen Netzwerkanalyse rücken die ein-
zelnen Akteure, die in gesellschaftliche und private Strukturen eingebettet sind, in
den Blickpunkt. Aus dieser Einbettung heraus lässt sich die Handlungsfähigkeit der
Akteure je nach ihrem Status ableiten. Die formale Analysemethode eignet sich zur
Klassifizierung von Strukturen und Akteurskonstellationen, die von ihr konstruiert
werden, d.h. soziale Netzwerke können auch nur latent vorhanden sein und sich nicht 15 Soziales Handeln wird hier mit Bezug auf Weber (1984, 19) als „solches Handeln [verstanden, Anm. d. Verf.], welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhal-ten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ oder wie Luhmanns (1997) Beg-riff der Rekursivität besagt, ist es die Fähigkeit Handlungsstrategien zu entwickeln, die die Reaktion oder Rückwirkung des Anderen miteinbeziehen.
Soziale Netzwerke
Methode Koordinationsform Formale Netzwerkanalyse Interorganisationsnetzwerke
asymmetrisch symmetrisch Märkte Hierarchien Beziehungs- Policy- strategische regionale Innovations- Netzwerke Netzwerke Netzwerke Netzwerke netzwerke
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
59
durch ein faktisches Handeln generieren. Es ist vielmehr die äußere Form des Netz-
werkes oder jeglicher Art von Beziehungsmustern, die zum Untersuchungsgegens-
tand werden, als das interne Beziehungsgeflecht mit all seinen Gründen zur Entste-
hung und zum Wandel. Auf der anderen Seite – und hier kommt man zum eigentli-
chen Untersuchungsgegenstand – zeichnet sich die soziologische Analyse von Inte-
rorganisations-Netzwerken als beispielhaft ergänzender Ansatz zu den ökonomischen
Annahmen des Transaktionskostenansatzes aus. Grundannahme ist die „zielgerichte-
tete Koordination von Akteuren“ (Weyer 2000, 16), die Kooperationen miteinander
eingehen, um ihre Interessen zu artikulieren und gemeinsam durchzusetzen. Im Ge-
gensatz zur Methodik der formalen Analyse werden nicht latente Strukturen heraus-
gefiltert, sondern es wird die manifeste, von den Akteuren selbst konstruierte Struk-
tur des Netzwerkes wird mit ihren Interaktionsmustern analysiert.
Interorganisations-Netzwerke lassen sich in symmetrische und asymmetrische Struk-
turen unterteilen: Als asymmetrisch gelten diejenigen Netzwerke, die einen zentralen
Akteur im Zentrum haben, auf dessen Anstoß hin die jeweilige kooperative Struktur
entstanden ist, als symmetrische Netzwerke bezeichnet man diejenigen, die ein ge-
wisses Gleichgewicht der Akteure hinsichtlich des Faktors Macht (ökonomisch als
auch politisch) besitzen. In Abschnitt 2.2.2 werden die drei für diese Arbeit wichtigs-
ten Netzwerktypen (Policy-Netzwerk, regionales und Innovations-Netzwerk) im
Rahmen der eher qualitativen Forschungsrichtung zur Analyse von Interorganisati-
ons-Netzwerken genauer betrachtet, so dass die bisherige kurze Einführung mit rela-
tiv engem Fokus nun den Blick zurück auf die Probleme der soziologischen Theorie-
findung lenken soll.
2.2.1 Ausgewählte Aspekte zum soziologischen Netzwerkverständnis
2.2.1.1 Systemtheoretische Annahmen zu interorganisationalen Netzwerken
Niklas Luhmann (1984) verbindet mit seiner Theorie sozialer Systeme einen Univer-
salitätsanspruch und postuliert, dass soziale Systeme nicht aus Menschen bestehen,
sondern aus ‚Interaktion’, ‚Organisation’ und ‚Gesellschaft’ und somit in der Lage
sind, selbstreferentielle16 Bezüge aufzuweisen. Interaktionen sind Kommunikationen
unter Anwesenden, wobei Luhmann eine ‚doppelte Kontingenz der Kommunikation’ 16 Selbstreferenz oder Autopoiesis im Sinne Luhmanns bedeutet die Organisation eines Systems aus sich selbst heraus, dies geschieht durch eine Auswahl von Elementen (Kommunikationen) und Bezie-hungen (basale Selbstreferenz), die wiederum reflexiv auf den Auswahlprozess bezogen werden kön-nen (prozessuale Selbstreferenz) und reflektiert werden als System-Umwelt-Differenz (Systemrefe-renz) (Überblicksdarstellung u.a. bei Mikle-Horke 1997, Treibel 1997).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
60
als konstitutiv für soziale Systeme betrachtet: „Jeder fungiert – wenn nicht zugleich,
so doch im raschen Wechsel – als Handelnder und als Beobachter und gibt beide
Positionen in den Kommunikationsprozess ein. In Interaktionssystemen können diese
beiden Positionen kaum auseinandergehalten werden“ (Luhmann, 1984, 468). Orga-
nisationen wiederum werden durch Mitgliedschaftsregeln definiert, grenzen sich da-
durch von ihrer Umwelt ab und sind in der Regel auf ein gesellschaftliches Funkti-
onssystem spezialisiert (Unternehmen auf das Wirtschaftssystem, Schulen auf das
Erziehungssystem etc.). Gesellschaft hat bei Luhmann einen besonderen Stellenwert
im Gegensatz zu den anderen beiden Ebenen der Systembildung: Interaktion und
Organisation. Das Gesellschaftssystem ist das umfassendste soziale System und be-
inhaltet alle „kommunikativ füreinander erreichbaren Handlungen“ (ders.1975, 11).
Dabei kann man Gesellschaft nicht als Summe aller Interaktionen begreifen, sondern
eher als gesamtes Kommunikationssystem, während Interaktion auf die Anwesenheit
abzielt und einen Handlungszusammenhang darstellt. Interaktions- und Gesell-
schaftssysteme sind die beiden Extreme eines Kontinuums in deren Mitte sich die
Organisation befindet.
Obwohl Luhmann selbst dem Netzwerkbegriff keinen großen Raum innerhalb seiner
Theorie sozialer Systeme zukommen lässt (er empfindet Formen nicht-systemischer
Koordination als störend für die selbstreferentielle Autonomie der Funktionssyste-
me), betont er allerdings, dass diese nicht-systemischen Formen der Koordination für
den Umgang mit Unsicherheiten dienlich sein können (vgl. Luhmann 1997)17. Somit
kann mit seinem Begriff der ‚strukturellen Kopplung’ ein Bezug zu interorganisatio-
nellen Netzwerken hergestellt werden. Kämper und Schmidt (2000, 211) meinen,
„dass es sich bei Netzwerken um eine Form der strukturellen Kopplung von Organi-
sationen handelt und dass für diese Kopplung Interaktion in Anspruch genommen
wird.“ Somit handelt es sich bei einem systemtheoretischen Blick auf das Phänomen
‚Netzwerk’ um eine Begebenheit auf der Ebene der Organisation, die zum einen eine
spezielle System-Umwelt-Beziehung, auch im Hinblick auf die Folgen für die orga-
nisationsinternen Strukturen, darstellt und zum anderen unter der Prämisse der Ver-
knüpfung dieser internen Strukturen zu verstehen ist (System-zu-System-Verhältnis),
also in den Organisationen selbst angesiedelt ist. Genau hier kommt der Luhmann-
sche Begriff der strukturellen Kopplung zum Tragen: „[d]er Begriff bezeichnet ein 17 Luhmann spricht im Kontext von Globalisierung und Regionalisierung von ‚flexiblen Netzwerken persönlicher Beziehungen’, die an die Stelle von Funktionssystemen treten können, sobald diese durch regionale Eigenheiten funktionsunfähig werden – damit können Netzwerke zwar systemäquivalente Leistungen erbringen, stören aber die Autopoiesis der Systeme selbst (vgl. Luhmann 1997, 811).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
61
System-Umwelt-Verhältnis (genauer: die Umweltangepasstheit des Systems) und
damit auch die Möglichkeit der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme, die
Voraussetzung interner Strukturbildung ist“ (Kämper/Schmidt 2000, 228). Organisa-
tionsinterne Strukturen orientieren sich an der Umwelt des Systems, d.h. an den
Strukturen anderer Systeme, ohne dass es zu einer Verwischung von Organisations-
grenzen kommt. Zusammengenommen operieren Organisationen im Hinblick auf
Strukturen von anderen Organisationen. Luhmann bezieht dieses Verständnis nur auf
die Interdependenz von psychischen und sozialen Systemen sowie von Funktionssys-
temen untereinander und konstatiert die strukturelle Kopplung als nicht beeinflussbar
(vgl. Luhmann 1997; ders. 2000). Ebensolches sieht er demzufolge in Bezug auf das
Wirtschaftssystem, dem er eine Unmöglichkeit der Steuerung unterstellt, solange es
sich nicht um die Selbststeuerung des Systems handelt. Luhmann zu Folge negiert
die Annahme autopoietischer Systeme „die Möglichkeit einer interventionistischen
Wirtschaftspolitik“ (Schmid et al 2006, 144). Anders hingegen sehen Kämper und
Schmidt (2000) durchaus eine Verbindungsmöglichkeit zwischen der Organisation
und ihrer sozialen Umwelt durch die strukturelle Kopplung, da Organisationen als
„handlungsfähige Kollektive“ (ebd. 228) eingestuft werden und somit den Grad der
strukturellen Kopplung bis zu einem gewissen Punkt beeinflussen können.
Aus welchem Grund tendieren nun aber Organisationen zu strukturellen Kopplungen
und wie lässt sich die Bedeutung von interorganisationalen Netzwerken in diesen
Zusammenhang einbinden?
Eine ‚Schwäche’ von Organisationen kann sein, dass sie Entscheidungen und Verhal-
tenserwartungen intern nicht so zu bestimmen vermögen, dass ein mit der Umwelt
abgestimmtes Handeln möglich ist (Stabilisierung der Differenz von Innen und Au-
ßen). Zur Spezifizierung der eigenen Programmatik greift die Organisation auf struk-
turinterne Entscheidungsregeln anderer Systeme zurück. Hier kommt der Netzwerk-
gedanke ins Spiel. Herunter gebrochen auf eine weniger abstrakte Ebene im Sinne
Luhmanns, der die Kommunikation als solche auch ohne Menschen begreift, treten
nun die Mitglieder einer Organisation in direkten Kontakt zu anderen Mitgliedern
von Organisationen und es kommt zu Interaktionen, die zunächst ohne Einfluss auf
die Organisationsstrukturen keiner der beiden Organisationen zugeordnet werden.
Damit finden neue Entscheidungs- und Verhaltensregeln erst in Abstimmung mit den
bereits bestehenden Strukturelementen der Organisation in einem zweiten Schritt
statt. Die Differenz von Interaktion und Organisation bleibt dadurch gewahrt. Käm-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
62
per und Schmidt (2000) betonen drei wesentliche Aspekte bei der Entstehung von
Netzwerken:
1. Die Generierung des benötigten Wissens zum Aufstellen von neuen Ent-
scheidungsprämissen und letztlich für eine Strukturbildung wird nur in der
Interaktion erzeugt und bezieht demnach nicht die Organisationsebene mit
ein. Somit können Organisationen mit Hilfe von Netzwerken implizites Wis-
sen durch die Informalität des Interaktionssystems generieren, ohne – in ei-
nem ersten Schritt – die Strukturen der Organisation zu berühren.
2. Über die strukturverändernden Folgen, die diese Interaktionen haben können,
wird erst in der Organisation in Abstimmung mit den anderen Strukturele-
menten entschieden. Erst danach kommt es zu einem internen Strukturwan-
del.
3. Strukturelle Kopplung kann nur dann geschehen, wenn sich Organisationen
auf die Eigenschaften ihrer Umwelt einlassen und davon ausgehen, dass die
durch die Interaktion hervorgegangenen Entscheidungsprämissen, die eine
Strukturveränderung zur Folge haben, dazu dienlich sind, in Zukunft umwelt-
angepasst zu handeln.
Anders als Luhmann behaupten Kämper und Schmidt (ebd.) nicht, dass Kommunika-
tionen strukturelle Systemkopplungen durchführen, sondern dass Interaktionen die
Voraussetzung dafür schaffen, dass externe Strukturen für das interne Handeln von
Organisationen in Bezug auf ihre Umwelt genutzt werden und zwar nicht durch eine
einfache Adaption, sondern durch die Veränderung der eigenen Strukturen. Der
Netzwerkbegriff impliziert des Weiteren, dass es sich um eine direkte Form der Beo-
bachtung der Umwelt durch die Inanspruchnahme von Interaktion handelt. Luhmann
dagegen spricht sich bezüglich des System-Umwelt-Verhältnisses von Organisatio-
nen für eine Beobachtung zweiten Ranges aus, d.h. die Wirtschaft wird über den
Markt beobachtet (vgl. Luhmann 1988).
2.2.1.2 Der Netzwerkgedanke im Rahmen des akteurzentrierten Institutionalismus
Der akteurzentrierte Institutionalismus kann als Ansatz zur Überwindung der Dicho-
tomie von Struktur und Akteurhandeln gesehen werden. Ausgehend von einer Kritik
an systemtheoretischen Analysen gesellschaftlicher Differenzierung haben Mayntz
und Scharpf (Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) diesen Ansatz
– der sich bewusst nicht als Theorie versteht, da mit ihm eine Fusion der theoreti-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
63
schen Perspektive (Anlehnung an den Neo-Institutionalismus) mit der beobachtbaren
Realität gelingt und gerade keine generalisierte Substitution empirischer Ergebnisse
in universale Annahmen – im Rahmen ihrer Forschungen zur Steuerung moderner
Gesellschaften entwickelt. Dabei geht es vornehmlich darum, die teilsystemische
Selbstregelung, die von der Luhmannschen Systemtheorie propagiert wird, um die
Dimensionen ‚institutionelle Ordnung’ und ‚Akteurkonstellationen’ zu erweitern
(vgl. Mayntz/Scharpf 1995, Scharpf 2000, Schimank 1996).
Theoretisch lehnt sich der akteurzentrierte Institutionalismus an die eher staatstheore-
tische Variante des politikwissenschaftlichen Neo-Institutionalismus an.18 Dabei be-
schränkt sich das Verständnis nicht allein auf politische Institutionen, sondern be-
trachtet Institutionen im engen Sinn als Faktoren mit (eingeschränkt) determinieren-
der Wirkung, d.h. sie ermöglichen, beschränken und stimulieren den Handlungskon-
text von Akteuren. Der Institutionenbegriff konzentriert sich folglich auf Regelungs-
aspekte, nicht nur formal rechtlicher Art, sondern auch soziale Normen betreffend.
Zum Verständnis des Netzwerkgedankens innerhalb des akteurzentrierten Institutio-
nalismus werden in gegebener Kürze die drei gesellschaftlichen Strukturdimensionen
– teilsystemische Orientierungshorizonte, Institutionen und Akteurkonstellationen
bzw. Handlungslogiken –, die die Akteur-Struktur-Dynamiken abbilden und begrün-
den, dargestellt (vgl. Schimank 1996, Scharpf 2000).
Teilsystemische Orientierungshorizonte
Nach akteurtheoretischer Aufbereitung der systemtheoretischen Sicht auf gesell-
schaftliche Teilsysteme erscheinen diese als begrenzte Zusammenhänge von stark
verallgemeinerten sinnhaften Orientierungen. Diese Orientierungszusammenhänge
sind hochgradig fiktional, sie erlauben eine Reduktion der Komplexität der Wirk-
lichkeit, indem sie spezifische Handlungslogiken hervorbringen (diese sind über die
Zeit kaum veränderbar). Im Luhmannschen Sinne orientieren sich die ‚binären Co-
des’ an diesen teilssystemischen Handlungslogiken: z.B. Wahrheitsstreben im Wis-
senschaftssystem, Machtstreben im politischen System etc (vgl. Schimank 2002).
Schimank (1996, 243) spricht in Bezug auf das Akteurverhalten von einer „Richtung 18 Im politikwissenschaftlichen Neo-Institutionalismus werden die politischen Institutionen als die zentralen Einrichtungen des politischen Systems verstanden und im Gegensatz zu den systemtheoreti-schen Analysen stehen die Organisationsstrukturen politischer Gebilde im Vordergrund, die sowohl Handlungsrestriktionen setzen als auch Optionen eröffnen; die Interessen werden durch Organisatio-nen und das politische System gefiltert und wirken sich nicht direkt auf politische Prozesse aus (vgl. Keck 1991).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
64
des Wollens“, die durch die Teilsystemzugehörigkeit determiniert wird. Diese teilsys-
temische Handlungslogik birgt in sich einen stabilen Orientierungspunkt, der sich für
die Akteure positiv in der Interaktion auswirkt, d.h. jeder Akteur kennt die unausge-
sprochene Handlungslogik des Teilsystems und Ego kann daher Reaktionen von Al-
ter im Voraus besser einschätzen.
Institutionen
Unter Institutionen versteht der Ansatz Regelungsaspekte, die ähnlich wie die teilsys-
temischen Orientierungen, nur viel spezifischer den Akteuren eine gewisse Verhal-
tens- und Erwartungssicherheit im Umgang miteinander geben. Nach der ‚Richtung
des Wollens’ spricht Schimank (1996, 245) nun von der „gesellschaftliche[n] Vorga-
be des Sollens“, darunter lassen sich alle ex- und impliziten Normen, Werte, Sitten,
Rechtsnormen oder auch Mitgliedschaftsregeln und Rollenerwartungen bündeln.
Darüber hinaus regeln Institutionen aber auch die Wahrnehmung von Akteuren.
Nicht nur, dass es durch die Zugehörigkeit zu einer Organisation zu einer selektiven
Wahrnehmung durch den Blickwinkel der Organisation selbst kommt, auch sorgen
Institutionen für eine Erleichterung bei der Bewertung von Entscheidungen und der
Beurteilung von gemeinsam wahrgenommen Phänomenen.
Soziales Verhalten wird zusammengefasst durch die institutionelle Ordnung geregelt,
verstehbar und in gewisser Weise auch vorhersagbar. Trotz der großen Bedeutung
von institutionellen Orientierungsmustern darf nicht außer Acht gelassen werden,
dass diese keinesfalls deterministisch auf Entscheidungen eingreifen. Sie konstruie-
ren nur mögliche Handlungsabläufe, die strategische Entscheidung liegt letztlich
beim Akteur selbst.
Akteurkonstellationen bzw. Handlungslogiken
Der institutionelle Rahmen beeinflusst wie dargestellt die Handlungsorientierung von
Akteuren. Da die Gesellschaft aber nicht nur aus dyadischen Akteurverhältnissen
besteht, kommt verschiedenen Akteurkonstellationen in diesem Ansatz eine große
Bedeutung zu. Dazu zählen auch Netzwerkstrukturen, wie sich in späteren Ausfüh-
rungen des Kapitels noch zeigen wird.
Schimank (1996) betont nach der ‚Wollens- und Sollensdimension’ des Handelns in
diesem Zusammenhang die Richtung des ‚Könnens’. Durch die Tatsache, dass es
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
65
vielfältige Akteurkonstellationen gibt, befindet sich der Akteur in der Lage, durch die
Beobachtung und Handlungsdeutung (Beobachtungs- und Deutungsstruktur) der/des
anderen im Umgang mit weiteren Akteuren Informationen über Erwartungen und
Folgen von Entscheidungen zu erhalten, die sich in kommenden Interaktionen in
Bezug auf Verhaltenssicherheit gegenüber dem/den anderen positiv auswirken. Auf-
grund dieser Informationsfülle kann der Akteur die adäquate Handlungswahl treffen.
Bevor näher auf die Logik von Verhandlungssystemen und im Speziellen auf die
Bedeutung von Netzwerken eingegangen wird, soll in einem nächsten Schritt das
Akteursverständnis des Ansatzes intensiver beleuchtet werden.
Der akteurzentrierte Institutionalismus unterscheidet zwischen korporativen und in-
dividuellen Akteuren, wobei auf Erstere ein größeres Gewicht gelegt wird. Mayntz
und Scharpf halten fest: „Korporative Akteure sind [...] handlungsfähige, formal or-
ganisierte Personen-Mehrheiten, die über zentralisierte, also nicht mehr den Mitglie-
dern individuell zustehende Handlungsressourcen verfügen [...]“ (dies. 1995, 49).
Damit werden korporative Akteure mit Organisationen gleichgesetzt. Alle korporati-
ven Akteure wiederum setzen sich aus individuellen Akteuren zusammen. Mayntz
und Scharpf (1995) sehen gerade für die Erforschung und Erklärung von Organisati-
onshandeln die Notwendigkeit auch die Handlungsorientierungen der individuellen
Akteure zu erfassen, insbesondere wenn es sich um Interaktionen zwischen korpora-
tiven Akteuren handelt. Der Verweis auf die Mikroebene birgt allerdings das Prob-
lem der Überkomplexität von Phänomenen in sich, durch den engeren Blickwinkel
auf die korporativen Akteure an sich sind Strukturen, in ihrer Komplexität reduziert,
einfacher empirisch zu erheben (vgl. ebd., 50f).
Netzwerke als ein Typus von Verhandlungssystemen im akteurzentrierten Institutio-
nalismus
Mayntz zitiert zu Beginn ihres Aufsatzes über Policy-Netzwerke und die Logik von
Verhandlungssystemen (1997) Wellman mit der Aussage: ‚Die Welt setzt sich aus
Netzwerken, nicht aus Gruppen zusammen’ (zit.n. Mayntz 1997, 239). Damit rückt
Mayntz ihren Forschungsschwerpunkt über Policy-Netzwerke in den Fokus des Le-
sers. Netzwerke können ihrer Auffassung nach mehr sein als nur ein Zwischenschritt
auf dem Kontinuum von Markt und Hierarchie, sie sind ein spezieller Typus von
Sozialstruktur, der Elemente aus beiden Strukturdimensionen vereint: Autonom han-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
66
delnde Akteure (Marktspezifikum), die ausgesuchte Ziele durch koordiniertes Han-
deln verfolgen (Hierarchiespezifikum). Scharpf (2000) versteht das Netzwerk als
Interaktionsform, das die eigentlichen Handlungsmöglichkeiten der Akteure im Ge-
gensatz zu den statischen Akteurkonstellationen beschreibt. Somit ist die Akteur-
konstellation nicht mehr als der äußere Rahmen19 für die verschiedenen Verfahren
sozialer Handlungskoordination, zu denen auch die Verhandlung innerhalb von
Netzwerken zählt. Die Arten der sozialen Handlungskoordination werden in der Re-
gel unter dem von der Transaktionskostenökonomie entworfenen Stichwort ‚Gover-
nance’ erörtert. Darunter sind in einer ersten Herangehensweise ganz allgemein ge-
sprochen die Regelungsmechanismen der modernen Gesellschaft zu verstehen
(Markt, Netzwerk, Hierarchie sowie Mischformen) (vgl. Beiträge in Schuppert 2006,
Schimank/Werle 2000, Voelzkow 1999, Kenis/Schneider 1996). Kenis und Schnei-
der konkretisieren den Begriff wie folgt:
„Governance bezeichnet den Prozeß des Steuerns und Regelns eines technischen oder
sozialen Zusammenhangs, wobei noch offen bleibt, welche konkreten Komponenten
und Mechanismen hier am Werk sind – System, Institutionen, Akteure –, um die jewei-
ligen Steuerungsleistungen zu erbringen. Steuerung meint jedoch nicht notwendiger-
weise autoritative Anordnung. Obzwar in der historischen Figur eines Steuermanns be-
gründet, ist Governance nicht auf den Spezialfall hierarchischer Steuerung reduzierbar,
in der die Steuerungsleistungen auf ein singuläres Steuerungssubjekt zurückgehen. Aus
einer generalisierten Steuerungs- und Regelungsperspektive im Sinne von Governance
ist ein breites Spektrum von Mechanismen denkbar, angefangen bei dem erwähnten
singulär-hierarchischen Schema, über komplexe und heterogene Steuerungssysteme, in
denen vielzählige eigenständige Steuerungssubjekte über ebenso vielfältige Koordina-
tionsmechanismen und Ressourcenflüsse ineinandergreifen und zusammenwirken bis
hin zum atomistischen Markt als Extrempunkt dezentraler Steuerung“ (Ke-
nis/Schneider 1996, 10).
Renate Mayntz (2006) macht auf die geänderte Perspektive aufmerksam, die mit dem
Leitbegriff ‚Governance’ in Abgrenzung zum Begriff ‚Steuerung’ einhergegangen
ist: „Governance-Theorie […] ist keine einfache Fortentwicklung im Rahmen des
19 Akteurkonstellationen repräsentieren lediglich den Status quo der beteiligten Akteure, ihre Fähig-keiten, Wahrnehmungen und Bewertungen von Handlungsoptionen und Entscheidungen wie auch ihre Kompatibilität im Hinblick auf die Intentionen der anderen Akteure; die Begriff lässt aber noch keine Aussagen über die eigentlichen Interaktionsformen der Konfliktbewältigung zu (Verhandlung (typisch für Netzwerke), hierarchische Steuerung, einseitiges Handeln, Mehrheitsentscheidungen); in diesem Abschnitt wird die für die Untersuchung bedeutende Interaktionsform der Verhandlung im Netzwerk erläutert, eine ausführliche Darstellung der anderen Interaktionsformen findet sich bei Scharpf 2000, Kap. 5/7/8.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
67
steuerungstheoretischen Paradigmas; sie befasst sich mit einem eigenen Satz von
Fragen und lenkt dabei das Augenmerk auf andere Aspekte der Wirklichkeit als die
Steuerungstheorie“ (dies. 2006, 11). Das Ende der 70er Jahre bestehende Paradigma
der akteurzentrierten Steuerungstheorie folgt der Annahme, dass politische Steuerung
„die konzeptionell orientierte Gestaltung der Gesellschaft durch – dazu demokratisch
legitimierte – politische Instanzen [bedeutet]“ (ebd. 12). Im Vordergrund steht ein
zielgerichtetes Handeln, das sich nicht am Steuerungserfolg misst. In der Weiterent-
wicklung verschiebt sich der Fokus von den politischen Instanzen hin zur Mitwir-
kung gesellschaftlicher Akteure an der Entwicklung und Implementation von Politik,
also hin zu einem kooperativen Staatsverständnis.20 Dies führt schließlich zur neuen
Governance-Perspektive: Die Frage nach den Regelungsstrukturen und ihrer Wir-
kung auf das Handeln (institutionalistische Perspektive) und nicht mehr das Steue-
rungshandeln an und für sich (akteurzentrierte Perspektive) bilden den analytischen
Ansatzpunkt. Dabei werden in der Governance-Theorie die Akteure nicht außer Acht
gelassen: „Schließlich sind sie es, die im Rahmen einer gegebenen Institution han-
deln bzw. die durch ihr Zusammenhandeln eine bestimmte Form der Regelung kon-
stituieren. Regelungsstrukturen interessieren nicht per se, sondern aufgrund ihrer
ermöglichenden und restringierenden Wirkung auf das Handeln von Akteuren. Die
Steuerungsperspektive und die Governance-Perspektive schließen sich gegenseitig
nicht aus, sondern können sich gegenseitig ergänzen“ (ebd. 17). Der Ansatz des ak-
teurzentrierten Institutionalismus versucht die beiden Perspektiven zu verbinden. Das
Agieren in Netzwerken spielt dabei eine herausragende Rolle, denn der Governance-
Ansatz stellt Verhandlungen zwischen gegensätzlichen partikularen Interessen und
einem daraus resultierenden Ausgleich als Problemlösungsprozesse in den Vorder-
grund.
Mayntz und Scharpf haben das Netzwerkkonzept vor allem im Rahmen ihrer Policy-
Forschung aufgegriffen, da die reale Entwicklung zu einer Veränderung politischer
Entscheidungsstrukturen geführt hat, die sich u.a. aus der wachsenden Bedeutung
von formalen Organisationen in den gesellschaftlichen Teilsystemen/Sektoren erge-
ben hat (vgl. Mayntz 1997). Das klassische Bild der Trennung von Staat und Gesell-
schaft und das eines kontrollierenden, hierarchischen Staates stimmen mit den realen 20 Nach dem Verständnis des kooperativen Staates geht es u.a. um die Öffnung der Verwaltungsstruk-turen gegenüber ihrem gesellschaftlichen Umfeld; um das Gleichgewicht zwischen zivilgesellschaftli-chen Akteuren und staatlichen Institutionen als auch zwischen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und Partizipation; diese Aspekte stehen vor allem im Vordergrund der politischen Forschung zur Mo-dernisierung von Verwaltungsstrukturen durch den Einsatz neuer Steuerungsmodelle (vgl. die Arbei-ten von Bogumil et al 2007; 2006).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
68
Strukturen nicht mehr in angemessener Weise überein. Politische Entscheidungen
sind in der modernen Gesellschaft in der Regel das Ergebnis eines Verhandlungspro-
zesses, an dem viele korporative Akteure (private und öffentliche) beteiligt sind. Zu-
nehmend kommt es also zu einem Bedarf an horizontalen Koordinationsmechanis-
men, die häufig zwischen gleichgeordneten Organisationen stattfinden. Der Netz-
werkansatz lässt sich nicht nur auf das weite Feld der politischen Steuerung anwen-
den, sondern kann eine Koordinationsalternative in allen gesellschaftlichen Sektoren
darstellen, bei der es vor allem um interorganisationale Arrangements geht (vgl. vor
allem Kenis/Schneider 1996).
Ohne Bezüge zu empirischen Tatbeständen herzustellen, geht es abstrakt gesehen
darum, Umstände zu beschreiben, welche die Transaktionskosten von Verhandlun-
gen mindern. In Ergänzung zur ökonomischen Theorie der Transaktionskosten be-
zieht der akteurzentrierte Institutionalismus die Kategorie des Vertrauens stark in die
Betrachtung mit ein (vgl. Scharpf 2000). Aufgrund der Schwierigkeit, die Intentionen
der beteiligten Akteure im Voraus zu erkennen, spielt in Netzwerken, die auf einen
längeren Zeitraum angelegt sind, das Vertrauen eine bedeutende Rolle. Granovetter
(1973) unterscheidet zwischen ‚strong ties’ und ‚weak ties’, was nach Scharpf mit
schwachem Vertrauen auf der Ebene der Kommunikation und starkem Vertrauen in
Bezug auf gemeinsame Strategieentscheidungen verglichen werden kann. Schwaches
Vertrauen verbindet sich mit der Fähigkeit ex-post Verhandlungsbedingungen nach-
zukommen und die von den anderen Akteuren geäußerten Informationen über deren
Intention als ehrlich einzustufen. Starkes Vertrauen gipfelt in dem Umstand, dass ein
Akteur nicht nur egoistisch seine Ziele verfolgt, sondern so weit es geht Handlungs-
optionen zu vermeiden sucht, die den anderen Akteuren Schaden zufügen würden
oder sie in ihrer Interessenverfolgung behindern könnten. Je stärker die Bindung in
einem Netzwerk ist – so auch Granovetter (1973) –, desto kostenintensiver sind die
Investitionen bei Vertrauensverlust dieses wiederzugewinnen. Aus diesem Grund
‚leisten’ sich Akteure nur wenige enge Bindungen – auch innerhalb von Netzwerk-
konstellationen gibt es Unterschiede in der Bindungsfestigkeit. Verhandlungsnetz-
werke im Sinne des akteurzentrierten Institutionalismus sind zusammengefasst sich
selbst organisierende Strukturen, die durch Informalität gekennzeichnet sind (lose
Kopplung der Elemente) und aus der Häufigkeit freiwilliger wechselseitiger Interak-
tionen entstehen (mittel- bis langfristig angelegte Steuerungsstrukturen).
Nachdem nun Vertrauen als Grundpfeiler bei der Netzwerkbildung thematisiert wur-
de, muss des Weiteren auf die widersprüchliche Logik von Verhandlungssystemen
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
69
hingewiesen werden (vgl. Willke 1998). Ob sich eine Netzwerkkonstellation als leis-
tungsfähig erweist oder nicht, hängt in starkem Maße von der Höhe der Transakti-
onskosten ab, sobald es zu Verteilungskonflikten innerhalb des Systems kommt. Auf
dem idealen Markt kommt es durch den Preismechanismus nicht zu Verteilungskon-
flikten und in der Hierarchie verschwindet das Problem zu hoher Transaktionskosten
bedingt durch Verteilungskonflikte dadurch, dass aufgrund autoritärer Strukturen die
vorgesetzte Ebene Entscheidungen auch ohne Zustimmung unterer Ebenen treffen
kann. Anders gestaltet sich das Problem in Verhandlungssystemen. Bedingt durch
die Interessenkalküle der autonomen Akteure auf der einen Seite und die Freiwillig-
keit der eingegangenen Bindungen an bestimmte Gemeinschaftsziele, Verpflichtun-
gen und Vertrauen auf der anderen Seite kann es bei dem Auftreten von Verteilungs-
konflikten zu Spannungen in der Balance zwischen diesen beiden Polen kommen.
Eine Netzwerkstruktur ist erst dann effizient für alle Beteiligten, wenn diese Balance
beibehalten, die Transaktionskosten und die Verteilungsproblematik minimiert wer-
den und somit die Stärke gegenüber der marktlichen Steuerung in der Längerfristig-
keit der Beziehungen besteht und gegenüber der Hierarchie in der größeren Flexibili-
tät und dem wechselseitigen Interessenausgleich. In neueren Überlegungen zum Ver-
trauensaspekt in Netzwerkbeziehungen wird darauf hingewiesen, dass die erforderli-
che Langfristigkeit der Beziehungen und damit deren Stabilität durch die zunehmen-
de Komplexität des Wettbewerbs immer weniger möglich sind. Hirsch-Kreinsen
(2006) argumentiert in seiner Untersuchung zu internationalen Netzwerken von klei-
nen und mittleren Unternehmen (KMU), dass Vertrauen zwar in der Regel zur Re-
duktion von Risiken und Unsicherheiten eine Rolle spielt, die Erzeugung des Ver-
trauens aber gerade die empirisch belegten einschränkenden Handlungsstrategien
(z.T. fehlende Professionalisierung des Managements mit fehlender Kommunikati-
onsfähigkeit) von KMU überschreitet. Wird diese Problematik vor allem bei interna-
tionalen Beziehungen gesehen, kann die Erzeugung von Vertrauen im regionalen
Kontext aber durchaus weniger voraussetzungsvoll sein (vgl. Kap. 3.2.2.1).
2.2.1.3 ‚Netzwerktheorie’ zur Überwindung der Mikro-Makro-Dualität?
Blickt man auf die soziologische Diskussion um Netzwerke, so trifft man allenthal-
ben auf Kritik bezüglich einer erst in Ansätzen vorhanden theoretischen Einbindung
des Netzwerkgedankens (vgl. u.a. Schenk 1984, Fischer/Gensior 1995, Ke-
nis/Schneider 1996). Zwar wurde der Versuch einer Verbindung des Netzwerkansat-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
70
zes mit Giddens Theorie der Strukturierung unternommen (vgl. Ort-
mann/Sydow/Windeler 2000, Kappelhoff 2000), jedoch gilt es auch weiterhin, eine
Brücke zwischen der akteurzentrierten Handlungstheorie (Mikroebene) und den
strukturzentrierten Ansätzen (Makroebene) zu schlagen. Der in Abschnitt 3.2.1.2
dargestellte Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus gilt als Versuch der Ü-
berwindung dieser Dichotomie von Struktur und Akteurhandeln, denn die Nachteile
der rein akteurzentrierten Sicht auf Kooperationsprozesse bestehen in dem einge-
schränkten mikroskopischen Blick auf Interaktionen, der Bezüge zu komplexen ge-
sellschaftlichen Prozessen kaum zulässt. Dagegen reichen strukturzentrierte Ansätze,
die gesellschaftliche Teilsysteme als Ganzes in den Fokus rücken, hinsichtlich ihrer
rein makroskopischen Sicht auf Strukturen nicht aus, um Interaktionen innerhalb der
Systeme zu untersuchen. Weyer (2000) konstatiert, dass aus diesen Gründen Netz-
werke auf der Mesoebene zwischen Akteur und Gesellschaft geschaltet werden kön-
nen, da zum einen über soziale Netzwerke Werte, Normen und Verhaltenserwartun-
gen an den Akteur vermittelt werden, die dieser durch die Integration in Netzwerke
verinnerlicht (d.h. nicht allein die Normen und Werte an sich leisten Sozialisations-
arbeit, sondern erst durch die Vermittlung via Netzwerk wird individuelles Verhalten
‚gesteuert’). In seinem Mehrebenen-Modell spricht Weyer von einem mehrstufigen
Prozess (2000, 239). Soziale Netzwerke gelten ihm zufolge als lose gekoppelte, zeit-
lich begrenzte Institutionen, die sich in einem zweiten Schritt vom Akteurhandeln
lösen und selbst zu institutionellen Strukturen werden, die wiederum von der Makro-
ebene Einfluss auf den Netzwerkteilnehmer ausüben. Letztlich können Netzwerke
und die in ihnen stattfindenden innovativen Prozesse und neuartigen Strukturen, die
erst einmal temporär angelegt sind, auf gesellschaftliche Teilsysteme übergreifen, so
dass es zu Prozessen der Nachahmung, Diffusion und Adaption kommen kann und
sich dauerhafte Institutionen herausbilden. Aus diesem Grund – wie sich später noch
zeigen wird – können Netzwerke als ‚Versuchsraum’ für innovative Prozesse dienen,
da sie gerade wegen des Aspekts der temporären Institutionalisierung weniger starre
Strukturen aufweisen.21
21 Auf der anderen Seite bleibt noch die Frage offen, inwieweit innovative Netzwerkprozesse einen Beitrag zum Wandel der modernen Gesellschaft leisten. Wie weit wirkt sich die Adaption von Selbst-steuerungsprozessen durch Netzwerke auf die Gesellschaft aus? Diese Fragestellung kann und soll mit der vorliegenden Arbeit allerdings nicht beantwortet werden, da es vielmehr um Innovationsprozesse innerhalb der Medizintechnikbranche geht, die sich u.a. Netzwerken bedient, um wirtschaftliche Effi-zienz und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
71
2.2.1.4 Zwischenresümee – soziologische Ansätze und der Netzwerkgedanke
Eine einheitliche Theorie sozialer Netzwerke gibt es nicht, vielmehr wurde von unter-
schiedlichen Forschungsrichtungen ausgehend der Versuch unternommen, den Netz-
werkgedanken in ein theoretisches Gerüst einzubinden. In den vorausgehenden Aus-
führungen wurde dabei der Fokus auf die systemtheoretische Perspektive und auf die
Überwindung der Mikro-Makro-Dualität durch den Ansatz des akteurzentrierten In-
stitutionalismus gelegt.
In der Luhmannschen Systemtheorie wird dem Netzwerkbegriff als solchem kein
großer Platz eingeräumt. Formen nicht-systemischer Koordination gelten vielmehr als
störend für die Autopoiesis der Funktionssysteme und können lediglich für den Um-
gang mit Systemunsicherheiten förderlich sein. Dennoch haben Kämper und Schmidt
(2000) den Versuch der Einbindung des Netzwerkgedankens über das Phänomen der
‚strukturellen Kopplung’ unternommen. Netzwerke werden dabei als eine Form der
strukturellen Kopplung von Organisation gesehen, bei der Interaktion in Anspruch
genommen wird. Netzwerke sind auf der Ebene von Organisationen zu finden, die
sowohl die System-Umwelt-Beziehung als auch ein System-zu-System-Verhältnis
beeinflussen. Operativ geschlossenen Systemen im Sinne Luhmanns wird durch die
Möglichkeit der System-Umwelt-Beziehung eine gewisse Umweltoffenheit zugestan-
den, die wiederum Voraussetzung interner Strukturbildung ist. Durch die strukturelle
Kopplung wird eine Verbindungsmöglichkeit zwischen der Organisation und ihrer
sozialen Umwelt geschaffen, da Organisationen als „handlungsfähige Kollektive“
(ebd. 228) eingestuft werden und somit den Grad der strukturellen Kopplung beein-
flussen können. Organisationen orientieren sich folglich an ihren Umweltstrukturen
oder/und an den Strukturen anderer Organisationen, ohne dass es zu einer Verwi-
schung von Organisationsgrenzen kommt. Diese Orientierung ist notwendig, um die
Differenz von Innen und Außen zu stabilisieren. Nur durch die Interaktion kann das
benötigte Wissen zum Aufstellen von neuen Entscheidungsprämissen und letztlich für
eine Strukturbildung erzeugt werden. Dies kann durch Netzwerke unterstützt werden,
deren informelle Strukturen in einem ersten Schritt nicht die Organisationsstruktur
berühren und es dadurch erst in einem zweiten Schritt in Abstimmung mit den orga-
nisationsinternen Strukturen zu einem Wandel kommt. Somit bleibt die systemtheore-
tische Annahme der Autonomie und Geschlossenheit von Systemen zunächst ge-
wahrt, wird insofern aber im weiteren Vorgehen geöffnet, als Systeme informelle
Interaktionsstrukturen nutzen, um neue Entscheidungsregeln und Strukturen zu etab-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
72
lieren. Anders als Luhmann behaupten Kämper und Schmidt (2000) nicht, dass
Kommunikationen strukturelle Systemkopplungen durchführen, sondern dass Interak-
tionen die Voraussetzung dafür schaffen, dass externe Strukturen für das interne Han-
deln von Organisationen in Bezug auf ihre Umwelt genutzt werden und zwar nicht
durch eine einfache Adaption, sondern durch die Veränderung der eigenen Struktu-
ren.
Als Erweiterung der systemtheoretischen Analysen gesellschaftlicher Differenzierung
kann der von Mayntz und Scharpf (u.a. 1995) entwickelte Ansatz des akteurzentrier-
ten Institutionalismus verstanden werden. Die teilsystemische Selbstregelung wird
um die Dimensionen ‚institutionelle Ordnung’ und ‚Akteurkonstellationen’ erweitert.
Netzwerke werden vor allem als Koordinationsalternativen in allen gesellschaftlichen
Sektoren gesehen, bei denen es vor allem um interorganisationale Arrangements geht.
Neben den teilsystemischen Orientierungshorizonten und dem institutionellen Rah-
men beeinflussen auch Akteurkonstellationen mit ihren verschiedenen sozialen Hand-
lungskoordinationen (u.a. das Netzwerk als Verhandlungssystem) die Handlungsori-
entierung der Akteure. Durch die Beobachtung und Handlungsdeutung des Akteurs
im Umgang mit anderen Akteuren erhält dieser Informationen über Erwartungen und
Folgen von Entscheidungen, die sich bei kommenden Interaktionen positiv in Bezug
auf die Verhaltenssicherheit gegenüber den anderen auswirken. Aufgrund dieser In-
formationsfülle kann der Akteur die adäquate Handlungswahl treffen.
Entscheidenden Einfluss auf die Stabilität von Verhandlungsnetzwerken hat die
Komponente des Vertrauens. Damit geht die soziologische Netzwerkforschung über
die ökonomischen Annahmen der Transaktionskosten hinaus und erweitert diese.
Granovetter (1973) und Scharpf (2000) verweisen beide auf den Umstand von star-
kem und schwachem Vertrauen in Verhandlungssystemen. Schwaches Vertrauen ver-
bindet sich nach Scharpf mit der Fähigkeit, ex-post Verhandlungsbedingungen nach-
zukommen und die von den anderen Akteuren geleisteten Informationen über deren
Intention als wahrheitsgemäß einzustufen, starkes Vertrauen gipfelt in dem Umstand,
dass ein Akteur nicht allein seine Ziele verfolgt, sondern zusätzlich Handlungsoptio-
nen vermeidet, die wiederum andere Akteure des Netzwerkes in der Verfolgung ihrer
Ziele behindern würden. Starke Bindungen, die mit starkem Vertrauen im Einklang
stehen, sind allerdings kostenintensiv. Um die Höhe der Transaktionskosten zu mini-
mieren, ‚leisten’ sich Akteure nur wenige enge Bindungen, da die Wiedergewinnung
von Vertrauen nach dessen Verlust kostspielig ist. Zusammengefasst sind Verhand-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
73
lungsnetzwerke sich selbst organisierende Strukturen, die durch Informalität gekenn-
zeichnet sind (lose Kopplung der Elemente) und aus der Häufigkeit freiwilliger wech-
selseitiger Interaktionen entstehen (mittel- bis langfristig angelegte Steuerungsstruk-
turen). Für den Erfolg von Netzwerken bietet auch der akteurzentrierte Institutiona-
lismus keine befriedigende Lösung an. Aufgrund der Einführung der Vertrauenskom-
ponente als ‚weichen’ Faktor sind Netzwerkstrukturen nur dann effizient, wenn
Transaktionskosten minimiert werden und somit die Stärke gegenüber der marktli-
chen Steuerung in der Längerfristigkeit der Beziehungen liegt und gegenüber der Hie-
rarchie in der größeren Flexibilität und dem wechselseitigen Interessenausgleich.
Ergänzend spricht Weyer (2000) in seinem Mehrebenenmodell von sozialen Netz-
werken, die auf der Mesoebene zwischen Akteur und Gesellschaft angesiedelt sind.
Dabei steht nicht eine interorganisationale Interaktion im Vordergrund. Nicht der
kollektive sondern der individuelle Akteur bildet den Bezugspunkt. Soziale Netzwer-
ke sind lose gekoppelte, zeitlich begrenzte Institutionen, die sich in einem zweiten
Schritt vom Akteurhandeln lösen und selbst zu institutionellen Strukturen werden, die
von der Makroebene Einfluss auf den Netzwerkteilnehmer ausüben. Letztlich können
Netzwerke auch auf gesellschaftliche Teilsysteme übergreifen und über Adaptions-
und Diffusionsprozesse dazu führen, dass sich dauerhafte Institutionen herausbilden.
Aus diesem Grund können Netzwerke als zeitlicher ‚Versuchsraum’ für innovative
Prozesse dienen, da sie gerade wegen des Aspekts der temporären Institutionalisie-
rung flexible Strukturen aufweisen.
2.2.2 Steuerung durch Netzwerke – eine ausgewählte Typologie
Nach dem vorausgegangenen Versuch der theoretischen Einbindung des Netzwerk-
ansatzes werden im Folgenden drei Arten von Interorganisations-Netzwerken vorge-
stellt, die als Governance-Formen auf zunehmendes Interesse der Akteure inner- und
außerhalb der Medizintechnikbranche stoßen. Die regionale Kompetenzbündelung
der Branche spielt gerade in Bezug auf Netzwerkstrukturen eine herausragende Rol-
le. Aus diesem Grund wird einleitend auf die Bedeutung von Regionen und regiona-
len Netzwerken im globalen Kontext eingegangen. Dem folgt ein Überblick über
Innovationsnetzwerke und mit der teilsystemübergreifenden Einrichtung von Policy-
Netzwerken, mit deren Hilfe der Versuch unternommen wird neuartige Konzepte des
regionalen Standortmanagements zu etablieren, schließt das Kapitel. Eine klare
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
74
Trennung der drei Netzwerkarten ist allerdings kaum möglich. Die empirische Wirk-
lichkeit bestätigt, dass regionale Netzwerke häufig mit innovativen Strukturen ver-
bunden sind oder politische Akteure am Netzwerkbildungsprozess beteiligt sind (vgl.
die Beiträge in Kleinfeld et al 2006). Die Governance-Form ‚Netzwerk’ muss folg-
lich als Konzept im Ganzen betrachtet werden.
Die vorangegangenen theoretischen Ausführungen noch einmal zusammenfassend
sind Netzwerke längerfristig orientierte freiwillige Verhandlungssysteme, die aus
„Gelegenheitsstrukturen“ entstanden sind und unter denen sowohl Kooperationen
regionaler Akteure in Policy-Netzwerken, Forschungskooperationen zwischen Un-
ternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen (u.a. Innovationsnetzwerke) sowie
strategische und technologische Allianzen zwischen Unternehmen verstanden wer-
den. Der Vergleich innovativer Standorte hebt durchgängig die Existenz solcher
Netzwerkstrukturen zur Regionalsteuerung hervor – dies wird sich im Verlauf der
Untersuchung ein weiteres Mal bestätigen (vgl. auch Heinze 2006 oder die Beiträge
in Kleinfeld et al 2006).
Dabei stellen die Interorganisations-Netzwerke eine spezielle Analyseeinheit der
Netzwerkforschung dar. Im Vordergrund stehen formal eigenständige Organisatio-
nen sowie die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Alle drei vorzustellenden
Netzwerkarten können diesem Typus zugeordnet werden. Sie sind also eine interme-
diäre Organisationsform in der Mitte des Kontinuums von Markt und Hierarchie,
„die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kompetitive und relativ
stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch meist
abhängigen Unternehmungen [oder generell Organisationen, Anm. d.Verf.] aus-
zeichnet“ (Sydow 1992, 248). In diesem Zusammenhang wird auch von dem Interor-
ganisations-Netzwerk als ‚polyzentrischem System’ gesprochen (ders., 248).
2.2.2.1 Regionen und regionale Netzwerke in der globalen Ökonomie
Die globale Ökonomie ist ein Stichwort, das eng verbunden ist mit dem Wandel mo-
derner Gesellschaften. Dabei darf nicht vergessen werden: Globalisierung ist kei-
neswegs ein neues Phänomen. Bereits zu Beginn der Industrialisierung beschrieben
Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest: „Das Bedürfnis
nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die
ganze Erdkugel. [...] Sie [die nationalen Technologien, Anm. d. Verf.] werden ver-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
75
drängt durch neue Industrien, [...] die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern
den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht
nur im Land selbst, sondern in alle Erdteilen zugleich verbraucht werden“
(Marx/Engels 1972, 420). Schmid versucht die unterschiedlichen wissenschaftlichen
Definitionsversuche von Globalisierung in folgender Ausführung zu komprimieren
und zielt dabei auf den beschleunigten Wandel in den letzten 15 Jahren ab: „Globalisierung basiert auf einer grundlegend veränderten Konfiguration von Raum und Zeit. Die neue elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien, die Flexibilisierung der Produktionsprozesse und der Abbau nationalstaatlicher Regulie-rungen ermöglichen eine immer umfassendere Vernetzung unterschiedlichster Standor-te und die Etablierung von immer intensiveren und komplexeren Austauschbeziehun-gen über nationale und kontinentale Grenzen hinweg. Entscheidungen der Zentren können heute auf der ganzen Welt in real time ihre Wirkung entfalten“ (Schmid 1996, 228).
Im Verständnis dieser Untersuchung wird Globalisierung als ökonomische Entwick-
lung betrachtet, die vorwiegend die Unternehmen als Akteure der globalisierten Welt
betrifft. So geht es neben der Ausdehnung von Finanzströmen zunehmend um den
Aufbau transnationaler Unternehmen, die mit ihren weltweiten Direktinvestitionen
sowohl nationale als auch regionale Absatz- und Liefermärkte zusammenführen. Hin-
zu kommt eine interne Umstrukturierung der Unternehmen, um im globalen Wettbe-
werb bestehen zu können. Als Stichworte dienen in diesem Zusammenhang Begriffe
wie ‚just-in-time-production’, ‚Teamarbeit’, ‚outsourcing’ oder ‚Arbeitszeitmodelle’
zur Flexibilisierung und Kostenreduktion der Produktion (vgl. Kujath 1998, 16f sowie
Heinze 1997, 321f). Nur scheinbar spielen in der globalen Wirtschaftswelt lokale
Bezüge keine entscheidende Rolle.
Es stellt sich nun die Frage, wie in diesem Kontext die Bedeutung von Regionen und
regionalen Netzwerken einzuordnen ist?
Für die Regionen spricht die Tatsache, dass weiterhin die zentralen Kompetenzen der
Unternehmen als auch die strategisch wichtigen Zulieferer- und Endverbrauchermärk-
te in diesen Verdichtungsräumen angesiedelt sind. Läpple sieht die Region als „räum-
liche[n] Kooperations- und Interaktionszusammenhang mit spezifischen ökonomi-
schen, sozialen und politischen Netzwerken, Institutionen und Kommunikationskanä-
len“ (Läpple 1998, 69/ Hervorh. im Orig.). Die herausragende Leistungsfähigkeit der
Region besteht also in deren Möglichkeit, Netzwerke in räumlicher Nähe hervorzu-
bringen. Dem weltweiten Trend zu komplexen Produkten und Verfahren sowie einem
flexiblen, gut ausgebildetem Humankapital begegnen die Akteure mit einer Integrati-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
76
on von Produktionsprozessen (inklusive Dienstleistungen), Forschungseinrichtungen,
Personalagenturen etc. in ein regionales Netzwerk.
Michael E. Porter hat die wissenschaftliche Diskussion um Netzwerke und die Bil-
dung von Clustern im regionale Kontext in den letzten 20 Jahren stark beeinflusst und
vorangetrieben. Porter sieht in den räumlichen Clustern vor allem die Vorteile des
effizienteren Wirtschaftens, des größeren Innovationspotenzials durch die Konzentra-
tion vieler Marktakteure und letztlich der höheren Gründungsrate von Unternehmen,
da die Markteintrittsbarrieren niedriger sind (Risikokapital ist schneller greifbar, Zu-
lieferernetzwerk ist bereits vorhanden etc.) (vgl. Heuer 2001, 20ff sowie Porter 2000
und Porter 1995). In den 1980er und 1990er Jahren wurden verschiedene Formen
regionaler Verflechtung als Strategien der Strukturpolitik zur Diskussion gestellt (vgl.
u.a. Genosko 1999, Heinze 1994, Heinze et al 1997 sowie Piore/Sabel 1989 und Reh-
feld 1998):
1.Industrielle Distrikte
Unter industriellen Distrikten sind innovative, dynamische Regionen zu verstehen, in
denen Unternehmen derselben oder verbundener Branchen in räumlicher Konzentra-
tion auftreten. Kooperationen in diesen Distrikten zeichnen sich durch die Fähigkeit
der schnellen Anpassung an strukturelle Veränderungen seitens der Angebot- und
Nachfrageseite aus. Durch die räumliche Nähe ergeben sich so genannte Lokalisati-
onsvorteile wie sinkende Produktions-, Beschaffungs- und Abatzkosten. Die Unter-
nehmen (insbesondere kleine und mittelständische Betriebe), die in einer vertikalen
Produktionskette vernetzt sind, können durch moderne Technologien, eine Speziali-
sierung auf bedarfsorientierte Produkte als auch durch eine flexible Produktion zum
Wachstum der regionalen Wirtschaft beitragen. Piore und Sabel (1989, 294ff.) haben
in ihrer Studie über das Ende der Massenproduktion und die Zukunft der Industriege-
sellschaft unter dem Stichwort der ‚flexiblen Spezialisierung’ Formen von industriel-
len Verknüpfungskonstellationen herausgearbeitet.
Regionale Ballungen – das sind spezialisierte Industriedistrikte von Klein-
und Mittelbetrieben, in denen kein Unternehmen die strategische Führungsrol-
le einnimmt (horizontale Verknüpfung), Beziehungen durch relativ kurzfristi-
ge vertragliche Vereinbarungen gekennzeichnet sind und die Netzwerkpositi-
on jedes einzelnen Akteurs einem ständigen Wechsel unterliegt.
Föderierte Unternehmen sind gekennzeichnet durch personelle und finanzielle
Verschränkungen der beteiligten Unternehmen, jedoch nicht so stark wie in
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
77
einem Konzern, allerdings entstehen festere Strukturen als bei regionalen Bal-
lungen.
‚Solare’ Firmen und Werkstattfabriken sind Unternehmen, die enge Verbin-
dungen zu ihren Zulieferern eingehen, was bis zur Beratung und gemeinsamen
Lösung von Design- und Produktionsproblemen gehen kann.
Die beiden Autoren haben damit einen bedeutenden Schritt in Richtung einer sozio-
logischen Analyse regionaler Innovations- und Lernsysteme getan. Die Aufmerksam-
keit lag nun nicht mehr bei den vertikal integrierten Großunternehmen der Massen-
produktionsära, sondern regional vernetzte Betriebe galten zunehmend als innovative
Organisationsform der Zukunft.22
2. Innovative Milieus
Parallel zu den Überlegungen über die industriellen Distrikte entstand das Konzept
der innovativen Milieus (vgl. u.a. Camagni 1995). Entscheidend für das Entstehen
und Wachstum von innovativen Unternehmen ist die Existenz dieser Milieustruktu-
ren. Darunter ist ein umfassendes räumliches System formaler und informeller, inter-
dependenter Netzwerke, sowohl wirtschaftlicher als auch technologischer Art, zu
verstehen. Hierbei stehen vor allem die endogenen Potenziale der Region im Vorder-
grund (Humankapital, Wissen, Vertrauen etc.). Durch diese Netzwerke werden inno-
vative und synergetische Strukturen und Prozesse aufgebaut. Über die industriellen
Distrikte hinausgehend wird hier der Einfluss von politischen Akteuren auf die Ent-
stehung der innovativen Milieus berücksichtigt. Politische Akteure schaffen den insti-
tutionellen Rahmen und bringen die Kompetenzen öffentlicher Institutionen mit in
den Milieubildungsprozess ein. Ein methodisches Problem stellt sicherlich die schwe-
re Messbarkeit der unterschiedlichen Faktoren innovativer Milieus dar. Jede Region
mit ihren spezifischen Strukturen reagiert anders auf exogene und endogene Einfluss-
faktoren und hat ihre Verflechtungsstrukturen der regionalen Tradition angepasst.
3. Cluster als regionale Produktionszusammenhänge
Wurde in den 80er Jahren die regionale Kooperation unter den Begriffen Industrie-
distrikte und innovative Milieus bekannt, so kam es in den 90er Jahren zu einer um-
22 Piore und Sabel haben in ihrer frühen Studie allerdings die Bedeutung von regionalen Netzwerken als Lernprozesse relativ unterbelichtet gelassen, ebenso gehen die Autoren davon aus, dass das für Industriedistrikte notwendige Vertrauen ein Ergebnis persönlicher traditioneller Beziehungsformen ist, es kann aber durchaus auch durch institutionelle Strukturen/Regelungsaspekte geschaffen werden (vgl. Heidenreich 2000).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
78
fassenderen Betrachtung, indem die Konzepte stärker aufeinander bezogen wurden.
Cluster sind vertikale und horizontale, funktionale Beziehungen innerhalb einer Bran-
che und zwischen Branchen, durch die Güter, Dienstleistungen und Informationen
transportiert werden. Neben den reinen Unternehmensclustern sind auch komplexe,
regional umfassende Cluster, die sowohl Industrie und Dienstleistungen als auch re-
levante gesellschaftliche Akteure mit einbeziehen, von Bedeutung. Wegen der räum-
lich nahen Verbundenheit kommt es im Idealfall zu einer Senkung der Transaktions-
kosten und zu einer vereinfachten Kommunikation. Wissen als zentraler Bestandteil
der modernen Produktionszusammenhänge wird durch den längerfristigen Kontakt
der Akteure in einem Austauschprozess weitergegeben. „Das Clusterkonzept beinhal-
tet in seinem Kern die Aussage, dass es spezifische Teilsysteme wirtschaftlicher In-
teraktion gibt, diese Teilsysteme regionale Spezialisierungsmuster hervorbringen und
diese Spezialisierungsmuster ein Ausdruck der spezifischen regionalen Innovations-
systeme sind“ (Dybe/Kujath 2000, 9; vgl. auch Röhl 2006, Rehfeld 2003 sowie die
Beiträge in Weyer 2000 und MCK Wissen 01/2002).
Sydow (1992, 252) charakterisiert idealtypisch regionale Netzwerke als Zusammen-
schluss kleinerer und mittlerer Unternehmungen in einem Agglomerationsraum, die
ohne eine bestimmte strategische Führung seitens eines Akteurs auskommen, in der
Regel eher informelle Strukturen aufweisen und sich durch wechselnde Interorganisa-
tionsbeziehungen auszeichnen. Durch die regionale Einbettung von wirtschaftlichen
Prozessen sieht auch Heidenreich (1997) Wettbewerbsvorteile in der globalen Öko-
nomie. Besonders für das Innovationsgeschehen stellt die Interaktion in regionalen
ökonomischen Verdichtungsräumen eine effektive Basis dar. Je schneller explizites,
wissenschaftlich hervorgebrachtes Wissen global verfügbar wird, desto bedeutsamer
wird das implizite, an die lokalen Strukturen gebundene Wissen – besonders bei der
Entwicklung neuer Technologien und Verfahren. Forschungs- und Entwicklungsko-
operationen in einem regionalen Umfeld scheinen eher in der Lage zu sein, die be-
währten Pfade zu verlassen und damit flexibel auf neue Ideen und Entwicklungen zu
reagieren. Dabei spielt das ‚learning-by-doing’ eine gewichtige Rolle. An Beispielen
wie dem Silicon Valley in den USA zeigt sich, wie langjährige Spezialisierungen mit
einer Kumulation von Fachwissen und Marktzugängen zu einem Wettbewerbsvor-
sprung führten. Innovationsstrategien müssen sich deshalb mit räumlichen Gegeben-
heiten, kulturellen Milieus, der Bildungs- und Forschungsinfrastruktur und anderen
Voraussetzungen auseinandersetzen.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
79
Da die Betrachtung von regionalen Netzwerken also nicht ohne den Blick auf Innova-
tionsnetzwerke auskommt, wird dies im Folgenden Gegenstand der Untersuchung
sein.
2.2.2.2 Innovative Netzwerke als ‚Bedingung’ regionalen Wirtschaftswachstums
Die kooperative Zusammenarbeit innerhalb eines regionalen Raumes kann als
Schlüssel zur Etablierung der Wissensgesellschaft23 gesehen werden. Für diese ge-
wagte These spricht eine Reihe von Faktoren. Die Wirtschaftsoziologie und Politik-
forschung beziehen in dem Konzept regionaler Innovationssysteme neben der Analy-
se des Strukturwandels regionaler Wirtschaftstrukturen auch den Einfluss des institu-
tionellen Umfelds in die Untersuchungen ein (vgl. die Beiträge in Cooke et al 2004,
in denen eine komparative Analyse von 15 internationalen Regionen vorgestellt
wird). Dem Verständnis dieser Arbeit nach können Innovationsnetzwerke nicht ohne
den regionalen Bezug betrachtet werden. Aus diesem Grund wird Heidenreichs Defi-
nition regionaler Innovationssysteme24 für die weitergehende Untersuchung genutzt: „Unter regionalen Innovationssystemen verstehen wir räumlich konzentrierte, soziokultu-rell eingebettete und institutionell stabilisierte Unternehmensnetzwerke, die über beson-dere Vorteile bei der Akkumulierung, Neukombination und Nutzung technischen Wis-sens in ausgewählten technologischen Feldern verfügen. An den regionalen Netzwerken sind – neben Akteuren aus Politik und Wissenschaft – konkurrierende oder durch Liefer- und Leistungsbeziehungen verflochtene Unternehmen beteiligt (vgl. Cooke 1992). Ein Hinweis auf das Vorhandensein regionaler Innovationssysteme ist die Existenz regionaler Technisierungs- und Spezialisierungspfade“ (Heidenreich 2000, 89).
Regionale Netzwerkstrukturen können es den Unternehmen erleichtern, neue Strate-
gien zu erkennen, bisherige organisationale Ordnungen zu hinterfragen und technolo-
gische Pfade weiterzuentwickeln. Bedingt durch die räumliche Nähe und den daraus
resultierenden direkten Kontakt der Akteure können sich längerfristige vertrauensba-
sierte Kooperationen etablieren. Das benötigte Vertrauen resultiert in diesem Zusam-
menhang aus der Existenz gemeinsamer soziokultureller Werte und Traditionen (cha-
racteristic-based trust), aus den flankierenden staatlich geschaffenen Institutionen
23 Unter Wissensgesellschaft wird hier eine Gesellschaft verstanden, deren ökonomische Leistungsfä-higkeit nicht vorwiegend aus den klassischen Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit generiert wird, sondern sich vielmehr durch die Organisation sozialer Beziehungen und vor allem die Akkumulation nutzbaren Wissens auszeichnet. Wissen wird zu dem entscheidenden Produktionsfaktor einer Gesell-schaft die immer weniger auf Massenproduktion setzt (vgl. Heidenreich 2000, Piore/Sabel 1989). 24 Der Begriff der Innovationssysteme, den Heidenreich verwendet, wird in meinem Verständnis gleichgesetzt mit Innovationsnetzwerken und hat keinen Bezug zum luhmannschen autopoetischen Systembegriff. Es sind eher institutionelle Strukturen mit – für alle Akteure – klar abgegrenzten Ver-haltens- und Verhandlungsmustern gemeint.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
80
(institutionally based trust) sowie aus bereits etablierten positiven Kooperationsstra-
tegien (process-baesed trust) (vgl. Heidenreich 2000, 103f).
Forschungs- und Entwicklungskooperationen können nicht nur zwischen Wirt-
schaftsunternehmen selbst, sondern in jüngerer Zeit vor allem zwischen Wirtschaft
und Hochschulen bzw. Forschungseinrichtungen beobachtet werden (vgl. Heiden-
reich 2001). Wenn es zu einer vertrauensvollen Netzwerkinteraktion kommt, können
Unternehmen Produktideen durch Hochschularbeitsgruppen weiterentwickeln und zu
Geschäftsideen werden lassen, während Hochschulangehörige ihre Forschungsergeb-
nisse vorstellen, um diese dann von den Unternehmen auf ihre Marktfähigkeit hin
prüfen zu lassen. Solche Art von Vernetzung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft
sind besonders spektakulär in den zentralen Hochtechnologiestandorten (z.B. Nürn-
berg-Erlangen, München), aber auch in anderen Regionen (z.B. Ruhrgebiet) ist wis-
senschaftliches Know-how angesiedelt und die mittelständische Industrie bietet ein
Potenzial, um den Kern für innovative Cluster bieten zu können. Wissensbasierte
technologische Innovationen lassen sich allerdings eher in Agglomerationsräumen
realisieren, da dort eine höhere Dichte an Forschungs- und Industriekompetenz zu
finden ist als dies in ländlichen Räumen der Fall ist.
Wo genau liegt nun aber die eingangs angerissene enorme Bedeutung von regionalen
Innovationsnetzwerken für die Wissensgesellschaft und damit für die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit?
„Advanced economies are learning economies“ – konstatiert Cooke (1998, 13) und
hierbei steht das reflexive institutionelle Lernen im Vordergrund. Lernende Ökono-
mien oder Organisationen25 beinhalten Netzwerkstrukturen, Kommunikationsplatt-
formen und die direkte regelmäßige Interaktion der beteiligten Akteure. Anders als in
der ökonomischen Theorie hängt die Leistungsfähigkeit der Unternehmen zunehmend
weniger von Transaktionskostenvorteilen oder Spezialisierungsbestrebungen ab, son-
dern wichtiger erscheinen die Lern- und Innovationschancen, die es zu realisieren
gilt. Begünstigt wird dieser Umstand durch die räumliche Nähe der Netzwerkakteure,
die eine hohe Frequenz an Interaktionen erlauben – dadurch steigt die Chance impli-
zites und kontextgebundenes Wissen weiterzugeben. „Regionale Innovationssysteme
sind somit eine Arena für lernende Organisationen“ (Heidenreich 2000, 98). Dieser
25 In Anlehnung an Probst/Büchel (1994) ist mit organisationalem Lernen die Fähigkeit verknüpft, sich an die Ziele und Normen im Hinblick auf die Bewältigung der Umwelt anzupassen (Anpassungs-lernen), des Weiteren werden bestehende Organisationsnormen und -werte hinterfragt und je nach Handlungsstrategie restrukturiert (Veränderungslernen) und schließlich tritt der eigentliche nie enden-de Lernprozess als solcher in den Vordergrund organisationalen Handelns (Prozesslernen).
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
81
Tatbestand kommt aber nicht ohne den Blick auf die Probleme oder Dilemmata der
Lernprozesse aus. Wie schon die systemtheoretischen Überlegungen zum Netzwerk-
ansatz und die Ausführungen des akteurzentrierten Institutionalismus gezeigt haben,
sind Organisationen an sich erst einmal festgelegt auf bestimmte Entscheidungs- und
Verhaltensmuster, die es aber bei lernenden Organisationen zu hinterfragen gilt.
Eine ‚Schwäche’ von Organisationen kann somit sein, dass sie Entscheidungen und
Verhaltenserwartungen intern nicht so zu bestimmen vermögen, dass ein mit der
Umwelt abgestimmtes Handeln möglich ist (Stabilisierung der Differenz von Innen
und Außen). Zur Spezifizierung der eigenen Programmatik greift die Organisation
auf strukturinterne Entscheidungsregeln anderer Systeme zurück. Hier kommt der
Netzwerkgedanke ins Spiel. Es kommt zu Interaktionen, die zunächst ohne Einfluss
auf die Organisationsstrukturen keiner der beiden Organisationen zugeordnet wer-
den. Damit finden neue Entscheidungs- und Verhaltensregeln erst in Abstimmung
mit den bereits bestehenden Strukturelementen der Organisation in einem zweiten
Schritt statt. Die Generierung des benötigten Wissens zum Aufstellen von neuen Ent-
scheidungsprämissen und letztlich für eine Strukturbildung wird demnach nur in der
Interaktion erzeugt und bezieht zunächst nicht die Organisationsebene mit ein. Somit
können Organisationen mit Hilfe von Netzwerken implizites Wissen durch die In-
formalität des Interaktionssystems generieren, ohne – in einem ersten Schritt – die
Strukturen der Organisation selbst zu berühren. Über die strukturverändernden Fol-
gen, die diese Interaktionen haben können, wird erst in der Organisation in Abstim-
mung mit den anderen Strukturelementen entschieden. Erst danach kommt es zu ei-
nem internen Strukturwandel. Entscheidend für diesen neuen Typus der weniger
strukturkonservativen Organisationen ist die Kombination von bewährten Ord-
nungsmustern mit innovativen Strategien.
Netzwerke und die in ihnen stattfindenden innovativen Prozesse und neuartigen
Strukturen, die erst einmal zeitlich begrenzt angelegt sind, können auf gesellschaftli-
che Teilsysteme übergreifen, so dass es zu Prozessen der Nachahmung, Diffusion und
Adaption kommen kann und sich so dauerhafte Institutionen herausbilden. Aus die-
sem Grund können Netzwerke als ‚Experimentierraum’ für innovative Prozesse die-
nen, da sie gerade wegen des Aspekts der temporären Institutionalisierung weniger
starre Strukturen aufweisen. Das Dilemma besteht aber häufig in dem Balanceakt
zwischen dem Beibehalten erfolgreicher Strategien und dem Einschlagen neuer We-
ge. Dies trifft nicht nur auf Organisationen zu, sondern ebenso auf regionale Innova-
tionsnetzwerke. Erfolgreiche regionale Strategien zeichnen sich durch eine Abstim-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
82
mung zwischen institutionellen Rahmenkonstellationen (Arbeitskraftpotenzial, For-
schungseinrichtungen etc.) auf die industriellen Schwerpunkte aus. Diese bewährten
Pfade behindern unter Umständen aber das innovative Klima der Region, neue tech-
nologische Entwicklungen auch in anderen als den altgedienten Branchen zu verfol-
gen. Auch hier gilt es eine Balance zwischen Altbewährtem und Neuem herzustellen
(vgl. Kämper/Schmidt 2000).
Um die oben gestellte Frage zusammenfassend zu beantworten: Regionale Innovati-
onsnetzwerke tragen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei, da in ihnen explizi-
tes und implizites Wissen transportiert wird und dadurch für die Wissensgesellschaft
wichtige Lernprozesse stattfinden, die einen organisationalen Wandel in Gang setzen
können. Gebraucht werden also regionale Akteure, die in Kooperationsstrukturen
Strategien zur Standort- oder Branchenprofilierung entwickeln. Dabei steht das ge-
genseitige Lernen der privaten und öffentlichen Akteure im Vordergrund der Interak-
tion. Ziel ist es, eine Win-Win-Situation für die Partner zu erreichen. Der Aufbau von
innovativen Wachstumsclustern muss systematisch vorangetrieben werden. Dabei
spielen Faktoren wie eine professionelle Innen- und Außenkommunikation einen e-
benso entscheidende Rolle wie ein Businessplan und eine Erfolgsmessung. Wie diese
Koordination der Innovationsnetzwerke aussehen kann, zeigt der Bezug zu den klas-
sischen Managementprinzipien (vgl. Abb. 6).
Abbildung 6: Zehn 'Gebote' für die Gestaltung effektiver Innovationsnetzwerke
Managementprinzipien Gebote der Regionalentwicklung
Führung 1. Deutlich erkennbare Führung durch regio-
nal anerkannte Persönlichkeiten und klares
Bekenntnis der Handlungsträger.
Strategische und operative Planung 2. Gut kommunizierbare Vision (top-down)
für langfristiges Wachstum und konkrete,
zielgerichtete Projekte (bottom-up).
3. Mut zur Fokussierung auf innovative
Wachstumsbranchen mit Anspruch auf eine
nationale und internationale Spitzenposition.
4. Schnelle Erfolge (Early Wins) und Durch-
haltevermögen.
Controlling 5. Quantifizierte Zielsetzung, Metrik zur
Erfolgsmessung und Maßnahmen zur Steue-
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
83
rung des Projekterfolges.
6. Investition statt Subvention – wirtschaft-
lich tragfähige Ansätze umsetzen (regionaler
Businessplan).
Forschung und Entwicklung (FuE) 7. Systematische Stärkung der Innovations-
basis.
Organisation 8. Langfristig angelegte Umsetzungsorgani-
sation in Form einer Public-Private-
Partnership mit gezielt angelegten Win-Wins.
Personal 9. Professionelle Managementausstattung
durch attraktive Tätigkeitsfelder.
10. Verpflichtung aller Akteure auf Pro-
grammziele und fortlaufende Einbeziehung
durch umfassenden Change-Management-
Ansatz.
Quelle: eigene Darstellung und Änderungen auf Basis: Stuchtey 2003, 10.
2.2.2.3 Policy-Netzwerke als integrierte Steuerungsstrategie
Dieses Unterkapitel beinhaltet einige inhaltliche Ergänzungen zu den Ausführungen
des Abschnitts 2.2.1.2, in dem ausführlich das Verständnis von Netzwerken bzw. Po-
licy-Netzwerken im Rahmen des akteurzentrierten Institutionalismus diskutiert wur-
de.
Politische Entscheidungen werden heutzutage in der Regel nicht allein von einer zent-
ralen Autorität (z.B. der Regierung) getroffen, vielmehr entwickeln sie sich in einem
Prozess, an dem unterschiedliche öffentliche und private kollektive Akteure beteiligt
sind. Politiknetzwerke entstehen, um diesen neuen Herausforderungen, die mit einem
Bedeutungszuwachs formaler Organisationen26 in allen gesellschaftlichen Teilsyste-
men einhergehen, begegnen zu können. Knill fasst den Kern dieser Governance-Form
wie folgt zusammen:
26 Mayntz (1996, 475) argumentiert zum Bedeutungszuwachs formaler Organisationen, dass erst durch deren Existenz die gesellschaftlichen Subsysteme einen relativen Grad an Autonomie erreicht hätten. Die kollektive Handlungsfähigkeit einer modernen Gesellschaft kann nur durch formale Orga-nisationen gesichert werden, denn die korporativen Akteure interagieren und lassen dadurch eine sektorale Selbstregulierung zu (z.B. die große Bedeutung der Kassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigung für die Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitssystems). Die Subsystemautonomie darf allerdings nicht als automatische Folge der Zunahme von Organisationsbedeutung gesehen wer-den, sie hängt entscheidend mit dem politischen Verständnis der Gesellschaft zusammen. Korporative Akteure, die in Policy-Netzwerken verhandeln, existieren nur in Gesellschaften, in denen der Staat in der Dimension der Ausübung politischer Herrschaft ‚top-down’ eingeschränkt ist.
Institutionalistische Beiträge zu Innovationen und Netzwerken
84
„Policy-Netzwerke werden danach als in einzelnen Politiksektoren bestehende Verhand-lungssysteme zwischen staatlichen und privaten Akteuren verstanden, welche durch Insti-tutionen sowie eingeschliffene Verhaltensmuster und Tauschprozesse zwischen den Ak-teuren einen gewissen Grad an interaktiver und struktureller Stabilität erlangen“ (Knill 2000, 112).
Es kann zwischen zwei Arten der Verwendung des politikwissenschaftlichen Netz-
werkkonzeptes unterschieden werden: zum einen als Raster zur Klassifizierung der
Beziehungen zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren (z.B. der Korpora-
tismus in den Niederlanden), zum anderen als neue Strategie politischer Steuerung.
Da sich ersteres für die Belange der Untersuchung zu stark auf staatstheoretische A-
nalysen bezieht, wird der Schwerpunkt auf der Funktion von Policy-Netzwerken als
Instrumente politischer bzw. gesellschaftlicher Steuerung liegen.
Policy-Netzwerke stellen allgemein gesprochen eine Form der Interaktion zwischen
öffentlichen und privaten Akteuren dar, die als „nicht-hierarchische Selbstkoordinati-
on“ (Knill 2000, 117) bezeichnet werden kann. Sie entstehen vor allem in Verbindung
mit politischen Problemlagen, die ein hohes Maß an Expertenwissen und vielfältiger
Ressourcen zu deren Bewältigung benötigen. Ähnlich zu den anderen Typen von
Netzwerken stehen auch hier der informelle Charakter der Verhandlungsmuster sowie
die relative Autonomie der Akteure im Vordergrund. Die Steuerung von strukturpoli-
tischen Prozessen mit dem Instrument des Netzwerkes wird bei der Analyse der tech-
nologie- und innovationspolitischen Maßnahmen zur Unterstützung der Medizintech-
nikbranche in Bayern und Nordrhein-Westfalen aufgegriffen (vgl. Kap.5).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
85
3. Wirtschaft im Strukturwandel – Problemaufriss zur Leistungsfä-
higkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
Die globale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft hängt in zunehmendem
Maße von ihrer Leistungsfähigkeit im innovatorischen Prozess ab. Dabei gewinnen
Wissen und der Faktor des Humankapitals gegenüber den anderen Produktionsfakto-
ren Kapital, Rohstoffe und Boden an Bedeutung. Die langjährige Debatte um den
Strukturwandel westlicher Industrienationen, der mit den Begriffen ‚Dienstleistungs-
gesellschaft’, ‚Informationsgesellschaft’ und ‚Wissensgesellschaft’ umrissen wird,
kann zugespitzt werden auf die These einer zunehmenden Verflechtung von Industrie
und Dienstleistungen, die ihre Wertschöpfung zum großen Teil aus immateriellen
Produktionsfaktoren bezieht.27 Wissen ist der zentrale Begriff dieses Kapitels. Im
ersten Teil wird dieser Leitbegriff in seiner Bedeutung für den innovationsorientier-
ten Wirtschaftsprozess aufgearbeitet. Was ist Wissen und welche Bedeutung hat es
als Produktivkraft in der Wirtschaft? Dabei wird zurückgegriffen auf die Unterschei-
dung von Polanyi (1985) in explizites und implizites Wissen, um darauf aufbauend
die Wissensverbreitung als mehrstufigen Prozess zu generieren (vgl. Nona-
ka/Takeuchi 1997). Schließlich wird noch einmal deutlich gemacht, wie bedeutsam
die Akkumulierung von Wissen für die Innovationstätigkeit von Branchen und Un-
ternehmen ist. Im zweiten Teil des Kapitels stehen der Status quo, die Probleme und
der Handlungsbedarf des deutschen Innovationssystems im Vordergrund. Hierbei
geht es vor allem um die empirische ‚Untermauerung’ der theoretischen Erkenntnis-
se. Wie entwickeln sich die Branchenstrukturen, was sind die Kennzeichen der wirt-
schaftlichen Innovationsprozesse in Deutschland und wo liegt ein Handlungsbedarf?
27 Vgl. zur Debatte um den Wandel von Industriegesellschaften u.a. Heidenreich 2003; Tauss/Kollbeck/Mönikes 1996; Baethge/Wilkens 2001; Bosch/Hennicke/Hilbert et al 2002, Willke 1998 ebenso wie die ‚Klassiker der These über die Dienstleistungsgesellschaft’: Fourastié 1969 und Bell 1985.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
86
3.1 Wissen als Basis des ökonomischen Strukturwandels
Bei den oben schon kurz angerissenen vielfältigen Modellen der postindustriellen
Gesellschaft bietet das Konzept der Wissensgesellschaft28 den am besten nutzbaren
Rahmen für die Darstellung der Gegenwartsgesellschaft innerhalb dieser Untersu-
chung. In Erweiterung des Begriffs der Informationsgesellschaft bietet dieses Kon-
zept den Vorteil, dass es nicht ausschließlich über eine zunehmende Technisierung
der Strukturen definiert wird. Zudem wird über die eingeschränkten Annahmen der
Dienstleistungsgesellschaft – die eher ein statisches Bild über die zunehmende Be-
deutung des Dienstleistungssektors gegenüber der Industrie liefern und damit die
bedeutsame Verknüpfung von Industrie und Dienstleistungen außer Acht lassen –
hinaus eine breitere gesellschaftliche Analysebasis herangezogen, die politische, so-
ziale und wirtschaftliche Strukturen mit einbezieht. Die Kennzeichen der Wissensge-
sellschaft lassen sich in Anlehnung an Heidenreich (2003) in einer ersten Herange-
hensweise wie folgt darstellen:
1. Neue Informations- und Kommunikationstechniken, ihre Nutzung und Vor-
aussetzung spielen eine wichtige Rolle.
