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KIT REPORT 128

Der Computer,

Konstruktion von Realit�at durch Schrift?

Martin Fischer

Technische Universit�at Berlin

Sekr. FR 6{10

Franklinstr. 28/29, 10587 Berlin

[email protected]

Juli 1996

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Abstract

This paper deals with questions about computers as a medium and the

connection between computers and writing.

In it a concept of writing is developed based on Nelson Goodman's

symbol theory. The structure of symbol systems is used as the criterion

for the classi�cation of these systems. In opposition to the thesis of

new orality, it is argued that computers and writing are inseparable.

Starting with the views of computer scientists on semantics, it is

shown that virtual realities and other computer-based artifacts are

reality constructions based on formal written models.

In dieser Arbeit werden Fragen zum Computer als Medium und

zur Beziehung zwischen Computern und Schrift behandelt.

Anhand der Symboltheorie Nelson Goodmans wird ein Schriftbegri�

entwickelt, der strukturelle Eigenschaften von Symbolsystemen zum

Kriterium f�ur deren Klassi�zierung macht. Entgegen der These von

einer neuen Oralit�at, erweist sich der Computer hier als genuin schrift-

gebundenes Medium.

Ausgehend vom Semantiverst�andnis in der Informatik erweisen sich

virtuelle Welten, aber auch andere informatische Artefakte, als Kon-

struktionen von Realit�aten aus formalen, schriftlichen Modellen.

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Vorwort

Der vorliegende Text behandelt Fragen zum Verh�altnis von Computern, Schrift

und virtuellen Realit�aten. Er ist als Magisterarbeit am Institut f�ur Philosophie der

Freien Universt�at Berlin entstanden, versteht sich aber nicht nur als philosophische

Arbeit zu Medien und zur Interpretation k�unstlicher Welten sondern auch als Arbeit zu

Grundlagen der Informatik und zur Interpretation informatischer Artefakte.

Im ersten Hauptteil (Kap 2 und 3) wird die Syboltheorie N. Goodmans mit dem Ziel

verwendet, eine Charakterisierung von Schrift zu liefern. Auf dieser Grundlage wird

analysiert, welche Symbolsysteme mit Computern verarbeitet werden k�onnen. Es zeigt

sich, da� Computer genau Schriften verarbeiten und darstellen k�onnen. Bilder und auch

die m�undliche Rede k�onnen nur in verschriftlichter Form verarbeitet werden.

Leserinnen und Leser, die sich f�ur diese Fragen interessieren, k�onnen die relativ

ausf�uhrliche Analyse der m�undlichen Rede (Abschnitt 2.4) auch �ubergehen; sie ist f�ur

das Verst�andnis von Kapitel 3 nicht unbedingt notwendig. Der Abschnitt 4.4 kann als

eine Erg�anzung zu den im ersten Hauptteil behandelten Fragen gelesen werden.

Im zweiten Hauptteil (Kap 4) wird gezeigt, da� das Semantikverst�andnis der Disziplin

Informatik sehr eng an der Semantikkonzeption A. Tarkis orientiert ist. Davon ausge-

hend wird untersucht, wie mit Computern erzeugte Realit�aten interpretiert und verstan-

den werden k�onnen. Die These, die hier vertreten wird, lautet, da� Informatiker und

Informatikerinnen Realit�aten aus formalen, resp. schriftlichen, Modellen konstruieren,

Realit�aten, in denen Menschen handeln und arbeiten.

Leserinnen und Leser, die sich vorwiegend f�ur k�unstliche Welten interessieren, sollten

ohne gro�e Probleme bei Kapitel 4 in die Lekt�ure einsteigen k�onnen.

Ich danke Katrin Ga�ner, Gernot Grube und Mirjam Schaub f�ur hilfreiche Kom-

mentare zu fr�uheren Versionen dieser Arbeit. Insbesondere danke ich Sybille Kr�amer f�ur

ihre Unterst�utzung bei einer nicht im engen Sinne fachdisziplin�aren Arbeit. Ihr verdanke

ich nicht zuletzt die Idee, N. Goodmans Symboltheorie f�ur eine Theorie der Schrift zu

nutzen.

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Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung 1

1.1 Wirklichkeiten, Realit�aten, Welten 5

2 Schrift 7

2.1 Charakterisierungen von Schrift 7

2.1.1 Schreiben als Einritzen 7

2.1.2 Schrift als Darstellungsmittel f�ur m�undliche Sprache 8

2.1.3 Schrift als Schriftzeichen 11

2.1.4 Schriftlichkeit und M�undlichkeit 12

2.1.5 Kriterien f�ur eine De�nition von Schrift 14

2.2 Schrift als Notationsschema 15

2.2.1 Zeichen, Symbolsystem, Symbolschema 15

2.2.2 Disjunktivit�at 17

2.2.3 Endliche Di�erenziertheit 17

2.2.4 Eigenschaften von Symbolschemata 19

2.2.5 Beispiele 21

2.3 Bilder und Schriften 22

2.4 M�undliche und schriftliche Sprachen 24

2.4.1 Die akustische Ebene 25

2.4.2 Gesprochene Texte 31

2.4.3 Prosodie 33

3 Schriftgebundenes Medium Computer 36

3.1 Formale Schriften 36

3.1.1 Formale Sprachen 36

3.1.2 Mathematische Notationen 37

3.1.3 Logische Sprachen 39

3.1.4 Programmiersprachen 40

3.1.5 Bin�arcode 40

3.1.6 Operative Schriften 41

3.2 Universalschrift 42

4 Realit�atskonstruktion aus Schrift 44

4.1 Historische Vorerinnerung: Francis Bacon 45

4.2 Objekt- und Metasprache: Alfred Tarski 48

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4.2.1 Grundlagen der Tarskischen Konzeption 48

4.2.2 Der Erf�ullungsbegri� 51

4.2.3 Kritik des Tarskischen Ansatzes 52

4.2.4 Anwendung der Tarski-Semantik in der Informatik 55

4.2.5 Folgerungen 57

4.3 Virtuelle Realit�aten 60

4.3.1 Virtuelle Realit�ats Systeme 62

4.3.2 Informatische Artefakte 66

4.4 Schriftliche Welten 68

5 Der Computer, eine Radikalisierung von Schrift? 71

5.1 Sprachen und Artefakte 71

5.2 Computernutzung 74

5.3 Ausblick 76

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1 Einleitung

Menschenleere Fabriken, weltweite Vernetzung, Datenautobahn und virtuelle Realit�aten

sind Schlagworte, die in der �o�entlichen Diskussion zunehmend eine Rolle spielen. Je-

de Zeitung, selbst eine so altehrw�urdige wie `Die Zeit', verf�ugt mittlerweile �uber eine

Computerseite. Gleichzeitig gibt es eine rege geisteswissenschaftliche Debatte um die

sogenannten neuen Medien, um das Ende der Schrift und das Zeitalter der Simulation.

An dieser Debatte beteiligen sich erstaunlich wenig Philosophen und Philosophinnen.

Wenn man annimmt, da� menschliche Kognition, hier in einem sehr allgemeinen Sinne

verstanden, mediale Grundlagen hat, also nicht unabh�angig (oder sogar wesentlich be-

stimmt) ist von Symbolsystemen und Artefakten, die Menschen verwenden, stellt sich die

Frage, inwieweit sich mit dem Medium1 Computer menschliches Denken, menschliche

Erkenntnis und menschliches Zusammenleben ver�andern.

Die Frage nach dem Ende der Gutenberggalaxis ber�uhrt aber auch eine Grundbedingung

des (akademischen) Philosophierens selbst. Entgegen einer sokratischen Intuition, da�

Philosophieren sich im Gespr�ach �au�ert, basiert philosophisches Arbeiten wesentlich auf

geschriebenen Texten und artikuliert sich weitgehend im Medium der Schrift.

Das Aufkommen computergest�utzter informationstechnischer Systeme wird im all-

gemeinen als eine Auf- oder Abl�osung von Schrift, Schriftlichkeit oder Schriftkultur

gedeutet. Marshall McLuhan formuliert in `The Gutenberg Galaxy' bereits 1962 seine

Thesen von der Abl�osung des literalen durch ein elektronisches Zeitalter.

\In the electronic age which succeeds the typographic and mechanical era of the past

�ve hundred years, we encounter new shapes and structures of human interpendence

and of expression which are `oral' in form even wenn the components of the situation

may be non-verbal."2

Die seitherige Entwicklung der Computertechnologie und ihre massenhafte Verbreitung

scheint McLuhans Thesen zu best�atigen.

Die Diskussion um neue M�undlichkeit wird meist in Opposition zu einem Begri� von

Schriftlichkeit gef�uhrt, der sich am Buch, insbesondere am gedruckten Buch als dem bis

1 Der Begri� Medium wird sehr unterschiedlich gebraucht. Ich will ihn in keiner besonders spezi�-

schen Bedeutung verwenden. Er soll allerdings mindestens zwei Aspekte umfassen: Erstens Symbolsy-

steme oder -schemata wie Zi�ernsysteme, die alphabetische Schrift oder Digitalcode; und zweitens die

Technologien ihrer Darstellung, Speicherung, �Ubertragung und Verarbeitung wie Buchdruck, Fernsehen

oder Computer. Ansonsten will ich den Begri� eher vermeiden, und die beiden genannten Aspekte als

Symbolschemata und als technische Mittel je f�ur sich behandeln.

2 [McLuhan 1962 ] S. 3

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vor kurzem unbestrittenen Leitmedium orientiert. Schrift oder in diesem Zusammen-

hang eher Schriftkultur wird gleichgesetzt mit Buchkultur.3 Walter Ong unterscheidet

zwar zwischen schreibender, chirographischer und druckender, typographischer Litera-

lit�at, aber erst der Druck verk�orpert die Eigenschaften der Schrift, wie Visualit�at und

Gegenst�andlichkeit, in radikalerer Weise; und erst die typographische Kultur bildet den

Gegenpol zur oralen Kultur.4

Schrift gilt hier als Medium der linearen Argumentation und des kritischen, zerlegenden

Denkens.5 Das Drucken \beg�unstigte und erm�oglichte im gro�en Ma�stab die Quanti-

�zierung des Wissens"6 und bef�ordert neuzeitliche Wissenschaftlichkeit und dr�uckt sie

gleichzeitig aus.

Einige Autoren verkn�upfen damit eng die Entwicklung demokratischer Gesellschaftsord-

nungen und sehen in der Abl�osung des Buches eine Gef�ahrdung rationaler Diskurse und

demokratischer Gesellschaftsordnung.7 Andere Autoren hingegen versprechen sich vom

Computer eine Rehabilitierung von Wissensformen, die durch die Dominanz schriftlichen

Wissens unterdr�uckt wurden. Sie erwarten eine Erweiterung menschlicher Handlungs-,

Kommunikations-, Denkm�oglichkeiten durch ein Medium, das alle herk�ommlichen Medi-

en in sich aufnimmt und auf einer h�oheren Ebene integriert.8 Gleichzeitig sind mit dem

Medium Computer, vor allem mit weltweiten Netzen Ho�nungen auf eine Dezentralisie-

rung und Demokratisierung verbunden.9

Da� der Computer das Buch resp. die Buchkultur in Frage stellt, kann beinahe als

Gemeinplatz gelten. Eigenschaften von B�uchern wie Unver�anderlichkeit, Dauerhaftig-

keit, Kopierbarkeit, Identi�zierbarkeit, Abgeschlossenheit, Kritisierbarkeit, Autorenschaft

werden durch den Computer in Frage gestellt.

Erscheint das Buch als geschlossene Einheit, so l�osen die M�oglichkeiten des Mediums

Computer zu direkten Verweisen in den Raum von auf Computern gespeicherten Texten,

diese Einheit auf. Die Leserin kann selbst (in vorgegebenen Grenzen) den Weg durch

den Text oder die Texte bestimmen. Hypertext hat sich als Bezeichnung f�ur solch ein

3 Das hei�t aber nicht, da� diese Sicht unumstritten ist. Jay David Bolter reiht in `Writing Space.

The Computer, Hypertext, and the History of Writing' den Computer gerade in die Geschichte des

Schreibens ein. \The computer reminds us that any de�nition of writing must now include mathematics

and symbolic logic along with verbal writing and graphics. And in all various uses, the computer is best

understood as a new technology for writing." [ Bolter 91 ] S. 9

4 vgl. Walter Ong `Oralit�at und Literalit�at' [ Ong 1982 ] S. 118-134

5 siehe z.B. Vilem Flusser `Die Schrift': "Er [der schreibende Rei�zahn] zerrei�t unsere Vorstellungen

von der Welt, um die derart auseinandergerissenen (`explizierten') Vorstellungen zu ausgerichteten

Zeilen, zu z�ahlbaren, erz�ahlbaren, kritisierbaren Begri�en zu ordnen." [ Flusser 1987 ] S. 17

6 [Ong 1982 ] S. 130

7 siehe z.B. [ Postman 1985 ] und [ Flusser 1987 ]

8 siehe z.B. [ Kerhoeve 1993 ], [ Bolter 1991 ] und [ Rheingold 1991 ]

9 siehe z.B. [McLuhan 1962 ], [ Ong 1982 ] und [ Rheingold 1993 ]

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Netz von Texten und/oder Textteilen mit gegenseitigen Verweisen (links) durchgesetzt.

Elektronisch gespeicherte Texte sind zwar noch leichter kopierbar als gedruckte Texte,

aber ihre Stabilit�at und Unver�anderlichkeit kann nicht mehr garantiert werden. Zwar ist

es der Autorin m�oglich ein solches Original zu sichern, aber f�ur die Leserin ist nicht si-

chergestellt, ob ein Text, dessen Ort etwa durch eine bestimmte Adresse markiert ist, am

folgenden Tag noch derselbe ist, oder ob die Autorin oder jemand anderes ihn ver�andert

hat. Es ist sogar m�oglich, da� sich Texte allein durch das Lesen programmgesteuert

ver�andern. Ebenfalls neu ist die M�oglichkeit, praktisch f�ur jeden Kopien von Texten

ohne wesentlichen Aufwand beliebig zu ver�andern und weiter zu vervielf�altigen.

Auch wenn die These von einer Abl�osung des Buches (was nicht hie�en soll, da� B�ucher

ganz verschwinden werden) durch den Computer einiges f�ur sich hat, ist es keineswegs

zwingend, daraus direkt auf eine Abl�osung von Schrift und Schriftkultur zu schlie�en.

Die enge Anbindung eines allgemeinen Schriftbegri�s an eine bestimmte Technik,

die des Buchdrucks, scheint trotz der Wichtigkeit des Buches f�ur die Entwicklung

des neuzeitlichen Wissens und Denkens zuf�allig und willk�urlich. Bolter etwa zeigt,

da� die unterschiedlichen Tr�agermaterialien und Herstellungstechniken, Stein, Papy-

rusrollen, geschriebene Kodizes, Texte auf Computern, etc. jeweils eine eigene Art

der Organisation von Wissen bef�ordern, ohne da� man ihren Charakter als schriftli-

ches Medium in Frage stellen w�urde.10 Eine Pr�aferenz f�ur das gedruckte Buch ergibt

sich so allein aus der Dominanz dieses Mediums in einer bestimmten historischen Epoche.

In einem zweiten Sinne wird die Abl�osung von Schrift eher innerhalb der Infor-

matik in bezug auf die Entwicklung von Computerober �achen, d.h. bez�uglich der Art,

wie Menschen mit Computern interagieren, verstanden.11 Die Eingabe alphabetischer

Zeichen wird zunehmend ersetzt durch andere Formen der Eingabe, wie Gesten und

Sprache. Virtuelle Realit�aten k�onnen als Zielpunkt einer Entwicklung interpretiert

werden, bei der die Interaktion mit Computern nicht vermittelt �uber Schrift sondern auf

`nat�urliche' Weise erfolgen soll.

Auch hier steht die Integration unterschiedlicher Sinnesmodalit�aten auf h�oherem Niveau,

die Reduzierung der Distanz und die Rehabilitierung nicht schriftlichen Wissens im

Vordergrund.

Ich werde im folgenden gegen die, aus meiner Sicht vorschnelle, Rede von einer

Abl�osung der Schrift durch Computer argumentieren.

Voraussetzung f�ur eine Untersuchung des Verh�altnisses von Computer und Schrift ist

es, die Verwendung des Begri�s Schrift einzugrenzen. Die Zahl der Antworten, die man

10 vgl. [ Bolter 1991 ] insbesondere S. 33-81

11 siehe z.B. [Walker 1990 ] und [ Laurel 1993 ]

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dazu in der Literatur �nden kann, ist (fast) so gro� wie die Anzahl der Autoren, die sich

dazu �au�ern, und das sind ziemlich viele.

Ich will in Kapitel 2 versuchen Schrift mit den Mitteln der Symboltheorie Nelson Good-

mans zu charakterisieren. Als Ergebnis dieser Betrachtung ergibt sich ein Schriftbegri�,

der weder die traditionelle sprachwissenschaftliche und philosophische Ansicht best�atigt,

da� Schrift lediglich ein Repr�asentationsmittel f�ur die m�undliche Sprache sei, das zwar

den Raum der Kommunikation erweitert, aber die Sprache und die Bedeutungen, die mit

ihr transportiert werden, nicht ver�andert. Aber ich will auch die Umkehrung, also eine

Unterordnung der Sprache unter einen Schriftbegri�, wie sie Jaques Derrida in der Kritik

an der gerade dargestellten philosophischen Grundannahme vornimmt12, nicht nachvoll-

ziehen. Vielmehr werden sich Schrift und (m�undliche) Sprache als zwei eigenst�andige

Symbolsysteme, mit verschiedenen strukturellen Eigenschaften erweisen.

Dabei bin ich mir den Schwierigkeiten und Grenzen eines solchen Unterfangens durchaus

bewu�t, und erhebe auch nicht den Anspruch, den Begri� Schrift hier in allen seinen

Aspekten und ein f�ur allemal de�nieren zu k�onnen. Ich ho�e allerdings, da� es mir

gelingt, meinen Zugang zu Schrift plausibel zu machen, und zeigen zu k�onnen, da�

dieser Schriftbegri� f�ur das Verst�andnis von Computern und informationstechnischen

Artefakten fruchtbar gemacht werden kann.

Leser und Leserinnen, die sich mit dem hier verwendeten Schriftbegri� gar nicht

anfreunden k�onnen, m�ogen Kapitel 2 als eine Analyse der von Computern verwendeten

Symbolschemata lesen und ansonsten statt Schrift Notation und statt Verschriftlichung

Digitalisierung oder Formalisierung lesen.

Die Kritik der These von der Abl�osung der Schrift durch den Computer kann

mindestens auf drei Ebenen erfolgen.

Auf der Ebene der Computersprachen gilt es mit Hilfe der Symboltheorie Nelson Good-

mans die Symbolschemata zu analysieren, die Computer verarbeiten (k�onnen). Sprachen

oder, wie sich herausstellen wird, Schriften sind gewisserma�en der `Sto�', mit dem

Computer arbeiten. Dieser Punkt wird in Kapitel 3 behandelt.

Weiterhin soll das Verst�andnis von Bedeutung und Wahrheit in der Disziplin Informatik

als an Alfred Tarski orientiert interpretiert und kritisiert werden, um aus dieser Analyse

ein besseres Verst�andnis informatischer Artefakte und insbesondere sogenannter virtueller

Welten zu gewinnen. Die Frage, inwiefern informatische Artefakte als Konstruktion von

Realit�at aus Schrift zu interpretieren sind, ist Gegenstand von Kapitel 4.

Schlie�lich stellt sich die Frage, inwieweit der Umgang mit Computern tats�achlich als

Abkehr von schriftlicher Interaktion zu deuten ist. Diese Frage werde ich ausgehend von

den Ergebnissen der vorhergehenden Kapitel im Abschlu�kapitel nur noch thesenhaft

12 siehe z.B. Jaques Derrida `Signatur Ereignis Kontext' in [ Derrida 1992 ] S. 291 - 314

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beleuchten.

Diese Arbeit nimmt wesentlich Bezug auf das technische Artefakt Computer und

die Disziplin, die sich wissenschaftlich mit der Herstellung und Nutzung dieser Artefakte

befa�t. Insofern betri�t sie philosophische Probleme einer Einzelwissenschaft, der

Informatik.

An die Ausgangsthese, da� einer medialen Konstitution oder zumindest Beein ussung

dessen, was unter Geist, Erkenntnis, Denken, verstanden wird schlie�en sich eine Reihe

philosophische Fragen an. Ebenso relevant scheint, wie Medien die soziale und politische

Verfa�theit von Gesellschaften beein ussen.

Die folgenden �Uberlegungen verstehen sich insofern als Grundlagenarbeit, als sie nicht

diese Fragen selbst behandelt. Falls es aber stimmt, da� der Computer das Buch als

Leitmeidium abl�ost oder schon abgel�ost hat, scheint eine Analyse des Mediums Compu-

ter, also der Symbole mit denen Computer arbeiten und der technischen Artefakte, die

mit Computern erzeugt werden k�onnen, notwendig, um weitergehende Fragen pr�aziser

stellen zu k�onnen.

1.1 Wirklichkeiten, Realit�aten, Welten

Da die Begri�e Wirklichkeit, Realit�at und Welt je nach erkenntnistheoretischem Stand-

punkt sehr unterschiedlich gebraucht werden, will ich hier kurz erl�autern wie ich diese

Begri�e im weiteren verwenden will.

Wirklichkeiten sollen verstanden werden als strukturiert resp. konstruiert sowohl durch

die Sinne und den Verstand in durchaus Kantschem Sinne als auch durch Sprache und

soziale Handlungsmuster etwa im Sinne der Wittgensteinschen Lebensformen.

Es soll nicht angenommen werden, da� dem Menschen eine �au�ere Wirklichkeit

unmittelbar gegeben ist, und es soll auch nicht angenommen werden, da� Wirklichkeit

unabh�angig von dem erkennenden Subjekt ist. Aber Wirklichkeiten sind widerst�andig.13

Die Konstruktion bzw. Rekonstruktion einer Wirklichkeit kann zwar sehr verschieden

sein, z.B. abh�angig vom Begri�sapparat einer bestimmten Gesellschaft oder einer

bestimmten wissenschaftlichen Theorie, aber doch nicht beliebig. Erfolgreich handeln

zu k�onnen setzt der willk�urlichen Konstruktion von Wirklichkeiten Grenzen.14

13 G�unther Anders etwa betont den \Widerstandscharakter" der Welt und konstatiert dessen Ver-

schwinden bereits lange vor der Er�ndung virtueller Realit�aten. [ Anders 56 ] S.194

14 Eine �ahnliche Position vertritt Nelson Goodman u.a. in `Weisen der Welterzeugung'. \Da�

es viele richtige Versionen und wirkliche Welten gibt, verwischt nicht den Unterscheidung zwischen

richtigen und falschen Welten hei�t nicht anzuerkennen, da� es blo� m�ogliche Welten gebe, die falschen

Versionen entspr�achen, und impliziert nicht, da� alle richtigen Alternativen f�ur jeden Zweck gleich gut

oder �uberhaupt f�ur irgendeinen Zweck geeignet w�aren." [ Goodman 1978 ] S. 35

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Waren Wirklichkeiten durch Widerst�andigkeit charakterisiert, so soll der Begri�

Realit�at weitergehend und wenig spezi�sch verwendet werden. Er soll Wirklichkeiten

als gegeben erscheinende Realit�aten ebenso umfassen wie erlebte Realit�aten, im Sinne

subjektiver Emp�ndungen. Desweiteren wird Realit�at auch im Sinne vorgestellter oder

modellhaft entworfener Realit�aten verwendet werden. Auch abstrakte Entit�aten wie

Zahlen sind Bestandteil einer mathematischen Realit�at.

Es ist deutlich, da� Vorstellungen oder mathematische Entit�aten anderen Begrenzungen

unterliegen als widerst�andige Wirklichkeiten.

Der Begri� Welt soll f�ur in gewisser Weise vollst�andige, in sich schl�ussige Rea-

lit�atsausschnitte verwendet werden. Welten m�ussen nicht umfassend und auch nicht

streng geschlossen sein. Welten k�onnen als Handlungsr�aume im Sinne von Wittgenstein-

schen Sprachspielen oder Lebensformen aufgefa�t werden oder im Sinne Goodmanscher

Welten oder Welt-Versionen.

Welt kann f�ur die eine (von Gott) gegebenen Welt gebraucht werden, eine Welt

kann auch die gesamte Weltsicht einer Person oder auch einer Gesellschaft genannt

werden. Welten k�onnen aber auch literarisch beschriebene, nur �ktive oder vorgestellte

Handlungsr�aume sein. Auch Spiele wie Ballspiele oder Gesellschaftsspiele konstituieren

Welten mit eigenen Regeln, Gegenst�anden und Handlungsm�oglichkeiten.

Die philosophischen Schwierigkeiten, die mit den Begri�en materiell, subjektiv,

Emp�ndung, Vorstellung etc. verbunden sind, sollen hier so weit wie m�oglich ausgeblen-

det werden. Die folgende Argumentation sollte von erkenntnistheoretischen Positionen

relativ unabh�angig sein, sofern nur eine gewisses Widerst�andigkeit von Wirklichkeit

akzeptiert wird.

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2 Schrift

Um das Verh�altnis zwischen Computer und Schrift zu beleuchten, gilt es zuerst zu kl�aren,

wie Schrift charakterisiert werden soll. Dazu will ich zuerst drei Herangehensweisen an

den Begri� darstellen. Dabei geht es mir wesentlich darum, die Schwierigkeiten der

traditionellen Zug�ange zu Schrift angesichts des Mediums Computer zu zeigen und meine

eigene Herangehensweise zu motivieren. Anschlie�end werde ich angelehnt an Nelson

Goodman einen Vorschlag f�ur eine De�nition von Schrift vorlegen, mit deren Hilfe ich

dann verschiedene Symbolsysteme untersuchen will. Insbesondere Bilder und m�undliche

Rede werden sich dabei als nicht schriftliche Systeme erweisen.

2.1 Charakterisierungen von Schrift

Ich werde im folgenden versuchen, verschiedene Schriftbegri�e anhand bestimmter

Aspekte, die jeweils im Zentrum der Betrachtung stehen, zu ordnen. Dabei will ich

jeweils in drei Schritten vorgehen und zuerst die Grundthesen eines Zugangs darstellen,

dann zeigen, wodurch hier die Intuition gest�utzt wird, da� der Computer die Schrift

abl�ost, und schlie�lich Argumente nennen, wieso die dargestellten Charakterisierungen

von Schrift auch unabh�angig vom Computer als problematisch angesehen werden k�onnen.

2.1.1 Schreiben als Einritzen

Schreiben bedeutet urspr�unglich ritzen (scribere) oder graben (graphein). \Demnach

war Schreiben urspr�unglich eine Geste, die in einen Gegenstand etwas hineingrub und

sich dabei eines keilf�ormigen Werkzeuges (`stilus') bediente."15

Auch wenn heute Schreiben eher als Auftragen auf eine Fl�ache oder als Tippen auf einer

Schreibtastatur, denn als Ritzen in eine Fl�ache praktiziert wird16, verweist die Etymolo-

gie des Wortes auf Eigenschaften von Schrift, die vor Er�ndung elektronischer Medien

als selbstverst�andlich gelten konnten. Die Geste des Einritzens in ein Material erzeugt

Dauer im Gegensatz zur �uchtigen Rede. Geschriebenes ist r�aumlich (2-dimensional),

die Rede in der Zeit (1-dimensional).17 Die Wahrnehmung von Schrift erfolgt visuell

15 [ Flusser 1987 ] S. 14

16 vgl. [ Flusser 1987 ] S. 19�

Peter Koch fa�t Schreibgesten unter dem Begri� Graph�e zusammen. Er versteht darunter einen

�ubergreifenden Terminus f�ur k�orperexternen, statischen, medialen Praktiken. (vgl. [ Koch 1996 ] S. 4)

17 Flusser betont hingegen die linear \ausrichtende" Geste der Schreibens gegen�uber dem

m�undlichen, \mythischen Denken", das in Kreisen verl�auft. (vgl. [ Flusser 1987 ] S. 10)

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und nicht wie bei gesprochener Sprache auditiv.18

Von dauerhaftem Ritzen und Graben in Material kann bei Computern angesichts

der Immaterialit�at und Fl�uchtigkeit elektronischer Daten kaum die Rede sein. Eine

gel�oschte Datei hinterl�a�t keinerlei Spuren.19 Elektronische Speicher sind jederzeit

l�osch- und ver�anderbar (�uberschreibbar). Durchaus �ubliche Hauptspeicher konservieren

nicht auf Dauer Spannungszust�ande, sondern werden im Takt von Bruchteilen von

Sekunden jeweils g�anzlich neu (mit den alten Daten) �uberschrieben. Dauerhaftigkeit

und Materialit�at sind hier allenfalls virtuell20 vorhanden.21

Fragen nach der Dimensionalit�at lassen sich auf dieser Ebene ebensowenig sinnvoll

stellen, wie die nach der Sinnesmodalit�at, in der die Daten wahrgenommen werden.