2. Wissen wird als wichtiger Produktionsfaktor und als eine der Grundlagen für
wirtschaftliches Wachstum eingeführt.
3. Branchen, die wissensbasierte Dienstleistungen und Produktionsprozesse
umfassen gewinnen an Aufmerksamkeit.
4. Organisationen und ihre Regulationsstrukturen bilden eine Grundlage für die
Institutionalisierung von Lernprozessen (vgl. Kapitel 2.2.1.1 und 2.2.1.2 zur
Bedeutung von struktureller Kopplung).29 Diese Institutionalisierung geht
einher mit einer Bereitschaft zur Infragestellung und Revision traditioneller
Beobachtungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster.
28 Einen zusammenfassenden Überblick über die früheren Auseinandersetzungen mit wissensbasierten Gesellschaften (Marx, Weber, Sombart und die Diskussion der 60er/70er Jahre des letzten Jahrhun-derts) liefert Heidenreich (2003, 29-36). 29 Die Diskussion um ‚lernende Organisationen’ (vgl. u.a. Willke 1998a; verschiedene Beiträge in Ortmann/Sydow/Türk 2000; Weick/Westley 1996) wird hauptsächlich von dem Gedanken getragen, dass Organisationen die Handlungsmöglichkeiten ihrer Mitglieder durch Entscheidungsregeln bündeln und koordinieren und damit kollektive Lernprozesse etablieren, die zwar nicht gänzlich personenu-nabhängig stattfinden, aber doch in soweit systematisiert werden, dass sie getrennt und nur lose ge-koppelt mit den Lernprozessen der Mitglieder agieren. Damit wird organisationales Lernen als Pro-zess verstanden, „der eine Veränderung der Wissensbasis der Organisation beinhaltet, der im Wech-selspiel zwischen Individuen und der Organisation abläuft, der in Interaktion mit der internen und/oder externen Umwelt stattfindet, der durch Bezugnahme auf existierende Handlungstheorien in der Organisation erfolgt und der zu einer Systemanpassung der internen bzw. an die externe Umwelt und /oder zu erhöhter Problemlösungsfähigkeit des Systems beiträgt“ (Pawlowsky 1992, 204 zit. n. Willke 1998, 294).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
87
5. Grenzüberschreitende Prozesse wie Informations-, Kommunikations-, Güter-
und Finanzströme wie auch ausgeprägte Innovationstätigkeiten und damit
zunehmende Anforderungen an die Flexibilität von Prozesskomponenten
gewinnen gegenüber nationalstaatlichen Regulierungen und Sichtweisen an
Bedeutung. Diese Entwicklung bezeichnet aber durchaus keine generelle
Abkehr von nationalstaatlichen Regelungsmustern, gerade nationale und re-
gionale Innovationsregime leisten einen nicht unbedeutenden Beitrag zur E-
tablierung der Wissensgesellschaft (vgl. Kapitel 3.2).
Willke hebt mit seiner Definition der Wissensgesellschaft die Bedeutung von Inno-
vationen hervor und eignet sich deshalb zur Übernahme in diesem Kontext: „Von einer Wissensgesellschaft oder einer wissensbasierten Gesellschaft lässt sich sprechen, wenn zum einen die Strukturen und Prozesse der materiellen und symboli-schen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhängigen Operationen durch-drungen sind, daß Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensyste-me gegenüber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden. Eine entschei-dende zusätzliche Voraussetzung der Wissensgesellschaft ist, daß Wissen und Experti-se einem Prozeß der kontinuierlichen Revision unterworfen sind und damit Innovatio-nen zum alltäglichen Bestandteil der Wissensarbeit werden“ (Willke 1998, 355).
Nachdem nun in einer allgemeinen Hinleitung zum Thema die wichtigsten Kennzei-
chen des Konzeptes der Wissensgesellschaft herausgearbeitet worden sind, muss im
Folgenden der Begriff des Wissens als Kern der Betrachtung genauer definiert wer-
den.
Um das Verständnis von Wissen zu erhellen, muss die Unterscheidung von Daten und
Information vorgenommen werden, um darauf aufbauend zu der Konzeption von
Wissen zu gelangen. Daten sind nichts weiter als ein Rohstoff, dem an sich wenig
Bedeutung zukommt, solange er nicht in einen Kontext eingebunden ist. Das heißt
aber auch, dass Daten nur über die Ebene der Beobachtung von Akteuren wahrge-
nommen werden und damit durch ihre kognitiven Fähigkeiten. Dieser Prozess ist
hochgradig subjektiv, gefestigte Wahrnehmungsstrukturen bestimmen was beobachtet
wird und was nicht. Daten werden erst dann zu Informationen gebündelt, wenn sie in
einen Kontext, der für ein bestimmtes System Gültigkeit besitzt, eingebunden wer-
den. Welche Daten wie verwandt werden bestimmen Relevanzkriterien, die jeweils
systemspezifisch sind. Aufgrund von systemspezifischen Relevanzkriterien erscheint
ein Informationsaustausch auf den ersten Blick fast unmöglich. Willke konstatiert: „Was dem scheinbaren Informationsaustausch zugrunde liegt, ist ein komplizierter Pro-zeß. Er besteht darin, daß ein System (Ego) eine Information als Signal in Form codierter
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
88
Beobachtung abgibt. Für jedes andere System (Alter) ist dieses Signal nichts anderes als ein Datum, und auch dies nur, wenn es mit seiner Ausstattung an Instrumenten dieses Signal beobachten kann. Alter kann nun dieses Datum am Maßstab seiner spezifischen Relevanz bewerten und daraus eine Information konstruieren. Klar ist, daß dies für Alter eine andere Information ist als für Ego, sonst wären beide Systeme ja identisch“ (Willke 1998a, 9).
Der Paradoxie, die aus der Vorstellung resultiert, dass es einen wirklichen Informati-
onsaustausch zwischen Systemen geben kann, kann allerdings mit dem Verweis auf
kollektive Lernprozesse und der Schaffung eines gemeinsamen Erfahrungshorizontes
begegnet werden. Zum Verständnis dieser Schlussfolgerung ist die Einbeziehung des
Terminus Wissen von Bedeutung.
Polanyi (1985) unterscheidet zwischen implizitem und explizitem Wissen und setzt
damit die Grundlage für weitere Überlegungen. Implizites Wissen ist sehr subjektiv
und beinhaltet sowohl technische als auch kognitive Elemente, die kontextgebunden
sind und damit schwer kommunizierbar. Polanyi geht davon aus „daß wir mehr wis-
sen, als wir zu sagen wissen“ (1985, 14). Die technischen Komponenten beziehen
sich auf das konkrete praxisrelevante Know-how (z.B. handwerkliche Fähigkeiten,
die oft durch ein ‚learning-by-doing’ erworben werden). Währendessen geht es bei
den kognitiven Elementen des impliziten Wissens um Formen von Vorstellungen,
Paradigmen und Haltungen, mit dessen Hilfe der Mensch seine Wirklichkeit wahr-
nimmt und konstruiert. Explizites Wissen umfasst ein eher objektives theoretisches
Verständnis, was sich systematisch durch Sprache transportieren lässt. Zum Beispiel
können Bildungseinrichtungen als Träger der Vermittlung von explizitem Wissen
verstanden werden. Viel bedeutsamer als die Einzelbetrachtung der Kategorien von
Wissen ist deren Zusammenspiel. Nonaka und Takeuchi (1997) gehen in ihrer Unter-
suchung zur Organisation des Wissens der Frage nach, wie Wissen durch die Interak-
tion der beiden Formen geschaffen und erweitert werden kann.30 Zu diesem Zweck
haben sie das Modell der ‚Wissensspirale’ entwickelt, bei dem vier Formen der Wis-
sensumwandlung – Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung
– zu einer Erweiterung des Wissensbestandes von der individuellen bis zur Unter-
nehmensinteraktionsebene führen.
30 Neben Nonaka und Takeuchi haben Probst et al (1998) einen Ansatz zur Systematisierung einzelner Funktionen von Wissensmanagement in Organisationen entwickelt. Im Mittelpunkt interorganisatio-nalen Wissensmanagements steht die Generierung von neuem Wissen und die Speicherung und darauf folgende Nutzung von Daten. Beide Ansätze bieten allerdings keine theoretische Fundierung, sie sollten vielmehr als Systematisierungsversuche praktischer Erfahrungen verstanden werden (vgl. auch Wilkesmann/Rascher 2004).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
89
Abbildung 7: Die Wissensspirale nach Nonaka und Takeuchi
Quelle: Nonaka/Takeuchi 1997, 84.
Abbildung 7 verdeutlicht den spiralförmigen Prozess der Wissensschaffung, der
durch ein Zusammenwirken von implizitem und explizitem Wissen entsteht. Den
Ausgangspunkt bildet die Sozialisation, d.h. die Erlangung von implizitem Wissen
durch implizites Wissen selbst. Eine bedeutende Funktion kommt hierbei dem Termi-
nus der Erfahrung zu. Nur durch einen gemeinsamen Erfahrungskontext gelingt ein
Informationstransfer zwischen Menschen. Wie Nonaka und Takeuchi (1997, 75) aus-
führen, geschieht dies beispielsweise in der beruflichen Ausbildung. Der Auszubil-
dende in einem handwerklichen Betrieb erlernt das Wissen seines Vorgesetzten häu-
fig durch Nachahmung und Beobachtung. Man spricht in diesem Fall auch von ‚sym-
pathetischem Wissen’ (dies., 85), d.h. von gemeinsamen geistigen Modellen und
technischen Fertigkeiten. Der Austausch impliziten Wissens findet aber auch zwi-
schen Produktentwicklern und Kunden durch eine stetige Interaktion statt. Hierbei
verschwimmen allerdings schnell die Grenzen zum zweiten Modus, der Externalisie-
rung, dem Übergang von impliziten zu explizitem Wissen. Sprache stellt dabei die
entscheidende Ausdruckform dar. Implizites Wissen wird in Form von Metaphern
geäußert, was nichts anderes als die intuitive Wahrnehmung einer Sache durch die
bildliche Vorstellung einer anderen Sache bedeutet. Dadurch wird ein kreativer Pro-
zess in Gang gesetzt, der darauf abzielt Analogien herzustellen. Die widersprüchli-
chen Deutungsmuster, die durch eine Metapher vorliegen, können mit Hilfe von Ana-
Soziali-sation
Externa-lisation
Interna-lisierung
Kombi-nation
Learning by doing
Dialog
Verbindung von explizitem Wissen Feldaufbau
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
90
logien – d.h. Gemeinsamkeiten zweier unterschiedlicher Sachen werden betont – in
Einklang gebracht werden. „Eine Analogie ermöglicht das Verständnis des Unbe-
kannten durch das Bekannte und überbrückt die Lücke zwischen einem Bild und ei-
nem logischen Modell“ (dies., 80). Dadurch kann aus dem impliziten Wissen ein ex-
plizites Konzept entstehen. In einem dritten Modus, der Kombination, wird das expli-
zite Wissen innerhalb eines Wissenskomplexes verbunden, diese Kombination führt
zu neuem Wissen, was über Medien wie Dokumente, Computernetzwerke, Datenban-
ken und Konferenzen innerhalb einer Organisation geschehen kann. Durch die Inter-
nalisierung schließt sich der Kreislauf der Wissensumwandlung, indem das explizite
Wissen durch das so genannte ‚learning-by-doing’ in implizites Wissen umgeformt
wird. Mitglieder eines Projektteams haben durch die Erfahrung von Sozialisation,
Externalisierung und Kombination gemeinsame mentale Modelle und technisches
Know-how erworben, die sie bei anderen FuE-Projekten einbringen können. Nanako
und Takeuchi (1997) haben die Organisation des Wissens in Unternehmen untersucht
und kommen zu dem Schluss, dass die Wissensumwandlung innerhalb der Spirale
auch die verschiedenen Unternehmensebenen mit einbezieht. Ausgehend von der in-
dividuellen Ebene werden im Verlauf immer mehr Organisationseinheiten erfasst, so
dass es schließlich auch zu einer Vernetzung von Unternehmen kommen kann. Inno-
vative Prozesse bedürfen zusammenfassend der ständigen Auseinandersetzung, Kom-
bination, Weiterentwicklung und Verinnerlichung von Wissen in Interaktionsgemein-
schaften. Erleichtert wird dieser Prozess durch eine Routinisierung der Übergänge
von explizitem und implizitem Wissen in organisationalen Strukturen, die die indivi-
duelle und gemeinschaftliche Wissensartikulation fördern. Die effektive Wissensver-
mittlung und -umwandlung als Bedingung für innovative Prozesse benötigen nach
Nonaka und Takeuchi (1997, 88ff.) fünf Voraussetzungen innerhalb eines Unterneh-
mens:
1. Intention: Unternehmen müssen ihre Ziele klar definieren und eine Strategie,
wie das zu entwickelnde Wissen erfasst werden kann, konzipieren.
2. Autonomie: Die Mitarbeiter sollen über genügend Selbstverantwortung be-
züglich ihres Arbeitsumfeldes verfügen, dies fördert die Motivation zur Schaf-
fung neuen Wissens. Die Individuen, aber auch autonome Projektteams sind
dabei in eine Struktur des Unternehmens eingebunden und es kommt, im Sin-
ne der Wissensspirale zu einer Verbreitung des Wissens von der niedrigeren
zur höheren Organisationsebene.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
91
3. Fluktuation und kreatives Chaos: Hierbei steht die Unternehmen-Umfeld-
Beziehung im Vordergrund. Durch veränderte Marktbedürfnisse oder Konkur-
renz werden die routinierten Arbeitsabläufe und kognitiven Bezugssysteme
gestört, was eine Reflexion über die eingelebten Prozesse und Strukturen zur
Folge hat, was wiederum zu neuer Wissensschaffung führen kann.
4. Redundanz: Im Gegensatz zu einem spezifischen an das operative Geschäft
gebundenen Wissen handelt es sich bei Redundanz um die Existenz von In-
formationen, die über das Wissen des eigenen Aufgabenbereichs hinausgehen.
Der Einzelne kann damit die übergreifende Unternehmensstrategie besser ein-
ordnen und fachübergreifendes Wissen kann für die Reflexion über die eige-
nen Tätigkeiten wertvoll werden.
5. Notwendige Vielfalt: Der gleichberechtigte Zugang zu Informationen in der
gesamten Organisation ist entscheidend, um der Komplexität des Unterneh-
mensumfeldes zu entsprechen. Dadurch wird die Interaktion zwischen den
Mitgliedern erhöht, die flexibel auf Probleme reagieren können, da alle den-
selben Informationszugang besitzen.
Zusätzlich zu den bisher angeführten Formen der Wissensumwandlung und den Vor-
aussetzungen für die Entstehung der Wissensspirale ist nun der Blick auf die Wis-
sensschaffung in einem Unternehmen zur Betonung der Bedeutung der Produktivkraft
‚Wissen’ im wirtschaftlichen Prozess förderlich. Nonaka und Takeuchi (1997, 99ff.)
haben hierzu ein 5-Phasen-Modell entwickelt, das kurz vorgestellt werden soll. Die
erste Phase stellt den impliziten Wissensaustausch zwischen vielen autonomen Perso-
nen der unterschiedlichsten Fachrichtungen und Perspektiven dar, die in einem selbst
organisierten Team zusammenfinden. Diese Phase kann mit der Sozialisation gleich-
gesetzt werden. Sobald eine gemeinsame Grundlage geschaffen ist, kommt es zum
Aufbau von Konzepten – dem Übergang von implizitem zu explizitem Wissen. Dabei
steht ein kontinuierlicher kooperativer Dialog unter Zuhilfenahme von Metaphern
und Analogien im Vordergrund, der durch die Informationsredundanz gefördert wird.
In einer dritten Phase werden die entwickelten Konzepte im Hinblick auf ihre Nutz-
barkeit für die Unternehmensstrategie überprüft, z.B. in Form von Kostenkontrollen,
Qualitätsüberprüfung etc. Im nächsten Schritt werden Archetypen beispielsweise in
Form von Prototypen oder bei Dienstleistungsunternehmen in Form von Operations-
modellen entwickelt. Es geht jeweils um die Kombination von neu geschaffenem ex-
plizitem Wissen mit vorhandenem explizitem Wissen. Wichtig hierbei ist die Zu-
sammenarbeit verschiedener Abteilungen, da Vielfalt und Redundanz den Prozess
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
92
erleichtern. Schließlich gilt es das gewonnene Wissen zu übertragen. Der Archetyp
findet Eingang in andere Organisationsebenen und ist dort neuen Zyklen der Wis-
sensschaffung dienlich.
Die gesamten fünf Phasen sind nichtlinear und interaktiv, d.h. die ersten vier Phasen
verlaufen organisationsintern horizontal, die letzte Phase der Übertragung des Wis-
sens kann dann auch vertikal ausgerichtet sein. In den Wissensprozessen selbst wird
aber auch eine Herausforderung beispielsweise für Entwicklungsteams gesehen:
„Während unter der Perspektive auf Kooperationsprozesse die Zusammenarbeit selbst
zum Gegenstand gemacht wird, die es neu zu strukturieren gilt, rückt unter der Per-
spektive der Innovation die Umstrukturierung des Wissens durch Erweiterung und
Neukombination in den Vordergrund. Dabei werden die bestehenden Wissensstruktu-
ren in Bezug auf Produkte, Verfahren oder Organisationspraxis selbst zum Gegens-
tand gemacht“ (Vollmer/Wehner 2007, 34). Die Schwierigkeit besteht darin, dass
unsicher ist, welches Wissen zur Konstruktion neuer Wissensstrukturen zur Verfü-
gung steht. Neben den hier vorgestellten meist internen Wissensbildungsprozessen
werden auch organisationsexterne Expertengruppen in den Prozess integriert und an
verschiedenen Stellen des Zyklus ist das gesamte Unternehmen eingebunden (vgl.
Lehner 2000). Baecker (2000) sieht gerade in der Öffnung von Organisationen ge-
genüber ihrer Umwelt durch eine flexible und interaktive Vernetzung mit externen
Akteuren einen Erfolg versprechenden Ansatz für ein innovationsorientiertes Wis-
sens- bzw. Unternehmensmanagement.
Die obigen Ausführungen lassen den Schluss zu, dass es in der heutigen Gesellschaft
zu einer neuen Qualität von wirtschaftlichen Prozessen gekommen ist, die eng mit der
Verarbeitung und Findung von Wissen einhergehen. Wirtschaftlicher Erfolg hängt
zunehmend von gesellschaftlicher Interaktion in Form von Wissensteilung ab. War in
den Anfängen der Nationalökonomie als Wissenschaftsdisziplin vor allem die Er-
kenntnis über die Wirkung der Arbeitsteilung von herausragender Bedeutung, so ist
heute die Nutzung und Gewinnung von Wissen (Wissensteilung) bedeutsam. Beide
Termini beinhalten den Begriff der Teilung; dieser schließt zum einen die Aufteilung
auf spezifische Tätigkeiten und die Fragmentierung nach Fachgebieten als auch die
Beteiligung innerhalb eines Prozesses einer vorteilhaften Zusammenführung mit ein.
„Wissensteilung […][nennt man, Anm. d. Verf.] mit Friedrich A. von Hayek jenen
komplexen gesellschaftlichen Vorgang, der das verstreut bei den vielen selbständig
handelnden Wissensträgern vorhandene und laufend erneuerte Wissen synergetisch
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
93
zum Vorteil der Gesellschaft insgesamt zur Entfaltung bringt“ (Brödner et al 1999,
12). Im Gegensatz zur Arbeitsteilung, die die Arbeitsproduktivität vornehmlich durch
die Aufteilung in einzelne Arbeitsschritte und die Spezialisierung auf den jeweiligen
Arbeitsprozess steigert, geht es bei der Wissensteilung nicht um die Weitergabe eines
Produktes oder um die getrennte Weiterverarbeitung, sondern vielmehr um die Siche-
rung der Teilhabe an implizitem und explizitem Wissen, was einen Diffusionsvor-
gang darstellt. Dass die Wissensteilung immer mehr an Bedeutung gewonnen hat zei-
gen der Wandel der industriellen Arbeitsplätze bzw. die an sie neu gestellten Anfor-
derungen.
Falsch wäre es in diesem Zusammenhang von einer Abkehr von der Industriegesell-
schaft per se zu reden, an die Wissensgesellschaft ist in der Realität ohne industrielle
Arbeitsplätze nicht zu denken. Was den Organisationssoziologen – und nicht nur die-
sen – bei den Konzepten des ‚Fordismus’ und des ‚Taylorismus’ vorschwebt, bei de-
nen es um die enge Zuschneidung von Arbeitsplätzen und Tätigkeiten auf kleinste
Produktionsschritte und das Ersetzen von Handarbeit durch Maschinen geht, be-
stimmt heute kaum noch die Arbeitsplatzabläufe in der Industrie (vgl. u.a. Kieser
2002, Konrad/Schumm 1999). Wurde lange Zeit die Vision einer menschenfreien
Fabrik aufrechterhalten, so kam es Ende des 20. Jahrhunderts doch zu einem ein-
schneidenden Umschwung in der Denkweise. Aufgrund der komplexen, vielfach au-
tomatisierten Produktionsprozesse, die mit hohen Kosten für Anlagen und deren Un-
terhaltung einhergingen, kam es bei Störungen im Produktionsablauf zu immensen
Stillstandskosten. Da diese Stillstände unvermeidlich sind, gilt es die Kosten mög-
lichst gering zu halten. Dafür sind fachlich gut qualifizierte Maschinenführer erfor-
derlich, die bei einem Störfall schnell eingreifen und den Schaden beheben. Im Nor-
malfall üben die Facharbeiter Kontrolltätigkeiten aus, aber gerade bei Stillständen
sind deren Wissen und ihre Erfahrung für eine schnelle Wiederaufnahme der Produk-
tion unerlässlich.
Damit sind die heutigen industriellen Arbeitsplätze vielfach hochgradig wissensba-
siert geworden und haben nichts mehr gemein mit den vormals in kleinste Einheiten
zerlegten Tätigkeiten. Das eigenverantwortliche Handeln der Beschäftigten aufgrund
ihrer breiten Wissensbasis steht im Vordergrund. Zuspitzen lässt sich diese Argumen-
tation darauf, dass es sich im Taylorismus weniger um Arbeitsteilung als vielmehr um
Arbeitszerlegung gehandelt hat, die nunmehr von einer Wissensteilung abgelöst wur-
de (vgl. Brödner et al 1999). Die enorme Zunahme von Informations- und Kommuni-
kationstechnologien (IuK-Technologien) und die Verschiebung der Beschäftigten-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
94
struktur zugunsten einer höheren Qualifizierung in allen Wirtschaftsbranchen sind
zwei Hauptmerkmale des Wandels zur Wissensgesellschaft. Die Nachfrage nach den
so genannten ‚knowledge workers’ (vor allem Hochschulabsolventen) ist in der Euro-
päischen Union und den USA in den neunziger Jahren jährlich um 3,3 % gestiegen.
Der Anteil der ‚service workers’ (Dienstleistungsbeschäftigte) wuchs jährlich durch-
schnittlich um 2,2 %, der Anteil der ‚management workers’ (organisierende, verwal-
tende Tätigkeiten) nahm um 1,6 % zu und der Anteil der ‚data workers’ (Datenverar-
beitung, Informationstechnologie) stieg um 0,9 % im jährlichen Durchschnitt. Wäh-
renddessen sank die Zahl der in der Güterproduktion Beschäftigten jährlich um 0,2 %
in demselben Zeitraum. Die Tätigkeiten in der Wissensgesellschaft zielen folglich auf
die so genannte ‚Kopfarbeit’ ab, was sich negativ auf die Arbeitsplatzentwicklung im
Bereich der einfachen Qualifikationen auswirkt (vgl. OECD 2001).
Somit ist Wissen also zu einem zentralen Produktionsfaktor geworden, dessen beson-
dere Bedeutung sich bei der Bewältigung hochkomplexer, dynamischer betrieblicher
Abläufe zeigt. Kennzeichen der Wissensgesellschaft sind dabei nicht nur die ökono-
mischen Prozesse, von denen hier vornehmlich die Rede ist, vielmehr geht es um ein
Zusammenspiel der verschiedenen Institutionen der Wissenteilung. Auf der einen
Seite sind dies die Institutionen der Wissensfindung und –sicherung, die Hochschulen
und Forschungseinrichtungen, daneben die Institutionen der Wissensvermittlung, die
Bildungseinrichtungen wie Schulen ebenso wie Transferstellen, die Grundlagenwis-
sen in wirtschaftliche Innovationen umsetzen, umfassen und zuletzt die Wirtschaft
selbst, die als Institution der Wissensverwertung zu verstehen ist. Die Interaktion
zwischen diesen Institutionen der Wissensteilung, bei der es sowohl zu einer Wis-
sensdiffusion als auch zu einer Wissensspezialisierung kommt, kann die Innovations-
fähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft erhöhen.
Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich im Speziellen mit den Problemen und
Chancen des deutschen Innovationssystems, dessen Institutionen sich immer mehr in
einen Interaktionsprozess der Wissensnutzung und -findung eingliedern müssen.
3.2 Das deutsche Innovationssystem auf dem Prüfstand
Werner Abelshauser (2004, 64) bringt das Problem der Innovationsfähigkeit der deut-
schen Wirtschaft und Gesellschaft auf den Punkt: „Innovationen fallen nicht wie
Manna vom Himmel.“ Vielmehr betont er, dass es um innovationsorientierte Denk-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
95
und Handlungsweisen geht, die sich in einem institutionellen Rahmen bzw. einem
spezifischen sozialen Produktionssystem niederschlagen. Genau an diesem Punkt
stellt sich die Frage, ob das gegenwärtige Produktionsregime/-system die Fähigkeit
besitzt, sich neuen, dynamischen und innovativen (Vorreiter-)Märkten anzupassen.
Die Konjunkturkrise des letzten Jahrzehnts scheint zwar mit dem aktuellen Wirt-
schaftswachstum erst einmal überwunden und die Journalisten der deutsche Wochen-
zeitung Die Zeit sprechen gar schon von einem „Rausch des Aufschwungs“ (Heuser
et al 2007, 1), nichtsdestotrotz geht es im Kern um die Notwendigkeit einer grundle-
genden Weiterentwicklung des Standorts Deutschland mit einer Ausrichtung auf spit-
zentechnologische Forschung und Produktion in dessen Umfeld sich unternehmens-
nahe, wissensintensive Dienstleistungsbranchen etablieren können. Die Spezifika des
deutschen Produktionsregimes lassen sich nach wie vor in Anlehnung an Naschold
(1997, 29) wie folgt charakterisieren:
1. Sektorstruktur: Es herrscht eine breite Spezialisierung innerhalb der Sektoren
zugunsten höherwertiger Technologien und in qualitätsorientierten und preis-
elastischen Nachfragesegmenten vor. Die deutsche Wirtschaft ist stark ex-
portorientiert, zudem gibt es nur mäßig entwickelte (im internationalen Ver-
gleich der wissensintensiven Dienstleistungsbranchen) und relativ geschützte
Dienstleistungsmärkte auf denen eher wenig Wettbewerb herrscht.
Die klassischen Branchenschwerpunkte liegen in den industriellen Clustern
rund um die Chemie, den Maschinenbau und die Fahrzeugindustrie.
2. Unternehmensstruktur: Vorwiegend sind die Unternehmen funktional und hie-
rarchisch segmentiert organisiert, den Kern bildet ein breites mittleres Quali-
fikationsniveau der Beschäftigten (klassischer Facharbeitsstatus und Beruf-
lichkeitsprinzip). Hinzu kommt ein Technologietransfer zwischen Industrie
und Wissenschaft.
3. Interorganisatorische Kooperationsstruktur: Hierbei handelt es sich um inner-,
zwischen- und überbetriebliche Kooperationsverflechtungen zwischen Unter-
nehmen und dem System industrieller Beziehungen (hoher korporativistischer
Institutionalisierungsgrad).
Gerade im Bereich der Unternehmensstrukturen wird zum Beispiel der Hauptunter-
schied zur Ökonomie der USA deutlich. Dort sind die Unternehmen vermehrt pro-
zess- und projektorientiert, haben die Bedeutung der Wissensakkumulation früher
erkannt und wenden sich stärker einem ‚Learning-by-doing’ als dem Prinzip der Be-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
96
ruflichkeit zu. Zudem gestaltet sich die Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft
viel intensiver als in Deutschland. Heidenreich (1999) unterscheidet hier zwischen
normativ und kognitiv stilisierten Innovationssystemen. Während in Letzteren Basis-
innovationen überwiegen, sind in normativen Innovationssystemen – zu denen er
Deutschland zählt – eher inkrementelle Innovationen in industriellen Traditionsbran-
chen (Automobilherstellung, Elektro- und Maschinenbau, chemische Industrie) zu
finden.
Die seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stark geführte Debatte
um die Wettbewerbsfähigkeit31 des deutschen Wirtschaftstandortes lässt sich auf vier
Argumentationsgänge zuspitzen (vgl. u.a. zusammenfassend Naschold 1997; Si-
mons/Westermann 1994; McKinsey 1997).
A) Die Kostenkrise: Das Hauptproblem der deutschen Wirtschaft wird allgemein
in seiner Kostenintensivität gesehen. Damit sind zum einen die hohen Ar-
beitskosten zu verstehen, zum anderen die von der Makroebene forcierte Ü-
berregulierung der Märkte zulasten von Flexibilität und Innovationsfähigkeit.
Im globalen Wettbewerb äußern sich diese Strukturprobleme in einer nachlas-
senden Wettbewerbsfähigkeit bzgl. des Kostenfaktors, insbesondere bei der
Herstellung von Massenproduktionsgütern, gegenüber Niedriglohnländern,
und in einer mangelnden Innovationsleistung gegenüber Hochtechnologielän-
dern bei spezifischen Hochpreisprodukten.
B) Die Konjunkturkrise: Die Schwäche der deutschen Wettbewerbsfähigkeit
wird durch eine konjunkturelle Krise hervorgebracht, die sich durch struktu-
relle Aspekte verstärkt. Den Kernpunkt bildet die Kritik an einer makroöko-
nomischen Fehlsteuerung (Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik) nach der Wieder-
vereinigung, die durch sektorale Probleme verschärft wird. Diese ergeben sich
u.a. aus einem nur gering wettbewerbsfähigen Dienstleistungssektor.
C) Die Innovationskrise: Im Gegensatz zu den Thesen über Kosten- und Kon-
junkturkrisen wird hier die Strukturproblematik in der rückläufigen Innovati-
onsdynamik der Unternehmen gesehen. Zwar befindet sich die deutsche Wirt-
schaft noch immer auf einem, im internationalen Vergleich hohen Leistungs-
niveau, Missstände ergeben sich allerdings aufgrund von mangelnden Pro-
duktinnovationen. Im Gegensatz zu einer Etablierung von Vorreitermärkten in
31 Unter Wettbewerbsfähigkeit ist die Sicherung eines im internationalen Vergleich hohen Produktivi-tätsniveaus (Produktivität ist dabei der Wert, der einem Produkt von einer Einheit Arbeit zugefügt wird) in hochproduktiven Sektoren und Branchen zu verstehen.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
97
Hochtechnologiebranchen oder auch in traditionellen Sektoren (z.B. Fahr-
zeugbau) in den USA und Japan haben die deutschen Branchen einen erhebli-
chen Nachholbedarf im dynamischen Strukturwandel. Vor allem der Inflexibi-
lität des Institutionengefüges kommt hier eine hemmende Wirkung zu (vgl.
zur Rolle von Lead-Märkten Beise et al 2002 oder die Beiträge in BMWI
2002).
D) Die Sektorenkrise: Explizit wird Kritik an der starken Spezialisierung auf die
traditionellen Industriesektoren (Maschinen- und Fahrzeugbau, Chemie) und
einem nur verzögert eintretenden Strukturwandel in Richtung von Hochtech-
nologiebranchen geübt. Die hohe Dynamik der High-Tech-Sektoren, die sich
durch einen starken Wettbewerb und ‚Learning-by-doing’-Effekte ergibt, führt
zu wachsenden Skalenerträgen, die sich bei einem entsprechend großen Anteil
an allen Branchen positiv auf die volkwirtschaftliche Gesamtrechnung aus-
wirken.
Zusammenfassend ergeben sich drei gemeinsame Kritikpunkte im Rahmen der The-
sen zur Standortdebatte:
→ fehlende Dynamik des Strukturwandels mit einer starken Konzentration auf tradi-
tionelle Industriesektoren und einer Schwäche in Spitzen- und Hochtechnologie-
branchen;
→ gehemmte (radikale) Innovationsfähigkeit bei Produkten und Prozessen;
→ kaum Beschäftigungswirkung des Wirtschaftswachstums.
Im Rahmen dieser Untersuchung gewinnt die genauere Betrachtung der gehemmten
Innovationsdynamik ebenso wie die der starken Sektorspezialisierung an Bedeutung.
Allein unter Kostengesichtspunkten lassen sich die Probleme der Wettbewerbsfähig-
keit nicht diskutieren. Zwar steht fest, dass aufgrund der Globalisierung und dem Bei-
tritt zahlreicher osteuropäischer Länder zur EU die deutsche Wirtschaft einem starken
Kostendruck ausgesetzt ist, der auch bei Qualitätsprodukten und auf Nischenmärkten
die Preiselastizität ansteigen lässt, ebenso wie ein forcierter Wettbewerb bei den Ar-
beitskosten, dem bezüglich der Löhne und Lohnnebenkosten in den Niedriglohnlän-
dern kaum zu begegnen ist. Jedoch betreffen diese spezifischen Kostenentwicklungen
längst nicht alle Bereiche der deutschen Produktpalette. Einer Studie von McKinsey
(1997) zufolge, die die führenden Unternehmen der europäischen Elektronikindustrie
im Vergleich zu globalen Spitzenunternehmen untersucht, entfallen nur 11 % von den
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
98
50 % Kostenunterschieden von deutschen Produkten im internationalen Vergleich auf
Faktorunterschiede bei Arbeit, Kapital und Material. Das Gros der Kostendifferenz
wird durch eine geringere Organisations- und Prozessproduktivität (12 %) und Män-
gel bei der Produktgestaltung (17 %) verursacht. Damit unterstreicht dieses Beispiel,
dass die Gründe für die nachlassende Dynamik der deutschen Wirtschaft im Leis-
tungswettbewerb zunehmend an anderer Stelle zu suchen sind. Ein Blick auf das
deutsche Innovationssystem kann Aufschluss darüber geben.
Obwohl es schwierig ist von einem idealtypischen deutschen Innovationssystem zu
sprechen, da nicht alle Branchen bzw. Unternehmen demselben Innovationsmuster
folgen, so können aber durchaus typisch deutsche Merkmale herausgearbeitet werden.
Kennzeichnend für das hiesige nationale Innovationssystem ist eine hochwertige,
inkrementelle Produktverbesserungsstrategie im Kontext langfristiger Beziehungen
verschiedener Institutionen, insbesondere zu Zulieferern und Kunden. Im Gegensatz
zu radikalen Produktinnovationen, mit denen neue Märkte oder Kundengruppen er-
schlossen werden, die aber auch neue Produktionsverfahren oder organisationale Um-
strukturierungen beinhalten, geht es bei inkrementellen Innovationen um kleine,
schrittweise eingeführte Änderungen, die sich im Rahmen der bestehenden Beziehun-
gen z.B. zu Kunden oder Zulieferern bewegen und in bisherige Prozessstrukturen
eingebunden werden können (vgl. Becker/Vitols 1997). Sowohl bei Produkt- als auch
bei Prozessinnovationen orientieren sich die deutschen Unternehmen folglich vorwie-
gend an Kundenbedürfnissen. Trotzdem sind radikale Innovationen nicht ausge-
schlossen, bislang werden diese aber vom Innovationssystem nicht ausreichend unter-
stützt. Zum einen fördert das System der Arbeitsbeziehungen (Betriebsräte und ge-
setzlich geregelter Kündigungsschutz) die Erwartung an eine langfristig gesicherte
Beschäftigung, zum anderen unterstützt das Ausbildungssystem (vor allem die duale
Berufsausbildung) den Aufbau von unternehmens- und technologiespezifischen Fä-
higkeiten, die ebenfalls eine Langfristperspektive aufweisen.
Diese Strukturen stehen den hohen Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen eher
entgegen, als dass sie diese fördern. Die öffentlichen und halböffentlichen For-
schungseinrichtungen (z.B. Fraunhofer Institute) haben sich in der Mehrzahl auf an-
wendungsorientierte Forschung in speziellen Branchensegmenten konzentriert. Auch
das von Banken dominierte deutsche Finanzsystem bietet eher langfristiges Kapital zu
festen Zinssätzen anstelle von Risiko- oder Startkapital an. Dies kommt etablierten
Unternehmen auf traditionellen Märkten zugute und stellt somit ein Hemmnis für
Unternehmen in zukunftsträchtigen und forschungsintensiven High-Tech-Sektoren
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
99
dar. Gründe dafür sind die von den Banken üblicherweise geforderten Kreditsicher-
heiten durch Bürgschaften in Form fester Anlagen und die Bereitschaft zum überwie-
genden Teil in kapitalintensive Anlagen zu investieren. Beide Forderungen können
häufig nicht von forschungs- und humankapitalintensiven Unternehmen, die neue
Märkte im High-Tech-Bereich erschließen wollen, erfüllt werden. Das Dilemma der
deutschen Innovationsproblematik wird im Folgenden anhand eines Exkurses zur
sektoralen Verflechtung der deutschen Wirtschaft und einer Untersuchung zur tech-
nologischen Wettbewerbsfähigkeit deutlich.
EXKURS: Die sektorale Verflechtung der deutschen Wirtschaft
Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit
der intersektoralen Betrachtung des Strukturwandels und dem Stellenwert sowie der
Potenziale des Dienstleistungssektors in Deutschland auseinandergesetzt (vgl. u.a.
Heinze/Eichener 2005b, Baethge/Wilkens 2001 oder zum sozioökonomischen Struk-
turwandel in Deutschland SOFI et al 2005). Im Rahmen dieser Arbeit erscheint vor
allem der Blick auf die intrasektoralen Veränderungen hinsichtlich der Verflechtun-
gen zwischen Industrie- und Dienstleistungssektor aufschlussreich.
Es wird der Frage nachgegangen, ob das Verarbeitende Gewerbe, wie es bisher den
Anschein hatte, tatsächlich an Bedeutung verloren hat oder ob sich im Gegenzug
neue Strukturen wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen den beiden Sektoren her-
ausgebildet haben.
Zum einen wird anhand des Tätigkeitsprofils der Erwerbstätigen nachgewiesen, dass
es auch hier zu einer Tertiarisierung gekommen ist, zum anderen geben die Ände-
rungen in der sektoralen Arbeitsteilung Aufschluss darüber, dass es tatsächlich ge-
genseitige Abhängigkeiten, insbesondere in Bezug auf Vorleistungen und Absatz-
markt, zwischen dem sekundären und dem tertiären Sektor gibt.
„Der Tertiarisierungsgrad der deutschen Wirtschaft muß heute auf über 83 % ge-
schätzt werden, wenn alle Tätigkeiten außer Herstellen als Dienstleistungen definiert
werden“ (Grömling et al 1998, 78). Damit ergibt sich eine ‚zusätzliche’ Tertiarisie-
rung von über 15 %. Nimmt man das Einstellen und Warten von Maschinen als wei-
teren Indikator für Produktionstätigkeiten hinzu, sinkt zwar der Tertiarisierungsgrad
um gut 7 %, liegt damit aber immer noch deutlich über dem Anteil der Erwerbstäti-
gen im Dienstleistungssektor. Zu den Dienstleistungstätigkeiten zählen unabhängig
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
100
vom Wirtschaftssektor: Reparieren, Handel treiben, Büroarbeiten, Planen/Forschen,
Leiten, Allgemeine Dienstleistungen, Sichern und Ausbilden/Informieren.
In Tabelle 4 ist zu erkennen, dass im Verarbeitenden Gewerbe gut die Hälfte der Tä-
tigkeiten den Dienstleistungen zugerechnet werden können (52,1 %). Wie erwartet
sind dagegen produzierende Tätigkeiten im Dienstleistungssektor eher unterrepräsen-
tiert (im Durchschnitt der einzelnen Branchen etwa 6,6 %). Die Entwicklung zur
Verflechtung der beiden Sektoren anhand der Tätigkeitsspektren hat schon früh ein-
gesetzt. In dem Zeitraum zwischen 1982 und 1995 hat sich vor allem innerhalb des
Verarbeitenden Gewerbes ein gewisser Wandel von der Herstellung (minus 8,8 %)
hin zur Einstellung und Wartung von Maschinen (plus 6,9 %) vollzogen. Immer
komplexere Arbeitsprozesse, einhergehend mit einem steigenden Anteil von Tätig-
keiten des Informierens, Leitens, Planens und Forschens, lassen die Anforderungen
an das Humankapital steigen.
Als erstes Fazit zum hohen Tertiarisierungsgrad entsprechend der Tätigkeitsprofile
lässt sich feststellen, dass Dienstleistungstätigkeiten seit langem in den Produktions-
prozess eingebunden sind. Dies ist ersichtlich an dem hohen Anteil von Büro-, Pla-
nungs- und Forschungsarbeiten sowie leitenden Tätigkeiten im Verarbeitenden Ge-
werbe. Der Zusammenhang kann als Indikator für zunehmend komplexer und an-
spruchsvoller werdende Arbeitstätigkeiten gelten, die nur noch aus einer Verbindung
von Dienstleistungen und Produktion erledigt werden können. Die wirtschaftlichen
Akteure liefern nunmehr umfassende Güterkonzepte, die sowohl das Produkt selbst
als auch eine speziell auf den Kunden zugeschnittene Konzeption und Finanzierung,
wie einen Wartungs- und Reparaturservice, umfassen. Die Industrietätigkeit ist zu-
nehmend dienstleistungsintensiver geworden.
101
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im
Innovationswettbew
erb
Tabelle 4: Tätigkeitsprofil nach Sektoren 1995; vorwiegend ausgeübte Tätigkeit, in %
Produktionstätigkeiten Dienstleistungen
Maschinen einstellen/ warten Herstellen Gesamt Reparieren
Handel betreiben Büroarbeiten Planen/Forschen Leiten
Ausbilden/ Informieren Gesamt
Agrarwirtschaft 1,2 85 86,2 1,0 2,9 5,8 0,8 1,5 1,8 13,8 Versorgungswirtsch. 20,4 21,6 42,0 11,9 2,3 26,6 7,3 8,1 1,8 58,0 Verarbeitendes Gewer-be 19,8 28,1 47,9 7,5 6,2 21,8 8,1 7,2 1,4 52,1 Baugewerbe 6,1 45,1 51,2 19,6 2,2 16,2 4,9 5,4 0,6 48,8 Handel 2,1 5,1 7,2 6,8 51,8 24,2 1,7 6,2 2,1 92,8 Verkehr/Nachrichten 7,0 3,4 10,3 5,2 5,5 64,9 3,0 8,8 2,3 89,7 Ban-ken/Versicherungen 0,8 0,4 1,2 0,8 20,3 58,7 2,2 13,1 3,5 98,9 Sonstige Dienste 2,2 5,4 7,6 3,3 3,9 33,4 5,7 4,3 41,9 92,4 Haushalte/ohne Er-werbszweck 1,5 6,7 8,2 3,9 1,1 39,5 2,0 5,8 39,6 91,8 Staat 1,8 3,3 5,1 3,6 1,0 69,8 4,9 7,7 7,9 94,9 Insgesamt 7,6 16,6 24,3 6,2 11,2 33,0 5,1 6,3 13,9 75,7 Quelle: Grömling et al (1998, 81); eigene Hervorhebung.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
102
Wirft man nun einen detaillierten Blick auf die Verflechtungen zwischen Dienstleis-
tungssektor und Verarbeitendem Gewerbe, fallen besonders die Vorleistungsliefe-
rungen und -bezüge auf. Das Verarbeitende Gewerbe dominierte zu Beginn der 80er
Jahre noch die Vorleistungsmärkte. Der Sektor hatte sowohl die Hälfte an Vorleis-
tungen abgenommen als auch fast die Hälfte an Vorleistungen an andere Branchen
geliefert. Bis Mitte der 1990er Jahre kehrte sich das Bild zugunsten der Dienstleister
um, die nun den Markt mit fast der Hälfte an Vorlieferungen bedienen. Dabei sind
besonders Dienstleistungs- und Versorgungsunternehmen typische ‚Netto-
Lieferanten’, d.h. sie liefern mehr an andere Branchen als sie selbst an Vorleistungen
beziehen, wohingegen das Verarbeitende Gewerbe mehr Vorleistungen einkauft als
es tatsächlich an andere Branchen liefert. Dieser Trend geht einher mit den Bestre-
bungen der Industrie, besonders im Verlauf der 90er Jahre Produktionskomponenten
aus Kostengründen auszugliedern (‚Outsourcing’) und diese Leistungen von anderen
Unternehmen einzukaufen. Damit stellt das Verarbeitende Gewerbe für die ‚interme-
diären’ Dienstleister, also die wirtschaftnahen Dienstleistungsunternehmen, einen
wichtigen Absatzmarkt dar. Die Endverbraucher- oder Endverwendungsmärkte ha-
ben hierbei nicht diejenige Bedeutung, die sie demgegenüber für das Verarbeitende
Gewerbe haben.
Als Zwischenfazit ergibt sich, dass die Industrie auch weiterhin eine „wichtige Dreh-
scheibe der Wirtschaft“ (Grömling et al 1998,92) ist. Ohne eine prosperierende In-
dustrie brechen für viele Dienstleistungen die Absatzmärkte ein. Verflechtungen der
beiden Sektoren und gegenseitige Abhängigkeiten sind faktisch nicht von der Hand
zu weisen. Die produzierten Güter weisen infolgedessen in Deutschland eher einen
zusammengesetzten Charakter aus Dienst- und Industrieleistungen auf, was auch für
die Innovationsleistung der Wirtschaft von Bedeutung ist (vgl. RWI Es-
sen/Stifterverband der Deutschen Wissenschaft 2006).
Nach den auffallend positiven Bewertungen des Strukturwandels in Deutschland mit
seiner zunehmenden Verflechtung von Dienstleistungs- und Industrietätigkeit richtet
sich das Augenmerk im Folgenden auf die bestehenden Defizite. Dazu ist es notwen-
dig, die Innovationstätigkeiten der deutschen Unternehmen einer tiefer gehenden
Analyse zu unterziehen. Dabei wird deutlich: Die Stärken der deutschen Wirtschaft
liegen in der Fahrzeugtechnik, dem Maschinenbau und in der chemischen Industrie.
Die höherwertige Technik spielt im Innovationsgeschehen eine herausragende Rolle.
Defizite sind besonders bei den Spitzentechnologien festzustellen (vgl.
Funk/Plünnecke 2005, BMBF 2005 oder auch Vogel 2000).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
103
3.2.1 Die technologische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
Die technologische Wettbewerbsfähigkeit und die Förderung von Forschung und
Entwicklung sind Kernthemen moderner Gesellschaften. Mit der so genannten Lissa-
bon-Strategie aus dem Jahr 2000 haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union zur Aufgabe gemacht, zu einem wettbewerbsfähigen und wissensbasierten
Wirtschaftsraum zu werden. Dieses Ziel soll durch eine intensive Förderung von For-
schung und Entwicklung erreicht werden.
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zählte Deutschland zu den führenden Export-
nationen und hatte im internationalen Vergleich die höchsten Ausgaben für For-
schung und Entwicklung. Im Zuge der Wiedervereinigung und der starken Rezession
zu Beginn der 90er Jahre nahm die technologische Wettbewerbsfähigkeit zusehends
ab. Anhand eines Indikatorensystems, das am Input und Output des Innovationspro-
zesses ansetzt, soll im Folgenden die aktuelle Position der deutschen Wirtschaft be-
stimmt werden.32
Drei Gruppen von Indikatoren lassen sich für die Analyse nutzen: input-, output- und
marktorientierte Indikatoren.
→ Inputorientierte Indikatoren: Daten zu FuE-Ausgaben und FuE-Beschäftigung
können Aufschluss über das Bestreben eines Landes geben, neues technisches
Wissen hervorzubringen. Dieses Wissen stellt die Basis für eine Innovation dar.
→ Outputorientierte Indikatoren: Hierbei geht es vor allem um Aussagen über die
zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Landes anhand derzeitiger FuE-
Aktivitäten bezüglich der Patentanmeldungen. Den Triade-Patenten kommt für
den internationalen Vergleich eine besondere Stellung zu.
→ Marktorientierte Indikatoren: Diese Indikatorengruppe zeigt die erfolgreiche
Umsetzung von technischem Wissen in Produkte und deren Absatz an. Dies kann
beispielsweise mit dem Relativen Welthandelsanteil (RWA) berechnet werden
(vgl. Tab. 5).
32 Eine umfassende Analyse zur technologischen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den 90er Jahren bietet Vogel (2000), der anhand verschiedener input- und outputorientierter Indikato-ren einen internationalen Vergleich anstellt. Aufgrund der spezifischen Ausrichtung auf die Medizin-technikbranche im Rahmen dieser Arbeit wird die aktuelle Situation der technologischen Wettbe-werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Ganzen nur anhand von ausgewählten Indikatoren darge-stellt. Dass es dadurch zu Einschränkungen bezüglich der Aussagekraft kommt wird in Kauf genom-men, da es im Wesentlichen um die Darstellung von Trendaussagen geht. Die Darstellung bezieht sich hauptsächlich – falls nicht anders angegeben - auf Ergebnisse der Studie „Zur technologischen Leis-tungsfähigkeit Deutschlands 2005“, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung publiziert wurde. Eine vertiefende Analyse zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Medizintechnik erfolgt in den Kapitel 4 und 5.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
104
Die verwendeten Indikatoren stellen nur einen Ausschnitt aus der Vielzahl von Indi-
katoren zur Bestimmung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit dar (vgl. Fußnote
8). Zur Aussagekraft der hier eingesetzten Indikatoren fallen eine Reihe von Be-
schränkungen an, die im Folgenden zusammengefasst werden (vgl. ausführlich bei
Vogel 2000, 388-434).
Tabelle 5: Verwendetes Indikatorensystem zur Beurteilung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit
Quelle: eigene Darstellung.
Allgemeine Aussagekraft von inputorientierten Indikatoren
Mit Hilfe dieser Indikatoren lassen sich Aussagen über die Potenziale zur Generie-
rung neuen technischen Wissens in einer Wirtschaft treffen. Zwei häufig verwendete
Indikatoren sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die Zahl der
beschäftigten Wissenschaftler und Ingenieure im Verarbeitenden Gewerbe (die
Dienstleistungsbeschäftigung findet nur am Rande Eingang in die Untersuchung). Der
Vorteil im Umgang mit den beiden Indikatoren ist deren Existenz in amtlichen Statis-
tiken. Trotzdem beeinträchtigen einige methodische und statistische Gründe ihre Aus-
sagekraft.
Die Aussagekraft des Indikators ‚FuE-Ausgaben’ wird beispielsweise dadurch beein-
trächtigt, dass große Unternehmen Laboratorien mit Fachkräften aus den verschie-
densten Fachgebieten einrichten können, hohe Investitionen tätigen und folglich Ska-
lenerträge (‚economies of scale’) realisieren können, die von kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen durch deren geringere Kapitaleinlagen nicht erzielt werden.
Dem Verhältnis der FuE-Ausgaben eines Landes im Vergleich zum BIP folgt meist
die Annahme, dass wachsende FuE-Ausgaben zu einer gesteigerten technologischen
Wettbewerbsposition beitragen. Im internationalen Vergleich kann es dann zu einer
Inputorientierte Indikatoren Outputorientierte Indikatoren Marktorientierte Indikatoren
- Verhältnis von FuE-Ausgaben
zum Bruttoinlandsprodukt (BIP)
- absolute Innovations-
aufwendungen nach Branchen
- externe FuE-Aufwendungen
der Unternehmen
- FuE-Beschäftigte
- Patentanmeldungen
(Triadepatente)
- Relativer Welthandelsanteil
(RWA)
- Relativer Importmarktanteil
(RMA)
- Revealed Comparative Advan-
tage (RCA)
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
105
Unterschätzung der Wettbewerbsposition der Länder mit einer Vielzahl an großen
Unternehmen relativ gesehen zu den Ländern mit eher mittelständisch geprägter
Struktur kommen. Ebenso findet oftmals die Bedeutung der Grundlagenforschung für
die langfristige Entwicklung eines Landes wenig Beachtung. Kurzfristig gesehen gibt
die angewandte Forschung den Ausschlag für die Wettbewerbsposition. In Bezug auf
die Beschäftigten in Forschung und Entwicklung spiegelt sich im internationalen
Vergleich der tatsächliche Wissensstand der Wissenschaftler und Ingenieure kaum
wider, weil die Unterscheide im Bildungs- und Ausbildungsniveau der einzelnen Na-
tionen nicht statistisch erfasst werden.
Allgemeine Aussagekraft von outputorientierten Indikatoren
Ein Indikator, der Aussagen über die Ergebnisse des Innovationsprozesses zulässt, ist
der über Patentanmeldungen. Patente umfassen laut Bundespatentgesetz §§ 1-25 ge-
werbliche Schutzrechte, die auf einer technischen Erfindung beruhen und einen Neu-
heitswert aufweist, d.h. das Gerät oder Verfahren darf in der vorgelegten Form nicht
bereits in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, auf einer Konferenz oder in einem
bestehenden Patent beschrieben worden sein. Zudem gilt in der Regel, dass die Erfin-
dung nicht nur aus einer Kombination von bestehenden Technologien oder Verfahren
bestehen darf33 (vgl. www.gesetze-im-internet.de, 04.05.06).
Aufgrund der schwer zu vergleichenden Daten der nationalen Patentämter mit jeweils
unterschiedlichen Patentgesetzen wird auf die Analyse von Triade-Patenten zurück-
gegriffen. Gemeint sind Patente, die in allen drei Regionen der Wirtschaftstriade (Eu-
ropa, USA, Japan) angemeldet wurden. Einschränkungen bezüglich der Aussagekraft
ergeben sich beispielsweise aus der Tatsache, dass manche Unternehmen zwar Paten-
te anmelden, diese aber erst zu einem späteren Zeitpunkt verwenden. Dadurch kann
sich ein statistisch verfälschtes Bild bei der Ermittlung der ökonomisch relevanten
Neuerungen zu einem Zeitpunkt ergeben. Zudem sind in Deutschland gewisse hö-
herwertige Dienstleistungen nicht patentierfähig, so fällt z.B. die Computersoftware
unter das Urheberrechtsgesetz.
33 Allerdings kommt es auch vor, dass Patente erteilt werden, die unter wissenschaftlich-technischen Aspekten nur eine Anwendung von bestehenden Technologien in neuen Handlungskontexten bedeu-ten.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
106
Allgemeine Aussagekraft von marktorientierten Indikatoren
Die marktorientierten Indikatoren stellen den Erfolg (oder auch Misserfolg) von
Branchen auf den Gütermärkten dar. Damit richtet sich diese Indikatorengruppe auf
vergangene Wirtschaftsaktivitäten und lässt keine Aussagen über zukünftige Entwick-
lungen zu, beschreibt den Status quo aber sehr gut. Der Relative Welthandelsanteil
(RWA) ist eine Maß mit dem die relativen Stärken und Schwächen von Wirtschafts-
zweigen auf dem Weltmarkt wiedergegeben werden können. Der Welthandelsanteil
kann sowohl mengenmäßig als auch nominal berechnet werden. Die mengenmäßige
Angabe stellt sich als ungeeignet für die nähere Analyse heraus, weil sie zum einen
keine qualitativen Verbesserungen bei den Exportgütern erfasst, zum anderen keine
Neubewertung der Produkte je nach ihrer relativen Knappheit zulässt. Faktisch wer-
den Produktinnovationen, die zwar einen höheren Preis erzielen, aber keine mengen-
mäßige Ausweitung erfahren, nicht berücksichtigt. Im Gegensatz dazu betrachtet die
nominale Angabe die Ausfuhr nach jeweiligen Preisen und Wechselkursen. Damit
sind die Exporte nicht unabhängig von Wechselkursschwankungen zu interpretieren.
Die deutsche Wirtschaft folgt seit Mitte der 90er Jahre einem mittleren Wachstums-
pfad von durchschnittlich 1 ½ % jährlich. Dabei steht sie vor allem seit Beginn des
neuen Jahrtausends vor enormen Herausforderungen. Zu nennen sind die Krise der
IuK-Branchen durch den Einbruch der ‚New Economy’, das Erstarken der ‚Schwel-
lenländer’ (vor allem Indien, China und Südostasien) im Innovationswettbewerb, der
schwache US-Dollar und gestiegene Energiekosten. Zudem hat die starke Dynamik
des Welthandels nicht zu einer Belebung der Inlandsnachfrage in Deutschland ge-
führt, so dass die Wirtschaft immer noch von den exportorientierten Industrien getra-
gen wird (besonders von der Automobilindustrie). Generell zeigt sich das Bild der
deutschen Wettbewerbsfähigkeit in kurzfristiger Perspektive hochgradig ambivalent:
Auf der einen Seite der stark von Großunternehmen geprägte hoch innovative und
exportorientierte Sektor, der sich erfolgreich auf dem Weltmarkt positioniert, auf der
anderen Seite der Binnensektor mit einer Struktur, die durch kleine und mittelständi-
sche Unternehmen geprägt ist, die sich aufgrund der schwachen Inlandsnachfrage nur
mit Anstrengungen im Innovationswettbewerb positionieren können. „Die derzeitige Lage ist kritisch, weil letztlich die Investitionen in Anlagen und Wissen in dieser Phase [nach der Rezession, Anm. d. Verf.] darüber entscheiden, welche
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
107
Wachstums- und Erwerbsmöglichkeiten sowie Wirtschaftsstrukturen künftig entste-hen“ (BMBF 2005, 1).
Die Innovationstätigkeiten der Unternehmen sind gerade bei zunehmendem internati-
onalem Wettbewerb ein bedeutsamer Erfolgsfaktor, der Exportchancen, Produktivi-
tätsentwicklung und Beschäftigungsaussichten mitbestimmt. Die Innovationsbeteili-
gung von deutschen Unternehmen kann als hoch eingestuft werden. Durchschnittlich
5 % des Umsatzes im Verarbeitenden Gewerbe wurden im Jahre 2003 für Forschung
und Entwicklung aufgewendet, rund 60 % der Unternehmen in diesen Branchen zähl-
ten in demselben Jahr zu den Innovatoren34 und insgesamt 71,2 Milliarden Euro wur-
den in Forschung und Entwicklung investiert (vgl. Tab. 6).
34 Zu den Innovatoren zählen Unternehmen, die innerhalb eines zurückliegenden Dreijahreszeitraumes zumindest ein Innovationsprojekt erfolgreich abgeschlossen haben. Es kommt nicht darauf an, ob ein anderes Unternehmen diese Innovation bereits eingeführt hat, wesentlich ist die Beurteilung aus Un-ternehmenssicht. Die zugrunde gelegte Definition und Abgrenzung entspricht denen von Eurostat und OECD, die im so genannten Oslo-Manual festgelegt sind.
108
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im
Innovationswettbew
erb
Tabelle 6: Innovationsverhalten im Verarbeitenden Gewerbe und Bergbau 1993 bis 2003
Quelle: Rammer et al (2005, 14); Anmerkungen: Werte für 2002/2003 vorläufig; Abweichungen von der Summe durch Rundungen; - = Werte in diesem Jahr nicht erhoben. k.A. = Werte nicht ausgewiesen wegen fehlender Vergleichbarkeit mit den aktuellen Werten. FuE-Ausgaben 1999 beziehen sich auf interne und externe FuE-Aktivitäten und könnten somit zu geringfügig zu hoch ausgewiesen sein; alle Angaben sind hochgerechnet auf die Grundgesamtheit (GG) Deutschland; GG: Unternehmen mit 5 und mehr Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe und Bergbau (WZ 10-37).
1993 absolut in%
1994 absolut in%
1995 absolut in%
1996 absolut in%
1997 absolut in%
1998 absolut in%
1999 absolut in%
2000 absolut in%
2001 absolut in%
2002 absolut in%
2003 absolut in%
Unternehmen (inTsd.) davon: Innovatoren Darunter: Produktinnovatoren Prozessinnovatoren
71 100 37 52 k.A. k.A.
70 100 34 49 k.A. k.A.
65 100 36 56 k.A. k.A.
63 100 37 60 k.A. k.A.
63 100 39 62 k.A. k.A.
63 100 41 66 k.A. k.A.
63 100 42 67 k.A. k.A.
62 100 39 62 31 50 24 38
62 100 38 62 31 50 21 34
62 100 36 58 32 51 19 30
62 100 36 59 29 47 22 35
Unternehmen mit Markt-neuheiten Unternehmen mit Kosten-reduktion
- - 23 32
15 22 17 25
16 25 18 28
14 23 22 34
15 24 21 34
20 31 22 35
21 33 22 36
18 29 15 25
18 28 12 20
17 28 13 21
14 23 15 24
kontinuierlich FuE Betrei-bende (intern)
12 16
13 18
11 17
16 25
- -
13 20
14 22
15 24
15 24
14 23
15 25
Beschäftigte (in Tsd.) davon: Innovatoren kontinuierlich FuE Betrei-bende (intern)
7.796 100 6.293 81 4.452 57
7.287 100 5.776 79 4.216 58
7.100 100 5.825 82 4.151 58
6.795 100 5.664 83 4.340 64
6.751 100 5.871 87 - -
6.738 100 5.950 88 4.049 60
6.725 100 5.871 87 4.093 61
6.768 100 5.628 83 4.123 61
6.773 100 5.671 84 4.288 63
6.656 100 5.472 82 4.133 62
6.613 100 5.473 83 4.077 62
Innovationsaufwen-dungen (in Mrd. Euro) davon: laufende Innovationsaufw.Investitionen für Innovati-onen Anteil am Umsatz (in %)
48,1 100 29,7 62 18,4 38 4,8
44,5 100 27,1 61 17,4 39 4,2
48,6 100 30,2 62 18,4 38 4,4
52,2 100 34,8 67 17,4 33 4,9
52,9 100 35,5 67 17,4 33 4,5
55,7 100 32,9 59 22,8 41 4,7
58,1 100 32,4 56 25,7 44 4,7
59,8 100 36,3 61 23,6 39 4,4
64,1 100 41,9 65 22,2 35 4,6
67,9 100 46,1 68 21,8 32 4,8
71,2 100 47,8 67 23,4 33 5,0
Innovationserfolg (in %)Umsatzanteil mit neuen Produkten Umsatzanteil mit Markt-neuheiten Kostenreduktionsanteil d. Prozessinnovationen
k.A.
-
7,1
k.A.
5,1
4,1
k.A.
4,8
4,4
k.A.
3,8
6,2
k.A.
6,1
7,5
k.A.
7,9
6,2
k.A.
8,6
7,2
31,4
8,3
6,7
28,5
7,7
5,4
27,7
7,6
4,8
24,9
7,6
4,6
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
109
Im Folgenden wird anhand der vorgestellten Indikatorenanalyse ein detaillierter Blick
auf die deutsche Positionierung im Innovationswettbewerb geworfen. Dabei gilt es
die Frage zu beantworten, wie sich die Situation für Deutschland anhand der beiden
inputorientierten Indikatoren – FuE-Ausgaben und FuE-Beschäftigte – darstellt.
Tabelle 7: Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung als Anteil am BIP 2002
Staat
Anteil der Bruttoinlandsaus-gaben für FuE am BIP in %
davon finanziert durch den Wirtschaftssektor in %
Schweden 4,27* 71,9*
Finnland 3,46 69,5
Japan 3,12 73,9
USA 2,67 64,4
Deutschland 2,52 65,6
Dänemark 2,52 61,5*
Frankreich 2,20 54,2
Belgien 2,17* 64,3*
Österreich 1,94 40,3
EU-15 1,93 56,0*
Niederlande 1,89* 51,8*
Großbritannien 1,88 46,7
Luxemburg 1,71** 91,0**
Irland 1,15* 66,0*
Italien 1,11* -
Spanien 1,03 48,9
Portugal 0,93 31,5*
Griechenland 0,65* 29,7*
Quelle: eigene Darstellung vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (2004a, 3) – die Staaten sind in einer Rangliste absteigend nach der Höhe ihrer Ausgaben für FuE geordnet; *Daten aus 2001 / **Daten aus 2000;
Deutschland liegt im Jahre 2002 mit einem Anteil von 2,52 % der Ausgaben für For-
schung und Entwicklung am BIP gleichauf mit Dänemark, wird innerhalb der Euro-
päischen Union (EU-15) allerdings von Schweden (4,27 %) und Finnland (3,46 %)
weit übertroffen (vgl. Tab. 7). Dabei werden in Deutschland nahezu zwei Drittel der
Inlandsausgaben für FuE von der Wirtschaft selbst finanziert, wobei sich auch hier
die Unternehmen in Schweden und Finnland stärker einbringen. Im globalen Ver-
gleich liegen die deutschen Ausgaben deutlich hinter denen von Japan (3,12 %) und
geringfügig hinter den Forschungsausgaben der USA (2,67 %). Im Jahr 2003 wurden
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
110
in Deutschland insgesamt 53,2 Mrd. Euro für FuE ausgegeben, davon wurden 65,4 %
von der Wirtschaft, 31,9 % vom staatlichen Sektor, 2,3 % von ausländischen Investo-
ren und 0,4 % von privaten Institutionen ohne Erwerbszweck finanziert (vgl. Stifter-
verband für die Deutsche Wirtschaft 2004).
Abbildung 8: Anteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt in % nach deutschen Regionen35 im Jahr 2003
Quelle: Statistisches Bundesamt 2006, 7.
35 „Um eine einheitliche Nachweisung zu gewährleisten, erfolgt die Darstellung für NUTS 2-Regionen. Dabei sind neben der überwiegenden Anzahl von administrativen Einheiten (Regierungs-bezirke) auch einige nicht-administrative Einheiten (Statistische Regionen) enthalten. Für die Stadt-staaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie für Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen entspricht die NUTS 2- der NUTS 1-Ebene (Bundesländer)“ (Statistisches Bundesamt 2006, 6).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
111
Innerhalb Deutschlands zeigt sich ein starkes Gefälle bezüglich der FuE-Intensität
zwischen den südlichen und nördlichen Bundesländern (vgl. Abb. 8). Auch innerhalb
der Bundesländer kristallisieren sich Schwerpunktregionen heraus. Diese sind in Ba-
den-Württemberg und Bayern die Regionen Oberbayern (4,71%) und Stuttgart
(4,69%), aber auch in den Regionen Tübingen oder Karlsruhe ist eine hohe FuE-
Intensität vorhanden. Eine Korrelation ergibt sich zwischen dem Vorhandensein von
Hochschulen und den FuE-Anteilen der Region, so weisen auch Berlin, Darmstadt,
Dresden, Köln und Braunschweig hohe Werte auf.
Erkenntnisreich erweist sich auch der Blick auf die Innovationstätigkeit der einzelnen
Branchen in Deutschland. Besonders innovationsintensiv36 sind der Instrumenten-
(9,0 %) und der Fahrzeugbau (8,1 %), gefolgt von den technischen und FuE-
Dienstleistungen (7,5 %) und der Elektroindustrie (7,2 %) (vgl. Tab. 8).
Tabelle 8: Innovationstätigkeit nach Branchen im Jahr 2003
Innovatoren-
quote
(in %)
kontinuierl.
FuE Betrei-
bende
(in %)
Innovations-
aufwen-
dungen
(in Mrd. €)
Innovations-
intensität
(in %)
Bergbau
Nahrungsmittel/Tabak
Textil/Bekleidung/Leder
Holz/Papier/Druck/Verlag
Chemie/Pharma/Mineralöl
Gummi-/Kunststoffverarbeitung
Glas/Keramik/Steinwaren
Metallerezeugung/-bearbeitung
Maschinenbau
Elektroindustrie
Instrumentenbau
Fahrzeugbau
Möbel/Sport-/Spielwaren/Recycling
Großhandel
Einzelhandel
Verkehr/Post
Banken/Versicherungen
35
36
53
47
81
65
44
62
75
73
78
70
48
34
35
31
50
5
7
14
11
56
25
28
18
42
51
50
36
14
5
0
3
10
0,4
2,6
0,8
2,6
11,2
2,4
1,0
4,0
8,0
10,5
3,0
24,2
0,5
2,3
2,8
3,4
5,7
1,9
1,7
2,9
2,9
4,7
4,1
3,0
2,7
5,0
7,2
9,0
8,1
1,7
0,4
0,5
2,3
0,7
36 Unter Innovationsintensität wird der Anteil der Innovationsaufwendungen am Umsatz aller Unter-nehmen in % verstanden.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
112
Software/Telekommunikation
Technische/FuE Dienstleistungen
Unternehmensberatungen
sonstige Unternehmensdienste
Wohnungswesen/Vermietung
70
67
48
31
39
31
31
13
3
1
4,4
2,8
1,7
0,9
1,0
6,1
7,5
1,5
1,1
0,9
Quelle: Rammer et al (2005, 9). Die drei Branchen mit den höchsten Werten sind fett gedruckt. Alle Angaben sind hochgerechnet auf die Grundgesamtheit in Deutschland.
In der chemischen Industrie (inkl. Pharma- und Mineralölindustrie) zählen 81 % der
Unternehmen zu den Innovatoren und etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen
(56 %) betreiben kontinuierlich Forschung und Entwicklung. Der Instrumenten-
(78 %) und Maschinenbau (75 %) sowie die Elektroindustrie (73 %) weisen ebenso
eine hohe Innovatorenquote auf und rund die Hälfte der Unternehmen in diesen Bran-
chen zeichnen sich durch eine kontinuierliche Forschungs- und Entwicklungstätigkeit
aus. Der hauptsächlich von Großunternehmen dominierte Fahrzeugbau wendet abso-
lut die meisten Ausgaben für FuE auf (24,2 Mrd. Euro).
Gespalten stellt sich das Bild dar, bezieht man die Innovationsaufwendungen von
kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)37 mit in die Analyse ein. In den indus-
triellen Branchen sind die Innovationsaufwendungen der KMU seit dem Jahr 2000
nominell recht konstant geblieben (16,2 Mrd. Euro in 2000; 16,5 Mrd. Euro in 2003),
der Anteil am Umsatz beläuft sich im Jahr 2000 auf 3,2 %, in 2003 lag er bei 3,1 %.
Damit liegen die Ausgaben für Innovationen allerdings deutlich unter denen Ende der
1990er Jahre (1998: 18,5 Mrd. Euro mit einem Umsatzanteil von 4,1 %). Im Gegen-
satz zu der herausragenden Innovatorenquote von über 90 % bei den Großunterneh-
men stieg die Innovatorenquote von Kleinunternehmen unter 50 Beschäftigten im
Verarbeitenden Gewerbe nur leicht auf 52 % im Jahr 2003 an, bei den Unternehmen
mit 50 bis 99 Beschäftigten lag sie bei 69 % und bei mittleren Unternehmen mit 100
bis 499 Beschäftigten bei 73 %. Des Weiteren ist auch ein nachlassender Innovati-
onserfolg der KMU festzustellen: Der Umsatz mit Marktneuheiten im Verarbeitenden
Gewerbe ist 2003 auf 3,8 % gesunken und erreicht damit nicht einmal die Hälfte des
Wertes von großen Unternehmen (10 %)(vgl. Rammer et al 2005, insbesondere für
weitere kritische Kennzahlen zu den Innovationstätigkeiten von KMU).
37 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind Unternehmen mit mindestens 5 und weniger als 500 Beschäftigten. Je nach Sektor stellen sie 97 bis 99,5 % aller Unternehmen und dominieren die deut-sche Wirtschaftsstruktur, so dass eine Analyse der technologischen Wettbewerbsfähigkeit nicht ohne Bezugnahme auf kleine und mittlere Unternehmen auskommt.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
113
Erhebliche Unterschiede in der FuE-Beteiligung und Innovationsintensität ergeben
sich, betrachtet man unterschiedliche Typen von KMU. Rund 3 % der KMU, die ei-
nen FuE-Anteil von gut 50 % am Umsatz haben, können zu den High-Tech Start Ups
gerechnet werden. Diese sind überwiegend in den Branchen Soft-
ware/Telekommunikation, technischen und FuE-Dienstleistungen, Instrumentenbau,
Chemie/Pharmaindustrie und Maschinenbau zu finden. Kontinuierlich FuE Betrei-
bende sind rund 20 % der KMU (mit einem FuE-Umsatzanteil von 4 %) und 35 %
zählen zu den innovierenden Unternehmen ohne eigene FuE (FuE-Umsatzanteil von
1 %, da fallweise FuE betrieben wird). Die zunehmend wichtigere Rolle von For-
schung und Entwicklung in KMU (besonders im Spitzentechnologiesektor) muss je-
doch vor dem Hintergrund folgender Entwicklung beurteilt werden: Mittelfristig ist
der Anteil der nicht innovierenden Unternehmen gestiegen (38 % im Jahr 2003), auf
der anderen Seite hat aber der Anteil der kontinuierlich FuE Betreibenden auch bei
den KMU zugenommen. Kleine und mittlere Unternehmen sind zwar bei weitem
nicht so stark im Innovationswettbewerb aufgestellt wie Großunternehmen, die Er-
kenntnis über die enorme Bedeutung eigener FuE hat in den letzten Jahren aber deut-
lich zugenommen.
Im Rahmen der Debatte über die Bedeutung von Netzwerken im Innovationsprozess
ist hervorzuheben, dass KMU vorwiegend Kooperationen mit Hochschulen und au-
ßeruniversitären Forschungseinrichtungen oder spezialisierten FuE-Dienstleistern
eingehen. Diese Kooperationen sind besonders häufig bei Unternehmen mit einem
hohen FuE-Anteil am Umsatz zu finden, gerade hier sind die wissenschaftlichen Kon-
takte wichtiger als die zum Kunden oder zu den Zulieferern. Resümierend bedeutend
dieses Faktum, dass der Bedarf an externem technischem Wissen umso höher ist, je
mehr Unternehmen auf Markneuheiten oder eine ‚Technologieführerschaft’ ausge-
richtet sind (vgl. BMBF 2005, 31).
Nach dem Blick auf die FuE-Gesamtaufwendungen im internationalen Vergleich und
nach Branchen gegliedert sowie der besonderen Stellung der KMU ist des Weiteren
von Interesse, wie die FuE-Mittel eingesetzt werden. Dies kann durch eine Betrach-
tung der externen FuE-Aufwendungen von Unternehmen geschehen (vgl. Tab. 9). Zu
mehr als zwei Dritteln wurden die FuE-Aufwendungen in dem Zeitraum von 1983 bis
2001 für Kooperationen oder Aufträge innerhalb des Wirtschaftssektors genutzt. Al-
lerdings ist ein Rückgang bis 1995 (1983: 72,1 % auf 61,7 % im Jahr 1995) zu ver-
zeichnen, im Jahr 2001 wurde aber wieder das Niveau von 1983 erreicht. Als bedeut-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
114
sam für die Unternehmen sind Forschungskooperationen oder Aufträge mit/an Hoch-
schulinstitutionen und Professoren. Das Volumen hat sich seit 1985 mehr als vervier-
facht (1985: 114 Mill. Euro; 2001: 476 Mill. Euro). An staatliche Forschungseinrich-
tungen gingen 1985 173 Mill. Euro und 2001 283 Mill. Euro, was zwar absolut einer
Erhöhung entspricht, anteilsmäßig an den gesamten externen Aufwendungen aller-
dings ein starker Rückgang zu verzeichnen ist (1983: 17,9 %; 2001: 3,9 %). Der An-
teil der Aufwendungen, die an das Ausland gingen stieg dagegen bis 1997 (19,5 %)
an und fiel bis zum Jahr 2001 auf 16,7 % (vgl. Stifterverband Wissenschaftsstatistik
2004).
Tabelle 9: Externe FuE-Aufwendungen der Unternehmen 1983-20011) nach Auf-tragnehmern
Jahr insgesamt
(in Mrd. €)
davon an:
Wirt-
schafts-
sektor
(in %)
davon an:
Hochschul-
institute u.
Professoren
(in %)
davon an:
staatliche
Forschungs-
einrichtungen
(in %)
davon an:
sonstige
Inländer
(in %)
davon an:
Ausland
(in %)
1983 1,62 72,1 -2) 17,9 -2) 10,0
1985 1,79 70,7 6,4 9,6 - 13,3
1987 1,90 68,5 8,2 11,3 0,4 11,5
1989 2,36 65,6 7,2 10,2 0,5 16,4
1991 2,84 64,4 8,2 9,0 1,4 16,9
1993 3,52 66,7 7,4 7,0 1,1 17,9
1995 3,01 61,7 10,6 8,9 3,0 15,8
1997 4,38 65,1 7,8 5,7 1,9 19,5
1999 5,93 69,3 6,2 4,1 1,3 19,1
2001 7,27 72,1 6,5 3,9 0,7 16,7
Quelle: Stifterverband Wissenschaftsstatistik (2004, 30). 1) Vor 1991 früheres Bundesgebiet; ab 1991 Deutschland 2) In Spalte 4 enthalten Rundungsabweichungen
Die Betrachtung des inputorientierten Indikators ‚FuE-Ausgaben’ lässt den Schluss
zu, dass in Deutschland eine ausgesprochen hohe Innovationsbeteiligung vorhanden
ist, die jedoch branchenabhängig zu beurteilen ist. So ist die Innovatorenquote in der
chemischen Industrie, im Instrumenten- und Maschinebau überdurchschnittlich hoch.
Die Schere zwischen diesen forschungsintensiven Industriebranchen und den übrigen
Branchen des Verarbeitenden Gewerbes öffnet sich zunehmend und der Innovations-
prozess wird selektiver. Insgesamt ergibt sich für das Verarbeitende Gewerbe ein
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
115
Rückgang der Quote von 67 % im Jahr 1999 auf 58 % in 2002. Trotz der geringen
wirtschaftlichen Dynamik hat die Innovatorenquote im Jahr 2003 leicht auf 59 % zu-
genommen, so dass wieder mehr Unternehmen um eine Verbesserung im Kosten- und
Qualitätswettbewerb bemüht sind. Dabei ist das Betreiben eigener FuE in den Unter-
nehmen zentraler Bestandteil des Innovationsprozesses. Die Innovationsbeteiligung
wird auch im neuen Jahrtausend stark von Großunternehmen dominiert, deren Inno-
vatorenquote bei über 90 % liegt, bei KMU des Verarbeitenden Gewerbes sind es
hingegen 58 %. Im internationalen Vergleich der Anteile der Bruttoinlandsausgaben
für Forschung und Entwicklung am BIP ist Deutschland nach den nordeuropäischen
Staaten Schweden und Finnland sowie Japan und den USA an fünfter Stelle positio-
niert und liegt mit einem Anteil von 2,52 % weit über dem Durchschnitt der EU-15.
Die weiterhin relativ gute Aufstellung Deutschlands im internationalen Wettbewerb
resultiert aus den überdurchschnittlichen Innovationsaktivitäten der anwendungsori-
entierten hochwertigen Technologiebranchen (Fahrzeug-, Instrumenten- und Maschi-
nenbau sowie Elektrotechnik).
Der zunehmende Innovationsdruck zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Der Aka-
demikerbedarf gerade in den hoch innovativen, forschungsintensiven Sektoren nimmt
stetig zu Lasten geringerer Qualifikationen zu. Die Akademikerquote in den wissens-
intensiven Branchen (Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Optik, Elektronik,
Fahrzeugbau und vor allem bei den hochwertigen Dienstleistungstätigkeiten in For-
schung, Planung, Marketing, Finanzierung) ist mit 14 bis 15 % etwa vier- bis fünfmal
so hoch wie in den anderen Wirtschaftszweigen (3,2 %) (vgl. BMBF 2005). Insge-
samt beläuft sich der Anteil der FuE-Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung im
Jahr 2001 auf 4,24 %. Von den 307 257 FuE-Beschäftigten sind 89 % im Verarbei-
tenden Gewerbe tätig. Dabei stechen die wissensintensiven Industrien der höherwer-
tigen Technologie hervor: 32 % der FuE-Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe
sind im Fahrzeugbau tätig, 29 % in der Herstellung von Büromaschinen, Datenverar-
beitungsgeräten und -einrichtungen, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik, gefolgt
von 15 % in der chemischen Industrie und rund 14 % im Maschinenbau. Nach Perso-
nalgruppen gegliedert ist ein deutlicher Trend zum Einsatz von Wissenschaftlern und
Ingenieuren gegenüber den Technikern und sonstigem FuE-Personal festzustellen
(vgl. Tab. 10).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
116
Tabelle 10: FuE-Beschäftigte im Wirtschaftssektor 1983 bis 2001*) nach Perso-nalgruppen
Jahr
FuE-Beschäftigte
insgesamt1)2)
davon:
Wissenschaftler3)
u. Ingenieure
(in %)
davon:
Techniker
(in %)
davon:
sonst. FuE-
Beschäftigte
(in %)
1983 249 477 32,8 30,9 36,3
1985 275 080 34,0 31,4 34,6
1987 295 332 36,3 30,7 33,0
1989 296 510 38,2 29,7 32,1
1991 321 756 43,8 26,9 29,3
1993 293 774 43,9 27,9 28,2
1995 283 316 45,7 27,6 26,7
1997 286 270 46,3 27,6 26,0
1999 306 693 49,0 26,1 24,9
2001 307 257 51,4 24,1 24,5
Quelle: Stifterverband Wissenschaftsstatistik (2004, 34). *) vor 1991 früheres Bundesgebiet; nach 1991 Deutschland; 1) In Unternehmen und Institutionen für Gemeinschaftsforschung 2) Vollzeitäquivalent 3) Einschließlich Führungskräfte der FuE-Verwaltung
Der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure am FuE-Personal insgesamt liegt in
Deutschland im Jahr 2001 mit 51,4 % gleichauf mit dem europäischen Durchschnitt
(51,5 %), aber weit unter dem Anteil in Japan (76,7 %). Immer noch herausragend ist
die Bedeutung der USA im Bereich FuE im Wirtschaftssektor. Von allen im Jahr
2001 tätigen Wissenschaftlern und Ingenieuren in der EU, Japan und der USA entfal-
len 52,5 % auf die Vereinigten Staaten (Deutschland 8 %; Japan 21,8 %).
Zur besseren Vergleichbarkeit der Daten wird das FuE-Personal pro 1000 Erwerbstä-
tigen herangezogen (vgl. Tab. 11). Es ergibt sich, dass Deutschland (12,4) über dem
EU-15-Durchschnitt von 11,0 FuE-Beschäftigten je 1000 Erwerbstätigen im Jahr
2002 liegt. Allerdings von den nordischen Staaten Dänemark (15,4) und Finnland
(23,3) weit übertroffen wird, ebenso von Schweden (16,6) – hier reichen die Angaben
aber nur bis zum Jahr 2001.38
38 Ein internationaler Vergleich mit Japan und USA konnte anhand des Datensatzes der OECD nicht vorgenommen werden.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
117
Tabelle 11: FuE-Personal pro 1000 Erwerbstätigen in ausgewählten Ländern der Europäischen Union 1991-2002
Land FuE-Personal pro 1000 Erwerbstätigen
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2002
Deutschland 13,4 a - 12,3 12,4 12,6 12,4 12,4 c
Belgien 10,7 c 9,9 a 10,4 11,4 12,3 13,5 13,8 p
Dänemark 9,8 10,7 11,4 12,8 13,1 14,3 15,4
Finnland 12,6 14,9 16,4 19,2 22,5 22,9 23,3
Frankreich 13,1 14,0 14,0 13,4 a 13,3 13,5 13,8
Griechenland 3,0 b 3,9 b 4,6 a 5,3 6,7 7,7 -
Großbritannien 9,3 9,5 - - - - -
Irland 6,9 b 6,6 b 7,5 c 7,7 c 7,4 c 7,9 -
Italien 6,2 6,4 6,5 - 6,3 6,5 -
Niederlande 10,6 10,7 11,1 11,1 10,9 10,8 -
Portugal - - 3,5 3,9 4,3 4,6 4,9 b
Schweden 11,9 m 13,9 a/m 15,3 16,3 16,0 16,6 -
Spanien 5,2 c 5,7 c 5,9 6,2 6,7 7,8 8,2
EU-15 9,8 a/b 10,0 b 10,2 b 10,2 a/b 10,5 b 10,8 b 11,0 b
Quelle: eigene Darstellung auf Basis der Daten: OECD 2004, Tabelle 10. a: break in series with previ-ous year for which data is available; b: Secretariat estimate or projection based on national sources; c: national estimate or projection adjusted, if necessary, by the Secretariat to meet OECD norms; m: underestimated or based on underestimated data; p: provisional.
Betrachtet man die regionale Verteilung innerhalb Deutschlands fällt auf, dass der
Anteil der FuE-Beschäftigung 2001 an der Gesamtbeschäftigung in den süddeutschen
Ländern Bayern (5,82 %), Baden-Württemberg (5,12 %) und Hessen (5,51 %), sowie
in Berlin (10,49 %) und Hamburg (4,60 %) überdurchschnittlich (Deutschland:
4,24 %) ist. NRW befindet sich mit einem Anteil von 2,65 % im unteren Mittelfeld
(vgl. Stifterverband Wissenschaftsstatistik 2004).
Die beiden dargestellten inputorientierten Indikatoren – FuE-Ausgaben und FuE-
Beschäftigte – setzen am Beginn des Innovationsprozesses an und haben die These
bestätigt, dass die deutsche Wirtschaft insbesondere bei den höherwertigen Technolo-
gien gut positioniert ist. Im Folgenden wird der Blick auf den outputorientierten Indi-
kator ‚Patentanmeldungen’ Auskunft über ökonomisch relevante Ergebnisse des In-
novationsprozesses geben. Dies wird über eine Analyse der so genannten Triade-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
118
Patente39 erfolgen, die in allen drei Regionen (Europa, USA und Japan) angemeldet
wurden.
Es wird der Frage nachgegangen, ob Deutschland zu den Spitzennationen im Bereich
der technologischen Entwicklung (Patente bei Spitzentechnologien mit Querschnitts-
charakter und Ausstrahlungseffekten auf andere Branchen) zählt oder ob es eher bei
anwendungsorientierten Innovationen (gehobene Gebrauchstechnologie bzw. höher-
wertige Technologie) Erfolge aufweist.40 Der Vorteil von Patentauswertungen besteht
darin, dass sie stärker als die FuE-Daten das aktuelle Technologieangebot der Volks-
wirtschaften, das auf Marktverwertung ausgerichtet ist, wiedergeben.
Tabelle 12: Patentspezialisierung (RPA*) ausgewählter Länder nach Technolo-gieklassen 1991, 2000 und 2002
Forschungsintensive Klassen Spitzentechnologie Hochwertige Technologie 1991 2000 2002 1991 2000 2002 1991 2000 2002
KOR 8 9 17 43 37 50 7 -11 3
FIN -9 10 14 1 45 41 -17 -48 -45
CAN 11 13 13 18 25 28 11 -3 -4
SWE -13 -1 4 -7 19 -3 -16 -23 -2
USA 10 12 2 29 22 9 -1 -1 -6
GBR -2 5 2 1 15 7 -4 -7 -6
JPN 9 1 0 9 1 -8 4 8 10
NED -7 -4 -7 -8 15 -8 -8 -14 -18
FRA -10 -8 -8 -4 -14 -9 -12 -6 -8
GER -12 -9 -8 -47 -36 -34 5 10 10
SUI -4 -9 -9 -44 -28 -35 14 6 8
ITA -10 -24 -21 -45 -58 -55 8 2 3
EU-15
-10
-8
-7
-26
-18
-20
-1
-1
0
Quelle: BMBF (2005, 21); *) RPA (Relativer Patentanteil): Positives Vorzeichen bedeutet, dass der Anteil der Patente auf diesem Gebiet höher ist als bei Patenten insgesamt;
39 „Triade-Patente repräsentieren Erfindungen mit besonders hoher technischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Gleichzeitig spiegeln sie die internationale Ausrichtung der anmeldenden Unternehmen wider. Es ist somit in Rechnung zu stellen, dass neben der technologischen Leistungsfähigkeit und den FuE-Aktivitäten vor allem (weltmarkt-)strategische Aspekte der Geschäftspolitik eine Rolle spie-len und dass deren Bedeutung zugenommen hat“ (BMBF 2005, 20). 40 Im Rahmen der Berichterstattung „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ vom BMBF wird zwischen „Spitzentechnologie“ und „Hochwertiger Technologie“ entschieden. Erstere sind Warengruppen mit sehr hoher FuE-Intensität (über 8,5 % des Unternehmensumsatzes), die Güter der Hochwertigen Technologien sind überdurchschnittlich FuE-intensiv mit Anteilen zwischen 3,5 und 8,5 % des Umsatzes (vgl. Grupp/Legler et al 2000). Die Branchenzuordnungen zur Spitzen- bzw. hochwertigen Technologie sind allerdings keine statischen Größen und werden in regelmäßigen Ab-ständen überarbeitet, Grundlage der vorliegenden Arbeit ist die ISI/NIW Hochtechnologieliste 2000 (vgl. BMBF 2005 Anhang Übersicht 1).
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
119
Ähnlich der FuE-Ausgabenstatistik zeigt die Patentspezialisierung, dass Deutschland
im Bereich der anwendungsorientierten hochwertigen Technologien am besten positi-
oniert ist und seine Stellung in den 90er Jahren noch ausgeweitet hat (vgl. Tab. 12).
Betroffen sind die Branchen Fahrzeug- und Maschinenbau, die Elektrotechnik und
der hochwertige Instrumentenbau. In den Branchen der Spitzentechnologie (Pharma-
zie, Elektronik/IuK- und Medientechnik, Waffen, Luftfahrtzeugtechnik, Instrumente)
sind die Zuwachsraten der deutschen Patentanmeldungen zwar höher als im globalen
Durchschnitt, trotzdem ist die deutsche Wirtschaft auf dem Feld der Spitzentechnolo-
gien weiterhin schlechter als andere Länder (bspw. Finnland, Korea, USA, Kanada,
Schweden) aufgestellt, ihr Anteil an den Patentanmeldungen beträgt 15 %, bei den
hochwertigen Technologien 23 %.
Tabelle 13: Intensitäten und Wachstumsraten von Triade Patenten in ausge-wählten Ländern im Jahr 2002
Patentintensität*) Jahresdurchschnittliche Zuwachsrate in %
2002 1991-2002 1991-2000 2000-2002
OECD 152 4,7 5,2 2,4
EU-15 182 5,7 7,0 -0,1
FIN 592 11,3 15,2 -4,7
SWE 495 7,8 12,1 -9,7
NED 383 7,0 8,2 2,0
SUI 370 5,7 6,9 0,4
JPN 361 6,4 6,6 5,8
GER 277 6,5 7,9 0,3
USA 239 4,9 5,3 3,0
GBR 191 5,1 6,1 0,8
FRA 164 3,7 4,4 0,7
CAN 147 10,5 11,8 4,6
KOR 113 25,3 26,1 21,9
ITA 71 5,5 6,4 1,5
Quelle: BMBF (2005, 56). *) Patente pro 1 Mio. Erwerbstätige
Die internationale Patententwicklung ist besonders nach dem Einbruch der IuK-
Märkte nach der Jahrtausendwende ins Stocken geraten – die Zuwachsraten der 90er
Jahre wurden bei weitem nicht mehr erreicht. Beurteilt man die technologische Leis-
tungsfähigkeit eines Landes unter anderen nach deren Patentintensität, so lag Finn-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
120
land im Jahr 2002 mit 592 Triade-Patenten je einer Million Erwerbstätige mit Ab-
stand an der Spitze. Es folgen Schweden (495), die Niederlande (383), Schweiz (370)
und Japan (361). Deutschland (277) und USA (239) liegen im Mittelfeld. Bei den
Wachstumsraten fallen die nordeuropäischen Länder, ebenso wie Kanada und Korea
auf. Die nordischen Länder Finnland und Schweden weisen die teils zweistelligen
Wachstumsraten aufgrund ihrer Ausrichtung auf patentintensive IuK-Technologien
auf, was auch die negativen Saldi zwischen den Jahren 2000 und 2002 nach dem Ein-
bruch der IuK-Märkte erklärt. Dagegen beruht Koreas positive Patententwicklung auf
seiner zunehmenden Integration in die globale Wirtschaft (vgl. Tab. 13).
Deutschland erweist sich auch nach der Analyse mittels des outputorientierten Indika-
tors als im technologischen Wettbewerb stabil positionierte Volkswirtschaft, deren
Schwäche eindeutig in der Spitzentechnologie liegt, die allerdings bei den hochwerti-
gen Technologien weiterhin einen hohen Rang einnimmt.
Nachdem die Untersuchung der input- und outputorientierten Indikatoren zu ähnli-
chen Ergebnissen geführt hat, werden im Folgenden mittels des ‚Relativen Welthan-
delsanteils (RWA)’41 die Stärken und Schwächen der deutschen Exportwirtschaft
betrachtet. Mittels des ‚RMA (Relativer Importmarktanteil)’42 können die Importe im
OECD-Vergleich dargestellt werden und der ‚RCA (Revealed Comparative Advanta-
ge)’43 lässt den Vergleich zwischen Export- und Importstruktur zu. Diese Indikatoren
sind von der Höhe der gesamten Exporte und Importe eines Landes unabhängig und
eignen sich deshalb um Aussagen über die relative Position einer Volkswirtschaft in
einzelnen Warengruppen im Zeitverlauf und im internationalen Vergleich zu machen.
Damit kommen bestimmte Spezialisierungsmuster eines Landes zum Vorschein, die
allerdings nur dann uneingeschränkt mit ‚technologischer Wettbewerbsfähigkeit’
gleichzusetzen sind, wenn man davon ausgeht, dass sich die Auswirkungen protektio-
nistischer Maßnahmen auf Ex- und Importe zwischen den Warengruppen und den
Ländern weder der Art wie sie durchgeführt werden, noch der Höhe nach bedeutsam
41 Bei dem Relativen Welthandelsanteil werden die Ausfuhrzahlen einer Volkswirtschaft mit den Ausfuhrzahlen eines Länderdurchschnitts (hier: OECD) verglichen. Zur Berechnung vgl. Vogel 2000, 435. 42 Der RMA vergleicht die Einfuhrzahlen eines Landes mit den Einfuhrzahlen eines Länderdurch-schnitts (hier: OECD). Zur Berechnung vgl. Vogel 2000, 436. 43 Mit dem RCA wird die Abweichung des Export/Import-Verhältnisses in einer bestimmten Waren-gruppe von dem Export/Import-Verhältnis aller Warengruppen bestimmt. Zur Berechnung vgl. Vogel 2000, 437.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
121
unterscheiden. Dies ist zwar eine eher unrealistische Annahme, trotzdem nimmt man
messtechnisch diese Auswirkungen in Kauf (vgl. Schumacher et al 2003, 36).
Tabelle 14: Indikatoren zur Außenhandelsspezialisierung ausgewählter OECD-Länder bei FuE-intensiven Waren 2000
Warengruppen GER USA JPN FRA ITA GBR NED CHE SWE FIN CAN EU(15)
Relativer Anteil an den OECD-Exporten (RWA)
FuE-intensive Waren
4 14 26 -6 -41 9 -17 -2 -8 -30 -11 -3
Spitzentechnologie -24 41 9 5 -83 30 5 -1 13 3 -52 -3
Hochwertige Technologie
19 -10 36 -13 -21 -8 -35 -3 -25 -59 9 -3
Relativer Anteil an den OECD-Importen (RMA)
FuE-intensive Waren
-2 8 -14 -4 -12 3 2 -11 2 3 12 -1
Spitzentechnologie 0 6 14 -2 -33 16 22 -2 3 13 -11 19
Hochwertige Technologie
-4 9 -41 -5 1 -7 -15 -18 2 -4 26 -19
Vergleich von Export- und Importstruktur (RCA)
FuE-intensive Waren
13 13 47 6 -22 13 -12 16 -3 -26 -16 6
Spitzentechnologie -21 38 -2 11 -47 18 -14 5 13 -7 -37 -19
Hochwertige Technologie
32 -9 86 2 -12 9 -10 25 -17 -45 -7 26
Quelle: Schumacher et al (2003, 37).
Der Vergleich des relativen Anteils von Importen und Exporten verschiedener
OECD-Länder in den Bereichen der hochwertigen Technologie, der Forschungs- und
Entwicklungsintensiven Waren und der Spitzentechnologie zeigt, dass Deutschland
auf der Exportseite stärker auf Hochwertige Technologie und FuE-intensive Waren
spezialisiert ist als der OECD-Länderdurchschnitt (vgl. Tab. 14). Bei den FuE-
intensiven Waren sind nur Japan, USA und Großbritannien besser positioniert. Bei
den Gütern der Hochwertigen Technologie haben Japan, Deutschland und Kanada
eine hohe Exportspezialisierung. Bei den für das volkswirtschaftliche Wachstum be-
deutsamen Spitzentechnologiegütern liegt Deutschland deutlich unter dem OECD-
Durchschnitt, Spitzenreiter sind USA und Großbritannien, auch Schweden, Japan,
Frankreich, die Niederlande und Finnland zeigen positive Werte. Dass Deutschland
eher eine exportorientierte Volkswirtschaft ist unterstreichen die RMA-Werte. Bis auf
den Bereich der Spitzentechnologie liegt die deutsche Wirtschaft unter dem OECD-
Durchschnitt. Der Vergleich der Export-/Importstruktur mittels des RCA bestätigt die
Ergebnisse. Deutschland ist exportstark bei den Waren der Hochwertigen Technolo-
gie und bei FuE-intensiven Waren und zeigt deutliche Schwächen bei Spitzentechno-
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
122
logiegütern. Der Überblick über den Zeitverlauf verdeutlicht Deutschlands Speziali-
sierung in den einzelnen Branchen der Spitzentechnologie und der Hochwertigen
Technologie (vgl. Tab. 15).
Tabelle 15: Spezialisierung Deutschlands bei FuE-intensiven Waren insgesamt 1991-2000
RCA
Warengruppe 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000
Forschungsinten-
sive Erzeugnisse
insg.*
23
24
26
26
25
22
22
19
15
15
Spitzentechnologie -26 -29 -33 -30 -26 -28 -28 -33 -29 -29
aus dem Bereich..
Chemische Erzeug-
nisse
24 8 16 26 20 1 1 -2 9 -7
Maschinen 5 1 25 21 17 16 1 18 13 11
IuK -73 -87 -88 -87 -81 -84 -88 -92 -96 -80
Elektrotechnik -44 -14 -27 -23 -17 -22 -3 -15 2 -9
Medientechnik -24 -30 -35 -29 -27 -22 -14 -22 -17 -19
Instrumente 35 38 46 44 45 41 35 32 33 28
Luft- und Raum-
fahrzeuge
-21
-12
-27
-21
-2
-16
-11
-18
-7
-17
Hochwertige Tech-
nologie
40
42
46
45
41
39
40
39
34
37
aus dem Bereich..
Chemische Erzeug-
nisse
39
37
42
37
33
35
34
22
14
17
Maschinen 74 69 84 82 82 86 83 75 65 65
IuK -21 0 -13 -11 -7 -20 -12 -8 -32 -28
Elektrotechnik 28 23 14 4 4 1 2 3 -5 -12
Medientechnik -42 -43 -57 -56 -55 -70 -62 -71 -67 -69
Instrumente 17 13 17 13 13 9 7 10 12 13
Kraftwagen, -
motoren sowie
Zubehör
35
42
47
48
42
37
40
47
45
54
Schienenfahrzeuge 133 151 125 128 82 53 37 21 16 33
FuE-intensive Er-
zeugnisse a.n.g.
52
27
36
22
12
10
21
18
29
39
Quelle: in Anlehnung an Schumacher et al (2003, 50) *) incl. nicht zurechenbarer Fabrikationsanlagen usw. / RCA: Positives Vorzeichen bedeutet, dass die Export/Import-Relation bei dieser Produktgruppe höher ist als bei verarbeitenden Industriewaren insgesamt.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
123
Die negativen RCA-Werte bei der Spitzentechnologie weisen auf Schwächen in fast
allen Branchen hin. Komparative Vorteile erzielt Deutschland allerdings im Maschi-
nenbau (hier vor allen bei den Großforschungsgeräten) und bei den Spitzeninstrumen-
ten (vor allem bei medizinischen Diagnosegeräten). Die starke Stellung in der Hoch-
wertigen Technologie geht auf eine breite Branchenspezialisierung zurück. Vor allem
der Automobil- und Maschinenbau haben dazu beigetragen. Auch die chemische In-
dustrie, der Schienenfahrzeugbau und die hochwertigen Instrumente und medizini-
schen und orthopädischen Geräte sorgen für weitere Spezialisierungsvorteile. Damit
haben sich die Produzenten aus diesen Branchen im Vergleich zu den anderen verar-
beitenden Industrien in Deutschland relativ besser auf den ausländischen Märkten
durchsetzen können als es ausländischen Anbietern auf dem deutschen Mark gelun-
gen ist.
3.2.1.1 Wie leistungsfähig ist Deutschland im internationalen Wettbewerb – eine Er-
gebniszusammenfassung
Die These von einer Ambivalenz bei der Beurteilung der technologischen Leistungs-
fähigkeit Deutschlands hat sich bestätigt. Die deutschen Unternehmen sind sowohl
bei den Ausgaben und Beschäftigtenzahlen im Bereich FuE, bei den Patentanmeldun-
gen als auch hinsichtlich ihrer Exportwettbewerbsfähigkeit gut positioniert, allerdings
beschränken sich diese Erfolge zum größten Teil auf Branchen der Hochwertigen
Technologie. Die stark wachstumsträchtigen Spitzentechnologien außerhalb der Au-
tomobilwirtschaft können nicht zu den Schwerpunkten der industriellen Tätigkeiten
in Deutschland gezählt werden. Aus diesem Grund sind die Expansionsmöglichkeiten
der Wirtschaft in kurzfristiger Perspektive eher als beschränkt einzustufen. Auch
wenn die Wirtschaftsstruktur zunehmend spitzentechnische Spezialisierungsmuster
aufweist, wird Deutschland im internationalen Vergleich weit übertroffen von den
nordeuropäischen Ländern (vor allem von Finnland und Schweden) und den USA
(vgl. BMBF 2005).
Im Einzelnen gestaltet sich der Status quo wie folgt:
• Der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegt mit 2,52 % am
BIP (Jahr 2002) recht hoch, damit belegt die deutsche Volkswirtschaft im in-
ternationalen Vergleich Rang fünf hinter Schweden, Finnland, Japan und den
USA und ist gleichauf mit Dänemark platziert.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
124
• Die höchste Innovationsintensität im Branchenvergleich weisen der Instru-
menten- (9,0 %) und der Fahrzeugbau (8,1 %) auf.
• Der Anteil der innovierenden Unternehmen hat im Jahr 2003 erstmalig seit
1999 wieder zugenommen, rund 60 % der deutschen Unternehmen zählen zu
den Innovatoren. Auch hier spielen Branchenunterschiede eine große Rolle.
Mehr als 80 % der Unternehmen in der chemischen Industrie, 78 % im In-
strumentenbau und 75 % in der Maschinenbaubranche haben Innovationspro-
jekte erfolgreich abgeschlossen, währenddessen haben dies im Handel und im
Bergbau nur rund 35 %. Die Innovatorenquote ist hochgradig abhängig von
der Unternehmensgröße. Während gut 90 % der Großunternehmen aus for-
schungsintensiven Branchen innovierend tätig sind, lag die Quote bei den
Kleinunternehmen unter 50 Beschäftigten nur bei 52 %. Dennoch nimmt der
Anteil der kontinuierlich FuE betreibenden KMU stetig zu.
• Forschungs- und Entwicklungskooperationen innerhalb des Wirtschaftssektors
als auch zwischen Unternehmen und Hochschulen bzw. Forschungseinrich-
tungen sind vor allem bedeutsam für Unternehmen, die einen hohen FuE-
Anteil am Umsatz aufweisen. Der Bedarf an externem technischem Wissen ist
umso höher, je mehr Unternehmen auf Marktneuheiten oder die technologi-
sche Führerschaft ausgerichtet sind.
• Der Anteil der FuE-Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung beläuft sich im
Jahr 2001 auf 4,24 %, vor allem die wissensintensiven Industrien der höher-
wertigen Technologie weisen einen erhöhten Einsatz von Wissenschaftlern,
Ingenieuren und Technikern auf. Im internationalen Vergleich des FuE-
Personals pro 1000 Erwerbstätigen liegt Deutschland zwar über dem EU-15-
Durchschnitt, wird aber von den nordischen Staaten Dänemark, Finnland und
Schweden weit übertroffen.
• Ähnlich der FuE-Ausgabenstatistik zeigt auch die deutsche Patentspezialisie-
rung, dass die Unternehmen im Bereich der anwendungsorientierten hochwer-
ten Technologie (Fahrzeug-, Maschinenbau, Elektrotechnik und hochwertiger
Instrumentenbau) am besten positioniert sind und ihre Stellung in den 1990er
Jahren noch ausgeweitet haben. Bezüglich der Patentintensität liegt Deutsch-
land allerdings hinter Finnland, Schweden, den Niederlanden, Schweiz und
Japan zurück. Deutliche Schwächen zeigen insbesondere die Spitzentechnolo-
giebranchen.
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Innovationswettbewerb
125
• In Einklang damit steht die Exportspezialisierung auf die Güter der höherwer-
tigen Technologie. Bei den für das volkswirtschaftliche Wachstum bedeutsa-
men Spitzentechnologiegütern liegt Deutschland wiederum unter dem OECD-
Durchschnitt. Komparative Vorteile im Vergleich der Export-/Importstruktur
bei den Spitzentechnologien ergeben sich allerdings im Maschinenbau (vor al-
lem bei Großforschungsgeräten) und in der Instrumententechnik (besonders
bei den medizinischen Diagnosegeräten).
Die Analyse der Innovationstätigkeit der deutschen Wirtschaft konnte die Hypothese
von der fehlenden Dynamik des Strukturwandels zulasten der spitzentechnologischen
Branchen bestätigen. Die industriellen Strukturen sind geprägt von traditionellen
Branchen der Hochwertigen Technologien. Vereinzelt sind spitzentechnologische
Spezialisierungsmuster zu erkennen. Im internationalen Vergleich spielt die deutsche
Wirtschaft in diesen Wachstumssegmenten aber noch keine führende Rolle. Die
durchgeführte Untersuchung dient als Bezugs- und Vergleichsrahmen für die folgen-
de Analyse der Medizintechnikbranche, um die Frage zu beantworten welchen Stel-
lenwert die Medizintechnik in der Debatte um die Innovationsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft hat. Sind die deutschen Medizintechnikhersteller im Branchenvergleich
überdurchschnittlich innovativ oder reihen sich die Branchenergebnisse in den Status
quo des deutschen Innovationsgeschehens ein? Zur Beantwortung dieser Fragen wird
die Medizintechnikbranche im folgenden Kapitel vor dem Hintergrund und als Teil
der Gesundheitswirtschaft untersucht. Dieser Bezug ist aus innovationstheoretischen
Überlegungen heraus sehr interessant für die Untersuchung, da es enge Verflechtun-
gen zwischen den Herstellern und Anwendern von Medizinprodukten in der ambulan-
ten und stationären Versorgung gibt, die auch bezeichnend für das Innovationsverhal-
ten der Unternehmen sind.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
126
4. Die Gesundheitswirtschaft als Megatrend?
‚Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts’, wusste schon Ar-
thur Schopenhauer. Dem Gesundheitsmarkt wird hinsichtlich der zukünftigen Her-
ausforderungen durch den demographischen Wandel, den medizinisch-technischen
Fortschritt und dem soziokulturellen Wandel ein Wachstumspotenzial bescheinigt,
das vor allem vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands Beschäftigungsperspektiven erhoffen lässt (vgl. u.a. Fretschner/Hartmann
2002, Stanowsky et al 2004, Grönemeyer 2005). Insbesondere dem hochtechnologi-
schen Randbereich der Gesundheitswirtschaft, der Medizintechnikbranche, als Im-
pulsgeber und Entwickler medizinisch-technischer Lösungen kommt im Rahmen der
gesundheitswirtschaftlichen Wachstumsdebatte eine bedeutende Position zu.
Ihren Anfang fand die Diskussion um das Gesundheitswesen als Zukunftsbranche
besonders durch das Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Akti-
on im Gesundheitswesen (heute: Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwick-
lung im Gesundheitswesen) Mitte der 90er Jahre in dem ein Perspektivwechsel statt-
fand, der die Kostenproblematik des Gesundheitssystems in den Hintergrund rückte,
ohne diese gänzlich zu vernachlässigen und vielmehr die Wirtschaftlichkeitsreserven
im Gesundheitswesen zum Thema machte:
„Fragen der Beschäftigung und des Wachstums im und durch das Gesundheitswesen treten in den Vordergrund. […] Neben das Gesundheitswesen als Kostenfaktor tritt das Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktor mit seinen Wachstums- und Produktionseffek-ten wieder stärker in den Mittelpunkt. Diese Gratwanderung zwischen Kostendämp-fung und Wachstum gehört auch zu den Herausforderungen im Gesundheitswesen“ (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 1996, 8).
Ausgehend von diesem Paradigmenwechsel wird im folgenden Kapitel der Frage
nachgegangen, inwieweit die Gesundheitswirtschaft als Wachstumsmotor für die
Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft dienen kann. Zunächst wird das
Verständnis des deutschen Gesundheitssystems genauer definiert (Kapitel 4.1). Hier-
bei wird das so genannte ‚Zwiebelmodell’ des Instituts Arbeit und Technik, das vor
allem die Schnittstellen und Verflechtungen der Gesundheitswirtschaft mit anderen
Wirtschaftssektoren betont, hinzugezogen.44 Darauf aufbauend wird der These nach-
gegangen, wieso die einseitige Annahme, Gesundheit als Kostenfaktor zu betrachten,
44 Die Struktur des deutschen Gesundheitswesens mit seinen Säulen der sozialen Sicherung, der ambu-lanten und stationären Versorgung etc. wird an dieser Stelle nicht im Einzelnen erläutert, sondern nur in Bezug auf deren Bedeutung für die Medizintechnikbranche. Ausführliche allgemeine Darstellungen finden sich u.a. bei Beske/Hallauer 1999, Bäcker et al 2000.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
127
nicht allein greift. Welche Wirtschafts- und Beschäftigungspotenziale ergeben sich
für die einzelnen Gesundheitsbranchen? Schließlich fokussiert sich der Blick auf die
Medizintechnikbranche in Deutschland, einschließlich ihrer internationalen Positio-
nierung.
4.1 Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktor – ein erweitertes Gesund-
heitssystemverständnis
Gesundheit hat als superiores Gut nicht nur einen enorm hohen individuellen Bedürf-
niswert, sondern beeinflusst in starkem Maße die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft.
„Nur gesunde Menschen können durch ihre Leistungen für Prosperität und Wohlstand
sorgen“ (Grönemeyer 2005, 20). Damit wird deutlich, dass Gesundheit ein entschei-
dender Wirtschaftsfaktor ist, der durch das Gesundheitssystem transportiert wird.
Gerade im Zuge der zunehmenden internationalen ökonomischen Konkurrenzsituati-
on gilt es, für den Standort Deutschland die Leistungsfähigkeit der arbeitsfähigen
Bevölkerung zu erhöhen. Gesundheit hat in diesem Fall eine große Ähnlichkeit mit
den Humankapitalgütern Bildung und Ausbildung, die ebenso zur Stärkung der
Marktposition eines Individuums beitragen. Denn je höher die Bildung, desto größer
das Humankapital und die Chance auf mehr Wohlstand für den Einzelnen. Das Ge-
sundheitssystem mit seinen Ressourcen trägt maßgeblich zur ‚Produktion’ des Gutes
Gesundheit bei. Die staatlichen, öffentlich-rechtlichen und privaten Einrichtungen
haben zur Aufgabe, die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, zu fördern und wie-
derherzustellen. Im klassischen Sinn unterliegt das Gesundheitssystem den folgenden
Zielen (vgl. Hartmann 2002, 67):
• Prävention: Vorbeugende Maßnahmen zur Senkung des Erkrankungsrisikos
der Bevölkerung und zur Verbesserung des allgemeinen gesundheitlichen
Wohlbefindens;
• Kuration: Erkennung und Therapie von Krankheiten durch professionelle
Leistungsanbieter;
• Rehabilitation: Wiederherstellung eingeschränkter funktionaler, somatischer,
kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten;
• Pflege auf Dauer Erkrankter bzw. Behinderter.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
128
Dabei besteht die Schwierigkeit der Gesundheitssystemforschung darin, dass das Ge-
sundheitssystem als Gegenstand der Forschung weder national noch international
einheitlich definiert ist (vgl. Schwartz/Busse 2003, 519). Aus diesem Grund wird
oftmals ein engeres Verständnis von Gesundheitssystem gebraucht, in dem die „per-
sönliche Versorgung durch Heilberufe im Vordergrund“ (dies., 519) steht und Ge-
sundheitsversorgung als System von individuellen Einrichtungen und sozialen Institu-
tionen verstanden wird, durch die eine personenbezogene Betreuung bzw. Versor-
gung organisiert, geplant, finanziert und kontrolliert wird.
Dies geschieht im traditionellen Sinne durch das medizinische Versorgungssystem,
das die Einrichtungen der ambulanten und stationären medizinischen und pflegeri-
schen Versorgung (Arztpraxen, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen) um-
fasst sowie deren Zulieferer (Heil- und Hilfsmittel, medizinische Apparaturen) und
die Finanzierungsinstitutionen wie die Sozialversicherungen (vgl. Kühn 1998, 268).
Diese Gesundheitssystemauffassung stellt zu sehr die historisch gewachsenen Struk-
turen der öffentlichen und privaten Wohlfahrtseinrichtungen und heilberuflichen
Leistungserbringer – also die Kernsektoren des Gesundheitswesens – in den Vorder-
grund und trägt somit zu der Auffassung bei, das Gesundheitswesen als konsumptiven
Wohlfahrtssektor zu verstehen und gerade nicht – wie der Paradigmenwechsel es an-
deutet – als produktiven Teil der Volkswirtschaft. Zur Veränderung dieser Sichtweise
trägt ein erweiterter Gesundheitssystembegriff bei, der mit dem so genannten ‚Zwie-
belmodell’ vom Institut Arbeit und Technik entwickelt wurde.
Die Erkenntnis, dass das Gesundheitswesen einen Wirtschaftsfaktor darstellt, ergibt
sich durch den Blick auf die Verflechtungen des Gesundheitssystems mit anderen
Wirtschaftssektoren. Diese clusterorientierte Argumentation strukturiert das System
nicht mehr nach den klassischen Unterscheidungen von Prävention, Kuration und
Rehabilitation, sondern „ordnet die Einrichtungen und Unternehmen der Gesund-
heitswirtschaft gemäß ihrer Stellung entlang der entsprechenden Wertschöpfungsket-
te“ (Fretschner et al 2003, 4). Aus diesem Grund wird auch nicht mehr vom Gesund-
heitssystem gesprochen, sondern von der Gesundheitswirtschaft. Neben den personal-
intensiven, dienstleistungsorientierten Kernbereichen der ambulanten und stationären
Versorgung werden auch die kapital- und technologieintensiven Vorleistungs- und
Zulieferindustrien wie auch die Randbereiche bzw. Nachbarbranchen, die gesundheit-
liche Bezüge aufweisen, in das Modell integriert (vgl. Abb. 9):
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
129
1. Kernsektor der ambulanten und stationären Versorgung: Hierzu zählen die be-
schäftigungs- und personalintensiven Dienstleistungsbereiche der ambulanten
und stationären Versorgung innerhalb der Gesundheitswirtschaft. Diese um-
fassen die Arzt- und Zahnarztpraxen, die Einrichtungen und Praxen nichtärzt-
licher medizinischer Berufe (bspw. Physiotherapeuten), Apotheken, stationä-
re, teilstationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen sowie die Krankenhäuser
und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen.
2. Vorleistungs- und Zuliefererindustrien: Die so genannten ‚Health Care Indust-
ries’ (Pharmazeutische Industrie, Medizin- und Gerontotechnik, Bio- und
Gentechnologie) gehören ebenso zu der Gruppe der Hersteller von Heilmitteln
und technischen Hilfsmitteln und Geräten wie das Gesundheitshandwerk.
Auch der Groß- und Facheinzelhandel mit medizinischen und orthopädischen
Produkten ist als Zulieferer von Leistungsanbietern und Patienten eng mit dem
Kernsektor verbunden.
3. Randbereiche und Nachbarbranchen der Gesundheitswirtschaft: In der Ver-
knüpfung von gesundheitsbezogenen Dienstleistungen mit anderen Wirt-
schaftsbereichen steckt ein enormes Zukunftspotenzial hinsichtlich Wachs-
tums- und Beschäftigungsentwicklung. Aus diesem Grund müssen die Nach-
branchen der Gesundheitswirtschaft wie der Immobiliensektor (Stichwort:
Smart Homes - intelligentes Wohnen), die Tourismusbranche (Stichwort: Ge-
sundheitsstourismus), der Wellnesssektor und gesundheitsbezogene Sport-
und Freizeitangebote in das erweiterte Verständnis des Gesundheitswesens als
Wirtschaftsfaktor einbezogen werden (vgl. Hilbert et al 2002).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
130
Abbildung 9: Struktur der Gesundheitswirtschaft als 'Zwiebelmodell'
Geht man von diesem erweiterten Verständnis der Struktur des Gesundheitswesens
aus, tritt die Debatte um das Gesundheitswesen als Kostenfaktor in den Hintergrund.
Gerade das Zusammenwirken der Randbereiche und der Vorleistungs- und Zuliefe-
rerindustrien mit den Kernbereichen birgt Wachstums- und Beschäftigungspotenziale,
die sich vor dem Hintergrund allgemeiner Einflussfaktoren auf Angebot von und
Nachfrage nach Gesundheitsdiensten ergeben. Zum einen handelt es sich um gesell-
schaftliche Entwicklungen wie den demographischen und soziokulturellen Wandel,
die sich auf die Nachfrage auswirken, zum anderen um endogene Faktoren wie den
medizinisch-technischen Fortschritt, die zu einer Leistungsausweitung und -
differenzierung auf Seiten des Angebotes führen (vgl. Fretschner/Hartmann 2002).
Der medizinisch-technische Fortschritt wird vor allem das Wachstum der Vor-
leistungs- und Zuliefererindustrien betreffen und damit die Angebotsseite beeinflus-
sen. Innovationen stellen den Kern des Potenzials dar. Unterschieden wird hierbei in
Produkt- und Prozessinnovationen. Zu den Produktinnovationen zählen beispielswei-
se neue Materialen für Implantate oder Prothesen, wobei hier die Biotechnologie die
größten Zuwächse zu erwarten hat, oder pharmazeutische Produkte und Mikroappara-
turen. Diese Neuentwicklungen können zu einer Leistungsausweitung in den Berei-
Sport und Freizeit
Service-/ Betreutes Wohnen
Gesundh.- touris- mus
Gesunde Ernährung
Medizin- und Gerontotechnik
Bio- techno-
logie
Handel mit Gesundh.- produkten
Beratung
Pharmazeutische Industrie
Kur- und Bäderwesen
Selbst- hilfe
Apo- theken
Stationäre undAmbulante Versorgung
Gesundh.- hand- werk
Wellness
Verwaltung
Quelle: IAT
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
131
chen Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation führen. Währenddessen
erhöhen Prozessinnovationen die Qualität und Effizienz vorhandener Angebote. Als
Beispiel sei hier die minimal-invasive Chirurgie genannt, die auf Patienten schonende
Weise bestehende Operations- und Behandlungsmethoden ersetzt. In der öffentlichen
wie in der wissenschaftlichen Diskussion gilt der medizinisch-technische Fortschritt
als einer der wichtigsten Faktoren, die in der Vergangenheit die Entwicklung des Ge-
sundheitswesens vorangetrieben haben, und von dem erwartet wird, dass er auch die
Zukunft entscheidend prägen wird (vgl. dies. 2002 oder auch Forschungsgesellschaft
für Gerontologie et al 2001). Bei vielen Krankheitsbildern sind deutlich verbesserte
Heilungschancen absehbar, der Prävention bieten sich durch gesundheitswirtschaftli-
che Erkenntnisse sowie durch Fortschritte in der Molekularbiologie neue Möglichkei-
ten und auch bei der Rehabilitation eröffnen sich zukunftsträchtige Perspektiven.
Die Informations- und Kommunikationstechnologien bieten Chancen und vielfältige
Anknüpfungspunkte für neue Leistungen – etwa in den Bereichen der Telemedizin
oder des Health Monitorings. Die moderne IuK-Technologie kann nicht nur wichtige
Dienste bei der Einstellung und Anpassung von Trainingsgeräten oder Prothesen leis-
ten, sondern erleichtert es, Patienten über die stationäre Rehabilitation hinaus zu be-
gleiten und zu unterstützen. Auch die Prävention kann von den Potenzialen bei-
spielsweise der Medizintechnik profitieren. Sollte es gelingen mit Hilfe breit angeleg-
ter Diagnostik Vorsorgeprogramme einzuleiten, die zur Verhinderung bzw. Rückfüh-
rung der so genannten Volkskrankheiten (Herz-Kreislauf, Diabetes, Bandscheiben,
Schlaganfall, Gelenkserkrankungen etc.) führen, könnte Prävention zu einem der
wichtigsten Hebel nicht nur für eine Qualitäts-, sondern auch für eine Effizienzsteige-
rung im Gesundheitswesen werden. Wichtige wissenschaftlich-technische Grundla-
gen für die Verbesserungen bei der Prävention der oben genannten Krankheiten bie-
ten u.a. Fortschritte bei der immunologischen (vgl. Hilger/Hofmann 1995) und bei der
radiologischen Diagnostik (vgl. Grönemeyer 2001). Bei der radiologischen Diagnos-
tik stellt die Elektronenstrahltomographie etwa einen wichtigen technischen Fort-
schritt gegenüber der Computertomographie dar und ermöglicht u.a. bei Aufnahmen
des Brustraums die Identifikation von kleinsten Kalkablagerungen in einem Herz-
kranzgefäss. Damit kann die Diagnose viel früher gestellt werden und einer Ver-
schlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten effektiver vorgebeugt werden.
Auch aus volkswirtschaftlicher Wachstumsperspektive kommt dem medizinisch-
technischen Fortschritt eine große Bedeutung zu: Die Medizintechnikindustrie prä-
sentiert sich auch auf den Aktienmärkten zusehends als Zukunftsbranche. Insbesonde-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
132
re in Verbindung mit dem demographischen Wandel ergeben sich für die Unterneh-
men Wachstumspotenziale. So stiegen die Aktienwerte einiger Medizintechnikher-
steller von Implantaten wie künstlichen Hüft- und Kniegelenken in der ersten Jahres-
hälfte 2007 rapide an. Aktienanalysten bescheinigen gerade Segmenten mit Produkten
für die ältere Generation gute Ertragsaussichten (vgl. www.faz.net, 23.05.07).
Trotzdem gilt zu bedenken, dass Innovationen nicht automatisch zu Kosteneinsparun-
gen in den Gesundheitssektoren führen. Fretschner und Hartmann (2002, 105f) argu-
mentieren, dass es nicht zu Einsparungen kommt, wenn beispielsweise der medizi-
nisch-technische Fortschritt zwar zu weniger riskanten Operationsmethoden führt,
dadurch aber die Bereitschaft der Patienten steigt sich eher einer Operation zu unter-
ziehen. Die Ausweitung der Nachfrage nach dieser schonenden Operationsmethode
würde die Preiseffekte sprich die Kosteneinsparungen überkompensieren.
Ein entscheidender Einflussfaktor für die Nachfrage ist die Situation der demographi-
schen Entwicklung der Bevölkerung, die sich in nahezu allen westlichen Ländern
gleich darstellt: Unter anderem aufgrund der besseren hygienischen und medizini-
schen Versorgung wie auch der Ernährungsbedingungen oder der geringeren körper-
lichen Belastung am Arbeitsplatz, bedingt durch die Zunahme von Wissenstätigkei-
ten, steigt die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung. Gleichzeitig füh-
ren aber verschiedene Faktoren (z.B. Individualisierung, gestiegene Frauenerwerbstä-
tigkeit) zu einem Rückgang der Geburtenrate. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist
eine steigende Anzahl an älteren und hochbetagten (älter als 80 Jahre) Menschen an
der Gesamtbevölkerung, die professionelle Versorgungs- und Pflegeleistungen ver-
mehrt in Anspruch nehmen, da mit zunehmendem Alter die Morbiditätswahrschein-
lichkeit kontinuierlich zunimmt. Diese Annahme wird unterstützt durch einen Ver-
gleich von OECD-Staaten. In den Jahren zwischen 1960 und 1997 korreliert der An-
teil der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit am Sozialprodukt sehr stark mit dem
Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung (vgl. Schmidt 1999).
Neben dem demographischen Wandel beeinflusst auch der sozio-kulturelle Wandel
die Nachfrageseite. Grundannahme ist, dass immer mehr Menschen bereit sind, auch
privat mehr Geld für Gesundheitsleistungen auszugeben. Diese Annahme stützt sich
auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse, die durch die Individualisierung sowie
die Pluralisierung der Lebensformen getragen werden. Informelle Unterstützungsleis-
tungen, die gerade von dem Subsidiaritätsprinzip als Leitkonzept des sozialen Siche-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
133
rungssystems veranschlagt werden, lösen sich allmählich auf. Daraus kann sich in
Zukunft noch vermehrt eine Nachfrage nach professionellen Pflege-, Unterstützungs-
und Erziehungsleistungen ergeben. Zusätzlich führt der sozio-kulturelle Wandel zu
veränderten Präferenz- und Bedürfnisstrukturen, die die Steigerung der individuellen
Lebensqualität in den Vordergrund rücken. Nicht mehr nur die Abwesenheit von
Krankheit ist für den Menschen von Bedeutung, sondern vielmehr ein umfassendes
körperliches und geistiges Wohlbefinden. Hiervon profitieren in erster Linie die
Randbereiche der Gesundheitswirtschaft mit ihren Wellness-, Fitness-, Freizeit- und
Ernährungsangeboten. Die „Dienstleistungen für mehr Lebensqualität“
(Fretschner/Hartmann 2002, 107) aus den Randbereichen werden oftmals mit den
Leistungsangeboten der Kernbereiche gekoppelt, so dass so genannte Gesundheits-
zentren entstehen, in denen Ärzte, Therapeuten und Gesundheits- bzw. Ernährungsbe-
rater mit Fitnesseinrichtungen kooperieren.
Die dargestellten Einflussfaktoren auf Angebot und Nachfrage innerhalb der Gesund-
heitswirtschaft suggerieren in allgemeiner Betrachtung ein durchaus positives Bild
von der Entwicklung der Branchen. Was bleibt da auf den ersten Blick noch von der
Kostendiskussion?
Im Folgenden wird die Debatte um Gesundheit als Kostenfaktor explizit aufgegriffen,
um die Chancen und Risiken der Gesundheitswirtschaft genauer herauszuarbeiten.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
134
4.2 Gesundheitswirtschaft in Deutschland – Kostenfaktor oder Zu-
kunftsmarkt?
Wie im vorherigen Abschnitt bereits kurz dargestellt, existieren grundlegende Ein-
flussfaktoren, die die Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen bestimmen. Diese
Determinanten wirken nach Auffassung des Sachverständigenrates für die Konzertier-
te Aktion im Gesundheitswesen (2003, 42f) unabhängig von Finanzierungsstruktur
und ordnungspolitischer Rahmenbedingungen auf die Ausgaben ein. Auf der Ange-
botsseite sind dies neben dem medizinisch-technischen Fortschritt mit seinen in den
letzten Jahren vor allem Ausgaben-steigernden Produktinnovationen auch die asym-
metrische Information zwischen Arzt und Patienten und die negativen Preisstrukturef-
fekte, die besonders in dienstleistungsintensiven Wirtschaftsbranchen von Bedeutung
sind. Bezüglich der asymmetrischen Informationsbeziehungen verfügt der Arzt inner-
halb der Grenzen der rechtlich-ökonomischen Rahmenordnung über einen Hand-
lungsspielraum, weil er faktisch allein über die angemessene medizinische Behand-
lung entscheidet, da er aufgrund seiner Profession einen Informationsvorsprung ge-
genüber dem Patienten besitzt. Dem Arzt wird dadurch eine Selbstbestimmung über
das Leistungsangebot ermöglicht, die unter Umständen zu einer Ausweitung der Leis-
tungen bis an die Grenzen des vorgeschriebenen Rahmens führen kann. Der negative
Preisstruktureffekt betrifft nicht ausschließlich das Gesundheitswesen, sondern in der
Regel alle dienstleistungsintensiven Branchen. Der Effekt bedeutet, dass der Preisin-
dex – für in diesem Fall Gesundheitsleistungen – schneller wächst als das allgemeine
Preisniveau. Die Ursache dafür ist, dass die Dienstleistungsbranchen bei etwa glei-
cher Lohnentwicklung ein schwächeres Wachstum der Arbeitsproduktivität aufwei-
sen als Branchen, in denen Arbeit durch Kapital substituiert wird. In der Gesund-
heitswirtschaft sind dies vor allem die arbeitsintensiven Sektoren der stationären Be-
handlung, Rehabilitation und Pflege.
Auf der Nachfrageseite bestimmen der demographische und sozio-kulturelle Wandel
die Ausgabenentwicklung. Zu nennen seien an dieser Stelle noch einmal die Zunahme
von älteren und multimorbiden Patienten ebenso wie die Veränderung des Krank-
heitsvorkommens hin zu dauerhaften chronisch-degenerativen Krankheiten und die
zunehmende Angewiesenheit auf externe Hilfen im Pflegefall (durch Zunahme von
Einzelhaushalten, Auflösung familiärer Versorgungsstrukturen etc.).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
135
Wie steht es nun um die tatsächliche Entwicklung der Gesundheitsausgaben in
Deutschland? Kann man plakativ von einer Kostenexplosion sprechen oder ergibt
sich – auch im internationalen Vergleich – eine eher moderate Entwicklung?45
Seit nunmehr drei Jahrzehnten ist die Entwicklung der Ausgaben im Gesundheitswe-
sen in Deutschland Diskussionsthema in der öffentlichen Debatte. Der Begriff der
‚Kostenexplosion’ wurde dabei in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ge-
prägt und findet auch heutzutage noch Eingang in die Auseinandersetzungen. Kern-
punkt der Kritik ist die Annahme, dass die stetige Ausgabensteigerung für die immer
wiederkehrenden finanziellen Schwierigkeiten der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) verantwortlich sei und diese zu Beitragserhöhungen ‚zwang’. Im Gegensatz
dazu gibt es in der gesundheitspolitischen Fachdiskussion eher einen Konsens in
Richtung einer Abkehr von der Kostenfrage, da die Experten der Auffassung sind,
dass es zu keinem überproportionalen Ausgabenanstieg gekommen sei. Das Haupt-
problem der GKV liegt vielmehr in der geringen Entwicklung ihrer Einnahmegrund-
lage (vgl. Simon 2005, 85ff).
Der Blick auf die Entwicklung der Ausgaben für Gesundheitsleistungen kann Auf-
schluss geben.
Unter Gesundheitsausgaben versteht man „die finanziellen Aufwendungen einer Ge-
sellschaft für den Erhalt und die Wiederherstellung der Gesundheit ihrer Mitglieder“
(Statistisches Bundesamt 2005, 1). In Deutschland wurden nominal (in jeweiligen
Preisen) im Jahr 2003 insgesamt 239,7 Mrd. Euro für Gesundheitsleistungen ausge-
geben. Betrachtet man den Zeitraum von 1992 bis 2003, so ergibt sich eine Steige-
rungsrate von 46,9 %, damit sind die Ausgaben für Gesundheit stärker angestiegen als
das Bruttoinlandsprodukt (BIP) (1992-2003: + 31,5 %). Vor allem die Folgekosten
der deutschen Wiedervereinigung waren verantwortlich für den wachsenden Ausga-
benanstieg bis 1996 (jährliche Steigerungsrate von über 7 %), danach haben sich die
Zuwachsraten deutlich abgeschwächt (seit 1997 jährlich zwischen 2 und 4 %). Zwi-
schen den letzten beiden Berichtsjahren 2002 und 2003 haben die Gesundheitsausga-
ben um 2 % zugenommen. Hintergrund der Entwicklung sind neben den bereits er-
wähnten Folgen der Wiedervereinigung Gesetzesänderungen im Bereich der GKV,
45 Anmerkung: Für den internationalen Vergleich werden Datensätze von der OECD verwendet, zur Darstellung der Gesundheitsausgaben in Deutschland werden Daten des Statistischen Bundesamtes herangezogen, aufgrund der unterschiedlichen Methodik der Datenerhebung (die Gesundheitsausga-ben werden nach Vorgabe der OECD z.T. anders abgegrenzt) können die Datensätze nicht miteinan-der verglichen werden.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
136
die aber eher zu einer Ausgabenbegrenzung geführt haben und die Einführung der
Pflegeversicherung (ab 01. April 1995 für Leistungen der ambulanten Pflege; ab 01.
Juli 1996 für Leistungen der stationären Pflege), die zu einer Leistungsausweitung
führte und damit die Gesamtausgaben ansteigen ließ.
Nach Ausgabenträgern differenziert ergibt sich folgendes Bild (vgl. Abb. 10/Tab. 16):
Die gesetzliche Krankenversicherung ist traditionell der größte Träger mit einem An-
teil von 56,7 % an den Gesamtausgaben im Jahr 2003, gefolgt von den privaten
Haushalten/privaten Organisationen (12,3 %). Rund ein Fünftel der Ausgaben der
privaten Haushalte entfiel auf Zuzahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung,
die zunehmende Bedeutung dieser Trägergruppe zeigt sich auch im Zeitverlauf mit
Steigerungsraten von durchschnittlich 4,9 % im Betrachtungszeitraum. Immer mehr
Geld wird privat für Gesundheitsleistungen aufgewendet.
Abbildung 10: Anteil der Gesundheitsausgaben am Gesamtaufkommen nach Ausgabenträgern 2003 (in %)
7,8
56,7
6,9
1,81,7
8,6
4,1
12,3öffentliche Haushalte
GKV
soziale Pflegeversicherung
gesetzlicheRentenversicherunggesetzlicheUnfallversicherungprivateKrankenversicherungArbeitgeber
private Haushalte u.Organisationen
Quelle: eigene Darstellung und Berechnung auf Basis Statistisches Bundesamt 2005,1
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
137
Tabelle 16: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern (1992-2003) 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2003
Ausgabenträger Gesundheitsausgaben in Mrd. Euro
insgesamt 163,2 168,1 180,2 193,9 203,0 203,9 208,4 214,3 218,8 225,9 239,7
öffentl. HH 21,2 22,7 23,3 23,6 21,8 17,7 16,9 17,1 17,4 17,5 18,8
GKV 98,9 99,2 107,7 112,9 116,6 115,6 118,2 121,6 124,4 128,9 136,0
Pflegevers. - - - 4,9 10,0 13,9 14,7 15,2 15,6 15,9 16,5
Rentenvers. 3,7 4,1 4,4 4,7 4,9 3,5 3,5 3,6 3,9 4,1 4,3
Unfallsvers. 2,9 3,2 3,4 3,5 3,5 3,6 3,7 3,8 3,8 3,9 4,1
private KV1) 11,9 12,9 13,6 14,5 14,8 15,8 16,3 17,2 17,9 18,7 20,6
Arbeitgeber 6,9 7,4 7,7 8,4 8,5 8,8 8,8 9,1 9,2 9,2 9,9
Private
HH/Org.
17,4 18,6 20,1 21,5 22,9 24,8 26,4
26,7
26,6 27,8 29,4
Quelle: in Anlehnung an Statistisches Bundesamt 2003, 37 und 2005,1 1) ab 1995 einschließlich der privaten Pflege-Versicherung
Der Großteil der Gesundheitsausgaben wird für Einrichtungen der ambulanten Ver-
sorgung aufgewendet (durchschnittlich 46 % in dem Zeitraum 1992-2003), gefolgt
von den stationären Einrichtungen (u.a. Krankenhäuser und Pflegeheime) mit einem
durchschnittlichen Anteil von 38,8 %. Auffällig ist die hohe Steigerung des Anteils
der sonstigen Einrichtungen und privaten Haushalte an den Gesamtausgaben in den
Jahren 1994 bis 1996. Hierunter sind besonders die Pflege von Angehörigen und da-
mit das Pflegegeld, Taxifahrten für Krankentransporte und der betriebliche Gesund-
heitsdienst zu verstehen. Dieser Anteil hat sich in den Jahren 1994 bis 1996 um 1,4 %
auf 4,4 % der Gesamtausgaben erhöht. Grund dafür ist die Einführung der Pflegever-
sicherung (vgl. Tab. 17).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
138
Tabelle 17: Gesundheitsausgaben nach Einrichtungen (1992-2003) 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2003
Einrichtungen insg. (in
Mrd. Euro) 163,2 180,2 203,0 208,4
218,8 234,9 239,7
davon in % der Gesamtausgaben:
Gesundheitsschutz 1,7 1,6 1,6 1,6 1,7 1,9 1,9
ambulante
Einrichtungen
46,5 44,7 45,3 45,8 45,9 46,2 46,7
Stationäre/teilstationäre
Einrichtungen
38,5 40,3 38,7 39,2 39,0 38,3 37,9
Rettungsdienste 0,8 0,9 0,9 0,9 1,0 1,0 1,0
Verwaltung 5,3 5,4 5,4 5,6 5,7 5,8 5,9
Sonstige Einrichtungen
und private HH
2,9 3,0 4,4 3,9 3,8 3,8 3,8
Ausland 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2
Investitionen 4,0 3,8 3,5 2,9 2,7 2,8 2,6
Quelle: eigene Berechnung auf Basis Statistisches Bundesamt 2003 und 2005
Um die Ausgabenentwicklung beurteilen zu können, reichen die absoluten Angaben
in Euro nicht aus. Vielmehr muss die Entwicklung vor dem Hintergrund der allge-
meinen Wirtschaftsentwicklung und der Preissteigerung gesehen werden. Dies kann
anhand des prozentualen Anteils der Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ge-
schehen (vgl. Abb. 11).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
139
Abbildung 11: Entwicklung der Gesundheitsausgaben 1992-2003 als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (in %)
10,110,2
10,4
10,8
11,1
10,910,8 10,8 10,8
11,0
11,211,3
9,4
9,6
9,8
10
10,2
10,4
10,6
10,8
11
11,2
11,4
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Quelle: Statistisches Bundesamt 2005
Die Entwicklung der Gesundheitsausgaben seit den 70er Jahren bis zur Wiederverei-
nigung weist in Westdeutschland ein recht konstantes Niveau von durchschnittlich
9 % des BIP auf – dies schließt zwar leichte Schwankungen mit ein, man kann aller-
dings nicht von einer ‚Ausgabenexplosion’ sprechen. Nach der Wiedervereinigung
kann der stärkere Ausgabenanstieg auf die geringere Wirtschaftskraft Ostdeutsch-
lands im Vergleich zu Westdeutschland zu Beginn der 90er Jahre zurückgeführt wer-
den. Als Indikator dient hier das Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen je Ein-
wohner. In den alten Bundesländern (einschließlich Berlin) lag es 1991 bei 21 386
Euro, in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) bei 7 146 Euro. Bis 1995 stieg das
BIP je Einwohner in den neuen Ländern auf 14 139 Euro an. Dabei gab es in den Jah-
ren 1991 bis 1993 enorme Steigerungsraten von 28,9 bzw. 23,2 %. Mittlerweile haben
sich die Veränderungsraten gegenüber dem Vorjahr dem Westniveau angepasst, lie-
gen durch den ‚Aufholprozess’ der ostdeutschen Wirtschaft aber immer noch leicht
über den Zuwachsraten in Westdeutschland (vgl. Arbeitskreis VGR der Länder,
23.08.2005). Um trotz der dargestellten wirtschaftlich schwächeren Position Ost-
deutschlands dasselbe gesundheitliche Versorgungsniveau zu gewährleisten, wurde
ein höherer Teil des BIP für das Gesundheitswesen aufgewendet. Der Anteil der Ge-
sundheitsausgaben am BIP lag 1992 im alten Bundesgebiet bei 9,3 %, in Gesamt-
deutschland aber bei 10,1 % (vgl. Simon 2005). Zusätzlich kann die Einführung der
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
140
Pflegeversicherung für den Ausgabenanstieg der Jahre 1995/1996 verantwortlich ge-
macht werden, da trotz Kürzungen der Pflegeleistungen der Krankenkassen und dem
Rückzug der Sozialhilfeträger aus der Finanzierung der stationären Pflege eine Aus-
weitung der Ressourcen für Pflegeleistungen erfolgte. Seit 1997 verläuft die Entwick-
lung der Gesundheitsausgaben auf einem konstanten bis leicht steigenden Niveau
(vgl. Abb. 11).
Um zu einem abgerundeten Bild über die Gesundheitsausgaben zu gelangen, hat in
den letzten Jahren auch zunehmend der internationale Vergleich von Gesundheitssys-
temen an Bedeutung gewonnen (vgl. u.a. Hartmann 2002) Der Vergleich der Gesund-
heitsausgaben als Anteil am BIP der EU-19, Japans, USA und der Schweiz zeigt, dass
Deutschland im Jahre 2002 nach den USA (14,6 %) und der Schweiz (11,2 %) die
dritthöchste Ausgabenquote hat (10.9 %) (vgl. Tab. 18). Tabelle 18: Gesamtgesundheitsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausgewählter Länder (in %)
Länder 1992 1994 1996 1998 2000 2001 2002
Österreich 7,5 7,9 8,3 7,7 7,7 7,6 7,7
Belgien 8,0 7,9 8,9 8,6 8,8 9,0 9,1
Tschechische
Republik
5,4 7,3 7,1 7,1
7,1
7,3 7,4
Dänemark 8,5 8,5 8,3 8,4 8,4 8,6 8,8
Finnland 9,1 7,7 7,6 6,9 6,7 7,0 7,3
Frankreich 9,0 9,4 9,5 9,3 9,3 9,4 9,7
Deutschland 9,9 10,2 10,9 10,6 10,6 10,8 10,9
Griechenland 7,9 9,7 9,6 9,4 9,7 9,4 9,5
Ungarn 7,7 8,3 7,2 7,3 7,1 7,4 7,8
Irland 7,1 7,0 6,6 6,2 6,4 6,9 7,3
Italien 8,4 7,8 7,5 7,7 8,1 8,3 8,5
Luxemburg 6,2 6,1 6,4 5,8 5,5 5,9 6,2
Niederlande 8,4 8,4 8,3 8,1 8,2 8,5 9,1
Polen 6,2 5,6 6,0 6,0 5,7 6,0 6,1
Portugal 7,0 7,3 8,4 8,4 9,2 9,3 9,3
Slowakische
Republik
- - - 5,7
5,5
5,6 5,7
Spanien 7,2 7,4 7,6 7,5 7,5 7,5 7,6
Vereinigtes
Königreich
6,9 7,0 7,0 6,9
7,3
7,5 7,7
Japan 6,2 6,7 7,0 7,2 7,6 7,8 -
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
141
USA 13,0 13,2 13,2 13,0 13,1 13,9 14,6
Schweiz 9,3 9,5 10,1 10,3 10,4 10,9 11,2
Quelle: OECD 2004a
Die hohe Quote muss wiederum vor dem Hintergrund der speziellen deutschen Ent-
wicklung gedeutet werden. In den 1980er Jahren lag die westdeutsche Quote der Ge-
sundheitsausgaben zwischen 8,7 % (1980) und 9,1 % (1988), wobei sie im Jahr 1989
auf 8,6 % des BIP sank und damit im Zeitverlauf eine ähnliche Entwicklung wie die
Ausgabenquoten in den skandinavischen Ländern durchlief. Erst bedingt durch die
Wiedervereinigung und die hohen Aufwendungen für Gesundheit in den ostdeutschen
Bundesländern zur Erreichung des westdeutschen Niveaus stieg die Ausgabenquote
deutlich über den EU-Durchschnitt an.
Die Betrachtung der Indikatoren zur Erfassung der Ausgabenentwicklung spricht ge-
gen die These über die Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Sowohl im Zeitver-
lauf als auch im internationalen Vergleich zeigt sich ein relativ konstantes bis leicht
steigendes Ausgabenniveau, was in Deutschland vor allem durch die Wiedervereini-
gung und die Einführung der Pflegeversicherung in den letzten 15 Jahren beeinflusst
wurde. Bezieht man die Kostendebatte auf die Ausgabenentwicklung der gesetzlichen
Krankenversicherung, bleibt festzustellen, dass auch in diesem Fall das Argument
nicht greift. Zwar sind finanzielle Probleme der GKV nicht von der Hand zu weisen
und Defizite in Milliardenhöhe längst keine Ausnahme mehr, der Grund dafür liegt
aber eher in einer Einnahmeproblematik als auf der Ausgabenseite (vgl. Abb. 12). Im
Jahr 2000 entsprachen die Ausgaben der GKV rund 6,6 % des Bruttoinlandsprodukts.
Im Zeitverlauf ergibt sich seit 1991 ein ähnliches Bild wie bei den Gesamtgesund-
heitsausgaben: ein leichter Anstieg der Ausgaben bedingt durch die Eingliederung der
wirtschaftlich schwächeren neuen Bundesländer. Mitte der 90er Jahre lässt sich eine
gesamtwirtschaftliche Wachstumsschwäche als Erklärung für die hohen Ausgaben
heranziehen, seit 1997 ist das Niveau recht konstant.46
46 Die Einnahmeproblematik der GKV kann in dieser Arbeit nicht ihrer Bedeutung entsprechend dis-kutiert werden. Als Ursachen seien an dieser Stelle kurz zwei Faktorengruppen zu nennen: das unter-proportionale Wachstum der Löhne und Gehälter wie auch die hohe Arbeitslosigkeit verringern die Beitragszahlungen seitens der Versicherten, deren Leistungsansprüche gleich bleiben, und die so ge-nannte ‚Politik der Verschiebebahnhöfe’, durch die der GKV seit Ende der 1970er Jahre durch zahl-reiche politische Eingriffe Einnahmen zugunsten anderer Sozialversicherungszweige entzogen wurden (z.B. Kostendämpfungsgesetz 1977). Ausführliche Darstellungen der finanziellen Problematik der GKV finden sich bei Beske et al 2004 oder auch Simon 2005.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
142
Abbildung 12: Ausgaben der GKV in % des Bruttoinlandsprodukts
6,23
6,67
6,55
6,76
6,886,98
6,686,59 6,60 6,58
5,8
6
6,2
6,4
6,6
6,8
7
7,2
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000
GKV-Ausgaben insgesamt Quelle: Simon 2005, 116
EXKURS: Der Sozialstaat unter den Bedingungen der Globalisierung – Schaden um-
fangreiche Sicherungssysteme der Wettbewerbsfähigkeit?
Wie in den vorherigen Ausführungen gezeigt, ist das Niveau der Gesundheitsausga-
ben zwar in den letzten 15 Jahren relativ konstant geblieben, Deutschland nimmt aber
im internationalen Vergleich der Ausgabenhöhen den dritten Platz nach den USA und
der Schweiz ein. Dieser Exkurs erweitert nun das Blickfeld, in dem die Gesamtbelas-
tung durch Steuern und Sozialabgaben im internationalen Vergleich betrachtet wird.
Es gilt zu klären, ob umfangreiche soziale Sicherungssysteme mit hohen Gesund-
heitsausgaben konträr zur ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit stehen. Der medizi-
nisch-technische Fortschritt als treibende Kraft der Entwicklung der Gesundheitswirt-
schaft und damit die, in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommenen
medizintechnischen Produkte können einen Anstieg der Ausgaben zur Folge habe.
Auf der anderen Seite folgt die Argumentation in diesem Kapitel gerade nicht den
defensiven Annahmen vom Gesundheitswesen als Kostenfaktor sondern betont den
Wert schöpfenden Charakter der Gesundheitswirtschaft und die Expansionschancen
der Medizintechnik. Die Ausgabenhöhe und damit auch der Umfang sozialer Siche-
rung muss sich nicht, wie zu zeigen ist, negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit von
Volkswirtschaften auswirken. Scharpf kommt zu dem Ergebnis, dass es durchaus
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
143
Staaten gibt, „die auch unter den Bedingungen der Globalisierung ihre beschäfti-
gungs- und sozialpolitischen Errungenschaften verteidigt oder sogar verbessert ha-
ben“ (Scharpf 2000a, o.S.)
In der sozialwissenschaftlichen Wohlfahrtstaatsforschung ist vor allem die Typenbil-
dung von Esping-Andersen (1997) als komplexes Erklärungsmodell auf eine breite
Resonanz gestoßen.47 Das Modell unterscheidet zwischen dem liberalen, dem konser-
vativen und dem sozialdemokratischen Typus. Dieser Differenzierung entsprechend
lassen sich die Länder den Idealtypen zuordnen, wobei beachtet werden muss, dass
die Staaten (trotz ihrer Zuteilung zu den verschiedenen Typen) keine exakt überein-
stimmenden sozialstaatlichen Institutionen und Programme aufweisen. Im liberalen
oder auch angelsächsischen Wohlfahrtsmodell (z.B. USA, Australien, England, Ka-
nada) beschränkt sich die staatlich organisierte Vorsorge auf eine niedrige Mindestsi-
cherung, vielmehr werden die freien Marktkräfte und die Funktion der Familie betont.
Die Absicherung von Personen mit mittlerem und höherem Einkommen wird in der
Regel der privaten Vorsorge überlassen. Der konservative oder auch kontinentaleuro-
päische Wohlfahrtsstaat (z.B. Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Nieder-
lande) hat neben der sozialen Mindestsicherung ein umfassendes Sozialversiche-
rungssystem eingerichtet, das stark lohnarbeitszentriert ist. Die sozialdemokratischen
Regimes (z.B. Schweden, Dänemark, Norwegen) bieten über ein breites Leistungs-
system hinaus noch eine Vielzahl an professionellen sozialen Dienstleistungen für
Familien mit Kindern, Kranke, Behinderte und ältere Menschen an. Hierbei gilt –
anders als in den anderen beiden Modellen – nicht das Bedarfsprinzip, sondern die
Leistungen können von jedem Bürger in Anspruch genommen werden. Die Länder-
gruppeneinteilung ist hilfreich bei der Beurteilung der Wechselwirkung von Globali-
sierung und Struktur des Wohlfahrts- bzw. Sozialstaats.
Zunächst wird die allgemeine Entwicklung der Steuern und Sozialabgaben im inter-
nationalen Vergleich betrachtet, um einen ersten Eindruck von der Wettbewerbsfä-
higkeit Deutschlands zu bekommen, denn ohne Berücksichtung anderer volkswirt-
47 Esping-Andersen hat drei Idealtypen von Wohlfahrtsstaaten entwickelt, in denen sowohl quantitati-ve als auch qualitative Faktoren mit einbezogen und zu Regimen wohlfahrtsstaatlicher Regulation und Distribution verbunden wurden. Seine Typologie basiert auf ordnungspolitischen Leitbildern und Konzeptionen der Sozialpolitik und den damit verbundenen institutionellen Differenzierungen. Zudem stellt er einen Zusammenhang zwischen der Struktur des Wohlfahrtsstaates und der Konstitution der Arbeiterbewegung und ihrer Parteien wie auch zur Präsenz und Geschlossenheit der bürgerlichen Strömungen her (vgl. Esping-Andersen 1997; zusammenfassend auch Kaufmann 2005 oder Schmid 2002).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
144
schaftlicher Einflussfaktoren wirkt sich eine hohe Abgabenlast nur dann negativ auf
die Wettbewerbsfähigkeit aus, wenn die Abgabenquoten in den konkurrierenden Län-
dern niedriger sind (vgl. Tab. 19).
Tabelle 19: Abgabenquoten im internationalen Vergleich
Steuern und Sozialabgaben in % des BIP
Land 1970 1980 1990 1995 2000 2001 20021)
Deutsch-
land2)
29,8 34,6 32,9 38,2 37,8 36,8 36,2
Belgien 34,5 42,4 43,2 44,6 45,7 45,8 46,2
Dänemark 39,2 43,9 47,1 49,4 49,5 49,8 49,4
Finnland 31,8 36,1 44,6 45,1 47,3 46,1 45,9
Frankreich 34,1 40,6 43,0 44,0 45,2 45,0 44,2
Griechenland 22,4 24,2 29,3 32,4 37,5 36,9 34,8
Irland 28,8 31,4 33,5 32,8 31,2 29,9 28,0
Italien 26,1 30,4 38,9 41,2 41,9 42,0 41,1
Japan 20,0 25,1 30,0 27,6 27,5 27,3 -
Kanada 30,8 30,9 35,9 35,6 35,6 35,1 33,5
Luxemburg 26,8 40,8 40,8 42,3 40,4 40,7 42,3
Niederlande 35,8 43,6 43,0 41,9 41,1 39,5 39,3
Norwegen 34,4 42,5 41,5 41,1 39,0 43,3 43,1
Österreich 34,6 39,8 40,4 41,6 43,3 45,4 44,1
Polen - - - 39,6 34,3 33,6 34,3
Portugal 19,4 24,1 29,2 32,5 34,3 33,5 34,0
Schweden 37,5 46,1 51,9 48,5 54,0 51,4 50,6
Schweiz 22,5 28,9 26,9 28,5 31,2 30,6 31,3
Slowakei - - - - 34,9 32,3 33,8
Spanien 16,3 23,1 33,2 32,8 35,2 35,2 35,6
Tschechien - - - 40,1 38,9 38,4 39,2
Ungarn - - - 42,4 39,0 39,0 37,7
Vereinigtes
Königreich
37,0 35,2 36,8 34,8 37,2 37,3 35,9
USA 27,7 27,0 26,7 27,6 29,7 28,9 -
Quelle: BMF 2003, 11 (Übersicht 2), eigene Hervorhebung; 1) vorläufig 2) 1970-1990 alte Bundeslän-
der
Deutschland rangiert bei der Gesamtbelastung durch Steuern und Sozialabgaben im
mittleren Feld der Vergleichsländer (36,2 % im Jahr 2002). Die Abgabenquoten der
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
145
liberalen Wohlfahrtsstaaten besonders der USA sind deutlich niedriger, währenddes-
sen die Steuer- und Sozialabgabenquoten der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten mit
rund 50 % des BIP an der Spitze liegen. Betrachtet man nun die Beschäftigungsquo-
ten als Anteil der Beschäftigten an der erwerbsfähigen Bevölkerung (15 – 64-
Jährige), ergeben sich auch hier erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern.
Deutschland nimmt mit einer Quote von 65,3 % im Jahr 2002 den sechsletzten Rang
im internationalen Vergleich an. Der Mittelwert der OECD-Staaten lag in demselben
Jahr bei 69,4 %. Die höchsten Beschäftigungsquoten wurden in der Schweiz (78,9 %)
und den skandinavischen Ländern (Norwegen: 77,1 %; Dänemark 76,4 %; Schweden
74,9 %) erzielt. Auch die Niederlande, Großbritannien, Neuseeland und die USA la-
gen über dem OECD-Durchschnitt (vgl. Abb. 13).
Abbildung 13: Beschäftigungsquoten im internationalen Vergleich 2002
78,9 77,1 76,4 74,9 73,2 72,7 72,4 71,9 71,5 69,4 68,2 68,2 68,1 67,7 65,3 65,061,1 59,7 59,5
55,6
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Sch
wei
z
Nor
weg
en
Dän
emar
k
Schw
eden
Nie
derla
nde
Gro
ßbrit
anni
en
Neu
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A
Kan
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n
Japa
n
Öst
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Por
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l
Finn
land
Deu
tsch
land
Irlan
d
Fran
krei
ch
Bel
gien
Spa
nien
Italie
n
Quelle: Eichhorst et al 2004, 92
Nach den Beschäftigungsquoten der Länder zu urteilen, scheint es keine negative
Korrelation zwischen der Abgabenbelastung und der Beschäftigung zu geben. Sowohl
die skandinavischen Länder mit einer hohen Abgabenquote als auch die Vertreter des
liberalen Wohlfahrtsstaats erzielen eine überdurchschnittliche Beschäftigung. Zu be-
denken ist aber, dass Länder wie Dänemark und Schweden durch ihr hohes Steuer-
aufkommen viele Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor unterhalten. Der negative Zu-
sammenhang zwischen Abgabenhöhe und Beschäftigung entfaltet seine volle Wir-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
146
kung erst im privaten Sektor (vgl. Scharpf 2000a). Scharpfs Argumentation zufolge
sind es aber gerade nicht die vom internationalen Wettbewerb betroffenen Branchen
der Industrie, der Energieversorgung, des Baugewerbes und der Dienstleistungssekto-
ren (hier vor allem Verkehr, Kommunikation, Banken, Versicherungen und Dienst-
leistungen für Unternehmen), die ‚sensibel’ auf Unterschiede der Abgabenlast reagie-
ren, sondern die wettbewerbsgeschützten privaten Dienstleistungen. Zwei Gruppen
können unterschieden werden: zum einen die sozialen Dienste, das Bildungs- und
Gesundheitswesen und auf der anderen Seite die konsumbezogenen Dienstleistungen
wie der Handel, das Gaststätten- oder Hotelgewerbe. Erstere Gruppe ist aufgrund
ihrer überwiegenden Finanzierung aus Steuern und Sozialabgaben wenig geeignet,
um den Zusammenhang darzustellen. Die konsumbezogenen Dienstleistungen hinge-
gen werden sowohl im privaten Sektor erbracht als auch von diesem finanziert und
die Höhe der Abgabenquote wirkt sich stark auf die Beschäftigung aus. Länder mit
einer hohen Belastung an Steuern und Sozialabgaben haben weniger Arbeitsplätze in
diesen Branchen als weniger abgabenintensive Staaten. Dabei ist aber nicht die Höhe
der Einkommens- und Körperschaftssteuern von Bedeutung für die Beschäftigung,
sondern das Niveau der Sozialabgaben und in geringerem Maße der Verbrauchssteu-
ern.
Eine Erklärung dafür ergibt sich aus der Tatsache, dass es sich bei den konsum-,
haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen oftmals um Niedriglohnbranchen
mit geringen Qualifikationsanforderungen und schwächerer Arbeitsproduktivität han-
delt. Dadurch, dass die meisten Staaten aber Mindestlöhne gesetzlich fixiert haben,
kann der Arbeitnehmer, der mit seinem Einkommen nahe dieser festgesetzten Unter-
grenze liegt, nicht im entsprechenden Maße mit Steuern und Sozialabgaben belastet
werden, so dass diese folglich auf die Produktionskosten und den Preis aufgeschlagen
werden. Bezüglich der Einkommenssteuer spielt dieser Umstand kaum eine Rolle, da
es einen Grundfreibetrag gibt und Steuern erst nach Überschreiten desselben erhoben
werden. Im Gegensatz dazu gilt dies für Sozialabgaben nicht; dadurch werden die
niedrigen Löhne übermäßig belastet, was zu einem Anstieg der Arbeitskosten führt.
Damit scheint theoretisch bestätigt, dass hohe Sozialabgaben die Beschäftigung im
privaten Dienstleistungssektor hemmen. Real gesehen haben aber beispielsweise Ös-
terreich und die Niederlande mehr Arbeitsplätze in den privaten Dienstleistungen als
bzgl. ihrer Abgabenlast zu vermuten wäre, währenddessen in Belgien, Italien,
Deutschland und Dänemark die Beschäftigungsquote unterhalb des Erwartungswertes
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
147
liegt. In den Niederlanden lässt sich dieses Phänomen durch die niedrigen Arbeitge-
beranteile erklären, in Österreich durch gewerkschaftlich vereinbarte Niedriglohntari-
fe, die die Arbeitskosten der einfachen Dienstleistungen nicht übermäßig erhöhen.