Auf der Ebene der Benutzerober �ache, wird es dagegen zunehmend m�oglich, beliebige

Sinnesmodalit�aten anzusprechen.22

Die traditionell charakteristischen Eigenschaften dauerhaft, r�aumlich, 2-dimensional,

visuell scheinen f�ur eine Schriftde�nition nicht (mehr) zu taugen. Mit Tonband,

Schallplatte etc. kann die Rede als zeitliches Ph�anomen dauerhaft gemacht werden.

Blindenschrift und Morsealphabet sind Beispiele f�ur nicht visuelle Schriften, letztere ist

sogar zeitlich und 1-dimensional.

Zum zweiten liefern die genannten Bestimmungen, wie auch das Eingraben in Material

selbst, kein brauchbares Abgrenzungskriterium gegen Bilder.

2.1.2 Schrift als Darstellungsmittel f�ur m�undliche Sprache

Obwohl insbesondere ihr r�aumlicher Charakter Schrift von der Rede abgrenzt, kann es

beinahe als (philosophischer und linguistischer) Gemeinplatz gelten, da� Schrift ledig-

18 Zum Gegensatz von Rede, Klangwahrnehmung und Interiorit�at gegen�uber Schrift, Visualit�at und

Exteriorit�at und deren Folgen f�ur orale und skripturale Kultur siehe [ Ong 1982 ] S. 74�.

19 vgl. [ Hagen 1989 ] S. 211

20 Der Begri� virtuell wird in doppelter Bedeutung verwendet: \der Kraft od. M�oglichkeit nach

vorhanden" und \scheinbar". Diese Doppeldeutigkeit ist nicht im Sinne zweier alternativer Bedeutungen

zu verstehen, sondern der Begri� changiert zwischen wirklich, im Sinne von `wirksam', und nicht

wirklich, im Sinne von `nicht materiell' oder `nur Schein'.

21 Die Unbrauchbarkeit traditioneller Zeitbegri�e zeigt Couchot am Beispiel von Computerbildern:

\Da das numerische Bild nicht mehr auf der Technik des Abdrucks basiert, kann es paradoxerweise

unendlich lange gespeichert werden." \Gleichzeitig ist das numerische Bild aber jederzeit in der Lage,

sich zu transformieren und sich zu ver�andern". [ Couchot 1991 ] S. 351

22 Ong spricht dagegen in Bezug auf den Computer von einer Maximierung der \Bindung des

Wortes an den Raum und die (elektronische) r�aumliche Bewegung", und scheint sich dabei ebenfalls

auf die Ebene elektronischer Daten zu beziehen. Wenn er eine neue \sekund�are Oralit�at" konstatiert,

betri�t das dagegen die Ebene der Computerober �ache. (vgl. [ Ong 1982 ] S. 136)

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lich als von der m�undlichen Rede abgeleitet angesehen wird. Sybille Kr�amer nennt das

das \ `Sekundarit�atstheorem der Schrift'(. . . ): Schrift gilt als eine Symbolisierung der

gesprochenen Sprache; sie ist Zeichen f�ur ein ihr systematisch und historisch vorausge-

hendes Zeichensystem."23

Die (m�undliche) Sprache ist prim�ar, die Schrift lediglich sekund�ares Re-

pr�asentatonsmittel.24 In dieser Sicht stellt die phonetische Alphabetschrift den

Idealtypus oder sogar das De�nitionskriterium von Schrift dar, da Schriftzeichen

(scheinbar) direkt und wechselseitig mit Lauten der Rede verkn�upft sind.25 Wert der

Schrift ist ihre Dauerhaftigkeit und Externalit�at, die es erlaubt, Wissen zu speichern,

zu transportieren und zu kopieren. Hier gilt Schrift als linear, wie die Rede, von der sie

abgeleitet ist, im Gegensatz zu mehrdimensionalen Bildern, mathematischen Formeln

oder Hypertexten.

Computerober �achen funktionieren mit Kommunikationsmitteln, Befehlscodes, Joystick,

Maus, etc., die allenfalls sehr indirekt an m�undlicher Kommunikation orientiert sind.

Computersprachen (Programmiersprachen) kann ebenfalls kein klares Nachordnungs-

verh�altnis zur m�undlichen Rede zugesprochen werden.26 Wenn Schrift lediglich der Dar-

stellung m�undlicher Rede dient, dann sind auch diese nicht m�undlichen Kommunikati-

onsformen aus dem Bereich der Schrift ausgeschlossen.

Einen interessanten Fall stellen auch alphanumerische Zeichen, oder Zeichengruppen

dar, die im Rahmen einer Kommunikation mittels Computern entwickelt wurden, die

konzeptionell eher dem m�undlichen zuzuordnen ist, medial aber rein schriftlich ist,27

Ein Beispiel daf�ur sind sogenannte Emot-icons, z.B. ;-) oder :-(, die �ublicherweise

Kontextinformationen, Stimmungen des Schreibers etc. transportieren. Sie sind nicht

in Laute �ubersetzbar.

23 [ Kr�amer 1996 ] S. 1

24 Diese Au�assung ist klassisch in der Linguistik - zu de Saussure und anderen fr�uhen Linguisten vgl.

[ Ong 1982 ] S. 13 und S. 23f - sie wird aber auch nach wie vor von den meisten Sprachwissenschaftlern

vertreten.

Koch macht die Unterscheidung von Graph�e (siehe Fu�note 16) und Phon�e (der gesprochenen Sprache)

als grunds�atzlich unabh�angiger gleichwertiger Str�ange menschlicher kommunikativer Praxis. Schrift

ergibt sich erst aus der Zusammenf�uhrung dieser beiden Str�ange, d.h. bei der graphischen Darstellung

von nat�urlicher Sprache. (vgl. [ Koch 1996 ] S. 8f)

25 Ong nennt das griechische Alphabet das erste vollst�andige Alphabet. Es erlaubt die \fast totale

Transformation des Wortes aus dem Klang ins Sichtbare." [Ong 1982 ] S. 92

26 Flusser grenzt deshalb auch Programmieren gegen alphabetisches Schreiben ab. (vgl. [ Flusser

1987 ] S. 51�)

Im Gegensatz dazu sieht etwa Klein formale Sprachen als Schriften an: \Ein Beispiel (. . . ) sind Pro-

grammiersprachen oder formale Sprachen der Logik und der Mathematik, die ausschlie�lich geschrieben

werden." [ Klein 1985 ] S. 9, Fu�note

27 Zu konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit und M�undlichkeit siehe S. 12.

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Eine Nachordnung von Schrift gegen�uber der Sprache st�o�t auf eine Reihe von

Einw�anden. Sie enth�alt die Unterstellung, da� sich die m�undliche Sprache unabh�angig

von ihrer medialen Realisierung entwickelt. Demgegen�uber stehen nicht nur Stan-

dardisierungstendenzen der m�undlichen Sprache insbesondere durch Einf�uhrung des

Buchdruckes28, sondern auch durch Schrift gegebene neue M�oglichkeiten des intellektu-

ellen Arbeitens mit Sprache.

\Viele der Eigenschaften, die wir, was das Denken und den sprachlichen Ausdruck an-

belangt, f�ur Literatur, Philosophie und Wissenschaft, ja sogar f�ur den oralen Diskurs

zwischen literalisierten Menschen als selbstverst�andlich annahmen, sind dem Men-

schen keineswegs angeboren, sondern entstanden aus Quellen, die die Technologie

des Schreibens dem menschlichen Bewustsein erschlo�."29

In beiderlei Hinsicht mu� eine wechselseitige Beein ussung von Schrift und Sprache

konstatiert werden.

Auch die schw�achere These, da� Schrift gesprochene Sprache zwar beein u�t, aber

trotzdem an Verbalisierung gebunden bleibt, mu� in Frage gestellt werden. Erste Schrif-

ten wurden nicht zur Darstellung m�undlicher Sprache sondern als Hilfmittel der Wirt-

schaftsverwaltung entwickelt.30 Es ist auch keineswegs klar ob Programmierer oder auch

Mathematikerinnen ihre Programme und Formeln immer verlautlichen (m�ussen).31

Kann bei einer scriptura continua32 noch von einer engen Anbindung der Schrift an die

Rede gesprochen werden, das Entzi�ern erfordert das laute Lesen, so haben moderne

Schriften eine Reihe von Zeichen, z.B. Leerzeichen, die keine Entsprechung in der Rede

haben. Umgekehrt ist eine enge Bindung des `Schriftbildes' an das `Lautbild' in modernen

Sprachen, wie etwa im Englischen, gar nicht (mehr) unbedingt gegeben.

Ein weiterer Einwand betri�t die Annahme, m�undliche Rede sei in Form von einzelnen

unterscheidbaren Lauten gegeben. Nicht zuletzt die Schwierigkeiten der Analyse und

28 \Schrift ist das Mittel der Sprachstandardisierung." [ Coulmas 1985 ] S. 97

Zum Ein u� von Schrift und Druck bei der Ver�anderung von Sprachen vgl. auch [Ong 1982 ] S. 107f.

29 [Ong 1982 ] S. 9 (vgl. auch [Ong 1982 ] S. 61 und [Flusser 1987 ] S. 11)

30 vgl. [ Nissen et al. 1990 ] S. X (Diesen Punkt werde ich unten noch ausf�uhrlicher behandeln.)

31 Sherry Turkle berichtet, da� Hacker, zumindest in ihrem Selbstverst�andnis, einen \telepathischen

Kontakt" zu dem Rechner entwickeln. Sie zitiert folgende �Au�erung eines Hackers: \Gew�ohnlich h�ore

ich nicht einmal im Geist die Worte, die ich eingebe. Ich denke und schreibe Ideen, die in LISP

ausgedr�uckt sind. Meine H�ande wissen, was sie zu tun haben. Ich denke �uber eine Idee nach, die ich

ausdr�ucken will, und dann h�ore ich darauf, wie meine H�ande es sagen." [ Turkle 1984 ] S. 260f

Es scheint also m�oglich zu sein, Programme ohne Bezug auf die `normale Sprache' zu schreiben.

Allerdings sind solche Programme praktisch nicht f�ur andere lesbar, verstehbar und kommunizierbar.

32 Scriptura continua bezeichnet die Abfolge ausschlie�lich von Lautzeichen ohne Trennungszeichen

etc. Solche Texte m�ussen laut gelesen werden, um sie zu entzi�ern. (vgl. [ Ong 1982 ] S. 120f und

[ Raible 1993 ] S. 18)

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Synthese m�undlicher Rede durch Computer weisen darauf hin, da� die Rede als konti-

nuierlicher Flu� und nicht in Form von unterscheidbaren Einzellauten gegeben ist. (Auf

diesen Punkt werde ich unten zur�uckkommen.) Man k�onnte sogar umgekehrt behaupten,

da� dieses Sicht auf die Rede eine R�uckprojektion von Eigenschaften der Alphabetschrift

auf die m�undliche Rede ist.

Z�ahlt man mathematische und andere formale Notationssysteme zur Schrift hinzu, wof�ur

zumindest spricht, da� sie mit mehr oder weniger denselben Zeichen und Zeichentr�agern

operieren wie schriftliche Darstellungen m�undlicher Sprache, so hat man hier einen ei-

genst�andigen, nicht prim�ar an M�undlichkeit gebundenen Bereich von Schriftlichkeit. Glei-

ches gilt f�ur Ph�anomene wie Listen, Tabellen, etc.33

2.1.3 Schrift als Schriftzeichen

Auch wenn man Schrift nicht lediglich als Mittel zur Darstellung gesprochener Sprache

versteht, so ist Schrift doch immer Teil eines Zeichensystems. Schriftzeichen gelten

als syntaktische Einheiten in Symbol- oder Repr�asentationssystemen, die als solche

auf Entit�aten in einen semantischen Bereich verweisen. Insbesondere die phonetische

Alphabetschrift hat einen eigent�umlich doppelten Verweisungscharakter, Buchstaben

verweisen auf Laute, W�orter verweisern auf Entit�aten in realen oder gedachten

Wirklichkeiten. Je nach Schriftbegri� repr�asentieren geschriebene W�orter direkt, oder

erst �uber den Umweg ihrer Verlautlichung (wenn man die Fregesche Terminologie ver-

wendet) Sinn (das Gemeinte) und Bedeutung (die von ihnen bezeichneten Gegenst�ande).

Die Frage, auf was Zeichen verweisen, stellt sich mit dem Computer neu. Die

Diskussion um den Begri� Simulation legt nahe, da� ein Repr�asentationsverh�altnis

weder zu Dingen in der Welt noch zu Gedanken oder Ideen besteht.34 In virtuellen

Welten verweisen die Zeichen nicht mehr auf ein au�en, die erlebbare Wirklichkeit ist

selbst ein Re ex der Zeichen.

Wenn man Schrift so weit fa�t, da� Schreiben alle Arten von Aufzeichnen um-

fa�t, so bleibt ein so gewonnener Schriftbegri� zu unspezi�sch. Er umfa�t ebenso

33 Flusser z�ahlt Zahlen nicht zur Schrift. vgl. [ Flusser 1987 ] S. 24f und [Flusser 1991 ] S. 149

Im Gegensatz dazu stehen z.B. Bolter, Raible und Klein (vgl. [ Bolter 91 ] S. 9, siehe Fu�note 3 in

Kapitel 1, [Raible ] und [ Klein 1985 ] S. 9, siehe Fu�note 26)

34 \Soweit die Simulation als Gegenkraft zur Repr�asentation. Ausgangspunkt der Repr�asentation

ist ein Prinzip der �Aquivalenz zwischen Zeichen und Realem (. . . ). Ausgangspunkt der Simulation

dagegen ist die Utopie des �Aquivalenzprinzips, die radikale Negation des Zeichens als Wert, sowie die

Umkehrung und der Tod jeder Referenz." [ Baudrillard 1978 ] S. 14

(vgl. auch [ Bolz 1994 ] S. 10, [ Couchot 1991 ] S. 348 und [ Hagen 1989 ] S. 227)

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alphabetische Schrift, wie Bilder und Photographie und Phonographie.35 Nimmt man

den �ublichen Gebrauch von Schrift, so scheint zumindest eine Abgrenzung gegen�uber

der m�undlichen Rede und gegen�uber Bildern n�otig zu sein.36

Plausibel erscheint allerdings, da� Schrift immer im Rahmen eines Verweisungs-, Re-

pr�asentations- oder Symbolsystems verankert ist. Auch wenn man keinerlei Annah-

men �uber Repr�asentation, Bedeutung, Wahrheit und andere semantische Begri�e macht,

scheint doch zu gelten, da� man etwas, das auf nichts verweist, kaum als Schrift be-

zeichnen wird.

2.1.4 Schriftlichkeit und M�undlichkeit

Ich will zum Abschlu� der allgemeinen Betrachtungen �uber Schrift noch zwei Zug�ange

kurz referieren.

Koch und Oesterreicher unterscheiden in Anlehnung an S�oll \einerseits das Me-

dium der Realisierung (phonisch/graphisch); andererseits die Konzeption (gespro-

chen/geschrieben), die den sprachlichen Duktus der �Au�erung betri�t (z.B. syntakti-

sche Planung, Textkoh�arenz, verwendete Variet�aten usw.)."37

35 Der von Wetzel verwendete Begri� der Schrift als Spur ist in diesem Sinne sehr umfassend

und reicht von einer `archaischen' Schrift, einer pr�amedialen, ungesicherten Spur, �uber eine `klassische'

Schrift literaler Aufschreibsysteme und eine `�asthetische' Schrift dinglicher Chi�rierungen, die Male-

rei, Architektur, Choreographie, etc. umfa�t, bis zu einer `transklassischen' Schrift medientechnischer

Spurensicherung, die Photo-, Phono, Video-Graphie etc. umfa�t. (vgl. [Wetzel 1991 ] S. 47f)

Bolter, der den Begri� des Schreibens ebenfalls sehr weit ausdehnt, schr�ankt ihn allerdings so weit ein,

da� er nur symbolische Repr�asentationsmedien als Schriften au�a�t: \records, tape, and �lm, (. . . )

record perceptions, writing is a semiotic technology". ([ Bolter 1991 ] S. 213)

36 Derrida kritisiert die Au�assung, da� Schrift Sprache und damit einen vorg�angigen Sinn trans-

portiert. Er stellt folgende Aspekte von Schrift heraus:

\1. Ein schriftliches Zeichen (signe), im gel�au�gen Sinne des Wortes, ist also ein Zeichen (mar-

que), das bestehen bleibt, das sich nicht in einer Gegenwart seiner Einschreibung ersch�opft und die

Gelegenheit zu einer Iteration bietet, (. . . )"

\2. Gleichzeitig erh�alt ein schriftliches Zeichen die Kraft eines Bruches mit seinem Kontext, das

hei�t mit der Gesamtheit von Anwesenheiten, die den Moment der Einschreibung organisieren."

\3. Diese Kraft des Bruches hat ihren Grund in der Verr�aumlichung, die das schriftliche Zeichen

konstituiert: (. . . )" ([ Derrida 1972 ] S. 300)

Diese Aspekte erweist er als grundlegend f�ur jeden Zeichengebrauch, wenn nicht sogar f�ur Erfahrung

�uberhaupt. (vgl. [ Derrida 1972 ] S. 299�) Derrida kehrt die Unterordnung der Schrift unter die

m�undliche Sprache also um. Er deutet den Schriftbegri� damit um und erweitert ihn.

Ich will diese Umdeutung hier nicht mitvollziehen, da es mir gerade auf die Spezi�k von schriftlichen

gegen�uber anderen Zeichensystemen ankommt. Das hei�t aber nicht, da� ich die Derridasche Kritik

an einem Begri� von Sinn, der sich mit Schrift, oder Sprache, unver�andert �ubertragen lie�e, in Frage

stellen will.

37 [ Koch und Oesterreicher 1990 ] S. 5

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Ich selbst werde mich ausschlie�lich auf eine mediale, wenn auch keine materielle Cha-

rakterisierung von Schrift beschr�anken. Die Unterscheidung zwischen konzeptioneller

Schriftlichkeit und M�undlichkeit liegt ebenso wie die Unterscheidung von Literalit�at und

Oralit�at quer zu meinen gleich folgenden eigenen �Uberlegungen. Ich will jeweils nur kurz

andeuten, wieso diese Unterscheidungen f�ur die Diskussion um Schrift und Computer

relevant sind. Im Schlu�kapitel werde ich auf das Verh�altnis der verschiedenen Zug�ange

zu Schrift, medial, konzeptionell, kulturell, in bezug auf den Computer noch einmal

zur�uckkommen.

Konzeptionelle Schriftlichkeit und M�undlichkeit beziehen sich nicht auf sprachim-

manente Merkmale, sondern auf die Kommunikationssituationen. Dabei ergibt sich mit

Hilfe der Aspekte �O�entlichkeit der �Au�erung, Vertrautheit der Partner, emotionale

Beiteiligung, Situations- und Handlungseinbindung, Referenzbezug, physische N�ahe der

Kommunikationspartner, Grad der Kooperation, Dialogizit�at, Spontaneit�at, Themen�-

xierung, ein Kontinuum zwischen Schriftlichkeit und M�undlichkeit, das auch mit Hilfe

der Begri�e kommunikative N�ahe und kommunikative Distanz charakterisiert werden

kann.38

Die mediale und die konzeptionelle Charakterisierung sind erst einmal unabh�angig. Koch

und Oesterreicher konstatieren allerdings \A�nit�aten, die einerseits zwischen dem allein

schon materiell `verdinglichenden' graphischen Medium und konzeptioneller Schriftlich-

keit (Distanz), andererseits zwischen dem materiell ` �uchtigen' phonischen Medium und

konzeptioneller M�undlichkeit (N�ahe) bestehen."39

Die Unterscheidung von konzeptioneller Schriftlichkeit und M�undlichkeit ist interessant

f�ur die Analyse neuer Kommunikationsformen, die mit Hilfe vernetzter Computer

m�oglich sind. Zum Beispiel Email (elektronische Post) und News (elektronische Wand-

zeitung) ordnen sich an ganz anderen Stellen im Kontinuum zwischen konzeptioneller

Schriftlichkeit und M�undlichkeit ein wie ihre traditionellen Vorg�anger Brief und Zeitung.

In �ahnlicher Weise quer zu den zun�achst folgenden �Uberlegungen liegt die Unter-

scheidung von Oralit�at und Literalit�at. Die Unterscheidung zwischen oralen und

literalen Kulturen beruht auf Aspekten, die sich wesentlich auf die Auswirkungen von

schriftlichen Medien auf Wissensverwaltung, Denkmuster, etc., kurz gesprochen, auf die

Kultur von Gesellschaften, beziehen. Ong beschreibt orale Kulturen mit den Merkmalen:

Eher additiv als subordinierend, eher aggregativ als analytisch, redundant und nachah-

mend, konservativ und traditionalistisch, N�ahe zum menschlichen Leben, k�ampferischer

Ton, eher einf�uhlend und teilnehmend als objektiv distanziert, Hom�oostasie, eher

38 vgl. [ Koch und Oesterreicher 1990 ] S. 8�

39 [ Koch und Oesterreicher 1990 ] S. 12

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situativ als abstrakt.40

Die Charakterisierung des Computers als genuin schriftliches Medium verfolgt durchaus

das Ziel, zu zeigen, da� elektronische Medien und informatische Artefakte, nicht ohne

weiteres in Richtung einer neuen Oralit�at gedeutet werden k�onnen, sondern auch starke

gegenl�au�ge Tendenzen f�ordern.

2.1.5 Kriterien f�ur eine De�nition von Schrift

In der vorherigen Diskussion sind bereits implizit bestimmte Kriterien f�ur einen aus meiner

Sicht angemessenen Schriftbegri� verwendet worden, die noch einmal explizit genannt

werden sollen, bevor ich einen alternativen Vorschlag f�ur eine Schriftde�nition vorlegen

will.

1. Sie soll sich auf den medialen Aspekt von Schrift beziehen.

2. Sie soll sich nicht an einer bestimmten materiellen und technischen Realisierung,

wie dem gedruckten Buch, orientieren.

3. Insbesondere die phonetische Alphabetschrift, aber auch andere �ublicherweise

Schrift genannte Medien, sollen prototypisch unter die De�nition fallen.

4. Sie soll eine Abgrenzung gegen�uber Bildern, Photograhien etc. erlauben.

5. Sie soll eine Abgrenzung gegen�uber m�undlicher Rede erlauben.

Im vorigen Kapitel zeichneten sich drei Sichten auf Schrift ab. Schrift als Einritzen

betont die Materialit�at der Schriftzeichen, insbesondere ihre R�aumlichkeit und Dauer-

haftigkeit, die sich aber mit dem Computer zu ver �uchtigen scheint. Bindet man Schrift

eng an die Lautsprache, so ist diese Sicht zu eng, denn hier sind formale Sprachen, die

�ublicherweise keine Verschriftlichung von gesprochenen (nat�urlichen) Sprachen sind -

zum Teil sind sie nicht einmal aussprechbar - keine Schriften, obwohl sie zum Teil sogar

mit denselben Zeichen aufgeschrieben werden. Betrachtet man allein den Verweisungs-

charakter von Schriftzeichen, so bleibt dies zu unspezi�sch. Es fehlt eine Abgrenzung

gegen�uber anderen Symbolisierungsmitteln, wie Bildern oder der m�undlicher Rede.

Konzeptionelle Schriftlichkeit und M�undlichkeit sowie Oralit�at und Literalit�at sind plau-

sible Unterscheidungen, die vorerst quer zu der im folgenden pr�aferierten medialen Cha-

rakterisierung von Schrift liegen.

40 siehe [ Ong 1982 ], insbesondere S. 42 - 55

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2.2 Schrift als Notationsschema

Ich will im folgenden eine eigene Pr�azisierung des Begri�s Schrift vorlegen. Diese De-

�nition zielt auf eine mediale Charakterisierung von Schrift, die sich aber nicht auf die

physikalischen Eigenschaften der Tr�agermedien (oder auf die wahrnehmenden Sinne, die

dazu korrespondieren) bezieht, sondern ausschlie�lich auf strukturelle Eigenschaften von

Darstellungsmitteln. Ich werde mich dabei sehr eng an Nelson Goodman und dessen

Charakterisierung von Symbolsystemen orientieren.41 Daran anschlie�end wird zu zeigen

sein, da� diese Herangehensweise eine De�nition liefert, die die im vorherigen Abschnitt

aufgestellten Kriterien erf�ullt.

2.2.1 Zeichen, Symbolsystem, Symbolschema

Der Begri� Symbol soll hier, wie bei Goodman, ohne eine tiefere Bedeutung sehr allge-

mein f�ur Darstellungs- oder Ausdrucksmittel verwendet werden.42

Ein Symbolsystem besteht aus einem Bereich der Zeichen (characters) oder materiellen

Realisierungen von Zeichen (inscriptions43) aus dem Bedeutungsfeld (�eld of reference)

und der Beziehung (correlation) zwischen beiden.44

Goodman de�niert Zeichen entgegen der �ublichen Typ - Token Unterscheidung nicht

als ideale Entit�aten, sondern als Klassen von Marken (marks), d.h. materiellen Reali-

sierungen. Realisierungen sind nicht �uber ihre Zuordnung zu einem Zeichen verkn�upft,

sondern stehen direkt zueinander in Relation. Sie sind Abbilder oder Kopien (replicas)

voneinander.45 Ein Zeichen ist dann nichts anderes als eine Klasse von Marken, die

41 Ich werde mich dabei an die Terminologie der deutschen �Ubersetzung von 1973 halten [ Goodman

1973 ]. Die neue �Ubersetzung weicht davon zum Teil deutlich ab. Zitate habe ich u.a. aus diesem

Grund der englischen Ausgabe [ Goodman 1968 ] entnommen.

42 \ `Symbol' is used here as a very general and colourless term. It covers letters, words, texts,

pictures, diagrams, maps, models, and more, but carries no implication of the oblique or the occult."

[ Goodman 1968 ] S. xi

43 Interessant ist hier Goodmans aus dem Begri�sfeld von Schrift geliehene Rhetorik oder Meta-

phorik.

44 \Any symbol scheme consists of characters, usually with modes of combining them to form

others. Characters are certain classes of utterances or inscriptions or marks." [ Goodman 1968 ] S. 131

\A symbol system consists of a symbol scheme correlated with a �eld of reference." [ Goodman 1968 ]

S. 143

45 \I prefer to dismiss the type alltogether and treat the so-called tokens of a type as replicas of

one another" [ Goodman 1968 ] S. 131 Fu�note (vgl. auch [ Goodman 1971 ] S. 262)

Auf das Problem, wie gesichert werden kann, da� zwei Realisierungen in der Relation `ist Kopie von'

stehen, ohne auf einen Typ oder ein abstraktes Zeichen bezug zu nehmen, will ich hier nicht eingehen,

sondern voraussetzen, da� die Feststellung der Austauschbarkeit von Realisierungen im Rahmen ihres

Gebrauchs unproblematisch ist.

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miteinander in der Relation `ist Kopie von' stehen.

Eine Menge von Zeichen (eine Menge von Mengen von materiellen Realisierungen) zu-

sammen mit den Regeln ihrer Verkn�upfung de�niert ein Symbolschema, den syntakti-

schen Teil eines Symbolsystems.

Der semantische Bereich umfa�t schlicht das, worauf sich Realisierungen in einem ge-

gebenen System beziehen: Au��uhrungen von Musikst�ucken, auf die sich eine Partitur

bezieht; gesprochene Worte, auf die sich geschriebene Worte beziehen; Objekte, Ereig-

nisse etc., auf die sich geschriebene Worte beziehen; Objekte, Ereignisse etc., auf die

sich gesprochene Worte beziehen; Strecken mit L�angen, auf die sich rationale Zahlen

beziehen, rationale Zahlen, die sich auf Strecken mit L�angen beziehen etc.