Gerade in Anbetracht der Situation, dass bei zunehmendem internationalem Wettbe-
werb die direkt betroffenen Branchen eher Arbeitsplätze – und hier vor allem die für
gering Qualifizierte – abbauen als schaffen erhöht die Bedeutung der geschützten
Branchen, deren Erfolg eng mit der nationalen Sozialpolitik verknüpft ist. Bei den
privaten Dienstleistungen hat die Beschäftigung in allen Wohlfahrtsstaaten zuge-
nommen, die Zuwächse sind allerdings in den skandinavischen und angelsächsischen
Wohlfahrtsstaatstypen am größten. Die durchschnittliche Beschäftigungsquote liegt
hier bei 37 bzw. 34 %. In den konservativen oder kontinentalen Sozialstaaten liegt die
Quote – abgesehen von den Niederlanden und der Schweiz – im Durchschnitt aber
nur bei 27 %. Die Beschäftigungsunterschiede können nahezu ausschließlich durch
die Struktur des Wohlfahrtsstaates erklärt werden. Die skandinavischen Staaten fi-
nanzieren sowohl die produktiven Arbeitsplätze im Bildungs- und Gesundheitswesen
als auch viele personen- und haushaltsbezogene Dienstleistungen durch Steuern. Bei
den privaten Dienstleistungen mit geringer Arbeitsproduktivität hingegen wird die
Beschäftigung durch hohe Sozialabgaben und hohe Mindestlöhne eher begrenzt. Die
von der Globalisierung betroffene Exportwirtschaft wird durch niedrige Gewinn- und
Kapitaleinkommenssteuern und eine solidarische Lohnpolitik der Gewerkschaften
begünstigt. Folglich erweist sich dieser Sozialstaatstypus als robustes Instrument der
sozialen Sicherung in Zeiten der Globalisierung. Bei den angelsächsischen Staaten
spielt die Steuerfinanzierung von Dienstleistungen kaum eine Rolle, die Beschäfti-
gung in den privaten und vom globalen Wettbewerb gering betroffenen Dienstleis-
tungsbranchen wird allerdings durch niedrige Steuern und eine erhebliche Lohndiffe-
renzierung begünstigt.
Damit wird zwar dem Arbeitsplatzabbau in der Industrie mit einem Zuwachs an
Dienstleistungsbeschäftigung entgegengewirkt, dies geschieht aber mit dem Effekt
der zunehmenden Verarmung der working poor so Scharpf (2000a). Diesem Problem
wird mit einer Ergänzung des Erwerbseinkommens durch Sozialleistungen begegnet,
dem so genannten ‚Kombilohn’. Wie dargestellt erweisen sich beide sozialstaatlichen
Modelle als relativ resistent gegen den internationalen wirtschaftlichen Druck, vor
schwer lastenden Problemen steht aber das kontinentale Wohlfahrtsstaatsmodell.
Trotz höherer Steuern als in liberalen Staaten gibt es nur wenig öffentliche Beschäfti-
gung und trotz niedrigerer Abgabenlast als in den skandinavischen Staaten gibt es oft
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
148
eine geringere Beschäftigungsquote in den privaten Dienstleistungen. Die Erklärung
dafür liegt in der Bedeutung sozialer Transfers und einem geringen Maß an Förde-
rung sozialer Dienste begründet. Ein umfangreiches Sicherungssystem – wie es in
Deutschland besteht – würde folglich nicht der Wettbewerbsfähigkeit schaden, wenn
beispielsweise Arbeitsplätze im Bildungs- und Gesundheitswesen und bei den sozia-
len Dienstleistungen vermehrt durch die Einkommenssteuer – in Anlehnung an das
skandinavische Modell – und nicht über Sozialabgaben finanziert würden. Gleicher-
maßen könnte es auch förderlich für die Erhöhung der Beschäftigung im privaten
Dienstleistungssektor sein, wenn die Sozialstaatskosten zum Teil von den Sozialab-
gaben auf die Einkommenssteuern umgelegt würden. Im Gegenzug müssten aller-
dings die Unternehmensgewinn- und Kapitaleinkommenssteuern unangetastet bleiben
und damit niedrig gehalten werden.
Als Fazit zu diesem Exkurs kann angenommen werden, dass ein aufwendiger und
umfassender Sozialstaat die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft in Zeiten der
Globalisierung nicht negativ beeinflusst, solange dieser überwiegend steuerfinanziert
wird.
Die Argumentation über die Gesundheitswirtschaft als Kostenfaktor hat gezeigt, dass
Deutschland zwar im Ländervergleich die dritthöchsten Gesundheitsausgaben am BIP
hat, diese aber bis zum Ende der 80er Jahre ein relativ konstantes Niveau verfolgen
und sich der Anstieg seit Beginn der 90er Jahre auf die spezifisch deutsche Entwick-
lung durch die Wiedervereinigung und die Einführung der Pflegeversicherung zu-
rückführen lässt. Allerdings ist auch hier ein konstanter Verlauf sichtbar. Die Kosten-
debatte bezüglich der GKV lässt eher den Schluss einer Einnahmeproblematik anstatt
eines Ausgabenanstieges zu. Auch der Diskurs über den Zusammenhang von Sozial-
staat und Globalisierung hat gezeigt, dass umfangreiche Sicherungssysteme der Wett-
bewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft nicht direkt im Wege stehen, solange die
Steuerfinanzierung Vorrang vor der Finanzierung über Sozialabgaben hat.
Die Gesundheitswirtschaft wird folglich weniger unter Kostenaspekten betrachtet,
denn „was als Ausgaben bei den Finanzierungsträgern zu Buche schlägt, ist zugleich
auch Umsatz und dient – da es sich um einen personalintensiven Bereich handelt –
vor allem der Finanzierung von Arbeitsplätzen und ist von daher auch in hohem Ma-
ße für den Arbeitsmarkt von Bedeutung“ (Simon 2005, 80). Im folgenden Kapitel
wird aus diesem Grund die Beschäftigungsentwicklung in der deutschen Gesund-
heitswirtschaft betrachtet.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
149
4.2.1 Beschäftigungspotenziale in der Gesundheitswirtschaft
Die Gesundheitswirtschaft stellt einen entscheidenden Beschäftigungsfaktor in
Deutschland dar. Im Jahr 2003 waren 10,7 % aller Beschäftigten in den Einrichtungen
des Gesundheitswesens tätig und das mit steigender Tendenz: Seit dem Jahr 2000 hat
sich der Anteil um 0,5 % erhöht.
Tabelle 20: Beschäftigung im Gesundheitswesen nach Einrichtungen
Gesundheitspersonal nach Einrichtungen in 1000
2002 2003 Gegenstand der Nachweisung
insgesamt dar. Frauen insgesamt dar. Frauen
Einrichtungen insgesamt
4 185 2 995
4 210 3 020
Gesundheitsschutz: 45 23 45 22
Öffentlicher Ge-
sundheitsdienst 21 14
22 13
Sonstige Einrich-
tungen 24 10
24 9
ambulante Einrichtungen:
1 713 1 289
1 737 1 310
Arztpraxen 647 512 653 516
Zahnarztpraxen 318 256 326 263
Praxen sonstiger
medizin. Berufe 192 134
199 140
Apotheken 171 148 168 145
Gesundheitshand-
werk/-einzelhandel 155 44
153 43
ambulante Pflege 194 167 201 173
sonstige Einrichtun-
gen 37 29
37 30
stationäre und teilstationäre
Einrichtungen: 1 768 1 370
1 773 1 372
Krankenhäuser 1 121 838 1 104 822
Vorsorge- und Re-
habilitationseinrich-
tungen
119 90
116 88
stationäre/teilstati-
onäre Pflege 485 411
511 432
berufliche/soziale
Rehabilitation 43 31
42 31
Rettungsdienste 46 16 47 17
Verwaltung 219 100 214 98
Sonstige Einrichtungen 99 60 98 59
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
150
Vorleistungsindustrien: 295 137 296 142
pharmazeutische
Industrie 115 52
117 58
medizintechnische/
augenoptische In-
dustrie
103 43
102 44
Medizinische Labo-
ratorien und Groß-
handel
77 42
77 41
Quelle: Statisches Bundesamt 2005a
Im Jahr 2003 waren 4,21 Mio. Beschäftigte in der Gesundheitswirtschaft tätig. Das
sind mehr Beschäftigte als in demselben Jahr im Maschinenbau (962 000), der Metal-
lerzeugung (254 000) und der Automobilindustrie (798 000) zusammen (vgl. Statisti-
sches Bundesamt 2004). 42,1 % der Beschäftigten in den Gesundheitsbranchen arbei-
ten in den Einrichtungen der stationären bzw. teilstationären Versorgung, 41,3 % in
den ambulanten Einrichtungen und rund 7 % in den Vorleistungsindustrien. Hauptä-
tigkeitsbereiche waren vor allem Krankenhäuser (26,2 % der Beschäftigten) und
Arzt- und Zahnarztpraxen (23,3 % der Beschäftigten). Die medizintechnische und
augenoptische Industrie hat einen Anteil von 2,4 % an der Gesamtbeschäftigung in
der Gesundheitswirtschaft.
Von den 4,21 Mio. Beschäftigten arbeiten mehr als 3 Mio. Frauen (Anteil von 71 %)
in den Einrichtungen. Besonders die ambulante und stationäre/teilstationäre Pflege
wird fast ausschließlich von Frauen geleistet (86 % bzw. 85 %), gefolgt von der Tä-
tigkeit in Arztpraxen und Krankenhäusern. Währenddessen liegt der Frauenanteil in
den Vorleistungsindustrien nur bei 49,6 % (pharmazeutische Industrie) bzw. 43 %
(medizintechnische/augenoptische Industrie).
Lässt man die Vorleistungsindustrien erst einmal außer Acht, so kann man die Ge-
sundheitswirtschaft als klassisches Beschäftigungsfeld der personenbezogenen
Dienstleistungen betrachten. Die Gesundheitswirtschaft hierbei als Wachstumsmarkt
zu bezeichnen ist mit Blick auf die Beschäftigungszuwächse entgegen dem gesamt-
wirtschaftlichen Trend nicht unbegründet. Vor allem die Kernbranchen profitieren
von den angebots- und nachfrageseitigen Einflussfaktoren (demographischer und so-
zio-kultureller Wandel). In dem Zeitraum von 1997 bis 2001 hat sich die Zahl der
Beschäftigten in den Gesundheitsdienstberufen der unmittelbaren Patientenversor-
gung um 4,5 % erhöht. Die zukünftige Entwicklung wird entscheidend davon abhän-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
151
gen, wie die Branchenakteure mit den sich verändernden Bedingungen insbesondere
hinsichtlich des steigenden Qualifizierungsbedarfs und -niveaus umgehen. Innovatio-
nen im medizinisch-technischen Bereich erfordern beispielsweise erweiterte Kennt-
nisse der EDV und Technikanwendung sowie deren Anpassung an die fachlich-
pflegerischen und medizinischen Inhalte. Ebenso ergeben sich erhöhte Qualitätsan-
forderungen, die ein umfassendes Qualitätsmanagement nötig werden lassen. Auch
die Modernisierung der Patientenversorgung durch die Einführung integrierter Ver-
sorgungsstrukturen oder Disease-Management-Programme für chronisch Erkrankte
wie auch die Pauschalisierung der Entgeltsysteme (DRG-Systeme in Krankenhäu-
sern) verlangen zusätzliche Kompetenzen in der medizinischen Dokumentation oder
des Schnittstellenmanagements (vgl. Bandemer et al 2004, 123ff.).48
Bevor sich der Blick auf die Entwicklung der Medizintechnik in Deutschland als ein
kapital- und technologieintensiver Bereich richtet, soll ein kurzer Überblick über die
dienstleistungsorientierten Nachbarbranchen der Gesundheitswirtschaft den Diskurs
über die Beschäftigungspotenziale abrunden. Hierzu zählen z.B. gesundheitsbezogene
Sport- und Freizeitangebote, Fitness- und Wellnesseinrichtungen und der Gesund-
heitstourismus (vgl. u.a. Eisele/Helmer-Denzel 2005, InWIS/IAT 2006, Gruner+Jahr
2005).
Tabelle 21: Beschäftigung in den Nachbarbranchen der Gesundheitswirtschaft in Deutschland 2003 Ausgewählte Bereiche der Ge-
sundheitswirtschaft
Beschäftigte Anteile in %
Gesundheitswirtschaft insg.1) 4 597 388 100
Gesundheitstourismus 58 844 1,3
Sport, Freizeit, Wellness 53 232 1,2
Quelle: InWIS/IAT 2006, 7 (Tab. 1); 1) Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Gesundheitswirtschaft 2003 ist bedingt durch eine andere Klassifizierung (die gesundheitsbezogenen Randbereiche werden berücksichtigt) abweichend von den Angaben des Statistischen Bundesamtes.
Für die weitere Entwicklung der Gesundheitswirtschaft können die gesundheitsbezo-
genen Dienstleistungen in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Aufgrund der Zunah-
me an persönlicher Freizeit und einer steigenden Bedeutung der individuellen Ge-
sunderhaltung, sind immer mehr Menschen bereit auch privat Geld für Gesundheits- 48 Ein Überblick über die Anforderungen an die Gestaltung der Gesundheitswirtschaft in den personal-intensiven Kernsektoren findet sich u.a. bei Bandemer et al 2004 oder Fretschner/Hartmann 2002.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
152
dienstleistungen auszugeben (wobei hier eine starke Abhängigkeit der Nutzung von
der Einkommenshöhe besteht; die Nutzung von gesundheitsorientierten Dienstleis-
tungen ist bei den niederen Einkommensgruppen eher gering). Gerade die Verknüp-
fung zwischen gesundheitsbezogenen Diensten und Tourismus, aber auch die Ange-
bote von Sportverbänden und Fitnessstudios haben sich zu einem wachsenden Markt
entwickelt (vgl. Heinze et al 2005). Studien zum Freizeitverhalten älterer Menschen
heben die Bedeutung der demografischen Entwicklung für die Entwicklung der Fit-
nessbranche hervor. Als besonders zukunftsträchtig erweisen sich Angebote der Me-
dizinischen Massage und des Rückentrainings (Nachfragepotenzial bei den 40 bis 70-
Jährigen) und der Wohlfühlmassage (Nachfragepotenzial bei den 50 bis 60-Jährigen).
Der Trend geht klar in Richtung einer stärkeren Vernetzung der klassischen Gesund-
heitsbranchen mit den angeschlossenen Dienstleistungssektoren. Beispielweise kann
die steigende Nachfrage nach den oben genannten Angeboten zu einer Ausweitung
der Beschäftigung von Physiotherapeuten und/oder Masseuren innerhalb von Fitness-
einrichtungen führen.
Der ‚Megamarkt Gesundheit’ hat, nach der vorangegangenen Analyse, die mit einer
Entkräftung der Kostendebatte begann und mit der Darstellung der Beschäftigungspo-
tenziale den Blick in Richtung Zukunft gelenkt hat, durchaus das Potenzial zu einem
Wachstumsmotor der deutschen Volkswirtschaft zu avancieren. Leo A. Nefiodow
(2001) spricht gar von dem Gesundheitssektor als einem Kandidaten für den sechsten
Kondratieffzyklus49. In Verbindung mit der Biotechnologie sieht er die am meisten
Erfolg versprechenden Möglichkeiten für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung: „Im
sechsten Kondratieff rückt der Mensch mit seinen biologischen, seelischen und sozia-
len Bedürfnissen und Potentialen ins Zentrum des Wirtschaftsgeschehens“ (ders.
2001, 139). Auslöser und Träger des kommenden Zyklus werden vor allem immate-
49 In der Marktwirtschaft wechseln sich Phasen der Konjunktur mit Phasen der Rezession regelmäßig ab. Neben den kurzen und mittleren Wirtschaftsschwankungen in Zeiträumen von drei bis elf Jahren existieren aber auch Schwankungen, die eine Periode von 40 bis 60 Jahren umfassen – die so genann-ten langen Konjunkturwellen oder auch nach dem russischen Ökonom Nikolai Kondratieff benannten Kondratieffzyklen (Joseph Schumpeter prägte 1939 diesen Begriff in seinem Werk über die Konjunk-turzyklen). Kondratieff sah in den Basisinnovationen einer Gesellschaft wie z.B. der Erfindung der Dampfmaschine oder der Eisenbahn die eigentlichen Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung. Seit dem späten 18. Jahrhundert haben fünf derartige Zyklen stattgefunden, die erste Periode wurde durch die Erfindung der Dampfmaschine und deren Einsatz vor allem in der Textilindustrie ausgelöst, die Zweite war geprägt durch die Stahlverarbeitung im Zuge der Erfindung der Eisenbahn und führte zu einem industriellen Produktionsboom, die Dritte ging einher mit dem Erstarken der elektrotechnischen und chemischen Industrie und die Basisinnovationen des vierten Zyklus waren die Petrochemie und das Automobil. Seit den 1970er Jahren profitiert die Weltwirtschaft von der Entwicklung und Verwer-tung der Informationstechnik. Nefiodow konstatiert, dass „Kondratieffzyklen […] nicht nur lange Wellen der Konjunktur [sind, Anm. d. Verf.], sie sind Reorganisationsprozesse der ganzen Gesell-schaft“ (www.kondratieffzyklen.de, 01.09.05).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
153
rielle Innovationen sein. Bereits im fünften Kondratieffzyklus spielte die Information
als immaterielle Größe neben der eigentlichen Hardware der Informationstechnik eine
entscheidende Rolle. Diese Entwicklung hin zur kreativen und produktiven Verwer-
tung von Information wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Die reine Verwendung
von Technologien bringt, da sie zumeist umfassend global verfügbar sind, kaum noch
Wettbewerbsvorteile, vielmehr steht die Generierung von Wissen und dessen Einbin-
dung in kooperative Netzwerkstrukturen im Vordergrund. Der Gesundheitsmarkt hat
eine Reihe an synergetischem Potenzial um als Träger der Wirtschaftsentwicklung zu
dienen. Die Komplexität und hohe Dynamik moderner Gesellschaften stellen enorme
Herausforderungen körperlicher, seelischer und geistiger Art für die Menschen dar.
Von diesem Verständnis ausgehend muss Gesundheit zunehmend von einem ganz-
heitlichen Ansatz her betrachtet werden. Es geht, wie bereits erörtert, weniger um die
krankheitsorientierte Medizin, sondern verstärkt auch um Gesunderhaltung. „Die
neue Wertschöpfungskette, das Netz neuer Produkte, Verfahren, Dienstleistungen und
Technologien, die den nächsten Langzeitzyklus tragen wird, wird aus den Branchen
Information, Umwelt (einschließlich regenerierbare Energien), Biotechnologie und
dem bisherigen Gesundheitssektor bestehen“ (ders. 2001, 133).
Chancen werden sich in diesem Zusammenhang auch für die hochtechnologischen
Randbereiche der Gesundheitswirtschaft ergeben, wie sie die Medizintechnik dar-
stellt. Durch den Einzug innovativer Verfahren und Produkte in den Bereichen der
Mikroelektronik, Informationstechnik, Optik und Biotechnik hat sich ein Wandel
vollzogen, der neue Möglichkeiten in Diagnostik, Therapie und Forschung eröffnet
und somit einen entscheidenden Beitrag zur schnelleren und effektiveren Heilung von
Patienten leistet. Ebenso kann die moderne Medizintechnik in der Prävention zum
Einsatz kommen. Im folgenden Kapitel wird deshalb der Frage nachgegangen, wie
die deutsche Medizintechnikindustrie bei den sich verstärkenden globalen Wettbe-
werbsbedingungen positioniert ist. Dabei steht vor allem die Innovationsfähigkeit auf
dem Prüfstand.
4.3 Die Medizintechnikbranche als Wachstumsmarkt für Deutschland
Der medizinisch-technische Fortschritt gehört, wie im vorherigen Kapitel ausgeführt,
zu den entscheidenden Einflussfaktoren, die die zukünftige Entwicklung der Gesund-
heitswirtschaft bestimmen werden. Durch die Verbindung von Medizin und Technik
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
154
und damit durch das potentielle Zusammenwirken von Ärzten, Ingenieuren, Informa-
tikern und Naturwissenschaftlern bei der Entwicklung medizintechnischer Produkte
und Systeme eröffnen sich neue oder verbesserte Möglichkeiten in den vier Bereichen
Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation.
Die Medizintechnik ganz allgemein ist ein multidisziplinäres Gebiet, dessen histori-
sche Entwicklung als Wandel und Fortschritt von der Mechanik zur Elektrik, Elektro-
nik und Informatik skizziert werden kann. Dabei ergänzen sich diese Entwicklungs-
schritte in der Regel eher als dass sie sich im Zeitverlauf ablösen (vgl. Konecny et al
2003).50 Aufgrund der enormen Bedeutung der medizintechnischen Entwicklung für
das Gesundheitswesen seit jeher muss man von einer Wiederentdeckung derselben
und nicht von der Entstehung eines neuen Forschungs- und Industriebereichs in den
letzten Jahren sprechen.
Es gestaltet sich als äußerst schwierig im Umgang mit dem Forschungsfeld Medizin-
technik eine die vielfältigen Produkte und Verfahren umfassende Definition aufzu-
stellen. Als Grundlage für diese Arbeit sollen daher in einem ersten Schritt ganz all-
gemein die Bestimmungen des Gesetzes über Medizinprodukte (MPG) in der Neufas-
sung vom 7. August 2002 gelten. In § 3, 1 MPG werden Medizinprodukte wie folgt
definiert: „ Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumen-
te, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegens-
tände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes ein-
gesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funk-
tionen zum Zwecke
a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krank-
heiten,
b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von
Verletzungen oder Behinderungen,
c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus
oder eines physiologischen Vorgangs oder
d) der Empfängnisregelung
zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am
menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mit-
50 Die Ursprünge der Medizintechnik reichen weit in der Evolutionsgeschichte des Menschen zurück, sind aber nur wenig erforscht und systematisiert worden und in der Regel selten ein Forschungsge-genstand an medizingeschichtlichen Lehrstühlen der Universitäten. In Deutschland haben sich vor allem die medizinhistorischen Museen in Berlin und Ingolstadt der Thematik gewidmet. Einen Über-blick über die historische Entwicklung spezieller medizintechnischer Gebiete ist bei Schmitt/Beeres in den Ausgaben 10/2004 bis 01/2005 der Fachzeitschrift MTDialog ebenso wie in Konecny et al 2003 zu finden.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
155
tel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mit-
tel unterstützt werden kann“(BVMed 2004, 18-19).
Damit unterscheiden sich Medizinprodukte von Arzneimitteln, da sie keine pharma-
kologische Wirkung haben und in den Stoffwechsel eingreifen, dafür überwiegend
physikalisch-mechanisch wirksam sind. Acht Segmente beherrschen dabei den medi-
zinischen Industriesektor, der anders als beispielsweise die Pharmaindustrie durch
eine große Breite und Heterogenität seiner Produktpalette hervorsticht:
- Medizinische Produkte und Hilfsmittel u.a. im Sinne des Sozialgesetzes, Buch
V, z.B. Krankenpflegeartikel, Produkte zur Stoma- und Inkontinenzversor-
gung als auch zur Intensivverpflegung, nicht aktive implantierbare medizini-
sche Geräte;
- Aktive implantierbare medizinische Geräte wie z.B: Herzschrittmacher;
- Elektromedizinische Geräte, z.B. Hörgeräte oder Beatmungsgeräte;
- Medizinisch-technische Geräte, wie chirurgische Instrumente, Brillen, Roll-
stühle;
- Dentalprodukte;
- In-vitro-Diagnostika (Labordiagnostik etc.) und diagnostisch bildgebende
Verfahren (z.B: Röntgentechnik, Computertomographie, Endoskopie);
- Produkte zur Empfängnisregelung;
- Derivate aus menschlichem Blut oder Blutplasma, wie Humanalbuminbe-
schichtung von Kathetern;
Die medizintechnische Industrie zählt mittlerweile zu den wachstumsstärksten Bran-
chen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland und hat als Vorleistungs- und Zu-
liefererindustrie einen wichtigen Stellenwert innerhalb der Gesundheitswirtschaft. Sie
wird vor allem durch ihre hohe Innovationsleistung und Wissensbasierung zuneh-
mend zu einem wichtigen Forschungsgebiet über die wirtschaftliche Leistungsfähig-
keit Deutschlands im globalen Wettbewerb (vgl. u.a. BMBF 2005a, Grönemeyer
2005, IKB 2002 und IKB 2004). Die vorausgegangenen Untersuchungen (Kapitel 3)
haben gezeigt, dass Deutschland vor allem bei den hochwertigen Technologien einen
guten Platz im internationalen Ranking einnimmt, bezogen auf die Spitzentechnolo-
giebranchen aber noch deutliche Schwächen aufweist. Welchen Beitrag die Medizin-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
156
technikindustrie in diesem Zusammenhang leisten kann, ist Gegenstand der Analyse
und wird anhand der folgenden Fragestellungen zu beantworten sein:51
- Wie ist die Struktur der deutschen Medizintechnikindustrie beschaffen und
welchem Wandel ist sie unterlegen?
- Wie haben sich Umsatz und Beschäftigung entwickelt?
- Was tun die Medizintechnikhersteller zur Erlangung von Qualitäts- und Tech-
nologievorsprüngen auf dem Weltmarkt, wie viel wird in Forschung und Ent-
wicklung investiert?
- Bei welchen Produktgruppen zeigt Deutschland im internationalen Vergleich
Spezialisierungsvorteile und wie ist die deutsche Medizintechnikindustrie im
globalen Wettbewerb aufgestellt?
Beginnend mit einer Bestandsaufnahme über die Struktur der medizintechnischen
Industrie anhand der Indikatoren Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Export richtet
sich der Fokus danach auf ihre Position im internationalen Wettbewerb, die bestimmt
wird durch drei Gruppen von Indikatoren zur Erfassung der technologischen Leis-
tungsfähigkeit der Medizintechnikbranche: input-, output- und marktorientierte Indi-
katoren.
Die Analyse erfolgt vor dem Hintergrund gesetzlicher Rahmenbedingungen, die wie
in kaum einem anderen Sektor stark regulierend auf das Angebot wirken. In einem
kurzen Exkurs werden die für die deutschen Hersteller bedeutendsten Bedingungen
dargestellt.
EXKURS: Gesetzliche Zulassungs- und Regulierungsbedingungen
A) Deutsche Rahmengesetzgebung:
Das Medizinproduktegesetz (MPG), das im Januar 2002 in Kraft getreten ist, setzt die
drei europäischen Richtlinien (Richtlinien 90/385, 93/42 und 98/79/EG des Europäi-
schen Parlaments und Rates) für aktive implantierbare medizinische Geräte, allge-
51 Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat federführend das Aachener Kompetenzzent-rum Medizintechnik und die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE beauftragt eine Studie ‚Zur Situation der Medizintechnik in Deutschland im internationalen Vergleich’ zu erstel-len, die im Jahr 2005 erschienen ist. Mit dieser Studie wurde erstmals umfassend die Situation der deutschen Medizintechnikindustrie analysiert, wobei ein Benchmarking der Wirtschaft vorgenommen wurde, das Gründungsgeschehen beleuchtet, die wissenschaftliche Forschung untersucht und Schlüs-seltechnologien identifiziert wurden. Teilergebnisse der Studie fließen in dieses Kapitel mit ein und bereiten auf den empirischen Untersuchungsteil in Kapitel 5 vor, in dem auf regionaler Ebene die Potenziale in Nürnberg-Erlangen und dem Ruhrgebiet herausgearbeitet werden.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
157
meine medizinische Geräte und In-Vitro-Diagnostika um. Die zwei Gesetzesteile re-
geln zum einen die Prozessschritte des Herstellers vom erstmaligen Markteintritt bis
zur Anwendung des Produktes, zum anderen wird die Marktüberwachung nach euro-
päischen Rahmenvorgaben mit nationalen Besonderheiten gesetzlich fixiert. Damit
werden die grundlegenden Anforderungen an neue Produkte geregelt (Sicherheit,
Eignung, Leistung und Schutz). Das MPG gliedert sich in der Fassung vom 07. Au-
gust 2002 wie folgt:
1. Zweck, Anwendungsbereich des Gesetzes, Begriffsbestimmungen
2. Anforderungen an Medizinprodukte und deren Betrieb (u.a. harmonisierte
Normen, CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten als Beleg für die Einhal-
tung der Normen und Bestimmungen)
3. Benannte Stellen und Bescheinigungen (u.a. Beauftragung von Prüflaborato-
rien, TÜVs, VDE-Prüf- und Zertifizierungsinstitut, DEKRA)
4. Klinische Bewertung, Leistungsbewertung, klinische Prüfung, Leistungsbe-
wertungsprüfung
5. Überwachung und Schutz vor Risiken (u.a. Medizinprodukte-Beobachtungs-
und Meldesystem)
6. Zuständige Behörden, Rechtsverordnungen, sonstige Bestimmungen
7. Sondervorschriften für den Bereich der Bundeswehr
8. Straf- und Bußgeldvorschriften
9. Übergangsbestimmungen
Vor allem die Umsetzung so genannter ‚Harmonisierungsrichtlinien’ nach der ‚Neuen
Konzeption’ für die einheitliche technische Normung und Harmonisierung des euro-
päischen Medizinprodukterechts gilt es national zu steuern. Ergänzt werden diese
Richtlinien durch ein ‚Globales Konzept’ für die Zertifizierung von Produkten und
das Prüfwesen, gemeint sind u.a. technische Normserien (DIN EN ISO 13485/88 und
EN 45000) oder Konformitätsbewertungsverfahren (u.a. Qualitätssicherungsmaß-
nahmen). Damit wird den Herstellern ermöglicht im gesamten europäischen Wirt-
schaftsraum Produkte dem freien Warenverkehr zugänglich zu machen. Die Basis
bilden 18 komplexe Klassifizierungsregeln in drei Produktklassen (Bsp: Produktklas-
se 1: Produkte mit niedrigem Risiko, die meisten nicht-invasiven Produkte und wie-
der verwendbaren chirurgischen Instrumente z.B. Stethoskope oder Spatel), ergänzt
durch acht Definitionen und fünf Anwendungsregeln.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
158
B) Europäische Richtlinien:
Mit den europäischen Richtlinien sollen einheitliche Standards und die Harmonisie-
rung von Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Medizinprodukten im europäi-
schen Raum gewährleistet werden. Diese Richtlinien (90/386 EWG, 93/42/EWG und
98/79/EWG) müssen in nationales Recht umgesetzt werden und bilden zusammen mit
den europäischen Leitfäden (MEDDEV-Dokumente) das ‚Europäische Medizinpro-
dukterecht’, dass verbindlich für die EU-Mitgliedsstaaten und für die EFTA-Staaten
(Island, Norwegen, Lichtenstein außer der Schweiz) gilt.52
Für den wirtschaftlichen Erfolg eines Medizinproduktes in Deutschland ist zusätzlich
die Aufnahme in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung von
herausragender Bedeutung, da dies die Kostenerstattung gewährleistet. Darüber hin-
aus unterscheiden sich die Zulassungsbedingungen je nach Risikoklasse des Produk-
tes, nach Marktstruktur (GKV-Markt, Over-the-Counter) und Bedeutung des Marktes
für den Produktabsatz. Zusammenfassend verfolgen die Gesetze und Richtlinien
hauptsächlich das Ziel, die Gesundheit der Bürger zu schützen und darüber hinaus
durch die umfassenden Normierungs- und Zertifizierungsverfahren Nachweise von
Produktsicherheit und technischer Leistungsfähigkeit zu regeln.
52 Eine ausführliche Darstellung der gesetzlichen Regelungen vor allem auch zu den Rahmenbedin-gungen in den USA und Japan in BMBF 2005a, 607-623.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
159
4.3.1 Strukturindikatorenanalyse der Medizintechnikbranche
Methodische Abgrenzung und Daten:
Für die Untersuchung der unternehmensbezogenen Indikatoren in diesem Kapitel
wird auf die Wirtschaftszweigsystematik53 des Statistischen Bundesamtes zurückge-
griffen (vgl. www.destatis.de, 08.11.05). Die Unternehmen des Wirtschaftszweiges
33.1 ‚Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen’ in
ihren Unterklassen finden damit Eingang in die Analyse:54
• 33.10.1 Hersteller von elektromedizinischen Geräten und Instrumenten
• 33.10.2 Hersteller von medizintechnischen Geräten
• 33.10.3 Hersteller von orthopädischen Vorrichtungen
• 33.10.4 Zahntechnische Laboratorien
zudem noch die Unternehmen der Wirtschaftszweige
• 33.40.1 Hersteller von augenoptischen Geräten55
• 35.43.0 Hersteller von Behindertenfahrzeugen
Wenn möglich wird auf Angaben zu fachlichen Betriebsteilen zurückgegriffen, denn
bei den Ergebnissen werden die Angaben kombinierter Betriebe auf die WZ-Klassen
aufgeteilt, denen die einzelnen Betriebsteile ihrer Produktion entsprechend zuzurech-
nen sind. Dadurch wird eine möglichst enge Abgrenzung der Branche erreicht. In der
Aufbereitung für Betriebe werden die Angaben für den gesamten Betrieb der WZ-
Klasse zugeordnet, in der das wirtschaftliche Schwergewicht des Unternehmens liegt.
Im Jahr 2004 waren in Deutschland rund 92 000 Personen in (den fachlichen Be-
triebsteilen) der Medizintechnikbranche beschäftigt (zuzüglich der Hersteller für au-
53 Die WZ 93 wurde zwar Anfang des Jahres 2003 durch die WZ 2003 abgelöst, da aber zum großen Teil die Ergebnisse der Studie des BMBF 2005a in das Kapitel einfließen wird in Anlehnung an die Methodik der Studie die WZ 93 verwendet. Da sich die Zuschneidung der Klassifikationen nach der WZ 2003 für die in dieser Untersuchung verwendeten Wirtschaftszweige 33.10 / 33.40 und 35.43 aber nicht geändert hat, sind die Angaben der Jahre 2003 und 2004 im Zeitverlauf vergleichbar. 54 Die Wirtschaftszweige 24.42 und 24.66 werden nicht in die Untersuchung einbezogen, zudem ist oftmals durch statistische Einschränkungen nur eine aggregierte Betrachtung auf der Dreistellerebene (WZ 33.1) möglich besonders im später folgenden internationalen Vergleich zum Innovationsverhal-ten. Durch die Restriktionen kann bspw. der unterschiedliche Technologieeinsatz für Innovationen nicht genau herausgearbeitet werden. So sind z.B. Hersteller zahntechnischer oder orthopädischer Produkte eher auf regionale denn globale Absatzmärkte konzentriert und weniger forschungsintensive Unternehmen. Für die Untersuchung der deutschen Industrie gilt dies jedoch noch nicht. Ein weiterer Einschränkungsaspekt ist, dass die Unternehmen des WZ 33.10 im Jahr 2001 nur knapp 70 % der medizintechnischen Produkte der Güterklasse 33.10 (des Güterverzeichnisses der Produktionsstatistik – GP) herstellten. Die anderen 30 % wurden u.a. von Herstellern von Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen produziert (vgl. BMBF 2005a, 20f). 55 Für die Jahre 2003 und 2004 liegen statistische Daten nur für den gesamten WZ 33.40 vor, aus diesem Grund werden die Daten zwar angegeben, können aber nicht für einen Vergleich dienen.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
160
genoptische Erzeugnisse sind es schätzungsweise 113 000 Beschäftigte).56 Rund
80 % sind im Kernsektor der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädi-
schen Vorrichtungen tätig, ca. 18,5 % in der Herstellung augenoptischer Erzeugnisse
(Schätzung für 2004) und 1,5 % in der Herstellung von Behindertenfahrzeugen (vgl.
Tab. 22).
Tabelle 22: Statistische Kennziffern für fachliche Betriebsteile der Medizin-technikindustrie in Deutschland im Jahr 2004 (alle Angaben für WZ 33.40.1 für das Jahr 2002)
Beschäftigte
Inlandsum-
satz
Auslandsumsatz
Gesamtumsatz
Exportquo-
te
WZ
Nr.
Bezeichnung
Anzahl
Veränd.
z. Vor-
jahr (in
%)
Mio €
Mio €
Mio €
Veränd. z.
Vorjahr (in
%)
Auslands.-
umsatz. in
% des
Gesamt.-
umsatzes
33.10 H.v. medizin.
Geräten u.
orthopäd.
Vorrichtun-
gen
90 362 2,9 5.723 8.072 13.795 8,4 58,5
33.40.1 H.v. augen-
optischen
Erzeugnissen
21 433 k.A. 1.770 1.410 3.180 k.A. 44,3
35.43 H.v. Behin-
dertenfahr-
zeugen
1 733 1,0 132 67 199 -10,9 33,7
Nachr. Verarbeiten-
des Gewerbe
insg.
5883396 -1,9 726.234 495.073 1221.307 6,1 40,5
Quelle: Statistisches Bundesamt 2005b, Daten aus 2002 in BMBF 2005a – eigene Berechnungen.
Mit einem Wachstum des Gesamtumsatzes von über 8 % im Jahr 2004 gegenüber
dem Vorjahr liegen die statistisch erfassten fachlichen Betriebsteile (von Unterneh-
men mit mehr als 20 Beschäftigten) mehr als 2 % über dem Durchschnitt des Verar-
beitenden Gewerbes. Zentraler Faktor der Medizintechnikbranche ist ihre starke Ex-
portorientierung (58,5 % im Jahr 2004 gegenüber 40,5 % des Verarbeitenden Gewer-
56 Aufgrund fehlender statistischer Angaben für das Jahr 2004 für den WZ 33.40.1 (Hersteller von augenoptischen Erzeugnissen), wurde dieser Zweig nicht mit aufgeführt. Valide Daten für das Jahr 2002 ergeben 21 433 Beschäftigte in diesen Betrieben (vgl. BMBF 2005a, 59), so dass schätzungs-weise mit insgesamt 113 000 Beschäftigten in der deutschen Medizintechnikbranche im Jahre 2004 zu rechnen ist.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
161
bes insgesamt in demselben Jahr). Dadurch konnte die deutliche schwächere Inlands-
nachfrage in den letzten Jahren ausgeglichen werden (vgl. BMBF 2005a).
Leichte Änderungen der Datenlage ergeben sich mit Blick auf die WZ 33.10 und ihre
Untergruppen bei der Aufbereitung nach Betrieben (vgl. Tab. 23). Insgesamt konnten
diesem Wirtschaftszweig im Jahr 2004 1140 Betriebe zugeordnet werden. Diese Be-
triebe sind aber mit 80 Beschäftigten deutlich klein- und mittelbetrieblicher struktu-
riert als die des Verarbeitenden Gewerbes mit im Schnitt 125 Beschäftigten. Die An-
gaben variieren je nach Teilbranche sehr stark. So stellen zwar nur 8,1 % aller Betrie-
be (der WZ 33.10) elektromedizinische Geräte und Instrumente her, beschäftigen aber
ein Fünftel des Branchenpersonals und sind vorwiegend großbetrieblich ausgerichtet.
Im Gegensatz dazu stellen zahntechnische Laboratorien und Betriebe zur Herstellung
von orthopädischen Vorrichtungen rund zwei Drittel der Betriebe, aber nur ein Drittel
der Beschäftigten. Betrachtet man die Entwicklung vom Jahr 2003 zu 2004 fallen
zwei Veränderungen auf: Die Zahl der Betriebe und Beschäftigten der eher kleinbe-
trieblichen Teilbranchen der WZ 33.10.3 und 33.10.4 haben deutlich zugenommen,
während es bei den beiden mittel- bis großbetrieblichen Teilbranchen zu einem
Rückgang sowohl der Gesamtzahl der Betriebe als auch der Beschäftigten gekommen
ist. Das BMBF-Konsortium argumentiert mit dem Einfluss des internationalen Wett-
bewerbs, der zu diesen Entwicklungen bereits seit Mitte der 1990er Jahre geführt hat
(vgl. BMBF 2005a, 60). Die kleinbetrieblichen Teilbranchen sind stärker personenbe-
zogen und weniger dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt, dies zeigt sich u.a. an
den unterdurchschnittlichen Exportquoten (39,1 bzw. 9.8 % im Jahr 2004). Während-
dessen gelten die Hersteller von medizinischen und elektromedizinischen Geräten als
forschungsintensive Betriebe, die im Durchschnitt zwei Drittel ihres Umsatzes im
Ausland tätigen. Der Wettbewerb konzentriert sich zunehmend weltweit auf wenige
große Unternehmen.
162
Gesundheitsw
irtschaft als Wachstum
sfaktor
Tabelle 23: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtun-gen (WZ 33.10 nach Untergruppen in den Jahren 2003 und 2004
Betriebe57 Beschäftigte Umsatz (in 1 000 Euro)
Inland Ausland Exportquote (in %)
WZ Nr.
2003
2004
2003
2004 2003 2004 2003 2004 2003 2004
33.10 H. v. med. Geräten u.
orthopädischen Vor-
richtungen 1 094 1 140 88 546 91 827 6 313 944
6 107 729 7 242 761 8 455 771 53,4
58,1
darunter: in % in % in % in % in % in % in % in %
33.10.1 H. v. elektormed.
Geräten u. Instru-
menten
8,7 8,1 21,3 20,7 23,7 20,4 42,8 39,3 67,5
72,7
33.10.2 H. v. medizintechni-
schen Geräten 29,6 27,0 46,2 44,3 47,4 47,4 50,1 52,2 54,8
60,4
33.10.3 H. v. orthopädischen
Vorrichtungen 16,6 18,0 12,7 13,5 15,1 15,7 5,8 7,3 30,6
39,1
33.10.4 Zahntechnische La-
boratorien 45,1 46,9 19,8 21,5 13,8 16,5 1,3 1,3 9,5
9,8
Quelle: Statistisches Bundesamt 2004 und 2005c.
57 Gemeint sind Betriebe des Wirtschaftsbereichs Verarbeitendes Gewerbe, wenn diese Betriebe zu Unternehmen des Produzierenden Gewerbes gehören und in diesen Unternehmen mehr als 20 Beschäftigte tätig sind.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
163
Der Vergleich nach Betriebsgrößenklassen des WZ 33.10 mit dem Verarbeitenden
Gewerbe insgesamt im September 200458 zeigt zum einen die starke Heterogenität
der Branche mit einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen und wenigen
Großunternehmen, zum anderen ist die Medizintechnikbranche deutlich kleiner und
mittelbetrieblicher strukturiert (95,3 % der Betriebe haben weniger als 250 Mitarbei-
ter) als das Verarbeitende Gewerbe insgesamt (90,5 % der Betriebe haben weniger als
250 Mitarbeiter). Ein ebensolches Bild ergibt sich gemessen an der Anzahl der Be-
schäftigten in den Klein- und Mittelbetrieben bis 249 Beschäftigten (53,5 % gegen-
über 43,3 % im Verarbeitenden Gewerbe) (vgl. Tab. 24).
Tabelle 24: Betriebsgrößenstrukturen in der deutschen Medizintechnikbranche
H. v. medizin. Geräten u. orthopäd.
Vorrichtungen (WZ 33.10)
Verarbeitendes Gewerbe insgesamt Betriebe
September
2004 Betriebe Beschäftigte Umsatz Betriebe Beschäftigte Umsatz
Größenklassen Strukturanteile in % Strukturanteile in %
1-49 Beschäftigte
71,0 25,4 10,7 52,1 11,3 6,4
50-99 Beschäftigte
17,1 14,3 8,8 22,2 12,2 8,0
100-249 Beschäftigte
7,2 13,8 12,2 16,2 19,8 16,9
250-499 Beschäftigte
2,5 10,6 10,2 5,8 15,9 15,3
500-999 Beschäftigte
1,1 9,5 10,5 2,4 12,9 13,8
1000 u.m. Beschäftigte
1,1 26,4 47,6 1,3 27,9 39,6
Insgesamt 100 100 100 100 100 100
Quelle: Statistisches Bundesamt 2005d – eigene Berechnungen.
Zusammenfassend soll noch einmal hervorgehoben werden, dass die Medizintechnik-
branche bezogen auf die Strukturindikatoren Anzahl der Betriebe und Beschäftigten
sowie Größe des Umsatzes quantitativ zwar eine relativ kleine Branche innerhalb des
58 Die Daten sind der Fachserie 4 Reihe 4.1.2 des Statistischen Bundesamtes (2005d) entnommen und liefern jährlich die Septemberergebnisse der Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen. Die für die Analyse der Struktur der Medizintechnikbranche durchaus interessante Erhebung für industrielle Kleinbetriebe wurde mit Ablauf des Jahres 2002 eingestellt und findet aus diesem Grund nicht Ein-gang in die Untersuchung.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
164
Verarbeitenden Gewerbes ist, die aber in den letzten Jahren überdurchschnittliche
Wachstumsraten zu verzeichnen hat. So sind es vor allem die steigenden Auslandum-
sätze, die der Branche eine enorme Triebkraft verleihen (die Exportquote ist von 2003
zum Jahr 2004 um nahezu 5 % gestiegen). Dies gilt besonders für die Hersteller von
elektromedizinischen und medizintechnischen Geräten, die weit überdurchschnittli-
che Exportquoten haben, allerdings einen Beschäftigungsrückgang verzeichnen, der
sich mit Konzentrationsprozessen innerhalb der Teilbranchen erklären lässt: Nur we-
nige globale Hersteller von komplexen elektromedizinischen Geräten bestimmen den
Weltmarkt. Währenddessen konzentrieren sich die Hersteller von orthopädischen
Vorrichtungen und die zahntechnischen Laboratorien eher auf den deutschen Bin-
nenmarkt und zählen zu den personalintensiven Teilbranchen, die „trotz starker Ein-
schneidung im Leistungskatalog der gesetzlichen Kostenträger eine wachsende Nach-
frage“ (BMBF 2005a, 69) und steigende Beschäftigungszahlen aufweisen. Dieses
Ergebnis findet u.a. seine Erklärung in dem demografischen Wandel der Bevölke-
rung. Betrachtet man die Branche mithilfe der genannten Strukturindikatoren wird
schnell klar: Eine einheitliche Medizintechnikbranche gibt es nicht, der deutsche
Markt wird von einer Vielzahl von kleinen und mittleren Betrieben mit einem hetero-
genen Produktspektrum gebildet.
4.3.2 Die technologische Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medizintechnikmark-
tes
Die Heterogenität der Medizintechnikbranche macht eine eindeutige Zuordnung zur
spitzentechnologische Güter produzierenden Industrie schwer. Zumindest für den
auch beschäftigungspolitisch bedeutsamen Branchenteil der Hersteller von elektro-
medizinischen und medizintechnischen Geräten kann diese Einordnung aber gelten.
Gerade der überdurchschnittliche Exportanteil am Gesamtumsatz dieser Unternehmen
verweist auf deren starke Einbindung in den internationalen Warenverkehr. Aus die-
sem Grund gilt für die Unternehmen dieser Teilbranchen mehr noch als für die eher
binnenmarktorientierten Unternehmen der WZ 33.10.3. und 33.10.4. dass die interna-
tionale Wettbewerbsfähigkeit durch zunehmende Investitionen in Forschung und
Entwicklung gesichert werden kann und muss. Die Innovationstätigkeit von Medizin-
technikunternehmen (gemessen u.a. an den Aufwendungen für und dem Personalein-
satz in Forschung und Entwicklung, sowie der Anmeldung von Patenten) und deren
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
165
Fähigkeiten Wissen zu aggregieren und zu organisieren wirkt sich entscheidend auf
ihre zukünftige wirtschaftliche Entwicklung aus.
Methodische Abgrenzung und Daten:
Bereits die Untersuchung zur technologischen Leistungsfähigkeit der deutschen Wirt-
schaft (Kap. 3) hat gezeigt, dass es eine Vielzahl an Einflussmöglichkeiten gibt, die
eine Beurteilung anhand eines einzigen integrierenden Indikators unmöglich macht.
Aus diesem Grund wird für die Analyse der Innovationstätigkeit der deutschen Medi-
zintechnikbranche, auf das, in Kapitel 3 bereits ausführlich dargestellte Indikatoren-
system zurückgegriffen (allerdings in leicht modifizierter Form). Mit diesem System
kann ein Rückschluss auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit der Branche ge-
zogen werden. Als inputorientierte Indikatoren dienen die Daten über FuE-
Aktivitäten auf Unternehmensebene, die in Deutschland offiziell durch die private
gemeinnützige Tochtergesellschaft des Stifterverbandes für die deutsche Wissen-
schaft, SV-Wissenschaftsstatistik GmbH in Essen, erhoben werden. „Die FuE-
Erhebung im Wirtschaftssektor wird in Abstimmung mit den Wirtschaftsverbänden
und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durchgeführt. Die zugrunde
liegenden Definitionen und Begriffsbestimmungen beruhen auf international einheit-
lichen Regeln, die in den ‚Allgemeinen Richtlinien für statistische Übersichten in
Forschung und experimenteller Entwicklung’ (Frascati-Handbuch) der OECD festge-
legt worden sind.“ (Stifterverband Wissenschaftsstatistik 2004, 39). Forschung und
Entwicklung als Teil des Innovationsprozesses wird wie folgt abgegrenzt: „Systematische, schöpferische Arbeit zur Erweiterung des vorhandenen Wissens im Be-reich der Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, medizinischen Wissenschaften, Agrarwissenschaften sowie Wirtschafts-, Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Ver-wendung des gewonnenen Wissens dient dem Ziel, neue Anwendungsmöglichkeiten zu finden.“ (Stifterverband Wissenschaftsstatistik 2004, 39).
Die Erhebungen des Stifterverbandes Wissenschaftsstatistik basieren zwar nicht auf
gesetzlicher Grundlage, werden aber offiziell für die Meldung der Bundesrepublik
Deutschland an die OECD im Rahmen der statistischen Jahre (Erhebung erfolgt in
Jahren mit ungeraden Jahreszahlen) zur Erfassung der FuE-Ressourcen herangezo-
gen.59 Die Daten über die FuE-Aktivitäten der Unternehmen des WZ 33.10 entstam-
men einer Sonderauswertung, die für die vorliegende Arbeit vorgenommen wurde.
59 Eine ausführliche Darstellung der Grundlagen und Methoden der Datengewinnung des Stifterver-bandes Wissenschaftsstatistik findet sich in Stifterverband Wissenschaftsstatistik 2004, 44-48.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
166
Um Aussagen über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Branche bzw. über Er-
gebnisse von FuE treffen zu können, wird der outputorientierte Indikator ‚Patentan-
meldungen’ untersucht. Patente sind – anders als Innovationen, die die frühe marktfä-
hige Nutzung von Wissen kennzeichnen – Erfindungen in einem sehr frühen Stadium
der experimentellen Entwicklung, sie können deshalb als Frühindikatoren technologi-
scher Entwicklung dienen, da sie einen Input in den Umsetzungs- und Verwertungs-
prozess technischer Neuerungen bilden (vgl. Gehrke/Legler 2001 oder Frietsch 2005).
Es handelt sich bei den für die Untersuchung genutzten Patentdaten um Anmeldungen
am Europäischen Patentamt (EPA) (inkl. der aus dem PCT-Verfahren überführten
Anmeldungen60). Im Allgemeinen werden die EPA-Anmeldungen von den Unter-
nehmen dazu genutzt, Technologien für den internationalen Markt zu profilieren. In
Zeiten globaler Märkte und unter Berücksichtung der Stärke des europäischen Mark-
tes sind deshalb diese Anmeldungen gerade für den internationalen Vergleich von
höherem Interesse als die Betrachtung der Anmeldungen an nationalen Patentämtern.
Vor allem marktstrategische Überlegungen (Export- und/oder Importdruck) der Un-
ternehmen haben hier größeren Einfluss auf das Patentverhalten als bei nationalen
Anmeldungen.61 Am aktuellen Rand (Jahre 2002 und 2003) werden die Überführun-
gen hochgerechnet, da eine abschließende Überführung auf Grund des Anmeldepro-
zesses noch nicht in allen Fällen stattgefunden hat (der Anmeldeprozess dauert ca. 18
Monate, bis zur Erteilung eines Patentes können u.U. zwei bis vier Jahre vergehen).
Deswegen sind die Zahlen für diese beiden Jahre auch nur geschätzt, wobei sich die
Zahl aus den "sicheren" Direktanmeldungen und den "wahrscheinlichen" Überfüh-
rungen ergibt. Die vorliegenden Daten für den WZ 33.1 und die beiden Technologie-
felder der so genannten Hochtechnologieliste (Grupp et al 2000) mit medizinischer
Diagnose und Medizintechnik entstammen einer Sonderauswertung des Fraunhofer
Instituts für System- und Innovationsforschung (Fraunhofer-ISI), die für diese Unter-
suchung bereitgestellt wurden.
Um Aussagen über die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Branche und die Spe-
zialisierung deutscher medizintechnischer Produkte treffen zu können, wird ein eher
marktorientiertes Indikatorensystem verwendet. Hierbei sind für eine aussagekräftige
60 Am internationalen Patent-Anmeldeverfahren, das nach dem Patent Cooperation Treaty auch PCT-Verfahren genannt wird, nehmen 127 Länder, darunter auch USA und Japan, teil. Die Anmeldung erfolgt bei der World Intellectual Property Organisation (WIPO) mit Sitz in Genf, die PCT-Patente werden zu einem späteren Zeitpunkt (drei Jahre nach Erstanmeldung) in ein nationales bzw. regiona-les Verfahren (z.B. am EPA) überführt. 61 Nähere Ausführungen zum Verfahren der Patentanmeldungen am EPA liefern Gehrke und Legler (2001, 74ff.) oder Frietsch (2005).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
167
Darstellung nicht das absolute Niveau der Exporte oder die Höhe des Ausfuhrüber-
schusses entscheidend, vielmehr geht es um die strukturelle Zusammensetzung von
Export und Import. Mittels des Messindikators ‚RCA’ (Revealed Comparative Ad-
vantage) wird die Ausfuhr-Einfuhr-Relation eines Landes bei der betrachteten Pro-
duktgruppe als Abweichung von der Außenhandelsposition bei verarbeitenden Indust-
riewaren insgesamt dargestellt. Damit gelingt es komparative Vor- oder Nachteile
von bestimmten Warengruppen herauszustellen. Zudem wird mit dem Indikator
‚RWA’ (Relativer Welthandelsanteil) die Exportspezialisierung eines Landes gemes-
sen, da dieser die Abweichung der länderspezifischen Exportstruktur von der durch-
schnittlichen OECD-Exportstruktur anzeigt.62
Auswertung der FuE-Aktivitäten auf Unternehmensebene für den WZ 33.163
Die gesamten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung der Hersteller von me-
dizintechnischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen machen im Jahr 2003
2,0 % aller FuE-Aufwendungen des Verarbeitenden Gewerbes aus. Der Anteil ist im
Vergleich zum Jahr 2001 um 0,3 % gestiegen. Auffallend im Branchenvergleich ist,
dass ein überdurchschnittlicher Anteil vom Wirtschaftsektor selbst finanziert wird
(über 98 %; im Vergleich zu 94,5 % beim Verarbeitenden Gewerbe). Die Finanzie-
rung seitens des Staates bzw. von sonstigen inländischen oder ausländischen Kapital-
gebern spielt so gut wie keine Rolle (vgl. Tab. 25). Dies gilt aber nahezu für alle hier
ausgewiesenen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes.
62 Zur Berechnung und detaillierten Begründung der verwendeten Indikatoren vgl. BMBF (2005a, 39ff). 63 Das Interesse gilt hier vornehmlich den prozentualen Anteilen der einzelnen FuE-Aktivitäten, vor allem in Bezug zum Verarbeitenden Gewerbe insgesamt, da der WZ 33.1 von den absoluten Zahlen betrachtet nur eine „kleine“ Branche innerhalb des industriellen Sektors darstellt.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
168
Tabelle 25: FuE-Gesamtaufwendungen der Unternehmen nach Herkunft der Mittel 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung
FuE-Gesamtaufwendungen
davon finanziert vom/von
insgesamt Wirtschaft-
sektor
Staat sonst. In-
länder
Ausland
in Tsd. € in % in % in % in %
Wirtschaftsgliede-
rung
2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003
DG Chem. Industrie
7028892 8043561 96,8 98,0 0,7
0,6
0,0
0,0 2,5 1,4
DK Maschinenbau 4057604 4020708 94,4 97,4 2,3 1,6 1,4 0,0 1,9 1,0
DL H.v. Bürom.,
Eletrot. etc. 8837165 8476035 90,5 92,4 3,8
2,8
0,0
0,0 5,7 4,8
33.1 H.v. mediz.
Geräten u. orthop.
Einrichtungen 679953 849839 98,4 98,1 1,4
1,5
0,0
0,1 0,1 0,3
DM Fahrzeugbau 16750124 18976083 93,2 93,1 4,3 4,6 0,0 0,0 2,5 2,3
Verarbeit. Gewerbe
insgesamt 39326367 42272727 93,6 94,5 3,2
3,0
0,2
0,0 3,0 2,4
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006.
Betrachtet man die FuE-Aufwendungen nach Beschäftigtengrößenklassen fällt auf,
dass 78 % der FuE-Gesamtaufwendungen von Betrieben mit mehr als 1000 Beschäf-
tigten verwendet werden. Im Vergleich zum Jahr 2001 hat sich der Anteil für die Be-
triebe mit 100 bis 249 Beschäftigten um 5,9 % auf 5,1 % verringert, dafür haben Be-
triebe mit 250 bis 499 Beschäftigten ihren Anteil von 2,3 auf 5,3 % erhöhen können.
Kleine Betriebe unter 100 Beschäftigten liegen bei unter 5 % (vgl. Tab. 26). Dieser
Status quo ist ein Indiz dafür, dass Forschung und Entwicklung zunehmend von den
mittelgroßen Betrieben und Großunternehmen der Branche durchgeführt wird, die
oftmals durch eigene FuE-Abteilungen einen hohen Personal- und Kapitaleinsatz ver-
zeichnen. Im Vergleich zu anderen Branchen – so bestätigt es auch das BMBF-
Konsortium (2005a, 77ff) – sind die Kosten der Beteiligung an Forschung und Ent-
wicklung in der Medizintechnik deutlich höher, so dass Unternehmen erst mit zu-
nehmender Größe in diesem Bereich tätig werden. Neben diesem FuE-Gefälle zwi-
schen großen und kleinen Betrieben ist jedoch im Jahr 2001 der Anteil der forschen-
den Betriebe mit 100 bis 249 Beschäftigten mit 43 % aller Medizintechnikunterneh-
men dieser Größenklasse überdurchschnittlich hoch (im Vergleich zählen nur 26 %
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
169
der Betriebe mit 100 bis 249 Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt zu
den forschenden Unternehmen dieser Größenklasse). Der Anteil der forschenden
Großunternehmen ab 500 Beschäftigten liegt mit 63 % ebenfalls weit über dem In-
dustriedurchschnitt von 49 %. Der enorme Stellenwert, den FuE in der Medizintech-
nikbranche einnehmen, wird sich auch im Folgenden anhand weiterer Indikatoren
bestätigen. Dabei muss allerdings der typischen Branchenstruktur Rechnung getragen
werden: es existieren einige intensiv forschende ‚Global Player’ vor allem aus der
Teilbranche elektromedizinischer Geräte und Instrumente, denen eine Vielzahl von
weniger forschungsintensiven Unternehmen der Sparten zahntechnische und orthopä-
dische Produkte gegenüberstehen. Zudem lassen sich einige externe Einflüsse
bestimmen, die bereits in der Strukturindikatorenanalyse der Medizintechnikbranche
zu Konzentrationsprozessen geführt haben, so beispielsweise der zunehmende inter-
nationale Wettbewerbsdruck, der auch zu einem steigenden Konzentrationsgrad bei
FuE führt. Gerade Kleinunternehmen, die nicht über ausreichend eigenes Personal in
Forschung und Entwicklung verfügen, wird der Zugang zu Wissenschaft und Techno-
logietransfer erschwert, wenn potenzielle Kooperationspartner aus Industrie und Wis-
senschaft über mehr Know-how verfügen, so dass ein gleichwertiger Wissenstransfer
nicht möglich ist. Trotzdem liegen forschende Kleinunternehmen der Medizintech-
nikbranche mit einem Anteil von 8,2 % für FuE am Umsatz über dem Durchschnitt
von vergleichbaren Unternehmen (bis 100 Beschäftigte) im Verarbeitenden Gewerbe
insgesamt (im Jahre 2001 5 %) (vgl. BMBF 2005a, 77).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
170
Tabelle 26: FuE-Gesamtaufwendungen der Unternehmen 2001 und 2003 in ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung nach Beschäftigtengrößen-klassen
FuE-Gesamtaufwendungen
davon entfielen auf Unternehmen mit … Beschäftigten: insgesamt unter 100 100 - 249 250 - 499 500 - 999 1000 u.m
in Tsd. € in %
Wirtschafts-
gliederung
2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003
DG Chem.
Industrie
7028892 8043561 1,4 1,5 2,6 2,3 3,1 2,6 4,5 6,1 88,3 87,5
DK Maschi-
nenbau
4057604 4020708 6,7 6,3 10,2 10,5 17,9 14,0 12,6 14,4 52,7 54,9
DL H.v. Bü-
rom., Eletrot.
etc.
8837165 8476035 5,5 5,1 6,0 6,0 6,3
5,5
7,3 8,0 75,0 75,3
33.1 H.v.
mediz. Gerä-
ten u. orthop.
Einrichtun-
gen
679953 849839 4,7 4,4 11,0 5,1 2,3
5,2
a) 7,3 a) 78,0
DM Fahr-
zeugbau
16750124 18976083 0,1 0,1 0,6 0,5 0,7 0,6 1,3 1,5 97,3 97,3
Verarbeit.
Gewerbe ins-
gesamt
39326367 42272727 2,8 2,4 3,9 3,5 5,0 4,0 5,2 5,8 83,2 84,3
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006.
Ein spezieller Blick auf die Teilbranchen der Medizintechnik (WZ 33.10.1 bis
33.10.4) unterstützt noch einmal die These der Heterogenität des Wirtschaftszweiges,
auch bezogen auf Forschung und Entwicklung.64 Die herausragende Bedeutung die
den Herstellern von elektromedizinischen Geräten und Instrumenten (WZ 33.10.1)
innerhalb der Branche zukommt zeigt sich daran, dass 75 % der FuE-Aufwendungen
auf diese Unternehmen entfallen und der Anteil der FuE-Gesamtaufwendungen am
Umsatz (die FuE-Intensität) bei nahezu 11 % liegt. Das zeigt wiederum, wie intensiv 64 Die Zuordnung der Unternehmen ist seitens der FuE-Statistik des Stifterverbandes auf die Dreistel-lerebene der WZ-Statisitk (33.1) ausgerichtet und eine weiter Untergliederung offiziell nicht vorgese-hen, aus dem Grund sind die Angaben der Zuordnung zur Fünfstellerebene (WZ 33.10.1 bis 33.10.4) von den Unternehmen selbst (FuE-Leiter) vorgenommen und beruhen nicht auf der empirischen Zu-ordnung des Statistischen Bundesamtes nach dem Schwerpunkt der Absatzproduktion. Trotzdem wird die Sonderauswertung mit in die Arbeit einfließen, um Tendenzen der Forschungs- und Entwicklungs-tätigkeiten aufzuzeigen, die in den einzelnen Sparten betrieben werden.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
171
in dieser Teilbranche Forschung und Entwicklung betrieben wird (vgl. Tab. 27). Weit
dahinter liegen mit einem Anteil von 20 % an den FuE-Gesamtaufwendungen die
Hersteller medizintechnischer Geräte, deren FuE-Anteil am Umsatz bei 6 % liegt. Im
Einklang mit der Strukturindikatorenanalyse, die eine eher kleinbetriebliche Struktur
der Hersteller von orthopädischen Erzeugnissen und zahntechnischen Laboratorien
nachgewiesen hat, stehen auch die Ergebnisse für FuE: Lediglich 5 % der Gesamt-
aufwendungen entfallen auf die beiden Bereiche. Gerade bei den zahntechnischen
Laboratorien überrascht dieses Ergebnis wegen ihrer stark spezialisierten und auf
individuelle Kundenwünsche gefertigten Produkte, bei denen es nicht um allgemeine
experimentelle Entwicklung geht, nicht.
Tabelle 27: Beschäftigte, Umsatz und FuE-Gesamtaufwendungen der Unter-nehmen des WZ 33.10 mit Ausweis der Fünfstellerebene WZ 33.10.1 bis 33.10.4 im Jahr 2003
Umsatz1 FuE-Gesamtaufwendungen
Beschäftigte1 insgesamt je Be-
schäf-tigtem
insgesamt je Be-
schäf-tigtem
Anteil am
Um-satz
Wirt-
schaftsglie-
derung Tsd. in %² Mill. € in %² Tsd. € Tsd. € in %² Tsd. € in %
33.1 50 1,6 9 434 1,2 186,94 849 839 2,0 16,84 9,0
33.10.1 24 0,8 5 823 0,7 240,32 636 713 1,5 26,28 10,9
33.10.2 21 0,7 3 100 0,4 145,64 185 855 0,4 8,73 6,0
33.10.3 4 0,1 409 0,0 103,69 24 048 0,1 6,10 5,9
33.10.4 1 0,0 102 0,0 101,32 3 223 0,0 3,19 3,2
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006 (teilweise eigene Berech-nungen); 1der Unternehmen mit FuE; ²als Anteil am Verarbeitenden Gewerbe insgesamt.
Die Verwendung der FuE-Gesamtaufwendungen lässt sich zum einen differenzieren
nach den internen FuE-Aufwendungen. Damit sind die Mittel gemeint, die im eigenen
Unternehmen an Forschung und Entwicklung für Personal, Sachmittel und Investitio-
nen verausgabt werden und zum anderen nach den externen FuE-Aufwendungen, die
mit dem Zukauf von technologischem Wissen über FuE-Leistungen, die von anderen
wissenschaftlichen Einrichtungen und/oder Unternehmen erbracht wurden einherge-
hen (vgl. Tab. 28). Der Vergleich der Jahre 2001 und 2003 zeigt, dass die Medizin-
technikunternehmen zunehmend intern FuE betreiben (91,2 % bzw. 92.2 % an den
Gesamtaufwendungen) und damit eine ähnliche Entwicklung wie die Maschinenbau-
industrie durchlaufen. Der Anteil der Aufwendungen für externe FuE hat sich in dem
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
172
Zeitraum um 1 % auf 7,8 % verringert. Währenddessen setzen die Unternehmen der
chemischen Industrie und noch stärker der Fahrzeugbau auf den Zukauf von techno-
logischem Wissen (der Anteil macht in beiden Branchen nahezu ein Viertel aller
Aufwendungen im Jahr 2003 aus). Im Vergleich zum Verarbeitenden Gewerbe insge-
samt bestätigt sich für die Medizintechnikindustrie eher der gegenläufige Trend einer
Zunahme interner Forschung und Entwicklung.
Tabelle 28: Interne und externe FuE-Aufwendungen der Unternehmen 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung
FuE-Aufwendungen der Unternehmen
davon: insgesamt interne FuE-Aufwend. externe FuE-Aufwend.
in Tsd. € in % in %
Wirtschaftsgliede-
rung
2001 2003 2001 2003 2001 2003
DG Chem. Industrie 7 028 892 8 043 561 84,2 78,9 15,8 21,1
DK Maschinenbau 4 057 604 4 020 708 91,9 92,5 8,1 7,5
DL H.v. Bürom.,
Eletrot. etc. 8 837 165 8 476 035 90,3
89,5
9,7 10,5
33.1 H.v. mediz.
Geräten u. orthop.
E.
679 953 849 839 91,2
92,2
8,8 7,8
DM Fahrzeugbau 16 750 124 18 976 083 74,6 74,9 25,4 25,1
Verarbeit. Gewerbe
insgesamt 39 326 367 42 272 727 82,7
81,2
17,3 18,8
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006.
Die FuE-Aufwendungen ergeben mit Blick auf die einzelnen Teilbranchen der Medi-
zintechnik folgendes Bild (vgl. Tab. 29): Besonders hohe Anteile für interne FuE
weisen die Hersteller von elektromedizinischen Geräten und die zahntechnischen
Laboratorien auf, was im ersten Fall vor allem auf die größere Unternehmensstruktur
zurückzuführen ist (Großunternehmen forschen in der Regel mehr selbst als der
Branchendurchschnitt), im zweiten Fall auf die, den Kundenwünschen entsprechen-
den individuellen Produkte, die eine interne Neu- und Weiterentwicklung nötig ma-
chen. Die Hersteller von medizintechnischen Geräten weisen den höchsten Anteil an
externer FuE auf (9,2 %).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
173
Tabelle 29: Interne und externe FuE-Aufwendungen der Unternehmen der WZ 33.1 mit Ausweisung der Fünfstellerebene WZ 33.10.1 bis 33.10.4 im Jahr 2003
FuE-Aufwendungen der Unternehmen
davon: insgesamt
interne FuE-Aufwendungen externe FuE-Aufwendungen
Wirtschaftsgliede-
rung in Tsd. € in Tsd. € in % in Tsd. € in %
33.1 849 839 783 955 92,2 65 884 7,8
33.10.1 636 713 590 036 92,7 46 677 7,3
33.10.2 185 855 168 727 90,8 17 128 9,2
33.10.3 24 048 22 105 91,9 1 943 8,1
33.10.4 3 223 3 087 95,8 136 4,2
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006.
Das BMBF-Konsortium kommt hinsichtlich des unter dem Durchschnitt des Verar-
beitenden Gewerbes liegenden Anteils externer FuE in der Medizintechnik zu folgen-
dem Schluss:
• Die Unterschiede zum Industriedurchschnitt sind vor allem auf die geringere
FuE-Kooperationsneigung von Großunternehmen zurückzuführen, klein- und
mittelbetrieblich strukturierte Medizintechnikunternehmen gehen ähnlich häu-
fig und intensiv mit externen Forschungseinrichtungen und Unternehmen Ko-
operationen ein wie Unternehmen dieser Beschäftigtengrößenklassen in ande-
ren Branchen.
Zudem unterscheiden sich die Strukturen der externen FuE-Aufwendungen in der
Medizintechnik durch zwei weitere Aspekte vom Industriedurchschnitt:
• Der Wissenschafts- und Forschungssektor spielt aufgrund der Notwendigkeit
von klinischen Studien zur Einführung medizintechnischer Produkte ein große
Rolle, über 35 % der externen FuE-Aufwendungen gehen an diesen Sektor
(im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes sind es nur 10 %).
• Dagegen haben in- und ausländische Unternehmen als Auftragnehmer von
Forschung und Entwicklung eine eher geringe Bedeutung (6 % aller FuE-
Aufwendungen gehen in diesen Sektor, im Vergleich dazu sind es über 15 %
im Industriedurchschnitt). Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass in
dem stark regulierten Medizintechnikmarkt mit wenigen Großunternehmen
eher eine Abschottung des eigenen originären Wissens vor Konkurrenten
stattfindet, als dieses zu transferieren. Zudem sind viele deutsche Medizin-
technikhersteller spezialisierte Nischenproduzenten.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
174
Grundlagenforschung spielt finanziell betrachtet in der Medizintechnik mit einem
Anteil von 2,9 % aller internen FuE-Aufwendungen im Jahr 2003 eine untergeordnete
Rolle (anders als bspw. in der chemischen Industrie) (vgl. Tab. 30). Dabei muss aller-
dings beachtet werden – und das wird sich im Verlauf dieser Untersuchung noch zei-
gen –, dass Forschungskooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen zum
Transfer von Grundlagenwissen eine hohe Bedeutung haben. Herausragend ist die
Zunahme der Aufwendungen für experimentelle Entwicklung im Vergleich der Jahre
2001 und 2003, der Anteil ist um 6,7 % auf 41,1 % gestiegen und liegt damit nahezu
im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes (42,4 %). Somit nutzen die Medizin-
technikunternehmen vermehrt wissenschaftliche Erkenntnisse, um zu neuen oder we-
sentlich verbesserten Produkten und Verfahren zu gelangen. Die Aufwendungen für
angewandte Forschung haben sich um 7,2 % verringert und liegen bei etwa 56 % der
internen FuE-Aufwendungen.
Tabelle 30: Interne FuE-Aufwendungen in Unternehmen 2001 und 2003 nach Aufwendungen für Grundlagenforschung, angewandte Forschung sowie expe-rimentelle Entwicklung nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung
Interne FuE-Aufwendungen in Unternehmen
davon Aufwendungen für: insgesamt Grundlagenfor-
schung
angewandte
Forschung1
experimentelle
Entwicklung²
in Tsd. € in % in % in %
Wirtschaftsgliede-
rung
2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003
DG Chem. Industrie 5915661 6345258 8,5 7,1 48,0 47,2 43,5 45,8
DK Maschinenbau 3728200 3720810 5,4 5,6 32,3 36,1 62,3 58,3
DL H.v. Bürom.,
Eletrot. etc. 7977821 7589840 2,8 3,0
63,1
57,0 34,1 40,0
33.1 H.v. mediz.
Geräten u. orthop.
Einrichtungen 620446 783955 2,3 2,9
63,3
56,1 34,4 41,1
DM Fahrzeugbau 12502197 14208714 3,1 3,1 56,1 59,5 40,8 37,4
Verarbeit. Gewerbe
insgesamt 32535496 34332603 4,4 4,2
52,9
53,4 42,6 42,4
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006; 1Forschungsarbeiten, die auf die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gerichtet sind, jedoch in erster Linie auf eine spezifische praktische Zielsetzung oder ein bestimmtes Ziel; ²Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnis-se, um zu neuen oder wesentlich verbesserten Materialien, Geräten, Produkten, Verfahren, Systemen oder Dienstleistungen zu gelangen.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
175
Diese Entwicklung kann noch einmal anhand der Tabelle 31 verdeutlicht werden:
Mehr als die Hälfte der internen FuE-Aufwendungen für Produkte und Verfahren
gehen in die Neuentwicklung. 16,2 % werden für Weiter- und Neuentwicklung auf-
gewendet (Steigerung von fast 6 % zwischen 2001 und 2003). Damit liegt die Bran-
che auch hier über dem Industriedurchschnitt. Währenddessen geht es in der chemi-
schen Industrie und im Fahrzeugbau stärker um die Weiterentwicklung bestehender
Produkte und Verfahren, zumindest in Bezug auf die Anteile der finanziellen Auf-
wendungen.
Tabelle 31:Verteilung der internen FuE-Aufwendungen der Unternehmen für Produkte und Verfahren nach Neu- und Weiterentwicklung 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung
Verteilung der internen FuE-Aufwendungen
für Produkte und Verfahren1 zur:
2001 2003
Weiter-entwicklung
Neuent-wicklung
sowohl Weiter- als auch Neuentw.
Weiter-entwicklung
Neuent-wicklung
sowohl Weiter- als auch Neuentw.
Wirtschaftsgliede-
rung
in % in %
DG Chem. Industrie 39,0 45,3 15,7 48,8 41,9 9,3
DK Maschinenbau 43,8 44,7 11,5 41,9 48,2 9,9
DL H.v. Bürom.,
Eletrot. etc. 40,1 50,4 9,4
38,2 52,0 9,8
33.1 H.v. mediz.
Geräten u. orthop.
Einrichtungen 38,2 51,4 10,5
31,3 52,5 16,2
DM Fahrzeugbau 43,9 45,5 10,6 46,5 44,1 9,4
Verarbeit. Gewerbe
insgesamt 40,6 47,6 11,8
41,0 48,0 11,0
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006; 1Die Anteile sind als arithmetisches Mittel berechnet.
Die Verwendung finanzieller Mittel für Produktinnovationen bzw. Produktweiterent-
wicklung spielt in der Medizintechnikbranche eine stärkere Rolle als für Prozessinno-
vationen (vgl. Tab. 32). Dies ist aber insgesamt im Verarbeitenden Gewerbe die Re-
gel, wobei die Verwendung interner FuE-Aufwendungen für die Neu- und Weiter-
entwicklung von Produkten hier im Vergleich zur Medizintechnik nicht ganz so stark
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
176
abgenommen hat (Verarbeitendes Gewerbe: 2001: 71,5 %; 2003: 71,3 % / Medizin-
technikindustrie: 2001: 73,9 %; 2003: 67,9 %).
Der Anteil der Aufwendungen für die Neu- und Weiterentwicklung sowohl von Pro-
dukten als auch von Verfahren ist von 10,5 auf 16,2 % gestiegen und liegt damit klar
über dem Industriedurchschnitt von 11 % im Jahr 2003.
Tabelle 32:Verteilung der internen FuE-Aufwendungen der Unternehmen für Neu- und Weiterentwicklung nach Produkten und Verfahren 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliederung
Verteilung der internen FuE-Aufwendungen für
Neu- und Weiterentwicklung1
2001 2003
Produkte Verfahren sowohl Produkte als auch Verfah-ren
Produkte Verfah-ren
sowohl Produkte als auch Verfah-ren
Wirtschaftsgliede-
rung
in % in %
DG Chem. Industrie 65,2 19,2 15,7 63,5 27,3 9,3
DK Maschinenbau 74,5 14,1 11,5 73,7 16,4 9,9
DL H.v. Bürom.,
Eletrot. etc. 77,2 13,4 9,4
77,2
13,0 9,8
33.1 H.v. mediz.
Geräten u. orthop.
Einrichtungen 73,9 15,7 10,5
67,9
15,9 16,2
DM Fahrzeugbau 71,5 17,9 10,6 75,6 15,0 9,4
Verarbeit. Gewerbe
insgesamt 71,5 16,8 11,8
71,3
17,7 11,0
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006; 1Die Anteile sind als arithmetisches Mittel berechnet.
63 % der Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklung entfallen im Jahr
2001 auf das FuE-Personal, damit liegt die Medizintechnikindustrie über 15 % über
dem Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes (vgl. BMBF 2005a, 84). Der in der
Wissensgesellschaft immer bedeutender werdende Faktor des Humankapitals spiegelt
sich in der Medizintechnik im Vergleich zu anderen industriellen Branchen sehr deut-
lich wieder. Im FuE-Prozess der Branche ist er weit vor den Sachkapitalinvestitionen
für FuE der wichtigsten Inputfaktor. Dies zeigt sich auch in einem zunehmenden A-
kademisierungsgrad des Personals der Forschungsabteilungen (vgl. Tab. 33). Der
Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure im Vollzeitäquivalent der Beschäftigung in
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
177
Forschung und Entwicklung ist von 2001 bis 2003 um 2,7 % auf 61,3 % gestiegen.
Dies unterstützt die These der zunehmenden Bedeutung von akademisch gut qualifi-
ziertem Personal mit Schlüsselqualifikationen für den technischen Innovationsprozess
in der Branche. So kommen auch das Institut Arbeit und Technik Gelsenkirchen und
die Ruhr-Universität Bochum in ihrer Studie „Regionale Innovations- und Qualifizie-
rungsstrategien in der Medizintechnik“ zu dem Ergebnis, dass die große Mehrheit des
Personals in FuE-Abteilungen von Medizintechnikunternehmen einen Hochschulab-
schluss hat. Teilweise werden die Forschungs- und Entwicklungsteams, die meist aus
diplomierten Elektrotechnikern, Informatikern und Physikern bestehen, um staatlich
geprüfte Techniker erweitert (vgl. IAT/RUB noch nicht veröffentlicht).
Der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure liegt in der Medizintechnikbranche
8 % höher als im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt. Die Substitution durch Anwen-
dung bzw. Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Me-
dizintechnik vor allem in den 90er Jahren, aber auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts
hat sich vor allem negativ auf das technische und sonstige Personal in Forschung und
Entwicklung ausgewirkt (der Anteil des sonstigen Personals der FuE-Beschäftigten
ist von 21,6 auf 18,9 % in den Jahren 2001 und 2003 zurückgegangen).
Tabelle 33: FuE-Personal in Vollzeitäquivalent nach Personalgruppen in Un-ternehmen 2001 und 2003 nach ausgewählten Sektoren der Wirtschaftsgliede-rung
Beschäftigung in FuE (Vollzeitäquivalent)
insgesamt Wissenschaft-
ler und Inge-
nieure
Techniker sonstiges
Personal
je 10 Wis-
senschaftler
und Ingeni-
eure
Anzahl in % in % in % in % in % in % Anzahl
Wirtschaftsgliede-
rung
2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003 2001 2003
DG Chem. Industrie 42001 41976 29,8 32,0 42,0 41,6 28,3 26,3 24 21,2
DK Maschinenbau 36730 34951 49,5 50,6 26,9 26,0 23,7 23,3 10 9,8
DL H.v. Bürom.,
Eletrot. etc. 79651 68862 62,7 64,9 19,1 19,6
18,2
15,6 6 5,4
33.1 H.v. mediz.
Geräten u. orthop.
Einrichtungen 6260 6498 58,6 61,3 19,8 19,8
21,6
18,9 7,1 6,3
DM Fahrzeugbau 88272 95384 50,5 57,8 19,5 17,9 30,0 24,4 10 7,3
Verarbeit. Gewerbe
insgesamt 270546 264224 50,1 53,3 24,9 24,3
25,0
22,4 10 8,8
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
178
Ein detaillierter Blick auf die Beschäftigung in Forschung und Entwicklung in den
einzelnen Teilbranchen der Hersteller von medizinischen Geräten und orthopädischen
Vorrichtungen dient zum wiederholten Mal als Beleg der Branchenheterogenität: So
arbeiten bei den forschenden Unternehmen in der Herstellung von elektromedizini-
schen Geräten und Instrumenten (vorwiegend mittel- bis großbetrieblich strukturierte
Unternehmen) nahezu ein Fünftel der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung
(vgl. Tab. 34). Wohingegen die kleinen und mittelbetrieblichen Unternehmen der
Teilbranchen orthopädische Erzeugnisse und zahntechnische Laboratorien eher wenig
Personal in FuE haben. Trotzdem ist der finanzielle Aufwand für Personal je Beschäf-
tigtem in FuE gerade bei den zahntechnischen Laboratorien mit 78 630 Euro im Jahr
2003 als hoch einzustufen ist (dies zeigt sich ebenso an den hohen internen FuE-
Aufwendungen je Wissenschaftler und Ingenieur, die bei 213 840 Euro liegen). Nur
in den Unternehmen der elektromedizinischen Herstellung liegen die internen FuE-
Aufwendungen für Personal je Beschäftigtem mit 85 800 Euro noch höher (die Auf-
wendungen je Wissenschaftler und Ingenieur liegen mit 204 520 Euro allerdings dar-
unter). Die relativ geringen Aufwendungen für Investitionen je Beschäftigtem in FuE
vor allem bei den Herstellern von elektromedizinischen Geräten (2 850 Euro im Jahr
2003) können ein Indiz für eine nachlassende Standortbindung der Unternehmen sein,
die wenig in FuE-Anlagen investieren. Demgegenüber scheinen die kleinen und mitt-
leren Unternehmen der WZ 33.10.3 und 33.10.4, die wie bereits erläutert ohnehin
binnenmarktorientierter beim Absatz ihrer Produkte sind, eine stärkere Standortbin-
dung zu haben, da sie weit über dem Branchendurchschnitt von 4 170 Euro finanziel-
le Mittel für Investitionen aufbringen (15 180 Euro bzw. 13 690 Euro im Jahr 2003).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
179
Tabelle 34: Beschäftigte, FuE-Personal und Kennzahlen der internen FuE-Aufwendungen in Unternehmen der WZ 33.1 mit Ausweis der Fünfstellerebene WZ 33.10.1 bis 33.10.4 im Jahr 2003
Beschäftigte Interne FuE-Aufwendungen dar. Besch. in FuE²: je Beschäftigten in FuE²
davon: laufende
Aufwendun-gen
der Un-ternehmen mit FuE-
Aufwend.1
insgesamt
Wis-sen-
schaftler und
Inge-nieure
insge-samt
zusammen
dar. Per-sona-lauf-wend.
Investiti-onen
je
Wissenschaft-ler³ und Ingeni-
eur
Wirtschaftsgliede-rung
Tsd. An-zahl
in %
An-zahl
in Tsd. €
33.1 50 6498 12,9 3983 120,64 116,47 81,16 4,17 196,81
33.10.1 24 4705 19,4 2885 125,40 122,55 85,80 2,85 204,52
33.10.2 21 1555 7,3 955 108,48 101,95 69,66 6,53 176,72
33.10.3 4 214 5,4 129 103,37 88,20 62,94 15,18 171,31
33.10.4 1 24 2,3 14 130,44 116,75 78,63 13,69 213,84
Quelle: Sonderauswertung Stifterverband Wissenschaftsstatistik März 2006; 1Beschäftigte der Unter-nehmen mit internen FuE-Aufwendungen weichen hiervon nur geringfügig ab; ²Vollzeitäquivalent; ³einschließlich Führungskräfte der FuE-Verwaltung.
Auswertung der Patentaktivitäten der Medizintechnikbranche
Wie eingangs bei der methodischen Abgrenzung beschrieben, werden die Anmeldun-
gen aus dem Wirtschaftszweig 33.1 am Europäischen Patentamt betrachtet, da ange-
nommen werden kann, dass der europäische Markt wegen seiner Größe eine hohe
internationale Bedeutung hat. Bezogen auf die absolute Zahl der angemeldeten medi-
zintechnischen Patente liegt Deutschland seit 1998 durchgängig auf Rang 2 hinter den
USA. Wurden im Jahr 1998 544 Patente angemeldet so waren es im Jahr 2003 bereits
659 Patente, wobei keine lineare Erhöhung in den Zwischenjahren festzustellen ist.
Die USA haben im Jahr 2003 1873 Patente am EPA angemeldet, Japan 539 (vgl. Tab.
35). Bei der Auswertung bleibt in dieser Betrachtung allerdings zu berücksichtigen,
dass es enorme Unterschiede allein zwischen diesen drei Nationen hinsichtlich der
Struktur der Medizintechnikmärkte gibt und die hier getroffenen Aussagen lediglich
Tendenzen aufzeigen können.
Trotz der methodischen Einschränkungen können die bisherigen Ergebnisse insoweit
bestätigt werden, als dass Deutschland auch bezogen auf das Patentaufkommen inter-
national eine Spitzenstellung einnimmt. Die Anteile an allen Anmeldungen medizin-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
180
technischer Patente liegen in der Rückschau auf die Jahre 1998 bis 2003 zwischen
13,8 und 16,8 %. Auf die USA entfallen durchgängig über 41 % aller EPA-
Anmeldungen, damit nehmen sie global mit weitem Abstand die Führungsposition
ein. Können für Deutschland und die USA aufgrund ihrer Patentierungsaktivitäten
seit 1998 eine recht konstante Bedeutung des europäischen Marktes festgestellt wer-
den, so wird dieser für japanische Medizintechnikentwickler im Zeitverlauf bis zum
Jahr 2003 immer bedeutsamer: 1998 lag der japanische Anteil an allen Anmeldungen
noch bei 8,4 %, im Jahr 2003 bereits bei 11,9 % (vgl. Tab. 35). Darüber hinaus bestä-
tigt sich in der Tendenz die deutsche Spitzenstellung innerhalb Europas auch für die-
sen outputorientierten Indikator: Deutschland meldete im Jahr 2003 absolut gesehen
mehr Patente an als Frankreich, Großbritannien und Italien zusammen. Die gute Posi-
tionierung Deutschland hinsichtlich der Patentierungsaktivität innerhalb Europas wird
auch vom BMBF-Konsortium (2005a, 429-491) bestätigt. Die analytische Herange-
hensweise ist allerdings in der Benchmarkingstudie eine andere: Anhand eines Stich-
wortkataloges aus aktuellen Forschungsgebieten der Medizintechnik wurden mittels
mehrer Patentdatenbanken (u.a. DELPHION und AUREKA) Recherchen durchge-
führt. Die Ergebnisse wurden nach Themengebieten geordnet. Die drei, in der interna-
tionalen Recherche meistgenannten Themen der aktuellen medizintechnischen Ent-
wicklungen sind:
• „Nutzung spezifischer zellbiologischer Ansätze und molekularbiologischer
Marker für die Diagnostik,
• Tissue-Engineering und Biokompatibilität,
• Spezielle […] Visualisierungs- und Datenverarbeitungstechnologien mit ho-
hem Informationsgehalt“ (BMBF 2005a, 490).
Die thematischen Schwerpunkte zeigen die breite Streuung medizintechnischer For-
schungsfelder über die klassischen Themen der Ingenieurwissenschaften und Medizin
hinaus. Die Interdisziplinarität der Medizintechnik wird zunehmend ergänzt durch
Forschungsarbeiten aus der Biologie, Biochemie und Molekularbiologie. Bei der Ent-
wicklung neuer medizintechnischer Geräte bzw. Verfahren spielen gerade zellbiolo-
gische Erkenntnisse eine nicht unwesentliche Rolle. Scheinen diese Ergebnisse auf
den ersten Blick eher dem Sektor Biotechnologie zugeordnet zu sein, entsprechen die
Patente bzw. Patentanmeldungen in der Recherche aber dem Code A61 (Medizin-
technik) der Internationalen Patentklassifikation (IPC).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
181
Des Weiteren ergab die Untersuchung, dass die USA bei allen gefundenen Themen-
bereichen eine deutliche Vormachtstellung in der Welt einnehmen, das gilt sowohl für
die Länder für die US-Patente angemeldet wurden, als auch für eine zusätzliche Un-
tersuchungsebene, die die Herkunft der Erfinder und die Herkunft der anmeldenden
Einrichtungen und Unternehmen ermittelt. „[D]ie meisten Erfinder leben und arbeiten
in den USA (51 % bis 67 %). Der prozentuale Anteil der anmeldenden Firmen liegt
mit 47 % bis 66 % geringfügig niedriger, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen
ist, dass der Anteil unbekannter Firmensitze im jeweiligen Datensatz mit ca. 20 %
recht hoch ist“ (BMBF 2005, 464). Das BMBF-Konsortium folgert daraus, dass die
USA bezogen auf den Geltungsbereich der Patente zum einen international den größ-
ten Medizintechnikmarkt und zum anderen die wichtigste Forschungslandschaft ha-
ben. Die Nähe zum US-Markt könnte zur guten Positionierung der kanadischen Me-
dizintechnikbranche geführt haben, die sich durch eine aktive Forschung auszeichnet.
182
Gesundheitsw
irtschaft als Wachstum
sfaktor
Tabelle 35: Absolute Zahl der Anmeldungen aus dem WZ 33.1 am Europäischen Patentamt nach ausgewählten Ländern und jeweils der An-teil der WZ 33.1 – Anmeldungen an weltweit allen EPA-Patentanmeldungen der WZ 33.1 (Jahre 1998 bis 2003) 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Patentan-
meldungen
WZ 33.1
Anteil an
allen An-
meld. WZ
33.1 (in
%)
Patentan-
meldungen
WZ 33.1
Anteil
an allen
Anmeld.
WZ 33.1
(in %)
Patentan-
meldungen
WZ 33.1
Anteil
an allen
Anmeld.
WZ 33.1
(in %)
Patentan-
meldungen
WZ 33.1
Anteil
an allen
Anmeld.
WZ 33.1
(in %)
Patentan-
meldungen
WZ 33.1
Anteil
an allen
Anmeld.
WZ 33.1
(in %)
Patentan-
meldungen
WZ 33.1
Anteil
an allen
Anmeld.
WZ
33.1 (in
%)
Deutschland 544 16,8 579 16,2 552 13,8 602 15,5 573 13,8 659 14,6
Schweiz 107 3,3 130 3,6 150 4,0 126 3,2 147 3,5 172 3,8
Finnland 27 0,8 28 0,8 31 0,8 31 0,8 23 0,6 30 0,6
Frankreich 204 6,3 220 6,2 200 5,3 203 5,8 224 5,4 244 5,4
Großbritannien 183 5,7 213 6,0 230 6,1 225 6,0 236 5,7 260 5,8
Japan 272 8,4 348 9,8 409 10,8 401 10,3 482 11,6 539 11,9
Italien 98 3,0 136 3,8 139 3,7 134 3,4 135 3,2 134 3,0
Korea 15 0,5 17 0,4 23 0,6 30 0,8 34 0,8 41 0,9
Niederlande 70 2,2 78 2,2 82 2,2 111 2,9 98 2,4 93 2,1
Schweden 109 3,4 119 3,3 124 3,3 120 3,1 122 2,9 97 2,1
USA 1415 43,8 1467 41,1 1587 41,8 1645 42,3 1799 43,2 1873 41,5
Welt 3230 100,0 3569 100,0 3777 100,0 3890 100,0 4164 100,0 4512 100,0
Quelle: Sonderauswertung des Fraunhofer-ISI März 2006; eigene Berechnungen.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
183
Deutschland dagegen rangiert je nach Themengebiet auf den Plätzen drei bis fünf (mit
ca. 3 % der Erfinder und 2 % der anmeldenden Unternehmen und Einrichtungen), ist
aber im europäischen Vergleich neben Großbritannien führend, gefolgt von Frank-
reich, den Niederlanden und der Schweiz.
Auswertung der Außenhandelsposition und der Spezialisierung nach einzelnen Wa-
rengruppen für medizintechnische Erzeugnisse65
Zentraler Faktor der Medizintechnikbranche ist ihre starke Exportorientierung
(58,5 % im Jahr 2004 gegenüber 40,5 % des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt in
demselben Jahr/vgl. Abb. 32). Damit gehört die Branche zu den exportstärksten in
Deutschland. Zudem hat sich der Auslandsumsatz stärker dynamisch entwickelt als
der Umsatz mit medizintechnischen Produkten im Inland. Größter Handelspartner der
deutschen Unternehmen sind die Länder der Europäischen Union (EU): Fast 40 % der
deutschen Ausfuhren medizintechnischer Waren gehen im Jahr 2002 in EU-Staaten
und rund 35 % der Einfuhren kommen aus der EU (vgl. Abb. 14).
Abbildung 14: Deutschlands Außenhandel mit medizintechnischen Waren 2002 mit ausgewählten Regionen und Ländern
Quelle: BMBF 2005a, 42.
65 Diese Teilauswertung für die Medizintechnikbranche ist – falls nicht anders angegeben - der BMBF-Studie (2005a, 39-57) entnommen, da die Daten zur Außenhandelsposition wie auch zur Spe-zialisierung als Ergänzung zur Analyse der technologischen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ins-gesamt (Kapitel 4.2.2) dienen und nicht mehr Bestandteil der regionalen Fallstudien sein werden. Deshalb wird zur methodischen Abgrenzung auf die genannte Studie verwiesen und findet hier keine weitere Ausführung mehr. Die Daten basieren auf der deutschen Außenhandelsstatistik in der Klassi-fikation für den Außenhandel (WA – größere Warendifferenzierung möglich) und auf den OECD-Außenhandelsdaten, wobei hier die Güterströme industrieller Waren nach Produktgruppen des Inter-nationalen Warenverzeichnisses für den Außenhandel (SITC) dargestellt werden – aus diesem Grund sind nicht immer alle Warengruppen vergleichbar.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
184
Trotzdem sind die Handelsanteile bei medizintechnischen Waren geringer als bei In-
dustriewaren insgesamt (hier erreicht der Exportanteil in die EU fast 54,7 %, der Im-
portanteil aus EU-Ländern 51,5 %). Die Handelsverflechtungen mit den USA und
Japan sind in Bezug auf medizintechnische Waren sehr viel höher als bei Industriewa-
ren insgesamt. Der Exportanteil in die USA liegt im Jahr 2002 bei 19,3 % (Industrie-
waren insgesamt bei 10,3 %). Die Stärke der Medizintechnikbranche in den USA
zeigt sich besonders an dem sehr hohen Importanteil von US-Produkten, der bei
30,7 % (bei Industriewaren insgesamt nur 7,7 %) liegt. 6,4 % der medizintechnischen
Waren werden von deutschen Herstellern nach Japan ausgeführt (Industriewaren
1,9 %) und der Importanteil liegt bei 7,4 % (Industriewaren 3,6 %). Einen positiven
Außenhandelssaldo mit medizintechnischen Waren erreicht Deutschland im Handel
mit Russland (Exportanteil: 2,8 %; Importanteil: 0,1 %).
Mehr noch als Verschiebungen im absoluten Exportniveau geben allerdings der
RWA- und der RCA-Wert die Wettbewerbsposition der deutschen Medizintechnik-
branche wieder (vgl. Abb. 15 und 16).66
Abbildung 15: RWA-Werte Deutschlands in ausgewählten Produktgruppen der Medizintechnik zwischen 1991 und 2001 Hohes Gewicht im deutschen Außenhandel1 Geringes Gewicht im deutschen Außenhandel1
Quelle: BMBF 2005, 48. 1‚Hohes Gewicht’ mit einem Anteil von mehr als 6 % an den deutschen Ex-porten von Medizinprodukten im Jahr 2001, ‚Geringes Gewicht’ entsprechend darunter.
66 Der Indikator RWA (Relativer Welthandelsanteil) misst die Abweichung der länderspezifischen Exportstruktur (die so genannte Exportspezialisierung) von der durchschnittlichen OECD-Exportstruktur – ein positiver Wert bedeutet komparative Vorteile eines Landes in der Produktion von Gütern einer Warengruppe, weil die Volkswirtschaft mit dieser Warengruppe stärker auf Auslands-märkten vertreten ist als bei anderen Waren; Der Indikator RCA (Revealed Comparatvie Advantage) misst, inwieweit die Export-Import-Relation eines Landes bei einer Produktgruppe von der Außen-handelsposition bei verarbeitenden Industriewaren insgesamt abweicht – positive Vorzeichen bedeu-ten eine gute internationale Wettbewerbsposition der Warengruppe des Landes.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
185
Insgesamt im Zeitverlauf betrachtet liegt die deutsche Exportspezialisierung immer
noch bei medizintechnischen Waren (der RWA-Wert lag 1991 bei 17 und 2001 noch
bei 5). Allerdings ergeben sich erhebliche Unterschiede, betrachtet man einzelne Pro-
duktgruppen. So haben Röntgen- und Strahlentherapiegeräte, Verbandmaterialen und
andere pharmazeutische Medizinprodukte ihre Exportspezialisierungsvorteile in den
1990er Jahren bis 2001 weiter gestärkt. Insbesondere die Produkte der Warengruppe
‚Andere Elektrodiagnosegeräte’ (hier vor allem Ultraschalldiagnose- und Magnetre-
sonanzgeräte) haben sich überdurchschnittlich im Export entwickelt. Auch bei E-
lektrokardiographen ist Deutschlang hoch spezialisiert. Ein geringes Gewicht im
deutschen Außenhandel haben die Warengruppen orthopädische und audiologische
Geräte und Systeme sowie Implantate und Prothesen. Insgesamt zeigt der abnehmen-
de RWA-Wert aber eine Zunahme des internationalen Wettbewerbs um medizintech-
nische Produkte, der es für die deutschen Hersteller schwerer macht sich auf den
Weltmärkten zu positionieren. Dies zeigt sich auch durch den abnehmenden RCA-
Wert, der im Jahr 1991 noch bei 45 lag und bis 2001 auf 15 zurückgegangen ist, da-
mit zwar noch immer ein deutlich positives Vorzeichen trägt und nach den USA
(RCA bei 85 im Jahr 2001) der zweithöchste Wert ist, dennoch positionieren sich
ausländische Medizintechnikhersteller mit ihren Produkten immer besser auf dem
deutschen Markt. Die japanischen Hersteller sind nicht sehr ausgeprägt in den inter-
nationalen Handel einbezogen und haben sowohl hinsichtlich der Exportspezialisie-
rung (RWA bei -57) als auch in Bezug auf die Außenhandelsspezialisierung (RCA
bei -92 im Jahr 2001) keine komparativen Vorteile, obwohl Japan vom Produktions-
und Nachfragevolumen weltweit einen der stärksten Medizintechnikmärkte hat. Die
Produkte werden aber zum größten Teil auf dem japanischen Inlandsmarkt selbst an-
geboten. Aus diesem Grund sind es eher die US-Produzenten, die zunehmend die
deutschen Unternehmen unter Wettbewerbsdruck setzen.
Positiv aus Sicht der deutschen Produzenten sind allerdings die komparativen Vortei-
le im forschungsintensiven Branchensegment der Röntgen- und Strahlentherapiegerä-
te. Vor allem die Röntgentechnik, die in den bildgebenden Diagnosesystemen Com-
puter- und Magnetresonanztomographie zum Einsatz kommt, ist eine Domäne der
deutschen Hersteller (u.a. Siemens Medical Solutions aus Erlangen). Anders als der
Wert des RWA es deuten lässt, sind die Wettbewerbsvorteile der Warengruppe ‚An-
dere Elektrodiagnosesysteme’, die der RCA-Wert ermittelt, zurückgegangen, zwar
sind starke Exporterfolge zu verbuchen, dem gegenüber steht allerdings eine steigen-
de Anzahl an Importen. Das BMBF-Konsortium (2005a) erklärt diese Verschiebung
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
186
durch einen zunehmenden intraindustriellen Handel, da der Medizintechnikmarkt in
diesem Segment stark von wenigen global agierenden Großunternehmen dominiert
wird, die ihre Produktion an verschiedenen Standorten weltweit konzentrieren.
Abbildung 16: RCA-Werte Deutschlands in ausgewählten Produktgruppen der Medizintechnik zwischen 1991 und 2001 Hohes Gewicht im deutschen Außenhandel1 Geringes Gewicht im deutschen Außenhandel1
Quelle: BMBF 2005a, 49. 1‚Hohes Gewicht’ mit einem Anteil von mehr als 6 % an den deutschen Exporten von Medizinprodukten im Jahr 2001, ‚Geringes Gewicht’ entsprechend darunter.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
187
4.3.3 Handlungsmuster von Wissensmanagement in der Medizintechnik
Die Professionalisierung und Wissensbasierung kennzeichnen heutzutage das Innova-
tionsgeschehen und dies erfordert auch eine innovative Unternehmenskultur. Als Ur-
sachen für den Professionalisierungsprozess sind nicht nur der wissenschaftliche Cha-
rakter neuzeitlicher Technologien anzusehen, sondern auch die wachsende Komplexi-
tät von High-Tech-Netzwerktechniken und der Trend zur Spezialisierung am Arbeits-
platz. Die enorme Zunahme von Informations- und Kommunikationstechnologien
(IuK-Technologien) und die Verschiebung der Beschäftigtenstruktur zugunsten einer
höheren Qualifizierung in allen Wirtschaftsbranchen sind zwei Hauptmerkmale des
Wandels zur Wissensgesellschaft (vgl. auch Kap. 3.1). Technische Neuerungen hän-
gen von der Sammlung und Anhäufung von Wissen ab, das zum einen firmenspezifi-
scher und kumulativer (Erkenntnisse aus der Vergangenheit fließen in Suchprozesse
mit ein) Art ist, zum anderen aus allgemeinem und speziellem wissenschaftlichen
Know-how besteht. Damit wird der Umgang mit und die Generierung von Wissen in
Unternehmen, das so genannte Wissensmanagement, zu einem bedeutsamen Innova-
tionsfaktor (vgl u. a. Wilkesmann/Rascher 2004, Konrad/Schumm 1999, Willke
1998a).
Neuere Studien zu Wissensmanagement und strategischer Orientierung von Unter-
nehmen stellen einen Zusammenhang zwischen Innovationsaktivität bzw. -fähigkeit
von deutschen Industrieunternehmen und ihrem Umgang mit Wissensmanagement
her. So hat Edler (2003) u.a. herausgefunden, dass innovationsorientierte Unterneh-
men mehr Wissensmanagementaktivitäten (in diesem Zusammenhang vor allem die
Nutzung von externen technologischen Wissensquellen z.B. durch öffentliche For-
schungseinrichtungen) aufweisen als Nicht-Innovatoren. Zudem verweist Edler auch
auf die Bedeutung von direkten Kooperationen zur Wissensgenerierung seitens der
Innovatoren. Kriegesmann und Schwering (2005) unterscheiden in ihrer Studie zum
Wissens- bzw. Kompetenzmanagement von KMU zwischen dynamischen und stati-
schen Unternehmen und untersuchen die beiden Typen hinsichtlich Maßnahmen der
internen und externen Weiterbildung, der Nutzung informeller Lernformen und ver-
schiedener arbeitsorganisatorischer Instrumente (u.a. dezentrale Entscheidungsstruk-
turen, informeller Erfahrungsaustausch). Dynamische Unternehmen zeichnen sich
durch Umsatz- und Beschäftigungswachstum und einen hohen Output an Innovatio-
nen aus (Produkt-, Prozess- und Marktstrukturinnovationen), währenddessen haben
statische Unternehmen eher einen Umsatz- und Beschäftigungsrückgang zu verzeich-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
188
nen und bringen in der Regel inkrementelle Innovationen hervor. Ergebnis der Unter-
suchung ist, dass die dynamischen KMU mehr Wissensmanagementaktivitäten auf-
weisen als die statischen. Auf Basis einer empirischen Untersuchung von Unterneh-
men der Medizintechnikbranche im Jahr 2006, die im Rahmen eines Forschungspro-
jektes der Ruhr-Universität Bochum und dem Institut Arbeit und Technik Gelsenkir-
chen durchgeführt wurde, lassen sich Indikatoren erzeugen, die den Zusammenhang
zwischen innovativen Unternehmen und den Handlungsmustern von Wissensmana-
gementaktivitäten abbilden.67 Für die vorliegende Untersuchung wurden nur die Er-
gebnisse der Medizintechnikhersteller und -zulieferer ausgewertet (44,1 % der Grund-
gesamtheit), da sich diese aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Verarbeitenden Gewerbe
in den Gesamtrahmen der Arbeit einordnen lassen. Außen vor bleiben die Ergebnisse
für den Medizintechnikhandel und für Dienstleistungsunternehmen.
Indikatoren für Handlungsmuster von Wissensmanagement in Medizintechnikunter-
nehmen sind die folgenden:
1. Weiterbildungsaktivitäten
- Fachtagungen / Messen
- Interne Kurse / Seminare / Lehrgänge
- Externe Kurse / Seminare / Lehrgänge
- Erfahrungsaustausch mit Fachkollegen
- Weiterbildung am Arbeitsplatz
- Fachpublikationen / Fachzeitschriften
- Arbeitsplatzwechsel (Job-Rotation)
- E-Learning-Angebote
- Selbst gesteuertes Lernen
2. Wege des Wissenstransfers aus der Forschung in das Unternehmen
- Nutzung einer Kommunikationsplattform (Transferstellen, regionale Netzwerkplatt-
formen)
- Persönlicher Kontakt zu Hochschulakteuren bzw. Forschungseinrichtungen
- Durch eine eigene FuE-Abteilung
- Klinische Forschung und Versorgungsforschung 67 Ein gewisses Fragenkontingent lässt sich für die vorliegende Untersuchung nutzen, um eine Korre-lation zwischen der Unternehmensstrategie (dynmisch-innovationsorientiert bzw. statisch-traditionell) und den Handlungsmustern von Wissensmanagement vorzunehmen. Die Aussagen geben zwar nur Auskunft über Unternehmen in den vier genannten deutschen Regionen, diese können aber als ausge-wiesene Medizintechnikstandorte in der Bundesrepublik angesehen werden und die Ergebnisse bilden zumindest Trendaussagen.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
189
- Verbundprojekte
- Verbandspublikationen
- Wissenschaftliche Publikationen in Fachzeitschriften / Fachbüchern
- Fachtagungen / Kongresse
- Fachbezogene Arbeitskreise
Ab einer Anzahl von sieben der insgesamt 18 möglichen Nennungen lässt sich von
einem ausgeprägten Wissensmanagement sprechen. Darüber hinaus wird die Koope-
rationsneigung von Medizintechnikunternehmen im Rahmen von Netzwerken oder
Forschungsverbünden überprüft. Zur Bestimmung der strategischen Ausrichtung der
Unternehmen in die Typen ‚dynamisch-innovationsorientiert’ bzw. ‚statisch-
traditionell’ müssen mindestens drei der folgenden fünf Indikatoren zur Bedeutung
von Herausforderungen für das Unternehmen auf einer Skala mit ‚sehr hoch’ oder
‚hoch’ bewertet worden sein oder aber das Vorhandensein einer eigenen FuE-
Abteilung zutreffen:
- Hochtechnologische Entwicklungen (Produktinnovationen)
- Einsatz neuer Verfahrenstechnologien (Prozessinnovationen)
- Verkürzung der Produktzyklen
- Innovationen führen zu neuen Aufgabenfeldern im Unternehmen
- Neue Vermarktungsstrategien und Netzwerkbildung
Hypothesen zum Zusammenhang von Unternehmensstrategie und Wissensmanage-
ment
1. Junge Firmen kooperieren eher als Unternehmen mit langer Firmentradition.
Als ‚jung’ gelten Unternehmen, die zum Zeitpunkt der Erhebung nicht länger als zehn
Jahre bestehen (somit 1996 oder später gegründet wurden). Hintergrund der Annahme
ist, dass diese Unternehmen zur Etablierung auf dem Markt und zur Gewinnung von
Branchen-Know-how stärker auf Netzwerke und Kooperationen setzen als traditionel-
le Betriebe, die mit ihren Produkten bereits eine gute Marktposition erzielt haben.
2. Unternehmen, die dynamisch-innovationsorientiert sind, engagieren sich eher in
einem Netzwerk als statisch-traditionelle Unternehmen.
Die Vorteile von Netzwerken vor allem zur Wissensgenerierung (auch durch gemein-
same FuE-Projekte) – so wird angenommen – werden von innovationsorientierten
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
190
Unternehmen, die sich stark in den Bereichen neue Produkt- und Prozessinnovationen
oder auch neue Vermarktungsstrategien engagieren, eher genutzt als bei traditionellen
Unternehmen, die vorwiegend inkrementelle Verbesserungen ihrer Produkte und Pro-
zesse vornehmen.
3. Unternehmen, die sich in Netzwerken engagieren setzen stärker auf Wissensma-
nagementaktivitäten in den Bereichen Weiterbildung und Wissenstransfer aus der
Forschung als nicht-kooperierende Unternehmen.
Die Hypothese fußt auf der Annahme, dass Unternehmen die sich organisationsexter-
nen Institutionen im Rahmen von Kooperationen ‚öffnen’ und damit einen Wissens-
transfer mitgestalten, die Bedeutung von Wissensmanagement im Unternehmen selbst
auch stärker erkennen und praktizieren.
4. Dynamisch-innovationsorientierte Unternehmen sind engagierter im Bereich Wis-
sensmanagement als statisch-traditionelle Unternehmen.
Die Hypothese geht davon aus, dass Unternehmen, die auf Produkt- und Prozessinno-
vationen setzen, deren Strategie vom Trend zu immer kürzeren Produktzyklen betrof-
fen ist und für die neue Vermarktungsmöglichkeiten und Netzwerke wichtig sind in-
tern ein aktives Wissensmanagement betreiben, um sowohl die Qualifizierung der
Mitarbeiter an den sich stetig erweiterten Bedarf anzupassen als auch den Wissens-
fluss von neusten Forschungsergebnissen zu gewährleisten. Dieser Umgang mit Wis-
sensmanagement wird von statisch-traditionellen Unternehmen nicht geleistet.
Für die Hersteller und Zulieferer der Medizintechnikbranche ergibt sich teils ein ähn-
liches Ergebnis wie es die beiden oben angeführten Studien zur deutschen Industrie
und zu KMU ermittelt haben, teilweise grenzt sich die Branche stark von der Gesamt-
industrie ab.
Die erste Hypothese kann bestätigt werden: Während 71,4 % der nach 1996 gegrün-
deten Unternehmen aktiv in Kooperationen eingebunden sind, sind dies nur 52,2 %
der älteren Betriebe. Eine mögliche Erklärung könnte in der ausgeprägten Grün-
dungsdynamik von hochtechnologischen Unternehmen der Produktgruppen minimal-
invasive Intervention, Diagnostika und Therapiesysteme in den Jahren 1995 bis 2002
liegen (vgl. BMBF 2005a, Kap. 5.5). Diese Unternehmen sind stark forschungsorien-
tiert, was häufig mit der Nutzung von externen Wissensbeständen via Kooperationen
einhergeht.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
191
Die Ergebnisauswertung zur zweiten Hypothese ergibt zum einen, dass 86,7 % der
Unternehmen zum Typus ‚dynamisch-innovationsorientiert’ zählen und nur 13,3 %
dem statisch-traditionellen Strategietypus zugeordnet werden. Damit stellt sich die
Medizintechnikbranche insgesamt als eher innovationsorientiert dar, was sich mit den
Ausführungen in Kapitel 5.3.2 deckt. 61,5 % der dynamisch-innovationsorientierten
Unternehmen geben an in Netzwerke eingebunden zu sein, von den statisch-
traditionellen sind es nur 25 %. Damit ist der hypothetisch dargelegte Zusammenhang
empirisch bestätigt.
Betrachtet man in der dritten Hypothese nur den Zusammenhang zwischen kooperie-
renden bzw. nicht-kooperierenden Unternehmen und deren Wissensmanagementakti-
vitäten, ergeben sich kaum gravierende Unterschiede. 70,6 % der Unternehmen, die
in einem Netzwerk aktiv sind setzen auch verstärkt auf Weiterbildung und Wissens-
transfer, dies sind bei den nicht-kooperierenden Unternehmen allerdings auch 61,5 %.
Aus diesem Grund ist der Blick auf die vierte Hypothese, die das Wissensmanage-
ment von dynamisch-innovationsorientierten mit dem statisch-traditioneller Unter-
nehmen vergleicht aufschlussreich. Generell engagieren sich 73,1 % der dynamisch-
innovationsorientierten Unternehmen stark im Wissensmanagement, aber nur 25 %
der Unternehmen des anderen Strategietypus. Zieht man bei der Bewertung allerdings
die Ergebnisse der einzelnen Aktivitäten hinzu, so kommt man zu einem differenzier-
ten Bild: Die dynmisch-innovationsorientierten Unternehmen setzen viel stärker auf
den Wissenstransfer von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Allgemein zeigt
sich aber, dass beide Typen von Medizintechnikunternehmen zusammengenommen –
in Abgrenzung zur Industrie insgesamt – überdurchschnittlich engagiert in Bezug auf
die Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter sind (vgl. Tab. 36).
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
192
Tabelle 36:Weiterbildungsaktivitäten von dynamisch-innovationsorientierten und statisch-traditionellen Medizintechnikunternehmen als Teil des Wissens-managements im Jahr 2006 (Angaben in % des jeweiligen Unternehmenstypus)
Weiterbildung durch: dynamisch-innovations-orientierte Unternehmen
statisch-traditionelle Un-ternehmen
Fachtagungen / Messen
88,5
75,0
interne Kurse / Seminare / Lehrgänge
61,5
50,0
externe Kurse / Seminare / Lehrgänge
65,4
50,0
Erfahrungsaustausch mit Fachkollegen
65,4
50,0
Weiterbildung am Arbeits-platz
50,0
75,0
Fachpublikationen / Fach-zeitschriften
69,2
50,0
Arbeitsplatzwechsel (Job-Rotation)
11,5
25,0
E-Learning Angebote
23,0
-
Selbst gesteuertes Lernen
30,8
50,0
Quelle: eigene Erhebung und Berechnung auf Basis des Forschungsprojektes „Regionale Innovations- und Qualifizierungsstrategien in der Medizintechnik“.
Bis auf die Maßnahmen Job-Rotation und E-Learning beschäftigt sich jedes zweite
Unternehmen des Typus statisch-traditionell stark mit dem Thema Weiterbildung,
beim Besuch von Fachtagungen und Messen wie auch bei der Weiterbildung am Ar-
beitsplatz sind es sogar drei Viertel. Die Zahl der dynamisch-innovationsorientierten
Unternehmen, die sich mit Weiterbildung in den unterschiedlichen Ausprägungen
befassen, ist vor allem in den Bereichen interne und externe Kurse sowie Fachpubli-
kationen noch höher (je nach Maßnahme zwischen 60 und 70 % der Unternehmen).
Auffällig ist, dass 23 % dieses Unternehmenstypus E-Learning-Angebote wahrneh-
men, was unter Umständen auf eine größere Affinität in Bezug auf moderne Informa-
tions- und Kommunikationsmedien hinweisen könnte. Mehr statisch-traditionelle
Unternehmen setzen dagegen Maßnahmen der eigenverantwortlichen Weiterbildung
ein (selbst gesteuertes Lernen und Weiterbildung am Arbeitsplatz).
Insgesamt zeigt sich die Branche – wie erwähnt – ausgesprochen aktiv im Weiterbil-
dungsmanagement.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
193
Gravierende Unterschiede zeigen die Ergebnisse zu den Wegen des Wissenstransfers
von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in die Unternehmen und deren Nut-
zung. Hier sind die dynamisch-innovationsorientierten Unternehmen deutlich präsen-
ter. Ein stetiger Transfer von wissenschaftlichem Know-how in die Unternehmen ist
für die Entwicklung von neuen bzw. verbesserten Produkten und Prozessen erforder-
lich. Mehr als die Hälfte der Unternehmen dieses Typus hat eine eigene FuE-
Abteilung und 65,4 % halten persönliche Kontakte zu Hochschul- und Forschungs-
einrichtungsakteuren. Kommunikationsplattformen, wie beispielsweise das Forum
MedTech-Pharma e.V. (Nürnberg) oder MeTNet NRW e.V. (Bochum) spielen zu-
mindest für den Wissenstransfer im hier verstandenen Sinn eine untergeordnete Rolle
(vgl. Tab. 37).
Tabelle 37: Wege des Wissenstransfers von wissenschaftlichen Forschungser-gebnissen und deren Nutzung bei dynamisch-innovationsorientierten und sta-tisch-traditionellen Medizintechnikunternehmen als Teil des Wissensmanage-ment im Jahr 2006 (Angaben in % des jeweiligen Unternehmenstypus)
Wissenstransfer durch: dynamisch-innovations-orientierte Unternehmen
statisch-traditionelle Un-ternehmen
Nutzung einer Kommuni-kationsplattform / Netz-werkplattform
11,5
-
Persönlicher Kontakt zu Hochschulakteuren bzw. Forschungseinrichtungen
65,4
25,0 eigene FuE-Abteilung
53,8
-
Klinische Forschung und Versorgungsforschung
30,8
-
Verbundprojekte
42,3
25,0
Verbandspublikationen
23,1
25,0
Wissenschaftliche Publika-tionen in Fachzeitschriften / Fachbüchern
57,7
25,0 Fachtagungen / Kongresse
69,2
50,0
Fachbezogene Arbeitskrei-se
19,2
25,0
Quelle: eigene Erhebung und Berechnung auf Basis des Forschungsprojektes „Regionale Innovations- und Qualifizierungsstrategien in der Medizintechnik“.
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
194
4.4 Medizintechnik in der Gesundheitswirtschaft: Wettbewerbsfähigkeit
durch Innovationen sichern – eine Ergebniszusammenfassung
Die Medizintechnik und vor allem die Diffusion von neuer medizinischer Technolo-
gie in das Gesundheitswesen werden als starke treibenden Kräfte für die Entwicklung
und Veränderung der Gesundheitswirtschaft betrachtet (daneben beeinflussen noch
der demographische und der soziokulturelle Wandel die zukünftige Entwicklung).
Diese sich zum Teil gegenseitig bedingende Verbindung zwischen Medizintechnik
und vor allem den Kernsektoren der ambulanten und stationären Versorgung geht
einher mit dem Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen und politischen Sicht
auf das Gesundheitssystem, das nunmehr seit mehr als zehn Jahren nicht mehr nur als
konsumptiver Wohlfahrtssektor sondern mehr noch als produktiver Teil der Volks-
wirtschaft angesehen wird. Damit werden neben den dienstleistungs- und personalin-
tensiven Sektoren der Primärversorgung die kapital- und technologieintensiven Vor-
leistungs- und Zuliefererindustrien und die Nachbarbranchen und Randbereiche in die
neue Sichtweise integriert.
Medizintechnische Produkte sind und waren immer schon Bestandteil der diagnosti-
schen, therapeutischen und rehabilitativen Leistungserbringung in der Patientenver-
sorgung. Produktinnovationen wie z.B. die minimal-invasive Chirurgie mit kleinsten
Instrumenten und der Einsatz von Laser- und Informationstechnologie tragen dazu
bei, die Heilungszeit zu verkürzen und die Lebensqualität der Patienten zu steigern.
Gerade diese Technik trägt zur Kosteneffizienz im Gesundheitswesen bei, da die
schonende Operationsmethode die Verweildauer in den Krankenhäusern senken kann,
zum Teil werden die Eingriffe auch ambulant durchgeführt (Bsp.: Erkrankung der
Bandscheiben). Nichtsdestotrotz wird der Einsatz neuer Technologien auch weiterhin
unter dem Gesichtspunkt der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens betrachtet,
denn nicht immer kommt es zu Kosteneinsparungen. Die kurzen Produktlebenszyklen
in der Medizintechnik (in der Regel sind Produkte nicht älter als drei bis fünf Jahre,
dann modifiziert eine fortgeschrittene Technologie die alten Verfahren) können eben-
so Kosten treibend wirken. Aus dieser engen Verbindung können folglich sowohl
Chancen als auch Risiken erwachsen, denn die institutionellen Rahmenbedingungen,
gerade unter dem Aspekt der Finanzierung von Medizinprodukten, sind entscheidend
für den Absatz von Medizintechnik. So ist die Aufnahme eines neuen Produktes in
den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung mit komplexen Zulas-
sungsverfahren verbunden (vgl. Kap. 4.3 – Exkurs zu Gesetzlichen Zulassungs- und
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
195
Regulierungsbedingungen), ebenso ist die Vergütungshöhe in der ambulanten und
stationären Versorgung sowie die Versorgungsdichte und die Zusammensetzung der
Berufe im Gesundheitswesen neben den betriebs- bzw. volkswirtschaftlichen Fakto-
ren (vgl. Kap. 4.3.2) prägend für die Entwicklung der Medizintechnik – gerade auf
dem stark regulierten deutschen Markt (vgl. auch BMBF 2005a, DIW 2005 und
Knappe et al 2000).
Die vorliegende Untersuchung hat sich vor allem mit den ökonomischen Potenzialen
der Medizintechnik in Deutschland auseinandergesetzt und mit Hilfe eines Indikato-
rensystems die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der Branche bestimmt. Im Ein-
zelnen gestaltet sich der Status quo wie folgt:
• Die deutsche Medizintechnikindustrie ist im Vergleich zu anderen Branchen
des Verarbeitenden Gewerbes relativ klein mit ihren insgesamt schätzungs-
weise 113 000 Beschäftigten im Jahr 2004 (im WZ 33.10 allein sind es 92
000), die in 1140 Betrieben tätig sind. Diese quantitativ gesehen zwar sehr
kleine Branche hat in den letzten Jahren aber ein außerordentliches Wachstum
verzeichnet, vor allem die Auslandsumsätze verliehen der Medizintechnikin-
dustrie eine enorme Triebkraft (Exportquote stieg von 2003 bis 2004 um na-
hezu 5 % und liegt mit 58,1 % weit über dem Industriedurchschnitt). Dem ge-
genüber steht allerdings eine stagnierende Binnennachfrage, so dass die im
Ausland sehr gute Positionierung deutscher Produkte kein Binnenwachstum
nach sich zog.
• Herausragendes Merkmal der Branche ist die Heterogenität bezüglich ihres
Produktspektrums, das von einfachen Verbandmaterialen und Krankenpflege-
artikeln bis hin zu Gütern der Hochwertigen und Spitzentechnologie reicht,
z.B. Magnetresonanztomographen, Ultraschallgeräten oder aktiven implan-
tierbaren Geräten (Defibrillatoren).
• Das Produktspektrum wiederum ist für die unterschiedliche Struktur der Teil-
branchen verantwortlich – im Durchschnitt sind die Medizintechnikunterneh-
men mit 80 Beschäftigten deutlich klein- und mittelbetrieblicher organisiert
als das Verarbeitendes Gewerbe insgesamt (125 Beschäftigte pro Unterneh-
men), dennoch variiert diese Zahl je nach Produkt. So haben Hersteller von
hochwertigen und spitzentechnologischen Produkten mehr Beschäftigte als
bspw. Hersteller von orthopädischen Vorrichtungen (8,1 % aller Betriebe pro-
duzieren elektromedizinische Geräte, beschäftigen aber 20 % des Branchen-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
196
personals). Daraus ergibt sich ein Bild der deutschen Branche, das aus vielen
kleinen und mittleren Betrieben (95,3 % der Betriebe haben weniger als 250
Mitarbeiter) und nur wenigen Großunternehmen mit größtenteils forschungs-
intensiven Produkten (78 % der gesamten FuE-Aufwendungen der Branche
werden von Betrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten verwendet) besteht.
• Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit investieren die Unternehmen über-
durchschnittlich in Forschung und Entwicklung. Die Anteile forschender Un-
ternehmen an allen Unternehmen der verschiedenen Beschäftigtengrößenklas-
sen liegen deutlich über dem Industriedurchschnitt (bspw. liegt der Anteil for-
schender Unternehmen der Größenklasse 100 bis 249 Beschäftigte in der Me-
dizintechnik bei 43 % (Industrie insgesamt 26 %).
• Der FuE-Anteil am Umsatz liegt im Branchendurchschnitt bei 9 % (Jahr
2003) – insbesondere forschende kleinere Unternehmen bis 100 Beschäftigte
sind mit 8,2 % des Umsatzes forschungsintensiver als vergleichbare Betriebe
im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt (5 %). Damit gehört die Medizintech-
nik zu den innovativsten Branchen in Deutschland.
• 75 % der FuE-Gesamtaufwendungen entfallen auf Hersteller von elektromedi-
zinischen Geräten und Instrumenten, diese haben eine FuE-Intensität von na-
hezu 11 %.
• Die Medizintechnikunternehmen investieren hauptsächlich in eigene FuE in-
nerhalb des Unternehmens. Dabei spielt die experimentelle Entwicklung vor
der angewandten Forschung und der Grundlagenforschung eine besondere
Rolle, zudem sind überdurchschnittlich viel Investitionen in Neuentwicklun-
gen von Produkten und Verfahren erfolgt (52,5 % der internen FuE-
Aufwendungen – im Vergleich 48,0 % im Verarbeitenden Gewerbe).
• In der Branche vollzieht sich eine zunehmende Akademisierung des Personals
in FuE. Der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure unter den FuE-
Beschäftigten der Medizintechnik liegt im Jahr 2003 bei 61,3 % und damit
fast 10 Prozentpunkte über dem Anteil dieses Personals an der FuE-
Gesamtbeschäftigung in Deutschland.
• Hinsichtlich der Patentaktivitäten kann der deutschen Medizintechnikbranche
eine gute Position bestätigt werden. Im Jahr 2003 kamen allein 16,8 % aller
medizintechnischen Patentanmeldungen am EPA aus Deutschland, damit er-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
197
reichen die deutschen Erfinder international den zweiten Rang hinter den
USA.
• Die Interdisziplinarität der Branche zeigt sich auch in den Patentanmeldungen,
die zunehmend Entwicklungen aus den Bereichen ‚Tissue-Engineering’ und
‚zellbiologische Ansätze’ beinhalten.
• Komparative Vorteile von deutschen Produkten liegen – zwar abnehmend –
bei medizintechnischen Waren (RWA-Wert bei 5 im Jahr 2001, RCA-Wert
bei 15). Gerade der Export von forschungsintensiven Röntgen- und Strahlen-
therapiegeräten wie auch von Verbandmaterialen ist in den letzten zehn bis
fünfzehn Jahren weiter gestiegen. Trotzdem repräsentiert die Abnahme des
RWA- und des RCA-Wertes die zunehmende Schwierigkeit der deutschen
Hersteller sich am internationalen Markt zu positionieren.
• Der Vergleich von dynamisch-innovationsorientierten und statisch-
traditionellen Medizintechnikunternehmen hat gezeigt, dass sich Erstere stär-
ker in Netzwerken engagieren und ausgeprägte Wissensmanagementaktivitä-
ten aufweisen (besonders im Bereich Wissenstransfer von wissenschaftlichen
Forschungsergebnissen in die Unternehmen) als dies bei Letzteren der Fall ist.
Das Thema Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter wird hingegen von beiden
Unternehmenstypen maßgeblich betrieben. Dieses Ergebnis weist auf eine
Sonderstellung der Branche innerhalb der deutschen Industrie hin – so haben
Studien zur Verbindung der Innovationsaktivitäten von Industrieunternehmen
bzw. KMU und deren Handlungsmuster im Wissensmanagement gezeigt, dass
in der Regel nur innovationsorientierte Unternehmen starke Wissensmanage-
mentaktivitäten aufweisen (vgl. Kriegesmann/Schwering 2005 und Edler
2003). Allgemein kommt man zu dem Schluss, dass die Medizintechnikbran-
che insgesamt dynamisch-innovationsorientierter ist als der Industriedurch-
schnitt (laut der Qualifizierungserhebung von RUB/IAT 2006 sind es 86,7 %
der an der Befragung teilgenommen Hersteller bzw. Zulieferer).
Aus der Untersuchung ergibt sich, dass die Medizintechnikbranche in Deutschland zu
den ‚Science-based Sectors’ gehört. Wie in Kapitel 2.1.2 erörtert, hat Pavitt (1984)
das industrielle Innovationsverhalten in diesem Sektor charakterisiert durch Innovati-
onen, die auf wissenschaftlicher Grundlagenforschung aufbauen und der Sektor Ten-
denzen zu großen Unternehmen mit einem hohen Investitionsvolumen in FuE in ei-
genen Laboratorien und zu einer Vielzahl an kleinen spezialisierten und forschungsin-
Gesundheitswirtschaft als Wachstumsfaktor
198
tensiven Firmen aufweist. Darüber hinaus lassen sich aber auch Kennzeichen von
‚Specialized Suppliers’ identifizieren, die engen Kontakt zu den Verbrauchern unter-
halten und auf Produktinnovationen setzen.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
199
5. Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik und ihre
unterschiedlichen Umsetzungen
Regionale Netzwerk- und Innovationsstrategien sind in den letzten Jahren in ver-
schiedenen Regionen zur Bearbeitung wirtschaftlich-sozialer Probleme inszeniert
worden. Die Politik auf Bundes- sowie Länderebene hat sich vor allem intensiv um
den Aufbau von „Kompetenznetzwerken“ gekümmert68; Ziel ist der Aufbau regiona-
ler Innovationssysteme in spezifischen Clustern. Dabei geht es vor allem um die Be-
schäftigung mit wissensintensiven, ‚zukunftsfähigen’ Wachstumssektoren (wie u.a.
die Medizintechnikbranche darstellt), die in das Visier der Politik geraten ist. Auf
regionaler Ebene haben sich verschiedene neue innovative Kooperationsformen etab-
lieren können – und dies betrifft sowohl Kooperationen in institutionalisierten Struk-
turen als auch regionale Netzwerke. Regionale Netzwerkstrategien sind jedoch nur
dann handlungsfähig, wenn die strukturpolitischen Rahmenbedingungen (etwa auf
Länderebene) gegeben sind, die korporativen Akteure aktiv mitarbeiten und es zu
einem effizienten Projektmanagement kommt. Die Mobilisierung solch strukturpoli-
tischer Vorhaben stößt in einzelnen Wirtschaftsräumen noch immer auf Widerstände
und ist trotz aller Lernprozesse, die der regionalen Strukturpolitik bescheinigt werden
können, auf ein gutes "Change-Management" angewiesen. Leistungsfähige koopera-
tive Innovations- und Produktionssysteme lassen sich nicht anordnen, sie können
jedoch durch geeignete politische Maßnahmen flankiert werden.
Entscheidend für einen erfolgreichen Strukturwandel und den Erhalt der Wettbe-
werbsfähigkeit scheint die gegenseitige Bereitstellung spezifischen Wissens inner-
halb von institutionellen Kooperationen und die Etablierung von zukunftsweisenden,
forschungsintensiven Branchen mit Querschnittsfunktion zu sein, die zu einem bran-
chenübergreifenden Clusteraufbau beitragen. Verlangt wird aber zentral ein professi-
onelles Kompetenzfeld- und Standortmanagement, das auch Projektentwicklungs-
funktionen mit übernimmt. Standorte sind also nicht nur im wachsenden Maße auf
Netzwerke und strategische Kooperationen zwischen Forschungs- und Bildungsein-
richtungen einerseits und der Wirtschaft andererseits angewiesen, sondern müssen
auch lernen, ein effizientes Regionalmanagement aufzubauen (vgl. Heinze 2006a,
Hilpert 2006, Heidenreich 2005, Cooke et al 2004 oder auch die Beiträge in Hilpert 68 Auf Bundesebene ist hier die Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie „kompetenznetze.de“ zu nennen, die zum einen als Instrument des Standortmarketings für die teil-nehmenden Netzwerke dient und eine Kommunikationsplattform für nationale und internationale Kooperationen darstellt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
200
2003). Ziel ist insbesondere eine bessere partnerschaftliche Kooperationskultur und
eine intensivere Nutzung des Potenzials von ansässigen Forschungsinstitutionen, um
eine regionale Innovationskultur aufzubauen (vgl. Heidenreich 2001). Heinze et al
sprechen in diesem Zusammenhang von einem „strategischen Innovations-
Monitoring“ (dies. 2005a, 442), das in Anlehnung an die in den letzten Jahren viel-
fach praktizierten Benchmarkingstudien Möglichkeiten eröffnen soll, Erfahrungen
zwischen Regionen auszutauschen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.
Die Medizintechnikbranche ist – u.a. im Rahmen der regionalen Entwicklung der
Gesundheitswirtschaft – in den letzten Jahren in einigen deutschen Regionen ver-
mehrt in den Fokus der wirtschaftlichen Strukturentwicklung gerückt. So gelten so-
wohl die Regionen Nürnberg-Erlangen, Tuttlingen, Aachen, München als auch Jena
und die Achse Hamburg-Kiel-Flensburg neben Konzentrationen z.B. im Ruhrgebiet
oder in und um Berlin als ausgewiesene Medizintechnikstandorte mit unterschiedli-
chen Produktions- und Forschungsschwerpunkten. Die regionale Verteilung und
Konzentration geben Anlass, die Debatte um regionale Kompetenzstrategien für die
Medizintechnikbranche fortzuführen. Die vorliegende Untersuchung zum deutschen
Medizintechniksektor wird aus diesem Grund um die regionalen Gegebenheiten und
Potenziale im Rahmen von Fallstudien zu den ausgesuchten Standorten Nürnberg-
Erlangen und dem Ruhrgebiet erweitert. Die Analyse erfolgt mit Hilfe der folgenden
Indikatoren, dabei werden auch die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Berei-
chen von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft herausgearbeitet (vgl. Abb. 17):
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
201
Abbildung 17: Schema für die Analyse der regionalen Medizintechnikstruktur
Quelle: eigene Darstellung
Zu Beginn erfolgt ein Überblick über ausgewählte Aspekte der Wirtschaftstruktur in
Bayern und Nordrhein-Westfalen und die Einordnung der beiden Regionen in den
jeweiligen Gesamtzusammenhang. Darüber hinaus wird in Fortsetzung der Untersu-
chung zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands eine Analyse der FuE-
Tätigkeiten in den beiden Bundesländern vorgenommen (vgl. Kap. 5.1.1 und 5.2.1).
Im Folgenden wird die Struktur der Medizintechnikbranche in den Regionen vor dem
Hintergrund der Entwicklungen in den Bundesländern und der regionalen Branchen-
schwerpunkte untersucht. Neben den Wirtschaftsstrukturdaten stehen vor allem Ko-
operations- und Vernetzungsmuster der Unternehmen im Vordergrund als auch We-
ge des Wissenstransfers von der Forschung in die Industrie (vgl. Kap. 5.1.2 und
5.2.2). Die politischen Governancestrukturen, die die FuE-Tätigkeiten von Unter-
nehmen aktivierend begleiten, werden im nächsten Kapitel dargestellt. Dies sind zum
einen die Ausrichtungen und Instrumente der Technologie- und Innovationspolitik
der Länder, zum anderen die regionalen Netzwerkstrategien und -angebote in Form
von Vereinen und Initiativen im Bereich der Medizintechnik (vgl. Kap. 5.1.3 und
5.2.3). Zuletzt erfolgt in Kapitel 5.3 eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit einer
Darstellung von Schlussfolgerungen, die sich aus den regionalen Strukturen ergeben.
Medizintechnik in der
Region
Wirtschaftliche Rah-menbedingungen all-gemein im Bundes-land und der Region: - Wirtschaftsstruktur - Leistungsfähigkeit in Forschung und Ent- wicklung
Strukturanalyse Medi-zintechnik: - Kooperationen - Wissenstransfer - Zukunftsherausforde- rungen
Governance- strukturen: - Technologie- und Innovationsförderung des Bundeslandes - Netzwerke und Initiativen
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
202
Das Ziel der regionalen Untersuchung ist es, die Bedingungen für FuE-Aktivitäten
und deren Status quo im kleinräumlichen Zusammenhang unter Zuhilfenahme von
qualitativen und quantitativen Methoden herauszuarbeiten und Perspektiven für die
zukünftige regionale Ausrichtung und Governance von Innovationsprozessen (insbe-
sondere hinsichtlich Kooperationsbeziehungen) aufzuzeigen.
5.1 Der Standort Nürnberg-Erlangen
5.1.1 Bayern und die mittelfränkische Region – Wirtschaftsstruktur und Bestim-
mungsfaktoren zur technologischen Leistungsfähigkeit
Bayern hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges maßgeblich vom Agrarland
hin zu einem – im Bundesländervergleich – wirtschaftsstarken Industrie- und Dienst-
leistungsstandort gewandelt. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 409,5 Mrd. Euro
(2006) werden in Bayern 17,7 % des gesamtdeutschen BIP erwirtschaftet. In der ver-
gangenen Dekade (Zeitraum 1991 bis 2004) ist das reale Bruttoinlandsprodukt um
24,4 % angestiegen (im Vergleich dazu in demselben Zeitraum in Deutschland ins-
gesamt um 17,8 %). Die Erwerbstätigenquote lag im Jahr 2005 mit einem Anteil von
47,6 % der Bevölkerung an der Spitze aller deutschen Länder. Bayern hat im Bun-
desländervergleich die zweithöchste Einwohnerzahl (12,4 Mio. im Jahr 2005) und
mit einem Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an allen Erwerbstätigen von 27,5 %
nach Baden-Württemberg die größte industrielle Basis. Das Land liegt mit einem
Bruttowertschöpfungsanteil des Verarbeitenden Gewerbes von 23,3 % an der realen
Gesamtwertschöpfung über dem Durchschnitt der deutschen Bundesländer von 21,8
% im Jahr 2004. Die Exportquote lag in demselben Jahr mit 44,9 % mehr als 5 Pro-
zentpunkte über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Trotz des enormen Stellenwer-
tes der Industrie für die Wirtschaftsstruktur ist es – wie in allen Bundesländern – vor
allem in den 1990er Jahren zu einer Verlagerung der realen Bruttowertschöpfung hin
zum Dienstleistungssektor gekommen (der Anteil an der Gesamtwertschöpfung lag
bei 47,2 % im Jahr 2004 ). Diese Entwicklung ging auf die Veränderung der Arbeits-
teilung zurück, da viele Industrieunternehmen ihre Dienstleistungsaktivitäten ausge-
lagert haben, die nun von externen Unternehmen erbracht werden. Vor allem die
unternehmensnahen Dienstleistungen spielen eine große Rolle innerhalb der indus-
triellen Wertschöpfungskette. Zu den drei großen industriellen Schwerpunkten in
Bayern – sowohl von der Beschäftigung als auch vom Umsatz her gesehen – zählen
der Fahrzeugbau (inkl. der Sektoren Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrzeuge
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
203
und Schienenfahrzeuge), die Elektroindustrie (inkl. der Elektrizitätstechnik, der
Rundfunk- und Nachrichtentechnik, der Medizin- und Regeltechnik und der Herstel-
lung von EDV-Geräten) und der Maschinenbau. 95,1 % aller Industriebetriebe zäh-
len zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen unter 500 Mitarbeiter (rund
50 % aller Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes haben weniger als 50 Beschäftig-
te). Betrachtet man die regionale Verteilung innerhalb von Bayern, so sind die Stadt
und der Landkreis München und auch die Städteachse Nürnberg-Fürth-Erlangen
nach Beschäftigtenanzahl die bedeutendsten Produktionsstandorte (ebenfalls mit dem
höchsten Besatz an Großunternehmen) (vgl. STMWIVT Bayern 2006, STMWIVT
Bayern 2005, STMWIVT Bayern 2005a und Bayerisches Landesamt für Statistik
und Datenverarbeitung 2005). Neben dieser überblickartigen Einführung in die Da-
tenlage zum Wirtschaftsstandort Bayern ist für die Untersuchung im Folgenden die
technologische Wettbewerbsfähigkeit des Bundeslandes gemessen an den FuE-
Aktivitäten des Wirtschaftssektors von Interesse (vgl. auch für Gesamtdeutschland
Kap.3.2.1).
Kennzahlen der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zur Bestimmung der tech-
nologischen Leistungsfähigkeit in Bayern
In Anlehnung an das Indikatorensystem zur Beurteilung der technologischen Leis-
tungsfähigkeit Deutschlands (vgl. Kap. 3.2.1) wird die FuE-Leistungsfähigkeit Bay-
erns mit Hilfe von input-, output- und marktorientierter Indikatoren bestimmt. Mit
den Branchenschwerpunkten in den Bereichen Fahrzeug-, Maschinenbau und Elekt-
roindustrie zählt Bayern zu den forschungsintensiven Hochtechnologiestandorten in
Deutschland. Der Anteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr
2004 bei 2,89 %. Rund 80 % der Ausgaben für Forschung und Entwicklung finden
im Wirtschaftsektor statt, dies weist auf eine hohe Bedeutung der Unternehmen für
FuE-Tätigkeiten hin (ähnliche Werte weisen Baden-Württemberg und Hessen auf)
(vgl. Statistisches Bundesamt 2006). Die Innovatorenquote bei den Unternehmen des
Verarbeitenden Gewerbes liegt mit knapp 60 % im Jahr 2004 etwas höher als in Ge-
samt-Deutschland insgesamt (58,4 %) und ist im Vergleich zum Vorjahr um fast 4 %
gestiegen. Der Anteil der Produktinnovatoren ist mit 53 % ebenfalls höher als in
Deutschland, bei den Anteilen der Prozessinnovatoren erreicht die bayerische Indust-
rie den bundesdeutschen Durchschnitt von rund 36 % (vgl. Abb. 18). Auch wenn
eine Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozessinnovatoren vorgenommen wird,
bleibt doch zu beachten, dass beide Innovationstypen in der Regel miteinander kom-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
204
biniert auftreten: Rund 49 % der bayerischen Innovatoren nahmen im Jahr 2004 so-
wohl Produkt- als auch Prozessinnovationen vor.
Abbildung 18: Innovatorenanteile im Verarbeitenden Gewerbe in Bayern und Deutschland im Jahr 2004 (Anzahl der Unternehmen in % aller Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes)
59,9
53,0
36,0
58,4
49,2
36,3
0
10
20
30
40
50
60
70
Innovator Produktinnovator Prozessinnovator
Bayern Deutschland Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an STMWIVT Bayern 2005, 98.
Um detaillierte Aussagen über die Leistungsfähigkeit der Innovatoren treffen zu
können, erfolgt eine Betrachtung von Umsatzanteilen, die auf die einzelnen Produkt-
lebensphasen im Rahmen des Marktzyklus entfallen.69 So liegen die Umsatzanteile in
der Markteinführungs- und Wachstumsphase mit 38,6 % über den gesamtdeutschen
Umsatzanteilen in diesen beiden Phasen von 36,9 % (Jahr 2004). Noch deutlicher
wird die starke Stellung der bayerischen Innovatoren im Vergleich zu allen Innovato-
ren in Deutschland, bezieht man den Saldo zwischen Umsatzanteilen der Marktein-
führungs- und der Abschwungphase ein: In Bayern liegt dieser Wert bei -1,2 %, in
Deutschland bei -2,6 %. Je deutlicher demnach der Umsatzanteil in der Markteinfüh-
rungsphase von dem in der Abschwungphase übertroffen wird, desto schlechter ist
ein Unternehmen mit seinen Produkten auf dem Markt platziert. Durch den Saldo 69 Die Produktlebensphasen im Rahmen des Marktzyklus unterteilen sich in die (Markt-)Einführungsphase (neue Produkte werden auf den Markt gebracht, verzeichnen aber im lau-fenden Geschäftsjahr noch keinen Erfolg), die Wachstumsphase (gekennzeichnet durch schnelles Absatzwachstum und erste Gewinne), die Reifephase (mit einer Verlangsamung des Absatzwachstum, aber stabilen Absatzzahlen und Gewinnen, Produktmodifikationen) und schließlich die Abschwung-phase (mit fallenden Umsatzzahlen des Produktes). Eine ausführliche Einführung in das Produktma-nagement liefert u.a. Pepels 2006.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
205
von rund -1 % hat die bayerische Industrie es rechtzeitiger geschafft nachfolgende
Produkte auf den Markt zu bringen, um den Umsatzanteilsabschwung alternder Pro-
dukte zu kompensieren, als die Industrieunternehmen im Bundesdurchschnitt (vgl.
Abb. 19).
Abbildung 19: Umsatzanteile in der Markteinführungs- und Abschwungphase von Produkten in Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in Bayern und Deutschland im Jahr 2004 (Umsatzanteile in %)
11,512,7
-1,2
10,9
13,5
-2,6-4
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Markteinführungsphase Abschwungphase Saldo
Bayern Deutschland Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an STMWVIT Bayern 2005, 99.
Das ifo Institut für Wirtschaftsforschung München hat im Jahr 200570 eine Innovati-
onserhebung für die Industrie Bayerns durchgeführt, bei der u.a. die Impulsgeber von
unternehmensinternen Innovationsaktivitäten ermittelt wurden: „Bei den Anstößen zur Durchführung von Innovationen überwiegen die marktinduzier-ten Aktivitäten. Für rund 60 % der bayerischen Innovatoren waren die wichtigsten Ideenlieferanten die Kundenanforderungen sowie die Marketing- oder Vertriebsabtei-lungen, der die Sammlung und Umsetzung von Marktinformationen obliegt. An dritter Stelle rangiert die Firmenleistung als Impulsgeber. Dies ist in erster Linie auf das Inno-vationsverhalten der kleinen und mittleren Unternehmen zurückzuführen“ (STMWIVT 2005, 96-97).
Dies Ergebnis deckt sich mit den Resultaten der Expertenbefragung in der Medizin-
technikbranche, die ausnahmslos neben unternehmensinternen Ideenfindungen auf
70 Die ifo-Erhebung erfolgte im Rahmen der Erstellung des ‚Industriebericht Bayern 2005’ im Auftrag des Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
206
externe Impulse seitens der Kunden setzen, im speziellen Fall der Medizintechnik
gerade auch auf ärztliches Know-how.
Bayern liegt auch bei der Betrachtung des Personals in den Forschungs- und Ent-
wicklungsstätten der Unternehmen im Bundesländervergleich nach Baden-
Württemberg an der Spitze. Besonders im Zeitraum zwischen 1997 und 2001 nahm
die Anzahl des FuE-Personals stark zu (Steigerungsrate von 8,4 %). Im Jahr 2003
waren insgesamt 73 360 Personen im Bereich FuE tätig, davon 91,7 % in Unterneh-
men des Verarbeitenden Gewerbes. Bezogen auf die Anzahl des Personals sind es
vor allem Unternehmen des Fahrzeugbaus, der Herstellung von Büromaschinen, DV-
Geräten u. -Einrichtungen, der Elektrotechnik und FuO, auf die sich die FuE-
Aktivitäten konzentrieren. Der Bundesländervergleich zum FuE-Personal im Wirt-
schaftssektor verdeutlicht die starke Stellung Bayerns, allerdings muss berücksichtigt
werden, dass es sich um absolute Angaben handelt (vgl. Tab. 38):
Tabelle 38: FuE-Personal im Wirtschaftssektor 1995 bis 2003 nach Bundeslän-dern
FuE-Personal in den Unternehmen1
1995 1997 1999 2001 2003
Bundesland
Anzahl
Baden-Württemberg 66 024 68 270 69 854 71 868 76 456
Bayern 64 685 64 288 71 757 76 665 73 360
Berlin 11 076 12 708 13 471 15 567 12 330
Brandenburg 221 2 860 2 837 2 467 1 616
Bremen 3 477 2 490 2 253 2 304 2 482
Hamburg 7 312 7 359 6 146 5 055 6 091
Hessen 9 549 28 637 36 294 31 796 29 964
Mecklenburg-Vorpom. 1 018 724 636 646 930
Niedersachsen 18 383 18 763 21 887 23 682 22 617
Nordrhein-Westfalen 44 541 43 568 44 666 43 127 41 395
Rheinland-Pfalz 12 684 13 082 14 594 11 678 11 255
Saarland 777 748 896 860 951
Sachsen 9 891 11 438 11 496 11 057 9 211
Sachsen-Anhalt 3 267 3 073 2 470 1 913 1 701
Schleswig-Holstein 3 272 3 340 2 801 3 319 3 038
Thüringen 4 538 4 922 4 636 5 253 4 676
Deutschland 283 315 286 270 306 694 307 257 298 073
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Stifterverband Wissenschaftsstatistik (2004, Tab. M) und ders. (2006, Tab. 24) – 1in FuE-Stätten der Unternehmen und Institutionen für Gemeinschaftsfor-schung, Vollzeitäquivalent, Zuordnung nach Sitz der FuE-Stätten; Rundungsabweichungen.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
207
Bereits der Vergleich der absoluten Beschäftigungszahlen im Bereich FuE konstatiert
regionale Disparitäten (Süd-Nord-Gefälle): Baden-Württemberg, Bayern und Hessen
nehmen (neben dem bevölkerungsreichsten Land NRW) eine Spitzenstellung ein.
Deutlicher werden die Unterschiede bezieht man sich auf die Anteile des FuE-
Personals an den Beschäftigten insgesamt in den jeweiligen Bundesländern und auf
die Anteile der internen FuE-Ausgaben am Umsatz (vgl. Tab. 39). Hier liegt aller-
dings das Intensitätsniveau von Forschung und Entwicklung betreibenden Unter-
nehmen in Berlin noch weit über dem der Flächenstaaten Bayern und Baden-
Württemberg und Hessen; hierbei gilt allerdings zu beachten, dass die Wirtschafts-
kraft Berlins gemessen am Bruttoinlandsprodukt hinter der in den alten Bundeslän-
dern liegt.
Tabelle 39: FuE-Kennzahlen von Unternehmen im Bergbau und Verarbeiten-den Gewerbe zwischen 1997 und 2003 nach Bundesländern
Anteil FuE-Personal1 an Beschäftigten2 Anteil interner FuE1 am Umsatz2
1997 1999 2001 2003 1997 1999 2001 2003
Bundesland
in %
Berlin 8,60 9,35 10,49 8,53 3,30 3,89 4,51 4,10
Bayern 5,14 5,40 5,82 5,70 3,0 3,10 3,17 3,20
Hessen 5,58 6,42 5,51 5,84 3,53 3,91 3,65 4,33
BW 5,28 5,23 5,12 5,65 3,82 3,80 3,58 3,69
Hamburg 6,57 5,69 4,60 5,93 1,25 1,47 0,80 1,20
Niedersach-
sen
3,28 3,67 3,99 3,94 1,56 2,17 2,20 2,71
RP 4,16 4,14 3,69 3,71 2,38 2,43 2,11 1,84
Sachsen 4,70 4,06 3,32 2,62 2,64 2,23 1,82 1,44
Bremen 3,31 3,02 3,00 3,29 1,11 1,16 1,01 1,45
Thüringen 3,78 2,94 2,99 2,62 2,04 1,51 1,87 1,69
NRW 2,64 2,61 2,65 2,74 1,57 1,62 1,53 1,61
SH 2,17 1,82 2,21 2,19 0,96 0,94 1,15 1,12
Brandenburg 2,54 2,50 2,13 1,41 1,53 1,37 1,21 0,78
SA 2,19 1,69 1,42 1,15 1,04 0,77 0,57 0,44
MV 1,05 0,83 0,88 1,40 0,45 0,33 0,48 0,73
Saarland 0,67 0,67 0,62 0,70 0,44 0,41 0,38 0,42
Deutschland 4,17 4,24 4,24 4,31 2,41 2,54 2,42 2,55
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Stifterverband Wissenschaftsstatistik (2004, Tab. O) und ders. (2006, Tab. M) – 1Erhebung der Stifterverband Wissenschaftsstatistik, einschließlich Unterneh-men mit weniger als 20 Beschäftigten, Zuordnung nach Sitz der FuE-Stätten 2nach Statistisches Bun-desamt, Fachserie 4, Reihe 4.1.4; Betriebe mit im Allgemeinen 20 und mehr Beschäftigten.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
208
Auch bei den gesamten Aufwendungen des Wirtschaftssektors für FuE71 liegt Bayern
seit Jahren nach Baden-Württemberg an der Spitze im Bundesländervergleich: Der
Anteil der Aufwendungen im Wirtschaftssektor am BIP lag im Jahr 2004 bei 2,32 %
(Baden-Württemberg: 3,06 %, Hessen: 2,16 %). Betrachtet man die internen FuE-
Aufwendungen (Personal, Sachmittel, Investitionsgüter in den Unternehmen) so trägt
die bayerische Wirtschaft maßgeblich zu den forschungsintensiven Branchen in
Deutschland bei. Die meisten Mittel fließen im Fahrzeugbau (3,7 Mrd. Euro in
2003), gefolgt von der Elektrotechnikbranche (hier hat Bayern gemessen an den
FuE-Aufwendungen eine Führungsrolle im Bundesländervergleich). Der Maschinen-
bau und die chemische Industrie folgen an dritter und vierter Position, wobei im Ma-
schinenbau in den Unternehmen in Baden-Württemberg mehr Mittel für interne FuE
aufgewendet werden und die chemische Industrie in Nordrhein-Westfalen mit Ab-
stand am stärksten in FuE investiert. Für die zukünftige Wirtschaftentwicklung ist
insbesondere der Besatz an spitzentechnologischen Gütern und hochwertigen Tech-
nologien von Bedeutung, da diesen u.a. von Grupp et al (2000) eine positive Ent-
wicklung bestätigt wird. In Tabelle 40 sind das FuE-Personal und die internen FuE-
Aufwendungen des Wirtschaftssektors der zwei forschungsintensivsten Bundeslän-
der vergleichend dargestellt.
71 Gemeint sind die gesamten finanziellen Mittel, die sowohl die Unternehmen als auch die Institutio-nen für Gemeinschaftsforschung für Forschung und Entwicklung ausgeben (sowohl intern als auch extern).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
209
Tabelle 40: FuE-Personal und interne FuE-Aufwendungen nach Technologiebe-reichen 2003
darunter
Wirtschaftsgliederung Deutschland Bayern Baden-
Württemberg
In FuE-Stätten: FuE-Personal
Verarbeitendes Gewerbe 264 224 67 291 69 505
FuE-Intensive Industrie-
zweige
231 795
62 525
64 094
Spitzentechnologie 84 052 28 906 19 261
Gehobene Gebrauchstech-
nologie
147 743
33 619
44 833
Insgesamt 294 377 73 219 75 910
In FuE-Stätten: Interne FuE-Aufwendungen in Euro
Verarbeitendes Gewerbe 34 332 603 8 363 664 8 909 650
FuE-Intensive Industrie-
zweige
30 898 046
7 752 987
8 344 198
Spitzentechnologie 11 353 739 3 883 961 2 466 927
Gehobene Gebrauchstech-
nologie
19 544 307
3 869 026
5 877 270
Insgesamt 37 742 756 9 076 483 9 708 484
Quelle: RWI Essen/Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2006, 154.
Insgesamt arbeiten in Baden-Württemberg mehr Personen in Forschungs- und Ent-
wicklungsabteilungen von Unternehmen als in Bayern und auch die internen FuE-
Aufwendungen sind höher, allerdings ergibt sich das Bild vor allem im Bereich der
hochwertigen Technologien (gehobene Gebrauchstechnologien). Bayern ist deutlich
stärker in spitzentechnologischen Branchen. Der Anteil am gesamten FuE-Personal
in Bayern liegt bei 39,5 % (Baden-Württemberg 25,4 %) und der Anteil der internen
FuE-Aufwendungen in der Spitzentechnologie an allen internen FuE-Aufwendungen
ist mit 42,8 % um 17,4 % höher als im benachbarten Bundesland.
Bezieht man den outputorientierten Indikator ‚Patentanmeldungen’ in die Analyse
der FuE-Aktivitäten in Bayern mit ein, so ist festzustellen, dass in 2005 mehr als jede
vierte Patentanmeldung aller Bundesländer von bayerischen Unternehmen getätigt
wurde (28,3 % nach Anmeldersitz), mit steigender Tendenz seit 1999 (vgl. DPMA
2006). Maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis haben zwei der vier größten deut-
schen Patentanmelder am DPMA: Siemens und Infineon Technologies mit Sitz in
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
210
München. Bezogen auf die Patentaktivitäten nach Branchen sind in Bayern die Elekt-
rotechnik, der Instrumenten- und Maschinenbau überdurchschnittlich vertreten (im
Bundesländervergleich). Der Umsatzanteil der im Jahr 2003 seit fünf Jahren einge-
führten neuen Produkte lag in Bayern bei 27 % und damit 0,6 Prozentpunkte über
dem deutschen Durchschnitt.
Zur Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Wirtschaft soll die Ana-
lyse der Außenhandelsstrukturen (marktorientierte Indikatoren) insbesondere unter
Berücksichtigung der Spitzen- und Hochwertigen Technologien Aufschluss geben.
Mit einem Anteil der Spitzentechnologien von 10,5 % an den Exporten Bayerns ins-
gesamt liegt der Freistaat knapp hinter Baden-Württemberg (11,6 % in 2005). Hohe
Exportanteile unter den spitzentechnologischen Gütern erzielen medizinische Diag-
nosegeräte, Spitzeninstrumente und DV-Geräte und -Einrichtungen. Die Spitzen- und
Hochwertigen Technologien machen zusammen einen Anteil von 63 % aller Exporte
aus, damit liegt die bayerische Wirtschaft deutlich über dem bundesdeutschen Anteil
von 57,5 %. Im Bereich der Hochwertigen Technologien ist es vor allem der Kraft-
wagenbau der mit 29,9 % den höchsten Anteil an den Exporten hat. Als Indikator zur
Außenhandelsspezialisierung dient u.a. der RCA-Wert (vgl. Kap. 3.2.1), der einen
Vergleich der Export-Import-Struktur zulässt: Eine starke Exportneigung bestätigen
die RCA-Werte für den bayerischen Fahrzeug- und Maschinenbau (je den Wert 81).
Durchgängig negative Vorzeichen ergeben sich in den Spitzentechnologien Chemie
(-84), Elektronik/Elektrotechnik (-16) und Luft- und Raumfahrt (-99), hier überwie-
gen die Importe deutlich den Exporten. Festzuhalten bleibt: Innerhalb Deutschlands
zählt Bayern zu den forschungsintensivsten und leistungsstärksten Bundesländern, in
Bezug auf die Außenhandelsstrukturen reiht sich das Bundesland in das gesamtdeut-
sche Bild ein: Stärken im Bereich der Hochwertigen Technologien (für Bayern vor
allem der Fahrzeugbau), Schwächen auf dem Weltmarkt bei den spitzentechnologi-
schen Gütern insgesamt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
211
Wirtschaftsstruktur in Mittelfranken und der Region Nürnberg-Erlangen72
Mittelfranken73 ist gekennzeichnet durch zwei sehr unterschiedliche Teilregionen,
die eine konzentriert sich rund um die Städteachse Nürnberg-Fürth-Erlangen (je nach
Blickpunkt auch Schwabach) und gehört zu den industriellen Kernregionen in
Deutschland, die andere stellt das ländlich geprägte Westmittelfranken dar. In dem
Regierungsbezirk wurden im Jahr 2004 13,7 % des bayerischen Bruttoinlandspro-
duktes erwirtschaftet, damit liegt die Region hinter Oberbayern (mit dem Zentrum
München) auf Rang zwei der leistungsfähigsten bayerischen Standorte, dabei tragen
allein die Städte Nürnberg und Erlangen zu nahezu der Hälfte des BIP in der Region
bei. Die industrielle Prägung des nordbayerischen Raumes ist leicht über dem Lan-
desdurchschnitt: Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöp-
fung insgesamt in Bayern liegt bei 24,9 %, in Mittelfranken bei 25,2 % – dabei ist die
Region um ein deutliches stärker durch die Industrie geprägt (bzw. weist eine höhere
Produktivität auf) als dies in Oberbayern (inkl. München) der Fall ist, hier liegt der
angegebene BWS-Anteil bei 21,5 % in 2004. In der Stadt Erlangen wiederum – be-
zogen auf die BWS-Anteile – hat das Verarbeitende Gewerbe eine größere Bedeu-
tung als in Nürnberg oder Fürth: 34,2 % der BWS entfallen auf die industrielle Pro-
duktion. Damit liegt Erlangen weit über dem mittelfränkischen Durchschnitt. Trotz
der starken industriellen Basis der Wirtschaft in Erlangen und Nürnberg haben beide
Städte seit Jahren einen Rückgang der Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe zu
verzeichnen, diese Entwicklung ist in Nürnberg (-10% im Zeitraum 2000 bis 2004)
allerdings noch ausgeprägter als in Erlangen (- 2%).