Realisierungen von Zeichen beziehen sich (complies with) auf etwas, sie haben Kom-

patible (compliants) im Bereich der Semantik. Alle Kompatiblen zu einer Realisierung

bilden eine Kompatibilit�atsklasse (compliance-class).46

Haben alle Realisierungen eines Zeichens dieselben Kompatibilit�atsklassen, kann man

auch von den Kompatibilit�atsklassen des Zeichens reden.47

Goodman klassi�ziert unter anderem die K�unste anhand der Symbolsysteme, die

sie verwenden, genauer durch die Art, wie ihre syntaktischen und semantischen Bereiche

strukturiert sind und wie diese beiden Bereiche aufeinander bezogen sind.

Ich will Schriften rein �uber ihre syntaktische Struktur charakterisieren. F�ur die weitere

Untersuchung kann also der semantische Bereich und seine Beziehung zur Syntax ver-

nachl�assigt werden. Schriftliche Entit�aten k�onnen sich auf alle Arten von semantischen

Strukturen beziehen, allerdings m�ussen sie sich immer auf etwas beziehen.

Das erste Charakteristikum von Schrift lautet demnach:

Eine Schrift ist ein Symbolschema in einem Symbolsystem

Nicht jedes Symbolschema ist damit schon eine Schrift. Schriften sollen vielmehr nur

solche Symbolschemata genannt werden, die von Goodman als Notationsschemata

charakterisiert werden. Ein Notationsschema ist durch zwei Eigenschaften de�niert:

Disjunktivit�at (disjointness) und endliche Di�erenzierbarkeit (�nite di�erentiation) der

Zeichen, die in den n�achsten beiden Abschnitten erl�autert werden sollen.

Die Goodmanschen Grundannahmen beziehen sich ausschlie�lich auf materiell

Realisiertes. Damit beruhen seine De�nitionen ausschlie�lich auf dem medialen Aspekt

des Zeichengebrauchs und bleiben von konzeptionellen oder kulturellen Aspekten der

46 \Basically compliance is with an inscription. In a given system, many things may comply with a

single inscription, and the class of these constitutes the compliance-class of the inscription under that

system." [ Goodman 1968 ] S. 144

47 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 147f

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Zeichenverwendung unabh�angig. Die Charakterisierung von Schriften als syntaktische

Schemata bleibt damit unabh�angig von Fragen nach konzeptioneller Schriftlichkeit und

literaler Kultur. Kriterium 1. ist also erf�ullt.

2.2.2 Disjunktivit�at

Wie bereits gesehen, bestimmt Goodman ein Zeichen als eine Klasse von Marken, die

miteinander in Relation stehen.

Die Zeichen in einem Schema sind disjunktiv, wenn die Relation `ist Kopie von' zwischen

den Marken, die die Zeichen bestimmt, eine �Aquivalenzrelation48 ist.

Jede �Aquivalenzrelation liefert (mathematisch gesprochen: induziert) eine Aufspaltung

oder Partition der Elemente der Menge in disjunkte Klassen, d.h. jedes Element steht

mit allen der eigenen Klasse in Relation und steht mit keinem einer anderen Klasse in

Relation. Die verschiedenen Klassen haben somit keine gemeinsamen Elemente. Good-

man nennt diese Eigenschaft von Realisationen `Zeichenindi�erenz'.49 Die verschiedenen

Zeichen in einem Notationsschema bilden also disjunkten Klassen von Realisationen.

Als zweite Charakteristik f�ur Schrift soll gelten:

Eine Schrift ist ein disjunktives Schema.

Dies ist allerdings eine theoretische Eigenschaft. Die konkrete Zuordnung von Marken

zu Zeichen kann beliebig schwierig sein, ohne da� die Disjunktivit�at als theoretische

Eigenschaft davon ber�uhrt ist. Ein praktikables Symbolschema wird zwar in der Regel so

konzipiert sein, da� die Zuordnung m�oglichst leicht f�allt, es gibt aber immer Grenzf�alle.50

2.2.3 Endliche Di�erenziertheit

Die Frage der Zuordnung von Marken zu Zeichen betri�t die zweite syntaktische Ei-

genschaft von Notationen. Sie bezieht sich ebenfalls nicht auf die technische Frage der

48 Eine �Aquivalenzrelation ist eine Relation, die re exiv (jedes Element steht mit sich selbst in

Relation), symmetrisch (steht a in Relation zu b, so steht auch b in Relation zu a) und transitiv (steht

a in Relation zu b und steht b in Relation zu c, so steht auch a in Relation zu c) ist.

49 \Two marks are character-indi�erent if each is an inscription (i.e. belongs to a character) and

neither one belongs to any character the other does not." [ Goodman 1968 ] S. 132

Goodman benutzt Zeichenindi�erenz selbst, um Disjunktivit�at zu de�nieren. Mir scheint die von mir

gew�ahlte Variante insofern konsequenter, als sie sich nur auf Marken und die Relation zwischen Mar-

ken bezieht und nicht unabh�angig davon die Formulierung `geh�ort zu einem Zeichen' benutzt. Beide

Varianten liefern dasselbe Ergebnis.

50 \There is no way of preventing this in�ltration at the borders, no way of ensuring that due caution

will protect against all mistakes in identifying a mark as belonging or not belonging to a given character.

But this trouble is not peculiar to notations; it is a pervasive and inescabable fact of experience. And

it by no means precludes establishment of a system of disjoint classes of marks; it only makes hard the

determination of membership of some mark in such classes." [ Goodman 1968 ] S. 134

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Zuordnung konkreterMarken. Zeichen sollen zumindest theoretisch unterscheidbar sein,

d.h. es soll ein Verfahren angegeben werden k�onnen, das die Zugeh�origkeit von Marken

zu Zeichen zumindest im Prinzip in endlicher Zeit entscheidet.51 Das Verfahren mu�

sich keineswegs nur auf die Gestalt der Marken beziehen, der Kontext kann in beliebiger

Weise mit einbezogen werden.52

Goodman nennt diese Eigenschaft `endlich di�erenziert' oder artikuliert' (�nitly di�eren-

tiated or articulate) und de�niert sie wie folgt:

\For every two characters k and k' and every mark m that does not actually belong

to both, determination either that m does not belong to k or that m does not belong

to k' is theoretically possible."53

Ein Schema ist di�erenziert, wenn diese Eigenschaft f�ur alle Marken und alle Zeichen

gilt.54

Ist die De�nition erf�ullt, hei�t das noch nicht, da� es ein Verfahren gibt, Marken direkt

Zeichen zuzuordnen, sie ergibt lediglich ein Ausschlu�verfahren, von zwei M�oglichkeiten

kann jeweils eine ausgeschlossen werden.

Drittes und letztes Charakteristikum soll sein:

Eine Schrift ist ein endlich di�erenziertes Schema.

Man kann hier die Frage stellen, in welchem Sinne `theoretisch m�oglich' in der De�nition

genau zu verstehen ist. Klar ist, da� logisch oder mathematisch unm�ogliche F�alle, wie die

unten genannten Beispiele, ausgeschlossen werden sollen.55 Klar ist der Fall auch, wenn

ein Di�erenzierungsverfahren angegeben werden kann, auch wenn das Verfahren nicht,

oder noch nicht, technisch realisierbar sein sollte. Unten wird uns der Fall begegnen,

da� weder ein Verfahren angegeben werden kann, noch die theoretische Frage, ob ein

solches existiert oder nicht, beantwortet werden kann, zumal nicht n�aher spezi�ziert ist,

um welche Art von Verfahren es sich handeln darf.

Goodman benutzt zur Illustration ein Beispiel mit nur zwei Zeichen, das gleichzeitig

zeigt, da� diese Eigenschaft nicht von der Anzahl der Zeichen abh�angt. Das erste

Zeichen enth�alt als Marken alle geraden Striche, die k�urzer als 1 cm sind, das zweite

Zeichen alle geraden Striche 1 cm lang und l�anger sind. Es gibt kein endliches Verfahren,

51 \Yet the di�culties can no longer be dismissed as merely technological when it goes beyond

insurmountability in practice and becomes impossible in principle." [ Goodman 1968 ] S. 135

52 \(. . . ) neither of our conditions demands any speci�c di�erence between inscriptions of di�erent

characters, or prohibits use of context in determining membership of a mark in a character." [ Goodman

1968 ] S. 138f

53 [ Goodman 1976 ] S. 135

54 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 137

55 \ `Theoretically possible' may be interpreted in any reasonable way; whatever the choice, all

logically and mathematically groundes impossibility (. . . ) will of course be excluded." [ Goodman 1968 ]

S. 136

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da� f�ur zwei beliebige Striche entscheidet, ob sie nicht zu Zeichen eins oder nicht zu

Zeichen zwei geh�oren. Da die Me�genauigkeit Grenzen hat, gibt es immer Marken,

Striche, die weniger als die Me�genauigkeit gr�o�er als 1 cm sind, f�ur die die Frage nicht

entschieden werden kann. Das Schema ist also undi�erenziert.

Ein �ahnlich gelagertes Beispiel ist eine Waage mit einem Zeiger und einer Skala, wo es

f�ur jeden Strich auf der Skala ein Zeichen gibt. Zeigerst�ande in der N�ahe der Striche sind

leicht zuzuordnen, w�ahrend es immer einen Bereich in der Mitte zwischen zwei Strichen

gibt, wo das Di�erenzierbarkeitskriterium nicht erf�ullt ist.

Ein di�erenziertes Schema entsteht zum Beispiel dadurch, da� ein neutraler Bereich

zwischen beiden Zeichen de�niert wird. Besteht Zeichen zwei, statt wie vorher, aus den

Marken, die l�anger als 2 cm sind, so ist f�ur jeden Strich zumindest f�ur eines der beiden

Zeichen entscheidbar, da� es nicht zu ihm geh�ort. Eine Digitalwaage, wo das Gewicht

durch eine Zi�er angezeigt wird, verwendet ebenfalls ein (vollst�andig) di�erenziertes

Schema.

Disjunktivit�at und endliche Di�erenziertheit sind im �ubrigen voneinander unabh�angige

Eigenschaften, d.h es kann jeweils eines erf�ullt und das andere verletzt sein.56

2.2.4 Eigenschaften von Symbolschemata

Ich will noch einige Eigenschaften von Symbolschemata darstellen, die einerseits zur

Charakterisierung konkreter Schemata n�utzlich sind und die zum zweiten helfen, f�ur

gegebene Schemata zu entscheiden, ob sie Schriften sind oder nicht.

Ein Schema hei�t dicht, wenn bez�uglich einer gegebenen Ordnung gilt, da� zwischen

zwei Zeichen immer ein weiteres liegt. Eine dichtes Schema ist auch undi�erenziert,

wenn es weniger schwierig ist, zwei Zeichen zu unterscheiden, als jedes von ihnen von

einem Zeichen, das zwischen beiden liegt, zu unterscheiden.57

Die rationalen Zahlen als Br�uche geschrieben sind zwar ein dichtes Schema bez�uglich der

�ublichen Ordnung (nach der Gr�o�e), aber sie sind trotzdem (in Bruchzahldarstellung)

vollst�andig di�erenziert. Striche mit rationalen L�angen sind dagegen um so schwieriger

unterscheidbar, je n�aher sie beieinander liegen und sind deshalb undi�erenziert.

Ich werde im folgenden syntaktisch dicht nur f�ur solche Schemata verwenden, f�ur die

beide Eigenschaften erf�ullt sind.

Ein Schema hie�t analog, wenn es vollst�andig syntaktisch dicht ist. Ein Schema hie�t

hingegen digital, wenn es durchweg diskontinuierlich, oder genauer, wenn es an allen

Stellen syntaktisch di�erenziert ist.58

56 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 137

57 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 136

58 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 160f

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Eine Schrift ist also immer digital, weil endlich di�erenziert. Ein digitales Schema ist

eine Schrift, wenn es auch disjunktiv ist. Ein analoges oder dichtes Schema ist hingegen

keine Schrift. Das hei�t allerdings nicht, da� jedes nicht analoge Schema schon eine

Schrift ist, aber syntaktisch dicht liefert uns ein hinreichendes Kriterium, ein Schema

als nicht schriftlich zu identi�zieren.

Liegt eine endliche Menge von notationalen Zeichen vor, dann kann jede Marke

immer eindeutig einem Zeichen zugeordnet werden. Man erreicht das durch ein

endliches Ausschlu�verfahren, indem man solange f�ur zwei Zeichen pr�uft, zu welchem

die Marke nicht geh�ort, bis nur noch eine Marke �ubrig bleibt. Die Zugeh�origkeit einer

Marke zu einem Zeichen ist so unabh�angig von Begri�en wie �Ahnlichkeit, Teilhabe,

Zugeh�origkeit zu einem Typ etc. allein durch Di�erenz zu allen anderen Zeichen,

genauer Markenklassen, bestimmt.

Daraus folgt, da� in einem endlichen Schema auch die Gleichheit von Marken, im Sinn

von `geh�ort zum selben Zeichen' entschieden werden kann, indem man mit beiden Marken

das gerade beschriebene Verfahren durchf�uhrt.

Ist ein Schema endlich und kann Gleichheit im genannten Sinne nicht immer entschieden

werden, so kann es sich nicht um eine Schrift handeln.

Neben Buchstaben kann man auch ohne weiteres W�orter als Zeichen der Alpha-

betschrift ansehen. Realisationen k�onnen zu Realisiationen neuer Zeichen zusam-

mengesetzt werden, etwa Buchstaben zu Silben, W�ortern oder auch ganzen Texten.

Solche Realisationen hei�en zusammengesetzt (compound). Realisationen, die nicht aus

anderen Realisationen zusammengesetzt sind, hei�en atomar (atomic). Zeichen hei�en

atomar, zusammengesetzt etc. wenn alle ihre Instanzen die jeweilge Eigenschaft haben.59

An ein Notationssystem stellt Goodman weitere Anforderungen, die �uber die Charakte-

risierung der syntaktischen Ebenen als Notationsschema hinausgehen.

Hier soll auch der semantische Bereich disjunktiv und endlich di�erenziert sein sowie

eine isomorphe, d.h. eins zu eins, Abbildung zwischen Zeichen, genauer Klassen von

Realisationen, und den zugeh�origen Klassen von Kompatiblen bestehen.

Man sieht allerdings sofort, da� eine De�nition von Schrift als Schema in einem

Notationssystem zu eng w�are. Schon f�ur die gew�ohnliche Alphabetschrift mit W�ortern

als Zeichen gilt weder die Disjunktivit�at im semantischen Bereich, etwa Ober- und

Unterbegri�e haben trivialerweise sich �uberschneidende Kompatibilit�atsklassen, noch

gilt aufgrund von Mehrdeutigkeiten die Isomorphie der Abbildung.60

59 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 141f

60 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 178f

20

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Es sollen zusammenfassend genau die Symbolschemata Schriften genannt wer-

den, die syntaktisch disjunktiv und syntaktisch endlich di�erenziert sind, also genau

solche, die Goodman Notationsschemata nennt.

Die Charakterisierung von Schrift als Notationsschema bezieht sich ausschlie�lich auf

strukturelle Eigenschaften des Schemas. Diese Struktur geht zwar immer auf die kon-

kreten Realisierungen zur�uck, sie ist aber unabh�angig von bestimmten materiellen oder

technischen Auspr�agungen wie B�uchern, Lauten oder elektrischen Ladungen. Damit ist

auch das Kriterium 2. erf�ullt.

2.2.5 Beispiele

Im folgenden sollen noch einige Beispiele genannt werden, die nach der obigen Charak-

terisierung o�ensichtlich als Schriften zu klassi�zieren sind.

Die phonetische Alphabetschrift erf�ullt die Eigenschaften der Disjunktheit und endlichen

Di�enzierbarkeit in prototypischer Weise. Es gibt eine endliche Anzahl von Zeichen, keine

der Marken kann zu zwei Zeichen gleichzeitig geh�oren. (Praktische Schwierigkeiten

in Grenzf�allen sind, wie oben schon gesagt, unvermeidbar, aber f�ur die Bestimmung

der strukturellen Eigenschaften des Schemas nicht weiter relevant.) Ein Alphabet ist

�ublicherweise so gestaltet, da� sich die Marken zu verschiedenen Zeichen ausreichend

unterscheiden, soda� ihre Zugeh�origkeit leicht entschieden werden kann.

Das schlie�t durchaus ein, da� etwa ein a in einem Schrifttyp aussieht wie ein d in einem

anderen Schrifttyp. Die Zuordnung erfolgt innerhalb des jeweiligen Kontextes, wenn

nicht direkt, so durch Ausschlu� aller anderen M�oglichkeiten.

Auch Silbenschriften, Wortschriften oder Bilderschriften bestehen aus einem, hier aller-

dings nicht mehr unbedingt endlichen, Repertoire an unterscheidbaren Zeichen.

Auch bei Bilderschriften bestehen die Bilder aus einzelnen, identi�zierbaren Einheiten

wie Mannbild, Flu�bild, etc.61 die disjunkte Klassen von unterscheidbaren Realisierungen

bilden, auch wenn die Bandbreite der Darstellungsm�oglichkeiten recht gro� sein kann.

Bildhaftigkeit in der Darstellung ist deshalb allein noch kein Kriterium daf�ur, keine Schrift

zu sein. Die Bilder k�onnen selbst ein System von disjunktiven Zeichen beinhalten oder als

Pictogramme ein solches System bilden. (Auf diesen Punkt werde ich gleich ausf�uhrlicher

zur�uckkommen.)

Auch das Symbolschema der Telegraphie ist hier, obwohl elektrisch vermittelt und pho-

nisch wahrgenommen, als Schrift zu klassi�zieren, die aus drei klar unterscheidbaren

Zeichen (kurz, lang und Pause) besteht.

Goodman selbst nennt folgende o�ensichtliche F�alle f�ur in unserem Sinne schriftli-

61 vgl. [ Bolter 1991 ] S. 46

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che Schemata: \The syntactic requirements of disjointness and �nite di�erentiation

are met by our familiar alphabetical, numerical, binary, telegraphic and basic musical

notations."62

Damit ist auch das Kriterium 3., nach dem �ublicherweise Schrift genannte Medien,

insbesondere die phonetische Alphabetschrift, unter die De�nition fallen sollen, erf�ullt.

Zu pr�ufen ist jetzt noch, inwieweit die vorgeschlagene Charakterisierung von Schriften

als disjunktive, endlich di�erenzierbare Symbolschemata eine Abgrenzung gegen�uber an-

deren Arten von Darstellungsmitteln, insbesondere Bildern und m�undlicher Rede, liefert,

2.3 Bilder und Schriften

Es ist im allgemeinen nicht m�oglich, Bilder in einfache Zeichen zu zerlegen wie Texte oder

Partituren. Es gibt auch keine Notation, um Bilder zu erstellen, oder deren Gleichheit zu

sichern. Eine Ausnahme bilden hier Bilderschriften, wo das Bild in bedeutungstragende

Einheiten zerlegt werden kann und damit `lesbar' oder `entzi�erbar' wird. Wenn im

folgenden von Bildern die Rede ist, sollen solche F�alle ausgeschlossen sein. Damit ist

allerdings noch nicht ausgeschlossen, da� Bilder selbst atomare Realisierungen innerhalb

eines Notationsschemas sind. Dazu gilt es zu zeigen, da� Bildern die Eigenschaft der

endlichen Di�erenzierbarkeit fehlt. Disjunktivit�at l�a�t sich einfach dadurch herstellen,

da� zwei Bilder, die sich irgendwie unterscheiden, zu unterschiedlichen Zeichen geh�oren.

Dazu will ich vorerst den einfacheren Fall der Diagramme betrachten.

Ein Diagramm ist eine graphische Darstellung mit Linien auf einer Fl�ache. Diagramme

k�onnen digital sein, wie die Darstellung von chemischen Strukturformeln, wo etwa die

L�ange der Striche irrelevant ist. Ein Diagramm, das etwa eine Kurve, die von einem

Temperaturme�f�uhler erzeugt worden ist, darstellt, ist analog, weil jeder noch so kleine

Unterschied der Darstellung einen unterschiedlichen Ausschlag des Zeigers und damit ein

unterschiedliches Zeichen darstellt.63 F�ur die Frage, ob ein Schema aus Diagrammen

endlich di�erenzierbar ist, ist also entscheidend, welche Eigenschaften der Marken als

relevant gelten um unterschiedliche Zeichen zu konstituieren.

F�ur Bilder im allgemeinen gilt aber, da� alle Eigenschaften als relevant gelten.64

F�ur Linien oder Farbgrenzen auf Bildern gilt dasselbe, wie f�ur Linien von analogen

Diagrammen. Zusatzlich sind Bilder hinsichtlich ihrer Farbt�one und Helligkeiten in

gleicher Weise vollst�andig undi�erenziert.

62 [ Goodman 1968 ] S. 140

63 vgl. [ Goodman 1968 ] S. 170

64 \In painting (. . . ) none of the pictorial properties - none of the properties the picture has as

such - is distinguished as constructive; no such feature can be dismissed as contingent, and no deviation

as signi�cant." [Goodman 1968 ] S. 147

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In diesem Sinne ist das Schema der Computerbilder keine bildhaftes Schema.

Computerbilder bestehen aus einer endlichen Anzahl von einfarbigen Feldern, Pixeln, die

jeweils einen bestimmten aus endlich vielen Farbt�onen in einer bestimmten Helligkeit

aus endlich vielen tragen. Das stellt eine Notation dar, mit der allerdings Bilder im

allgemeinen nicht erzeugt werden k�onnen, da nicht alle relevanten Eigenschaften von

Bildern, wie kleinste Form-, Farb- und Helligkeitsnuancen, festgelegt werden k�onnen.

Auch wenn das Schema der Computerbilder ein Notationsschema bildet, k�onnen einzelne

Realisierungen von Computerbildern auch als Zeichen in einem Schema von Bildern, also

in einem nicht notationellen Schema, angesehen und verwendet werden. Sie k�onnen zum

Beispiel in einer Gem�aldegalerie neben anderen Bildern h�angen. Einzelne Realisierungen

k�onnen im allgemeinen zu verschiedenen Schemata geh�oren. Letztendlich h�angt es von

dem Schema ab, in das Realisierungen eingeordnet werden, ob sie als notationelle Zeichen

gelten oder nicht.65

Das vorher gesagte schlie�t wiederum nicht aus, da� ganze Bilder im Rahmen von No-

tationsschemata verwendet werden k�onnen. Pictogramme oder Icons auf Computerbild-

schirmen sind Elemente von Notationen. Hier konstituiert eine Menge von Realisationen,

die durchaus unterschiedlich sein k�onnen, ein Zeichen. Zwei Icons mit derselben Funktion

m�ussen keineswegs in ihrer Pixelstruktur �ubereinstimmen. Etwa der ber�uhmte Papier-

korb bei Textverarbeitungsprogrammen kann als Papierkorb, M�ulltonne, etc. dargestellt

werden. Die Di�erenziertheit ist gegeben, da sich alle Realisationen eines Zeichens da-

durch auszeichnen, da� sie dieselbe Funktionalit�at ausl�osen, die sich deutlich von der

anderer Zeichen unterscheidet.66

Deutlich wird hier noch einmal, da� es nicht von der Gestalt oder sonstigen Eigenschaften

der Marken, sondern von dem gew�ahlten Schema und davon, welche Eigenschaften als

konstitutiv gelten, abh�angt, ob eine bestimmte Realisation ein Schriftzeichen ist oder

nicht.67 Ein Bild kann als Icon oder als Bilderschriftbild ein Schriftzeichen sein; Bilder

im allgemeinen, im Schema der Bilder, sind allerdings, und da w�urde ich Goodman

zustimmen, keine Realisationen von Zeichen eines schriftlichen Schemas.

Mit denselben oder �ahnlichen Argumenten k�onnen auch Photographie und analoge Ton-

tr�ager aus dem Bereich der Schrift ausgeschlossen werden.

65 vgl. [ Goodman und Elgin 88 ] S. 169�

66 \At the same time it unearth some unexpected a�nities between pictures and seismograms and

pointer-positions on ungraduated dials on the one hand, and between pictographs and circuit plans and

words on the other." [Goodman 1968 ] S. 232

67 Nothing here depends on the internal structure of a symbol; for what describes in some system

may depict in others. Resemblance disappear as a criterion of representation, and structural similarity

as a requirement upon notational or any other languages. The often stressed distinction between iconic

and other signs becomes transient and trivial, thus does heresy breed iconoclasm." [Goodman 1968 ]

S. 231

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2.4 M�undliche und schriftliche Sprachen

Weniger klar scheint zu sein, inwiefern die m�undliche Rede nicht als schriftliches Schema

in dem oben beschriebenen Sinne gelten kann. Sowohl im Einklang mit g�angigen lin-

guistischen Theorien als auch dem gew�ohnlichen Menschenverstand zufolge haben Rede

und Schrift eine analoge Form.68

Auch die von Kr�amer \Sekundarit�atstheorem der Schrift" genannte Au�assung, da�

Schrift lediglich die m�undliche Rede abbilde, mu� voraussetzen, da� die Rede eine

der Schrift, insbesondere der phonetischen Alphabetschrift, analoge Struktur besitzt.69

Goodman schlie�lich sieht eine so weitgehende strukturelle �Ahnlichkeit von Schrift und

Rede, da� er kein Problem darin sieht, schriftliche und m�undliche Realisierungen als

verschiedengestaltige Marken im selben, und zwar notationalen, Schema anzusehen.70

Dagegen wird verschiedentlich argumentiert, da� Eigenschaften der Schrift auf die

m�undliche Sprache �ubertragen werden, da� eine Projektion also in umgekehrter Richtung

statt�ndet.71 Um Rede von Schrift abzugrenzen, mu� also gezeigt werden, inwiefern die-

se �Ubertragung unangemessen ist, oder zumindest wesentliche Aspekte der m�undlichen

Rede aus dem Blickfeld geraten l�a�t.

Ich will im folgenden ausf�uhrlicher gegen eine Schriftf�ormigkeit der Rede argumentie-

ren und zwar nicht nur, um das obengenannte Kriterium f�ur einen aus meiner Sicht

angemessenen Schriftbegri� zu pr�ufen, sondern auch, um zu zeigen, da� von Compu-

tern verwendete und erzeugte Symbolschemata sich von menschlicher Rede wesentlich

unterscheiden. Ich will hier, inbesondere gest�utzt auf neuere Forschungen in Bereich

maschineller Spracherkennung72, auf drei Ebenen argumentieren: Erstens rein syntak-

tisch, d.h. im Falle der Rede auf der akustischen Ebene, zweitens bez�uglich gesprochener

Texte, insbesondere in oralen Kulturen, und drittens bez�uglich sprachlicher Elemente, die

bei der schriftlichen Wiedergabe der Rede fehlen.

68 Das `Lexikon der Sprachwissenschaft' von Hadumod Bu�mann de�niert: \Schrift. Auf kon-

ventionalisiertem System von graphischen Zeichen basierendes Mittel zur Aufzeichnung gesprochener

Sprache." [ Bu�mann 1983 ] S. 450 (vgl. auch [ Coulmas 1993 ] S. 392)

69 vgl. [ Kr�amer 1996 ] S. 1f

70 \But perhaps the simplest course is to consider a character of English to have utterances and

inscriptions alike as members. This merely extends in a conveniant and appropriate way the practice of

counting widely varying marks as members of a single character." [ Goodman 1968 ] S. 208

71 [ L�uttke 1969 ], [Klein 1985 ], [ Coulmas 1985 ], [ Coulmas 1993 ], [ Kr�amer o.J. ]

72 Maschinelle Spracherkennung ist ein Aspekt von computerunterst�utzte Verarbeitung gesproche-

ner Sprache. Ziel ist es m�undliche Rede automatisch in Schriftform zu �ubertragen, entweder in geschrie-

bene Sprache oder in eine formale Repr�asentationssprache. Ich st�utze mich dabei im folgenden wesent-

lich auf Ernst G�unter Schuckat-Talamazzini `Automatische Spracherkennung' [ Schuckat-Talamazzini

1995 ] und Bernd Eppinger und Eberhard Herter `Sprachverarbeitung' [ Eppinger und Herter 1993 ].

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2.4.1 Die akustische Ebene

Betrachtet man die Rede auf der physikalischen Ebene, so �ndet man ein in der Zeit

kontinuierliches, reellwertiges Signal vor.73 Es gibt also deutliche Unterschiede zur ge-

schriebenen und insbesondere gedruckten Sprache.