Der Rückgang der Industriebeschäftigung einhergehend mit einem Strukturwandel
der Wirtschaft ist ein Phänomen, das in allen westlichen Industrieländern zu beo-
bachten ist (vgl. auch die Argumentation in Kap. 3). Aus Gründen des Erhalts der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren sich Wirtschaftsregionen zu-
nehmend auf Kernkompetenzen in den wissensintensiven, hoch- und spitzentechno-
logischen Branchen. Die Region Nürnberg-Erlangen ist von dieser Entwicklung nicht
ausgenommen: Sowohl die ansässige Investitions- als auch die Konsumgüterindust-
rie haben auf die schwachen Binnenkonjunktur und die fortschreitende internationale 72 Die Ausführungen über die Wirtschaftsstruktur sind – falls nicht anders vermerkt – den folgenden Veröffentlichungen entnommen: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung (2005a), ders.(2006), ders. (2006a), Stadt Nürnberg (2006). 73 Der Regierungsbezirk Mittelfranken umfasst die kreisfreien Städte Ansbach, Erlangen, Fürth, Nürn-berg und Schwabach sowie die Landkreise Ansbach, Erlangen-Höchstadt, Fürth, Nürnberger Land, Neustadt-Bad Windsheim, Roth und Weißenburg-Gunzenhausen.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
212
Arbeitsteilung – die vor allem für einen Abzug der Fertigung an so genannte Billig-
lohn-Standorte sorgte – reagiert, indem Unternehmensteile nach Ostdeutschland oder
ins Ausland verlagert wurden (Bsp.: AEG Electrolux, Quelle, Phillips – oder auch
Rationalisierungsmaßnahmen bei Siemens, die zu einem Beschäftigungsabbau führ-
ten). Der Rückgang des Beschäftigungsvolumens im Bereich der standardisierten
Massenproduktion ist aber nur eine Seite der Wirtschaftsentwicklung, gleichzeitig ist
es auch zu einer technologischen Modernisierung innerhalb der Unternehmensland-
schaft gekommen, so dass sich heute der größte Teil der industriellen Fertigung in
der Region auf die wissensintensive Veredelungsproduktion in den klassischen In-
dustriebranchen Elektrotechnik und Maschinenbau (neben den Branchen Fahrzeug-
bau und Informations- und Kommunikationstechnik) konzentriert. Stellt man einen
Vergleich der Beschäftigung in den Hochtechnologie-Branchen an, so liegt die Stadt
Nürnberg mit einem Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten von
53,7 % (in 2004) weit über dem Bundesdurchschnitt (34,8 %) und auch im Regie-
rungsbezirk Mittelfranken ist der Anteil mit 41,6 % vergleichsweise hoch. Von dem
Strukturwandel haben darüber hinaus auch die unternehmensnahen Dienstleistungen
profitiert, da die bislang von der Industrie selbst erbrachten Dienstleistungen (z.B.
Planung, Marketing, Service) externalisiert worden sind (der Anteil der Arbeitsplätze
in diesen wissensintensiven Dienstleistungsbranchen liegt in Nürnberg bei 38,3 %
(2004) und damit drei Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt).
5.1.2 Kernkompetenzen der Wirtschaftsregion Nürnberg
Als Reaktion auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region wurde 1998 eine
mittelfränkische Gemeinschaftsinitiative unter Federführung der IHK Nürnberg für
Mittelfranken und mit wissenschaftlicher Begleitung der PROGNOS AG realisiert,
die ein ‚Entwicklungsleitbild der Wirtschaftsregion Nürnberg’ erstellt hat. Auf dieser
Basis wurde seit 2003 von denselben Akteuren ein erweitertes ‚Entwicklungsleitbild
2005’ erarbeitet, das nunmehr die Ziele einer Metropolregion Nürnberg mit einbe-
zieht und auf eine stärkere Fokussierung der bisherigen Kompetenzfelder setzt.74
74 Am 28. April 2005 wurde der Großraum Nürnberg (den Kern bilden acht kreisfreie Städte und 12 Landkreise, die in etwa dem Verkehrsverbund Großraum Nürnberg entsprechen) durch die Minister-konferenz für Raumordnung (MKRO) in Berlin offiziell als europäische Metropolregion in Deutsch-land anerkannt (vgl. www.metropolregion.nuernberg.de, 12.10.06 und www.nuernberg.ihk.de, 12.10.06).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
213
Abbildung 20: Kernkompetenzen und Querschnittstechnologien in der Wirt-schaftsregion Nürnberg
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an IHK Nürnberg (2005, 4).
Im Zentrum des Entwicklungsleitbildes stehen sechs Kompetenzfelder, die sich als
wachsende Branchen in der Region darstellen. Um diese Branchen hat sich eine
Vielzahl an wissensintensiven, produktionsnahen und serviceorientierten Dienstleis-
tungsunternehmen gruppiert. Eingerahmt wird das Konzept von einer Reihe Quer-
schnitttechnologien, die vor allem durch die ansässige Forschungs- und Hochschul-
landschaft transportiert werden und zur Entwicklung der Unternehmenslandschaft
ihren Beitrag leisten. Ziel ist es, die Querschnitttechnologien interdisziplinär und
branchenübergreifend in die vorhandenen Strukturen einzubetten und durch Innova-
tionsnetzwerke die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. In gegebener Kürze
wird im Folgenden näher auf die einzelnen Kompetenzfelder eingegangen:
Verkehr & Logistik:
Über 770 Unternehmen, die Produkte, Systeme und Dienstleistungen rund um die
Cluster Antriebstechnik, Automotive, Logistik, Telematik und Bahntechnik anbieten,
stellen rund 10 % der Gesamtbeschäftigung in der Region. Die Aktivitäten der Bran-
che werden im CNA Centrum für Verkehr und Logistik gebündelt und vernetzt.
Information und Kommunikation (IuK):
Der Einsatz von IuK-Technologien trägt maßgeblich zur wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit der Unternehmen bei und stellt in der Region eine wichtige Komponente
Sechs technologi-sche Kernkompetenzen: Querschnitts- kompetenz: Querschnitts- technologien:
Verkehr & Logistik
Information & Kommunikation
Medizin & Ge-sundheit
Energie & Umwelt
Neue Materialien
Automation & Produktionstechnik
Innovative Dienstleistungen
Mechatronik
Leistungselektronik Optik, Laser, Photonik
Nanotechnolo- Biotechnologie
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
214
für die Automobilzuliefererindustrie sowie für die Medizin-, Automatisierungs- und
Energietechnikunternehmen dar. Verschiedene, teilweise miteinander gekoppelte
Cluster bilden das Kompetenzfeld. Zu nennen sind an dieser Stelle Softwareanbieter
für Industrie, Handel und unternehmensnahe Dienstleistungen (mit der regionalen
Spezialisierung auf Linux-Systeme und Open Source Software), FuE-Einrichtungen
und Unternehmen die sich mit breitbandigen Kommunikationssystemen beschäfti-
gen, Zulieferer von Mobilfunktechnologie, Anbieter von Bildverarbeitungssystemen
insbesondere für die Bereiche Medizintechnik und Automatisierungstechnik wie
auch Institute und Unternehmen zur Entwicklung von optischen Übertragungstechni-
ken. Mit über 150 Druck- und Medienbetrieben (inkl. Verlagen) ist die Region ein
ausgeprägter Medienstandort.
Medizin & Gesundheit:
In Forschung, Entwicklung, Produktion, Versorgung und Dienstleistung in der Ge-
sundheitswirtschaft arbeiten rund 10 % aller Beschäftigten in der Region. Durch
Großunternehmen aus den Bereichen Medizintechnik und Pharma sowie durch einen
starken Besatz an kleinen und mittleren Hochtechnologieunternehmen setzen die
regionalen Akteure unter dem Label ‚Medical Valley Erlangen-Nürnberg’ auf die
Life-Science-Branchen. Schwerpunkte der regionalen Kompetenz bilden die unter
dem Oberbegriff ‚Minimalinvasive Diagnose und Therapieunterstützung’ gebündel-
ten Themen: Bildgebende Verfahren, Lasertechnologie, Audiologie, Implantate,
Ophthalmologie, Pharma/Biotechnologie sowie Prävention und Epidemologie (vgl.
ausführliche Darstellung der Bedeutung der Medizintechnik in den Kap. 5.1.2.1 und
5.1.3).
Energie und Umwelt:
Die Energietechnik ist mit nahezu 50 000 Beschäftigten ein wichtiger Industriezweig
in Mittelfranken, rund ein Drittel des gesamten Umsatzes des produzierenden Ge-
werbes im Regierungsbezirk wird in dieser Branche erwirtschaftet. Schwerpunkte
bilden hierbei der Turbinen- und Kraftwerksbau, Elektrizitäts- und Schalteinrichtun-
gen, Leistungselektronik, Facility Management, erneuerbare Energieträger und Tech-
nologien rund um den Umweltschutz.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
215
Neue Materialien:
Im Bereich Forschung und Entwicklung Neuer Materialien und deren Implementie-
rung in industrielle Produkte befindet sich ein weiteres regionales Kompetenzfeld,
das vor allem durch die ausgeprägte universitäre Werkstoffforschung getragen wird.
Darüber hinaus tragen eine Reihe von Unternehmen der Metallerzeugung und
-bearbeitung, der Kunststoffverarbeitung, der Hochleistungskeramik, der Oberflä-
chenbehandlung und Kabel- und Leitungsfertigung zu einer differenzierten Industrie-
struktur bei, die Neue Materialen setzt.
Automation und Produktionstechnik:
Die Unternehmen der Region stellen rund ein Drittel der bayerischen und ca. 10 %
der deutschen Arbeitsplätze im Bereich der elektrischen Automatisierungstechnik.
Effiziente Methoden der Produktionstechnik finden regionale Abnehmer im Maschi-
nen- und Anlagenbau, in der Medizintechnik und Energietechnik sowie in der Druck-
industrie. Die ansässige Automatisierungsbranche lässt sich in vier Teilsegmente
gliedern: elektrische Antriebstechnik, Mess-, Steuer- und Regeltechnik, IT-
Dienstleistungen mit Softwareangeboten für die genannten Branchensegmente und
Produktionstechnologien als so genannte Systemintegratoren für komplexe Industrie-
anlagen und -systeme. Generell ist auch hier ein Trend zu ‚Full-Service-Lösungen’
(technische und Produkt begleitende Lösungen werden in einem Packet angeboten)
für die Abnehmer festzustellen.
Die Weiterentwicklung der verschiedenen Kompetenzfelder wird durch zahlreiche
politische Maßnahmen flankiert und befördert, die im Verlauf der Untersuchung ex-
emplarisch für die Medizintechnik herausgearbeitet werden.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
216
5.1.2.1 Die Bedeutung der Medizintechnikbranche in und für die Region – eine
Struktur- und Strategieanalyse vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Bayern75
Die Medizintechnikbranche in Bayern ist wesentlich stärker exportorientiert als im
Bundesdurchschnitt, 73,5 % des Gesamtumsatzes (2004) wurden mit dem Ausland
getätigt (bundesweit lag die Exportquote 2004 bei 53,4 %). Die Geschäftstätigkeiten
mit dem Ausland sind bis zum Jahr 2005 um weitere 3,3 Prozentpunkte gestiegen –
das geht einher mit der bereits konstatierten großen Bedeutung des Exportgeschäftes
für Medizintechnikhersteller. Nahezu 30 % des Gesamtumsatzes der Branche in
Deutschland werden in Bayern erwirtschaftet, 10 % des deutschen Branchenumsat-
zes allein im Regierungsbezirk Mittelfranken (Angaben für das Jahr 2004). Die mit-
telfränkischen Medizintechnikunternehmen haben auch innerhalb Bayerns eine um-
satzstarke Stellung: 38,4 % des bayerischen Gesamtumsatzes der Branche im Jahr
2005 wurden in der Region erzielt. Im Vergleich dazu fallen auf die Medizintechnik-
branche im Regierungsbezirk Oberbayern (inkl. dem, für die Medizintechnik in Bay-
ern wichtigen Standort München) 16,4 % des Gesamtumsatzes in Bayern, allerdings
sind hier mehr Betriebe (aber weniger Beschäftigte) als in Mittelfranken. Während in
Bayern insgesamt ein Beschäftigungsrückgang von 5,1 % in den Jahren 2004 auf
2005 verzeichnet wurde, gab es in Mittelfranken einen Zuwachs der Beschäftigung
um 6,4 %. Die Ausführungen beziehen sich allein auf den WZ 33.10 als Teil des
Verarbeitenden Gewerbes und bilden damit nur einen Ausschnitt der Branchenstruk-
tur.
75 Die Strukturanalyse erfolgt auf Basis der Daten des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung für den Wirtschaftszweig 33.10 (Dreistellerebene), eine weitere Analyse auf Fünf-stellerebene ist auf Bundesländer- bzw. Regionsebene wegen fehlender Daten nicht möglich. Für den Standort Nürnberg-Erlangen werden Angaben der städtischen Wirtschaftsreferate genutzt, die aller-dings nicht auf amtlichen Statistiken beruhen und somit auch Betriebe unter 20 Beschäftigten einbe-ziehen wie auch Betriebe aus anderen Wirtschafts- und unternehmensnahen Dienstleistungsbranchen.
217
Regionale Entw
icklungspotenziale durch Medizintechnik
Tabelle 41: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtun-gen (WZ 33.10) in Bayern in den Jahren 2004 und 2005
Betriebe76 Beschäftigte Gesamtumsatz (in 1 000 Euro)
insgesamt darunter Auslandsumsatz Exportquote (in %)
WZ Nr.
2004
2005
2004
2005 2004 2005 2004 2005 2004 2005
33.10 H. v. med. Gerä-ten u. orthopädi-schen Vorrich-tungen
134 133 18 439 17 499
4 359 856
4 826 013 3 204 031 3 708 049 73,5
76,8
Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2006a, S. 59 und 117 sowie ders. 2005b, S. 59 und 117.
Tabelle 42: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtun-gen (WZ 33.10) im Regierungsbezirk Mittelfranken in den Jahren 2004 und 2005
Betriebe77 Beschäftigte Gesamtumsatz (in 1 000 Euro)
insgesamt darunter Auslandsumsatz Exportquote (in %)
WZ Nr.
2004
2005
2004
2005 2004 2005 2004 2005 2004 2005
33.10 H. v. med. Gerä-ten u. orthopädi-schen Vorrich-tungen
20 21 6 197 6 595
1 502 639
1 852 530 - - -
-
Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2006a, S. 36 und 94 sowie ders. 2005b, S. 36 und 94.
76 Gemeint sind Betriebe des Wirtschaftsbereichs Verarbeitendes Gewerbe, wenn diese Betriebe zu Unternehmen des Produzierenden Gewerbes gehören und in diesen Unternehmen mehr als 20 Beschäftigte tätig sind. 77 Siehe Fußnote 8
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
218
Um die Bandbreite der Medizintechnik und damit die Bedeutung speziell für die Re-
gion Nürnberg-Erlangen darzustellen, müssen neben der industriellen Produktion
auch unternehmensnahe Dienstleistungen (z.B. Entwicklung von Hard- und Soft-
ware, Service von Geräten etc.) einbezogen werden. Im „Entwicklungsleitbild der
Wirtschaftsregion Nürnberg“ sind neben dem Großunternehmen Siemens Medical
Solutions (Geschäftsfeld Medizintechnik der Siemens AG) mit 8 500 Mitarbeitern
am Standort Erlangen/Forchheim (mit rund 7,6 Mrd. Euro Umsatz im Geschäftsjahr
2005) rund 230 kleine und mittlere Unternehmen mit etwa 7 000 Mitarbeitern in der
Region genannt, die in dem Segment tätig sind (vgl. IHK Nürnberg 2005 und Sie-
mens AG 2005). Der Ballungsraum Nürnberg ist eine der deutschen Regionen mit
den meisten naturwissenschaftlich-technischen Erfindungen. Bei den Patentanmel-
dungen je Einwohner liegt die Stadt deutschlandweit auf dem dritten Platz. Dieses
Ergebnis wird nicht unerheblich durch die Geschäftstätigkeit der Siemens AG mit
ihrer Sparte Medical Solutions beeinflusst.
In der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, den Fachhochschulen,
den Fraunhofer Instituten für Integrierte Schaltungen und für Fertigungstechnik und
Angewandte Materialforschung sowie anderen Forschungseinrichtungen arbeiten
Wissenschaftler und Entwickler an anwendungsorientierten Projekten. Die Schwer-
punkte sind Informations- und Kommunikationstechnik, Leistungselektronik, Me-
chatronik, Medizintechnik, Fahrzeugtechnik und Logistik. Weitere medizintechnik-
nahe Forschungszentren sind das Bayerische Laserzentrum, zwei Fraunhofer–
Institute und die Max-Planck Forschergruppe „Optik, Information und Photonik“.
Die medizintechnische Bedeutung des Standortes Nürnberg-Erlangen hat – im Ge-
gensatz zu Regionen wie dem Ruhrgebiet – eine lange historische Tradition und ist
eng mit der mit der Standortpolitik der Siemens AG verknüpft. Bis 1949 war der
Stammsitz der beiden Siemenssparten ‚Siemens & Halske AG’ sowie ‚Siemens-
Schuckertwerke AG’ in Berlin, aufgrund der unsicheren politischen Lage (deutsche
Teilung, drohender Ost-West-Konflikt) wurden der Firmensitz von Siemens & Hals-
ke nach München (dem heutigen Hauptsitz der Siemens AG) und der Sitz der Sie-
mens-Schuckertwerke nach Erlangen verlagert. Als im Jahr 1966 die beiden Unter-
nehmen (und die Siemens-Reiniger-Werke AG) zur Siemens AG zusammengelegt
wurden, gehörte die medizinische Technik bereits zu einer von sechs Kernkompeten-
zen des Konzerns, dessen medizintechnisches Geschäft von Erlangen aus geführt
wurde (vgl. http://w4.siemens.de, 08.05.07). Die frühzeitige Ausrichtung der Region
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
219
auf die Medizintechnik hat dazu geführt, dass sich rund um den Global Player ein
Cluster aus KMU (vor allem IT-Dienstleiter) und Forschungseinrichtungen etablie-
ren konnte. Aus den Experteninterviews in der Region geht zudem hervor, dass gera-
de das historisch entwickelte Image als Medizintechnikstandort ein Vorteil bei der
Ansiedlung von Start-up-Unternehmen aus weiteren Branchensegmenten der Medi-
zintechnikindustrie (z.B. Lasertechnik für medizinische Anwendungen) war.78
Medizintechnik in Nürnberg-Erlangen: Struktur, Innovationsstrategien, Kooperati-
onsmuster und Zukunftsherausforderungen
In den beiden Fallstudien zu den Regionen Nürnberg-Erlangen und Ruhrgebiet wird
zum Teil auf die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zurückgegriffen, die im
Rahmen eines Forschungsprojektes in den Jahren 2005 bis 2007 durchgeführt wur-
de.79 Innerhalb der Projektlaufzeit wurde eine teilstandardisierte Befragung von 612
Medizintechnikunternehmen in vier deutschen Regionen (München, Nürnberg-
Erlangen, Aachen und Ruhrgebiet) vorgenommen. Ein gewisses Fragenkontingent
lässt sich für die vorliegende Untersuchung nutzen, um die regionalen Profile der
Medizintechnikstandorte im Hinblick auf die Fragestellung zu konkretisieren.
Das Medical Valley in Nürnberg-Erlangen umfasst eine Vielzahl medizintechnischer
Unternehmen mit Schwerpunkten in der Entwicklung von bildgebenden Verfahren,
Implantaten, medizintechnischer Werkstoffe, Optik, Sensorik und Audiologie.
55,5 % der medizintechnischen Unternehmen80 in Nürnberg-Erlangen haben weniger
als 20 Mitarbeiter, knapp über ein Fünftel beschäftigen zwischen 20 und 49 Mitarbei-
78 Zur Interdependenz zwischen Global Playern und regionalen Akteuren bzw. der Regionalentwick-lung vgl. auch die Beiträge in Mückenberger/Menzel (2002). Neben den Chancen für die Regional-entwicklung durch Großunternehmen (Anziehungseffekt) wird in der Literatur auch die Abhängigkeit politischer Akteure von Konzernentscheidungen beschrieben, als Beispiel dient hier die großbetrieb-lich organisierte Automobilindustrie – vgl. u.a. Blöcker/Walker (1994). 79 Die Verfasserin war Mitglied einer Forschergruppe, die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung das Projekt „Regionale Innovations- und Qualifizierungsstrategien in der Medizintechnik“ durchgeführt hat. Ziel war es, die sich wandelnden Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten in dieser Branche in den drei Bereichen – duale Ausbildung, Hochschulausbildung und Weiterbildung – zu untersuchen und regionale Strategien herauszuarbeiten, die unter dem Gesichtspunkt Erhalt und Aus-bau der Innovationsfähigkeit von Bedeutung sein könnten. 80 Die Aussagen zu den Unternehmen in den Regionen sind unter Einschränkungen auszuwerten, da sie sich nur auf die Unternehmen beziehen, die bei der Befragung mit einen ausgefüllten und gültigen Fragebogen geantwortet haben.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
220
ter, ebenso viele zählen zu den mittelständischen Betrieben mit 50 bis 499 Beschäf-
tigten.
Abbildung 21: Geschäftstätigkeit der Unternehmen in Nürnberg-Erlangen im Jahr 2006 (Angaben in %)
33,3
11,111,1
44,4
Dienstleister Zulieferer Handel Hersteller Quelle: eigene Erhebung im Rahmen des Forschungsprojektes „Regionale Innovations- und Qualifi-zierungsstrategien in der Medizintechnik“.
Nach der Geschäftstätigkeit sind 44,4 % den medizintechnischen Herstellern (teils in
Verbindung mit Zulieferung und Vertrieb) zuzuordnen. Ein Drittel sind reine
Dienstleister für die Branche und jeweils 11,1 % betreiben medizintechnischen Han-
del und sind Zulieferer des Industriesektors (vgl. Abb. 21).
Betrachtet man die Qualifikationsstruktur des Personals zeigt sich eine überdurch-
schnittliche Beschäftigung von Akademikern: Ein Drittel der Unternehmen hat mehr
als 71 % ihres Personalbestandes mit Hochschulabsolventen besetzt. Dieses Ergebnis
korreliert mit den Angaben zu den Personalanteilen im Bereich Forschung und Ent-
wicklung – unter der Annahme, dass überwiegend Akademiker mit diesen Tätigkei-
ten betraut sind81 – : Lediglich 22,2 % der Unternehmen betreiben keine eigene FuE.
Dies ist im Vergleich zu den nicht selbst forschenden Unternehmen im Ruhrgebiet
(67,7 %) ein Indikator für die technologische Leistungsfähigkeit der fränkischen Re-
gion. Mehr als 55 % der Unternehmen haben bis zu einem Fünftel ihres gesamten
Personals in FuE, 11 % sogar mehr als 71 %. Die These vom medizintechnischen 81 Die Annahme wird getragen durch die Berufsgruppen in FuE, die von den Unternehmen genannt wurden, demnach werden die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten vorwiegend von Akademi-kern aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften ausgeübt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
221
Forschungsstandort Nürnberg-Erlangen in Kombination mit den hohen Personalbe-
ständen in FuE kann auch dadurch untermauert werden, dass zwei Drittel der Unter-
nehmen kein Personal in der Produktion beschäftigen. Allgemein lässt sich feststel-
len, dass die regionalen Unternehmen auf Wachstum setzen, vor allem bei der Be-
schäftigung: 77,8% wollen ihren Personalbestand in den nächsten zwei Jahren erhö-
hen und dabei vor allem Akademiker einstellen.
Eine Reihe von neuen Anforderungen wird die zukünftige Entwicklung der Branche
hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit bestimmen. Aus einer Vielzahl von Faktoren
die als Zukunftsherausforderungen erachtet werden können, werden acht ausgewählt
und nach deren Bedeutung für die Branche als auch für das Unternehmen gefragt,
dabei erfolgt zwischen den Antwortvorgaben auf einer Skala von ‚keine’ über ‚ge-
ring’, ‚mittel’ und ‚hoch’ bis ‚sehr hoch’ eine Einschätzung.
1. Bedeutung von hochtechnologischen Entwicklungen (Produktinnovationen):
Alle Unternehmen messen hochtechnologischen Produktinnovationen eine
hohe bis sehr hohe Bedeutung für die Gesamtbranche bei, gut 55 % geben die
gleiche Bewertung auch für ihr Unternehmen ab. Ein Fünftel der Medizin-
technikunternehmen sieht keine Bedeutung für die eigene Zukunft.
2. Bedeutung des Einsatzes neuer Verfahrenstechnologien (Prozessinnovatio-
nen):
89 % der Medizintechnikunternehmen schätzen die Bedeutung von Prozess-
innovationen für die Branche als hoch bis sehr hoch ein, aber nur ein Drittel
kann dies auch für das eigene Unternehmen bestätigen (hierbei messen
55,5 % der Unternehmen dieser Entwicklung eher eine mittlere bis geringe
Bedeutung bei). 11,1 % sehen keine Bedeutung in neuen Verfahrenstechnolo-
gien.
3. Bedeutung einer Verkürzung der Produktzyklen:
Für die Branche sehen 44 % der Unternehmen eher eine mittlere Bedeutung
(ein Drittel hoch bis sehr hoch), für ihr eigenes Unternehmen schätzen 44 %
eine Verkürzung der Produktzyklen als hochgradig bedeutsam ein (hoch bis
sehr hoch); wiederum ein Drittel als gar nicht relevant für die Unternehmens-
zukunft.
4. Bedeutung der Entwicklung, dass Innovationen zu neuen Aufgabenfeldern
führen:
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
222
Nahezu 78 % der Unternehmen sehen für ihren Betrieb selbst und noch zwei
Drittel für die Branche eine hohe bzw. sehr hohe Bedeutung von neuen Auf-
gabenfeldern durch Innovationen.
5. Bedeutung neuer Vermarktungsstrategien und Netzwerkbildung:
77,7 % der regionalen Unternehmen sehen als Zukunftsanforderung (mit ei-
ner hohen bis sehr hohen Bewertung) die Aspekte neuer Vermarktungsstrate-
gien und Netzwerkbildung sowohl für die Branche insgesamt als auch für ihr
Unternehmen, lediglich 11 % messen der möglichen Entwicklung eine gerin-
ge Bedeutung zu.
6. Bedeutung einer potenziellen Entwicklung, dass der Preiswettbewerb die
Qualität verdrängt:
Zwei Drittel der Unternehmen sehen diese Entwicklung für die Branche (ho-
he bis sehr hohe Bedeutung), 55 % für ihr Unternehmen. 45 % der Medizin-
technikunternehmen messen diesem Aspekt eine geringe bis keine Bedeutung
für ihr Unternehmen bei.
7. Bedeutung der Themas Abhängigkeit der Medizintechnik von den Entwick-
lungen im Gesundheitswesen:
Zwei Drittel der Unternehmen messen dieser Abhängigkeit eine hohe bis sehr
hohe Bedeutung bei, sowohl für die Branche als auch für ihr Unternehmen.
22,2 % sehen eine geringe Abhängigkeit für ihr Unternehmen.
8. Bedeutung einer Zunahme des internationalen Wettbewerbs:
44 % schätzen die Zunahme des Wettbewerbs für die Branche mit hoch bis
sehr hoch ein, für die Unternehmen selbst wird eher eine mittlere bis geringe
Bedeutung dieser möglichen Entwicklung zugesprochen.
Für die Entstehung neuer Aufgabenfelder in den Unternehmen kann man – den Be-
fragungsergebnissen nach zu urteilen – auf zukünftige Expansionstätigkeiten der
Nürnberg-Erlanger Unternehmen schließen, mehr als die Hälfte (55,6 %) der Medi-
zintechnikunternehmen sehen den Einsatz bzw. die Entwicklung neuer Produkte als
sehr bedeutsam bei der Entstehung neuer Aufgabenfelder an, ebenso steht es um die
Bedeutung der Entwicklung gänzlich neuer Geschäftsbereiche, die von 55,6 % als
hoch eingeschätzt werden. Etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen misst dem
Einsatz bzw. der Entwicklung neuer Dienstleistungsangebote eine mittlere bis gerin-
ge Bedeutung zu. Für die Entstehung neuer Aufgabenfelder werden neue Fertigungs-
bzw. Verfahrenstechnologien in ihrer Bedeutung als gering bis überhaupt nicht be-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
223
deutsam für die Unternehmen eingeschätzt (bspw. bei Münchener Unternehmen ganz
anders: die Mehrheit sieht eine mittlere bis sehr hohe Bedeutung). Die Bedeutung
einer Vernetzung von Funktionen wird von zwei Dritteln als mittel bis hoch für neue
Aufgabenfelder eingestuft. 55,5 % der Unternehmen setzen eine mittlere bis hohe
Priorität des Themas ‚Ausweitung interner FuE’, 22,2 % sehen eher eine geringe
Bedeutung und ebenfalls ein gutes Fünftel gar keine für die zukünftige Gestaltung
neuer Aufgaben. Dabei sind es eher die Unternehmen mit 20 bis 49 Beschäftigten
und 250 bis 499 Mitarbeitern, die im Beschäftigtengrößenklassenvergleich interne
FuE bei der Gestaltung neuer Aufgabenfelder als hoch bewerten.
Der Wissenstransfer zwischen Herstellern und Anwendern (Kliniken, Arztpraxen,
andere Abnehmergruppen) stellt für die regionalen Unternehmen in Nürnberg-
Erlangen in der Mehrheit eine Strategie dar, sich auf die technischen und organisato-
rischen Wandlungsprozesse der Branche einzustellen (durchschnittlich 66,7 % der
Unternehmen). Zu erkennen ist, dass besonders kleine Unternehmen bis 20 Mitarbei-
ter diesen Austausch als wichtige Strategie für sich bewerten (100 % der Unterneh-
men dieser Größenklassen). Ein Fünftel setzt zudem auf den persönlichen Wissens-
austausch auf Branchenebene – Netzwerkbildung und Kooperationen häufig infor-
meller Art sind ein Thema um Wissen zu aggregieren. Dabei ist es vor allem die Be-
ziehung zu den Anwendern – die letztlich als Kunden der Medizintechnikhersteller
fungieren –, die als entscheidend für die Unternehmen gesehen wird.
88,9 % (!) der Medizintechnikunternehmen in der Region sind in ein Netzwerk bzw.
Forschungsverbund eingebunden. Diese starke Kooperationsneigung ist durch alle
Beschäftigtengrößenklassen konstant erkennbar (vgl. auch Interviews VII, VIII, XI).
Bei differenzierter Betrachtung nach der Art der Einbindung ergibt sich folgende
Aufstellung:
• 62,5 % der Unternehmen nutzen eine Kommunikationsplattform bzw. ein re-
gionales Netzwerk (z.B.: Forum MedTech Pharma e.V.);
• 50 % der Unternehmen haben eine Kooperation in einem Unternehmens-
netzwerk entlang der Wertschöpfungskette;
• 50 % der Unternehmen kooperieren mit Forschungsinstituten (z.B.: Fraunho-
fer Institute);
• 50 % betreiben in Verbindung mit einem Krankenhaus klinische Forschung;
• 37,5 % haben eine Forschungskooperation mit Kliniken bzw. Anwendern
bspw. auf dem Gebiet ergonomische Produktgestaltung;
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
224
• 37,5 % arbeiten mit Hochschulen im Bereich Forschung und Entwicklung zu-
sammen; diese Art der FuE-Kooperation gilt besonders für Unternehmen mit
20 bis 49 Beschäftigten und für Betriebe mit 250 und mehr Mitarbeitern;
• 37,5 % der Unternehmen setzen auf Kooperationen zu Hochschulen unter
dem Aspekt der Qualifizierung.
Im Rahmen der Debatte um die Wissensgesellschaft und die Bedeutung von implizi-
tem und explizitem Wissen (vgl. Kap. 4) erscheint die Frage interessant wie der
Transfer von Wissen aus der Forschung in die regionalen Unternehmen gelingt.
87,5 % der Nürnberg-Erlanger Unternehmen setzten auf informelle persönliche Kon-
takte zu Hochschulakteuren bzw. Forschungseinrichtungen. Dieses Ergebnis ist un-
abhängig von der Unternehmensgröße. Je 37,5 % erweitern ihre Wissensbestände
durch die Teilnahme an Fachtagungen und durch Verbundprojekte. Jeweils ein Vier-
tel nutzt wissenschaftliche Publikationen, ist Mitglied in einem regionalen Netzwerk
/ Kommunikationsplattform oder nutzt diese Institutionen zur Wissensbeschaffung.
25 % der Unternehmen haben eine eigene FuE-Abteilung, ebenso viele nehmen an
fachbezogenen Arbeitskreisen teil.
5.1.3 Innovationspolitische Maßnahmen82 und Governance durch Netzwerkaktivitä-
ten zur Unterstützung der Medizintechnikbranche in Nürnberg-Erlangen
In diesem Kapitel sollen die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
aufgezeigt werden die die Entwicklung der Medizintechnikbranche am Standort
Nürnberg-Erlangen maßgeblich begleiten. Ausgehend von einem Blick auf die baye-
rische Technologie- und Innovationsförderung (High-Tech-Offensive und Allianz
Bayern Innovativ mit dem Cluster Medizintechnik) werden im Anschluss die Steue-
rung und Koordination in zwei medizintechnischen Netzwerken, Forum MedTech
Pharma e.V. (Sitz: Nürnberg – landesweit/regional) und Kompetenzinitiative Medi-
zin-Pharma-Gesundheit (Sitz: Erlangen – lokal/regional), untersucht.
Die Jahrzehnte industriepolitisch geprägte und zentralistisch gesteuerte Technologie-
und Innovationspolitik in Bayern setzt sich auch in den 1990er Jahren mit neuen 82 Innovationspolitische Programme und Instrumente beinhalten in der Umsetzung auch strukturpoli-tische Elemente und Wirtschaftsfördermaßnahmen oder überschneiden sich mit diesen, so dass es in der Darstellung keine klare Abgrenzung gibt – Ziel ist es, einen Überblick über die Instrumente staat-licher Fördermaßnahmen unter Berücksichtung der regionalen Ebene und der Branchenebene zu ge-ben.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
225
Schlagworten fort: Innovation, Cluster und Parolen wie Stärken stärken prägen von
nun an die politischen Debatten und unterstreichen die wachstumsorientierte Aus-
richtung der Innovationspolitik. Der Erlös aus dem Verkauf von landeseigenen Un-
ternehmensanteilen wurde in Programme zur Technologie-, Investitions- und Förder-
politik investiert, von denen die High-Tech-Offensive (HTO) seit 1999 im Rahmen
des Programms Offensive Zukunft Bayern III im Hinblick auf innovationspolitische
Maßnahmen eine besondere Stellung einnimmt (Nachfolger ist seit 2006 die Allianz
Bayern Innovativ). Ein entscheidendes Merkmal der bayerischen Technologie- und
Innovationspolitik ist der sukzessive Ausbau und die Vernetzung innerhalb gewach-
sener Cluster oder Branchenschwerpunkte, die schon frühzeitig in den 1970er Jahren
u.a. durch regionale Maßnahmen befördert wurden (vgl. Berger 2005). Damit bestä-
tigt sich in Bayern anschaulich eine – nach Dosi (1988) – Entwicklung entlang von
Trajektorien, die durch die relativ spezifische Ausrichtung auf einzelne technologi-
sche Zukunftsfelder von politischer Seite begleitet wird (wobei der Einfluss staatli-
cher Technologiepolitik in Dosis Ansatz keine Beachtung findet). Kernpunkte der
bayerischen Forschungs- und Technologiepolitik seit Mitte der 90er Jahre lassen sich
mit den Stichworten Identifizierung (von technologischen Zukunftstrends), Aufbau
(einer leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur), Vernetzung (Wissenschaft-
Industrie, Technologieangebot und –nachfrage) und Unterstützung [für technologie-
orientierte Existenzgründungen (BayTOU) und konkrete Forschungs- und Entwick-
lungsprojekte (BayTP – Bayerisches Technologieförderungs-Programm oder BFS –
Bayerische Forschungsstiftung)] charakterisieren. Die Thematik der Vernetzung von
Wissenschaft und Industrie war schon vor mehr als zehn Jahren Bestandteil der poli-
tischen Bestrebungen und führte schließlich zur Gründung der Bayern Innovativ
GmbH mit Sitz in Nürnberg. Die Gesellschaft soll die einzelnen Akteure des bayeri-
schen Technologie-Transfer-Verbundes (dies sind die Transferstellen an den Hoch-
schulen, Technologie-Transfer-Beauftrage bei den Kammern der gewerblichen Wirt-
schaft und der Landesgewerbeanstalt Bayern sowie das Ostbayerische-Technologie-
Transfer-Institut in Regensburg und zahlreiche Anwenderzentren) vernetzen und als
branchenübergreifende Technologie-Transfereinrichtung kundenorientierte Lösungen
für eine effektive Kooperationskultur zwischen Wissenschaft und Wirtschaft schaf-
fen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 flossen allein bis 2003 51 Mio. Euro aus den
Privatisierungsmitteln des bayerischen Staates in die Gesellschaft. Bayern Innovativ
vereint unter ihrem Dach Kooperationsplattformen und Netzwerkinitiativen für zehn
in Bayern bedeutsame Wirtschaftsbranchen in Verbindung mit zehn Zukunftstechno-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
226
logien (vgl. Matrix in Abb. 22). Damit eröffnen sich für die Akteure der einzelnen
Wirtschaftsbranchen Möglichkeiten zur Etablierung von Querschnitttechnologien
und originär Branchen untypischen Technologien.
Abbildung 22: Tätigkeitsfelder der Bayern Innovativ
Quelle: http://www.bayern-innovativ.de/wir/felder/, 05.04.07.
Die Plattformen ermöglichen durch ein breites Angebot an Symposien und Kongres-
sen, One-on-One-Kooperationstreffen, Gemeinschaftsständen auf internationalen
Hightech-Messen sowie individuellen Technologie-Transfer-Projekten und den in-
ternationalen Transfer eine brancheninterne aber auch -übergreifende Kooperations-
kultur. Zudem steht ebenso der Transfer neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse
aus der Forschung in die Industrie im Vordergrund. Der Geschäftsbereich BayTech
bietet Dienstleistungen im Projektmanagement für Hochschul-Industrie-
Kooperationen an. Seit dem Start der Allianz Bayern Innovativ im Jahr 2006 ist die
Gesellschaft für das Management der folgenden Cluster zuständig: Automotiv, Ener-
gietechnik, Logistik, Neue Werkstoffe und Medizintechnik83.
Schlüsseltechnologien auf die sich die bayerische Technologieförderung im Rahmen
der High-Tech-Offensive konzentriert sind: Life Sciences, Informations- und Kom-
munikationstechnologie, Neue Materialien, Umwelttechnik und Mechatronik. Diese
werden innerhalb von Projekten der HTO mit 1,35 Mrd. Euro gefördert. Die HTO
83 Das Cluster Medizintechnik wird vom Forum MedTech-Pharma e.V. geleitet, die Geschäfte des Vereins werden aber von der Bayern Innovativ GmbH geführt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
227
besteht aus vier Säulen, wobei der Ausbau von High-Tech-Zentren das größte Fi-
nanzvolumen hat, 663,6 Mio. Euro (vgl. Tab. 43). Mit den neun staatlichen Universi-
täten, 17 Fachhochschulen, zwölf Max-Planck-Instituten, drei Helmholtz Zentren
sowie zehn Fraunhofer Instituten und fünf ‚blaue Liste’-Forschungseinrichtungen ist
in Bayern eine breite Forschungsbasis angelegt, die durch die Errichtung von High-
Tech-Zentren ergänzt und ausgebaut wird. Dabei besitzt jeder Hochschulstandort
spezifisches Know-how in den einzelnen Schlüsseltechnologien: So wurden in der
Forschungsfabrik Nürnberg Kompetenzzentren für Netzzugangstechnik und optische
Kommunikationstechnik (Schlüsseltechnologie IuK) etabliert, die alle an das örtliche
Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen oder an einen Lehrstuhl der Friedrich-
Alexander-Universität angeschlossen sind – damit wird auch der stetige Wissens-
transfer zwischen Wissenschaft und Praxis unterstützt.
Während sich die High-Tech-Förderung durch die HTO in der Region München
stärker auf Projekte, Institute und Zentren der Biotechnologie konzentriert84, wird die
Region Nürnberg-Erlangen in erster Linie als Standort für medizintechnische For-
schung, Entwicklung und Produktion hervorgehoben. Aus Mitteln der HTO wurden
die folgenden Institutionen errichtet:
• Institut für Medizintechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-
Nürnberg,
• medizintechnisches Innovations- und Gründerzentrum (IZMP),
• Seed-Capital-Fonds für innovative Existenzgründer in der Medizintechnik,
• Neubau für innovative strahlentherapeutische Großgeräte an der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
• des Weiteren werden medizintechnische Leitprojekte unter industrieller Füh-
rung (BayMED) finanziert.
Durch die Finanzierung von Regionalkonzepten werden konkrete Innovationsprojek-
te in den sieben Regierungsbezirken durchgeführt. Damit haben die Akteure der stark
wachstumsorientierten Innovationspolitik ein regionale Disparitäten ausgleichendes
Instrument beigesteuert. In Mittelfranken haben beispielsweise wissenschaftliche
Institutionen mit einem Industrieunternehmen gemeinsam Getriebe entwickelt, zum
84 Dennoch lässt sich in den letzten zehn Jahren eine Entwicklung beobachten, dass Akteure aus der Region München zwar vornehmlich auf die Biotechnologiebranche setzen, aber ebenso das Augen-merk auf die Medizintechnik gelegt haben. Mittlerweile haben sich zahlreiche Medizintechnikherstel-ler vor allem im Münchener Umland angesiedelt und eine Vielzahl an privaten und öffentlichen For-schungsinstitutionen (z.B. Zentralinstitut für Medizintechnik an der TU München, General Electric Global Research Center Europe - Schwerpunkt u.a. Medizintechnik - in Garching/Campus der TU München) schafft die Verknüpfung von Bio- und Medizintechnologie.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
228
Patent angemeldet und als Systemkomponenten an die Automobilindustrie, die Me-
dizintechnik- und Telekommunikationsbranche geliefert.
Als dritte Säule stehen neben den Qualifizierungsprogrammen vor allem im Bereich
IuK-Technologien an Schulen und Hochschulen Programme für Existenzgründer zur
Verfügung. Für die Untersuchungsregion seien der Businessplan-Wettbewerb Nord-
bayern und die Forschungsfabrik Nürnberg zu nennen. Die bayerische Technologie-
und Innovationspolitik legt neben den genannten Maßnahmen als vierte Säule einen
Schwerpunkt auf die Internationalisierung der High-Tech-Cluster. Insbesondere
durch das Projekt High-Tech-International werden durch weltweite Kontakte, Dele-
gationsreisen und Messeauftritte globale Investoren und Unternehmen angeworben
wie auch die internationalen Handelsbeziehungen bayerischer Unternehmen forciert
(z.B: mit Staaten in Zentral- und Osteuropa).
229
Regionale Entw
icklungspotenziale durch Medizintechnik
Tabelle 43: Die vier Säulen der High-Tech-Offensive Bayern
Säule 1 High-Tech-Zentren (663,6 Mio. Euro)
Säule 2 Regionalkonzepte (179 Mio. Euro)
Säule 3 Landesweites Qualifizierungs-, Exis-tenzgründungs- u. Technologieinfra-
strukturprogramm (267,4 Mio. Euro)
Säule 4 Internationalisierung der HTO
(65,5 Mio. Euro)
1. Life Science: Forschungsnetzwerk Biomedizin Würz-burg/Erlangen/Bayreuth BioRegio Regensburg Weihenstephan/Straubing „grüne Biotech“ Martinsried „rote Biotech“ 2. Informations- und Kommunikations-technologie: Angewandte Informatik Passau Forschungsnetzwerk Nordbayern Kompetenzzentren IuK-Regionen Nürn-berg/Garching/Augsburg Software Offensive Bayern 3. Neue Materialien: Forschungsnetzwerk Erlan-gen/Bayreuth/Nürnberg Neutronenquelle Garching 4. Umwelttechnik Augsburg/Schwaben 5. Mechatronik
in den sieben bayerischen Regierungsbezirken u.a. für Technolo-gie-, Kompetenz- und Gründerzentren als auch spezifische Forschungsaktivitäten
1. Schulische und berufliche Qualifizie-rung, Technologieinfrastruktur u.a.: Virtuelle Hochschule Förderung des IuK-Einsatzes an Schulen eGovernment Standortrelevante Investitionen in neue Energietechnologien 2. Anreize zur Gründung von High- Tech-Unternehmen u.a.: Businessplan-Wettbewerbe Gründernetzwerk Bayern Bayerisches Hochschulpatentkonzept Aufstockung der Bayern Kapital Risikokapitalbeteiligungsgesellschaft
Internationalisierung der Hochschulen u.a.: bayerisch-kalifornische Hochschulzu-sammenarbeit (Fonds) High-Tech-International Außenwirtschaftszentrum Bayern in Nürnberg
Quelle: Bayerisches Staatskanzlei 2006; eigene Darstellung
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
230
Mit der Allianz Bayern Innovativ wird die Technologie- und Innovationspolitik der
letzten 15 Jahre konsequent durch den branchen- und kompetenzfeldorientierten An-
satz der Clusteroffensive fortgeführt. Anders als ihr Vorgängerprogramm HTO, das
noch in der Tradition einer breiter angelegten Wirtschaftsförderung stand (4 Säulen),
hat die Allianz die Entwicklung in 19 spezifische Clustern85 zum Ziel. Insgesamt soll
in diesen Clustern eine Bayernweite Netzwerkbildung zwischen Hochschulen, Un-
ternehmen, Forschungseinrichtungen, Dienstleistern und Kapitalgebern forciert wer-
den. Die bayerische Regierung hat insgesamt 50 Mio. Euro für die Finanzierung in
den ersten fünf Jahren veranschlagt. Stärker als bislang steht der Aspekt der Netz-
werkbildung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft – neben der Innovationsförde-
rung – im Mittelpunkt der politischen Strategie. Die Charakteristika des Cluster-
begriffs im hiesigen Akteurverständnis werden dabei wie folgt verstanden:
„regionale und überregionale Zusammenarbeit von Betrieben einer Branche oder eines
Kompetenzbereichs, qualifizierte Mitarbeiter, renommierte Hochschulen und For-
schungseinrichtungen, kompetente Zulieferer und Dienstleister, anspruchsvolle An-
wender, ausgeprägte Gründerdynamik, Verfügbarkeit von Kapital, kurze und schnelle
Wege durch erstklassige IT- und Verkehrsinfrastruktur sowie ein wirtschafts- und
technologiefreundliches Klima“ (STMWIVT Bayern 2006, 8).
Wurden bislang den strukturschwachen, ländlichen Regionen Bayerns in der Techno-
logie- und Innovationspolitik wenig Beachtung geschenkt, so soll mit Hilfe der
Clusterstrategie allen Unternehmen landesweit der Zugang zu wissenschaftlichen
Forschungseinrichtungen und Hochschulen wie auch zu unternehmerischen Koopera-
tionspartnern ermöglicht werden. Ziel ist es, die gegeben Standortnachteile, die au-
ßerhalb der wenigen bayerischen Ballungszentren bestehen auszugleichen (z.B. die
strukturelle Zweiteilung Mittelfrankens, vgl. Kap. 5.1.1) sowie die regionalen Einzel-
initiativen unter dem Dach des jeweiligen Clustermanagements zu bündeln. Neben
der Clusterpolitik sollen durch den Regionalmanagementansatz aus der Landespla-
85 Die landesweiten Cluster mit regionalen Schwerpunkten lassen sich in drei Typen klassifizieren: 1. High-Tech-Cluster: Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt, Satellitennavigation, Informations- und Kommunikationstechnologie, Umwelttechnologie, Medizintechnik; 2. Produktionsorientierte Cluster: Automotive, Chemie, Sensorik und Leistungselektronik, Ernährung, Forst und Holz, Finanzdienstleis-tungen, Medien, Energietechnik, Bahntechnik, Logistik; 3. Querschnittstechnologien: Nanotechnolo-gie, Mechatronik und Automation sowie Neue Werkstoffe die branchenübergreifend von Interesse sind, sich aber häufig noch im Stadium der Grundlagenforschung befinden (Überblick in STMWIVT Bayern 2006a)
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
231
nung86 die vorhanden endogenen Potenziale der bayerischen Regionen gestärkt wer-
den, dies findet Branchenübergeifend statt.
Abbildung 23: Struktur der Allianz Bayern Innovativ
Quelle: STMWIVT Bayern 2006a, 8.
5.1.3.1 Regional Governance durch Netzwerkinitiativen
Die Wiederentdeckung der Region als politische Handlungseinheit hat auch zur Fol-
ge, dass aufgrund makroökonomischer Trends die traditionellen Instrumente regiona-
ler Wirtschaftsförderung (u.a. Fördermittelvergabe, Ansiedlungsmaßnahmen) nicht
mehr als ausreichend empfunden werden und „Netzwerke als Vehikel“ (Genosko
1999, 99) der Regionalpolitik seit den 90er Jahren an Beachtung gewonnen haben. „Another development concerns the gradual transition of modern societies toward net-work societies, with high degree of interaction between nodal centres in such networks. Such networks are not only related to physical infrastructures, but also to organiza-tional and data/knowledge interactions. Such networks generate high synergetic effects based on actor dependency and use a combination of both economies of scope and scale in nodal centres linked via efficient multi-nodal corridors. Networks are increas-ingly seen as vehicles par excellence in a global economy” (Nijkamp 1994, 343f).
86 Unter Regionalmanagement wird in der bayerischen Landesplanung Folgendes verstanden: „Pro-zeßhafte Umsetzung von Projekten aus unterschiedlichen Fachbereichen auf Grundlage der landespla-nerischen Programme, Pläne und Entwicklungskonzepte“ (http://www.ropf.bayern.de, 05.04.07). Das Bewusstsein regionaler Potenziale soll durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit und Marketingmaß-nahmen vermittelt und in konkrete und zielführende Projekte umgesetzt werden. Dabei sollen die geförderten Initiativen selbständig vorgehen, Aufgabe der Regierung ist die Bewilligung von Förder-mitteln und thematische Beratung der Projektträger.
Allianz Bayern Innovativ
Clusteroffensive Bayern
Regionale Netz-werkbildung
Regional-initiative
Regional-initiative
Regional-initiative
Regionale Themen
1. Säule 2. Säule
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
232
Interorganisations-Netzwerke stoßen als Governance-Formen auf zunehmendes Inte-
resse der Akteure inner- und außerhalb der Medizintechnikbranche. Die regionale
Kompetenzbündelung der Branche spielt gerade in Bezug auf Netzwerkstrukturen
eine herausragende Rolle. Mit Innovationsnetzwerken und mit der teilsystemüber-
greifenden Einrichtung von Policy-Netzwerken wird der Versuch unternommen,
neuartige Konzepte des regionalen Standortmanagements zu etablieren. Eine klare
Trennung der Netzwerktypen ist allerdings kaum möglich. Die Empirie bestätigt,
dass regionale Netzwerke häufig mit innovativen Strukturen verbunden sind oder
politische Akteure am Netzwerkbildungsprozess beteiligt sind. Die Governance-
Form ‚Netzwerk’ muss folglich als Konzept im Ganzen betrachtet werden. Im Fol-
genden werden die Ziele und Instrumente zweier unterschiedlicher Netzwerkinitiati-
ven untersucht. Ein Schwerpunkt liegt auf der Analyse von FuE-
Kooperationsmustern in der Region und welche Möglichkeiten der Vermittlung
durch die Netzwerkakteure bzw. das Netzwerkmanagement bestehen.87
Forum MedTech Pharma e.V.
Die Gründung des Forum MedTech Pharma im Jahr 1998 geht zum Teil auf Hand-
lungsempfehlungen der 1997 erschienen Studie zur Medizintechnik in Bayern88 zu-
rück. Als gemeinnütziger Verein ist das Forum Teil der Bayern Innovativ GmbH und
fungiert als Ansprechpartner und Informationsplattform für Akteure aus den Bran-
chen Medizintechnik und Pharma in ganz Bayern. Mit Sitz in Nürnberg in direkter
Nähe zum „Medical Valley“ Erlangen wird die starke Stellung der Medizintechnik-
region innerhalb Bayerns betont. Thematisch konzentriert sich der Verein im Jahr
2007 auf die Disziplinen: Fachgruppen für Biomaterialien, Telemedizin, minimalin-
vasive Medizin/Technologien und Pharma sowie Themenreihen zu Diagnostics und
Strukturwandel/Gesundheitswesen (Letzteres bezieht sich auf die Auswirkungen
sozialpolitischer Entwicklungen auf die medizinische Versorgung: Einführung der
DRGs, Integrierte Versorgung, Innovationshemmnisse im Gesundheitswesen etc.).
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Einzelthemen. Das Forum stellt eine Infor-
87 Neben den angegebenen Quellen stützen sich die Ausführungen auf Experteninterviews mit Netz-werkakteuren des Forum MedTech Pharma e.V. und der Kompetenzinitiative Medizin-Pharma-Gesundheit, die im September 2006 geführt wurden (vgl. Interviews VII, VII, XI). 88 Die „Studie zur Medizintechnik in Bayern, deren wirtschaftsrelevantem FuE-Potenzial sowie ab-schätzbarer Entwicklungen“ (1997) die im Auftrag des Staatsministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie von einem Unternehmensberaterkonsortium (Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, Roland Berger & Partner GmbH) und der Fraunhofer Management GmbH erstellt wurde, zählt zu den ersten Analysen über die wirtschaftlichen Potenziale und Wachstumsaussichten der Medizintechnik-branche in Bayern.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
233
mationsplattform dar, die Transparenz in die Entwicklung der Branchen bringen
möchte, wissenschaftliche Forschung auch für KMU zugänglich macht, eine Kom-
munikations- und Kooperationskultur etablieren möchte (‚gesteuerter Zufall’; über
die zahlreichen Angebote an fachlichen Foren und Symposien die Akteure zusam-
menbringen) und damit die Wachstumspotenziale der Medizintechnik fördern möch-
te. Strukturell handelt es sich um zentralisiertes (Netzwerkmanagement als Service-
Zentrum), aber nicht-hierarchisches Netzwerk mit vorwiegend bi- aber auch multila-
teralen Austauschbeziehungen.
Hinsichtlich der Mitglieder hat es eine Entwicklung von der vormals rein regionalen
hin zur internationalen Ebene gegeben: Beschränkte sich die Netzwerkreichweite in
den ersten Jahren auf bayerische Unternehmen (auch im Jahr 2006 noch 70% der
Mitglieder), erweiterte sich der Kreis in den Folgejahren auf das gesamte Bundesge-
biet (in 2006: 25% der Mitglieder) und seit 2003 ist das Forum auch für internationa-
le Unternehmen von Interesse (5% der Mitglieder). Entsprechend der Branchenstruk-
tur ergibt sich auch für die 536 Mitglieder eine repräsentative Marktverteilung mit
einem Überhang an kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Segment hochwer-
tiger Technologien und zum Teil spitzentechnologischer Produkte. Das medizintech-
nische Handwerk spielt bislang keine Rolle – dies kann sich aber durch die Beteili-
gung der Kammern an der Clusteroffensive Medizintechnik in Zukunft anders gestal-
ten. Die Mitglieder lassen sich wie folgt aufteilen:
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
234
Abbildung 24: Mitgliederstruktur des Forum MedTech Pharma e.V.
Quelle: eigene Darstellung.
Die wichtigsten Instrumente des Forums sind – neben den erwähnten Fachgruppen –
Diskussionsforen und kleine, thematisch fokussierte Fachtagungen und Symposien,
die auch zum Wissenstransfer aus der Forschung in die Praxis dienen – begleitet
werden die Treffen durch Fachausstellungen von Unternehmen aus dem jeweils ak-
tuellen Themenbereich. Messebeteiligungen im In- und Ausland sowie branchenspe-
zifische Delegationsreisen u.a. nach Quebec zählen ebenso zum Angebot. Letztes
wird von Bayern International und BayFOR (Bayerische Forschungsallianz) organi-
siert und über die Bayern Innovativ GmbH an die Branchennetzwerke weiter getra-
gen. Die Verknüpfung der in der HTO etablierten Einrichtungen ist wesentlicher
Bestandteil der bayerischen Technologie-, Wirtschafts- und Innovationspolitik. Hin-
zu kommen Beratungstätigkeiten bei der Erschließung ausländischer Märkte und die
traditionelle Fördermittelakquisition.
Für diese Untersuchung von besonderem Interesse ist das branchenübergreifende
Instrument der International One-on-One Cooperation Events für die Medizintech-
nik, Pharma und Biotechnologie. Dieser Ansatz wurde von der Bayern Innovativ
GmbH entwickelt und kommt bei allen angeschlossenen Netzwerken zum Einsatz.
Das Forum MedTech Pharma bietet seinen Mitgliedern eine Datenbank mit Unter-
nehmen, Forschungseinrichtungen, Kliniken und Dienstleistern an, in der jedes inte-
60% 16%
11% 5% 3% 5%
Unternehmen aus Medizintechnik und PharmaKliniken und ÄrzteForschungsinstitute und HochschulenVereinigungen und VerbändePatent-/RechtsanwälteSonstige (branchenfremde Akteure u.a. Unternehmen)
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
235
ressierte Unternehmen sein Profil und die gewünschten Kooperationspartner bzw.
technologischen Interessen eintragen kann. Das Netzwerkmanagement wertet die
Einträge aus und stellt – in Rücksprache mit den Unternehmen – für die regelmäßig
stattfindenden Events für jede Institution bis zu 15 vorterminierte Kooperationsge-
spräche (Dauer ca. 15-30 Minuten) zusammen. Wesentliche Voraussetzung für das
Funktionieren eines derartigen Angebotes ist eine ‚kritische Masse’ an Teilnehmern
(ab ca. 100 Unternehmen). Augrund des hohen Zulaufs (ca. 200 bis 250 Unterneh-
men pro Event) gestalten sich die strukturierten Gespräche als effektiveres Instru-
ment zur Förderung von Kooperationen als dies Kontakte auf Messen oder Tagungen
leisten können. Vorherrschend sind Unternehmenskooperationen im Bereich Ver-
marktung/Vertrieb (u.a. auf ausländischen Märkten) und in der Zulieferung. Dennoch
zeigt sich in den letzten Jahren ein Mentalitätswandel hinsichtlich der Bedeutung von
Wissenschafts-Unternehmenskooperationen im Bereich Forschung und Entwicklung.
Sind die anwendungsorientierten Forschungskooperationen zwischen Medizintech-
nikunternehmen und z.B. den Fraunhofer Instituten seit Jahren eine erfolgreiche Art
bei konkreten wissenschaftlichen Fragstellungen zu kooperieren (wobei häufig die
Initiative von den Forschungsinstituten ausgeht, die mit spezifischen Themen an Un-
ternehmen herantreten), so nähern sich nun auch Universitäten und Unternehmen
nach langer Zeit der strikten Trennung von Wissenschaft im universitären Verständ-
nis und Praxis einander an. Hemmnisse bestehen allerdings noch bezüglich der Pa-
tentverwertung und der häufig diametral verlaufenden Interessen beider Akteure: so
geht es – und das ergab sich auch aus den Experteninterviews mit regionalen Medi-
zintechnikfirmen – der Industrie um die schnelle, an die kurzen Produktlebenszyklen
in der Branche angepasste Umsetzung in marktreife Produkte, während die Hoch-
schulen vor allem Grundlagenforschung betreiben. Aufgrund des schnellen technolo-
gischen Wandels und der zunehmenden Bedeutung von Querschnittstechnologien
(z.B. aus den Bereichen Nanotechnologie und Mikrosystemtechnik) und deren Ein-
satz in innovative Medizinprodukte wird zumindest ein stetiger Austausch zwischen
beiden Institutionen unerlässlich. Dies gilt besonders für KMU, die anders als Groß-
unternehmen weniger Kontakte zu Hochschulen im Bereich FuE unterhalten. Die
Netzwerkaktivitäten unterstützen den Abbau der Vorbehalte, in dem über persönliche
Kontakte Informationen ausgetauscht werden und damit ein Wissenstransfer stattfin-
den kann, auf den gerade KMU setzen. Aussagen über den Erfolg von FuE-
Kooperation können an dieser Stelle nicht gemacht werden, da das Forum die Initiie-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
236
rung derartiger Zusammenschlüsse mit ihren Angeboten vorantreibt, die weitere Be-
gleitung aber nicht zur Aufgabe hat.
Im Gegensatz zum Ergebnis der Analyse zu Wissensmanagementaktivitäten in der
Medizintechnikbranche (vgl. Kap. 4.3.3) zeigen sich die Unternehmen, die im Forum
MedTech Pharma e.V. eingebunden sind zwar generell offen für Kooperation, gerade
aber junge Firmen (nicht älter als zehn Jahre) haben gewisse Ressentiments – die in
der Regel auf mangelndem Vertrauen und Kooperationsunerfahrenheit beruhen.
Mit dem Management der Clusteroffensive Medizintechnik89 ist seit Oktober 2006
ein weiteres Instrument zur Stärkung der Branche in Bayern hinzugekommen. Ziel
ist die Branche intensiver als bisher über die einzelnen bayerischen Regionen zu ver-
netzen und damit den Informationstransfer zwischen den autonomen regiona-
len/lokalen Initiativen zu verbessern. Die Offensive ist als Top-Down-Strategie zur
Bündelung der Interessen angelegt. Dabei sollen die Medizintechnikprofile und
Kompetenzen der beteiligten Regionen Regensburg (Kompetenzen in Tissue Engi-
neering und Implantate, molekulare Biologie und Medizin, Telematik, Sensorik und
Biomaterialien), Würzburg (Kompetenzen in Biomaterialien und Risikoanalyse für
Medizinprodukte, molekulare Biologie und Medizin, Skelettimplantate, Magnetreso-
nanz-Bildgebung), Erlangen-Nürnberg (Kompetenzen in bildgebende Verfahren,
Röntgentechnologie, medizinische Software und physikalisch-medizinische Technik)
und München (Kompetenzen in Mechatronik, Telemedizin, minimalinvasive Tech-
nologien, computerunterstützte Verfahren und Prozesssysteme) stärker herausgear-
beitet werden. Das Portfolio des Clusters ist mit den Aktivitäten des Forums ver-
knüpft und besteht aus folgendem Angebot (vgl. Abb. 25):
89 Aufgrund der Aktualität der Clusteroffensive dienen als Quelle der Internetauftritt unter http://www.forum-medtech-pharma.de/deutsch/Cluster/ (05.04.07) und die Ergebnisse der geführten Experteninterviews wie auch des ersten Clustertreffens am 25.10.06 in München.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
237
Abbildung 25: Portfoliestruktur der Clusteroffensive Medizintechnik und des Forum MedTech Pharma e.V.
Quelle: http://www.forum-medtech-pharma.de/deutsch/Cluster/Clusterinfo.html, 05.04.07
In Ergänzung zur Arbeit des Forums steht mit der Clusteroffensive Medizintechnik
wieder der regionale Aspekt im Vordergrund (regional fokussierte Kooperationstref-
fen, Vor-Ort-Besuche bei Unternehmen etc.). Ziel ist die Stärkung des persönlichen
Kontakts zwischen den Akteuren, um die für Netzwerke notwendige Komponente
des Vertrauens aufzubauen und Ressentiments abzubauen, dies führt im Erfolgsfall
zur Reduktion von Transaktionskosten. Universitäten sollen stärker am Netzwerk
partizipieren, dies soll und kann durch „Roadshows“ und Forschungstreffen initiiert
werden. Ein weiterer Aspekt ist die Förderung von Aus- und Weiterbildung, der auch
in der Studie zu „Regionalen Innovations- und Qualifizierungsstrategien in der Me-
dizintechnikbranche“ (IAT/RUB noch nicht veröffentlicht) als unerlässlich zum Er-
halt der Wettbewerbsfähigkeit erachtet worden ist.
Damit greift das Forum MedTech Pharma die Faktoren auf, die in der vorliegenden
Studie für die Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnikbranche als entscheidend
angesehen werden: die Vernetzung von Akteuren aus Industrie, Wissenschaft und
Gesellschaft zum Wissenstransfer und zur Generierung neuen Wissens sowie die
Förderung von Forschungs- und Entwicklungskooperationen um die technologische
Leistungsfähigkeit der Branche zu erhalten und zu verbessern.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
238
Kompetenzinitiative (KI) Medizin Pharma Gesundheit
Die im Jahr 1997 gegründete Kompetenzinitiative Medizin Pharma Gesundheit mit
Sitz in Erlangen zählt zu den bundesdeutschen Medizintechnikkompetenznetzwer-
ken, die bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 1999
initiierten Wettbewerb gewonnen haben. Die Ausgangsituation, die zur Gründung
der Initiative geführt hat hängt direkt mit der schlechten wirtschaftlichen Lage der
Region Mitte der 1990er Jahre zusammen und geht auf die in Kap. 5.1.1 dargestellte
Entwicklung zurück. Ursprünglich schließt die KI den Raum Mittelfranken sowie
Städte Forchheim (Oberfranken) und Neumarkt (Oberpfalz) mit ein, mit dem Kon-
zept der Metropolregion Nürnberg erweiterte sich das Tätigkeitsgebiet räumlich.
Anders als das Forum MedTech Pharma ist die KI deutlich als regionales (lokales)
Netzwerk (und nicht als landesweites) für die Metropolregion Nürnberg mit Schwer-
punkt in Erlangen angelegt. Die Initiative versteht sich als aktive Kommunikations-
und Informationsdrehscheibe, die vor allem den Ausbau der Region als „Medical
Valley“90 und damit zu dem Medizintechnikstandort in Deutschland vorantreiben
möchte. „Die Kompetenzinitiative Medizin-Pharma-Gesundheit ist als schnelle, fle-
xible und kreative Wissensdrehscheibe bewußt ohne starre Struktur eingebunden in
das Forum MedizinTechnik und Pharma in Bayern e.V. mit dem Ziel der Erfassung,
Bündelung und Stärkung regionaler Ressourcen sowie der Bildung von Kooperatio-
nen und der Sicherung von Arbeitsplätzen“ [www.erlangen.de, 10.04.07 (2)]. Die KI
steht damit in keiner Konkurrenz zum Forum MedTech Pharma, sondern kann als
Schnittstelle in die Region Erlangen verstanden werden. Der bewusste Verzicht auf
feste Organisationsstrukturen (die Initiative wird von einem städtischen Akteur in
Erlangen geleitet: Dr. Hartmut Heydrich) lässt keine originären Mitglieder zu, die
Finanzierung erfolgt über Sponsorengelder. Auf den jährlich drei bis vier Informati-
onsforen – die das einzige Netzwerkinstrument darstellen – finden zwischen 70 und
100 Teilnehmer zusammen, davon gut die Hälfte aus der regionalen Wirtschaft (ne-
ben den drei großen regional ansässigen Unternehmen Siemens Medical Solutions,
Novartis und Biotronik sind es kleine und mittlere Unternehmen) und die andere
Hälfte aus Politik, Wissenschaft und Dienstleistungsanbietern. Thematisch wird ein
weites Spektrum zwischen Medizintechnik und Pharma angeboten. Auf den Foren 90 Das Label „Medical Valley“ ist eine Marketingstrategie für die Metropolregion Nürnberg mit einer Leitstelle in Erlangen, die eine Kooperation der Stadt Erlangen mit der Friedrich-Alexander-Universiät, der IHK Nürnberg und Siemens Medical Solutions darstellt. Sie soll vor allem die Region als wichtigen Medizintechnikstandort international vermarkten und zum anderen Unternehmensgrün-dungen und Ansiedlungen von Instituten in Erlangen und Umgebung vorantreiben (vgl. www.erlangen.de, 10.04.07)
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
239
stellen einzelne Unternehmen (vor allen Start-Ups und junge Firmen) ihr Portfolio
und medizintechnische Projekte vor, zudem leisten politische und wissenschaftliche
Akteure einen Beitrag zum Informationsaustausch durch Vorträge zu regionalen Ak-
tivitäten und Forschungsprojekten. Die Informationsforen sind damit – anders als
beim Forum MedTech Pharma – nicht thematisch gebündelt, sondern offen gestaltet.
Ziel ist, durch einen informellen Rahmen persönliche Kontakte herzustellen und Ver-
trauen aufzubauen. Die KI schafft Rahmenbedingungen für Kooperationen und stellt
Kontakte her, begleitet diese aber nicht weiter, sieht Letzteres aber auch nicht als
originäre Aufgabe. Im Rahmen der Experteninterviews wurde die thematisch breite
und informelle, unregelmäßige Struktur als hinderlich für eine effektive regionale
Vernetzung angesehen (vgl. Interviews I, VI).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
240
5.2 Der Standort Ruhrgebiet
5.2.1 Nordrhein-Westfalen (NRW) und das Ruhrgebiet – Wirtschaftsstruktur und
Bestimmungsfaktoren zur technologischen Leistungsfähigkeit
Gemessen an der Wirtschaftskraft stellt NRW innerhalb Deutschlands das bedeu-
tendste Bundesland dar: Ein Fünftel des bundesdeutschen Bruttoinlandsproduktes
(BIP) werden hier erwirtschaftet (481,4 Mrd. Euro im Jahr 2004, 501,7 Mrd. Euro im
Jahr 2006). Damit ist das nominale BIP fast höher als das von Schweden (282 Mrd.
Euro) und Norwegen (202 Mrd. Euro) im Jahr 2004 zusammengenommen. Mit mehr
als 18 Mio. Einwohnern ist NRW mit Abstand das bevölkerungsreichste Bundesland.
Trotz größter Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl – NRW befindet sich immer noch
im Strukturwandel und gerade das Ruhrgebiet wird durch den Wegfall der europäi-
schen Ziel-2-Förderung seit dem Jahr 2006 mit finanziellen Engpässen umgehen
müssen – ist die „Aufholjagd“ im Wettlauf um wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit,
die sich zunehmend auch über Investitionen in Forschung und Entwicklung definiert
schwer. In keinem anderen Bundesland (ausgenommen Hessen) ist die Veränderung
der Wirtschaftsstruktur so radikal gewesen wie in NRW, mittlerweile – im Jahr 2006
– liegt der Dienstleistungsanteil an der BWS in jeweiligen Preisen insgesamt bei 70
% (Bayern: 67,7 % und Baden-Württemberg 60,2 %). Wobei eine klare definitori-
sche Trennung von Dienstleistung und Industrie nur nach statistischen Kriterien
möglich ist, die realen Wirtschaftsprozesse sind häufig durch eine Verknüpfung von
Industrie- und Dienstleistungstätigkeiten gekennzeichnet. Im Vergleich mit den wirt-
schaftsstarken süddeutschen Bundesländern hat NRW den geringsten Anteil des Ver-
arbeitenden Gewerbes an der BWS: 23,5% (Bayern: 25,6 % und Baden-
Württemberg: 33 %) (vgl. Arbeitskreis VGR der Länder 2007; LDS NRW 2005).
Die Erwerbstätigenquote lag im Jahr 2005 bei 42,3 % der Bevölkerung.
Die industriellen Schwerpunktbranchen in NRW sind – gemessen am Umsatz – die
chemische Industrie, der Maschinenbau und die Metallerzeugung bzw. -bearbeitung
sowie die Automobilindustrie. Die meisten Beschäftigten haben der Maschinenbau
und die Metallwarenindustrie. Der Mittelstand prägt die Unternehmensstruktur in
NRW in überdurchschnittlichem Maß: 99,7 % aller Unternehmen zählen nach der
quantitativen Mittelstandsdefinition91 zu den KMU. Sie tragen mit 42 % zur Brutto-
91 Nach der quantitativen Mittelstandsdefinition dienen die Variablen ‚Umsatz’ und ‚Zahl der Be-schäftigten’ als Erklärungsgrößen, um die Unterschiede zwischen Unternehmen sichtbar zu machen; keine Rolle spielen qualitative Merkmale wie die Leitungs- und Eigentümerstrukturen, um größenbe-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
241
wertschöpfung aller Unternehmen bei, machen 37,2 % aller steuerpflichtigen Umsät-
ze aus und 67,8 % der Beschäftigten in NRW arbeiten in kleinen und mittleren Un-
ternehmen (vgl. MWME NRW 2006).
Dieser kurze Überblick über die statistische Datenlage in NRW wird im Folgenden
ergänzt um die Untersuchung zur technologischen Wettbewerbsfähigkeit des Bun-
deslandes anhand der Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung (vgl. auch
für Gesamtdeutschland Kap. 3.2.1 und Bayern Kap. 5.1.1).
Kennzahlen der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zur Bestimmung der tech-
nologischen Leistungsfähigkeit in Nordrhein-Westfalen92
NRW trägt aufgrund seiner Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft maßgeblich zur
wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland bei, liegt aber bei fast allen im Folgen-
den untersuchten Indikatoren zur Bestimmung der technologischen Leistungsfähig-
keit weit hinter den süddeutschen Bundesländern. Die Analyse erfolgt anhand des in
Kapitel 3.2.1 eingeführten Systems von input-, output- und marktorientierten Indika-
toren.
Obwohl das bevölkerungsreichste Land, arbeiten im Jahr 2004 nur 41 387 Personen
in FuE-Stätten des Wirtschaftssektors, das sind 13,9 % des FuE-Personal in Deutsch-
land insgesamt (zum Vergleich: in Bayern liegt der Wert bei 24,6 % des gesamtdeut-
schen FuE-Personals). Der Personalbestand hat seit 1999 stetig abgenommen, dies
entspricht aber der gesamtdeutschen Entwicklung (Ausnahme: Baden-Württemberg).
Die industrielle Forschung in NRW ist an diesem Indikator gemessen deutlich
schwächer als in den süddeutschen Ländern, von allen in FuE beschäftigten Personen
arbeiten nur 55 % im Wirtschaftssektor (18,4 % im Staatsektor und 26,6 % im Hoch-
schulsektor). In Bayern beträgt der Anteil des Personals in Forschungsstätten der
Unternehmen am gesamten FuE-Personal 75,5 %, in Baden-Württemberg 72,5 %.
Hauptbranche, mit dem höchsten Besatz an FuE-Personal in NRW, ist die Chemie,
ihr Anteil an dem gesamten FuE-Personal des Wirtschaftssektors in NRW beträgt
dingte Unterschiede zwischen Unternehmen darzustellen – Letztere sind aber für die Erklärung der betrieblichen Sozialordnung, dem Umgang mit FuE etc. von Bedeutung (zur Definition und Abgren-zung des Mittelstandes: www.ifm-bonn.de Link: Statistik (Institut für Mittelstandsforschung). 92 Falls nicht anders angegeben beziehen sich die Ausführungen auf die vom RWI Essen und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft für NRW durchgeführten Studie „Innovationsbericht 2006“ und von denselben (2005): „Zu wenig in Forschung und Entwicklung?“, darüber hinaus haben auch Koschatzky et al (2004) eine Studie zu den Innovations- und Zukunftspotenzialen in Nordrhein-Westfalen vorgelegt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
242
2004 27 %, gefolgt von der Elektrotechnik mit 22,1 %, dem Maschinen- (15,7%) und
dem Fahrzeugbau (11,8%). In den ersten beiden Branchen vollzieht sich allerdings
ein Personalabbau in den Forschungsstätten, der auch nicht durch einen Zuwachs im
Fahrzeugbau ausgeglichen werden kann. Insbesondere die Zahl des FuE-Personals in
den Spitzentechnologiebranchen im Jahr 2003 ist mit 4 861 Personen deutlich gerin-
ger als in Bayern (28 906) und Baden-Württemberg (19 261).
Die gesamten monetären Aufwendungen für Forschung und Entwicklung gemessen
als Anteil am BIP ergeben für NRW im Bundesländervergleich einen Platz im unte-
ren Mittelfeld: 1,78 % des BIP wurden in FuE investiert (vgl. Tab. 44). Positiv zu
bewerten sind dagegen die überdurchschnittlichen Aufwendungen für Forschung und
Entwicklung im Hochschulsektor, vor allem im Vergleich zu Bayern. Die internen
Aufwendungen für FuE in nordrhein-westfälischen Unternehmen beliefen sich im
Jahr 2003 auf rund 5 Mrd. Euro, wobei die chemische Industrie innerhalb des Verar-
beitenden Gewerbes den größten Anteil hat. Von den internen Gesamtaufwendungen
wurden 10,6 % in Spitzentechnologiebranchen und 61 % in Hochwertige Technolo-
gie investiert (zum Vergleich mit Bayern siehe Tab. 40 – der Anteil der internen
FuE-Aufwendungen der Unternehmen die auf Spitzentechnologien entfallen liegt in
Bayern bei 42,8 %).
Die Frage nach der Herkunft der Mittel zur Finanzierung von FuE der Unternehmen
zeigt für NRW eine überdurchschnittliche Finanzierung durch den Wirtschaftssektor
selbst (98,3% im Jahr 2003, der Bundesdurchschnitt liegt bei 94,1%). Dementspre-
chend niedriger fällt der Anteil der staatlichen Finanzierung von FuE der Unterneh-
men aus: Während auf Bundesebene 3,5% der FuE-Gesamtaufwendungen der Unter-
nehmen vom Staat finanziert werden, sind es in NRW nur 1,1% aus öffentlichen Mit-
teln. In Bayern liegt die staatliche Finanzierung von Unternehmens-FuE sogar bei
8,2 %.
243
Regionale Entw
icklungspotenziale durch Medizintechnik
Tabelle 44: FuE-Aufwendungen insgesamt, im Staatsektor, im Hochschulsektor und im Wirtschaftssektor als Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Bundesländer 2001, 2003 und 2004 (Angaben in % des BIP)
FuE-Aufwendungen insgesamt
FuE-Aufwendungen im Staatsektor
FuE-Aufwendungen im Hochschulsek-
tor
FuE-Aufwendungen im Wirtschafts-
sektor
Bundesland
2001 2003 2004 2001 2003 2004 2001 2003 2004 2001 2003 2004
NRW 1,76 1,80 1,78 0,28 0,27 0,27 0,38 0,44 0,43 1,10 1,09 1,08
Bayern 2,93 2,95 2,89 0,23 0,24 0,24 0,35 0,35 0,33 2,35 2,36 2,32
Baden-
Württemberg
3,86
3,89
3,87
0,40
0,38
0,40
0,41
0,43
0,41
3,05
3,08
3,06
Deutschland
insgesamt
2,46
2,52 2,49 0,34 0,34 0,34 0,40 0,43 0,41 1,72
1,76
1,74
Quelle: RWI Essen/Stifterverband der Deutschen Wissenschaft, 2006, Tab. 2.5 bis 2.8.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
244
Bei der Betrachtung der externen Aufwendungen der Unternehmen für Forschung
und Entwicklung fällt auf, dass die Unternehmen mit Hauptsitz in NRW – wieder im
Vergleich zu Bayern und Baden-Württemberg – nur 9,1% ihrer externen FuE-Mittel
an Hochschulinstitute und staatliche Institute vergeben (Bayern: 15%, Baden-
Württemberg: 13,4 % im Jahr 2003). Eine Erklärung ist darin zu sehen, dass zum
einen die starke chemische Industrie in NRW ihre externen FuE-Mittel vor allem an
Unternehmen und Institute im Ausland vergibt und deshalb der öffentliche Sektor in
NRW im Gesamtvergleich der Branchen schlechter abschneidet als in anderen Län-
dern, zum anderen haben viele forschungsintensive Unternehmen ihren Hauptsitz in
München oder Stuttgart und „der Hauptsitz [ist] ein Zentrum des technologischen
Wissens des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe […]“ (RWI Es-
sen/Stifterverband der Deutschen Wissenschaft 2006, 165). Dadurch fließen mehr
Mittel in die Hochschulen und Institute am Hauptstandort als an den Standorten der
Unternehmensniederlassungen. Dies schlägt, wie das Rheinisch-Westfälische Institut
für Wirtschaftsforschung konstatiert „für die Entwicklung des Industriestandortes
NRW in der Tat negativ zu Buche“ (dies. 2006, 165).