\Die geschriebene Sprache legt gewisse diskrete Einheiten f�ur die Analyse nahe. In

der Schrift, zumindest in Alphabetschriften, sind Buchstabe, Wort und Satz in der

Regel klar abgegrenzt. Die gesprochene Sprache ist hingegen eine kontinuierliche

Modulation von Schallwellen, die gelegentlich durch Pausen unterbrochen werden;

aber Pausen markieren nicht regelhaft kategoriale Einheiten wie die drei genannten

Buchstabe, Wort und Satz."74

Auch neuere Forschungen im Bereich maschineller Spracherkennung zeigen, da� nicht

nur Laute kontinuierlich ineinander �ubergehen, sondern da� auch die Bestimmung von

Wortgrenzen oder die Identi�kation von Silben ein keineswegs gel�ostes Problem dar-

stellt. Es gibt keine verl�a�lichen akustischen Trennmarkierungen zwischen sprachlichen

Einheiten.75

Auch f�ur die Synthese gesprochener Sprache gilt: \Die Laute sind so sehr von ihrer

Umgebung beein u�t und die �Uberg�ange so gleitend, da� es unm�oglich ist, aus isolier-

ten Segmenten verst�andliche Rede herzustellen."76 Dasselbe gilt auch f�ur das Aneinan-

derh�angen von Silben. Auch hier sind die Beein ussungen zwischen Lauten und ihrem

lautlichen Kontext, sogenannte Koartikulationse�ekte, zu stark. Erst die Verkettung von

Wort�au�erung ergibt immerhin eine verst�andliche, wenn auch immer noch maschinenhaft

und unnat�urlich klingende Aussprache.77

Das Fehlen von Trennmarkierungen allein ist allerdings noch kein schl�ussiges Argument

gegen identi�zierbare akustische Einheiten. Eine andere M�oglichkeit f�ur die Zerlegung

w�are gegeben, sofern die einzelnen Einheiten klar unterscheidbare Muster mit eventuell

gleitenden �Uberg�angen darstellen w�urden, wie das etwa bei Schreibschrift, zumindest in

Sch�onschrift, der Fall ist.78

73 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 45

74 [ Klein 1985 ] S. 12

75 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 8 und [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 30

Zu Silben siehe [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 34 und S. 257 und [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 28f

und 174f. Zu Verfahren zur Bestimmung von Wortgrenzen siehe auch [ Eppinger und Herter 1993 ] S.

246 - 270 und [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 190 - 192.

76 [ L�uttke 1969 ] S. 151

77 vgl. [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 278 - 280

78 Handschriften im allgemeinen sind wahrscheinlich keine schriftlichen Schemata. Auf sie d�urften

�ahnliche Argumente anwendbar sein, wie sie im folgenden f�ur die m�undliche Rede genannt werden.

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Als syntaktisch atomare Einheit bietet sich hier, in Analogie zum Buchstaben bei der

Alphabetschrift, zuerst das Phonem an. Phoneme sind de�niert als \kleinste segmen-

tierbare, aus dem Schallstrom der Rede abstrahierte lautliche Einheiten mit potentiell

bedeutungsunterscheidender (. . . ) Funktion"79. Bemerkenswert ist schon hier, da� f�ur

die De�nition einer syntaktischen Einheit ein semantisches Kriterium verwendet wird. Ein

Phonem kann also verstanden werden als ein Zeichen, das eventuell sehr unterschiedliche

lautliche Realisierungen als Marken enth�alt.

Gegen diese De�nition argumentiert L�uttke, gest�utzt auf akustische Experimente, \da�

dem Phonembegri� �uberhaupt kein physikalisches Korrelat (weder ein artikulatorisches

noch ein akustisches noch ein auditives) direkt entspricht", und \da� weder das artiku-

latorische dem akustischen Segment noch eines von beiden der auditiven Wahrnehmung

entspricht".80

Auch hier kann die neuere Forschung im Bereich maschineller Spracherkennung als Beleg

f�ur diese Kritik interpretiert werden, und das obwohl sich die Forschung dort weitgehend

an einem Phonemmodell der Sprache orientiert.81

Zwar sind Sprachlaute anhand ihrer akustischen Eigenschaften unterscheidbar, sofern

sie isoliert und deutlich ausgesprochen werden, ebenso sind bei ie�ender Rede noch

bestimmte Lautgruppen, wie stimmhaft und stimmlos zumindest relativ gut aufgrund

bestimmter Merkmale unterscheidbar82, die Identi�kation von eindeutigen Mustern f�ur

einzelne Phoneme bei ie�ender Rede ist jedoch nicht m�oglich. Die Ausprache ist in

verschiedener Weise (Geschlecht, Alter, Dia- und Soziolekt) von den Sprecher/innen

abh�angig, sie di�eriert stark je nach lautlichem Umfeld und Sprachmelodie und es treten

Verschmelzungen und Verk�urzungen von Lauten, sogenannte Ausspracheverschleifungen,

79 [ Bu�mann 1983 ] S. 382

80 [ L�uttke 1969 ] S. 147 und 150, L�uttke beruft sich hier auf Experimente von Truby. (vgl. auch

[ Coulmas 1993 ] S. 392)

81 \Jedes Phonem kann durch bestimmte physikalische Parameter beschrieben werden, die es von

allen anderen Phonemen unterscheiden. Das Phonem ist eine eindeutig bestimmbare Klasse." [ Eppinger

und Herter 1993 ] S. 151

Diese scheinbar eindeutige Feststellung hindert die Autoren aber nicht, in praktischen F�allen, wenn

aus anderen als akustischen Gr�unden ein bestimmtes Phonem erwartet weden kann, etwa folgendes

zu konstatieren: \Die Erkennung eines anderen Phonems mu� dann fehlerhaft sein, auch wenn das

akustische Signal die Charakteristik eines anderen Phonems aufweist, so da� diese Phoneme schon

vor dem Erkennungsvorgang ausgeschlossen werden k�onnen." [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 255

Formulierungen dieser Art sind bei weitem kein Einzelfall.

Eine abgeschw�achte Variante eines Phonemmodells vertritt Schuckat-Talamazzini, bei dem nicht Pho-

neme selbst, sondern Unterklassen von Phonemen als unterscheidbare Basiseinheiten gelten: \Leider

sind die Bez�uge zwischen Phonklassen und Phonemen alles andere als eindeutig. (. . . ) Die kontextbe-

dingten, d.h. durch die lautliche Umgebung des Phonems vollst�andig bestimmenden Varianten hei�en

kombinatorische oder Stellungsvarianten" [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 27

82 vgl. [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 59 - 61

26

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auf.83

In der Praxis erweisen sich Phoneme, so wie sie in der Lautschrift verwendet werden, in

der maschinellen Spracherkennung als unbrauchbar.84

Wenn ein Phonemalphabet nicht die geeignete Struktur zur Beschreibung gesprochener

Sprache ist, stellt sich die Frage, ob es andere atomare Einheiten gibt, die die Bedingun-

gen an ein Alphabet (endlich, disjunktiv und endlich di�erenzierbar) erf�ullen, aus denen

m�undliche Sprache zusammengesetzt ist.

In der maschinellen Spracherkennung werden einerseits gr�o�ere Einheiten wie W�orter,

Silben, Halbsilben etc. verwendet. Andererseits wird das Phonemmodell weiterent-

wickelt. Entweder wird weiter di�erenziert in Aussprachevarianten, die sowohl kontext-

als auch sprecherabh�angig sind (Allophone85), oder es wird am Phonemmodell orientiert

der Lautstrom anders segmentiert, etwa in lautliche Einheiten (Diphone86), die von der

Mitte eines Phonems bis zur Mitte des n�achsten reichen. Neuere Forschungen versu-

chen auch, losgel�ost von g�angigen Schriftmodellen, aus dem akustischen Signal direkt

gewonnene Einheiten (Fenone87), die sehr viel k�urzer als Phoneme sind, zu benutzen.

Es ergibt sich in allen F�allen eine wesentlich gr�o�ere Anzahl von elementaren oder ato-

maren Einheiten. Die Frage, die sich stellt, ist, ob eine der genannten M�oglichkeiten ein

disjunktives und di�erenzierbares Schema ergibt.

Alle g�angigen Verfahren zur Spracherkennung verwenden Klassi�kationsverfahren aus

der Mustererkennung, um die jeweils gew�ahlten elementaren sprachlichen Einheiten zu

erkennen.88 Die akustischen Marken werden nicht explizit durch di�erenzierbare Merk-

male in disjunkte und di�erenzierbare Klassen eingeordnet, sondern die Zuordnung zu

83 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 9f und S. 30� und [ Steinbi� 1994 ] S. 187

Von all diesen Ph�anomenen kann so nat�urlich nur gesprochen werden, sofern man die klar artikulierte,

an einer Schriftsprache, sei es Alphabetschrift oder Phonemschrift, orientierte Aussprache als Ma�stab

f�ur die `richtige' Ausprache nimmt.

Helmut Mangold bemerkt etwa: \Ein Mensch spricht nur in sehr seltenen F�allen schriftreif, und die

klassischen Methoden der Computerlinguistik versagen bei unvollst�andigen oder grammatisch falschen

S�atzen" [Mangold 1994 ] S. 191

84 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S.173

Ein realisiertes System, das auf Phonembasis arbeitet, erreicht trotz der Einbeziehung syntaktischer

und weiterer sprachlicher Regeln eine Erkennungsrate von lediglich 28 %. (vgl. [ Eppinger und Herter

1993 ] S. 272 - 275)

85 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 27 und S. 179�

86 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 175

87 Das Fenonmodell ist insofern interessant, als es eine nicht an bekannten Schriftsystemen ori-

entierte Verschriftung von akustischen Sprachsignalen darstellt. Die Lautereignisse werden auf rein

empirischer Grundlage partitioniert. Einander �ahnliche Segmente einer Sprachprobe werden zu Klassen

modellgleicher Ereignisse gruppiert. Die zeitliche Dauer von Fenonen betr�agt nur einen Bruchteil der

von Phonemen. Es wird mit Fenonalphabeten mit etwa 200 Elementen gearbeitet. (vgl. [ Schuckat-

Talamazzini 1995 ] S. 178f)

88 Es gibt drei g�angige Verfahren zur Spracherkennung auf der Basis akustischer Daten. Die Re-

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Klassen erfolgt, \indem das Sprachsignal mit zuvor ermittelten Mustern verglichen und

das Muster mit der gr�o�ten �Ahnlichkeit als erkannt ausgew�ahlt wird"89. Auch die Ver-

wendung statistischer oder konnektionistischer Modelle kann als Vergleich aufgrund von�Ahnlichkeit interpretiert werden.

Die verwendeten Verfahren sind zugeschnitten auf un�ubersichtliche Merkmalsr�aume, bei

denen die Merkmale selbst nicht in disjunktive, endlich di�erenzierbare Klassen zerfallen

m�ussen, was bei akustischen Sprachsignalen auch der Fall ist.

Das hei�t noch nicht, da� nicht durch eines dieser Verfahren, bei gut gew�ahlten Refe-

renzmustern oder -modellen, die Marken, also die sprachlichen �Au�erungen, disjunktiven

und endlich di�erenzierbaren Klassen zugeordnet werden k�onnten.

In der Praxis zeigt sich allerdings, da� alle bisher realisierten Verfahren fehlerbehaftet

sind. Das gilt auch f�ur solche Verfahren, wo die Mustererkennung auf verschiedenen

Ebenen (z.B. Phonem, Silbe und Wort) erfolgt90, und die jeweilig m�oglichen L�osungen

sich gegenseitig einschr�anken, wo also der Kontext �uber mehrere Ebenen hinweg in das

Di�erenzierungsverfahren einbezogen wird. Auch die Einbeziehung von grammatischen

Regeln, d.h. des gr�o�eren syntaktischen Kontextes91, verbessert zwar die Leistung der

pr�asentation der akustischen Daten st�utzt sich bei allen dreien auf sehr kurze Zeitabschnitte des Signals

(5 - 20 ms).

Ein Verfahren arbeitet mit prototypischen Repr�asentationen. Jede sprachliche Einheit, z.B. jedes Wort,

(bei einem endlichen Vorrat) hat eine oder mehrere solcher Referenzmuster (oder Referenzvektoren).

Es wird immer das Wort f�ur ein konkretes akustisches Ereignis ausgew�ahlt, dessen Prototyp nach

einem mathematischen Abstandsma� dem akustischen Signal am n�achsten (`am �ahnlichsten') ist. (vgl.

[ Eppinger und Herter 1993 ] S. 147 - 167 und [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 75 - 120)

Bei dem zweiten Verfahren werden f�ur jede sprachliche Einheit ein oder mehrere statistische Modelle

aufgrund von tats�achlichen Sprachdaten erstellt. Es wird das Zeichen ausgew�ahlt, dessen Modell mit

der h�ochsten Wahrscheinlichkeit das fragliche akustische Signal erzeugt. (vgl. [ Eppinger und Herter

1993 ] S. 171 - 178 und [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 121 - 163)

Eventuell sind jeweils noch Schwellwerte angegeben, wie �ahnlich das angefragte Signal dem Modell sein

mu�, um akzeptiert zu werden.

Zum dritten werden konnektionistische Verfahren, sogenannte neuronale Netze, zur Klassi�kation von

akustischen Daten verwendet. (vgl. [ Eppinger und Herter 1993 ] S.178 - 187)

Klaus Fellbaum spricht in bezug auf die beiden letzteren Verfahren von \einem eher indirekten Muster-

vergleich". [ Fellbaum 1994 S. 183 ]

89 [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 147

90 Sogenannte Analyse-durch-Synthese-Verfahren beruhen darauf, l�angere Signale durch Erkennen

und Zusammensetzen kleinerer Einheiten zu analysieren. Bei dieser Analyse werden oft �uber die ver-

schiedenen Ebenen sukzessive wahrscheinliche Beschreibungen erzeugt, um diese auf der n�achsth�oheren

Ebene zu verkn�upfen, Varianten auszuschlie�en usw.

vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 165 - 198

91 Bisher werden an der Schriftsprache orientierte Grammatiken verwendet, die f�ur spontan ge-

sprochene Sprache weitgehend unbrauchbar sind, oder statistische Regeln �uber die Wahrscheinlichkeit

von Wortfolgen, die aber per se lediglich wahrscheinliche aber keine sicheren Ausschlu�kriterien liefern.

(vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 199 - 204 und [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 268 - 270)

28

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Systeme, aber nur relativ.

Insgesamt gilt, da� je l�anger die Spracheinheiten sind, die als atomare Einheiten gelten,

desto besser ist die Erkennungsleistung der Systeme,92 und da� die Einbeziehung ver-

schiedenener Ebenen (Subphoneme, Silben, W�orter, grammatische Regeln, semantische

Regeln und weitere spezi�sche anwendungsbezogene Einschr�ankungen) die Leistung der

Systeme verbessert.

Unter stark einschr�ankenden Bedingungen (sprecherabh�angig, Wortschatz um tausend

W�orter, Einzelworterkennung, starke grammatische Restriktionen etc.) lassen sich unter

Laborbedingungen Erkennungsraten von �uber 95 % erzielen. Es gibt aber nach wie vor

keine Systeme, die fehlerfrei arbeiten. Bei ie�end gesprochener Sprache und beliebigen

Sprechern verschlechtern sich die Fehlerraten dar�uber hinaus drastisch.93 Die automati-

sche Analyse gesprochener Sprache mu� also nach wie vor als ungel�ostes theoretisches

und technisches Problem gelten.94

Ob Ans�atze, die sich nicht an herk�ommlichen Schriften orientieren, erfolgreicher sind,

ob es also etwa ein subphonemisches Alphabet gibt, kann nach dem gegenw�artigen For-

schungsstand nicht letztendlich beurteilt werden. Zweifel sind aber auch hier angebracht.

Eine neuerer Forschungsansatz, der versucht, akustische Sprachsignale direkt mit

geschriebener Sprache ohne den Umweg �uber eine Lautschrift in Beziehung zu setzen,

kann als Best�atigung dieser Zweifel an der Existenz einer Lautschrift interpretiert

werden.95

Gegen diese Probleme bei der maschinellen Spracherkennung mag man einwen-

den, da� aber Menschen doch in der Lage sind, m�undliche Rede in schriftliche Zeichen

zu �ubertragen. Es gibt allerdings keine Gr�unde anzunehmen, da� ein Mensch, der

die Sprache, in der gesprochen wird, nicht versteht, in der Lage ist, Einheiten, wie

Laute, Worte oder S�atze, zu indenti�zieren, geschweige denn, ihre Gleichheit etwa bei

verschiedenen Sprecherinnen festzustellen.96

92 vgl. [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 270

93 Detaillierte Leistungsmessungen f�ur ein sehr neues System sind zu �nden in [ Schuckat-

Talamazzini 1995 ] S. 317 - 342.

Zu Erkennungsraten sonstiger Systeme siehe auch [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 226 und S. 264f.

Optimistischere Einsch�atzungen liefern die Beitr�age in [ SPEKTRUM 1994].

94 \Die automatische Erkennung ie�ender Sprache kann werder von der Verfahrensseite noch im

Hinblick auf Echtzeitverhalten als gel�ost betrachtet werden." [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 252

\Trotz sprecherunabhngiger Wortakkuratheiten nahe der 95 %-Marke (. . . ), beweist nahezu je-

de Konfrontation eines Laborprototypen mit realistischen Einsatzbedingungen wie spontane Benut-

zer�au�erungen, da� auch heute das Spracherkennungsproblem noch keineswegs als gel�ost gelten kann."

[ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 246

95 vgl. [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 166, S. 173 und zur Leistungsf�ahigkeit S. 342

96 vgl. [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 30

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Die Identi�kation von Phonemen ist selbst f�ur Sprecherinnen einer Sprache nur dann

m�oglich, wenn sie eine Alphabetschrift beherrschen.97 Es scheint �uberdies zu gelten,

da� rein orale Kulturen auch eine Strukturierung der Sprache in W�orter als syntaktische

Einheiten nicht kennen, \da� eine rein orale Sprache (. . . ) keinen Ausdruck f�ur das

`Wort' als ein isoliertes Ding zur Verf�ugung haben kann, f�ur ein `bit' der Sprache (. . . )."98

Auf den Einwand, den man mit Goodman99 machen k�onnte, da� die Rede zwar aus ur-

spr�unglich undi�erenzierten Bestandteilen bestehe, sich mit dem Alphabet aber zu einem

di�erenzierten Schema von Lauten entwickelt habe, kann nur erwidert werden, da� diese

Sicht auf der physikalischen Ebene nicht haltbar ist. Auch alphabetisierte Sprecherin-

nen, benutzen weder Trennmarkierungen noch akustisch klar unterscheidbare Phoneme,

Silben etc., wie die oben zitierten Untersuchungen zur maschinellen Spracherkennung

bei schriftkundigen Sprecherinnen gezeigt haben.

Die Einf�uhrung spracherkennender Systeme k�onnte allerdings dazu f�uhren, da� Men-

schen, die mit diesen Systemen arbeiten, sich an die Systeme anpassen (m�ussen)

und mit der Zeit eine di�erenzierbare Ausprache entwickeln. Regeln zum Umgang

mit Spracherkennungssystemen sind als Anweisungen zur `Verschriftlichung der Rede'

interpretierbar.100 (Diesen Aspekt werde ich unten in bezug auf Gesten noch einmal

aufgreifen.)

Mit den hier gelieferten Argumenten ist kein Beweis daf�ur geliefert, da� es lo-

gisch oder mathematisch unm�oglich ist, ein Verfahren zu �nden, das eine endliche

Di�erenzierung beliebiger akustischer Sprachsignale in Buchstaben-, Silben-, Wort-

oder Satzzeichen leisten kann. Die Betrachtung aktueller Forschungen im Bereich

maschineller Spracherkennung lassen aber starke Zweifel daran aufkommen, da� ein

solches Verfahren gefunden werden kann. Diese Zweifel sind begr�undet sowohl auf die

gew�ahlten Verfahren, die auf einem �ahnlichkeitsbezogenen Mustervergleich beruhen, als

auch die nach wie vor drastischen Fehlerraten unter realistischen Bedingungen.

Es gibt zwar viele Marken, bei denen die Zuordnung zu den entsprechenden Zeichen

97 vgl. [Ong 1982 ] S. 38, [ Coulmas 1993 ] S. 392

98 vgl. [ Ong 1992 ] S. 65 in Anlehnung an Goody

99 \Development of a notational scheme or system does not depend upon an intrinsic segregation

of marks or objects into disjoint and di�erentiated sets, but is often achieved in the face of virtual

continuity in both realms." [ Goodman 1968 ] S. 180

100 Steinbi� nennt dazu drei Regeln zum Umgang mit einem Spracherkennungssystem:

\Wie spricht man in ein automatisches Diktiersystem?

Um von der Maschine zuverl�assig verstanden zu werden, gen�ugt es einige einfache Regeln zu beachten:

- Sprechen Sie deutlich (. . . );

- Verschleifen Sie W�orter und insbesondere Wortenden nicht zu sehr (. . . );

- sprechen Sie im Training genauso wie sp�ater im Betrieb (. . . )." [ Steinbi� 1994 ] S. 188

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unproblematisch ist, aber etwa die Grenzen zwischen �ahnlich klingenden W�ortern bilden

Punkte, an denen das Schema undi�erenziert ist. Das Symbolschema der rein syntaktisch

zug�anglichen m�undlichen Rede w�are damit also nicht endlich di�erenziert, weder in bezug

auf Laute oder Phoneme, noch auf Silben, W�orter oder andere sprachliche Einheiten.

Zusammenfassend lautet das erste Argument gegen die Schriftf�ormigkeit der Rede: Auf

der rein syntaktischen Ebene kann weder der Rede u� segmentiert werden noch kann die

Gleichheit - im Sinne von geh�ort zum selben Sprachzeichen - verschiedener �Au�erungen

in allen F�allen entschieden oder ein Di�erenzierungsverfahren angegeben werden.

2.4.2 Gesprochene Texte

Bisher wurde lediglich auf der rein syntaktischen Ebene argumentiert. Dagegen kann ein-

gewandt werden, da� eine Di�erenzierung rein aufgrund der Syntax zwar w�unschenswert

ist, da� aber nichts prinzipell dagegen spricht, auch auf die semantische Ebene

zur�uckzugreifen, wenn nur dadurch die Di�erenziertheit des Schemas zu gew�ahrleisten

ist.101

Ich will deshalb die Frage aufgreifen, inwieweit m�undliche �Au�erungen als Ganzes, also

unabh�angig einer an der Schrift orientierten Zerlegbarkeit, von Menschen, die die Sprache

verstehen, als disjunktives, endlich di�erenzierbares syntaktisches Schema angesehen

werden k�onnen.102

Versucht man, diese Frage zu pr�azisieren, st�o�t man auf eine Reihe von Schwierigkei-

ten, gew�ohnliche m�undliche �Au�erungen in ein Repr�asentationssystem im Goodman-

schen Sinn einzuordnen.103 Unklar ist bereits, ob die Rede �uberhaupt der syntaktische

Teil eines Repr�asentationssytems ist. Fa�t man Sprechen in radikaler Weise als Handeln

auf, so sind �Au�erungen einfach Handlungen, sie repr�asentieren nichts. Zumindest f�ur

manche �Au�erungen wie Befehls�au�erungen gilt, da� sie Befehle sind und nicht Befehle

repr�asentieren. Es sei denn man unterstellt so etwas wie ideale Befehlsentit�aten oder

101 Goodman selbst �au�ert sich zu diesem Punkt nur in einer Fu�note: \Unambiguity can be

achieved by dividing up inscriptions, or characters, in certain ways, but then syntactic equivalence will

made to depend upon semantic considerations." [ Goodman 1968 ] S. 147

Er scheint das f�ur problematisch zu halten, l�a�t aber letztlich o�en, ob er solch ein Verfahren f�ur zul�assig

h�alt.

102 Auch im Rahmen der maschinellen Spracherkennung versucht man semantische Regeln, mit

auch hier begrenztem Erfolg, in den Erkennungsproze� zu integrieren. (vgl. [ Eppinger und Herter

1993 ] S. 247� und S. 270� und zu statistischen Modellen [ Schuckat-Talamazzini 1995 ] S. 199�)

Es soll hier nichts dar�uber ausgesagt werden, ob Computer Bedeutungen verstehen. Was hier seman-

tisches Wissen genannt wird (lexikalisches Wissen, Hintergrundwissen etc.), ist immer in Form von

expliziten oder statistischen syntaktischen Regel formuliert.

103 Goodmans L�osung dieses Problems, einfach eine gleichartige syntaktische Struktur von Rede und

Schrift zu unterstellen und damit m�undliche Marken wie ihre schriftlichen �Ubersetzungen zu behandeln,

hatten wir bereits oben kritisiert.

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Befehlsintentionen, was aber wenig plausibel erscheint.

Die m�undliche Rede ist in der Regel sehr stark situations- resp. kontextabh�angig. Wie-

weit der jeweilige Kontext systematisch verwendet werden kann, um ein disjunktives

Schema zu erzeugen, ist unklar. Jede Einzel�au�erung - analog zu Bildern - als durch den

Kontext bestimmtes einzelnes Zeichen zu interpretieren, ist ebenfalls wenig intuitiv.

Damit wird die Frage, was genau ein Zeichen ausmacht, was das Kriterium ist, zwei

Marken als Kopien voneinander anzusehen, schwierig zu beantworten. Zu sagen, zwei

Marken geh�oren zum selben Zeichen, wenn sie dasselbe bedeuten, hie�e, nicht nur das

Di�erenzierungsverfahren von der semantischen Ebene abh�angig zu machen, sondern

bereits die Struktur der Syntax �uber die Semantik zu de�nieren. Selbst wenn man das

akzeptieren sollte, bliebe die Frage, ob die semantische Ebene disjunktiv und endlich

di�erenzierbar ist.

Ich will diese Fragen hier nicht weiter verfolgen, da sie tief in sprachphilosophische Ver-

strickungen f�uhren, sondern mich auf ein Beispiel beschr�anken, bei dem mir die Ein-

ordnung in ein Repr�asentationsschema noch relativ klar zu sein scheint. Da bereits f�ur

dieses Beispiel meiner Meinung nach zu zeigen ist, da� kein vollst�andig di�erenzierbares

Schema vorliegt, werde ich f�ur andere m�undliche �Au�erungen unterstellen, da� dort die

Schwierigkeiten einer endlichen Di�erenzierung eher noch gr�o�er sind.

In dem Beispiel handelt es sich um m�undliche Erz�ahlungen in einer oralen Kultur104,

spezieller um m�undlich tradierte Stammb�aume oder Ahnenreihen. Eine Marke in diesem

System ist ein m�undlicher Vortrag zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort.

Die Zugeh�origkeit der Marken zu einem Zeichen wird dadurch bestimmt, welche Marken,

also welche Berichte, in den Augen (oder Ohren) des S�angers und der Zuh�orerinnen

und Zuh�orer als gleich gelten. Es ist dabei zu beachten, da� Vortr�age oraler S�anger

oft im Wortlaut voneinander abweichen, aber insbesondere von den S�angern selbst, als

dieselbe Erz�ahlung verstanden werden.105 Die semantische Ebene besteht hier aus den

Ereignissen oder Sachverhalten, die der S�anger berichtet.

Die Disjunktivit�at diese Schemas kann als gesichert gelten, es d�urfte immer klar sein, �uber

welche Ahnentafel der S�anger gerade berichtet. Auch wenn sich solch eine Ahnenreihe,

etwa aus politischen Gr�unden, stark ver�andert (in unserem Sinne), gibt es kein Problem,

sie trotzdem demselben Zeichen zuzuordnen, wenn das von der Gruppe so akzeptiert

wird.

Was geschieht aber, wenn ein Streit dar�uber ausbricht, ob die aktuelle Au��uhrung auch

die richtige Ahnentafel wiedergibt, ob die Au��uhrung also zum selben Zeichen, wie eine

104 Zur Kommunikation in oralen Kulturen siehe [ Ong 1982 ], insbesondere S. 30 - 41

105 Klein bemerkt mit Hinweis auf Goody: \Es zeigt sich, da� sich viele Texte erheblich �andern,

w�ahrend die Stammesangeh�origen davon �uberzeugt sind, das Tradierte und oft Auswendiggelernte ge-

treu zu bewahren." [ Klein 85 ] S. 30f

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fr�uhere geh�ort, oder ob sie eine `falsche' Ahnentafel wiedergibt, also zu einem anderen

Zeichen geh�ort.

O�ensichtlich gibt es kein Verfahren, das in jedem Fall entscheidet, zu welchem der

beiden Zeichen die Au��uhrung nicht geh�ort. Das wesentliche Problem bei der Di�eren-

zierung liegt hier in der Fl�uchtigkeit der Rede. Bei allen m�undlichen �Au�erungen tritt

potentiell dieses Problem auf, und jeder kennt solche Streitf�alle zwischen Rednerin und

Zuh�orerin oder zwischen zwei Zuh�orern, was die Rednerin tats�achlich gesagt hat.