Patentaktivitäten von Unternehmen (aber auch von Hochschulen/Wissenschaft und
im juristischen Sinn natürlichen Personen) gelten als outputorientierter Indikator zur
Beurteilung des Innovationsgeschehens. Wenn auch der ‚Patentboom’ in den 90er
Jahren maßgeblich durch die forschungsintensiven Unternehmen in Bayern und Ba-
den-Württemberg getragen wurde (gemessen an den deutschen Anmeldungen am
DPMA), so tragen doch auch nordrhein-westfälische Akteure zum deutschen Pa-
tentaufkommen in nicht unerheblichen Maß bei. Auf alle drei Länder entfallen insge-
samt 71% der innerdeutschen Anmeldungen im Jahr 2005. Dabei liegt der Anteil
NRWs am deutschen Patentaufkommen nur bei 16,9%. Die geringere Patentaktivität
gegenüber den süddeutschen Ländern lässt sich auch auf die geringeren FuE-
Aufwendungen des Wirtschaftssektors in NRW zurückführen. Da Patente in der Re-
gel das Ergebnis eines Forschungs- und Entwicklungsprozesses von Unternehmen
darstellen, kann ein Zusammenhang zwischen der Höhe der FuE-Aufwendungen,
und damit der FuE-Intensität, und Patentanmeldungen angenommen werden. Nach
technologischen Bereichen und Branchen gegliedert ist das Patentgeschehen in NRW
vor allem durch Anmeldungen in den Bereichen Chemie, Bauwesen/Bergbau und
Textilien/Papier gekennzeichnet und somit eher den traditionellen Technologiefel-
dern zuzuordnen – Ausnahme: Chemiebranche.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
245
Die Frage nach den Umsatzanteilen, die Unternehmen mit neuen oder verbesserten
Produkten, die seit fünf Jahren eingeführt sind, machen, bringt für NRW kein überra-
schendes Ergebnis: Unternehmen, die ihren Hauptsitz in NRW haben, erzielen im
Durchschnitt weniger Umsätze mit dem Vertrieb dementsprechender Produkte als
Unternehmen mit Sitz in Bayern oder Baden-Württemberg. Der Umsatzanteil neuer
Produkte betrug im Jahr 2003 in nordrhein-westfälischen Unternehmen 20,9%. Der
Umsatzanteil verbesserter Produkte fällt deutlich höher aus und liegt bei 26,5%.
Zur Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in NRW wird mittels des
RCA-Wertes die Außenhandelsstruktur abgebildet. Von besonderer Bedeutung sind
dabei die Spitzen- und Hochwertigen Technologien. So liegt der Anteil von spitzen-
technologischen Gütern an den Exporten im Jahr 2005 nur bei 7,6% (vgl. Bayern:
10,5%). Spitzen- und Hochwertige Technologieexporte zusammengenommen liegen
bei 46,3% und damit gut 11 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt. In den
spitzentechnologischen Gütergruppen Medizinische Diagnosegeräte, Spitzeninstru-
mente und DV-Geräte und -Einrichtungen, die in Bayern herausragend sind, liegt
NRW weit zurück. Dagegen hat NRW starke Kompetenzen auf dem Gebiet der
Nachrichtentechnik. Bei den Hochwertigen Technologien sind es vor allem chemi-
sche Erzeugnisse, die hohe Exportanteile aufweisen.
Nordrhein-Westfalen als innerdeutsch führenden Chemiestandort zu bezeichnen,
bestätigt auch der positive RCA-Wert sowohl für den spitzentechnologischen Be-
reich der chemischen Industrie (31) als auch im Segment Hochwertiger Technologie
(61). Ebenso positiv ist das Export-Import-Verhältnis für den Maschinenbau (108) –
damit liegen die Unternehmen in NRW deutlich über denen in Bayern und Baden-
Württemberg.
Wirtschaftsstruktur und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Ruhrgebiet
Das Ruhrgebiet93 zählt zu den größten Ballungsgebieten in Europa, mit 5,3 Mio.
Einwohnern ist die Bevölkerungszahl vergleichbar mit der Finnlands.
Kaum eine andere Region in Deutschland hat eine derartige wirtschaftsstrukturelle
Veränderung durchgemacht. Das montanindustriell geprägte Ruhrgebiet steht auch
zu Beginn des dritten Jahrtausends vor den enormen Herausforderungen des wirt- 93 Die geographische Abgrenzung des Ruhrgebietes erfolgt nach der Einteilung des Regionalverbands Ruhrgebiet (RVR) und umfasst die Städte Duisburg, Essen, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen, Bott-rop, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Hagen, Hamm, Herne und die Kreise Wesel, Recklinghau-sen, Unna und den Ennepe-Ruhr-Kreis.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
246
schaftlichen Strukturwandels. Wie viele altindustrielle Regionen46 konnte auch das
Ruhrgebiet durch folgende Charakteristika beschrieben werden:47
• eine hohe Einwohnerdichte und Infrastrukturausstattung in größeren Zentren,
• eine früh einsetzende Industrialisierung und auch in der Gegenwart eine hohe In-
dustrieproduktion,
• eine überdurchschnittliche Zahl an Großunternehmen (Konzernbildung war ein
Strukturelement des Montansektors),
• eine Dominanz von Sektoren im Endstadium des Produktlebenszyklus (geringe
Absatzchancen) und
• eine geringe Fähigkeit zur flexiblen Anpassung an den Strukturwandel.
Die Kohle- und die Stahlindustrie dominieren seit Mitte des 19. Jahrhunderts die
Wirtschaft im Ruhrgebiet und haben die Region zu einem industriellen Ballungsraum
werden lassen. Schon früh ist um die Kohleförderung und die Stahlerzeugung ein
montanindustrielles Produktionscluster entstanden, ein Geflecht von Vorleistungs-
und Absatzbeziehungen. Unter anderem zählen ein ausgeprägter Energiesektor, die
anorganische Chemieindustrie oder auch die Maschinenbau- und Anlagetechnikin-
dustrie dazu. Dieser geschichtliche Wachstumspool rund um Kohle und Stahl prägte
das Bild der Region nachhaltig, vor allem aber einseitig. Nach mehr als dreißigjähri-
ger Erfahrung mit strukturpolitischen Maßnahmen zur Milderung der Auswirkungen
des Rückbaus von Kohle und Stahl an der Ruhr (u.a. Beschäftigungsabbau, kontami-
nierte Gewerbeflächen durch den Besatz an Schwerindustrie etc.) und dem Aufbau
neuer Branchenstrukturen hat die Region vor allem im Dienstleistungssektor erheb-
lich an Profil gewonnen.
Lag der Anteil der Dienstleistungsbereiche an der BWS im Jahr 1991 noch bei
59,2%, erwirtschaftete der Dienstleistungsbereich im Jahr 2004 bereits 72,3% der
BWS und ist damit höher als in NRW insgesamt (70%). Der Strukturwandel scheint
damit weniger über geänderte Industriestrukturen (wie beispielsweise in der Region
Nürnberg-Erlangen) als vielmehr über die Intensivierung der Dienstleistungen erfolgt
zu sein (als Beispiel wäre der starke Besatz an Kredit- und Versicherungsunterneh-
46 Neben dem Ruhrgebiet fanden unter anderen auch die Regionen Pittsburgh und die West Midlands Eingang in die wissenschaftliche Debatte um den Strukturwandel alter Industrieregionen; vgl. dazu Hamm, R. et al (1990) oder Wirtschafts- und sozialpolitisches Forschungs- und Beratungszentrum der FES (2000); eine umfassende Darstellung (politisch-wirtschaftshistorisch) zum Strukturwandel im Ruhrgebiet bietet Goch (2002). 47 vgl. Hamm, R. et al (1990).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
247
men in Dortmund zu nennen, die zum Teil als unternehmensnahe Dienstleister die
Verbindung zur Industrie darstellen). Das Produzierende Gewerbe hat im Jahr 2003
einen Anteile an der BWS von 26,4% (NRW insgesamt: 27,8%, in den Regierungs-
bezirken Detmold und Arnsberg ist die industrielle Basis mit über 32% am stärksten
innerhalb NRWs). Insgesamt sind 2005 23,2 % der Beschäftigten des Verarbeitenden
Gewerbes in NRW im Ruhrgebiet tätig (1980 lag der Anteil bei 32,6%, 1990 bei
28,5%). Die Exportquote der Wirtschaftsbranchen des Verarbeitenden Gewerbes
liegt mit 36,5% gut zwei Prozentpunkte unter dem Landesdurchschnitt (vgl.
www.rvr-online.de, 19.04.07; LDS NRW 2005a).
Hier wird gut ein Viertel (26%) der gesamten Bruttowertschöpfung in NRW erwirt-
schaftet. Innerhalb der Region sind es vor allem die Städte Essen (15,5% der BWS
des Ruhrgebietes), Dortmund (13,1%) und Duisburg (10,5%), die die größten Anteile
an der wirtschaftlichen Leistungskraft haben. Wie gravierend die Strukturprobleme
des „Reviers“ im Vergleich zu NRW insgesamt waren und zum Teil immer noch
sind zeigen die Daten zur Beschäftigungsentwicklung im Bergbau und Verarbeiten-
den Gewerbe: Zwischen 1980 und 2005 sank die Zahl der Beschäftigten um 59,1%,
dagegen ging die Beschäftigtenzahl in diesen Branchen in NRW nur um 34,5% zu-
rück. Bis heute konnte das gute Wachstum des Dienstleistungssektors die Schrump-
fungsprozesse nicht kompensieren (vgl. Heinze 2006, ders. 2006a; Hein-
ze/Hilbert/Voelzkow 1992). Der Erfolg von Strukturwandelprozessen ist auch an der
Höhe des Bruttoinlandsproduktes der Untersuchungsregion ersichtlich. Im Ruhrge-
biet lag die durchschnittliche Veränderungsrate (1992-2004) des BIP bei 0,4% jähr-
lich und damit unter der Rate in NRW (0,7%) und deutlich unter dem Bundesdurch-
schnitt (1,2%). Das Wirtschaftswachstum gemessen an der jahresdurchschnittlichen
Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung hebt sich aber seit 2000 erstmalig positiv
von anderen NRW-Regionen ab: So lag die durchschnittliche Veränderungsrate
(2000-2004) im Ruhrgebiet bei 0,9%, im Rheinland mit 0,7% und in Westfalen mit
0,2% allerdings niedriger (vgl. RWI Essen/Stifterverband der Deutschen Wissen-
schaft 2006). Das RWI konstatierte in diesem Zusammenhang: „In dem geschilderten Befund ist ein eindeutiger Trend zu erkennen. Insofern kann die langfristige Entwicklung der Wachstumsperformance des Ruhrgebiets im Vergleich zu den anderen NRW-Regionen auch nicht auf singuläre Ereignisse oder eine spezifische konjunkturelle Konstellation zurückgeführt werden. Vielmehr trägt der jahrzehntelange Strukturwandel offenbar langsam Früchte. Dies hängt vermutlich in erster Linie damit zusammen, dass aufgrund der inzwischen weitgehend erfolgten Einstellung der Kohle-förderung und der erfolgreichen Restrukturierung des Stahlsektors der Deindustriali-sierungsprozess des Ruhrgebiets mittlerweile nahezu abgeschlossen ist.“ (dies., 2006, S. 503f.)
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
248
Zwar sind – wie gezeigt – die Anteile der Dienstleistungsbranchen an der BWS im
Ruhrgebiet überdurchschnittlich innerhalb von NRW, doch auch für das Ruhrgebiet
– wie auch für Regionen wie Nürnberg-Erlangen – gilt: Keine prosperierenden
Dienstleistungsbranchen ohne industrielle Basis. So sind auch im Ruhrgebiet neben
den sozialen Diensten (u.a. die zahlreichen Einrichtungen in den Kernsektoren der
Gesundheitswirtschaft) und dem Handel die unternehmensnahen Dienstleistungen
von großer Bedeutung für die zukünftige Ausrichtung des Standortes (z.B. im Be-
reich Logistik, IT).
Bei der Ermittlung von zukunftsträchtigen Kompetenzfeldern im Ruhrgebiet ist –
anders als in Nürnberg-Erlangen – in den letzten Jahren von den beteiligten Akteuren
allerdings keine einheitliche Strategie verfolgt worden, so dass bis heute – bis auf
Ausnahmen in den Feldern Energie, Logistik, IT und Gesundheitswirtschaft – kein
eindeutiges, empirisch überprüftes Zukunftsprofil für die Region herausgearbeitet
wurde. Die einzelnen Ansätze zur Bestimmung der Kompetenzfelder für das Ruhr-
gebiet sind im Folgenden Gegenstand der Untersuchung.
EXKURS: Die technologische Wettbewerbsfähigkeit des Ruhrgebiets – Kennzahlen
zu Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
Zur Beurteilung der Innovationstätigkeit und -fähigkeit des Ruhrgebietes werden
Daten vom Stifterverband Wissenschaftsstatistik zu Forschungs- und Entwicklungs-
ausgaben und zum FuE-Personal und vom Deutschen Patent- und Markenamt zu den
Patentanmeldungen herangezogen (vgl. RWI Essen/Stifterverband für die Deutsche
Wissenschaft 2006, S. 526ff.). Es stellt sich die Frage, ob die Deindustrialisie-
rungsprozesse im Ruhrgebiet und der damit verbundene Aufbau der Dienstleistungs-
branchen negative Auswirkungen auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit der
Region haben? Denn: Von den 5 Mrd. Euro, die die Unternehmen in NRW für FuE
im Jahr 2003 ausgegeben haben, wurden nur etwa 6 % im Bereich wirtschaftsnaher
Dienstleistungen investiert, aber mehr als 91 % im Verarbeitenden Gewerbe, was im
Ruhrgebiet nur noch einen untergeordneten Stellenwert hat.
So lag der Ruhrgebietsanteil aller internen Ausgaben für FuE des Wirtschaftssektors
in NRW im Jahr 2003 nur bei 15,8 % (797 Mill. Euro), währenddessen flossen bei-
spielsweise im Rheinland 64,3 % (3,25 Mrd. Euro) der internen FuE-Ausgaben der
Unternehmen in NRW. Von Bedeutung hinsichtlich der internen Forschungsaktivitä-
ten sind lediglich die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Herstellung
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
249
von DV-Geräten. Von den rund 40 000 Beschäftigten in den Forschungsstätten der
Unternehmen in NRW insgesamt arbeiten 18,2 % im Ruhrgebiet, wobei davon mehr
als die Hälfte (51%) Wissenschaftler und Ingenieure sind (anteilsmäßig arbeiten im
Ruhrgebiet mehr Personen dieser Berufsgruppen als in NRW insgesamt) und gut ein
Viertel Techniker.
Die Forschungsintensität aller drei Sektoren (Wirtschaft, Staat und Hochschulen)
zusammen beträgt im Ruhrgebiet 1,3% des BIP und liegt damit einen halben Pro-
zentpunkt unter dem NRW-Durchschnitt und auch im deutschlandweiten Vergleich
auf niedrigem Niveau (vgl. Kap. 3.2.1 und 5.1.1). Eine relative Bedeutung kann nur
dem Hochschulsektor zugesprochen werden, der mit einem Anteil von 0,5% leicht
über dem Landesdurchschnitt liegt. Betrachtet man den Output des Innovationsge-
schehens in Form von Patentanmeldungen so erzielt das Ruhrgebiet lediglich 40%
der Patentintensität (gemessen an der Zahl der Patentanmeldungen pro Mill. Ein-
wohner) für Deutschland insgesamt (NRW erzielt 70% des Bundesdurchschnitts, das
Rheinland erreicht den Wert sogar gänzlich).
Aufgrund der Ergebnisse bei den FuE-Tätigkeiten im Ruhrgebiet scheint sich der
Strukturwandel bezogen auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit der Region
negativ auszuwirken. Allerdings lässt die durchschnittliche jährliche Veränderungs-
rate der BWS seit der Jahrtausendwende, die deutlich über der Rate anderer NRW-
Regionen liegt, Rückschlüsse auf ein Wirtschaftswachstum zu, das ggf. positive
Auswirkungen auf die Expansion der Unternehmen auch im Bereich FuE haben
könnte.
5.2.2 Kernkompetenzen der Wirtschaftsregion Ruhrgebiet
Die Versuche, für das Ruhrgebiet Kompetenzfelder oder Cluster zu ermitteln, gestal-
teten sich in den letzten elf Jahren sehr variabel, so dass je nach Zielsetzung unter-
schiedliche Kompetenzen ermittelt wurden. Die maßgeblichen Akteure bei der Be-
stimmung der zu fördernder ‚Cluster’ in der Region sind der Regionalverband Ruhr-
gebiet (RVR), das Institut Arbeit und Technik94, die Projekt Ruhr GmbH und Roland
Berger Strategy Consultants. Zu Beginn der Standortentwicklungsmaßnahmen durch 94 Der Forschungsschwerpunkt GELL (Gesundheitswirtschaft und Lebensqualität) des IAT erstellt vorwiegend Studien zur Kompetenzentwicklung im Bereich Gesundheitswirtschaft/Medizintechnik u.a. für das Ruhrgebiet (vgl. Hilbert et al 2005, Hilbert/Fretschner 2004 etc.), während im For-schungsschwerpunkt INNO (Innovation, Raum, Kultur) zahlreiche Expertisen zur Cluster- und Kom-petenzentwicklung u.a. in NRW (für NRW insgesamt wurden auch die Medizintechnik und die Bio-technologie als strategische Handlungsfelder identifiziert) entstanden sind (vgl. u.a. Rehfeld et al 2004, Grote-Westrick et al 2005, Rehfeld 2007 etc.).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
250
Kompetenzfelder ergab die Analyse sieben zu fördernde Wirtschaftsbranchen: Werk-
stoffe, moderne Energien, Umweltwirtschaft, Bauwesen, Handels- und Transportwe-
sen, soziale Dienstleistungen und ein Verbund ‚Kultur-Medien-Bildung’. Im Jahr
2000 grenzte der damalige Kommunalverband Ruhrgebiet (heute RVR) die Kompe-
tenzfelder wie folgt ab: Energiewirtschaft, Wasserwirtschaft, Planung, Bau- und Im-
mobilienwirtschaft, Bildungswirtschaft, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Gesund-
heitswirtschaft. Diese Branchencluster wurden im Jahr 2002 um die Sport- und Ge-
sundheitswirtschaft und die Lokale Ökonomie ergänzt (vgl. KVR 2002). Der Regio-
nalverband Ruhrgebiet setzt mittlerweile – in Erweiterung der Kompetenzfeldermitt-
lung im Jahr 2002 – auf folgende zehn Kompetenzfelder:
• Chemie
Die chemische Industrie wird als Schlüsselbranche vor allem in der Emscher-
Lippe-Region des nordwestlichen Ruhrgebiets verstanden (u.a. Chemiepark
Marl)
Abbildung 26: Kompetenzfeld Chemie im Ruhrgebiet
Quelle: www.ruhrgebiet-regionalkunde.de, 18.04.07.
• Energiewirtschaft
Hier geht es vor allem um die Weiterentwicklung der regenerativen Energien.
Ausgewiesene Standorte innerhalb des Ruhrgebietes sind Essen (Energiever-
sorgung), Gelsenkirchen (Solartechnik) und Bochum (Schnittstelle zwischen
Verkehrs- und Energietechnik).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
251
Abbildung 27: Kompetenzfeld Energiewirtschaft im Ruhrgebiet
Quelle: www.ruhrgebiet-regionalkunde.de, 18.04.07.
• Wasserwirtschaft
Kompetenzen ergeben sich im Bau von Anlagen und Wasserwerken, in der
Siedlungs- und industriellen Wasserwirtschaft, der Wasserhygiene und dem
Umwelt- und Gewässerschutz. In Duisburg und Bochum wird zudem Grund-
lagenforschung in den Bereichen Wasserbau und -wirtschaft betrieben.
• Planung, Bau- und Immobilienwirtschaft
Dieser historisch gewachsene Bereich umfasst neben planerischen Kompe-
tenzen auch bautechnische Bereiche (moderne Gebäudetechnik, innovative
Baustoffe, Facility Management) und die Nutzbarmachung von industriellen
Brachflächen
• Bildungswirtschaft
Die breite Hochschullandschaft im Ruhrgebiet bietet ein Potenzial für den
Weiterbildungsmarkt, was nachhaltig gefördert werden soll (‚virtuelle Hoch-
schule’) um den Wissenstransfer voranzutreiben (Weiterentwicklung von ‚be-
trieblichem Wissensmanagement’).
• Logistik
Mehr als 185 000 Beschäftigte in nahezu 3000 Unternehmen lassen die Lo-
gistik- und Transportbranche zu einem Cluster entlang der Wertschöpfungs-
kette werden. An zwei historisch gewachsenen (Hellweg-Route) lokalen
Standorten haben sich erfolgreiche Cluster herausgebildet: Zum einen Duis-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
252
burg – die Stadt hat den größten Binnenhafen Europas und arbeitet in einem
Verbund mit den führenden Häfen Rotterdam und Antwerpen zusammen,
zum anderen Dortmund (auch Unna-Hamm) mit einem großen Unterneh-
mensbestand (u.a. Zentrallager von IKEA, DHL etc.). Zahlreiche Forschungs-
einrichtungen (Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik, Fachgebiet
Logistik (‚Flog’) an der Universität Dortmund) und Initiativen (dortmund-
project, Logistik NRW, LogNet Ruhr etc.) unterstützen den Ausbau der Kom-
petenzen (vgl. zum Logistik-Standort Dortmund Heinze/Fox 2004).
Abbildung 28: Kompetenzfeld Logistik im Ruhrgebiet
Quelle: www.ruhrgebiet-regionalkunde.de, 18.04.07.
• Information und Kommunikation
Die vorwiegend klein- und mittelbetrieblich strukturierte Branche hat mitt-
lerweile einen starken Stellewert in der regionalen Wirtschaft. Mit Schwer-
punkten in Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg umspannt die Branche
nahezu das gesamte Ruhrgebiet. Das Fraunhofer Institut für Software und
Systemtechnik und zahlreiche Fachbereiche an den Ruhrgebiets-Hochschulen
sorgen für den stetigen Wissenstransfer von neuen Entwicklungen der IuK-
Technologien.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
253
Abbildung 29: Kompetenzfeld Information und Kommunikation im Ruhrgebiet
Quelle: www.ruhrgebiet-regionalkunde.de, 18.04.07.
• Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik
Im Ruhrgebiet sind etwa 300 000 Menschen in der Gesundheitsbranche be-
schäftigt. Seit einigen Jahren werden gesundheitswirtschaftlichen Aktivitäten
im Ruhrgebiet systematisch vorangetrieben (u.a. durch die Initiative MedE-
con Ruhr). Ein wichtiges Charakteristikum der Gesundheitswirtschaft im
Ruhrgebiet ist die Tatsache, dass es sich bei der Region um keinen Nischen-
sondern um einen Vollanbieter handelt.
Zentrale inhaltliche Gestaltungsfelder der Regionen der Gesundheitswirt-
schaft sind:
Verbesserung der Gesundheitsversorgung: Dies umfasst eine Leistungsver-
besserung der ambulanten und stationären Akutversorgung. Dazu gehört e-
benfalls eine Verbesserung der ambulanten und stationären Rehabilitation.
Lebenswissenschaften: Hierunter werden u.a. die Biomedizin, die gesund-
heitsrelevanten Bio- und Nanotechnologien, die Medizintechnik und auch die
Telemedizin verstanden.
Spitzenmedizin: Umfasst eine deutliche Verbesserung der medizinischen und
sonstigen gesundheitsrelevanten Forschung und Entwicklung.
Prävention und Gesundheitserlebnisse: Im Mittelpunkt steht bei diesem Ges-
taltungsfeld das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung sowie die gesund-
heitsrelevanten Arbeits- und Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
254
Gesundheitstourismus: Aktivitäten schaffen um eine Tourismusinfrastruktur
für gesundheitsinteressierte Touristen zu schaffen.
Lebensqualität im Alter: Entwicklung, Erprobung und Ausbau von gesund-
heitsbezogenen Produkten und Dienstleistungen für die Bedürfnisse Älterer.
Gesundheitslogistik: Umfasst den Ausbau leistungsfähiger, auf die Gesund-
heitsbranche bezogener Logistikdienstleistungen.
Mit ca. 9.000 niedergelassenen Haus- und Fachärzten, 133 Krankenhäusern
und über 1.100 Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten ist eine breite
Versorgung gewährleistet. Gleiches gilt für die integrierte Versorgung, deren
Aktivitäten nicht alle aufgezählt werden können. Stellvertretend sei in diesem
Fall auf den Herzinfaktverbund Essen hingewiesen, der die Versorgungsan-
gebote bei Herz- und Kreislauferkrankungen koordiniert und entlang allge-
meinverbindlicher Standards integriert. Dieses Essener Modell wurde mitt-
lerweile auch außerhalb des Ruhrgebiets (etwa in München) aufgegriffen.
Die Medizintechnik wird an dieser Stelle nicht näher erläutert, Kompetenzen
ergeben sich vor allem im mittleren Ruhrgebiet. Eine ausführliche Analyse
erfolgt in den Kapiteln 5.2.2.1 und 5.2.3.
Abbildung 30: Kompetenzfeld Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik im Ruhrgebiet
Quelle: www.ruhrgebiet-regionalkunde.de, 18.04.07.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
255
• Lokale Ökonomie
Hierbei geht es vor allem um die kleinräumliche Wirtschaftsförderung allge-
mein, es wird kein Fokus auf bestimmte Branchen gelegt. Themen sind u.a.
Reaktivierung der Stadtteile.
• Industrielle Technologien und neue Werkstoffe
Traditionelle Stärken des Ruhrgebietes im Bereich Maschinen- und Bergbau-
technik sollen ebenso gefördert werden wie neue Technologie in den Feldern
Mikrostruktur- und Mikrosystemtechnik (hier ist mittlerweile ein Branchen-
schwerpunkt in Dortmund entstanden).
Im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr
des Landes Nordrhein-Westfalen hat Roland Berger Strategy Consultants bereits im
Jahr 2001 sechs wachstumsträchtige Kompetenzfelder für das Ruhrgebiet ermittelt:
Energie, Logistik/Verkehr, Information und Kommunikation, Medizintechnik, Neue
Materialien und Mikrosystemtechnik. Die Projekt Ruhr GmbH hat diese Kompetenz-
felder zum Teil in abgewandelter Form übernommen und um sechs weitere ergänzt
(vgl. Abb. 31).
Abbildung 31: Regionale Verteilung der Kompetenzfelder
Quelle: www.projektruhr.de, 17.04.07.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
256
So sind im Laufe der letzten Jahre und unter Einwirkung verschiedener regionaler
Akteure zwölf Kompetenzfelder entstanden, in denen das Ruhrgebiet nach Ansicht
des RWI zwar über einige Stärken verfügt, die Wirtschaftsforscher aber die Förde-
rung aller zwölf Clusteransätze für wenig sinnvoll erachten (vgl. RWI 2006a). Be-
gründet wird die Skepsis damit, dass zum einen die empirische Grundlage für die
Clusterabgrenzung fehlt (keine detaillierte Bestandsaufnahme erfolgt ist) und zum
anderen kein Kompetenzfeld allen Anforderungen an eine effektive Clusterstrategie
entspricht. Eine strategische Clusterbildung sollte:
• „auf einer soliden konzeptionellen Basis beruhen [hinsichtlich Status quo, Ent-
wicklungsmöglichkeiten und staatlichen Förderzielen, Anm.d.V.];
• sich vornehmlich auf solche Branchen und Technologiefelder konzentrieren,
welche für die erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels strategische Bedeu-
tung haben;
• vorrangig dort ansetzen, wo […] bereits die notwendige ‚kritische Masse’ für die
Entwicklung des Branchenkomplexes vorhanden ist;
• ausreichend staatliche Ressourcen zu mobilisieren […];
• von einer breiten Zustimmung aller wesentlichen Akteure getragen sein;
• für eine effektives Management […] zur Förderung des Clusters sorgen“ (RWI
Essen 2006a, S. 41).
5.2.2.1 Die Bedeutung der Medizintechnikbranche in und für die Region – eine
Struktur- und Strategieanalyse vor dem Hintergrund der Entwicklungen in NRW95
Die Hersteller von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtungen in
NRW und dem Ruhrgebiet sind deutlich kleinbetrieblicher strukturiert als die ver-
gleichbaren Unternehmen in Bayern und Nürnberg-Erlangen: In NRW und dem
Ruhrgebiet sind nach statistischen Angaben mehr Unternehmen mit weniger Be-
schäftigten vorhanden. Die Exportstärke der deutschen Medizintechnikbranche (nur
der WZ 33.10) gilt nicht für die Unternehmen in NRW. Lag die Exportquote in
Deutschland bei 53,4 % im Jahr 2003, so kamen nordrhein-westfälische Unterneh-
men nur auf 21,6%. Die Umsatzanteile sind schwindend gering: 2003 erwirtschafte-
95 Die Strukturanalyse erfolgt auf Basis der Daten des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statis-tik Nordrhein-Westfalen für den Wirtschaftszweig 33.10 (Dreistellerebene), eine tiefere Analyse auf Fünfstellerebene ist auf Bundesländer- bzw. Regionsebene wegen fehlender Daten nicht möglich. Auf Anfrage meinerseits im August 2006 wurden mir die Daten für den WZ 33.10 in NRW und dem Ruhrgebiet (in Abgrenzung des Landesamtes) freundlicherweise als Excel-Tabellen zur Verfügung gestellt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
257
ten Medizintechnikhersteller in NRW nur 0,6% des Gesamtumsatzes der Branche in
Deutschland.
Wenn auch keine Aussagen zu Umsatz und Beschäftigung im Vergleich zwischen
NRW und dem Ruhrgebiet aufgrund mangelnder statistischer Daten getroffen wer-
den können, so gilt dies bezüglich der Anzahl der Betriebe nicht. Im Ruhrgebiet sind
immerhin 28,8% aller Medizintechnikhersteller NRWs ansässig, quantitativ sind es
mehr als in Nürnberg-Erlangen, hinsichtlich der Bedeutung bezogen auf Umsatz und
Beschäftigung (trotz mangelnder Daten ist eine grundsätzliche Tendenz festzustel-
len) ist das Ruhrgebiet aber weit abgeschlagen (vgl. Tab. 45 und 46).
258
Regionale Entw
icklungspotenziale durch Medizintechnik
Tabelle 45: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtun-gen (WZ 33.10) in NRW in den Jahren 2003 und 2005
Betriebe96 Beschäftigte Gesamtumsatz (in 1 000 Euro)
insgesamt darunter Auslandsumsatz Exportquote (in %)
WZ Nr.
2003
2005
2003
2005 2003 2005 2003 2005 2003 2005
33.10 H. v. med. Gerä-ten u. orthopädi-schen Vorrich-tungen
168 191 8 748 9 600
822 968
829 657 177 824 3227 065 21,6
27,4
Quelle: Sonderauswertung des LDS NRW 2006. Tabelle 46: Betriebe, Beschäftigte, Umsatz und Exportquote in der Herstellung von medizinischen Geräten und orthopädischen Vorrichtun-gen (WZ 33.10) im Ruhrgebiet (außer Hagen und Ennepe-Ruhr-Kreis) in den Jahren 2003 und 2005
Betriebe97 Beschäftigte98 Gesamtumsatz (in 1 000 Euro)
insgesamt (nur für Bochum, Kreise Unna
und Recklinghausen)
darunter Auslandsumsatz Exportquote (in %)
WZ Nr.
2003
2005
2003
2005
2003 2005 2003 2005 2003 2005
33.10 H. v. med. Gerä-ten u. orthopädi-schen Vorrich-tungen
44 55 1 214 1 059
45 668
44 891 - - -
-
Quelle: Sonderauswertung LDS NRW 2006.
96 Gemeint sind Betriebe des Wirtschaftsbereichs Verarbeitendes Gewerbe, wenn diese Betriebe zu Unternehmen des Produzierenden Gewerbes gehören und in diesen Unternehmen mehr als 20 Beschäftigte tätig sind. 97 Siehe Fußnote 27 98 Nicht für alle Städte und Kreise des Ruhrgebietes, die einen Besatz an Unternehmen aus dem WZ 33.10 haben sind auch die Beschäftigtenzahlen ausgewiesen, so dass keine Inter-pretation der Entwicklung möglich ist.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
259
Betrachtet man die statistischen Daten verfügt das Ruhrgebiet über keinen Medizin-
technikmarkt der für die Bedeutung Deutschlands als drittgrößtem Markt für Medi-
zinprodukte weltweit einen entscheidenden Beitrag leistet. Auch Roland Berger Stra-
tegy Consultants (2001) kommen in ihrer Analyse zur Bestimmung von Kompetenz-
feldern in der Region für die Medizintechnik zu dem Schluss:
„Der Unternehmensbesatz ist unterdurchschnittlich; es sind kaum key player im Ruhr-gebiet ansässig. Insbesondere der Vernetzungsgrad ist sehr gering, da nur vereinzelt Kooperationen auszumachen sind. Überregional konnte das Ruhrgebiet bisher kein Image für die Medizintechnik aufbauen. Überdurchschnittlich ausgeprägt ist lediglich der unternehmerische Innovationsgrad auf einzelnen Nischenmärkten“ (Roland Berger Strategy Consultants 2001, 12).99
Zur Beurteilung der Annahme der Roland Berger Strategy Consultants wird deren
methodische Vorgehensweise betrachtet. Mit Hilfe der folgenden Analysemethoden
wurden die Kompetenzfelder identifiziert: Forschungsaktivitäten anhand von Patent-
entwicklungen, FuE-Ausgaben, geplante Personaleinstellungen bei Forschungsinsti-
tuten, Kapitalmarktanalyseinstrumente (u.a. Analyse der Venture-Capital-
Investitionen europaweit), Untersuchung von Umbruchmärkten. Die Ergebnisse
wurden daraufhin auf regionaler Ebene in den Bereichen Wirtschaft, Bildung & For-
schung, Netzwerke, Standortattraktivität/Image und Politik & Verwaltung überprüft
und mit ‚best-practice’ Regionen verglichen (im Fall der Medizintechnik mit Erlan-
gen/Nürnberg/Fürth). Diese heuristische Vorgehensweise kann in diesem Fall dazu
beitragen einen ersten Eindruck des Medizintechnikstandortes Ruhrgebiet zu be-
kommen indem allgemeine Kriterien für die Entwicklung von Kompetenzfeldern
herangezogen werden und im Fall von Erlangen/Nürnberg/Fürth eine erfolgreiche
und bekannte Medizintechnikregion als Referenzfall dient. Allerdings werden in der
Studie Schlussfolgerungen gezogen, die zum einen einer empirischen Überprüfung
(z.B. durch eine quantitative Erhebung des Unternehmensbestandes) möglicherweise
nicht standhalten und zum anderen eine Vergleichsregion heranziehen, die aufgrund
spezifischer regionaler Charakteristika (Global Player am Standort, High-Tech-
Ausrichtung der Unternehmen und dementsprechende Forschungslandschaft), histo-
rischer Entwicklungen (Strukturwandel nicht so radikal wie im Ruhrgebiet) und un-
terschiedlicher Governance (innovationspolitische Ausrichtung) nicht zum direkten
Vergleich dienlich ist (vgl. zum Medizintechnikstandort Nürnberg-Erlangen Kap.
99 In der Studie wird zwar an mehreren Stellen von Kompetenzen auf Nischenmärkten gesprochen, diese werden jedoch nicht explizit genannt, so dass die Verfasser auf Unternehmensebene kein Profil der Wirtschaftsstruktur im Ruhrgebiet benennen.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
260
5.1.2.1 und 5.1.3). Sinnvoller erscheint in diesem Fall eine Einzelfalluntersuchung,
die trotz der Analyse des speziellen Falls Ruhrgebiet mehr oder weniger explizit auf
vergleichbare Kriterien zur Beurteilung der Ergebnisse angewiesen ist. Dafür aller-
dings kann das best-practice-Beispiel Erlangen/Nürnberg/Fürth von Nutzen sein.
Untersucht man die Medizintechnikstrukturen mit Fokus auf den Unternehmensbe-
stand im Ruhrgebiet so zeigt sich im Hinblick auf andere nationale Regionen (z.B.
München, Nürnberg-Erlangen, Aachen, Lübeck etc.) ein herausragendes Alleinstel-
lungsmerkmal: mehr als 60 % der ansässigen Unternehmen befassen sich mit dem
Vertrieb und Handel von Medizinprodukten und nur gut ein Viertel zählt zu den
klassischen Produzenten. Aufgrund des großen Nachfragepotenzials durch die dichte
ambulante und stationäre Versorgung in der Region hat sich das Ruhrgebiet zu einem
bedeutenden Anwenderstandort von medizintechnischen Produkten entwickelt, dem
die Unternehmensstruktur Rechnung trägt. Viele weltweit agierende Unternehmen
haben Vertriebsniederlassungen im Ruhrgebiet und zahlreiche kleine und mittlere
Unternehmen vertreiben nationale und internationale Produkte in der Region. Somit
sind es in der Mehrzahl nicht – wie in Nürnberg-Erlangen – forschungsintensive
Hoch- und Spitzentechnologieproduzenten, die die Wirtschaftsstruktur prägen, son-
dern Vertriebs- und Handelsstrukturen. Eine tiefere Analyse der Strukturen und Un-
ternehmensstrategien folgt im Laufe des Kapitels.
Trotz der, bei Vergleichen der technologischen Wettbewerbsfähigkeit von Regionen
bedeutsamen Kriterien (input-, output- und marktorientierte Indikatoren), eher
schwachen Position des Medizintechnikstandortes Ruhrgebiet gibt es im Bereich der
universitären und außeruniversitären Forschung Kompetenzen im Bereich der medi-
zinischen, natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachgebiete (vgl. auch die Ergeb-
nisse von Rehfeld 2004). Charakteristisch ist dabei in NRW aber auch im Ruhrgebiet
eine breite technologisch-wissenschaftliche Aufstellung in Forschung und Entwick-
lung und nicht wie in Nürnberg-Erlangen eine tiefe Spezialisierung. Gerade das
Ruhrgebiet profitiert von anwendungsnahen Entwicklungen an den Universitätsklini-
ken.
Teile des Ruhrgebiets haben sich in den letzten Jahren weiter im Bereich Medizin
und Biomedizin etabliert. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Anwendung der
medizinischen Bildgebung ein. Die Universität Duisburg-Essen und die Radboud
Universität Nijmegen (Niederlande) haben im Jahr 2005 ein hochschulübergreifen-
des Forschungszentrum für ‚Magnetresonanz in der Medizin und Kognitionswissen-
schaft’ gegründet, das mit einem neuen 7-Tesla-Ganzköper-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
261
Magnetresonanztomographen ausgestattet werden soll und somit die Region zu ei-
nem Vorreiter in der Anwendung der neuen Technologie werden kann. Das östliche
Ruhrgebiet ist im Begriff, mit dem Aufbau der Lebenswissenschaften in Dortmund
zu einem Standort der Biomedizin zu werden; dort werden neue Formen des Wis-
sens- und Technologietransfers zwischen Wissenschaft (Universität, Max-Planck-
Institut für molekulare Physiologie) und Wirtschaft etabliert. Gerade Dortmund kris-
tallisiert sich im Ruhrgebiet als Investitionsstandort heraus, an dem es gute Rahmen-
bedingungen für Existenzgründungen oder Neuansiedlungen gibt (Technologiezent-
rum Dortmund in Umgebung der Universität). Zudem wird – u.a. durch den Fachbe-
reich Physikalische Technik der FH Gelsenkirchen und durch das Institut für Mikro-
therapie in Bochum – Forschung und Entwicklung im Bereich der minimal-invasiven
Therapie/Diagnostik vor allem für Rücken- und Gelenkerkrankungen als auch Tu-
morerkrankungen betrieben.
Im Ruhrgebiet befinden sich drei Universitäten (Bochum, Duisburg-Essen sowie die
Privatuniversität Witten/ Herdecke) mit medizinischen Fachbereichen. Das ist deut-
lich mehr als in jeder anderen Region Deutschlands; die sich mit dem Thema Ge-
sundheitswirtschaft auseinander setzt. Zudem gibt es an den Ruhrgebietshochschulen
die Möglichkeit im Rahmen von ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen die
Vertiefungsrichtung Medizintechnik zu belegen (u.a. Ruhr-Universität Bochum) oder
an der Fachhochschule Gelsenkirchen den Master of Science Medizintechnik zu ab-
solvieren.
Das Ruhrgebiet ist Sitz von zwei Kompetenzzentren in der Medizintechnik (2 von 8
Siegern des BMBF-Wettbewerbs 1999): zum einen das Kompetenzzentrum Medizin-
technik Ruhr KMR an der Ruhr-Universität Bochum mit dem Forschungsschwer-
punkt Ultraschall für Diagnostik und Therapie, zum anderen das Kompetenz- und
Service-Zentrum für Traumatologie TELTRA, ebenfalls mit Sitz in Bochum, das
informationstechnisches und medizinisches Know-how verbindet, um die Versor-
gung von Unfallopfern mit Hilfe der Telemedizin zu verbessern. Des Weiteren wur-
de unter dem Dach des Universitätszentrums Medizintechnik (UZMT) an der Ruhr-
Universität Bochum eine Verknüpfung medizintechnisch relevanter Fachgebiete vor-
genommen. Akteure in fünf verschiedene Sektionen befassen sich mit fachübergrei-
fenden Projekten von Organersatz über bildgebende Verfahren bis hin zu Biomate-
rialien. In Zukunft soll mit dem biomedizinischen Technologiedreieck „Biomed Tri-
angle“ (Dortmund, Witten, Bochum) der Unternehmensbesatz in den Gesundheits-
technologien noch stärker in der Region verankert werden und damit auch For-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
262
schungs- und Entwicklungstätigkeiten ausgebaut werden. Im April 2007 haben Ak-
teure der Ruhr-Universität Bochum und der Entwicklungsgesellschaft Ruhr Bochum
einen Kooperationsvertrag zur Einrichtung eines Zentrums für medizinische Bildge-
bung unterzeichnet – insgesamt sollen 3,4 Mio. Euro in den Standort im entstehen-
den BioMedizinPark Bochum in der Nähe der Universität fließen (vgl. Wirtschafts-
magazin Ruhr 3/2007).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
263
Medizintechnik im Ruhrgebiet: Struktur, Innovationsstrategien, Kooperationsmuster
und Zukunftsherausforderungen100
Die Medizintechnikunternehmen101 im Ruhrgebiet sind überwiegend kleinbetrieblich
strukturiert: 46,9 % haben unter 10 Beschäftigte und ein Viertel lässt sich der Be-
schäftigtengrößenklasse zwischen 10 und 19 Mitarbeitern zuordnen. Lediglich 9,4 %
der Unternehmen können als Mittelständler mit 50 bis 249 Beschäftigten angesehen
werden.
Abbildung 32: Geschäftstätigkeit der Medizintechnikunternehmen im Ruhrge-biet im Jahr 2006 (Angaben in %)
Quelle: eigene Erhebung im Rahmen des Forschungsprojektes „Regionale Innovations- und Qualifi-zierungsstrategien in der Medizintech nik“.
Das Gros der Unternehmen im Ruhrgebiet – unter den restriktiven Bedingungen der
Erhebung – ist im medizintechnischen Vertrieb (43,8 %, davon wiederum 57 % in
Verbindung mit Händlertätigkeiten) und Handel (21,9 %) tätig. Jedes vierte Unter-
nehmen identifiziert sich als Hersteller (zumeist in Verbindung mit Vertrieb und
Handel der eigenen Produkte). 6,3 % üben reine Dienstleistungstätigkeiten für die
Branche aus und 3,1 % sind Zulieferer (vgl. Abb. 32). 100 Grundlage der empirischen Untersuchung vgl. Kap. 5.1.2.1 Medizintechnik in Nürnberg-Erlangen; 101 Die Aussagen zu den Unternehmen in den Regionen sind unter Einschränkungen auszuwerten, da sie sich nur auf die Unternehmen beziehen, die bei der Befragung mit einen ausgefüllten und gültigen Fragebogen geantwortet haben.
6,3 3,1
21,9
43,8
25
Dienstleister Zulieferer Handel Vertrieb Hersteller
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
264
Hinsichtlich der Qualifikationsstruktur der Mitarbeiter haben – im Vergleich zu
Nürnberg mit 33,3 % – nur 7,6 % der Unternehmen einen überdurchschnittlichen
Akademikeranteil von mehr als 71 % ihres gesamten Personalbestandes. Mehr als ein
Viertel haben keine Hochschulabsolventen beschäftigt, 45,3 % haben bis zu einem
Drittel akademisches Personal. Zwar sind die Beschäftigungsanteile dieses Perso-
nenkreises recht hoch, allerdings zeigen die Angaben zum Personal in Forschung und
Entwicklung, was mit unternehmensinterner FuE einhergeht, die vorwiegend zum
Tätigkeitsbereich von Akademikern zählt102, dass 67,7 % der Medizintechnikunter-
nehmen im Ruhrgebiet keine Mitarbeiter in diesem Bereich in Anstellung haben.
19.4 % haben bis 10 % FuE-Personal und nur 6,5 % haben bis zu jedem zweiten
Mitarbeiter in FuE eingesetzt. Ebenfalls auffällig ist, dass das Ruhrgebiet nicht zu
den großen medizintechnischen Produktionsstandorten in Deutschland zählt: 74,2 %
der Unternehmen haben kein Personal in der Produktion beschäftigt. Allerdings sind
die Beschäftigtenanteile im Vertrieb – im Vergleich zur Region Nürnberg-Erlangen –
weit überdurchschnittlich: 54,7 % haben mehr als jeden zweiten Mitarbeiter für den
Vertrieb angestellt. Ohne verallgemeinernde Aussagen für das Ruhrgebiet allein auf
Basis der quantitativen Erhebung zu machen, kann aber m.E. festgestellt werden,
dass sich die Medizintechnikbranche im Ruhrgebiet vorwiegend auf den Vertrieb
medizintechnischer Produkte spezialisiert hat.
Eine Reihe von neuen Anforderungen wird die zukünftige Entwicklung der Branche
hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit bestimmen. Aus einer Vielzahl von Faktoren
werden hier acht ausgewählt und nach deren Bedeutung für die Branche als auch für
das Unternehmen gefragt, dabei erfolgt eine Einschätzung zwischen den Antwort-
vorgaben auf einer Skala von ‚keine’ über ‚gering’, ‚mittel’ und ‚hoch’ bis ‚sehr
hoch’.
1. Bedeutung von hochtechnologischen Entwicklungen (Produktinnovationen):
Der Stellenwert von hochtechnologischen Produktinnovationen wird von
83,3 % der Unternehmen im Ruhrgebiet für die Branche insgesamt als hoch
bis sehr hoch eingestuft, für ihr Unternehmen selbst sehen diese Entwicklung
80,6 %. 3,2 % messen diesem Aspekt keine Bedeutung zu.
102 Die Annahme wird getragen durch die Berufsgruppen in FuE, die von den Unternehmen genannt wurden. Demnach werden die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im Ruhrgebiet vorwiegend von Akademikern aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften ausgeübt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
265
2. Bedeutung des Einsatzes neuer Verfahrenstechnologien (Prozessinnovatio-
nen):
75 % der Medizintechnikunternehmen schätzen die Bedeutung von Prozess-
innovationen als hoch bis sehr hoch ein, aber nur 50 % können dies auch für
ihr Unternehmen bestätigen (hierbei messen 43,3 % der Unternehmen dieser
Entwicklung eher eine mittlere bis geringe Bedeutung bei). 6,7 % sehen keine
Bedeutung von neuen Verfahrenstechnologien.
3. Bedeutung einer Verkürzung der Produktzyklen:
Für die Branche sehen 44,8 % der Unternehmen eher eine mittlere Bedeutung
(41,4 % hoch bis sehr hoch), für ihr eigenes Unternehmen schätzen 66,6 %
eine Verkürzung der Produktzyklen als mittel bis gering bedeutend ein.
4. Bedeutung der Entwicklung, dass Innovationen zu neuen Aufgabenfeldern
führen:
Für ihr Unternehmen sehen mehr Betriebe (26,7 %) eine sehr hohe Bedeutung
von neuen Aufgabenfeldern durch Innovationen als für die Branche insgesamt
(17,2 %). Mehr als die Hälfte der Unternehmen schätzt den Stellenwert dieser
Zukunftsherausforderung als hoch für die Branche ein, 43,3 % für ihr Unter-
nehmen.
5. Bedeutung neuer Vermarktungsstrategien und Netzwerkbildung:
Im Gegensatz zu den fränkischen Unternehmen sehen 46,7 % der Ruhrge-
bietsunternehmen die Aspekte neue Vermarktungsstrategien und Netzwerk-
bildung für die Branche insgesamt eher mit einer mittleren Bedeutung, nahe-
zu ein Drittel bemisst sie allerdings hoch. Dagegen werden Netzwerkbildung
und neue Vermarktungsstrategien für das Unternehmen selbst von jedem
zweiten Betrieb mit einer hohen bis sehr hohen Bedeutung bewertet.
6. Bedeutung einer potenziellen Entwicklung, dass der Preiswettbewerb die
Qualität verdrängt:
Bei dieser Frage korrespondieren die Antworten der Brancheneinschätzung
mit der Einschätzung für die Unternehmen selbst in weiten Teilen: 76,7 % der
Unternehmen sehen diesen Branchentrend und 70,9 % messen einem Preis-
wettbewerb zuungunsten der Qualität eine hohe bis sehr hohe Bedeutung bei.
7. Bedeutung der Themas Abhängigkeit der Medizintechnik von den Entwick-
lungen im Gesundheitswesen:
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
266
Eine hohe bis sehr hohe Abhängigkeit von den Entwicklungen im Gesund-
heitswesen sehen 90,3 % der Unternehmen für die Branche und 90,7 % für ihr
Unternehmen.
8. Bedeutung einer Zunahme des internationalen Wettbewerbs:
Bei der Einschätzung zur Annahme, dass sich der internationale Wettbewerb
verstärken wird, ergibt sich ein differenziertes Bild: Für die Mehrzahl der Un-
ternehmen selbst hat dieser Aspekt eher eine mittlere bis geringe Bedeutung
(62,5 %), während bei der Einschätzung für die Branche eine relative Gleich-
verteilung von jeweils gut einem Viertel der Unternehmen auf die drei Be-
wertungsvorgaben mittel, hoch und sehr hoch erfolgt ist.
Welche zukünftigen Unternehmensstrategien verfolgen die Unternehmen im Ruhr-
gebiet bei der Entstehung neuer Aufgabenfelder?103 Der Einsatz bzw. die Entwick-
lung neuer Produkte bei der Entstehung neuer Aufgabenfelder hat für 75,8 % der
Unternehmen eine hohe bis sehr hohe Bedeutung, dagegen wird der Einsatz bzw. die
Entwicklung neuer Dienstleistungen von einem Drittel als mittelmäßig relevant ein-
gestuft, ein Fünftel sieht aber durchaus eine sehr hohe Bedeutung. Neue Verfahrens-
und Fertigungstechnologien haben für 43,3 % der Unternehmen nur eine geringe
Bedeutung, dies kann zum Teil auf die – in der Befragung konstatierte – mittelmäßig
Bedeutung des Ruhrgebietes als medizintechnischem Produktionsstandort zurückge-
führt werden. Die deutschlandweit konstatierten Wachstumspotenziale der Branche
ergeben auch für das Ruhrgebiet mögliche Expansionstätigkeiten. Die Entwicklung
neuer Geschäftsbereiche wird von 25,8 % der Unternehmen als hoch eingestuft, von
9,7 % sogar als sehr hoch. Dabei ist festzustellen, dass ein mögliches Vorhaben zur
Ausweitung der Unternehmensaktivitäten mit steigender Mitarbeiterzahl zunimmt.
Die Vernetzung von Funktionen als zukünftige neue Aufgaben innerhalb der Unter-
nehmen und damit auch eine abteilungsübergreifende stärkere Zusammenarbeit be-
werten 35,7 % mit gering und 32,1 % mit hoch, so dass sich in diesem Fall kein ein-
heitliches Bild ergibt.
Noch differenzierter zeigen sich die potenziellen Bemühungen die interne Forschung
und Entwicklung als neues Aufgabenfeld auszuweiten. Während jedes fünfte Unter-
103 Bei dieser Frage wurden aufgrund der allgemeinen Branchenentwicklung voneinander unabhängi-ge Faktoren (z.B.: Einsatz neuer Produkte oder Dienstleistungen, Ausweitung interner FuE, Vernet-zung von Funktionen im Unternehmen etc.) als Vorgabe gewählt, die mit einer Einschätzung für die Zukunft des Unternehmens auf einer Bedeutungsskala von ‚keine’ über ‚gering’, ‚mittel’, ‚hoch’ bis ‚sehr hoch’ erfolgen sollte.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
267
nehmen diesem Aspekt einen hohen Stellenwert konstatiert, geben ebenso viele Be-
triebe an, dass eine Ausweitung keine Bedeutung für ihr Unternehmen hat. Jeweils
27,6 % bewerten diesen Punkt mit gering bis mittel. Wirft man einen detaillierten
Blick auf den Stellenwert von interner FuE für neue Aufgabenfelder im Unterneh-
men nach Beschäftigtengrößenklassen, sind es eher die kleinen Unternehmen mit 20
bis 49 Mitarbeitern, die dem eine hohe Priorität beimessen (33,3 % der Unternehmen
in dieser Beschäftigtengrößenklasse). Für die anderen Klassen ergibt sich für den
hohen bis sehr hohen Stellenwert Folgendes:
• Mitarbeiterzahl unter 10: 26,7 % der Unternehmen in dieser Klasse;
• Mitarbeiteranzahl 10 bis 19: 12,5 % der Unternehmen in dieser Klasse;
• Mitarbeiteranzahl 50 bis 249: kein Unternehmen bewertet interne FuE mit
hoch bis sehr hoch bei der Entstehung neuer Aufgabenfelder.
Mehr Unternehmen im Ruhrgebiet sehen zukünftig den persönlichen Wissensaus-
tausch auf Branchenebene als Strategie, um den technischen und organisatorischen
Wandlungsprozessen in der Medizintechnik zu begegnen, als dies in der Region
Nürnberg-Erlangen der Fall ist (Ruhrgebiet: 53,1 %; Nürnberg-Erlangen: 22,2 %).
Der persönliche Wissensaustausch ist vor allem für kleine Unternehmen bis 49 Mit-
arbeiter wichtig (62,5 % der Unternehmen mit 10 bis 19 Beschäftigten geben dies an
und 60 % der Unternehmen unter 10 Mitarbeitern). Der Wissensaustausch zwischen
Herstellern und Anwendern medizintechnischer Produkte wird von 68,8 % der Un-
ternehmen als Strategie befürwortet. Auch in diesem Fall ergeben die Angaben der
Unternehmen ein höheres Interesse von Seiten der kleinen Unternehmen (80 % in der
Beschäftigtengrößenklasse unter 10 Mitarbeiter und 75 % in der Klasse zwischen 10
und 19 Beschäftigten).
Die Einbindung in ein Netzwerk bzw. einen Forschungsverbund ist bei den Ruhrge-
bietsunternehmen in der Mehrheit nicht sehr ausgeprägt: 59,4 % partizipieren nicht
an derartigen Kooperationen, somit sind 40,6 % in ein Netzwerk eingebunden. Über-
durchschnittlich viele Unternehmen unter 10 Mitarbeitern (46,6 %) und mit 20 bis 49
Beschäftigten (50 %) geben an in ein Netzwerk bzw. Forschungsverbund eingebun-
den zu sein (vgl. auch Interview XII). Ein detaillierter Blick gibt Aufschluss über die
Art der Kooperation. Von den Unternehmen, die Teil eines Netzwerkes sind,
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
268
• kooperieren 76,9 % mit anderen Unternehmen entlang der Wertschöpfungs-
kette;
• sind 46,2 % Mitglied so genannter Netzwerke bzw. Kommunikationsplatt-
formen wie z.B. MetNet NRW;
• haben 38,5 % der Unternehmen eine Forschungskooperation mit Kliniken
bzw. anderen Anwendern z.B. im Hinblick auf eine ergonomische Produkt-
gestaltung;
• arbeiten 30,8 % mit Kliniken auf dem Gebiet der klinischen Forschung zu-
sammen (in der Regel zu Testzwecken neuer Produkte);
• betreiben 23,1 % Forschung und Entwicklung in Kooperation mit Hochschu-
len
• arbeiten 15,4 % der Unternehmen mit Forschungsinstituten zusammen (z.B.:
Fraunhofer Institut);
• und geben 7,7 % sonstige Netzwerkaktivitäten an.
Ein wichtiger Teilaspekt für die Untersuchung stellt die Transferart von Wissen aus
der Forschung in die Unternehmen dar. Medizintechnikunternehmen aus dem Ruhr-
gebiet informieren sich über neue FuE-Entwicklungen vorwiegend durch den Besuch
von Fachtagungen (87,1 % der Unternehmen) und über wissenschaftliche (67,7 %)
und Verbandspublikationen (41,9 %). Ein persönlicher Kontakt zu Hochschul- und
Forschungseinrichtungsakteuren wird durchschnittlich von knapp einem Drittel der
Unternehmen zur Wissensgewinnung genutzt, mit steigender Unternehmensgröße
nimmt der Anteil zu. 29 % engagieren sich in fachbezogenen Arbeitskreisen. Eine
eigene FuE-Abteilung wird nur von 19,4 % der regionalen Unternehmen zum Wis-
senstransfer verwendet. Kommunikationsplattformen bzw. Branchennetzwerke die-
nen nur für 16,1 % der Unternehmen zur Beschaffung von Wissen aus der For-
schung.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
269
5.2.3 Innovationspolitische Maßnahmen104 und Governance durch Netzwerkaktivitä-
ten zur Unterstützung der Medizintechnikbranche im Ruhrgebiet
In diesem Kapitel sollen die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
aufgezeigt werden, die die Entwicklung der Medizintechnikbranche am Standort
Ruhrgebiet maßgeblich begleiten und fördern. Ausgehend von einem Blick auf die
Technologie- und Innovationsförderung in NRW (Leitbild der räumlichen Dezentra-
lisierung, Branchen- und Technologieinitiativen, Innovationsfelder) werden im An-
schluss die Steuerung und Koordination in zwei medizintechnischen Netzwerken
MeTNet NRW (Sitz in Bochum: landesweit/regional) und LifeTec Ruhr e.V. (Sitz in
Bochum: regional/lokal) untersucht.
Technologie- und Innovationspolitik in Nordrhein-Westfalen war seit den 80er Jah-
ren bis ins Jahr 2005 je nach Legislaturperiode mehr oder weniger ausgleichs- und
konsensorientiert mit einer starken Ausrichtung auf regionalen Dialog und Koopera-
tion, was zu einer Dezentralisierung der politischen Steuerung geführt hat. Im Vor-
dergrund standen – insbesondere in den 80er Jahren – die Förderung von Zukunfts-
technologien und der Technologietransfer unter Berücksichtung gesellschaftlicher
Ziele, die man unter dem Stichwort ‚sozialverträgliche Technikgestaltung’105 subsu-
mieren kann. In den 90er Jahren orientierte sich die Technologiepolitik aufgrund der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen (rasante Globalisierung / Internationalisie-
rung der Wirtschaft als Auslöser verstärkter Standortdebatten, zunehmende europäi-
sche Integration etc.) an den Vorgaben der Europäischen Kommission durch die Eu-
ropäischen Strukturfonds – damit wurde die Technologiepolitik noch stärker ein
Thema auf regionaler Ebene. Mit dem Leitbild der räumlichen Dezentralisierung
setzte die Politik auf einen ‚Bottom-up-Ansatz’, der Unternehmen (vor allem KMU)
aus dem regionalen Kontext heraus fördert, regionale technologische Projekte unter-
stützt und die Einrichtung von Initiativen in der Region vorsieht. Technologiepolitik
wird inhaltlich ein Bestandteil der ‚Regionalisierten Strukturpolitik’ in NRW (vgl.
Ziegler 2005, Heinze/Voelzkow 1997a). Die Akteure in den einzelnen Regionen 104 Innovationspolitische Programme und Instrumente beinhalten in der Umsetzung auch strukturpoli-tische Elemente und Wirtschaftsfördermaßnahmen oder überschneiden sich mit diesen, so dass es in der Darstellung keine klare Abgrenzung gibt – Ziel ist es, einen ausgewählten Überblick über die Instrumente staatlicher Fördermaßnahmen unter Berücksichtung der regionalen Ebene und der Bran-chenebene zu geben. 105 Die ‚sozialverträgliche Technikgestaltung’ war einer von vier Bestandteilen der ‚Landesinitiative Zukunftstechnologien’, mit der in den 80er Jahren der Versuch unternommen wurde alle gesellschaft-lich relevanten Akteure in eine arbeits- und sozialpolitische Technologiepolitik einzubeziehen (aus-führlich dazu Ziegler 2002).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
270
wurden aufgefordert Entwicklungskonzepte zu entwerfen, die auf Grundlage einer
Problemanalyse Maßnahmen aufzeigen sollten, mit denen die Region den Struktur-
wandel vorantreibt. Im technologiepolitischen Bereich bestand in allen Regionen die
Forderung nach einer Erweiterung der Forschungslandschaft in außeruniversitären
und privaten Einrichtungen sowie den Aufbau von Technologiezentren, Technolo-
gieberatungsstellen und Transferstellen (vor allem an den Universitäten). So entstand
u.a. auch Technologiepark und -zentrum rund um die Universität Dortmund und das
Technologiezentrum an der Ruhr-Universität Bochum. Mit dem Programm ‚Qualifi-
zierung, Arbeit, Technik, Reorganisation (Quatro)’ förderte das Land weitere Maß-
nahmen zur sozialverträglichen Technikgestaltung, so z.B. Qualifizierungsanpassun-
gen der Arbeitskräfte bei dem Einsatz neuer Technologien und dadurch veränderter
Produktionssysteme. Diese Art der Technologiepolitik lässt sich in die gesellschaftli-
che Debatte um partizipative Technikfolgenabschätzung, die in Deutschland vor-
nehmlich in den 80er und 90er Jahren geführt wurde, und dem daraus resultierenden
Forschungsgegenstand einordnen.106
Im Zuge der Umbildung der Landesregierung im Jahr 2000 änderten sich die minis-
terialen Zuständigkeiten für die Technologie- und Innovationspolitik des Landes. Die
Zuständigkeiten für die einzelnen Technologiebereiche wurden auf das Ministerium
für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie und auf das Wirtschaftsministe-
rium verteilt. Ersterem waren vornehmlich die Produktionstechnologien des Verar-
beitenden Gewerbes unterstellt (bspw. Fahrzeug- und Maschinenbau, Metallindu-
strie, Luft- und Raumfahrt etc.), Letzteres war maßgeblich für Dienstleistungen, Che-
106 Die Debatte um Möglichkeiten, Chancen und Risiken der Einführung und breiten Anwendung von Technologien sowie deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft wurde Ende der 60er Jahre in den USA ausgelöst und führte dazu, dass Technikfolgenabschätzung (im Englischen: Technology Assessments) zu einem Instrument der Politikberatung wurde (1972 wurde das ‚Office of Technology Assessment’ als politisch-wissenschaftliches Beratungsorgan des Kongresses eingerichtet). Technik-folgenabschätzung bildet nach Bullinger „zwischen den beiden Extremen einer ‚nachlaufenden Scha-densminimierung’ und einer ‚vorlaufenden Technikplanung’ den transdisziplinären, institutionellen Versuch moderner Gesellschaften, ökologische und soziale Probleme, die sich durch technologische Innovationen eingestellte haben (einstellen werden), zu bewältigen“ (ders., 1994, 17). In Deutschland wurde nach langjähriger Diskussion im Jahr 1990 das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eingerichtet. Über die, vor allem in den 80er Jahren diskutierte Technikfolgen-abschätzung als Politikberatungsinstrument hinaus wurde in den 90er Jahren verstärkt auf eine Parti-zipation gesellschaftlicher Gruppen gesetzt; so bemühen sich neben dem Staat auch Verbände um eine Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung und -bewertung, die zu Überlegungen in Richtung pluralistisch-dezentraler Einrichtungen (Netzwerken) geführt hat. Handlungsmöglichkeiten sollten auf eine breitere wirtschaftlich-gesellschaftliche Entscheidungsbasis gestellt werden. Des Weiteren befas-sen sich bis heute Forschungseinrichtungen mit Analysen und Bewertungen im Rahmen der Technik-folgenabschätzung (u.a. Forschungszentrum Karlsruhe ITAS). Einen weit reichenden wissenschaftli-chen und praktischen Überblick zur Thematik bieten die Beiträge in Bullinger (1994), zu den Chancen der Partizipation in der Technikfolgenabschätzung sei auf die Untersuchung von Baron (1995) ver-wiesen.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
271
mische Industrie, Bio-, Gen- und Umwelttechnologie und die Medizintechnik zu-
ständig. Darüber hinaus waren auch die Staatskanzlei und das Wissenschaftsministe-
rium über bestimmte Branchenzuständigkeiten / Forschung in die Technologie- und
Innovationspolitik involviert. Nachdem nun die strategische Richtung der politischen
Maßnahmen als – im Gegensatz zur bayerischen Politik – eher dezentral und kon-
sensorientiert dargelegt wurde, und bevor auf den innovationspolitischen Kurswech-
sel seit Mitte 2005 eingegangen wird, werden einzelne Aktivitäten konkretisiert. Eine
Besonderheit der nordrhein-westfälischen Innovationspolitik besteht, aufgrund der
Verknüpfung von Politikfeldern und der zum Korporatismus neigenden Akteurs-
strukturen darin, dass es kein einheitliches Programm gibt, dem eine Reihe von Insti-
tutionen beigeordnet sind, wie dies in Bayern der Fall ist.
In NRW gibt es eine Vielzahl von Landes-, Branchen- und Technologieinitiativen
[u.a. ChemSite, Logistik NRW, Health Care NRW aber auch seit 1984 das Zentrum
für Innovation und Technik in NRW (ZENIT)], die als Plattformen für den Erfah-
rungs- und Wissensaustausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik dienen.
Die Akteure der Initiativen erfüllen eine Moderatorenfunktion und sollen die Aktivi-
täten auf Branchen- oder Technologieebene bündeln. Die Ausrichtung der Innovati-
onspolitik auf Kompetenzfelder sollte im Folgenden (ab 2004) die breite Aufstellung
an Initiativen vordringlich auf sechs sowohl traditionelle als auch neue technologi-
sche Bereiche in NRW insgesamt konzentrieren: serviceorientierte Industrie und
produktionsnahe Dienstleistungen, technische und organisatorische Integration von
Systemen (Mikro- und Nanotechnologie), Logistik in Verbindung mit Telematik,
Life Sciences, Neue Materialien und Energie- und Umwelttechnologien (vgl. Ziegler
2005, 173). Darüber hinaus wurde der Regionalansatz durch die Identifizierung von
regionalen Kompetenzfeldern fortgesetzt (vgl. Koschatzky et al 2004 und für das
Ruhrgebiet Kap. 5.2.2). Nach Ziegler (2005) ist die Vereinbarkeit der Branchen- und
Technologieinitiativen mit den neuen Kompetenzfeldern allerdings weniger ersicht-
lich. Schon in den 90er Jahren kam es zum Aufbau von Initiativen ohne die alten
Strukturen zu berücksichtigen, so dass es zu einer Parallelität von Einrichtungen ge-
kommen ist.
Seit Beginn des neuen Jahrtausends scheint es auf die sukzessive Ablösung von alten
Strukturen hinauszulaufen, was auch durch den finanziellen Rückzug der öffentli-
chen Hand aus einzelnen Landesinitiativen und den Übergang zur Selbstträgerschaft
der Akteure bestätigt werden könnte. Eine klassische Maßnahme im Rahmen der
Innovationspolitik ist die Förderung und der Ausbau einer Infrastruktur des Techno-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
272
logietransfers und der -beratung; so verfügt NRW über eine hohe Dichte an 58 Uni-
versitäten und Fachhochschulen, 11 Max-Planck- und 14 Fraunhofer Instituten sowie
10 Instituten der ‚Leibniz Gemeinschaft’, weiteren aus Landesmitteln geförderten
Forschungseinrichtungen, einer Vielzahl an Technologie- und Gründerzentren als
auch 29 Technologietransferstellen (vgl. www.gfw-nrw.de, 27.04.07). Zur Finanzie-
rung von Forschung und Entwicklung gibt es neben allgemeinen Fördermaßnahmen
durch Kredite, Bürgschaften und seit 1998 durch die Beteiligungsgesellschaft für
Risikokapital ‚win’ auch ein Technologie und Innovationsprogramm (TIP), mit dem
insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei technischen Entwicklungsvorha-
ben unterstützt werden; zum Adressatenkreis zählen aber auch Landesinitiativen und
Forschungsinstitute.
Seit 1999 wurden aber auch wettbewerbliche Elemente in die vormals rein gesell-
schaftlich konsensorientierte Innovationspolitik integriert. Im Rahmen der Ziel-2-
Förderung des europäischen Strukturfonds (in NRW zählten bis 2006 große Teile des
Ruhrgebietes, die Regionen Heinsberg und Höxter als auch die Hocheifel zu den
Fördergebieten) wurden beispielsweise mit dem ‚ZukunftsWettbewerb Ruhrgebiet’
hiesige Akteure aufgefordert gemeinsam innovative Projekte zu entwickeln, die so-
wohl technologie- und beteiligungsorientiert und in marktreife Produkte und Dienst-
leistungen umsetzbar sind, Arbeitsplätze schaffen und nach Abschluss der Förder-
phase zur Arbeitsplatzsicherung beitragen. Dabei stehen vor allem für Kooperation
zwischen Wirtschaft und Wissenschaft Mittel zur Verfügung.
Des Weiteren wurde zur Stärkung der Innovationsaktivitäten im Ruhrgebiet die ‚Pro-
jekt Ruhr GmbH’ als Landesgesellschaft gegründet. 48 Projekte zur Forcierung des
Strukturwandels wurden bis Ende 2006 mit 600 Mio. Euro aus Mitteln der Europäi-
schen Union, des Landeshaushaltes und der Haushalte der Kommunen gefördert.
Darunter zählen auch Projekte in den hochtechnologischen Bereichen Medizintech-
nik und IuK-Technologien, aber auch Logistik, Chemie, industrielle Materia-
lien/Technologien und Energietechnik sowie Touristik, Freizeit und Kultur. Zudem
setzt sich die Gesellschaft für die Vernetzung innerhalb der Region ein, z.B. unter-
stützt die Projekt Ruhr GmbH das Medizintechnik- und Biotechnologienetzwerk Li-
feTecRuhr e.V.. Die Technologie- und Innovationspolitik in NRW ist bis zum Jahr
2005 stark arbeits- und sozialpolitisch verknüpft (siehe auch die Zuordnung zu den
Ministerien), sehr breit aufgestellt – was bei der Vielzahl an Initiativen und Förder-
maßnahmen, die oftmals parallele Ziele verfolgen, einen Effizienzverlust in der Um-
setzung zur Folge haben kann – und lässt eine langfristige Orientierung, durch die in
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
273
den letzten 20 Jahren immer wieder vorgenommene Neuorientierung, vermissen.
Gerade letzter Aspekt der Langfristigkeit von Maßnahmen (‚stabile Signale setzen’)
wird als wichtiges Kriterium erfolgreicher Innovationspolitik erachtet (vgl. Meyer-
Krahmer 2004; RWI Essen / Stifterverband der Deutschen Wissenschaft 2006). Seit
den 80er Jahren wurden Technologien und Branchen gefördert, die sowohl zu den
traditionellen ‚Stärken’ NRWs zählen (Chemie, Energie, Maschinenbau) als auch zu
den hochtechnologischen Branchen (Biotechnologie, Medizintechnik) und Quer-
schnittstechnologien (Mikrosystemtechnik, Nanotechnologie, neue Werkstoffe). Eine
Konzentration auf Schwerpunkte lässt sich in Ansätzen – wie beschrieben – erst im
neuen Jahrtausend erkennen. Weiterhin besteht aber eine fehlende Transparenz bei
der Vielzahl von Initiativen, die zum Teil eine hohe Fluktuation aufweisen (vgl. Ko-
schatzky 2004).
Seit dem Regierungswechsel im Jahr 2005 kam es zur Wende in der Technologie-
und Innovationspolitik des Landes. Mit dem nunmehr geschaffenen Ministerium für
Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie sollen die Kapazitäten und
Zuständigkeiten in einem ‚Haus’ gebündelt werden. Nichtsdestotrotz ist das Ministe-
rium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie für Wirtschaftsfördermaßnahmen,
Strukturfondsförderung und die Clusterpolitik verantwortlich. Die eben beschriebene
Vielzahl an Initiativen auf Landes-, Branchen-, Technologie- und regionaler Ebene
hat die politischen Akteure zu einem Evaluationsprozess veranlasst, mit dem Ziel
den Aufbau und die Weiterentwicklung wachstumsorientierter und zukunftsfähiger
Cluster (damit auch eine Bündelung und zum Teil Reduktion alter Strukturen) voran-
zutreiben. Anstelle von ausgleichspolitischen Maßnahmen und Strategien sollen nun
wachstumsorientierte Maßnahmen treten; mit den Schlagworten Stärken stärken,
Profil schärfen und Exzellenz fördern sollen Fördermaßnahmen nach ihrer Effizienz
evaluiert werden und finanzielle Mittel nur nach dem Wettbewerbsprinzip fließen.
Die aktuelle innovationspolitische Richtung ist im August 2006 im Kabinett verab-
schiedet worden. Zentrale Punkte sind: Hochschulfreiheitsgesetz u.a. zur Verbesse-
rung der Kooperationsmöglichkeit zwischen Hochschulen und der Wirtschaft, res-
sortübergreifende Clusterpolitik, Intensivierung des Standortmarketings, neue Tech-
nologie-, Innovations- und Existenzgründerprogramme, Unterstützung der ‚Innovati-
onsAllianz der NRW Hochschulen’, Aufbau eines Landesinnovationsfonds aus Pri-
vatisierungserlösen und schließlich – neben weiteren Finanzierungsmaßnahmen – die
zentrale Koordination der einzelnen Maßnahmen über einen Staatssekretär-
Ausschuss unter Leitung des Innovationsministeriums (vgl. www.innovation.nrw.de,
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
274
28.04.07). Die innovationspolitische Wende kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht
auf ihren Erfolg hin überprüft werden, der politische Richtungswechsel ist aber er-
sichtlich: Weniger Ausgleichspolitik und dezentraler Konsens, dafür mehr zentral
gesteuerte Wachstumsorientierung, ohne die regionale Clusterbildung außer Acht zu
lassen.
5.2.3.1 Regional Governance durch Netzwerkinitiativen
Die Etablierung von Netzwerkinitiativen und -strategien hat in der nordrhein-
westfälischen Innovations- und Wirtschaftsförderungspolitik eine lange Tradition,
unterscheidet sich darin aber nicht von anderen Bundesländern. Die kooperative
Verbindung von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik lag nicht nur der
gesellschaftlichen Konsensstrategie zugrunde, auch unter eher wachstumsorientierten
Ansätzen in Clusterstrategien setzt die heutige Regierung auf Netzwerke zur Bünde-
lung und Förderung von technologischen Kompetenzen. Als Ergebnis der vormals
dezentralen Struktur- und Innovationspolitik in NRW, in dessen Rahmen sich auch
die Kompetenzfeldstrategie bewegt, ist es zu einer ausgeprägten gesundheitswirt-
schaftlichen und medizintechnischen Netzwerklandschaft in NRW und dem Ruhrge-
biet gekommen, die z.T. parallele Aktivitäten aufweist, da die Abgrenzung zwischen
landesweiten Angeboten und regionalen Angeboten nicht immer deutlich wird. So
haben beide medizintechnischen Netzwerke den Sitz in Bochum und hier ist ebenso
eine Konzentration der Aktivitäten festzustellen (vgl. Interviews X, XI, XV).107
Eine Landesinitiative zur Stärkung der Lebenswissenschaften in NRW stellte bis
Anfang 2007 die LSA Life Science Agency GmbH dar, die Unternehmen und Exis-
tenzgründer über die Kompetenzen der drei Gesellschafter ‚Bio-Gen-Tec-NRW’,
‚Health Care NRW’ und ‚MeTNet NRW’ bei Fragen zu Forschungsprojekten und
Internationalisierungsplänen berät und betreut. Bereits in den 90er Jahren wurden die
drei Initiativen gegründet. Obwohl ‚MeTNet NRW’ im April 2007 als Folge der In-
107 Die Auswahl fiel auf diese beiden Netzwerke, da die innovationspolitische Landesstrategie durch den Verein MeTNet illustriert werden kann und durch den LifeTec Ruhr e.V. die regionale Kompo-nente in den Blick gerät. Neben diesen Netzwerken sei vor allem auf das Kompetenzzentrum Medi-zintechnik Ruhr (KMR e.V.) an der Universität Bochum hingewiesen. Es ist eins von drei nordrhein-westfälischen Siegern des bundesweiten Kompetenznetzwettbewerbes vom BMBF und wurde 2001 gegründet. Der Schwerpunkt liegt auf Forschungsaktivitäten im Bereich Ultraschalltechnik wodurch die Entwicklung neuer Techniken in den bildgebenden Verfahren vorangetrieben werden soll. Neben universitären Instituten (u.a. Hochfrequenztechnik) – vorwiegend aus dem regionalen Kontext – sind es überregionale Unternehmen, die in Projekten involviert sind. Da es beim KMR weniger um regio-nale Profilbildung (außer auf Forschungsseite) geht und Kooperationen nach dem Prinzip inhaltlicher Konvergenz gebildet werden, wird im Rahmen dieser Untersuchung auf eine nähere Darstellung ver-zichtet.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
275
solvenz der LSA aufgelöst worden ist, findet die Initiative Eingang in die vorliegen-
de Untersuchung. Durch die Analyse der Strukturen und Arbeitsweisen kann der
Versuch zum Ausbau von medizintechnischen Kompetenzen und deren Vernetzung
nachvollzogen werden. Die Dachmarke, unter der sich die Aktivitäten der ‚LifeTec
Ruhr e.V.’ bündeln lassen, ist die im Jahr 2004 gegründete Koordinierungsstelle Me-
dEcon Ruhr. Ziel ist der Ausbau, die Vernetzung und Vermarktung sowie das Moni-
toring der gesundheitswirtschaftlichen Aktivitäten im Ruhrgebiet, die schon im Vor-
feld von verschiedenen Ruhrgebietsakteuren gefördert wurden: Initiativkreis Ruhr-
gebiet (Vermarktung spitzenmedizinischer Angebote), Regionalverband Ruhrgebiet
(Prävention und Gesundheitsförderung), Projekt Ruhr GmbH (als Gründer des Bio-
MedTec e.V. und Partnerorganisation des Vereins BioIndustry, die zusammen den
LifeTec Ruhr e.V. (LTR) bilden) und der Verein Pro Ruhrgebiet (Unternehmens-
gründungen). Die operativen Aufgaben bezüglich der thematischen Schwerpunkte
werden von den Partnern übernommen. Es ergeben sich folgende Handlungsfelder:
• Spitzenmedizin (Betreuung: Initiativkreis Ruhrgebiet)
• Life Technologies (Betreuung: LifeTec Ruhr e.V.)
• Präventionsverbund (Betreuung: Regionalverband Ruhrgebiet)
• Businessplanwettbewerb Medizinwirtschaft (pro Ruhrgebiet; Betreuung:
Startbahn MedEcon Ruhr GmbH)
• Lernallianz Gesundheit (Betreuung: Institut Arbeit und Technik)
• Seniorenwirtschaft (Betreuung: Institut Arbeit und Technik)
• Health Care Export (im Aufbau)
Der kurze Überblick über die Netzwerkinitiativen und deren Bündelung hat gezeigt,
dass es zum einen landesweite Projekte gab (LSA und deren Gesellschafter) und re-
gionale Initiativen gibt. Beiden gemein ist die starke Ausrichtung auf die Medizin-
technik und Biotechnologie. Im Folgenden werden die beiden technologisch orien-
tierten Netzwerke untersucht, um sich der Antwort auf die Frage nach der Effizienz
von Netzwerkinitiativen zu nähern.
Das untersuchte Netzwerk ‚MeTNet NRW’ ist in erster Linie als Referenznetzwerk
zu beurteilen (vgl. Hasse 2003). Der Informations- und Erfahrungsaustausch sowie
die Möglichkeit wechselseitigen Lernens zwischen relativ gleichrangigen Akteuren
steht dabei vor arbeitsteiligen Kooperationen und lässt eher ein nebeneinander von
Akteuren zu, die auf dem Markt als Konkurrenten agieren. Der ‚LifeTec Ruhr e.V.’