Erst wenn eine m�undliche �Au�erung �xiert ist, sei es schriftlich oder auf einem Tontr�ager,

kann hier ein erfolgversprechendes Di�erenzierungsverfahren angesetzt werden.

Bei schriftlichen Aufzeichnungen l�ost sich die Frage der Di�erenzierung dann sehr ein-

fach, wenn man die Di�erenzierungskriterien f�ur schriftliche Texte �ubernimmt. Da� eine�Ubersetzung in ein schriftliches Schema m�oglich ist, hei�t aber noch nicht, da� auch

das urspr�ungliche Schema schon schriftf�ormig ist. Man kann mit einer Analogwaage

wiegen, die eine Skala hat, die Gramme anzeigt, und in der Mitte zwischen zwei Strichen

undi�erenzierte Bereiche hat. F�ur praktische Zwecke kann man immer eine �Ubersetzung

in ein digitales Schema (Gewichtszahlen mit eine bestimmten Genauigkeit, Geldbetr�age)

leisten, ohne da� damit beide Schemata die gleiche Struktur haben m�u�ten.

Bei Tontr�agern ist es dagegen schwieriger zu entscheiden, wann zwei �Au�erungen als

gleich oder verschieden gelten sollen, weil eventuell ein anderer Wortlaut verwendet wird,

um `dasselbe' zu sagen, oder weil andere Faktoren, wie eine deutlich unterschiedliche

Intonation, daf�ur sprechen, im Wortlaut gleiche �Au�erungen f�ur verschieden zu halten.

Argument zwei lautet: Gesprochene Texte bilden kein di�erenzierbares Schema, weil

ohne schriftf�ormiges Speichermedium nicht immer entschieden werden kann, ob eine�Au�erung zu demselben Zeichen geh�ort wie eine vorherige oder nicht.

2.4.3 Prosodie

Man kann hier einwenden, da� schriftkundige Menschen in der Lage sind, die Rede in

ihrer eigenen Sprache in Schrift zu �ubertragen, und insofern ein endliches Di�erenzie-

rungsverfahren gegeben ist, selbst wenn dieses Verfahren nicht beschrieben oder nach-

gebaut werden kann. Dieser Einwand tri�t sowohl die Zerlegbarkeit der Rede analog zur

Alphabetschrift als auch die Di�erenzierbarkeit auf der Ebene der Texte.

Ich will deshalb noch ein drittes Argument liefern, das sich auf Aspekte der Rede bezieht,

die nicht schriftlich abbildbar sind. Anschlie�end an die vorige Bemerkung �uber Tontr�ager

ist hier die entscheidende Frage, was relevant an einer m�undlichen �Au�erung ist.

Angenommen man akzeptiert, da� allein die �Ubersetzbarkeit von Rede in Schrift hin-

reicht, um die Rede als ein di�erenzierbares Schema anzusehen, so mu� man gleichzeitig

die These vertreten, da� nur die in Schrift �ubersetzbaren Aspekte der Rede relevant sind.

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Die Kritik an dieser Au�assung kann nun nicht daran ansetzen, da� �uberhaupt be-

stimmte Elemente der Marken als irrelevant ausgeklammert werden, das ist bei fast

jedem Notationsschema der Fall.106 Die Frage ist, ob wesentlich bedeutungstragen-

de Ausdrucksm�oglichkeiten der gesprochenen Sprache bei der �Ubertragung in Schrift

verschwinden.

\Klar ist aber, da� der Schrift bestimmte Ausdrucksm�oglichkeiten gesprochener

Sprache fehlen. Schallwellen lassen sich nach Tonh�ohe, Klangfarbe, �Anderung der

Sprachggeschwindigkeit und durch Pausen, also durch die `prosodischen' Eigenschaf-

ten modulieren."107

Diese Merkmale spielen allerdings f�ur die m�undliche Kommunikation eine nicht

unwesentliche Rolle und machen \einen wesentlichen Teil des sprachlichen

Informationsgehaltes"108 aus. \Wir k�onnen ausdr�ucken, ob uns etwas gleichg�ultig oder

wichtig ist, froh oder traurig macht - wir k�onnen Gef�uhle ausdr�ucken."109

Es h�angt auch von prosodische Merkmalen ab, ob zwei evtl. wortgleiche Marken als

Kopien voneinander angesehen werden. Sie sind also relevant f�ur die Zuordnung von�Au�erungen zu unterschiedlichen Sprachzeichen.110

Ich will mich bei der Untersuchung der Frage, ob prosodische Merkmale im Rah-

men eines Notationsschemas dargestellt werden, auf den Aspekt der Lautst�arke

beschr�anken, bei anderen Ausdrucksmitteln liegt die Sache noch deutlich komplizierter.

Selbst wenn man nicht annimmt, da� kleinste Unterschiede in der Lautst�arke (bei gege-

bener Sprecherin in bestimmten Situationen) unterschiedliche Zeichen konstituieren, so

sind unterschiedliche Lautst�arkenzeichen (schreiend, laut, halblaut, leise etc.), sofern sie

mittels Kontext disjunktiv gemacht werden k�onnen, jedenfalls an ihren Grenzen jeweils

undi�erenziert. Es ist wenig plausibel hier quasi neutrale bedeutungslose Grenzbereiche

anzunehmen. Die Verschriftlichung st�o�t hier also an faktische und prinzipielle Grenzen.�Ahnlich wie f�ur prosodische Merkmale, die sich noch auf das akustische Signal beziehen,

kann man f�ur weitere parasprachliche Aspekte111, wie Gesten, Mimik, situativer Kontext

106 Goodman klammert bei der Betrachtung von Partituren und Au��uhrungen eben solche Elemente

der Intonation aus, die die Qualit�at der Au��uhrung ausmachen. (vgl. [ Goodman 1968 ] S. 115f)

107 [ Klein 1985 ] S. 16f (Im Original hei�t es `geschriebener Sprache', was aber o�ensichtlich ein

Druckfehler ist.)

108 [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 293

109 [ Eppinger und Herter 1993 ] S. 295

110 Klein dr�uckt die De�zite schriftlicher Sprache gegen�uber der Rede recht drastisch aus: \Es gibt

wohl einige M�oglichkeiten, durch Interpunktion oder Fettdruck �Ahnliches anzudeuten, aber dies mit den

prosodischen M�oglichkeiten der gesprochenen Sprache zu vergleichen, ist, als wolle man vom `Flug' der

Fr�osche reden." [ Klein 1985 ] S. 16f

111 vgl. [ Coulmas 1985 ] S. 105

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etc., argumentieren.

Argument drei lautet also: Die Rede enth�alt prosodische Anteile, die bedeutungstragend

sind und die keine di�erenzierten Schemata bilden und auch nicht in solche �ubertragen

werden k�onnen.

In diesem Kapitel habe ich versucht, eine Charakterisierung von Schrift zu moti-

vieren und auszuarbeiten, die ich im weiteren zur Analyse des Verh�altnisses von

Computer und Schrift verwenden werde.

Traditionelle Zug�ange zum Begri� Schrift st�utzen auf je eigene Weise die Intuition von

einer Abl�osung der Schrift durch das Medium Computer. Sie erweisen sich aber selbst

als problematisch. Schreiben als Einritzen scheint im Lichte elektronischer Aufschreib-

systeme nicht mehr tauglich und liefert �uberdies kein Abgrenzungskriterium gegen�uber

Schallplatte und Bild. Schrift ausschlie�lich als Darstellungsmittel m�undlicher Rede zu

fassen, scheint zu eng und schlie�t mathematische und formale Notationen aus. Schrift

allgemein als Zeichensystem zu verstehen, erscheint wiederum zu weit und liefert kein

Abgrenzungskriterium gegen Bilder und m�undliche Rede.

Demgegen�uber habe ich eine Charakterisierung von Schrift vorgestellt, die sich aus-

schlie�lich auf strukturelle Eigenschaften des Mediums bezieht. Mit Hilfe der Sym-

boltheorie Nelson Goodmans habe ich Schriften als Notationsschemata de�niert. Ein

Notationsschema ist ein Symbolschema in einem Symbolsystem, da� durch die zwei Ei-

genschaften Disjunktivit�at und endliche Di�erenzierbarkeit de�niert ist. Schriften sind

Systeme, die aus unterscheidbaren Zeichen bestehen.

F�ur diese De�nition konnte ich zeigen, da� einerseits �ublicherweise Schrift genannte

Symbolsysteme, wie die Alphabetschrift, aber auch Silben-, Wort- und Bilderschriften,

unter diese De�nition fallen, w�ahrend Bilder im allgemeinen und auch die m�undliche

Rede sich als nicht schriftlich erweisen.

Die m�undliche Rede ist auf der akustischen Ebene kein di�erenzierbares Schema. Glei-

ches gilt auf der Ebene der gesprochenen Texte, zumindest in oralen Kulturen. Schlie�-

lich enth�alt die Rede zus�atzliche bedeutungstragende prosodische Merkmale, die nicht

verschriftlicht werden k�onnen.

Damit erweisen sich Schrift und Rede, entgegen der philosophisch und sprachwis-

senschaftlich g�angigen Au�assung, als zwei strukturell verschiedene, eigenst�andige

Kommunikations- und Symbolisierungsmittel.

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3 Schriftgebundenes Medium Computer

3.1 Formale Schriften

Wie bereits oben angedeutet, gibt es zwei gegens�atzliche Positionen zur Frage, ob mathe-

matische und logische Sprachen112 Schriftcharakter haben. Akzeptiert man als Schrift

nur graphische Darstellungen von nat�urlicher Sprache, so sind formale Sprachen keine

Schriften.113 Andere Autoren verwenden den Begri� Schrift ganz selbstverst�andlich f�ur

mathematische und formale Notationen.114

Auch die umgangssprachliche Verwendung des Begri�s gibt uns hier nicht letztlich Auf-

schlu�. Dort wird man zwar klar zwischen Rechnen und Schreiben unterscheiden, aber

andererseits macht es auch keine Probleme, zu sagen, da� wir beim (schriftlichen) Rech-

nen Zahlen oder Formeln schreiben oder da� Programmiererinnen Programme schreiben.

Im folgenden wird zu untersuchen sein, inwieweit formale Sprachen nach der hier vorge-

schlagenen Charakterisierung als Schriften gelten k�onnen.

3.1.1 Formale Sprachen

Formale Sprachen sind k�unstliche Symbolsysteme - im Gegensatz zur nat�urlichen Spra-

che. Ausdr�ucke in formalen Sprachen sind nach formalen Regeln erzeugt und und mei-

stens auch formal interpretierbar.

Die allgemeinste De�nition f�ur eine formale Sprache lautet wie folgt: Gegeben sei eine

endliche Menge (�). Die Elemente dieser Menge hei�en Buchstaben, die Menge hei�t

Alphabet. Da� diese Menge von Zeichen disjunktiv und endlich di�erenzierbar ist, ist

zwar nicht explizit gefordert, wird aber stillschweigend vorausgesetzt. In allen praktischen

F�allen sind die Marken so gew�ahlt, da� sie leicht und eindeutig Zeichen zugeordnet

werden k�onnen, also beide Bedingungen erf�ullt sind.115

112 Ich werde im folgenden, weil dieser Begri� �ublicherweise verwendet wird, solche Symbolsysteme

auch mathematische oder formale Notationen nennen, ohne immer die formalen Eigenschaften von

Notationssystemen, wie sie Goodman de�niert, mit zu unterstellen.

113 Peter Koch argumentiert daf�ur, schriftliche Darstellung m�undlicher Sprache und mathematische

Notationen als strikt zu unterscheidende Entwicklungsstr�ange graphischer Darstellungen zu sehen. (vgl.

[ Koch 1996 ], siehe auch [ Flusser 1987 ] S. 24f)

114 z.B. [ Nissen et al. 1991 ], [Bolter 1991 ], [Raible 1993 ], [ Kr�amer 1996 ]

115 Das Goodmansche Beispiel f�ur ein Schema mit zwei Zeichen, mit Strichen, die k�urzer als 1 cm

und 1 cm lang und l�anger sind, erf�ullt zwar formal gesehen ebenfalls die Bedingungen f�ur ein Alphabet,

niemand w�urde aber solche Marken f�ur eine Alphabet benutzen. Ich werde im folgenden Alphabet nur

noch f�ur endliche Mengen von disjunktiven und endlich di�erenzierbaren Zeichen verwenden.

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Ein Wort ist eine Aneinanderreihung oder Folge von endlich vielen Buchstaben.116 Buch-

staben k�onnen in einem Wort nat�urlich mehrfach vorkommen. Die Menge aller mit den

Buchstaben eines Alphabets bildbaren W�orter, die W�orter �uber einem Alphabet �, wird

mit �� bezeichnet. Eine formale Sprache L �uber einem Alphabet ist eine Menge von

W�ortern, die aus Buchstaben des Alphabets (�) gebildet sind, also eine Teilmenge von

�� (L � ��). Es gibt eine Reihe von M�oglichkeiten, konkrete formale Sprachen zu

de�nieren, z.B. Chomsky-Grammatiken oder Automaten, z.B. endliche Automaten oder

Turingmaschinen.

Da W�orter aus disjunktiven, endlich di�erenzierbaren Buchstaben bestehen und eine

Realisiserung eines Wortes genau dann zu dem Zeichen geh�ort, wenn sie Buchstaben-

realisierungen in der richtigen Reihenfolge enth�alt, kann weder eine Realisierung von

Buchstabenfolgen zu mehreren Wortzeichen geh�oren, noch ist es ein Problem, zu ent-

scheiden, ob eine gegebene Realisierung zu einem bestimmten Wort geh�ort oder nicht.

Formale Sprache mit Buchstaben und/oder W�ortern als Zeichen sind disjunktive und

endlich di�erenzierte Schemata also Schriften.117

Die geschriebene nat�urliche Sprache ist in allgemeinstem Sinne eine formale Sprache. Sie

ist eine Teilmenge der Menge der W�orter aus dem �ublichen Alphabet oder eine Teilmen-

ge der Menge der Texte, sofern sie als W�orter mit �ublichen Buchstaben, Leerzeichen,

Interpunktionszeichen etc. aufgefa�t werden. Das sagt aber noch nicht viel, weil alle

interessanten Eigenschaften, wie Bedeutungsgleichheit, damit noch keineswegs formal

beschreibbar sind. Es ist nicht einmal klar, ob f�ur eine gegebene nat�urliche Sprache

auch nur eine Beschreibung gegeben werden kann, die genau alle syntaktisch zul�assigen

geschriebenen Texte beschreibt.

Zusammenfassend l�a�t sich feststellen, da� formale Sprachen genaugenommen formale

Schriften hei�en m�u�ten, worauf im �ubrigen auch schon die Begri�sbildung, Alphabet

und Buchstaben, hinweist.

3.1.2 Mathematische Notationen

Betrachtet man die Entstehung der Schrift in Mesopotamien, so ist die Entwick-

lung von Schrift und Mathematik eng verkn�upft. \Wir wissen heute mit Sicherheit,

116 Genaugenommen m�u�te man sagen: Ein Wort ist das Zeichen, das als Elemente die Realisie-

rungen hat, die aus Aneinanderreihungen von Realisierungen von Buchstaben bestehen. Da hier kaum

die Gefahr von Mi�verst�andnissen besteht, werde ich im folgenden des�ofteren der Einfachheit halber die

ungenaue Redeweise w�ahlen.

117 Das hei�t im �ubrigen nur, da� f�ur jede Realisierung entschieden werden kann, zu welchem

Wort sie geh�ort. Wird dagegen irgendwie festgelegt, da� Realisierungen verschiedener W�orter zum

selben Zeichen geh�oren sollen, dann gibt es im allgemeinen kein Verfahren zur endlichen Di�erenzie-

rung mehr. Die Frage etwa, ob zwei syntaktisch unterschiedliche Beschreibungen (Marken in einer

Beschreibungssprache) dieselbe Sprache beschreiben, ist in der Regel nicht entscheidbar.

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da� die Schrift urspr�unglich nicht als Mittel zur Darstellung von Sprache sondern

als Kontrollinstrument der Wirtschaftsverwaltung entstanden ist."118 Fr�uhe Schrift-

zeugnisse enthalten, entsprechend ihrem Zweck, ganz wesentlich Zahl-, oder genauer

Z�ahlsymbole.119 Ebenso sind schon sehr fr�uh arithmetische Operationen mit diesen Zahl-

zeichen nachzuweisen.120 Schrift zur Darstellung von nat�urlicher Sprache zu verwenden,

ist eine sp�atere Entwicklung.121

W. Raible zeigt am Beispiel der griechischen Arithmetik, da� auch eine Entwick-

lung in umgekehrter Richtung von an die Lautsprache gebundenen zu eigenst�andigen

Notationssystemen m�oglich ist. Die Entwicklung mathematischer Techniken und

Kalk�ule verl�auft hier wesentlich parallel zur Entwicklung graphischer, 2-dimensionaler

Symbolschemata.122

Inwieweit sind nun mathematische Symbolschemata als Schriften oder spezieller als for-

male Sprachen anzusehen?

Bereits die fr�uhesten Zahldarstellungen operieren mit klar unterscheidbaren r�aumlichen

(Z�ahlsteinen) oder graphischen Marken (auf Tontafeln).123 In modernen mathematischen

Aufschreibsystemen bilden Zi�ern und andere elementare mathematische Symbole, wie

Klammern, Bruchstriche, Integralzeichen, =, +, 1 etc., o�ensichtlich ein disjunkti-

ves Schema. Das Schema ist auch endlich di�erenzierbar. Allerdings sind, wenn man

sich nicht auf Ebene der Elementarzeichen bewegt, sondern Formeln betrachtet, oft er-

hebliche Kontextinformationen bez�uglich der r�aumlichen Struktur der Formeln und der

Nachbarzeichen n�otig, um atomare Marken disjunktiven Zeichen zuzuordnen.124

F�ur mathematische Formeln, als zusammengesetzte Realisierungen betrachtet, ist je-

doch klar, da� sie eindeutig Zeichen zugeordnet werden k�onnen. Im Rahmen der hier

vorgeschlagen De�nition f�ur Schriften sind mathematische Zeichensysteme geradezu pro-

totypische Beispiele f�ur Schriften, da sie so konzipiert sind, da� sie Mehrdeutigkeiten und

118 [ Nissen et al. 1991 ] S. X

Eine Interpretation, die diese fr�uhen Zeugnisse nicht als Schrift au�a�t, liefert [ Koch 1996 ]. (siehe

auch Fu�note 113)

119 vgl. [Nissen et al. 1991 ] S. 61 und S. 175

Es handelt sich dabei allerdings nicht um abstrakte Zahlzeichen in unserem Sinne, Zahl und Gez�ahltes

werden zusammen symbolisiert, es gibt unterschiedliche Zahlsysteme f�ur unterschiedliche Arten von

Waren. (vgl. [ Nissen et al. 1991 ] insbesondere S. 64f und [ Kr�amer 1988 ] S. 5�)

120 vgl. [Nissen et al 1991 ] S. 66 - 75 und [ Kr�amer 1988 ] S. 5 - 26

121 vgl. [Nissen et al 1991 ] S. 159

122 vgl. [ Raible 1993 ] S. 23 - 33

123 Die Marken auf den fr�uhen Zeugnissen haben sogar ein aus heutiger Sicht sehr hohes Ma� an

Einheitlichkeit, das die Disjunktivit�at sichert und die Di�erenzierung erleichtert. (vgl. [ Nissen et al.

1991 ] S. 55)

124 Auch bei den fr�uhesten Schriften werden die Marken schon kontextbezogen gebraucht, dieselbe

Marke hat in verschiedenen parallel gebrauchten Zeichensystemen eine jeweils andere arithmetische

Bedeutung. (vgl. [ Nissen et al. 1991 ] S. 60)

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Unklarheiten im Prinzip ausschlie�en.

Nicht unmittelbar klar ist, inwieweit mathematische Schriften aufgrund ihrer �achigen

Struktur auch formale Sprachen im oben dargestellten Sinne sind. Es ist aber relativ

leicht, mathematische Ausdr�ucke in eine lineare Form zu �ubertragen, wie das etwa bei

Programmiersprachen notwendig ist. Allerdings d�urfte einleuchtend sein, da� die 2-

dimensionale Struktur ganz wesentlich f�ur die Rezipierbarkeit und f�ur die Entwicklung

von mathematischen Schriften ist.125

Nach der hier vorgeschlagenen Schriftde�nition sind mathematische Notationen also klar

als Schriften zu klassi�zieren.

3.1.3 Logische Sprachen

Logische Sprachen sind ebenfalls Schriften par excellance. Die Syntax einer logischen

Sprache ist immer auf Basis einer disjunktiven und di�erenzierbaren Menge von Zeichen

de�niert.

Pr�adikatenlogische Ausdr�ucke bestehen aus endlich vielen Junktoren, Quantoren, Klam-

mern und Zeichen f�ur Buchstaben, manchmal kommen dazu noch mathematische Zei-

chen wie =, + etc. Die atomaren Zeichen bilden also ein Alphabet. Die Zeichen einer

logischen Sprache d�urfen nur nach festen Regeln verkn�upft werden. Logische Sprachen

sind in der Regel kompositional (composite). Die Bedeutung der zusammengesetzten

Zeichen ist allein durch die Bedeutung der atomaren, d.h. nicht weiter zerlegbaren,

Zeichen und die Art ihrer Verkn�upfung bestimmt.126

Pr�adikatenlogik, ebenso wie Aussagenlogik und andere spezielle Logiken sind Sprachen

oder Schemata zur Formulierung von konkreten logischen Sprachen. Eine konkrete for-

male Sprache, die durch explizite De�nition, eine Signatur, oder implizit durch eine Men-

ge von Formeln, d.h. nach den Regeln geformte Ausdr�ucke, gegeben ist, ist ebenfalls

durch ein disjunktives Schema erzeugt, das Junktoren, Quantoren und Klammern sowie

Pr�adikatsnamen, Funktionsnamen, Individuennamen und Variablennamen enth�alt. Diese

Namen sind in der Regel W�orter �uber einem Alphabet, sie k�onnen im Prinzip aber auch

Realisierungen einer Silben- oder Wortschrift, Pictogramme etc. sein. Vorausgesetzt ist

allerdings, da� diese Namen, mindestens durch den Kontext bestimmt, disjunktiv und

di�erenzierbar sind.

Formeln als Realisierungen von komplexen Zeichen, bilden, wie oben schon gesehen,

dadurch, da� sie nach formalen Regeln aus einer disjunktiven und endlich di�erenzier-

ten Menge von einfachen Zeichen zusammengesetzt sind, ein ebenfalls disjunktives und

endlich di�erenziertes Schema.

125 vgl. [ Raible 1993 ]

126 vgl. [Goodman 1968 ] S. 146

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3.1.4 Programmiersprachen

Schon das Wort Programm (Gramma: Schrift, Schriftzeichen) weist auf den Schriftcha-

rakter von Programmen (`Vorschriften') hin.127

Programmiersprachen werden mittels alphanumerischer Codes (Alphabete aus Buch-

staben, Zi�ern und Sonderzeichen) aufgeschrieben. Jedes Programm ist ein Wort in

einer formalen Sprache �uber solch einem Code und ist von allen anderen Programmen

wohlunterschieden.128

Programmiersprachen sind in demselben Sinne wie Logiken Schemata zur De�nition von

Programmen. Statt Junktoren und Quantoren gibt es Operatoren wie if then else,

while oder goto. Jedes Programm selbst de�niert eine konkrete formale Sprache mit

spezi�schen Namen f�ur Variablen, Prozeduren, Funktionen, Objekte, Pr�adikate etc. je

nach dem, um welche Art von Sprache es sich handelt. Die De�nition der speziellen

Sprache erfolgt manchmal explizit, durch eine sogenannte Deklaration (die der Signatur

einer logischen Sprache entspricht) am Anfang des Programms, oder implizit.

Programme sind ebenso nach festen Regeln aufgebaut. Um die Disjunktivit�at der Zei-

chen zu erreichen, werden bei gr�o�eren Programmen Kontexte (sogenannte Module)

festgelegt, in denen gleichlautende (eigentlich gleichgeschriebene) Namen zum selben

Zeichen zugeordnet werden, w�ahrend gleichlautende Namen au�erhalb eines Moduls ei-

nem anderen Zeichen zugeordnet werden. Ein Programm selbst kann wiederum als

zusammengesetztes Zeichen (s.o.) in einem schriftlichen Schema aufgefa�t werden.

Bei Programmen, wie bei mathematischen Notationen, gibt es eine Diskrepanz zwi-

schen im Prinzip (f�ur den Computer) linearer Formulierung und beliebiger Wahl von

Schl�usselw�ortern und Namen auf der einen Seite und auf der anderen Seite der prakti-

schen Notwendigkeit von 2-dimensionaler Darstellung und intuitiver Namenswahl, die es

erst erm�oglicht, Programme (f�ur Menschen) rezipierbar und kommunizierbar zu machen.

3.1.5 Bin�arcode

Auch wenn Programme in alphanumerischen Codes oder neuerdings auch mit graphi-

schen Mitteln formuliert werden, so beruht die Verarbeitung mit Computern immer auf

einem bin�aren Code.129 Ein bin�arer Code enth�alt genau zwei Zeichen, die in Digital-

127 vgl. [ Flusser 1987 ] S. 51�

128 Neuere Entwicklungen wie `Visual Basic', die Programmeinheiten graphisch repr�asentieren,

weichen damit noch nicht vom Prinzip der Schriftlichkeit ab, da auch die graphischen Marken ein

Schema von disjunktiven und endlich di�erenzierbaren Zeichen bilden.

129 Statt bin�ar wird auch oft der Begi� digital verwendet. Da wir digital bereits allgemeiner de�niert

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rechnern durch zwei leicht di�erenzierbare Spannungszust�ande repr�asentiert werden.

Da� es sich um ein schriftliches Schema in unserem Sinne handelt, ist o�ensichtlich. Es

handelt sich dabei sogar um die einfachste Art von Schrift. Eine un�are Schrift, d.h eine

Schrift mit einem Zeichen, gibt es im Grunde nicht.130 Es mu� immer unterschieden

werden k�onnen, zumindest zwischen Zeichen und Nicht-Zeichen. Gleichzeitig ist der

bin�are Code aber auch schon Universalschrift.131

Alle formalen Sprachen, sogar alle Schriften mit einem abz�ahlbaren Repertoire an

Zeichen132, k�onnen in die 0-1-Schrift umkodiert werden. Umkodieren hei�t, da� sie

in eine andere syntaktische Erscheinungsform, d.h. in ein anderes Symbolschema, ein-

eindeutig �uberf�uhrt werden k�onnen. In einem abz�ahlbaren Schema kann jedem Zeichen

eine Zahl zugeordnet werden. Die bin�are Darstellung dieser Zahl kann zum Beispiel die

Codierung des Zeichens im Bin�arcode sein. Der Bin�arcode ist also insofern universal, als

alles, was schriftlich formuliert werden kann, auch mit lediglich zwei Zeichen formuliert

werden kann.

Da Computer nur bin�ar codierte Zeichen verarbeiten k�onnen, gilt umgekehrt, da� Compu-

ter nur Schrift, genauer schriftliche Symbolschemata, darstellen und verarbeiten k�onnen.

Nicht schriftliche Schemata, wie Bilder und m�undliche Rede, m�ussen deshalb f�ur die

Verarbeitung mittels Computern digitalisiert, d.h. verschriftlicht, werden, wobei eine

eindeutige R�ucktransformation aber nicht mehr gegeben ist.

3.1.6 Operative Schriften

Bei mathematischen und formalen Sprachen zeigt sich ein weiterer Aspekt von Schriften,

es kann mit Schriftzeichen operiert werden.133Neben der Losl�osung vom hic der nunc der

m�undlichen Kommunikationssituation und der M�oglichkeit, Wissen zu externalisiseren

und zu speichern, erlaubt es die Schrift, kognitive Prozesse aus dem Kopf auszulagern.134

haben, verwende ich hier bin�ar. Digitalisierung meint hier Umwandlung in einen Digital- oder Bin�arcode,

was �aquivalent ist, wie wir sehen werden.

130 Auch eine mit un�arem Eingabealphabet arbeitende Turingmaschine ben�otigt immer ein zweites

Zeichen f�ur die `leeren' Bandfelder.

131 \Ein Zeichen macht noch keine Schrift. Aber wo zwei Zeichen sich zu einer signi�kanten

Einheit verbinden, geht aus ihrem di�erentiellen Bezug sogleich das virtuelle Ganze der Schrift hervor".