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
276
ist stärker den Kooperationsnetzwerken zu zuordnen, da der Aufbau eines technolo-
gisch orientierten Clustermanagements an der Ruhr im Vordergrund steht (vgl. Inter-
view XI). Letzteres schließ damit eher an die institutionenökonomische Netzwerkde-
batte an. Trotzdem wird auch bei ‚MeTNet NRW’ die Initiierung von Kooperations-
projekten zwischen Unternehmen oder Unternehmen und Hochschu-
len/Forschungseinrichtungen vorangetrieben (z.B. im Bereich FuE), so dass in der
Praxis die theoretische Abgrenzung verschiedener Netzwerktypen nicht zu halten
ist.108
MeTNet NRW
Bereits Mitte der 90er Jahre (1996) hat das politisch initiierte Netzwerk MeTNet
NRW mit Sitz im Technologiezentrum an der Ruhr-Universität in Bochum seine
Arbeit aufgenommen. Hintergrund waren Bestrebungen, den Strukturwandel im
Land zu forcieren und durch den dichten Besatz an medizinischen, ingenieur- und
naturwissenschaftlichen Lehrstühlen an nordrhein-westfälischen Universitäten wurde
auf die Stärkung der Medizintechnikbranche gesetzt. Insbesondere die RWTH Aa-
chen, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Ruhr-Universität Bochum
zeichneten sich durch medizintechnische Forschungskompetenzen aus. In den mehr
als zehn Jahren seines Bestehens hat sich MeTNet NRW thematisch auf sechs Fach-
cluster konzentriert: Neue Materialien und Bioverträglichkeit, Radiologie und Kar-
diologie, Implantate und Mikrosystemtechnik, Medizin- und Informationstechnolo-
gien, minimal-invasive Methoden und Design in der Medizin. In Anlehnung an die
regionale Kompetenzinitiative Medizin-Pharma-Gesundheit in Erlangen verstanden
sich die Akteure zum einen als Informationsdrehscheibe und über die Erlanger Akti-
vitäten hinaus insbesondere als Berater für kleine und mittlere Unternehmen im Me-
dizintechniksektor. 95% der 92 Mitglieder sind KMU, so dass von einem Unterneh-
mensverbund gleichrangiger Akteure gesprochen werden kann. Dieser wird aller-
dings begleitet von einigen wenigen Forschungseinrichtungen und Hochschulen (bei
letzterem vor allem durch die ansässige Ruhr-Universität). Die regionalen Schwer-
punkte des Netzwerkes anhand der Mitgliederherkunft konzentrieren sich auf die
Region Aachen, die ‚Rheinschiene’ entlang Köln und Düsseldorf als auch auf das
mittlere Ruhrgebiet um Bochum, Essen und Witten. Die Geschäftstätigkeit der Mit-
108 Als Quellen der folgenden Ausführungen werden neben der Internetpräsenz der beiden Netzwerke (www.metnet.de und www.life-tec-ruhr.de) und – für die Darstellung der LTR nach der Gründung – vgl. Steinkemper 2005, vor allem die Experteninterviews mit den beteiligten Akteuren genutzt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
277
gliedsunternehmen weicht durch die Reichweite in ganz NRW von den Ruhrgebiets-
strukturen deutlich ab und bündelt vor allem Hersteller und Dienstleister/Handel,
weniger Vertriebsunternehmen. Die Ziele des Netzwerkes lassen sich auf die KMU-
Beratung in den Fachclustern als Kernaufgabe reduzieren. MeTNet NRW bestand
aus zwei Säulen: MeTNet e.V. als originäres Netzwerk, das marktferne Tätigkeiten
abdeckt und die MeTNet GmbH, die privatwirtschaftliche Unternehmensberatungs-
angebote gestellt hat. Damit verlief sich KMU-Beratung auf diesen zwei Schienen.
Die marktfernen Tätigkeiten beinhalteten u.a. Delegationsreisen (in enger Kooperati-
on mit der Landesregierung u.a. nach China), Transfer von Forschungsergebnissen
durch ein regelmäßiges Workshopangebot, gemeinsamer Auftritt bei der Medizin-
messe MEDICA in Düsseldorf, Fortbildungen in den Bereichen Marketing und Ver-
trieb, fachspezifische Clusterveranstaltungen bei wechselnden Einrichtungen (auch
zum Forschungsergebnistransfer), Hilfestellung bei Fördermittelakquisition, Kon-
taktvermittlung zu Behörden, Hochschulen und Finanzgebern. Zu den marktnahen
Tätigkeiten gehörte das Beratungsangebot durch die MeTNet GmbH in den Berei-
chen Marketing, Qualitätsmanagement und Finanzberatung von KMU.
Die sechs Fachcluster dienen nicht nur dem allgemeinen Ziel, Informationsdefizite
zwischen den beteiligten Akteuren abzubauen sondern auch der Förderung von Ko-
operationen. Letztlich kann aber auch in dieser Initiative über den Ausgang der Ko-
operationsprojekte keine Aussage gemacht werden. Unternehmen und Forschungs-
einrichtungen nutzen allerdings das Netzwerk als letzte Instanz zur Informationsbe-
schaffung über mögliche Kooperationspartner. Aus Gründen der Geheimhaltung bei
FuE-Projekten werden erst die persönlich Kontakte seitens der Unternehmen auf dem
Markt genutzt; sind die Informationskosten zu hoch, werden Netzwerkangebote in
Anspruch genommen. Dieses Ergebnis folgt der Transaktionskostentheorie und bin-
det auch den hohen Stellenwert der Vertrauenskomponente in Akteursbeziehungen
aus den Arbeiten von Mayntz und Scharpf (vgl. grundlegend dies. 1995 und 2000)
mit ein. Die besondere Bedeutung von Netzwerkstrukturen für KMU kann an diesem
Beispiel – ebenso am Forum Med Tech Pharma e.V. – mit Hilfe der Transaktions-
kostentheorie erörtert werden: Aufgrund mangelnder personeller Ressourcen gestal-
ten sich Informationsbeschaffungsmaßnahmen (z.B. über geeignete Fördermittel) für
KMU als schwierig und können nicht in der Organisation selbst oder auf dem Markt
erbracht werden, die Kosten wären zu hoch. Die Einbindung in ein Netzwerk redu-
ziert diese Kosten und erhöht den Nutzen für die Unternehmen.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
278
Trotz eines hier begründeten guten Ansatzes von MeTNet NRW wurde die Förde-
rung durch Landesmittel durch die Insolvenz des Dachverbundes Life Science Agen-
cy (LSA) in der ersten Jahreshälfte 2007 eingestellt. Diese Entwicklung führte zur
Aufgabe des Netzwerkes, das sich finanziell nicht selbst tragen konnte – die För-
derauflagen für Vereine untersagen eine Kommerzialisierung des Angebotes. Hinzu
kommt, dass sich bereits in den letzten Jahren die Zahl der Mitglieder reduziert hatte,
von 140 im Jahr 2002 auf 92 Mitglieder fünf Jahre später. Ebenso schwierig gestalte-
te sich die personelle Situation, das Netzwerk wurde nur noch von einem Mitarbeiter
koordiniert. Aus diesem Grund konnte zuletzt das Netzwerkportfolio nicht mehr in
dem konzipierten Maß angeboten werden. Im Vordergrund der Aktivitäten standen
nun mehr Fortbildungsangebote in Vertrieb und Marketing, als auch in unregelmäßi-
gen Abständen Clustertreffen.
LifeTecRuhr e.V. (LTR)
Der Verein LifeTec Ruhr (LTR) ging 2004 als Gründung aus den beiden Initiativen
BioMedTec e.V. (Medizintechnik) und BioIndustry e.V. (Biotechnologie) hervor,
welche heute noch im Verbund eine wichtige Rolle für die regionale Clusterbildung
spielen, aufgrund von Kompetenzüberschneidungen aber in den Strukturen des LTR
gebündelt sind. Mit dem Zusammenschluss zum LTR sollte der Aufbau eines techno-
logisch orientierten Clustermanagements im Ruhrgebiet vorangetrieben werden,
denn erst seit 2004 ist der Verbund offen für Unternehmensmitglieder (BioMedTec
e.V. wurde als universitätsgebundenes Beratungsnetzwerk für Medizintechnik und
Biomaterialien gegründet). Beteiligt waren die Universitäten in Essen, Bochum und
Witten/Herdecke sowie u.a. die Kompetenzzentren KMR und Teltra in Bochum;
mittlerweile spielen die akademischen Akteure aber nur noch eine untergeordnete
Rolle). Durch das Netzwerkinstrument der Technologieverbünde kann man den LTR
als zentralisiertes Kooperationsnetzwerk mit bi- und multilateralen Beziehungsmus-
tern zwischen den Mitgliedern beschreiben. Der LTR sieht eine seiner Hauptaufga-
ben darin, operative Unternehmensverbindungen zu initiieren und zu stärken. Die
Ziele sind:
• Standortentwicklung (Unternehmensbestand ausbauen)
• Realisierung von Technologieprojekten
• Profilbildung und -stärkung in technologischen Feldern
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
279
Letztere sind für die Medizintechnik Bildgebung, medizinische Informationstechno-
logie, OP-Technik, Biomaterialien und für die Biotechnologie Bio-
Informationstechnologie, Proteomics als auch Bioverfahrenstechnik. Diese Techno-
logiefelder finden ihre Entsprechung in Technologieverbünden (vgl. Abb. 33). Ziel
ist, sich selbst tragende geschäftliche Verbindungen (FuE-Kooperationen, Produkt-
Vermarktungskooperationen, vernetzte Dienstleistungsangebote etc.) zu initiieren.
Dabei hängt der Erfolg der Beziehungen in der Praxis entscheidend von einem indus-
triellen ‚key player’ im Technologieverbund ab.
Der Informationsaustausch und Wissenstransfer durch Clustertreffen und Themen-
workshops, wie dies vorrangig in Referenznetzwerken der Fall ist, unterliegt keiner
Systematik und wird vordergründig nicht praktiziert (auf informeller, persönlicher
Ebene z.B. in den Technologieverbünden ist der Wissensaustausch gegeben). Auf-
grund der spezifischen Zusammensetzung der medizintechnischen Unternehmens-
landschaft im Ruhrgebiet hat die Bestandsentwicklung einer Branchenstruktur im
Sinn eines Clusters oberste Priorität. Die universitäre Vernetzung und damit einher-
gehend eine Verbindung von wissenschaftlichen und unternehmerischen Kompeten-
zen (insbesondere im Bereich Biomaterialien) soll in Zukunft fokussiert werden. Da-
bei spielt die Anbindung an traditionelle Stärken im Ruhrgebiet (z.B. auf dem Gebiet
der Werkstoffkunde oder der Automationstechnik) und an neue Technologien mit
ausgeprägtem Unternehmensbesatz in der Region (Mikrotechnik, Informationstech-
nologie) eine große Rolle bei der Entwicklung neuer Kopplungen. Da das Ruhrgebiet
nicht über eine Clusterstruktur im wissenschaftlichen Verständnis nach Porter (1995
und 2000) für den Bereich der Biomaterialien verfügt, werden Kontakte zu Unter-
nehmen aus Querschnittbranchen gesucht. Auf Seiten der Hochschulen und For-
schungseinrichtungen werden die vorhandenen und etablierten Potenziale der biome-
dizinischen Einrichtungen genutzt. Das Netzwerk wird von Seiten der Unterneh-
mensakteure von kleinen und mittleren Betrieben dominiert und ihnen gilt die beson-
dere Förderung (Teil der Strategie des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und
Energie NRW, vgl. MWME 2006). Neben den Technologieverbünden bieten die
Akteure des LTR Fördermittelbratung und gemeinsame Messeauftritte (MEDICA)
an. Als Gesellschafter der Startbahn MedEcon Ruhr GmbH engagiert sich der LTR
am Gründungsgeschehen in der Medizintechnik. Mit dem Businessplan Wettbewerb
Medizinwirtschaft ist für potentielle Start-Ups ein Instrument der Gründungsförde-
rung geschaffen worden (vgl. www.startbahn-ruhr.de, 23.05.07).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
280
Mit Auslaufen der Landesförderung und der Mittelzuwendung seitens der Projekt
Ruhr GmbH Ende 2007 wird sich der Verein neuen Finanzierungsherausforderungen
stellen; ein Teil der Aufwendungen wird durch die Anbindung an die MedEcon Ruhr
getragen.
281
Regionale Entw
icklungspotenziale durch Medizintechnik
Abbildung 33: Vernetzung der Technologieverbünde innerhalb des LTR im Jahr 2006 (Stand: Herbst 2006 – laufende Änderungen)
Quelle: LifeTec Ruhr e.V. (2007).
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
282
5.3 Medizintechnik in der Region – Wachstum auf bewährten Pfaden
oder Neuorientierung? – Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Unter-
suchung
Eine ‚kritische Masse’ von Unternehmen aus forschungs- und wissensintensiven
(Spitzentechnologie-)Branchen – eingebettet in eine hoch verdichtete Hochschul-
und Forschungslandschaft und gefördert durch eine stringente, clusterorientierte In-
novationspolitik – kann die technologisch-wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von
Regionen und Branchen im internationalen Kontext erhöhen und zur Etablierung
einer Innovationskultur beitragen. Zu diesem Ergebnis kommt, wie zu Beginn dieses
Kapitels schon erläutert, die sozialwissenschaftliche Forschung. Im Verlauf des Ka-
pitels wurden deshalb die Indikatoren zur Bestimmung der technologischen Leis-
tungsfähigkeit von Wirtschaftsräumen auf die Bundesländer Bayern und NRW sowie
die Regionen Nürnberg-Erlangen und Ruhrgebiet angewandt und am Beispiel der
Medizintechnikbranche die regionalen Kompetenzen, politischen Rahmenbedingun-
gen und Vernetzungen auf Meso- und Mikroebene herausgearbeitet.
Bayern zählt zu den forschungsintensiven Hochtechnologiestandorten in Deutschland
und verfügt mit Schwerpunkten im Fahrzeugbau, der Elektroindustrie und dem Ma-
schinenbau über die zweitgrößte industrielle Basis aller Bundesländer (nach Baden-
Württemberg). Der starke Industriebesatz in den Branchen der spitzentechnologi-
schen Güter (42,8% aller internen FuE-Aufwendungen fließen in Spitzentechnolo-
gien) und Hochwertigen Technologien, die als überdurchschnittlich forschungs- und
entwicklungsintensiv gelten, führt dazu, dass die FuE-Aktiviäten in Bayern deutsch-
landweit (neben Baden-Württemberg) an der Spitze liegen. Insbesondere in der
Elektrotechnikbranche nehmen die bayerischen Unternehmen in Bezug auf die FuE-
Aufwendungen eine Führungsrolle ein. Setzt man am Output des Innovationsprozes-
ses an, den Patenten, so zeigen die Anmeldungen am Deutschen Patent- und Mar-
kenamt, dass jede vierte deutsche Patentanmeldung von bayerischen Unternehmen
getätigt wurde. Erscheint die bayerische Wirtschaft im innerdeutschen Vergleich sehr
leistungsstark, so gliedert sie sich im internationalen Wirtschaftsraum (der Analyse
der Außenhandelsstrukturen folgend) in die Gesamtperformance Deutschlands ein:
Stärken im Bereich der Hochwertigen Technologien, Schwächen auf dem Weltmarkt
bei den spitzentechnologischen Gütern insgesamt.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
283
Der kleinräumliche Blick in die Region Nürnberg-Erlangen hat deren industriell
starke Stellung innerhalb Bayerns gezeigt: Der BWS-Anteil des Verarbeitenden Ge-
werbes liegt über dem ohnehin hohen Landesdurchschnitt. Hinzu kommt eine gute
Position im Bereich der Spitzen- und Hochwertigen Technologien – was u.a. auf die
Medizintechnik- und IT-Branche in der Region zurückzuführen ist. Wie andere in-
dustriell geprägte Regionen auch war Nürnberg-Erlangen insbesondere in den 80er
und 90er Jahren vom Strukturwandel betroffen, der zu einem Rückgang der Produk-
tion standardisierter Massengüter führte. Neben dem Aufbau von größtenteils wis-
sensintensiven, unternehmensnahen – und damit zukunftsorientierten – Dienstleis-
tungsbranchen ist es zu einer technologischen Modernisierung der Unternehmens-
landschaft gekommen. Diese verbindet mittlerweile die traditionellen Kompetenzen
in den Bereichen Elektrotechnik und Maschinenbau mit einer wissensintensiven Ver-
edelungsproduktion und sichert damit die industrielle Basis der Region, um die sich
ein unternehmensnahes Dienstleistungscluster etablieren konnte. Ende der 90er Jahre
wurde ein gemeinsames Entwicklungsleitbild für die Region entworfen, das die Ges-
taltungsprozesse im Strukturwandel auch von Seiten politischer Akteure in eine
Richtung bündeln sollte. Als Ergebnis wurden sechs technologische Kernkompeten-
zen identifiziert, um die sich ein Pool von innovativen Dienstleistungsangeboten
gruppiert hat und die eingerahmt sind von zukunftsträchtigen Querschnittstechnolo-
gien. Eines dieser politisch unterstützten Kompetenzfelder ist die Medizintechnik.
Anders als im Ruhrgebiet wurde die Medizintechnik nicht als neues Wachstums-
oder Kompetenzfeld erkannt, sondern kann durch die Standortentscheidung der Sie-
mens AG auf eine vierzigjährige Tradition zurückblicken. Durch die Verankerung
des Konzerns in der Region hat sich sukzessive ein Image als Medizintechnikregion
aufbauen können, das sowohl viele junge Start-Up-Unternehmen aus anderen Teil-
segmenten der Branche angezogen hat (z.B. Lasertechnik oder IT für medizinische
Anwendungen) als auch zur Etablierung medizintechnischer Forschungseinrichtun-
gen beigetragen hat. Diese Entwicklung fand über einen Zeitraum von mehreren De-
kaden statt und konnte sich im Rahmen einer Etablierung von neuen Technologien
(medizintechnischer Fortschritt) festigen; dies bestätigt die wissenschaftliche These
von Langzeitprozessen bei der Entstehung von Clustern. Die Schwerpunkte des Un-
ternehmensbestandes im ‚Medical Valley’ liegen in der Entwicklung bildgebender
Verfahren (maßgeblich durch Siemens Medical Solutions), Implantate, medizintech-
nische Werkstoffe, Optik, Sensorik und Audiologie. 38,4 % des Gesamtumsatzes der
Branche in Bayern wurde in der Region erzielt und damit trägt sie maßgeblich zur
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
284
Exportstärke der bayerischen Medizintechnik bei (diese liegt um 20 Prozentpunkte
über der bundesweiten Exportquote). Die technologische Leistungsfähigkeit der Me-
dizintechnik in der Region äußert sich am hohen Besatz mit forschenden Unterneh-
men: 77,8 % haben interne Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Das korreliert
mit dem hohen Anteil der Akademikerbeschäftigung in der Region. Nach Unterneh-
mensangaben werden FuE-Tätigkeiten vorwiegend von Ingenieuren und Naturwis-
senschaftlern ausgeübt.
Fügt man dem noch das Ergebnis hinzu, dass mehr als jedes zweite Unternehmen in
der Herstellung medizintechnischer Produkte tätig ist, ergibt sich folgendes zusam-
menfassendes regionales Profil der Branche: Um die, vor allem durch Siemens reprä-
sentierten Kompetenzen in der Entwicklung bildgebender Verfahren hat sich ein
Cluster aus Dienstleistern (33,3 % des Unternehmensbestandes) und klein- und mit-
telbetrieblichen Medizintechnikherstellern entwickelt, das überdurchschnittlich aktiv
im Bereich eigener Forschung und Entwicklung ist und auf hoch qualifizierte Ar-
beitskräfte setzt. Zieht man die Dichte der medizintechnischen Forschungslandschaft
durch die Friedrich-Alexander-Universität, die Fraunhofer Institute und weiterer For-
schungszentren hinzu, kann man zu dem Schluss kommen, dass in der Region eine
Erfolg versprechende Mischung aus industrieller Basis, unternehmensnahen, wis-
sensintensiven Dienstleistungen (IT, Ingenieurbüros) und spezialisierten Forschungs-
einrichtungen existiert. Die regionalen Unternehmen gehen zudem von einem weite-
ren Wachstum aus. Zum einen wollen nahezu 80 % der Unternehmen ihren Per-
sonalbestand in den nächsten zwei Jahren erhöhen (vor allem durch die Einstellung
von Hochqualifizierten), zum anderen werden neue Anforderungen an die Unter-
nehmen gestellt, die deren zukünftige Wettbewerbsfähigkeit bestimmen. Grundlagen,
um diesen erfolgreich zu begegnen, sind durch die FuE-Aktivitäten und den hohen
Vernetzungsgrad in der Region gegeben. So sind es insbesondere hochtechnologi-
sche Entwicklungen, die in neue Produkte und Prozesse eingehen und zu einer Ver-
kürzung der Produktzyklen beitragen, die zu neuen Aufgabenfeldern und die Aus-
weitung interner FuE bei der Mehrzahl der Unternehmen führen werden. Während
das Thema ‚neue Vermarktungs- und Netzwerkstrategien’ ebenso eine hohe Priorität
hat, geben immerhin ein Fünftel der Unternehmen an, dass sie nicht abhängig von
den Entwicklungen im Gesundheitswesen in Deutschland sind (Gesetzgebung, Pro-
duktzulassung, Reimbursement etc.). Hierdurch kann ggf. die starke Exportneigung
der fränkischen Hersteller bestätigt werden, die – so ergab es sich auch in den Exper-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
285
teninterviews – immer mehr Potenzial auf ausländischen Märkten sehen und damit
weniger abhängig vom Binnenmarkt werden.
Die regionale Branche ist eingerahmt in ein politisches Maßnahmenbündel, das suk-
zessive auf den Ausbau von hochtechnologischen Clustern setzt. Im Vergleich und
Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen handelt es sich bei der bayerischen Technologie-
und Innovationspolitik um zentral gesteuerte Aktivitäten zur Förderung wachstums-
orientierter Branchen und Technologien, die nur in geringem Maß eine arbeits- und
sozialpolitisch tangierte Ausgleichspolitik beinhalten (geringerer finanzieller Einsatz
für die ‚Regionalkonzepte’). Die Innovationspolitik in Bayern wird in übergreifenden
Programmen konzentriert, die vorwiegend aus dem Privatisierungserlös der Staatsre-
gierung finanziell getragen werden (High-Tech-Offensive und deren Nachfolgerin
Allianz Bayern Innovativ). Neben der Fördermittelvergabe durch das Land für FuE-
Projekte, Unternehmensgründungen und Investitionen wird mit dem Forum Med-
Tech Pharma e.V. die Vernetzung innerhalb und außerhalb Bayerns im Bereich der
Medizintechnik forciert. Zwar handelt es sich um eine landesweite Medizintechnik-
initiative, durch deren Sitz in Nürnberg ist aber eine Verankerung in die regionalen
Strukturen entstanden. Das Netzwerk verfügt über eine, für die Aktivitäten entschei-
dende ‚kritische Masse’ an Mitgliedern. Aus der vormals auf Bayern konzentrierten
Tätigkeit ist mittlerweile ein national-internationales Netzwerk geworden, das durch
die hohe Mitgliederzahl auf ein thematisch spezialisiertes, aber dennoch breites Port-
folio zur Initiierung von Kooperation zurückgreifen kann (One-on-One-
Kooperationstreffen).
Der Vergleich des erfolgreich agierenden überregionalen Forum MedTech Pharma
e.V. zur explizit regional ausgerichteten Kompetenzinitiative Medizin Pharma Ge-
sundheit, die sich als Informations- und Kommunikationsdrehscheibe (und weniger
als Beförderer von FuE-Kooperationen) auf breiter Basis versteht, führt zu der Über-
legung, ob der regionale Charakter von Netzwerken in Zeiten der immer stärkeren
globalen Ausrichtung der Medizintechnikbranche obsolet wird. Für die Unternehmen
sind die regionalen Kooperationsvorteile, die in der Nähe und in dem oftmals ver-
trauensvollen, persönlichen Kontakt bestehen, hinter der thematisch-inhaltlichen
Kompatibilität der FuE-Kooperationspartner zweitrangig – insbesondere wenn es
sich um klassische Unternehmenskooperation handelt. Die Öffnung des Forum
MedTech Pharma für nationale und internationale Mitglieder ist vom unternehmeri-
schen Nutzenkalkül aus betrachtet von Vorteil. Die Region und damit auch das regi-
onale Netzwerk hat dennoch seine Berechtigung als Beförderer von Clusterprozessen
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
286
nicht verloren. Hilpert (2006) sieht in den Spezfika regionaler Wissensbestände, so-
wohl durch traditionelle, technologische Kompetenzen als auch durch den Ausbau
von universitärer Forschung und der Ansiedlung von Forschungsinstituten, und da-
mit verbunden die Möglichkeit externes Wissen in die Region zu tragen, die Chance
für erfolgreiche Regionalentwicklung: „the knowledge always show effects in a region, generates different paths for development, new products, demands for particular collaboration, asks changing skills or the continuation and modernisation of regional traditions” (Hilpert 2006, 2-3).
Politischen Akteuren und Steuerungsinhalten räumt er eine herausragende Position
bei der Errichtung von ‚Wissensstrukturen’ ein, die auch den Unternehmen nutzen: „Policies foster existing enterprises and research institutes as well as try to build up new capabilities for research and industrial development […]. Government policies can be ad-dressed to knowledge from the region, to bringing knowledge into the region or to use re-search to generate new knowledge in the region. Enterprises will make use of such policies and their effects for their benefit […] (ders. 2006, 3).
In der Übertragung auf die Medizintechnikbranche in der Region kann die Stärkung
der Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft als originäre Aufgabe politisch
initiierter oder geförderter regionaler Netzwerke verstanden werden. Die Branchen-
struktur in Nürnberg-Erlangen ist – bis auf den dominanten Global Player – eher
klein- und mittelbetrieblich geprägt. Diese Strukturen können als Chance für die Ver-
netzung in der Region interpretiert werden, denn KMU haben aufgrund mangelnder
personeller und organisatorische Kompetenzen Partizipationsprobleme im Innovati-
onswettbewerb und konzentrieren sich vielfach auf inkrementelle Verbesserungen,
anstelle der Teilnahme am Innovationssystem (vgl. zur Problematik von KMU im
globalen Innovationswettbewerb Abel et al 2006). Durch ein regionales Netzwerkan-
gebot, das sich auf spezifische Themen konzentriert, können KMU ihre Informations-
defizite abbauen (z.B: durch Teilnahme an Workshops), persönliche Kontakte zur
Wissenschaft herstellen und damit als autonome Akteure an interaktiven Lern- und
Innovationsprozessen teilnehmen. Kuhlmann (2004) spricht von Lernprozessen in
kommunikativen Räumen und sieht in der Herstellung institutioneller Strukturen eine
Aufgabe politischer Governance.
Wie wichtig der Wissenstransfer aus der Forschung für die regionalen Unternehmen
ist und welche Wege dazu eingeschlagen werden, verdeutlicht zusammenfassend fol-
gende Graphik:
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
287
Abbildung 34: Wege des Wissenstransfers aus der Forschung in die Unterneh-men in Nürnberg-Erlangen im Jahr 2006 (Angaben in %)
25,0
87,5
25,012,5
37,525,0
37,525,0
0,010,020,030,040,050,060,070,080,090,0
100,0
Nürnberg-Erlangen
Nutzung einer KommunikationsplattformPers. Kontakt zu Hochschulakt./ Forschungseinrichtungeneigene FuE-AbteilungKlinische Forschung und VersorgungsforschungVerbundprojekteWiss. PublikationenFachtagungenFachbezogene Arbeitskreise
Quelle: eigene Erhebung im Rahmen des Forschungsprojektes „Regionale Innovations- und Qualifizie-rungsstrategien in der Medizintechnik“.
Der persönliche Kontakt zu Hochschulakteuren und Forschungseinrichtungen (meist
in der Region) findet hier noch einmal besondere Erwähnung, da er für die for-
schungsintensiven Unternehmen eine große Bedeutung hat. Die empirischen Er-
kenntnisse unterstreichen die wissenschaftliche evaluierte These von der Bedeutung
regionaler Wissensbestände. Erfolgen FuE-Kooperationen zwischen Unternehmen in
der Regel über die thematische Kompatibilität und sind meist nur dann regional ein-
gebunden, wenn Clusterstrukturen bestehen (vgl. Interviews I, II, III, XII), bieten die
ansässigen Forschungsinstitutionen und deren Verbindung zur Wirtschaft eher eine
Chance zu regionaler Zusammenarbeit. Dabei können sich Netzwerkakteure auch in
Nürnberg-Erlangen noch stärker am Vernetzungsprozess zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft beteiligen, denn nur 25 % der Unternehmen nutzen die Angebote einer
Kommunikationsplattform/Netzwerkinitiative zum Wissenstransfer.
Gleiches gilt auch für die Akteure im Ruhrgebiet, wenngleich sich die Situation und
Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnikbranche auch in einer ganz anderen Kons-
tellation darstellt. Ist es mittlerweile in Nürnberg-Erlangen zu einem ‚reifen’ Cluster
mit einer etablierten Unternehmens- und Forschungslandschaft, – befördert durch
eine stringente Innovationspolitik seitens des Landes und der Region – gekommen, so
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
288
liegt NRW und im Speziellen das Ruhrgebiet von der statistischen Datenlage her hin-
sichtlich der technologischen Leistungsfähigkeit mit Abstand hinter den süddeutschen
Ländern.
Nordrhein-Westfalen hat die höchste Einwohnerzahl und nominal gemessen die größ-
te Wirtschaftskraft im Bundesländervergleich. Die Daten können aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Investitionen in Forschung und Entwicklung unterdurch-
schnittlich sind und somit die Wettbewerbsfähigkeit des Landes in vielen Bereichen
nicht gegeben ist. Lediglich 55 % des Personals in FuE arbeiten in Forschungsstätten
des Wirtschaftssektors selbst (Bayern: 75,5 %), der Anteil von FuE am BIP liegt bei
1,78 % und erreicht damit bei weitem nicht die Vorgaben der europäischen ‚Lissa-
bon-Strategie’ von 3 %. Ebenso niedrig sind die Anteile der FuE-Aufwendungen für
Spitzentechnologien (10,6 %), traditionell relativ stark (gemessen an den Patentan-
meldungen) zeigen sich vor allem die historisch gewachsenen Branchen Chemie,
Bauwesen und Textilien. Hinzu kommt, dass viele forschungsintensive Unternehmen
ihren Hauptsitz außerhalb NRWs haben und deshalb keine/weniger FuE-
Aufwendungen im Wirtschaftssektor und von dort an Forschungseinrichtungen flie-
ßen. Eine grundlegende Herausforderung stellt nach wie vor der Strukturwandel
durch den Wegfall der Kohleförderung und den Konzentrationsprozessen in der
Stahlherstellung dar.
Der Strukturwandel hat zwar zu einem massiven Aufbau des Dienstleistungssektors
geführt (Anteil an der BWS liegt bei 70 %), dem steht aber gerade im Ruhrgebiet
keine Modernisierung der industriellen Strukturen zur Seite, allenfalls in einigen
Branchen wie der chemischen Industrie, dem Maschinenbau und der Metallerzeu-
gung. Der Wegfall der Kohle- und Stahlindustrie hat im Ruhrgebiet eine (Beschäfti-
gungs-)Lücke hinterlassen, die bis dato nicht flächendeckend durch neue industrielle
Strukturen und unternehmensnahe Dienstleistungen geschlossen werden konnte. Die
Ergebnisse zu den FuE-Investitionen im Ruhrgebiet bescheinigen lediglich eine ge-
wisse Stärke des Hochschulsektors, während der Deindustrialisierungsprozess und
der damit verbundene Aufbau der Dienstleistungsbranchen eher negative Auswirkun-
gen auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit haben. Der Anteil der internen FuE-
Aufwendungen des Wirtschaftssektors im Ruhrgebiet macht nur knapp ein Sechstel
der Aufwendungen in NRW aus (im Rheinland sind es nahezu zwei Drittel). Die sehr
positive durchschnittliche jährliche Veränderungsrate der BWS lässt allerdings seit
der Jahrtausendwende Rückschlüsse auf ein Wirtschaftswachstum zu, das sich ggf.
positiv auf die Investitionen im Bereich FuE auswirken kann. Die Versuche für das
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
289
Ruhrgebiet Kompetenzfelder zu identifizieren, mündeten bis dato in zwölf Clusteran-
sätzen, zu denen auch die Medizintechnik/Gesundheitswirtschaft zählt. Kritik erfolgte
seitens des RWI (2006a), dass die Kompetenzfeldbildung auf keiner empirischen
Grundlage erfolge und die identifizierten Bereiche nicht allen Anforderungen an eine
effiziente Clusterstrategie entsprächen.
Hinsichtlich der statistischen Daten zur Medizintechnikbranche (WZ 33.10) verfügt
das Ruhrgebiet über keinen Medizintechnikmarkt, der für die Bedeutung Deutsch-
lands als drittgrößtem Markt für medizintechnische Produkte einen entscheidenden
Beitrag leisten könnte (anders Nürnberg-Erlangen). Rein quantitativ sind allerdings
28,8 % aller nordrhein-westfälischen Branchenunternehmen im Ruhrgebiet ansässig,
was deutlich mehr als in Nürnberg-Erlangen sind. Es können aufgrund fehlender amt-
licher Daten aber keine Angaben zum Umsatz und zur Beschäftigung gemacht wer-
den, in der Tendenz relativiert sich die Bedeutung des Unternehmensbesatzes aber
gegenüber der fränkischen Region.
Liegen die Potenziale und Stärken der Medizintechnik in Nürnberg-Erlangen vor al-
lem in der Herstellung und den unternehmensnahen Dienstleistungen mit einer hohen
FuE-Aktivität des Wirtschaftssektors selbst, so qualifiziert sich die Medizintechnik
im Ruhgebiet vor allem durch ihre Stärken als öffentlicher und halböffentlicher For-
schungsstandort mit breiter wissenschaftlich-technologischer Aufstellung, als An-
wenderregion (dichte ambulante und stationäre Versorgung/Universitätskliniken) und
durch kleine und mittlere Unternehmen, die im Vertrieb und Handel tätig sind (mehr
als 60% der Unternehmen). Die Medizintechnikbranche im Ruhrgebiet ist damit nicht
produktions- (fast 75 % der Unternehmen haben kein Personal in der Produktion)
sondern absatz- und dienstleistungsorientiert. Standen bislang Produkt- und Prozess-
innovationen im Vordergrund der Beurteilung, so kommt nun in Anlehnung an das
ganzheitliche Innovationsverständnis des Fraunhofer ISI Karlsruhe die innovative
Produkt-Dienstleistungskombination hinzu (vgl. Kinkel et al 2004)109. Aus den spezi-
fischen Strukturen der Branche im Ruhrgebiet können sich innovative Potenziale
durch die Kombination beider Wertschöpfungsteile ergeben. Im Vertrieb geht es in
der Branche vielfach nicht mehr um den reinen Verkauf der Produkte, hier wird das
Aufgabengebiet angereichert durch Finanz- und Serviceangebote (eine so genannte
‚Package Strategie’)(vgl. Interview XIV). Generell gehen mehr Unternehmen dazu 109 Geht man von einem ganzheitlichen Innovationsverständnis aus, so lassen sich die Problemlösun-gen in den vier Feldern Produkt-, Prozessinnovationen, innovative Organisation und innovative Pro-dukt-Dienstleistungskombinationen realisieren.
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
290
über, eine „hybride Wertschöpfung“ (Bullinger/Bienzeisler 2007, 54) als Innovations-
strategie zu nutzen. Dabei kann es „im Zuge der Integration von Produktion und
Dienstleistung nicht nur zu einer Neugestaltung von Leistungsangeboten und Produk-
ten sondern darüber hinaus zu einer Reorganisation von Wertschöpfungsketten und
zur Ausdifferenzierung neuer Geschäftsmodelle kommen“ (dies. 2007, 57).
Inkrementelle, medizintechnische Innovationen kommen häufig durch die enge Ver-
bindung zwischen Produzenten und Abnehmern (Akteure in den Kernsektoren der
Gesundheitswirtschaft) zustande, hier ist der Vertrieb zumeist erster Ansprechpartner
für Kundenwünsche an das Produkt. Reichwald et al betonen die Bedeutung interak-
tiver Wertschöpfung im Innovationsprozess: „Traditionell wird unterstellt, dass Kun-
den über Bedürfnisinformationen verfügen und Unternehmen über Lösungsinforma-
tionen. Die Herausforderung besteht dann darin, Bedürfnisinformationen der Kunden
in die unternehmerische Forschung und Entwicklung zu transferieren, wo die Bedürf-
nisse der Kunden unter der Nutzung der Lösungsinformation der Entwickler in eine
marktfähig Leistung übersetzt werden“ (Reichwald et al 2007, 46). Zum einen kön-
nen Vertriebsmitarbeiter im täglichen Kundenkontakt als ‚FuE-Scouts’ fungieren,
zum anderen gehen (vor allem große) Medizintechnikunternehmen dazu über, ärztli-
ches Personal über Kooperationsprojekte an den FuE-Prozessen zu beteiligen (vgl.
Interview V, IV). Während die Bedeutung hochtechnologischer Entwicklungen bei
neuen Produkten einen großen Stellenwert für die zukünftige Unternehmensausrich-
tung der meisten Wirtschaftsakteure hat, wird dem Thema Netzwerkbildung und
Vermarktungsstrategien von weniger Unternehmen eine hohe Relevanz beigemessen,
als sich dies in Nürnberg-Erlangen ergab. Umgekehrt kommen die Branchenabhän-
gigkeiten von den Entwicklungen im Gesundheitswesen in der vertriebsorientierten
Anwenderregion Ruhrgebiet stärker zum Tragen. Einer Ausweitung interner FuE
wird insgesamt auch eher weniger Beachtung geschenkt, was eindeutig an den Unter-
nehmensstrukturen festzumachen ist.
Innovationspolitisch haben sich die politischen Akteure in der Vergangenheit auf den
Ausgleich regionaler Disparitäten konzentriert und dem gesellschaftlichen Konsens
durch eine stärkere Dezentralisierung der politischen Handlungsebenen Rechnung
getragen. Technologie- und Innovationspolitik sollte auch immer mit einer ‚sozialver-
träglichen Technikgestaltung’ einhergehen. Als Ergebnis dieses Governanceprozesses
standen neben Gründungs- und Förderprogrammen eine Vielzahl von Landes-, Bran-
chen- und Technologieinitiativen, von denen die LifeScience Agency (mit der Initia-
tive MeTNet NRW) auf Landesebene und die Zusammenführung zweier biotechno-
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
291
logisch-medizintechnischer Vereine zum LifeTec Ruhr e.V. im Ruhrgebiet das Kom-
petenzfeld Medizintechnik begleitend fördern sollen/sollten. Der LifeTec Ruhr e.V.
hat 2004 mit dem Ziel des Aufbaus eines technologisch orientierten Clustermanage-
ments in der Region seine Arbeit aufgenommen. Durch das Instrument der Etablie-
rung von Technologieverbünden soll vor allem die operative Ebene sich selbst tra-
gender geschäftlicher Verbindungen gefördert werden. Dabei spielte bisher die für die
regionale Entwicklung entscheidende Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft
eine eher untergeordnete Rolle. Durch die solitären industriellen Strukturen kann
nicht von einem Medizintechnikcluster, wie es in der fränkischen Region besteht,
gesprochen werden (vgl. Interview XI). Potenziale können sich aber auf Unterneh-
mensseite durch die Schaffung von Schnittstellen zu bereits etablierten Branchen er-
geben: Informationstechnologie, Mikrosystemtechnik, Automationstechnik oder Me-
tallerzeugung. Im Technologieverbund ‚Medical IT’ wird beispielsweise diese Ver-
bindung genutzt, um Krankenhaus-Informationssysteme oder Telematiklösungen zu
erarbeiten. Im Vergleich zum regionalen Innovationssystem in Nürnberg-Erlangen ist
die Einbindung von Wissenschaftseinrichtungen in die Netzwerkstrukturen bis auf
Ausnahmen bislang noch ausgeblieben. Dabei haben die Ruhrgebietsuniversitäten
und die Forschungseinrichtungen – insbesondere entlang der Städte Dortmund, Wit-
ten, Bochum und Essen – einen starken Besatz an Lehrstühlen und Instituten zu bio-
technologischen und medizintechnischen Themen oder Querschnittsthemen, die für
die Medizintechnik in Zukunft von Interesse sein könnten. So wurden in der BMBF-
Studie zur Medizintechnik in Deutschland drei große Zukunftsfelder evaluiert: Com-
puterisierung, Miniaturisierung und Molekularisierung (vgl. BMBF 2005a). Die Ak-
teure der Initiative können das Forschungspotenzial durch eine Forcierung der Ver-
netzung in der Region nutzen und dieses nach außen vermarkten (Imageaufbau als
Forschungsregion), um die regionalen Wissensbestände auszubauen und die Ansied-
lung neuer Unternehmen voranzutreiben. Der Wissenstransfer aus der Forschung ver-
läuft bei den Unternehmen im Ruhrgebiet vor allem über wissenschaftliche Publikati-
onen und den Besuch von Fachtagungen, der persönliche Kontakt zu Hochschulak-
teuren und Forschungseinrichtungen ist nicht so ausgeprägt und kann durch die Ein-
bindung in die Initiativen verstärkt werden (vgl. Abb. 35):
Regionale Entwicklungspotenziale durch Medizintechnik
292
Abbildung 35: Wege des Wissenstransfers aus der Forschung in die Unterneh-men im Ruhrgebiet im Jahr 2006 (Angaben in %)
16,1
32,319,4 19,4 16,1
41,9
67,7
87,1
29,0
0
20
40
60
80
100
Ruhrgebiet
Nutzung einer KommunikationsplattformPers. Kontakt zu Hochschulakt./ Forschungseinrichtungeneigene FuE-AbteilungKlinische Forschung und VersorgungsforschungVerbundprojekteVerbandspublikationenWiss. PublikationenFachtagungenFachbezogene Arbeitskreise
Quelle: eigene Erhebung im Rahmen des Forschungsprojektes „Regionale Innovations- und Qualifizie-rungsstrategien in der Medizintechnik“.
Wie schon bei der Untersuchung Nürnberg-Erlangens ergibt sich auch für Netzwerke
im Ruhrgebiet die originäre Aufgabe der Stärkung der Vernetzung zwischen Wissen-
schaft und Wirtschaft. Dies kann auch durch innovationspolitische Förderprogramme
unterstützt werden. Rammer und Schmidt (2003) haben in ihrer Untersuchung zum
Innovationsverhalten deutscher Unternehmen herausgefunden, dass Unternehmen, die
eine öffentliche Innovationsförderung erhalten, häufiger Innovationskooperationen
eingehen als Unternehmen ohne eine solche Förderung. Zudem kooperieren deutlich
mehr geförderte Unternehmen (80 %) mit einer Hochschule als dies kooperierende
Unternehmen tun, die nicht öffentlich gefördert werden (28 %). Für das Ruhrgebiet
kann noch ein weiterer Aspekt zum Tragen kommen: Ist bislang der Besatz an produ-
zierenden Medizintechnikunternehmen im Vergleich zu Nürnberg-Erlangen eher un-
terdurchschnittlich, so kann ein starker und auch vernetzter Forschungsstandort Ruhr-
gebiet durchaus das Interesse von Start-Ups wecken, so dass sich ein Prozess der
Clusterbildung in Gang setzen könnte (vgl. Interviews XIII, XIV, XV).
Fazit
293
6. Fazit: Die Medizintechnik als Wachstumsbranche in und für
Deutschland – Innovationsleistung und Potenziale politisch-
gesellschaftlicher Steuerung
Die Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaftsbranchen im globalen Raum wird zuneh-
mend über deren Leistungsfähigkeit im Innovationsprozess gemessen. Das Hervor-
bringen neuer Produkte, Verfahren und innovativer Produkt-
Dienstleistungskombinationen im Zusammenspiel mit einem organisatorischen Wan-
del sind die großen Herausforderungen an Unternehmen in den westlichen Industrie-
nationen, die sich seit langem schon nicht mehr an der tayloristischen Massenpro-
duktion orientieren können. Das wirtschaftliche Erstarken der ‚Bevölkerungsriesen’
China und Indien erzeugt einen Innovationsdruck in der hiesigen Volkswirtschaft,
der eine Produktionsverlagerung von Standardgütern hin zu hochtechnologischen,
wissensbasierten Spezialgütern verlangt, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu
bleiben. Die Neu- und Weiterentwicklung von Produkten und Produktionsprozessen
in spitzen- und hochtechnologischen Segmenten wird zunehmend komplexer und
stellt damit neue Anforderungen an die Abläufe der Wissensfindung und des Trans-
fers im Rahmen der Innovationstätigkeit. Nur die Branchen, die sich den neuen Para-
digmen beugen, haben eine reelle Chance im Wettbewerb. Deutschlands Wirtschaft
zeigt ein ambivalentes Bild ihrer Innovationsaktivitäten. Es mangelt an spitzentech-
nischen Spezialisierungsmustern. Außerhalb der in Deutschland starken Automobil-
wirtschaft können nur wenige Spitzentechnologiebranchen identifiziert werden, de-
nen allgemein ein internationales Wachstumspotenzial zugeschrieben wird. Die deut-
schen Unternehmen sind sowohl bei den Ausgaben für und den Beschäftigten in For-
schung und Entwicklung, bei den Patentanmeldungen als auch hinsichtlich ihrer Ex-
portlage gut positioniert, die Erfolge beschränken sich aber zum größten Teil auf
Branchen der hochwertigen Technologien, in denen die deutsche Volkswirtschaft
traditionell ihre Stärke hat: Maschinenbau, chemische Industrie, Fahrzeug- und In-
strumentenbau. Der Blick in die Bundesländer Bayern und NRW zeigt deutliche Un-
terschiede in Bezug auf die Kriterien für leistungsstarke Standorte. Während Bayern
zu den forschungsintensiven Hoch- und Spitzentechnologiestandorten in Deutschland
zählt, demonstriert sich die Wirtschaft NRWs traditionell, mit Stärken in der chemi-
schen Industrie und im Maschinenbau und ist kaum forschungsintensiv.
Fazit
294
Mit der Untersuchung der Medizintechnik ist es gelungen, eine – noch relativ kleine
– Wachstumsbranche in Deutschland zu identifizieren, deren hohe Innovationsleis-
tung den komplexen Herausforderungen an wissensbasierte Wirtschaftsprozesse ent-
spricht.
Im Zentrum der Dissertation standen sowohl die Fragen nach der ‚Innovationskraft’
der Medizintechnikunternehmen in Deutschland und den beiden Bundesländern Bay-
ern und NRW als auch nach den Innovations- und Organisationsstrukturen auf regio-
naler Ebene, die dem Anspruch an die Komplexität von Innovationsprozessen genü-
gen.
Die Medizintechnik kann in den ‚Megamarkt Gesundheit’ eingeordnet werden, dem
nach eingängiger Analyse, die mit einer Entkräftung der Kostendebatte begann und
mit der Darstellung der Beschäftigungspotenziale einen Blick in Richtung Zukunft
gewagt hat, durchaus das Potenzial eines Wachstumsmotors der deutschen Volkswirt-
schaft zugeschrieben wird. Die Medizintechnik und vor allem die Diffusion neuer
medizinischer Technologien in das Gesundheitswesen werden als eine der stärksten
treibenden Kräfte für die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft betrachtet (neben
dem Einfluss des demographischen und sozio-kulturellen Wandels). Dabei muss ein-
schränkend konstatiert werden, dass der Einsatz moderner Medizintechnik zwar zur
Verkürzung der Heilungszeiten und zur Steigerung der Lebensqualität der Patienten
beitragen kann, nichts desto trotz führen Medizinprodukte nicht immer zu einer Kos-
tenersparnis. Die kurzen Produktlebenszyklen in der Medizintechnik (in der Regel
sind die Produkte nicht älter als drei bis fünf Jahre, bis sie von modifizierten Techno-
logien abgelöst werden) können ebenso Kosten treibend wirken. Der stark regulierte
deutsche Markt für Medizinprodukte wirkt eher hemmend auf den Binnenabsatz der
Unternehmen, was die starke Exportorientierung vieler Unternehmen noch forciert
(mit 58,1 % liegt die Exportquote deutscher Hersteller weit über dem Industriedurch-
schnitt). Die Leistungsfähigkeit der Branche im Innovationsgeschehen ist herausra-
gend und ist insbesondere im Rahmen der Debatte zur Zukunft des Standortes
Deutschland von Interesse. Wie die Untersuchung gezeigt hat, sind Forschungs- und
Entwicklungskooperationen innerhalb des Wirtschaftssektors als auch zwischen Un-
ternehmen und Hochschulen bzw. Forschungseinrichtungen vor allem bedeutsam für
Unternehmen, die einen hohen FuE-Anteil am Umsatz aufweisen. Der Bedarf an ex-
ternem technischem Wissen ist umso höher, je mehr Unternehmen auf Marktneuhei-
ten oder die technologische Führerschaft ausgerichtet sind. Der FuE-Anteil am Um-
satz der Medizintechnikunternehmen liegt im Branchendurchschnitt bei 9 % (Jahr
Fazit
295
2003) – insbesondere forschende kleinere Unternehmen sind mit 8,2 % des Umsatzes
forschungsintensiver als Betriebe bis 100 Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe
insgesamt (5 %). Damit gehört die Medizintechnik zu den innovativsten Branchen in
Deutschland. Überdurchschnittlich viel Investitionen entfallen auf Neuentwicklungen
von Produkten und Verfahren, was sich in den Patentanmeldungen widerspiegelt:
Nach den USA melden die deutschen Hersteller die meisten Patente am Europäischen
Patentamt an. Vor allem Querschnittstechnologien wie die Bio- und Nanotechnologie
als auch Informations- und Mikrotechniken finden zusehends Eingang in die Produk-
te. Aus diesen Ergebnissen, einhergehend mit komplexeren Innovationsprozessen,
lässt sich folgern, dass es mit zunehmender Vernetzung der Unternehmen mit exter-
nen Akteuren (vor allem mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen) zu einem
Ausbau des medizintechnischen Forschungsstandortes Deutschland kommen könnte,
von dem die universitäre und außeruniversitäre Forschung profitieren kann (insbe-
sondere wenn sich in Folge des Hochschulfreiheitsgesetzes und der Exzellenzinitiati-
ven eine Steigerung der Drittmittelforschung einstellen sollte). Die Ergebnisse zu den
Wirtschaftsstrukturen und FuE-Aktivitäten der Unternehmen in Bayern und NRW
spiegeln sich auch in der Untersuchung zur Medizintechnik wider. Während in Bay-
ern Oberzentren wie München und Nürnberg-Erlangen auch zu nationaler Bedeutung
im Rahmen der Branche gelangt sind (in Nürnberg-Erlangen werden rund 10 % des
gesamtdeutschen Branchenumsatzes erzielt) und sich viele (mittlere und große) Un-
ternehmen durch eine überdurchschnittliche Exportstärke gut am Weltmarkt positio-
niert haben, ist die Branche in NRW überwiegend klein- und mittelbetrieblich struk-
turiert und kann nicht durch den Hauptsitz eines Global Players wie Siemens Medical
Solutions profitieren. Hintergrund letzterer Feststellung ergibt sich aus dem Ergebnis,
dass forschungsintensive Unternehmen zumeist am Standort ihres Hauptsitzes ihr
technologisches Wissen in FuE-Abteilungen konzentrieren und dementsprechend
externe FuE-Aufwendung auch an dort ansässige Hochschulen und Forschungsein-
richtungen vergeben. In NRW lassen sich mit Aachen und dem Ruhrgebiet ‚Medizin-
technikzentren’ identifizieren.
Die Potenziale und Stärken der Medizintechnik in Nürnberg-Erlangen liegen in den
medizintechnischen Teilgebieten bildgebende Verfahren, Implantate, medizintechni-
sche Werkstoffe, Optik, Sensorik und Audiologie. Die Region zeichnet sich vor allem
durch einen hohen Besatz an forschungsintensiven produzierenden Unternehmen und
unternehmensnahen Dienstleistern aus, die persönliche Kontakte zu den in medizin-
technischen Segmenten spezialisierten Hochschulen und Forschungseinrichtungen
Fazit
296
unterhalten. Die Medizintechnikbranche im Ruhrgebiet ist weniger produktions- (nur
solitäre industrielle Strukturen) sondern stärker absatz- und dienstleistungsorientiert,
was die Bedeutung als Anwenderregion unterstreicht. Mehr als 60 % der Unterneh-
men sind im Vertrieb und Handel tätig. Darüber hinaus existiert eine dichte öffentli-
che und halböffentliche Forschungslandschaft mit einer breiten technologisch-
wissenschaftlichen Aufstellung, deren Potenzial insbesondere in der Verknüpfung
von Medizintechnik und Querschnittstechnologien gesehen werden kann (z.B. Infor-
mationstechnologie, Mikrosystemtechnik, Automationstechnik).
Daran anschließend ergibt sich aus der theoretischen Begründung die Hypothese,
dass sich leistungsfähige Wirtschaftsbranchen durch hohe FuE-Aktivitäten im Kon-
text von gesellschaftlichen, institutionalisierten Innovationssystemen auszeichnen.
Die Neue Institutionökonomik trägt vor allem zu einer mikroökonomischen Erklä-
rung bestimmter Koordinationsformen wirtschaftlichen Handelns bei. Während in
Zeiten standardisierter Massenprodukte inkrementelle Innovationen, die auf konven-
tionellen Technologien aufbauten und auf festgeschriebenen Entwicklungspfaden
verliefen vorherrschten, bedingt der Umgang mit spitzentechnologischen Produkten
neue Innovationsmuster, die zu einer Professionalisierung des Innovationsgesche-
hens geführt haben. Technische Neuerungen hängen von der Sammlung und Anhäu-
fung von Wissen ab, das zum einen firmenspezifischer und kumulativer (Erkenntnis-
se aus der Vergangenheit fließen in Suchprozesse mit ein) Art ist, zum anderen aus
allgemeinem und speziellem wissenschaftlichem Know-how besteht. Technologische
Paradigmen beinhalten neben den Chancen zu Schlüsseltechnologien vor allem
Such- und Problemlösungsmuster.
Diese Aussage hat sich in der Untersuchung der Handlungsmuster von Wissensma-
nagementaktivitäten in der Medizintechnik bestätigt. Die dynamisch-
innovationsorientierten Medizintechnikunternehmen engagieren sich häufiger in
Netzwerken und zeigen ausgeprägte Wissensmanagementaktivitäten insbesondere im
Bereich des Wissenstransfers von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in die
Unternehmen als statisch-traditionelle Unternehmen. Der Professionalisierung von
Innovationsprozessen wird ebenso über eine zunehmende Akademisierung des FuE-
Personals Rechnung getragen: Der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure unter
den FuE-Beschäftigten in der Medizintechnik liegt im Jahr 2003 bei 61,3 % und da-
mit fast 10 Prozentpunkte über dem Anteil der Akademiker an der FuE-
Gesamtbeschäftigung in den deutschen Wirtschaftsbranchen. Die Erkenntnisse der
Fazit
297
Transaktionskostentheorie führen zur Organisationsform ‚Netzwerk’ als Transakti-
onskosten minimierendes institutionelles Arrangement bei der Gestaltung von Inno-
vationsaktivitäten. Neben der Bedeutung von kooperativem Verhalten zur Minimie-
rung von Unsicherheiten, können Netzwerke ebenfalls dem Faktum der begrenzten
Rationalität der Akteure entgegenwirken, da ein stetiger Informationsaustausch und
dadurch ein wechselseitiges Lernen stattfinden. Somit stellen Netzwerke besonders
in der Medizintechnikbranche mit einem hohen Aufwand an FuE und kurzen Pro-
duktlebenszyklen echte Alternativen zu den traditionellen Steuerungsformen Markt
und Hierarchie dar.
Für die Erklärung des Zusammenwirkens von Akteuren in Netzwerken stößt die
Neue Institutionenökonomik aus sozialwissenschaftlicher Perspektive betrachtet
durch die Reduktion der sozialen Interaktion von Akteuren auf rein ökonomische
Faktoren (Kosten-Nutzen-Kalkül, Transaktionskosten) an ihre Grenzen. Neben den
Effizienzaspekten basieren Kooperationsbeziehungen auf Vertrauen; Handeln kann
durch Machtasymmetrien gekennzeichnet sein. Letzterer Aspekt kann bei regionalen
Medizintechniknetzwerken außer Acht gelassen werden, da es sich in der Regel um
symmetrische Netzwerke gleichrangiger Akteure handelt. Berücksichtigt man unter
idealen Bedingungen die Ebene des Vertrauens und der gegenseitigen Rücksicht-
nahme, die zeitweilig auch partikulare Interessen in den Hintergrund treten lassen,
um gemeinsame Ziele zu erreichen, als Voraussetzung funktionierender Netzwerkbe-
ziehungen, dann lassen sich in diesen vertauensbasierten Netzwerken Innovations-
prozesse durchführen, die durch nicht-koordiniertes Handeln nicht realisierbar gewe-
sen wären. Dieses Ergebnis wird auch durch die Bedeutungszunahme von implizi-
tem, nicht kodifizierbarem Wissen getragen.
Mit dem akteurzentrierten Institutionalismus wird die Governanceform ‚Netzwerk’
als Verhandlungssystem erachtet, in dem autonom handelnde Akteure ausgesuchte
Ziele durch koordiniertes Handeln verfolgen. In Anlehnung an Willke (1998) können
die Ressentiments, mit denen einige Medizintechnikunternehmen vor allem im Ruhr-
gebiet auf die Teilnahme in Netzwerken reagieren (nur 40,6 % der Ruhrgebietsunter-
nehmen sind in ein Netzwerk eingebunden, aber 88,9 % der Unternehmen in Nürn-
berg-Erlangen) auf die widersprüchliche Logik von Verhandlungssystemen zurück-
geführt werden. Ob ein Netzwerk erfolgreich ist, hängt von der Höhe der Transakti-
onskosten ab, wenn es zu Verteilungskonflikten innerhalb des Verhandlungssystems
kommt. Bedingt durch die Interessenkalküle der autonomen Akteure auf der einen
Seite und die Freiwilligkeit der eingegangenen Bindungen an bestimmte Gemein-
Fazit
298
schaftsziele, Verpflichtungen und Vertrauen auf der anderen Seite, kann es bei dem
Auftreten von Verteilungskonflikten zu Spannungen in der Balance zwischen diesen
beiden Polen kommen. Eine Netzwerkstruktur ist erst dann effizient für alle Beteilig-
ten, wenn diese Balance beibehalten, die Transaktionskosten und die Verteilungs-
problematik minimiert werden und somit die Stärke gegenüber der marktlichen Steu-
erung in der Längerfristigkeit der Beziehungen besteht und gegenüber der Hierarchie
in der größeren Flexibilität und dem wechselseitigen Interessenausgleich. Neben der
Problematik dieses Spannungsverhältnisses kann die geringere Netzwerkaktivität im
Ruhrgebiet auch auf die Struktur der hiesigen Branche zurückgeführt werden: Star-
ker Besatz an Vertriebs- und Handelsunternehmen, die keine eigene FuE betreiben.
Wie festgestellt, gibt es eine positive Korrelation zwischen eigener FuE-Leistung und
der Teilnahme an Netzwerken. Somit sind die hiesigen Unternehmen weniger auf
externes, wissenschaftliches Know-how in Netzwerkbeziehungen angewiesen, da in
Vertriebs- und Handelsgesellschaften keine explizite Forschung und Entwicklung
stattfinden.
In neueren Überlegungen zum Vertrauensaspekt in Netzwerkbeziehungen wird dar-
auf hingewiesen, dass die erforderliche Langfristigkeit der Beziehungen und damit
deren Stabilität durch die zunehmende Komplexität des Wettbewerbs immer weniger
möglich sind. Wird diese Problematik vor allem bei internationalen Beziehungen
gesehen, kann die Erzeugung von Vertrauen im regionalen Kontext aber durchaus
weniger voraussetzungsvoll sein, da viel über den persönlichen Kontakt und die Ein-
bindung in ähnliche Erfahrungshorizonte und kulturelle Hintergründe passiert. Aus
diesem Grund können regionale Netzwerke in der Medizintechnik durchaus dazu
beitragen, ungleichgewichtige Transaktionskosten über eine gewisse Zeitspanne in
Kauf zu nehmen, ohne den Erfolg des Netzwerkes zu gefährden, da über den persön-
lichen Kontakt eine Vertrauensbasis geschaffen werden kann.
Auf Grundlage der innovationspolitischen Landes- und Regionalstrategien Netz-
werkstrukturen in der Region zu initiieren, ist sowohl in Nürnberg-Erlangen als auch
dem Ruhrgebiet erfolgt. In der fränkischen Region wurde mit der zentral gesteuerten
High-Tech-Offensive der bayerischen Landesregierung sukzessive der Auf- und
Ausbau von Hightechclustern gefördert. Ein entscheidender Vorteil im Rahmen der
Netzwerkarbeit besteht in der Region darin, dass die Konzentration auf die Medizin-
technik nicht erst in den letzten Jahren entstanden ist, sondern durch die historisch
bedingte frühzeitige Ansiedlung der Siemens Medizintechniksparte in der Region
eine industrielle Basis entstehen konnte. Diese hat mittlerweile eine ‚kritische Masse’
Fazit
299
erreicht, um effektive Netzwerkarbeit zu leisten. Nach und nach ist dann eine spezia-
lisierte Forschungslandschaft entstanden (Bayerisches Zentrum für Lasertechnik,
Erweiterung der Forschungsbereiche an der Friedrich-Alexander-Universität, Fraun-
hofer Institute etc.). Die Analyse der Kompetenzinitiative Medizin-Pharma-
Gesundheit führte zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Informations- und Kom-
munikationsplattform u.a. zur Stärkung des Images des ‚Medical Valleys’ handelt,
thematisch kaum begrenzt ist und es damit für Unternehmen im Voraus schwer ein-
schätzbar ist, wer an den Netzwerktreffen als möglicher interessanter ‚Kooperations-
kontakt’ teilnimmt. Im Rahmen dieser Kompetenzinitiative sind zwar der äußeren
Form nach Netzwerkstrukturen entstanden, aber außer der durchaus wichtigen Ebene
des persönlichen Kontakts zur Schaffung von Vertrauen, konnten weniger institutio-
nalisierte Wissenstransferprozesse im Rahmen von Innovationstätigkeiten herausge-
filtert werden. Mit dem Forum MedTech Pharma e.V. ist das Netzwerkkonzept mitt-
lerweile weiterentwickelt worden und hat sich von der regionalen zur national-
internationalen Ebene geöffnet. Dies ist zunehmend eine Folge der hohen Mitglie-
derzahlen, die die angebotenen Veranstaltungen zu einem Selbstläufer werden lassen,
der das Interesse netzwerkexterner Akteure erregt.
Insbesondere das außen wahrgenommene Image der Region und Bayerns trägt dazu
bei, dass nationale und internationale Unternehmen an die Netzwerkakteure herantre-
ten. Dies ist für klassische Unternehmenskooperationen von Vorteil, da sie mehr auf
thematisch-inhaltlicher Kompatibilität beruhen als auf regionalen Kooperationsgrün-
den. Dennoch konnte gezeigt werden, dass das regionale Netzwerk durchaus nicht
seine Bedeutung als Beförderer von Clusterprozessen verloren hat. Die Ausrichtung
der öffentlichen und halböffentlichen Forschung auf die technologischen Themen im
Cluster befördert die Schaffung von regionalen Wissensstrukturen, von denen Unter-
nehmen profitieren (87,5 % der Unternehmen in Nürnberg-Erlangen nutzen den per-
sönlichen Kontakt zu Hochschulakteuren als ‚Wissensvehikel’). Aufgabe der poli-
tisch initiierten oder geförderten Netzwerke kann deshalb die Forcierung der Verbin-
dung von Wirtschaft und Wissenschaft sein.
Gerade KMU haben aufgrund mangelnder personeller und organisatorischer Kompe-
tenzen jedoch Partizipationsprobleme im Innovationswettbewerb und konzentrieren
sich vielfach auf inkrementelle Verbesserungen anstelle der Teilnahme am Innovati-
onssystem. Durch ein regionales Netzwerkangebot, das sich auf spezifische Themen
konzentriert, können KMU ihre Informationsdefizite abbauen (z.B. durch Teilnahme
Fazit
300
an Workshops), persönliche Kontakte zur Wissenschaft herstellen und damit als au-
tonome Akteure an interaktiven Lern- und Innovationsprozessen teilnehmen.
Für das Ruhrgebiet gelten die Anforderungen an die Netzwerkarbeit in gleicher Wei-
se, jedoch unter anderen Ausgangsbedingungen. Aus den beschriebenen spezifischen
Strukturen im Ruhrgebiet können sich innovative Potenziale durch Produkt-
Dienstleistungskombinationen ergeben, die zur Ausdifferenzierung neuer Ge-
schäftsmodelle führen können. Hierbei steht vor allem die Förderung des Wissens-
transfers zwischen Anwendern und Herstellern (auch dem Vertrieb als Teil des Wert-
schöpfungsprozesses und in der Funktion als ‚FuE-Scout’) im Vordergrund. Die de-
zentral orientierte Innovationspolitik in NRW hat zu einer Fülle an Landes-, Bran-
chen- und Technologieinitiativen geführt, die sich in ihren Zuständigkeiten zum Teil
überschneiden. In der Untersuchung standen die beiden Netzwerke LifeTec Ruhr und
MeTNet NRW im Forschungsfokus. Ersteres wurde als Instrument regionaler Steue-
rung initiiert, während MeTNet NRW als Teil der Landesinitiative Life Science A-
gency einen überregionalen Charakter aufgewiesen hat (die Geschäfte des Vereins
MeTNet NRW wurden im Frühjahr 2007 eingestellt) und eher als ‚Informationsdreh-
scheibe’ und Fortbildungsanbieter fungierte. Da das Ruhrgebiet nicht über medizin-
technische Clusterstrukturen verfügt und damit auch nicht über eine ‚kritische Mas-
se’ an Unternehmen, soll mit dem Verein LifeTec Ruhr seit 2004 der Aufbau von
Clusterstrukturen erfolgen. Hierbei wird vor allem die Querschnittsorientierung der
Branche genutzt und über das Instrument der Technologieverbünde eine Schnittstelle
zu etablierten Branchen gesucht (z.B. Informationstechnologie, Mikrotechnik, Au-
tomation).
Bislang spielen strategische Unternehmenskooperationen eine dominante Rolle, die
Einbindung von Wissenschaftseinrichtungen ist jedoch bis auf wenige, neuere Aus-
nahmen noch ausgeblieben. Die breite Aufstellung der Forschungslandschaft im
Ruhrgebiet, die auch die drei großen Zukunftsfelder der Medizintechnik (Computeri-
sierung, Miniaturisierung und Molekularisierung) vor allem mit den Institutionen im
mittleren Ruhrgebiet abdeckt, kann zur Profilbildung der Region im Bereich Medi-
zintechnik auf wissenschaftlicher Ebene beitragen. Die Akteure der Initiative können
das Forschungspotenzial durch eine Forcierung der Vernetzung in der Region nutzen
und dieses nach außen vermarkten (Imageaufbau als Forschungsregion), um die regi-
onalen Wissensbestände auszubauen und die Ansiedlung neuer Unternehmen voran-
zutreiben. Die empirische Untersuchung ergab einen – im Vergleich zu Nürnberg-
Erlangen – Mangel an persönlichen Kontakten von Medizintechnikunternehmen zu
Fazit
301
wissenschaftlichen Akteuren (nur 32,3 % der Unternehmen). Die originäre Zukunfts-
aufgabe des Netzwerkes im Ruhrgebiet kann in der Stärkung der Vernetzung zwi-
schen Wissenschaft und Wirtschaft liegen. Gerade die mittelständisch geprägten
Branchenunternehmen profitieren von einer regionalen Forschungslandschaft, da in
räumlicher Nähe persönliche Kontakte hergestellt werden können. Die Kooperati-
onsneigung kann ebenso durch innovationspolitische Förderprogramme unterstützt
werden, da ein Zusammenhang zwischen geförderten Unternehmen und deren Ko-
operation mit Wissenschaftseinrichtungen vorliegt. Nach eingängiger Betrachtung
der regionalen Ebene und ihrer Netzwerkstrukturen kann man zu dem Schluss kom-
men, dass die regionalen und landespolitischen Strategien in Nürnberg-Erlangen un-
ter Berücksichtigung der Chancen, die sich aus der unvergleichbaren historischen
Entwicklung ergeben haben, einen Beitrag zur medizintechnischen Stärke der Region
geleistet haben. Der Vernetzungsgrad der Branche ist hoch und die Kontakte zur
Wissenschaft bestehen. Im Ruhrgebiet ist bislang das Potenzial der ansässigen Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen noch nicht für die Medizintechnikunternehmen
erschlossen worden, der Vernetzungsgrad ist gering und es bestehen rudimentäre
Kontakte zu Wissenschaftsakteuren, was sich in der Tatsache widerspiegelt, dass
wenig forschungsintensive Medizintechnikhersteller vorhanden sind. Es konnten
Potenziale im Bereich innovativer Produkt-Dienstleistungskombinationen aus den
gegebenen Strukturen heraus identifiziert werden, deren Entwicklung durch eine
stärkere Vernetzung forciert werden kann. Die Untersuchung auf regionaler Ebene
hat eine historisch-kulturell determinierte Entwicklung der Medizintechnikstrukturen
gezeigt. Das nordbayerische Medizintechnikcluster in der Region Nürnberg-Erlangen
ist zum einen durch die landes- und regionalpolitischen Maßnahmen und Steuerungs-
instrumente maßgeblich forciert worden. Zum anderen basiert der Erfolg der
Clusterpolitik auf der historisch begründeten Standortstrategie der Wirtschaft, so
dass bereits nach dem Zweiten Weltkrieg Medizintechnikstrukturen in der Region zu
finden waren. Im Ruhrgebiet fehlt diese gewachsene, gesundheitstechnische Traditi-
on gänzlich und mit dem Wegbruch des ‚Montanclusters’ stand die Region vor der
Herausforderung neue Wirtschaftsstrukturen zu etablieren. Aufbauend auf einer dich-
ten Forschungs- und Hochschullandschaft, die mit der Gründung der Ruhrgebiets-
universitäten in den 60er Jahren ihren Anfang nahm, bilden sich allmählich medizin-
technische Wirtschaftsstrukturen heraus. Diese werden begleitet durch kleinräumli-
che Förderstrukturen die erst noch zu einer landesweiten Clusterstrategie reifen müs-
sen.
Fazit
302
Mit der vorliegenden Dissertation konnte der Stellenwert der Medizintechnikbranche
in der Debatte um die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die Kom-
plexität heutiger Innovationsprozesse im Kontext gesellschaftlich institutionalisierter
Innovationssysteme deutlich gemacht werden. Aus der Untersuchung hat sich gene-
ralisierend ergeben, dass sich im Idealfall das Zusammenspiel wirtschaftlicher, wis-
senschaftlicher und politischer Akteure wie folgt gestalten würde: Eine ‚kritische
Masse’ von Unternehmen aus forschungs- und wissensintensiven (Spitzentechnolo-
gie-)Branchen, vernetzt mit einer hoch verdichteten Hochschul- und Forschungsland-
schaft und gefördert durch eine stringente, clusterorientierte Innovationspolitik kann
die technologisch-wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Regionen und Branchen
im internationalen Kontext erhöhen und zur Etablierung einer Innovationskultur bei-
tragen.
In der Dissertation wurde bewusst ein interdisziplinärer aber gleichwohl institutiona-
listischer Ansatz verfolgt, da die Innovationsaktivitäten in der Medizintechnik nicht
nur aus mikroökonomischer Sicht zu beleuchten sind, sondern mit Ansätzen aus der
wirtschaftssoziologischen Innovations- und Netzwerkforschung und der politikwis-
senschaftlichen Governancedebatte die Erklärungskraft erhöht werden kann. Die
Branche hat sich nach systemischem Verständnis als wettbewerbsfähig erwiesen:
Das Zusammenspiel von Meso- und Mikroebene, von politischer Governance und
der Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft befördert die Innovationsfähig-
keit der gesamten Branche – vor allem aber der hoch- und spitzentechnologischen
Segmente, die für die Leistungsstärke der deutschen Volkswirtschaft im internationa-
len Wettbewerb notwendig sind.
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Anhang
325
Anhang Leitfaden für Expertengespräche in Medizintechnikunternehmen 1. Themenblock: Allgemeine Unternehmensangaben
• Gehört Ihr Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe/Konzern mit Sitz in Deutschland oder dem Ausland? Wenn ja, wo?
• In welches medizintechnische Teilgebiet ordnen Sie Ihr Unternehmen ein? • Welche Geschäftstätigkeit üben Sie mit Ihrem Unternehmen aus? • Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie? • Wie viele Mitarbeiter arbeiten in den folgenden Tätigkeitsbereichen?
Tätigkeitsbereich Anzahl MA
FuE
Produktion
Vertrieb
Handel
Dienstleistungen
Verwaltung
2. Themenblock: Forschung und Entwicklung
• Wie hoch ist der Anteil von FuE gemessen an Ihrem Unternehmensumsatz (in %)?
• Arbeiten Sie eher traditionell oder science-based orientiert (d.h. starke An-bindung an neuste Wissenschaftsergebnisse und Umsetzung in Produkte)?
• Betreiben Sie interne FuE? • Wer sind die Ideen- und Impulsgeber für Ihre Forschungsaktivitäten? • Hat Ihr Unternehmen Patente oder andere Schutzrechte angemeldet? Wo las-
sen Sie ihre Patente schützen? Falls Sie keine Patente anmelden, wo liegen die Gründe?
• Welche Typen von Innovationen haben Sie in Ihrem Unternehmen realisiert? (Produktinnovationen, Prozessinnovationen, Neu- bzw. Weiterentwicklung)
• War Ihr Unternehmen in den letzten drei Jahren ein Auftraggeber bzw. -nehmer von FuE-Projekten?
• Sind Sie an privat geförderten Forschungsprojekt/en beteiligt? (DFG, Stiftun-gen)
• Haben Sie vor den Bereich interner FuE in den nächsten Jahren auszuweiten? Falls ja, wo liegen die Gründe?
• Wonach hat Ihr Unternehmen in den letzten Jahren seine Innovationsstrate-gien ausgerichtet?
Anhang
326
3. Themenblock: Kooperationen und Netzwerkaktivitäten A) Netzwerkaktivitäten im Unternehmenssektor/Wissenschaftssektor
• Unterhält Ihr Unternehmen kooperative Beziehungen zu Partnern im Unter-nehmenssektor, die über den reinen Kauf und Verkauf von Produkten und Dienstleistungen hinausgehen? Zum Wissenschaftssektor?
Falls ja, welcher Art sind diese Kooperationen und wie bedeutsam sind sie für Ihr Unternehmen? • Was war der Ausgangspunkt für die Kooperation, wie kam der Kontakt zu-
stande? Wie wichtig ist der persönliche Kontakt? • Handelt es sich um dauerhafte kooperative Beziehungen oder sind sie an ein
Projekt mit befristeter Laufzeit gebunden? Wie intensiv sind die Beziehun-gen, wer sind Ihre wichtigsten Partner?
• Bestehen die Kooperationen in der Region, überregional oder international? • Sind die Beziehungen eher informell oder formell (vertraglich geregelt)? • Was erwarten Sie von diesen Kooperationen? • Was waren in der Vergangenheit Hinderungsgründe für die Zusammenarbeit
mit wissenschaftlichen Einrichtungen? • Was müssen Wissenschaftseinrichtungen Ihrer Meinung nach in FuE-
Kooperationen leisten oder verbessern, um den Nutzen für Ihr Unternehmen zu erhöhen?
B) Einbindung in regionale Netzwerkprozesse / Cluster
• Bestehen kooperative Beziehungen zu einer oder mehreren der folgenden In-stitutionen?
Infrastrukturakteure (Technologie- und Gründerzentren, Medizintechnikzentren) Venture- bzw. Beteiligungskapitalgeber kommunale Wirtschaftsförderung Wirtschaftsfördereinrichtung des Landes IHK Wirtschaftsverbände • Sind Sie Mitglied in einem regionalen Netzwerkverbund? Falls nein, wo liegen die Gründe? Welche Schwierigkeiten würden Sie bei einer Teilnahme sehen?
Falls ja, • Was erwarten Sie durch die Teilnahme am Netzwerk? Vorteile? • Haben Sie durch die Teilnahme an einem Netzwerk Ideen und Anregungen
für Produkte, Projekte, Kooperationen oder ähnliches gewinnen können? • Erfahren Sie durch die Teilnahme an Netzwerken schneller etwas über tech-
nologisch-wissenschaftliche Neuerungen als ohne? Wie wichtig ist die regio-nale Verankerung für Sie? Warum?
• Was sollte ein derartiges Netzwerk Ihrer Meinung nach leisten?
4. Themenblock: Innovationsförderung von Seiten öffentlicher Akteure:
• Hat Ihr Unternehmen bei der Realisierung von Forschungsprojekten auf staat-liche Unterstützung zurückgegriffen?
Anhang
327
• Wenn ja, welche Form der Förderung? (spezielle Projekte, FuE-Kopperationsförderung, Förderung spezieller Technologien, Gründungsförde-rung)
• Welche Erwartungen haben Sie an die öffentliche Innovationsförderung (ge-rade für den Mittelstand)?
• Welche staatlichen Maßnahmen wären besonders geeignet, um die Innovati-onsfähigkeit am Standort Deutschland für die Medizintechnik zu erhöhen?
• Worin liegt die Bedeutung dieser Region für ihren Firmensitz / die Standort-wahl?
• Was erwarten Sie von regionalen politischen Akteuren?
Anhang
328
Leitfaden für Expertengespräche in Netzwerkinitiativen 1. Themenblock: Kurzer Überblick über das Netzwerk / Forum
• Wann wurde das Netzwerk gegründet, in welchem politischen Gesamtzu-sammenhang ist es einzuordnen?
• Wie sieht die Mitgliederstruktur aus? regional, überregional, national, inter-national – hat es eine Entwicklung von regional zu international in den letzten Jahren gegeben? Sind es eher junge Firmen die Kontakt suchen und nutzen?
• Welche thematischen Schwerpunkte hat das Netzwerk? • Was sind die wichtigsten Instrumente des Netzwerkes, um seine Ziele zu ver-
folgen? • Regelmäßigkeit der Treffen?
2. Themenblock: Kooperationen • Welche Art von Kooperationen dominieren? • Gibt es branchenübergreifende Kooperationen zu medizintechnikfremden
Unternehmen? • Wie haben sich Kooperationsstrukturen seit Beginn der Netzwerkarbeit ent-
wickelt? • Wie kommen Kooperation im Bereich FuE zustande? • Wie agieren Unternehmen im Netzwerk – gibt es Vorbehalte in Punkto Ge-
heimhaltung? Welche Rolle spielt Vertrauen? • Gibt es eine Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Forschungs-
einrichtungen? • Bietet das Netzwerk einen Zugang zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen, wie geschieht das? • Fördert das Netzwerk auch universitäre Forschung bzw. wissenschaftliche
Forschung insgesamt? Gibt es Bestrebungen in Richtung Stiftungslehrstüh-len, Entwicklung neuer Studiengänge, bei denen das Netzwerk aktiv ist bzw. Kooperationen herstellt?
• Welche Bedeutung haben Kooperationen für KMU in Ihrem Netzwerk? Be-sonderer Bedarf? Gibt es bestimmte Instrumente für KMU im Vergleich zu Großunternehmen?
3. Themenblock: Leistungen und Grenzen des Netzwerkes
• Was macht Ihrer Meinung nach Ihr Netzwerk erfolgreicher als andere struk-turpolitische Maßnahmen?
• Wo gibt es in Zukunft noch einen Verbesserungsbedarf? Welche Akteure sollten stärker einbezogen werden?
• Welche Rolle spielen Leitunternehmen im Netzwerkbildungsprozess? Haben sie eine Treiberfunktion?
• Wie stark ist der Einfluss der Landespolitik auf Ihr Netzwerk?
Anhang
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Leitfaden für strategische Expertengespräche außerhalb der Untersuchungsre-gion 1. Themenblock: Regionale Standortfaktoren
• Was sind für ein Unternehmen wie Ihres als Global Player die wichtigsten Faktoren bei Standortentscheidungen?
• Gibt es überhaupt noch regionale Bindungen von Unternehmen heutzutage? Unterschied KMU zu Großunternehmen?
• Welches sind Ihrer Meinung nach zum einen die innovativsten Regionen in Deutschland und zum anderen in welchen Regionen sehen Sie Chancen für Medizintechnik (z.B: Clusterbildung, Exzellenzen in Forschung und Entwick-lung)?
2. Themenblock: Innovationspolitik auf Länderebene + regionale Netzwerke
• Was läuft innovationspolitisch in Bayern anders als in NRW? • Welche Maßnahmen würden Sie als erfolgreiche strukturpolitische Instru-
mente sehen? • In der Wissenschaft wird viel über die Vorteile und den Nutzen von Netz-
werken diskutiert. Ich würde gerne Ihre Meinung zu Netzwerken und regio-nale Initiativen hören! Was können diese Vereinigungen leisten, wem nutzen Sie?
• Wie wichtig ist für Ihr Unternehmen die Anbindung an die Universitä-ten/Forschung – These: Wir brauchen in Deutschland mehr Kooperationen zwischen Wissenschaft und Praxis (auch hin in Richtung Stiftungslehrstühle siehe USA?)
• Ist ihr Unternehmen aktiv in Netzwerke eingebunden?