[Wetzel 1991 ] S.38

132 Ob ein �uberabz�ahlbares Schema �uberhaupt endlich di�erenzierbar sein kann, scheint zumin-

dest unklar. Praktische Beispiele f�ur �uberabz�ahlbare Schemata, wie Striche mit reellen L�angen, oder

Diagramme mit reellen Werten sind immer dicht und damit nicht di�erenzierbar.

133 Zur Geschichte formaler, operativer Schriften, die sie `symbolische Maschinen' nennt, siehe

Sybille Kr�amer `Symbolische Maschinen' [ Kr�amer 88 ].

Zur Rolle operativer Schriften bei der Konstituierung von Erkenntnisgegenst�anden siehe auch [ Kr�amer

1996 ].

134 vgl. [Klein 1985 ] S. 10

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Die Schrift erlaubt es Zeichen ohne Rekurs auf ihre Bedeutung nach rein syntaktischen

Regeln, schematisch, zu manipulieren.135 Rechenverfahren, Kalk�ule und Algorithmen136

erlauben es, rein syntaktisch Wissen zu generieren oder zu explizieren.137 Mit der Rede

ist das aufgrund ihrer Fl�uchtigkeit nicht m�oglich, mit Bildern unter anderem deswegen,

weil sie nicht in Einzelteile zerlegbar sind.

Zum anderen haben solche Regelsysteme auch eine kritische und normative Funktion.

Die Logik diente in erster Linie dazu, die Rede in bezug auf Wahrheit, im Sinne von

innerer Schl�ussigkeit, �uberpr�ufbar zu machen. Gleichzeitig wirkt sie aber auch normativ,

indem sie festlegt, welche Schl�usse legitimerweise gezogen werden d�urfen oder was als

Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung akzeptiert werden kann.138

Die Operationalisierung von Wissen bedarf sicherlich der Dauerhaftigkeit und Exterio-

rit�at von Symbolen. Wissen mu� als dauerhafter (Zeichen-)Gegenstand vorliegen, um

nachpr�ufbar manipuliert werden zu k�onnen. Aber auch die strukturellen Eigenschaften

von Schrift sind Voraussetzung f�ur die Kalk�ulisierung von Wissen.

Da sich syntaktische Regeln in Kalk�ulen auf Zeichen beziehen, kann in einem nicht

schriftf�ormigen Schema nicht immer entschieden werden, welche Regeln angewendet

werden sollen oder k�onnen. Wenn das Schema nicht disjunktiv ist, kann eine Realisierung

zu zwei Zeichen geh�oren und damit eventuell einen Fall f�ur zwei sich widersprechende

Regeln abgeben. Wenn das Schema nicht di�erenzierbar ist, also Marken nicht eindeutig

Zeichen zugeordnet werden k�onnen, kann auch nicht entschieden werden, welche Regeln

jeweils anwendbar sind.

Die Manipulation von Symbolen nach formalen Regeln setzt also Schriftf�ormigkeit des

Symbolschemas voraus.

3.2 Universalschrift

Computer manipulieren digitale Zeichen nach formalen Regeln. Was Computer tun,

ist also immer auch als operative Schrift beschreibbar. Umgekehrt sind alle operativen

Schriften auf Computern simulierbar, insofern Computer als materielle Realisierungen

135 \Die M�oglichkeit, einen Vorgang formal zu beschreiben, d.h. ihn in den Termini einer formalen

Sprache ausdr�ucken zu k�onnen, ist an drei Bedingungen gebunden: Die Bedingung des schriftlichen

Symbolgebrauchs, die Bedingung des schematischen Symbolgebrauchs und die Bedingung des interpre-

tationsfreien Symbolgebrauchs." [ Kr�amer 1988 ] S. 1

136 Kr�amer unterscheidet zwischen algorithmisch, Probleme l�osen nach formalen Regeln, und kal-

kulatorisch, Formulierung und L�osung des Problems in derselben formalen Sprache. (vgl. [ Kr�amer

1988 ] S. 72) Diese Unterscheidung ist hier aber nicht weiter relevant.

137 Auf den Streit, ob ein formales Verfahren wirklich neues Wissen generieren kann oder nur

implizites Wissen explizit macht, will ich mich hier nicht einlassen.

138 \Im Leibnizprogramm wird die maschinenm�a�ige Erzeugbarkeit eines wissenschaftlichen Satzes

zum Kriterium seiner Wahrheit." [ Kr�amer 1988 ] S. 180

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von universellen Turingmaschinen aufgefa�t werden k�onnen. \Jedes Verfahren, das als

Operation einer symbolischen Maschine darstellbar ist, kann - im Prinzip - von einer

wirklichen Maschine ausgef�uhrt werden (. . . ). Computer sind Maschinen, die jede be-

liebige symbolische Maschine imitieren k�onnen."139 Das `im Prinzip' betri�t gerade die

Einschr�ankungen realer Computer, etwa bez�uglich Speicherplatz und Rechenzeit, ge-

gen�uber dem mathematisch universellen Berechnungsmodell Turingmaschine.

Computer k�onnen also nicht nur genau schriftliche Schemata darstellen, sondern auch

genau schriftliche Schemata nach syntaktischen Regeln manipulieren, also operative

Schriften automatisch verarbeiten.

Der digitale Code gilt auch insofern als universal, als nicht nur Schriften sondern

auch alle anderen Symbolschemata in eine digitale Form umgewandelt werden k�onnen.

\Bei Bits handelt es sich um Elementar- und Universalzeichen, mit deren Hilfe be-

liebige andere Zeichen und Zeichensysteme abgebildet, �ubersetzt, kombiniert und

ausgetauscht werden k�onnen: T�one, Bilder, Schrift, logische Operationen, Roboter-

bewegungen und - Warenwerte. �Okonomisch gesprochen, ist der Bin�arcode reines

Zeichengeld "140.

Damit f�uhrt der Bin�arcode zu einer Verschmelzung bisher getrennter Symbolschemata.

Der Computer, der Bin�arcode verarbeitet, wird zu einem universellen Medium, das alle

anderen Medien in sich aufnimmt.141

W�ahrend allerdings immer eine eineindeutige (isomorphe) Abbildung zwischen schriftli-

chen und digitalen Schemata gegeben ist, gilt das, wie wir bei Bildern und m�undlicher

Rede gesehen haben, nicht f�ur alle Symbolschemata. Eine exakte R�ucktransformation

einer einmal digitalisierten Realisierung, etwa eines Bildes, ist nicht mehr m�oglich.

Wendet man die Schriftde�nition aus Kapitel 2 an, so stellt sich heraus, da�

mathematische, logische, allgemein formale Notationen Schriften sind. Desweiteren ist

Schriftf�ormigkeit eine Voraussetzung f�ur die Manipulation von Zeichen(realisierungen)

nach rein syntaktischen Regeln.

Der Computer, als technische Realisierung einer universellen symbolischen Maschine,

kann beliebige Schriften speichern, �ubertragen und verarbeiten. Er kann aber auch

nur Schriften verarbeiten. Andere Symbolschemata m�ussen verschriftlicht, digitalisiert,

werden, um mit Computern verarbeitet werden zu k�onnen.

139 [ Kr�amer 1988 ] S. 3

140 [ Vief 1991 ] S. 120

141 vgl. z.B. [ Hagen 1989 ] S. 212, [ Vief 1991 ] S. 120 und [ Bolter 1991 ] S. 63 - 81

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4 Realit�atskonstruktion aus Schrift

Das vorangegangene Kapitel hatte sich mit der Analyse der syntaktischen Eigenschaf-

ten von Symbolsystemen befa�t, die mit Computern verarbeitet werden k�onnen. Dabei

hatte sich gezeigt, da� mathematische und logische Sprachen, ebenso wie Program-

miersprachen Schriften - in dem oben charakterisierten Sinne - sind. Der `Sto�', mit

dem Computer arbeiten, sind genau schriftliche Symbolschemata. Oder anders ausge-

dr�uckt, alles was mit Computern bearbeitet, ver�andert, manipuliert werden soll, mu� in

schriftlicher Form vorliegen oder in Schrift transformiert werden. Damit erweist sich der

Computer als genuin schriftgebundenes Medium.

Ich will an dieser Stelle in der Argumentation neu ansetzen und versuchen, zu kl�aren,

inwiefern Computer Mittel zur Konstruktion von Realit�at sind. Dazu werde ich mich

informationstechnischen Artefakten142 und der Disziplin, die sich mit der Herstellung

solcher Artefakte befa�t, der Informatik, zuwenden.

Hatte ich bis jetzt Computer implizit eher eng im Sinne von syntaktischer Maschine

verwendet, so will ich den Begri� jetzt weiter f�ur Systeme oder Artefakte verwenden,

die wesentlich auf Computern basieren. Damit umfa�t der Begri� nicht nur technische

Recheneinheiten, sondern schlie�t Ein- und Ausgabeger�ate ebenso wie Computernetze

mit ein.

Was mich im folgenden interessiert, ist die Beziehung zwischen formalen Beschreibungen

oder Modellen und der damit bezeichneten Realit�at. Ich werde versuchen zu zeigen, da�

sich der Computer hier in eine Entwicklungslinie einordnet, die man als Losl�osung von

der Widerst�andigkeit der Wirklichkeit charakterisieren k�onnte. Diese Entwicklung soll in

drei Schritten nachgezeichnet werden.

An Francis Bacon will ich beispielhaft die Ausgangslage am Beginn der Entwicklung

moderner Natur- und Ingenieurswissenschaften darstellen. Bacon habe ich deshalb

ausgew�ahlt, weil er entgegen der philosophischen Grundtendenz, Schrift als reines Re-

pr�asentationsmittel oder gar als Verfallserscheinung von Sprache zu betrachten, gerade

die Schriftf�ormigkeit wissenschaftlicher Modelle hervorhebt. Bacon vertritt eine klas-

sische korrespendenztheoretische Sicht in bezug auf die Beziehung zwischen Modellen

und beschriebener Wirklichkeit.

Im Rahmen meiner Argumentation stellt die Wahrheitstheorie Alfred Tarskis den ent-

scheidenden Wendepunkt dar. Bei dem Versuch, die Korrespondenztheorie der Wahrheit

zu rehabilitieren, liefert Tarski die Mittel, die Bedeutung formaler Beschreibungen von

142 Der Begri� Artefakt soll hier sehr umfassend f�ur von Menschen Hergestelltes verwendet werden

und sowohl Maschinen, technische Systeme wie auch Programme umfassen.

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der Bindung an eine widerst�andige Wirklichkeit zu l�osen.

Praktisch alle formalen Bedeutungstheorien innerhalb der Informatik, d.h. solche Theo-

rien, die sich mit der Semantik von Programmier-, Spezi�kations- und anderen formalen

Sprachen befassen, sind an Tarski orientiert. Tarskis dar�uber hinausgehende Wirkung

auf die Sicht der Disziplin Informatik auf das Verh�altnis von Programm und Realit�at

kann aus meiner Sicht kaum �ubersch�atzt werden.

Im letzten Schritt werde ich mich auf sogenannte virtuelle Realit�aten beziehen, die eine

Art Fluchtpunkt in der Entwicklung von Computern und Computeranwendungen markie-

ren. Hier wird exemplarisch zu zeigen sein, was aus meiner Sicht f�ur informationstechni-

sche Artefakte im allgemeinen gilt, da� es Computer erm�oglichen, Realit�aten technisch

neu zu konstruieren.

4.1 Historische Vorerinnerung: Francis Bacon

Francis Bacon (1561 - 1626) entwickelt in scharfer Abgrenzung von der scholastisch,

aristotelischen Tradition und ohne auf bedeutende wissenschaftliche Er�ndungen seiner

Zeit Bezug zu nehmen143 neue Grundlagen f�ur die empirischen Wissenschaften. Sein

Werk: `Novum Organum'144 von 1620 ist der methodische Teil eines geplanten, aber

unvollendeten Werkes zur vollst�andigen Erneuerung der Wissenschaften: `Instauration

Magno'.

Bacon beansprucht, eine \wahre Anleitung zur Interpretation der Natur", so der Unterti-

tel des Neuen Organon, zu liefern. Er sieht die Ein �usse auf die menschliche Erkenntnis,

er nennt sie Idole145, durch sinnliche Beschr�ankungen, individuelle Besonderheiten, Kul-

tur und Sprache, theoretische Weltmodelle sehr klar. Gleichzeitig ist er aber �uberzeugt,

da� diese Einschr�ankungen �uberwunden werden k�onnen und wahre Erkenntnis mit Hilfe

wissenschaftlicher Methoden m�oglich ist.146

Der Anspruch, eine wahre Interpretation der Natur liefern zu k�onnen, setzt seinerseits

voraus, da� es eine einzige gegebene Wirklichkeit gibt und da� diese auch erkennbar ist.

Es k�onnen wahre S�atze �uber die Welt, ganz im Sinne einer Abbild- oder Korrespondenz-

theorie der Wahrheit, ausgesagt werden. \Denn was w�urdig ist zu existieren, das ist

auch Wert, erkannt zu werden, denn das Wissen ist das Abbild des Seins." (essentiae

imago)147

Bacons Methode der `wahren Induktion', auf die ich ansonsten nicht genauer eingehen

143 Galilei 1564 - 1642, Kepler 1571 - 1630

144 [ Bacon NO ]. Die Zitierung erfolgt nach Buch (I, II) und Nummer des Aphorismus.

145 vgl. [Bacon NO ] I 39 - 44

146 vgl. [Bacon NO ] I 40

147 [ Bacon NO ] I 120

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will, ist ein wesentlich schriftgebundenes Verfahren. Seine erste Forderung gegen eine

durch Ged�achtnis und Intuition geleitete wissenschaftliche Forschung betri�t die syste-

matische Aufzeichnung von Erfahrungen.

\Und doch hat man bisher beim Entdecken weit mehr mit blo�em Nachdenken als mit

Aufzeichnungen gearbeitet, auch sind die Erfahrungen bisher nicht schriftlich nieder-

gelegt worden. Aber keine Er�ndung ist zufriedenstellend, wenn sie nicht schriftlich

vorliegt. Kommt nun diese Methode in �Ubung, so kann man von einer erst schriftlich

niedergelegten Erfahrung Besseres erho�en."148

Bacon bedient sich hier Mitteln, vor allem vollst�andiger Listen oder Tafeln, in denen z.B.

positive und negative Beispiele aufgez�ahlt werden, die an die Zweidimensionalit�at des

graphischen Mediums gebunden sind.149

Auf Basis solcher Datensammlungen ist die induktive Methode als regelgeleitete Ab-

leitungsmethode konzipiert, die den wissenschaftlichen Fortschritt unabh�angig von der

Genialit�at einzelner Forscher machen soll.150 Bacon entwickelt allerdings kein syntak-

tisches Ableitungsverfahren, er de�niert keinen formalen Kalk�ul. Ihm schwebt zwar so

etwas wie eine automatische Ableitung von neuem Wissen vor, seine Regeln sind aber

eher semantische denn syntaktische. Nichtsdestotrotz gilt Bacon die Mathematisierbar-

keit als Ziel oder Ideal erkenntnisorientierter Wissenschaft. \Am besten aber schrei-

tet die Naturforschung voran, wenn das Physische im Mathematischen seine Begren-

zung hat."151 Schriftliche, am besten mathematische, Formulierungen gelten also als

ad�aquate Beschreibungsmittel der Wirklichkeit und Voraussetzung f�ur wissenschaftlichen

und technischen Fortschritt.

Zusammen mit der These von der vollst�andigen Erkennbarkeit der Welt ergibt sich daraus,

da� auch die Wirklichkeit schriftf�ormig strukturiert sein mu�. Bacon selbst spricht vor

allem von einfachen Eigenschaften, die er mit Elementen der Schrift vergleicht152, und

auch von einzelnen K�orpern, die dann wiederum gesetzm�a�ig zusammenwirken153. Die

Welt zerf�allt also analog zu ihrer Beschreibung in disjunktive, endlich di�erenzierbare

Einheiten.

Galilei formuliert diese These von der Schriftf�ormigkeit der Welt ausgehend von geome-

148 [ Bacon NO ] I 101

149 vgl. [Bacon NO ] I 102, II 10

Im zweiten Teil des Werkes f�uhrt Bacon solche Tabellen vor, die aus heutiger Sicht allerdings ziemlich

willk�urlich zusammengestellt erscheinen.

150 \Denn mein Weg in den Wissenschaften Entdeckungen zu machen, stellt die Geister fast gleich

und l�a�t f�ur �uberragende F�ahigkeiten Einzelner wenig Raum, da alles durch bestimmte Regeln und

Hinweise festgelegt ist." [ Bacon NO ] I 122

151 [ Bacon NO ] II 8

152 vgl. [Bacon NO ] II 8

153 vgl. [Bacon NO ] II 2 und [ Bacon NO ] II 17

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trischen Modellen explizit:

\Die Philosophie ist in dem gro�en Buch niedergeschrieben, das immer o�en vor

unseren Augen liegt, dem Universum. Aber wir k�onnen es erst lesen, wenn wir die

Sprache erlernt und uns die Zeichen vertraut gemacht haben, in denen es geschrieben

ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, deren Buchstaben Dreiecke,

Kreise und andere geometrische Figuren sind; ohne diese Mittel ist es dem Menschen

unm�oglich, auch nur ein einziges Wort zu verstehen."154

Auch im Bereich informatischer Modellbildung ist diese These nach wie vor virulent.

Entwickler von Programmier-, Spezi�kations- und Systemanalysesprachen erheben

immer wieder den Anspruch, mittels einer endlichen Zahl von formalen Konstrukten die

Mittel zu einer naheliegenden, ad�aquaten und vollst�andigen Beschreibung der Wirklich-

keit zu liefern. Selbst aktuelle Entwicklungen, wie objektorientierte Programmierung

und Softwareentwicklung, werden einleitend damit begr�undet, die Welt bestehe aus

Objekten und Beziehungen zwischen ihnen, also genau aus den Entit�aten, die den

Beschreibungsmitteln korrespondieren.155

Zusammenfassend ergibt sich damit in bezug auf die Anf�ange neuzeitlicher Wis-

senschaft dreierlei. Im Selbstverst�andnis dieser Wissenschaft, Bacon und Galilei k�onnen

hier als exemplarische Vertreter angesehen werden, ist die Welt unabh�angig von ihrer

Beschreibung gegeben, und sie ist im Prinzip auch vollst�andig erkennbar. Es gibt eine

Pr�aferenz f�ur schriftliche oder spezieller mathematische Symbolschemata, die, so die

Annahme, die Struktur der Welt ad�aquat abbilden. Es liegt ein klares Primat bei der

gegebenen Wirklichkeit, schriftliche Modelle sind lediglich sekund�are Beschreibungen,

die immer an die eine Realit�at r�uckgebunden bleiben.

Rekonstruiert man dieses Weltverst�andnis aus einer konstruktivistischen Perspektive, so

werden hier die Eigenschaften des Beschreibungsmittels auf die semantische Ebene, auf

das, was beschrieben wird, �ubertragen. Mittels Schrift wird eine schriftf�ormige Welt

erzeugt. In diesem Sinne kann bereits hier von einer Konstruktion von Realit�at durch

Schrift gesprochen werden kann.156

154 Galilei im Saggiatore von 1623, zitiert nach [ Blumenberg 1965 ] S. 51. Zur Methapher vom

`Buch der Natur' vgl. auch Hans Blumenberg `Die Lesbarkeit der Welt' [ Blumenberg 1981 ].

155 \On the one hand, it is about the objects of the physical reality our systems are dealing with

(. . . ). On the other hand, the software does not directly deal with these but with appropriate computer

representations, which also may be called objects." [Meyer 1988 ] S. 67f

156 Florian R�otzer konstatiert hier mit Hinweis auf fr�uhneuzeitliche Utopien, nicht zuletzt Bacons

`Neuatlantis': \Was heute (. . . ) als Einsicht des radikalen Konstruktivismus gilt, da� wir die erfahrbare

Welt erzeugen, ohne da� eine unmittelbare �Ubereinstimmung von Gegenst�anden und den im Gehirn oder

den Maschinen gebildeten `Abbildern' existiert, ist bereits die M�oglichkeitsbedingung neuzeitlicher Wis-

senschaft gewesen, die etwa ausgehend von mathematischen oder geometrischen Modellen Wirklichkeit

nicht mehr beschreibt, sondern (re)konstruiert." [ R�otzer 1991b ] S. 49f

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4.2 Objekt- und Metasprache: Alfred Tarski

Alfred Tarski (1901 - 1983) gilt als einer der ein u�reichsten Logiker dieses Jahrhunderts.

Er lieferte wesentliche Beitr�age zur Semantiktheorie formaler Sprachen. Ich beziehe mich

hier im wesentlichen auf seine fr�uhen Arbeiten: \Der Wahrheitsbegri� in den formalisier-

ten Sprachen"157 und \Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen

der Semantik."158.

Die Semantikkonzeption Tarskis159 liefert wichtige Vorraussetzungen daf�ur, zu verste-

hen, inwiefern Computer als Mittel zur Konstruktion von Realit�at durch Schrift ver-

standen werden k�onnen. Ich will in diesem Abschnitt zuerst die Grundprinzipien der

Tarskischen Semantik darstellen und diskutieren. Dann soll an einem Beispiel gezeigt

werden, wie die Tarskische Konzeption in der Informatik angewendet wird. Schlie�lich

will ich erl�autern, was sich hier ver�andert in Bezug auf die Frage, auf was sich formale

Ausdr�ucke beziehen.

4.2.1 Grundlagen der Tarskischen Konzeption

Tarskis Ziel ist eine Pr�azisierung der Frage nach semantischen Begri�en, zu denen er

auch den Wahrheitsbegri� z�ahlt. Er strebt eine De�nition dieser Begri�e f�ur einzelne

Sprachen an. Gegenstand seiner Untersuchungen sind formale Sprachen, in dem hier

vertretenen Verst�andnis also Schriften.160

Tarski selbst versteht seine Arbeit als einen Beitrag zur Korrespondenztheorie der

Wahrheit.161 \Die Semantik ist eine Disziplin, die sich - grob gesprochen - mit be-

stimmten Beziehungen zwischen Ausdr�ucken einer Sprache und den Gegenst�anden (oder

`Sachverhalten') befa�t, auf die die Ausdr�ucke sich `beziehen'."162

Eine De�nition des Wahrheitsbegri�s f�ur nat�urliche Sprachen h�alt er f�ur aussichtslos,

weil die Umgangssprache \nichts `Fertiges', Abgeschlossenes, durch deutliche Grenzen

Umrissenes"163 ist; sie enth�alt mehrdeutige Ausdr�ucke, und sie ver�andert sich. Zwei-

157 [ Tarski 1935a ]

158 [ Tarski 1944 ]

159 Zur geschichtlichen Einordnung der Tarskischen Semantik siehe: Ernst Tugendhat `Tarskis

semantische De�nition der Wahrheit und ihre Stellung innerhalb der Geschichte des Wahrheitsproblems

im logischen Positivismus' ([ Tugendhat 1960 ] insbesondere S. 201 - 210). Eine einf�uhrende Darstellung

in Leben und Werk gibt Reinhard Kamintz in [ Kamintz 1992 ].

160 Tarski charakterisiert formale oder formalisierte Sprachen syntaktisch im wesentlichen analog

zu der in Kapitel 3 gegeben Beschreibung. Zur Charakterisierung einer formalisierten Sprache geh�oren

bei ihm weiterhin Grunds�atze, oder Axiome, und Folgerungsregeln, sowie eine Interpretation der nicht-

logischen Konstanten. (vgl. [ Tarski 1935a ] S. 279� und [ Tarski 1944 ] S. 147f)

161 vgl. [Tarski 1944 ] S. 143 und [ Tarski 1935a ] S. 265

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tens, und das ist aus logischer Sicht problematischer, enthalten nat�urliche Sprachen

semantische Begri�e (Wahrheit, Erf�ulltsein, Bezeichnen, Folgerung, etc.164), die auf alle

Ausdr�ucke der Sprache selbst angewendet werden d�urfen. In solchen Sprachen sind aber

Antinomien, wie die des L�ugners formulierbar, die zu Widerspr�uchen f�uhren.165 Eine

logische Theorie, die einen Widerspruch enth�alt ist jedoch, salopp gesprochen, sinnlos,

denn in ihr k�onnen alle S�atze als wahr gefolgert werden.

Tarski umgeht diese Schwierigkeit, indem er Sprachen behandelt, die keine auf sie selbst

anwendbaren semantischen Begri�e enthalten. Er nennt eine Sprache, f�ur die semanti-

sche Begri�e de�niert werden, Objektsprache. Die De�nition etwa des Wahrheitsbegri�s

erfolgt in einer anderen Sprache, der Metasprache, in der �uber die Objektsprache gespro-

chen (genaugenommen geschrieben) wird.

Die Metasprache mu� dazu mindestens drei Arten von Termini enthalten: Allgemein lo-

gische Termini, wie `dann und nur dann wenn', die n�otig sind, um �uberhaupt De�nitionen

aufzuschreiben; Namen f�ur alle Ausdr�ucke der Objektsprache, um �uber diese Ausdr�ucke

reden zu k�onnen; die Objektsprache selbst oder �Ubersetzungen166 f�ur alle Ausdr�ucke

der Objektsprache.

Semantische Terme, wie `ist wahr', die ebenfalls in der Metasprache vorkommen, sollen

nur durch De�nition eingef�uhrt werden.167 Solche De�nitionen beziehen sich immer auf

eine konkrete Objektsprache, eine allgemeine De�nition semantischer Begri�e h�alt Tarski

f�ur aussichtslos oder unsinnig.168

162 [ Tarski 1944 ] S. 146

Tugendhat kritisiert Tarski, insofern er Wahrheit als Pr�adikat von S�atzen au�a�t und nicht auf Urteile

bezieht. (vgl. [ Tugendhat 1960 ] S. 193) Ich will mich mit diesem Einwand hier nicht auseinander-

setzten, teile aber Tarskis Au�assung, da� semantische Begri�e auf syntaktische Ausdr�ucke, letztlich

Realisierungen von Ausdr�ucken, angewendet werden.

163 [ Tarski 1935a ] S. 277

164 Zu semantischen Begri�en vgl. z.B. [ Tarski 1935a ] S. 375f.

Tarski scheint den Folgerungsbegri� nicht zu den semantischen Begri�en zu rechnen. Ich sehe allerdings

keine Schwierigkeit, Folgerung als semantischen Begri� in Abgrenzung zu Ableitung als syntaktischem

Begri� zu verwenden.

165 vgl. [Tarski 1935a ] S. 270f und [ Tarski 1944 ] S. 151

Eine m�ogliche Formulierung solch einer Antinomie in der nat�urlichen Sprache w�are: \Der Satz nach

dem Doppelpunkt in Fu�note 165 auf Seite 49 ist falsch." Dieser Satz ergibt einen Widerspruch, da

aus seiner Wahrheit seine Falschheit gefolgert werden kann und umgekehrt.

166 Auf das Problem, inwieweit die �Ubersetzung oder die Identit�at von meta- und objektsprachlichen

Ausdr�ucken selbst eine semantische Beziehung bezeichnet, will ich hier nicht eingehen, da mich die

Frage nach dem Verh�altnis von sprachlichen Ausdr�ucken und Realit�at st�arker interessiert. F�ur formale

Sprachen ist die �Ubersetzung dar�uberhinaus in der Regel durch De�nitionen beschrieben, und insofern

unproblematisch.

(vgl. dazu [ Fields 1972 ] S. 355 und [ Fernandez Morena 1992 ] S. 140 - 144)

167 vgl. [Tarski 1944 ] S. 152f und [ Tarski 1935a ] S. 282

168 vgl. [Tarski 1935a ] S. 388

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In der Metasprache k�onnen semantische Aussagen �uber die Objektsprache formuliert

werden wie:

(1) `Schnee ist wei�' ist wahr dann und nur dann, wenn Schnee wei� ist.

(2) `It snows' ist wahr dann und nur dann, wenn es schneit.

(3) Der Stuhl erf�ullt die Aussagefunktion `x hat vier Beine' dann und nur dann, wenn

der Stuhl vier Beine hat.

(4) A folgt B dann und nur dann, wenn jedes Modell von A auch ein Modell von B

ist.

Die erste Formulierung wirkt auf den ersten Blick trivial bzw. tautologisch, es handelt

sich jedoch, wie (2) deutlicher zeigt auf der linken Seite um den Namen des Ausdrucks

der Objektsprache (durch Anf�uhrungszeichen kenntlich gemacht) und auf der rechten

Seite um den Ausdruck selbst in der Metasprache (bei (1)) oder dessen �Ubersetzung

(bei (2)). Der Eindruck, es handle sich um eine Tautologie, entsteht dadurch, da�

die S�atze umgangssprachlich gelesen werden, wo aber Objekt- und Metasprache nicht

getrennt sind.

Die allgemeine Formulierung f�ur S�atze, die als partielle Wahrheitsde�nitionen verstanden

werden k�onnen, lautet:

(W) X ist wahr dann und nur dann, wenn p.

wobei X der Name des objektsprachlichen Satzes ist und p der Satz selbst in der Meta-

sprache.

Betrachtet man formale Sprachen, so sind solche De�nitionen keineswegs trivial. In

Beispiel (4) k�onnen A und B beispielsweise f�ur pr�adikatenlogische Ausdr�ucke stehen,

wobei der Begri� der Folgerung auf den metasprachlichen Begri� Modell zur�uckgef�uhrt

wird. In allen Beispielen mu� allerdings vorausgesetzt werden, da� klar ist, wie der

Ausdruck auf der rechten Seite zu verstehen ist.169

S�atze, wie die oben genannten, erregen nach Tarski \bez�uglich der Klarheit ihres In-

haltes und der Korrektheit ihrer Form im allgemeinen keinen Zweifel (freilich unter der

Voraussetzung, dass die Aussagen," die jeweils auf der rechten Seite analog zu p in Satz

(W) stehen, \keinen derartigen Zweifel erregen)"170. Um das wiederum formal zu

behandeln, bedarf es einer Meta-Metasprache. \Auf diese Weise gelangen wir zu einer

ganzen Hierarchie von Sprachen."171

Da es auch aus formalen Gr�unden keine universelle Metasprache geben kann172, k�onnen

169 Tugendhat macht geltend, da� man nur dann nicht lediglich Syntax mit Syntax in Beziehung

setzt, wenn man auf den Gebrauch der (Meta-)Sprache rekurriert. (vgl. [ Tugendhat 1960 ] S. 213f)

170 vgl. [Tarski 1935a ] S. 270

171 [ Tarski 1944 ] S. 152

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im Tarskischen Rahmen semantische Begri�e immer f�ur bestimmte Sprachen in bezug

auf eine Metasprache erkl�art oder de�niert werden.

Tarski verwendet eine doppelte Strategie, um aus der im Prinzip unendlichen Hierarchie

von Meta-. . .Metasprachen herauszukommen. Er f�uhrt alle semantischen Begri�e auf

den Begri� der Erf�ullung zur�uck, und er bricht die Hierarchie der Metasprachen bei der

Sprache der Mengenlehre als Meta- bzw. Meta-Metasprache ab.

4.2.2 Der Erf�ullungsbegri�

Tarski f�uhrt alle semantischen Begri�e auf den Begri� der Erf�ullung zur�uck, weil er ihn

f�ur den semantischen Begri� h�alt, dessen De�nition \verh�altnism�a�ig geringe Schwierig-

keiten macht"173.

\Zu den fundamentalen Begri�en der Semantik geh�ort der Begri� des Erf�ulltseins ei-

ner Aussagefunktion durch einzelne Gegenst�ande, bzw. eine Folge von Gegenst�anden.

Es w�are �uber �ussig, den Inhalt dieses Begri�s hier n�aher zu kl�aren; der inhaltliche Sinn

solcher Redewendungen wie: Johann und Peter erf�ullen die Bedingung `X und Y sind

Br�uder', das Tripel von Zahlen 2, 3 und 5 erf�ullt die Gleichung `x + y = z', kann

doch keinen Zweifel hervorrufen."174

Eine Aussagefunktion ist, wie die Beispiele zeigen, ein Ausdruck bei dem (nichtlogische)

Konstanten durch Variablen ersetzt wurden.

In `Der Wahrheitsbegri� in den formalisierten Sprachen' charakterisiert Tarski den Be-

gri� des Erf�ullens einer Aussagefunktion durch Gegenst�ande, oder genauer durch eine

Folge von Gegenst�anden175, pr�aziser und de�niert ihn f�ur eine bestimmte Sprache, die

des Klassenkalk�uls. Eine solche De�nition erfolgt in der Regel rekursiv, indem erkl�art

wird, welche Gegenst�ande einfache Aussagefunktionen erf�ullen, und dann f�ur alle syn-

taktischen Konstruktoren (z.B. logische Junktoren oder Quantoren) erkl�art wird, wie

sich die Erf�ullbarkeit komplexer, zusammengesetzter Ausdr�ucke auf die Erf�ullbarkeit ein-

facherer Ausdr�ucke zur�uckf�uhren l�a�t.176 Allgemein m�ussen aus einer De�nition des

172 Eine Metasprache mu� immer Variablen von h�oherem Typ als ihre Objektsprache enthalten.

Da solch eine Sprache f�ur alle Sprachen endlicher und unendlicher Ordnung Metasprache sein m�u�te,m�u�te sie selbst beliebig hoher unendlicher Ordnung sein. In solchen Sprachen lassen sich aber wiederum

Antinomien formulieren. (vgl. [ Tarski 1935a ] S. 363 - 390, insbesondere S. 370f)

173 [ Tarski 1935b ] S. 6

174 [ Tarski 1935c ] S. 8; vgl. auch [ Tarski 1935a ] S. 308 und [ Tarski 1935b ] S. 4f

175 Da� Tarski den Begri� des Erf�ullens einer Aussagefunktion in Bezug auf Folgen von Ge-

genst�anden de�niert, hat technische Gr�unde. In der Konsequenz besagt auch die Rede von Folgen nur,

da� jeder (freien) Variablen in bezug auf eine bestimmte Folge genau ein bestimmter Gegenstand zuge-

ordnet wird. Folgenglieder, die keiner Variablen zugeordnet sind, werden einfach nicht ber�ucksichtigt.

(vgl. [ Tarski 1935a ] S. 309) Wenn ich im folgenden von Erf�ullung durch Gegenst�ande spreche, sind

immer auch Tupel und Folgen von Gegenst�anden mit gemeint.

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Erf�ullbarkeitsbegri�s f�ur eine Objektsprache alle S�atze der folgenden Form in der Meta-

sprache folgen:

(E) Die Folge f erf�ullt der Aussagefunktion X dann und nur dann wenn p.177

Dabei ist f eine Folge von Gegenst�anden, X der Name der Aussagefunktion und p die�Ubersetzung der Aussagefunktion in der Metasprache, wobei die Variablen durch die

Symbole f�ur die entsprechenden Gegenst�ande ersetzt werden.178

Auch der Erf�ullungsbegri� kann jeweils nur f�ur eine einzelne Objektsprache de�niert

werden. F�ur den Klassenkalk�ul gibt Tarski solch eine De�nition an, die keine weiteren

semantischen Begri�e mehr enth�alt. Resultat dieser De�nition ist, wie f�ur jede anderer

Sprache auch, eine zweistellige Relation.179

Die Erf�ullungsrelation besteht zwischen Gegenst�anden, die zum Bereich der Variablen

einer Sprache geh�oren, und Namen von Ausdr�ucken, genauer Aussagefunktionen, einer

Objektsprache. Diese Erf�ullungsrelation ist der Kern, auf den Tarski semantische Bezie-

hungen reduziert. Da in ihrer De�nition keine semantischen Begri�e mehr vorkommen,

scheint die Zur�uckf�uhrung semantischer Begri�e auf rein mengentheoretische Begri�ich-

keiten (Individuen (Gegenst�ande), Mengen, Folgen, Relationen, etc.) erreicht worden zu

sein.

4.2.3 Kritik des Tarskischen Ansatzes

Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob es Tarski wirklich gelungen ist, semantische Bezie-

hungen zu kl�aren, insofern es sich um Beziehungen zwischen Sprache und Gegenst�anden

handelt.

Als unproblematisch gelten die De�nitionen von Erf�ullung insoweit, als sie das Erf�ullen

176 vgl. [Tarski 1944 ] S. 156f und [ Tarski 1935a ] S. 310f

177 vgl. [Tarski 1935a ] S. 310

Diese Forderung ist ganz analog zu der bekannten `Konvention W' f�ur eine angemessene De�nition des

Wahrheitsbegri�s. Diese Konvention besagt, da� aus einer zutre�enden De�nition der Wahrheit alle

S�atze der Objektsprache `X ist wahr dann und nur wenn p' analog zum Satz (3) oben gefolgert werden

k�onnen. (vgl. [ Tarski 1935a ] S. 305f)

178 vgl. [Tarski 1935a ] S. 310

In [ Tarski 1944 ] S. 156 hei�t es \Namen von gegebenen Gegenst�anden" statt Symbole.

179 Eine Relation ist formal eine Menge von geordneten Paaren, intuitiv bezeichnet Relation eine

Beziehung, die zwischen Entit�aten besteht. Die Schreibweise fRX bedeutet, da� zwischen f und X die

Beziehung R besteht.

Die De�nition der Erf�ullungsrelation hat folgende allgemeine Gestalt:

Eine Folge f erf�ullt die Aussagefunktion X dann und nur dann, wenn jede Relation R, welche folgenden

Bedingungen gen�ugt: f�ur beliebige g und y - damit gR y, ist es notwendig und hinreichend, dass g eine

unendliche Folge von Gegenst�anden, y eine Aussagefunktion ist und dass weiterhin gilt [Hier folgt die

f�ur die jeweilige Objektsprache spezi�sche De�nition, die keine semantischen Begri�e mehr enth�alt.] -

auch die Formel: f RX befriedigt. (vgl. [Tarski 1935a ] S. 311, Fu�note 41)

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komplexer Ausdr�ucke auf das Erf�ullen einfacherer Ausdr�ucke zur�uckf�uhren. Die Schwie-

rigkeit liegt darin, den Begri� zufriedenstellend f�ur einfache oder atomare Ausdr�ucke zu

fassen.180

Die Erf�ullungsrelation kann explizit de�niert werden, falls die Sprache nur endlich viele

atomare Ausdr�ucke enth�alt oder Regeln angegeben werden k�onnen, die alle atomaren

Ausdr�ucke erfassen.181 Solch eine listenf�ormige De�nition der Erf�ullungsrelation ist inso-

fern ausreichend, als alle intuitiv ad�aquaten S�atze der Form (E) aus solch einer De�nition

folgen, sofern die De�nitionen f�ur die atomaren Ausdr�ucke ebenfalls ad�aquat sind.

Bez�uglich der Frage, ob mit dieser De�nition eine zufriedenstellende Erkl�arung der se-

mantischen Beziehung erzielt worden ist, sofern sie als Beziehung zwischen sprachlichen

und au�ersprachlichen Gegebenheiten verstanden wird, ist aus meiner Sicht folgender

Kritik zuzustimmen: \Diese Zuordnungen legen die Beziehungen zwischen sprachli-

chen und au�ersprachlichen Entit�aten (und sogar ohne Verwendung von semantischen

Begri�en) fest, aber sie erkl�aren diese Beziehungen �uberhaupt nicht."182

Zwar ist der Erf�ullungsbegri� auf einen mengentheoretischen Begri�, eine Relation,

zur�uckgef�uhrt, die ungekl�arte Korrespondenzbeziehung steckt aber nun in dieser Re-

lation selbst. \Erf�ullung bleibt nach ihrer De�nition mittels nichtsemantischer Begri�e

ein semantischer Begri�."183

Unterstellt man Tarski eine extensionale Sicht, etwa in der Art, da� Individuenkonstanten

Gegenst�ande und Pr�adikatskonstanten Mengen von Gegenst�anden bezeichnen, wobei

Erf�ullung als Zugeh�origkeit von Gegenst�anden zu Mengen, genauer Klassen, verstanden

werden soll, so bleiben die Begri�e Gegenstand und Klassenzugeh�origkeit ungekl�art.184

Wenn die Erf�ullungsbeziehung aber nicht weiter zur�uckgef�uhrt oder erkl�art wird, mu�

wieder vorausgesetzt werden, da� schon vorher verstanden worden ist, welche Ge-

genst�ande welche atomaren Aussagefunktionen erf�ullen.185 Ansonsten steht die Re-

lation f�ur atomare Aussagen der freien De�nition o�en.

180 vgl. [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 161f

181 Fields f�uhrt den Erf�ullungsbegri� auf drei aus seiner Sicht noch einfachere semantische Be-

gri�e zur�uck, wobei er anders als Tarski schon eine bestimmte Struktur der Metasprache (Individuen-,

Pr�adikats- und Funktionskonstanten) unterstellt. (vgl. [ Fields 1972 ] S. 350f)

Da sich Tarski nicht explizit auf eine bestimmte Struktur der Metasprache festlegt, scheint es ange-

messen, ihn auf Ebene des Erf�ullungsbegri�s zu kritisieren. Die Kritik, die Fields in bezug auf die von

ihm als primitiv angesehenen Begri�e �au�ert, kann analog in bezug auf den Erf�ullungsbegri� formuliert

werden.

182 [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 166

Siehe auch [ Fields 1972 ] S. 375: \I think, that the reason why Tarski's theory of truth (. . . ) has

seemed so uninteresting to so many people is that it contains (. . . ) vacuous semantic theories (. . . )

for the primitives of the language."

183 [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 71

184 vgl. [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 105f

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F�ur formale Sprachen ist eine solche explizite De�nition der Erf�ullungsrelation aber in

vielen F�allen unproblematisch und ausreichend, da hier semantische Begri�e nicht von

den Sprechern und dem Gebrauch der Sprache abh�angen.186

Es bleibt festzuhalten, da� das Problem der Beziehung zwischen Realit�at und Aussagen

auch von Tarski nicht gekl�art wird, da die Erf�ullungsrelation zwar de�niert, aber nicht

zufriedenstellend erkl�art werden kann.

Die n�achste Frage, die sich stellt, ist, von welcher Art die Gegenst�ande sind, die

die eine Seite der Erf�ullungsrelation bilden. Dabei will ich zun�achst noch unterstellen,

da� es unproblematisch ist, sich in der Metasprache mit Ausdr�ucken auf Gegenst�ande

zu beziehen.

Tarski ist nach seinem eigenen Verst�andnis ontologisch und erkenntnistheoretisch neutral,

er macht keine Aussagen �uber die Art der Gegenst�ande und �uber ihre Erkennbarkeit.

\Wir k�onnen naive Realisten bleiben, kritische Realisten, Idealisten, Empiristen oder

Metaphysiker - was immer wir vorher gewesen sein m�ogen. Die semantische Konzeption

ist hinsichtlich all dieser Standpunkte neutral."187

In den Tarskischen Beispielen kommen so unterschiedliche Gegenst�ande wie Zahlen (ab-

strakte Gegenst�ande), Personen (Individuen), Schnee (empirische Begri�e) und Klassen

(Mengen von Gegenst�anden) vor, und werden auf die gleiche Art und Weise behandelt.

Tarski legt sich nicht auf eine ontologische Interpretation diese Gegenst�ande fest.188

Trotzdem impliziert die Tarskische Sicht eine bestimmte Struktur der Wirklichkeit. Fer-

nandez Moreno schreibt dazu:

\Ich bestreite jedoch diesen angeblichen ontologischen Relativismus der Wahrheits-

theorie Tarskis, da in der Metametasprache eine Ontologie (von Individuen aus der

aktuellen Welt und von auf ihnen basierenden mengentheoretischen Entit�aten) vor-

ausgesetzt wird, (. . . )189

185 Fields schl�agt hier eine Rekurs auf die Sprecher, d.h. den Gebrauch der Sprache, vor, um

semantische Beziehungen zu erl�autern. (vgl. [ Fields 1972 ] S. 371)

Tugendhat interpretiert die Erf�ullungsrelation als Beziehung zwischen S�atzen und Urteilen. Die Tarski-

sche De�nition ber�uhrt f�ur ihn das philosophische Wahrheitsproblem gar nicht, weil es die Beziehung

zwischen Urteilen und Sachverhalten zum Gegenstand hat. Die Frage nach dieser Beziehung mu� aber

nach Tugendhat in Verbindung mit der Frage nach Veri�kation gestellt werden. (vgl. [Tugendhat 1960 ]

S. 196f)

186 vgl. [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 123

Allgemein unumstritten ist die N�utzlichkeit der Tarskischen Methode in Bezug auf eine modelltheoreti-

sche Behandlung formaler Sprachen. (vgl. [ Fields 1992 ] S. 351 und S. 356 und [ Tugendhat1960 ] S.

191 und 197�)

187 [ Tarski 1944 ] S. 169

188 vgl. [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 103

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�Ahnlich, wie wir es bei Bacon und Galilei gesehen hatten, kann man also auch Tarski so

interpretieren, da� er die Wirklichkeit analog zu mathematischen Strukturen konstruiert.

4.2.4 Anwendung der Tarski-Semantik in der Informatik

Bevor ich auf die Frage eingehe, wieso ich die Tarskische Konzeption f�ur das Verst�andnis

informatischer Artefakte f�ur wesentlich halte, will ich kurz an einem Beispiel aus dem

Grenzbereich zwischen theoretischer Informatik und Softwaretechnik darstellen, wie die-

se Konzeption in der Informatik aufgegri�en wird. Das Beispiel einer algebraischen

Spezi�kationssprache190 ist relativ zuf�allig ausgew�ahlt, kann aber als besonders zuge-

spitzte Variante f�ur die Konstruktion von Semantik aus Schriftzeichen gelten.

Mit der hier betrachteten formalen Sprache k�onnen sogenannte Gleichungsspezi�kationen

erstellt werden. Eine Spezi�kation eines bestimmten Problems besteht aus einer Signatur

und Gleichungen. Eine Signatur ist die syntaktische De�nition einer speziellen formalen

Sprache wie sie in Kap. 3 charakterisiert wurde, d.h. sie legt fest, welche syntaktischen

Ausdr�ucke (Terme) gebildet werden d�urfen. Die Gleichungen entsprechen Axiomen und

besagen, welche Terme gleich sein sollen (etwa: N + M = M + N).191

Die Metasprache f�ur die semantische Beschreibung der Spezi�kationen ist die Sprache

der Mathematik, genauer der universellen Algebra. Algebren sind ein bestimmter Typ

von mengentheoretisch formulierbaren mathematischen Strukturen.192Die semantischen

Begri�e f�ur die Spezi�kationssprache werden mit Hilfe von Modellen de�niert. Modelle

sind Folgen von Gegenst�anden (hier Individuen und Funktionen), die die Gleichungen

erf�ullen.193

Die Konstruktion der Modelle f�ur eine Spezi�kation erfolgt nun wie folgt:194 Zuerst wird

eine sogenannte Termalgebra konstruiert, d.h. eine mathematische Struktur, die als

Elemente ihrer Mengen Terme enth�alt; und zwar genau die syntaktischen Objekte, die

mit der Signatur der Spezi�kation gebildet werden k�onnen.195 Die weitere Konstruktion

des sogenannten initialen Modells ist recht kompliziert und hier auch nicht relevant.

189 [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 103

190 Ich beziehe mich im folgenden auf Hartmut Ehrig und Bernd Mahr: Fundamentals of Algebraic

Speci�cation 1 [ Ehrig und Mahr 85 ].

191 Bei Programmiersprachen entspricht die Deklaration der Signatur und das Programm den

Gleichungen.

192 Eine Algebra ist eine mathematische Struktur mit eventuell mehreren Mengen und Funktionen

auf den Elementen dieser Mengen. Ein Vektorraum ist ein Beispiel f�ur eine Algebra mit zwei Mengen:

Einer Menge von Zahlen Z und einer Menge von Vektoren V, und u.a. den Funktionen: Vektoraddition

(V � V ! V ) und Skalarmultiplikation (Z � V ! V).

193 Das entspricht der De�nition, die auch Tarski gibt. (vgl. [ Tarski 1935c ] S. 8)

194 vgl. [ Ehrig und Mahr 85 ] insbesondere S. 62 - 88

195 Eine �ahnliche Konstruktion erfolgt bei sogenannten Herbrand-Modellen in der Logik.

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Es entsteht schlie�lich als Modell eine Algebra, die als Objekte, sprich als Elemente

ihrer Mengen, Mengen von Termen enth�alt. Auf diese Weise kann jeder konkreten

Spezi�kation eine mathematische Struktur als ihre Bedeutung zugeordnet werden. Dabei

sind die Objekte in diesem mathematischen Raum selbst wieder syntaktische Objekte,

n�amlich Terme der selben formalen Syntax.

Dieses mathematische Modell wird in dem Sinne verstanden, da� es beschreibt, was

mit der Spezi�kation gemeint ist. Oder anders formuliert, dieses Modell hat die

gleiche Struktur wie der aktuelle Weltausschnitt, den die Spezi�kation beschreiben soll.

Diese eins zu eins Abbildung oder Isomorphie zwischen metasprachlicher Algebra und

Wirklichkeit wird wiederum als unproblematisch vorausgesetzt, zumindest wird sie kaum

bis gar nicht thematisiert.

Das diskutierte Beispiel zeigt, wie die Tarskische Konzeption f�ur eine informati-

sche Sprache �ubernommen wird. Schriftlicher Ausdr�ucke nach einer formalen Syntax in

der Objektsprache, werden in einen symbolischen Raum, den der Metasprache Mathe-

matik, r�uckgebunden. Das beschriebene Prinzip gilt f�ur fast alle Semantikkonzeptionen

innerhalb der Informatik.196

Eine g�angige Vorstellung ist, konkrete syntaktische Ausdr�ucke zu abstrakten Informa-

tionen in Beziehung zu setzen. Die Struktur dieser Welt von Informationen wird dabei,

wenn sie nicht direkt aus idealen mathematischen Entitaten besteht, so doch analog zur

syntaktischen Struktur gedacht, denn jedem syntaktischen Ausdruck kann eine Informa-

tion zugeordnet werden.197 Der semantische Bereich mu� also schriftf�ormig strukturiert

sein. Mengen abstrakter Informationen entsprechen damit den mengentheoretischen

Strukturen, auf die Tarski die Bedeutung objektsprachlicher Ausdr�ucke zur�uckf�uhrt.

Die Beziehung zwischen Metasprache und dem, was sie beschreibt, mu� auch hier als

verstanden vorausgesetzt werden.198 Dabei bleibt diese Beziehung doppelt unklar, und

zwar sowohl als Beziehung zwischen metasprachlicher Syntax und abstrakten Informatio-

nen als auch als Beziehung zwischen abstrakten Informationen und realen Gegenst�anden

und Sachverhalten.

196 In der sogenannten denotationellen Semantik, die z.B. f�ur funktionale Programmiersprachen

benutzt wird, ist die Bedeutung eines Programmes eine Funktion oder Relation. Von diesem mathema-

tischen Objekt kann f�ur jeden Ausdruck der Sprache lediglich die Existenz (als Fixpunkt) sichergestellt

werden. Jedes Programm hat also eine Bedeutung, wenn sie auch bei gr�o�eren Programmen praktisch

nicht explizit gemacht werden kann. Auch f�ur operationale oder prozedurale Semantiken gilt, da� sie

sich zwar an der Abarbeitung von Programmen orientieren, aber mit einem rein formalen, syntaktischen

Ableitungsbegri�, der mengentheoretisch als Relation de�niert wird, auskommen.

197 Diese Vorstellung wird bereits in dem, zumindest in Deutschland, sehr ein u�reichen und nach

wie vor verwendeten Informatik-Lehrbuch von F.L. Baur und G. Goos (Erstau age 1971) vertreten (vgl.

[ Bauer und Goos 1982 ] S. 3 und S. 44f), ist aber auch in neueren Lehrb�uchern nach wie vor pr�asent.

(vgl. z.B. P. Pepper: Grundlagen der Informatik [ Pepper 1992 ] S. 19).

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Die Disziplin Informatik teilt allerdings in ihrer theoretischen Sicht auf Programme und

andere formalsprachliche Ausdr�ucke in weiten Teilen die Tarskische Intuition, die Bezie-

hung zwischen mengentheoretischer Sprache und Wirklichkeit f�ur unproblematisch zu

halten.199

Diese Sicht hatte ich bereits oben in bezug auf Tarski kritisiert, sie ist aus meiner Sicht

auch f�ur das Verst�andnis informatischer Artefakte und ihrer Verwendung irref�uhrend.

4.2.5 Folgerungen

Bisher hatten wir den Tarskischen Ansatz wie folgt diskutiert: Semantische Begri�e

werden in einer Metasprache f�ur eine Objektsprache de�niert. Alle semantischen Be-

gri�e k�onnen auf den Erf�ullungsbegri� zur�uckgef�uhrt werden. Erf�ullung kann wiederum

de�niert werden als Relation zwischen Gegenst�anden und Aussagefunktionen in der Ob-

jektsprache. Die Beziehung zwischen metasprachlichen Ausdr�ucken und der Realit�at wird

als unproblematisch angesehen.

F�ur mathematische und logische Sprachen, wie etwa den Klassenkalk�ul, wo die Rea-

lit�at, auf die sich objektsprachliche Ausdr�ucke beziehen, aus mathematischen oder men-

gentheoretischen Entit�aten besteht, ist eine formale De�nition der Erf�ullungsrelation

zufriedenstellend, da solche Sprachen unabh�angig von ihrem Gebrauch durch eine Ge-

meinschaft von Sprecherinnen sind.

Das gilt nicht mehr f�ur Fragmente der nat�urlichen Sprache oder f�ur empirische Theorien,

auch wenn sie den syntaktischen Anspr�uchen an formalisierte Sprachen gen�ugen. Eine

listenf�ormige De�nition der Erf�ullungsrelation ist nicht ausreichend, um die semantische

Beziehung zwischen Ausdr�ucken und Gegenst�anden zu erkl�aren.

In der Reduktion auf mengentheoretische Begri�e in der Meta- bzw. Metametasprache

sind zwar keine ontologischen Annahmen �uber die Natur der Gegenst�ande, aber solche

�uber die Struktur der Realit�at enthalten.

F�ur Semantiktheorien f�ur informatische Sprachen gelten die genannten Punkte analog.

Dar�uber hinaus werden, wie das Beispiel zeigte, zum Teil auch die Entit�aten, auf die sich

Ausdr�ucke beziehen, rein aus syntaktischen, sprich schriftlichen, Entit�aten konstruiert.

Sofern Programmier- oder Spezi�kationssprachen als Sprachschemata200 aufgefa�t und

198 P. Pepper de�niert exakt Tarskisch: \Die formale Semantik-De�nition einer Informations-

struktur h I: Rep ! Inf i erfolgt durch R�uckf�uhrung auf eine andere (als bekannt vorausgesetzte)

Struktur h I0: Rep0 ! Inf i", wobei Rep die Menge der objektsprachlichen Ausdr�ucke, Rep0 die Menge

der metasprachlichen �Ubersetzungen, Inf die Menge abstrakter Informationen und I und I0 Abbildung

vom syntaktischen in den semantischen Bereich sind. (vgl. [ Pepper 1992 ] S. 25)

199 Pepper deutet das Problem einer pragmatischen Begr�undung der Semantik der Grundbegri�e

an, diese Frage spielt aber auch bei ihm ansonsten keine Rolle. (vgl. [ Pepper 1992 ] S. 25f)

200 Zur Unterscheidung Sprachschema vs. konkrete formale Sprache siehe Kap. 3.

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theoretisch untersucht werden, ist die Tarskische Sicht n�utzlich und sinnvoll. Ihr wesent-

licher Gewinn liegt darin, da� eine Methode bereitgestellt wird, semantische Begri�e,

wie Wahrheit und Folgerung, angewendet auf formale Ausdr�ucke, z.B. Programme,

unabh�angig von abstrakten oder technisch realisierten Ableitungsregeln zu de�nieren.

Dies geschieht im R�uckgri� auf eine allgemein anerkannte und akzeptierte Metasprache,

wie die der (axiomatischen) Mengenlehre.

Betrachtet man jedoch einzelne Programme oder Spezi�kationen als konkrete formale

Sprachen, so kann man sie auch als empirische Theorien �uber den Gegenstandsbereich,

den sie beschreiben und in dem sie angewendet werden, verstehen.201 Es stellt sich dann

die Frage nach dem Bezug schriftlicher Ausdr�ucke zu Wirklichkeiten, die sie beschreiben.

Ebenso wie Tarski den Anspruch erhebt, nicht nur f�ur formale Kalk�ule, sondern auch f�ur

empirische Theorien und formalisierte Fragmente der Umgangssprache eine angemes-

senen Theorie zu liefern, so wird in der Informatik das Tarskische Semantikverst�andnis

sowohl f�ur die Untersuchung von Programmiersprachen als Kalk�ulen als auch f�ur die

Formulierung der Bedeutung konkreter Programme verwendet.

Bis jetzt hatte ich immer noch vorausgesetzt, da� es mit der Metasprache un-

problematisch ist, direkt �uber Gegenst�ande und Sachverhalte in der Welt zu schreiben.

Tarski scheint sich zur Frage der Beziehung zwischen Sprache und Gegenst�anden

einerseits neutral zu verhalten, zumindest beansprucht er erkenntnistheoretische Neu-

tralit�at202, zum anderen spricht er selbstverst�andlich vom Ersetzen von Gegenst�anden

durch Symbole oder Namen.203

\Tarski vermeidet Verp ichtungen zur Interpretation der rechten Seiten der�Aquivalenzen (W) und beschr�ankt sich darauf zu behaupten, da� die Ausdr�ucke in

supposito formalis verwendet werden. (Bez�uglich der rechten Seiten der �Aquivalenzen

(E) h�atte er dasselbe gesagt.)"204

Genau an dieser Stelle bleibt ungekl�art, wie sich die rechten Seiten der Wahrheits- und

der Erf�ullungsde�nition, genauer der Ausdruck p der Metasprache, auf Gegenst�ande oder

Sachverhalte in der Welt beziehen. Ebenso bleibt unklar, wieso die Gegenst�ande auf der

einen Seite der Erf�ullungsrelation in den metasprachlichen Ausdr�ucken einfach durch `ihre

Symbole' ersetzt werden k�onnen. Die Beziehung zwischen Symbolden und Gegenst�anden

mu� o�ensichtlich vorausgesetzt werden.205

201 Peter Naur vertritt diese These in `Programming as Theory Building' [ Naur 1985 ].

202 vgl. [Tarski 1944 ] S. 169

203 vgl. [Tarski 1935a ] S. 310 und [Tarski 1944 ] S. 156

204 [ Fernandez Moreno 1992 ] S. 102; siehe auch [ Tarski 1944 ] S. 144

In supposito formalis bedeutet, da� �uber das, worauf sich die Ausdr�ucke beziehen, gesprochen oder

geschrieben wird, im Gegensatz zu in supposito materialis, wobei �uber die Ausdr�ucke selbst (wie auf

den linken Seiten der �Aquivalenzen) geschrieben wird.

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Hier tri�t Tarski im wesentlichen dieselbe Kritik wie andere Korrespondenztheorien,

denn auch er erkl�art nicht, wie in der Metasprache unproblematisch �uber die Welt

gesprochen werden kann.

L�ost man sich von der korrespondenztheoretischen Grundintention Tarskis, da�

mittels Semantik Beziehungen zwischen Sprache und Welt de�niert werden, ergibt sich

eine neue Sicht, die f�ur die Frage, inwiefern mit Computern Realit�at konstruiert wird,

fruchtbar machen l�a�t. Die Tarskischen De�nitionen k�onnen auch so interpretiert

werden, da� sie lediglich die Beziehung zwischen Objekt- und Metasprache, also

zwischen zwei Schriften, herstellen.206

In der Charakterisierung des metasprachlichen Ausdrucks p in den S�atzen (E) tauchen ex-

plizit Symbole oder Namen f�ur die Gegenst�ande auf. Auch in einer rekursiven De�nition,

aus der diese S�atze folgen, l�a�t sich das nicht vermeiden.

In der direkten De�nition wird die Erf�ullungsrelation207, d.h. eine metasprachliche En-

tit�at, de�niert. Die ungekl�arte Beziehung zwischen sprachlichen Ausdr�ucken und Ge-

genst�anden steckt hier in der spezi�schen De�nition der Erf�ullungsrelation, wo ja �uber

die Gegenst�ande geschrieben wird.208

Jede listenf�ormige Darstellung der Erf�ullungsrelation f�ur atomare Ausdr�ucke setzt eben-

falls immer nur Symbole mit Symbolen in Beziehung und nie mit Gegenst�anden direkt.

Die Pole der Erf�ullungsrelation sind damit objektsprachliche Ausdr�ucke und (Folgen von)

Individuensymbole(n), also mengentheoretische Ausdr�ucke.

Selbst wenn man der Sprache der Mengenlehre einen unmittelbaren Bezug zu abstrakten

mengentheoretischen Gegenst�anden zugesteht, handelt es sich dabei doch um eine zur

Struktur der Schrift zumindest isomorphe Realit�at, wenn nicht um eine durch Schrift

erzeugte Realit�at.

Auf den ersten Blick erscheint es als Verlust, die Erf�ullungsrelation nicht mehr

als Beziehung zwischen Schrift und Wirklichkeit, sondern als Beziehung zwischen zwei

205 Fernandez Moreno res�umiert ([ Fernandez Moreno 1992 ] S. 166): \Man mu� also zu dem

Ergebnis kommen, da� Tarskis Wahrheitstheorie (. . . ) als Korrespondenztheorie aufgefa�t, unzul�anglich

ist, da sie die elementaren semantischen (referentiellen) Beziehungen zwischen Sprache und Wirklichkeit,

n�amlich die Denotations- oder Bezeichnungsrelation f�ur Individuen- und Pr�adikatskonstanten unerkl�art

l�a�t. Es wird also in Tarskis Theorie nicht erkl�art, wie sich Sprache auf Welt bezieht. Der Wirklich-

keitsbezug der Aussages�atze (. . . ) bleibt unerkl�art."

206 \What correspond on the semantic conception are sentences in the object-language and sen-

tences in the meta-language, not sentences and extra-linguistic facts." [ Siegel 1985 ] S. 75

Jennings kritisiert ebenfalls die Au�assung, da� mit Hilfe der Metasprache eher als mit der Objektsprache

selbst direkt �uber die Welt gesprochen werden kann. (vgl. [ Jennings 1983 ] S. 121f)

207 siehe Fu�note 178

208 vgl. z.B. Tarskis De�nition f�ur die Sprache des Klassenkalk�uls [ Tarski 1935a ] S. 311, Fu�note

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Schriften zu verstehen. Diese Losl�osung semantischer Begri�e von widerst�andiger

Wirklichkeit erweist sich aber als Gewinn, indem beliebigen formalen Ausdr�ucken

unabh�angig von einer gegebenen Wirklichkeit, Bedeutung in einem sprachlichen,

genauer schriftlichen, Metaraum zugewiesen werden kann.

Bei Bacon und Galilei als Vertretern neuzeitlicher Wissenschaft war das Verh�altnis von

(formal-)sprachlichen Beschreibungen und Realit�at insofern klar, als immer eine richtige

Beschreibung der Welt angestrebt war. Formale Ausdr�ucke blieben an die widerst�andige

Wirklichkeit r�uckgebunden. Mit der Tarskischen Konzeption von Objekt- und Meta-

sprache ist es nun m�oglich, beliebigen formalen Beschreibungen in der Metasprache

Bedeutung zuzuweisen. Die R�uckbindung an eine Realit�at erfolgt allenfalls noch indi-

rekt �uber die Metasprache. In der Metasprache kann dann erkl�art werden, auf welche

mengentheoretischen Strukturen sich die Ausdr�ucke der Objektsprache beziehen. Be-

deutung von objektsprachlichen Ausdr�ucken ist so ohne Rekurs auf eine widerst�andige

Wirklichkeit zu gewinnen.209

Die Tarskische Semantikkonzeption bietet, so verstanden, ein Hilfmittel zur schriftlichen

Konstruktion mengentheoretischer �ktiver Welten mittels formaler Sprachen.

4.3 Virtuelle Realit�aten

Im vorigen Kapitel hatte ich Tarski auch mit Blick auf seine Rezeption in der Informatik

so interpretiert, da� seine Semantiktheorie es erlaubt, formalsprachliche Modelle nicht

mehr nur in Beziehung zur einer gegebenen Wirklichkeit zu verstehen. Formale Modelle

k�onnen nun vielmehr als Mittel zur Konstruktion vieler denkbarer, vorstellbarer Welten

dienen. Diese Welten sind, soweit wir sie bis jetzt betrachtet haben, abstrakte,

mathematische, aufgeschriebene Welten.

Die Erzeugung von Welten mittels Sprache oder Schrift ist nichts grunds�atzlich

Neues. In literarischen Texten werden immer schon Realit�aten beschrieben, die mehr

oder weniger unabh�angig von widerst�andiger Wirklichkeit sind. Zumindest in der

Vorstellung der H�orerinnen oder Leser werden so neue Welten gescha�en.

In bezug auf formale Sprachen, die gerade als Sprachen der exakten Wissenschaften

gelten, ist diese Sicht jedoch neu.210 Im Gegensatz zu literarischen Texten, ist es hier

m�oglich, mit formalen Beschreibungen �ktionaler Welten rein syntaktisch zu operieren.

209 Diese Losl�osung vom Primat einer vorgegebenen Realit�at zeigt sich auch an der ver�anderten

Verwendung des Modellbegri�s. Urspr�unglich waren Modelle Abbilder (Vor- oder Nachbilder) wirklicher

Originale und so an die Wirklichkeit gebunden. Im Rahmen der logischen Semantik sind Modelle Folgen

von Gegenst�anden (Individuen, Klassen, Funktionen etc.), die Ausdr�ucke erf�ullen. Ein Modell ist jetzt

eine m�ogliche Welt, die auf einen formalen Ausdruck, der quasi das Original ist, bezogen ist. (vgl. auch

[M�uller 1983 ] S. 67)

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Folgerungen und wahre S�atze k�onnen formal deduziert und berechnet werden.

Das hat weiterreichende Konsequenzen, sobald mit dem programmierbaren Compu-

ter eine Maschine zur Verf�ugung steht, die diese syntaktischen Operationen automa-

tisch bewerkstelligt und mit deren Hilfe beliebige schriftliche Modelle, die bis jetzt im

Raum des Fiktionalen verblieben, vom Raum der Symbole in den Raum des Wirklichen

zur�uckprojiziert werden k�onnen.211

Ist traditionelle Technik immer Umsetzung von Modellen in reale Wirkungen in den

Grenzen widerst�andiger Wirklichkeit, so wird hier die Konstruktion formaler Ausdr�ucke

folgenreich, auch wenn sie unabh�angig von widerst�andiger Wirklichkeit sind.

\Computer k�onnen alternative Welten synthetisieren, die sie aus Algorithmen, al-

so Symbolen des kalkulatorischen Denkens, projizieren und die ebenso konkret sein

k�onnen wie die uns umgebende Umwelt. In diesen projizierten Welten ist alles, das

mathematisch denkbar, auch tats�achlich machbar, selbst das, was in der Umwelt

`unm�oglich' ist."212

Zwei Eigenschaften von Computern sind hier wesentlich: Erstens sind Computer univer-

sale symbolische Maschinen und k�onnen deshalb beliebige symbolische Modelle verarbei-

ten. Zweitens steuern Computer Ein- und Ausgabeger�ate, die die Schnittstelle zwischen

symbolischen und erlebbaren Welten bilden, und die letztlich die Transformation symbo-

lischer in erlebbare Realit�at leisten.213 Mit Hilfe der Eingabeger�ate werden Aktivit�aten

aus der wirklichen Welt in die symbolisch repr�asentierte Welt �ubertragen. Mit Hilfe der

Ausgabeger�ate werden symbolische Welten pr�asentiert, und es werden die Folgen von

Aktivit�aten in der wirklichen Welt, die als Folgerungen in der symbolischen Welt be-

rechnet wurden, in die wirkliche Welt zur�uck �ubertragen. Beides zusammen erm�oglicht

Handeln in repr�asentierten Welten.214

Die Grenzen der Realisierung schriftlicher Modelle werden lediglich bestimmt durch Gren-

zen algorithmischer Berechenbarkeit und Komplexit�at und durch technische Grenzen,

210 Auch Tarski entwickelt sein Konzept f�ur deduktive Wissenschaften, d.h. f�ur logische und

mathematische Kalk�ule, und er h�alt es f�ur �ubertragbar auf empirische Wissenschaften. Die Vorstellung,

formale Modelle f�ur �ktive Welten zu entwerfen, w�are ihm sicherlich fremd gewesen.

211 \Bisher mu�te man diese anderen Welten phantasieren, heute kann man sie errechnen." [ Bolz

1993 ] S. 898

\W�ahrend B�ucher den Menschen erlaubten, Informationen in ihre K�opfe zu �uberf�uhren, bringt die

virtuelle Realit�at sie dazu, ihre K�opfe in Informationen eintreten zu lassen." [ de Kerkhoeve 1993 ] S.

159

212 [ Flusser 91 ] S. 155

213 Manfred Fa�ler und Wulf R. Halbach unterscheiden zwischen realer Maschine [des physikalisch-

logischen Maschinencodes] und virtueller Maschine [alle bis zur Wahrnehmungsf�ahigkeit des Menschen

gepu�erten, also verlangsamten Ergebnisdarstellungen]" [ Fa�ler und Halbach 1994b ] S. 56

214 Brenda Laurel entwickelt in Analogie zum Theater den Gedanken, da� Computeraktivit�aten als

Handeln in Rep�asentationen zu interpretieren und zu gestalten sind. (vgl. [ Laurel 1993 ])

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denen insbesondere die Ein- und Ausgabemodalit�aten unterliegen. \Der Cyberspace [ist]

ein Vergn�ugungspark, wo man alles erleben kann, was vorstellbar und programmierbar

ist."215

Die These, da� mit Computern nicht mehr nur vorstellbare sondern erlebbare Welten

konstruiert werden, will ich nun am Beispiel virtueller Realit�ats-Systeme (vR-Systeme)

erl�autern und dann die Ergebnisse anhand einiger Beispiele auf konventionelle informa-

tische Artefakte �ubertragen. Zuletzt will ich noch andeuten, in welchem Sinne, solche

virtuellen Welten nicht nur aus Schrift konstruiert sind, sondern auch selbst schriftf�ormige

Welten sind.

4.3.1 Virtuelle Realit�ats Systeme

Wenn von virtuellen Realit�aten216 die Rede ist, stellt man sich Menschen vor, die, von

au�en gesehen, mit Datenhelm und Datenhandschuhen ausgestattet und an einen Com-

puter angeschlossen sind. Von innen gesehen, d.h. aus der Perspektive der Nutzenden,

bewegt man sich dagegen in einer quasi r�aumlichen, m�oglichst realistisch dargestellten

Umgebung. Dies ist jedoch nur eine Spielart von vR-Systemen. Allgemein k�onnen vR-

Systeme durch zwei Merkmale charakterisiert werden, Interaktion und Immersion217.

Man nennt ein System interaktiv, wenn die Nutzerinnen durch ihre Handlungen direkt

ihre Umgebung ver�andern k�onnen. Handlungen, die zu Ver�anderungen des Systemzu-

standes f�uhren, sind f�ur die Nutzerin direkt erlebbar, in der Regel sichtbar. Sie werden

direkt in eine Ver�anderung der vom System pr�asentierten Umgebung umgesetzt. Alle

Computersysteme sind in einem gewissen Sinne interaktiv, Handlungen der Nutzerinnen

�andern den Systemzustand, was irgendwann auch als Ver�anderung der Ausgabe sicht-

bar wird. Mit Interaktivit�at, manchmal spricht man auch von direkter Interaktion oder

direkter Manipulation, ist allerdings �ublicherweise gemeint, da� Handlungen von Nutze-

rinnen ohne wesentlichen Zeitverzug, `in Echtzeit', in Ver�anderungen der Systemausgabe

umgesetzt werden. Solche direkt wahrnehmbaren Konsequenzen von Nutzerhandlungen

sind charakteristisch f�ur vR-Systeme.218 Aber auch andere informationstechnische Sy-

steme, wie moderne Textverarbeitungssysteme oder CAD-Systeme219, und auch viele

herk�ommlich technische Artefakte, wie Kraftfahrzeuge oder Waschmaschinen, haben

diese Eigenschaft.

Das zweite Charakteristikum von vR-System nennt man Immersion. Immersion meint das

subjektive Gef�uhl der Nutzer, sich in einer Welt220 zu be�nden. Dieses Gef�uhl kann auch

beim Betrachten von Theaterst�ucken, Filmen, Fernsehen oder beim Lesen eines Buches

215 [Walker 1990 ] S. 30

216 Zum Begri� virtuell siehe Fu�note 20 auf Seite 8.

217 vgl. [ Sherman und Judkins 92 ] S.17f

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entstehen. Das zeigen etwa emotionale Reaktionen, die eine Zuschauerin oder ein Leser

hat, als ob sie/er Teil der beschriebenen �ktiven Welt sei. Die durch Interaktion gegebene

M�oglichkeit zur handelnden Teilhabe ist bei vR-Systemen ein wesentlicher Faktor um

Immersionse�ekte zu erzeugen.221

In wirklichen Welten sind Interaktion und Immersion (fast) immer selbstverst�andlich

gegeben. Eine virtuelle Welt ersetzt aus der Sicht ihrer Nutzerin die wirkliche Welt

v�ollig.222 Erst das Zusammenspiel beider Faktoren, die M�oglichkeit zu handeln und das

subjektive Emp�nden, sich in einer in sich geschlossenen, in gewissem Sinne vollst�andigen

Umgebung zu be�nden, l�a�t es angemessen erscheinen, f�ur computererzeugte Realit�aten

den Begri� Welten zu verwenden.

Allerdings haben in wirklichen Welten, im Gegensatz zu virtuellen, wirkliche Handlungen

auch wirkliche Folgen.223 Spiele sind in diesem Sinne ein interessanter Grenzfall,

wenn man sie nicht sogar eher der Sph�are des Virtuellen zuordnet. Umgekehrt sind

existierende vR-Systeme selbst meist Spiele.224 Ebenfalls ein Grenzfall scheinen relig�ose

Rituale darzustellen, die gerne als Vorl�aufer virtueller Realit�aten interpretiert werden,

weil hier ebenfalls eine andere Realit�at inszeniert wird.225 Klar sollte sein, da� es sich

hier nicht um eine strenge Alternative handelt, sondern da� wirklich und virtuell Extreme

in einem Kontinuum markieren, das �uberdies nicht unabh�angig von der Beobachterin ist.

Man kann im wesentlichen zwei Arten von virtuellen Realit�aten unterscheiden,

218 Derrick de Kerkhove sieht Interaktivit�at eng mit dem Tastsinns verkoppelt. \Doch die tiefere

Botschaft der Interaktivit�at ist, da� wir nach Jahrhunderten, in denen einzig eine visuelle Formmenschli-

chen Ausdrucks ausgeschlachtet wurde, nun wieder als gesamte Kultur die betr�achtlichen M�oglichkeiten

des Tastsinns entdecken. Denn interaktive Systeme sind elektronische Ver�au�erungen und Metaphern

f�ur unsere taktilen Sinnesqualit�aten (. . . )." [ de Kerkhove 1993 ] S.155

Ich w�urde dem insoweit zustimmen, als bestimmte vR-Systeme eine Rehabilitierung des Tastsinns dar-

stellen oder erm�oglichen, andererseits scheinen interaktive Systeme nicht notwendig mit taktilen Erfah-

rungen verkoppelt zu sein, wie sich bei anderen Arten von (textbasierten) vR-Systemen zeigt.

219 Sherman und Judkins interpretieren computergest�utztes Konstruieren (CAD = Computer Aided

Design) als wesentlichen Schritt hin zur Entwicklung von vR-Systemen. (vgl. [ Sherman und Judkins

93 ] S. 25)

220 Welt ist hier im Sinne der Charakterisierung in Kapitel 1 zu verstehen.

221 \Die Tatsache, da� er [der Benutzer] in diese Welt der Illusionen einbezogen ist und das, was

darin geschieht, beein ussen kann, macht den Unterschied zwischen VR und herk�ommlichen Computern,

Film, Fernsehen oder Kunst aus." [ Sherman und Judkins 93 ] S. 139

222 vgl. [ de Kerkhove 1993 ] S. 160 und [ Laurel 1993 ] S. 20f

223 R�otzer spitzt die Frage nach der Unterscheidbarkeit noch weiter zu: \Nur im Unfall, also im

Aufprall der K�orper aufeinander, scheint der Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit noch

auf." [ R�otzer 1991b ] S. 55

224 Zur Kategorie des Spiels im Zusammenhang mit virtuellen Welten siehe auch [ Rheingold 1991 ]

S. 570-579 und [ Kr�amer 1995 ] S. 233�.

225 vgl. [ Rheingold 1991 ] S. 580� und [ Laurel 1993 ] S. 195�

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wobei es auch hier keine scharfe Grenze zwischen beiden gibt.

Im einen Fall wird mit speziellen Ein- und Ausgabeger�aten eine m�oglichst realit�atsnahe

Umgebung erzeugt, die die Nutzerin sinnlich wahrnehmen kann, und in der sie agie-

ren kann. Mit Datenhandschuhen werden Bewegungen abgetastet und taktile Emp�n-

dungen erzeugt (letzteres ist allerdings im Moment mehr Wunschdenken als Realit�at).

Datenhelme registrieren Kopfbewegungen und erzeugen mit kleinen Bildschirmen ein

realistisches, sich mit der Kopfbewegung ver�anderndes Gesichtsfeld. Idealbild dieser

Entwicklung ist ein System, das alle Bewegungen, �Au�erungen etc. des Nutzers regi-

striert und in Ver�anderungen der dargestellten Realit�at umsetzt und dabei wiederum alle

Sinnesmodalit�aten anspricht.

Mit vR-Systemen k�onnen Welten so inszeniert werden, da� physikalische Gesetze nicht

mehr gelten oder soziale Regeln au�er Kraft gesetzt werden.226 Auch die Begri�e Raum

und Zeit ver�andern ihre Bedeutung in virtuellen Realit�aten, wenn sich mehrere weit von-

einander entfernte Personen im selben virtuellen Raum begegnen k�onnen, und wenn eine

bestimmte virtuelle Situation beliebig oft wiederholt werden kann.227 Mit Computern ist

es also tats�achlich m�oglich, neue Realit�aten, \Sachen zu generieren, die es schlechthin

nicht gegeben hat."228

Die Grenzen zwischen Systemen, die Welten rein aus Computerprogrammen erzeugen,

und sogenannten Telepr�asenzsystemen229, wo eine wirkliche Umgebung, z.B. mit einer

Videokamera aufgenommen, �uber ein Computersystem in eine vR-Installation eingespielt

wird und die Aktionen der Nutzerin mittels technischer Ger�ate in wirkliche Handlun-

gen umgesetzt werden, ist allerdings ie�end, f�ur die Nutzerin ist sie nicht unbedingt

erkennbar.

Handelt es sich bei den gerade beschriebenen Systemen um solche, die den Schwerpunkt

auf eine wirklichkeitsnahe sinnliche Erfahrung legen, und die noch oft f�ur eine individuelle

Nutzung konzipiert sind, so liegt bei anderen virtuellen Welten der Schwerpunkt auf

226 In vielen virtuellen Spielen bewegen sich Menschen iegend fort, was durch Zeigen in die

entsprechende Richtung gesteuert wird. (vgl. [ Fischer 1990 ] S. 42) Sich im Datenanzug laufend

fortzubewegen und nicht gegen wirklich W�ande zu sto�en, ist auch wesentlich schwieriger.

Es d�urfte auch kein Zufall sein, da� bereits im ersten vR-Spiel der Welt das T�otungsverbot au�er Kraft

gesetzt ist, und zwei Spieler auf einander Jagd machen und sich beschie�en. (vgl. [ Sherman und

Judkins 1992 ] S. 34)

227 \Daher be�ndet sich die virtuelle Welt der Simulation au�erhalb der `realen' Zeit und des

`realen' Raumes, sie ist uchronisch und utopisch." [ Couchot 91 ] S.350

De Kerkhoeve interpretiert Virtuelle Realit�at als Wiederherstellung des durch das perspektivische Kon-

zept des Raums seit der Renaissance getrennten Raum-Zeit-Kontinuums. (vgl. [ de Kerkhoeve 1993 ]

S. 142)

228 [ Kittler 89 ] S.65

229 Oft werden solche Systeme, weil sie mit den selben Ein- und Ausgabeinstallationen arbeiten,

ebenfalls als vR-Systeme bezeichnet. (vgl. [ Sherman und Judkins 1992 ] S. 37)

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sozialer Interaktion. Mehrere Personen interagieren mittels vernetzter Computer.230 Die

Welt, in der hier interagiert wird, liegt meist in schriftlichen, an die Umgangssprache

angelehnten Beschreibungen vor.231 Handlungen werden ebenfalls mittels Austausch

geschriebener W�orter und S�atze vollzogen, \jede Kommunikation �ndet �uber Text statt

und auch Gef�uhle werden textuell dargestellt."232

Es gibt Welten, die als soziale Experimente und zum wissenschaftlichen Austausch

konzipiert sind.233 Das Internet, als Ansammlung von weltweit vernetzten Rechnern,

kann in diesem Sinnen ebenfalls als virtuelle Welt oder als eine Ansammlung von solchen

Welten angesehen werden.234 Meistens handelt es sich jedoch um Spielwelten; konkret

sind es oft ziemlich konventionelle M�archen- oder Science-Fiction-Welten, sogenannte

MUDs.

\MUD (. . . ) ist eine Abk�urzung von Multi-User Dungeon (. . . ) - MUDs sind ima-

gin�are Welten, die in Datenbanken errichtet werden. W�orter und Programmierspra-

chen werden eingesetzt, um Melodramen zu improvisieren, Welten und all ihre Objekte

aufzubauen, R�atsel zu l�osen, Vergn�ugungen und Werkzeuge zu er�nden, um Ansehen

und Macht zu erringen, Wissen zu erwerben, Rache zu �uben und sich seinen Trieben,

gewaltt�atigen Impulsen und seiner Habgier hinzugeben. In einigen MUDs kannst du

k�orperlosen Sex treiben, in wiederum anderen sogar morden - oder sterben."235

Diese Welten sind �ktiv, nur Schein, insofern sie im wesentlichen in der Vorstellung der

Teilnehmer/innen existieren. Sie sind aber, wie Rheingolds Beschreibung deutlich macht,

f�ur ihre Benutzerinnen real wirksam, insofern in ihnen real, wenn auch oft in Form von

Rollenspielen, gehandelt wird. Es gibt Menschen, die erhebliche Zeit in solchen Wel-

ten verbringen, die dort nicht nur spielen, sondern kommunizieren, soziale Beziehungen

aufbauen, die dort leben.236

Die M�oglichkeit zur Interaktion ist o�ensichtlich, aber auch das Bewu�tsein, sich in einer

230 H. Rheingold nennt Gruppen von Menschen, die gemeinsam Computerprogramme zum sozialen

Austausch nutzen, virtuelle Gemeinschaften. (vgl. [ Rheingold 93 ] S. 11)

231 Virtuelle Gemenischaften entwickeln eigene Sprach-, oder genauer Schreibformen, wie die oben

schon genannten Emot-icon, Gro�schreibung f�ur Lautst�arke etc.

232 [ Leyde 1994 ] S. 36

233 Ein Beispiel f�ur ein solches System ist MediaMOO, das ein virtuelles Pendant eines Forschungs-

labors, des MIT-Media-Labs, ist. (vgl. [ Rheingold 1993 ] S. 215�)

234 \Internet ist ein einzigartiges Feld f�ur die soziale Interaktion. In seinem Kernbereich haben sich

Kommunikationsgruppen mit deutlich ausgepr�agten eigenen Stilen, formellen und informellen Regeln

und distinkten Interaktionsmustern herausgebildet." [ Helmers 94 ] S. 1

235 [ Rheingold 93 ] S. 183

Arthur Kroker �ubersetzt mit Bezug auf die urspr�ungliche Bedeutung von `mud': \Gemeinsam im Schwar-

zen Schlammloch spielen". [ Kroker 1993 ] S. 79

236 H. Rheingold legt in seinem Buch `Virtuelle Gemeinschaft' ([ Rheingold 1993 ]) eine solche

Interpretation nahe. (siehe auch [ Rheingold 1992 ], [ Helmers 1994 ] und [ Leyde 1994 ].)

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Welt zu be�nden, ist sehr stark ausgepr�agt. Ein drastisches Beispiel liefert eine MUD-

Spielerin, die im pers�onlichen Gespr�ach berichtet, da� das Lesen des Satzes \Ich fasse

Dir an den Hintern." im MUD bei ihr dieselben k�orperlichen und psychischen Reaktionen

ausl�ost, wie wenn sie im richtigen Leben angegrapsch w�urde. Dieses Beispiel zeigt auch,

da� hier die Grenzen zwischen Spiel und wirklicher sozialer Interaktion nicht mehr klar

zu ziehen sind.

Auch wenn praktisch keine realistische Nachahmung von Sinnesreizen statt�ndet, so

sind doch auch hier die beiden Charakteristika f�ur virtuelle Realit�aten, Interaktion und

Immersion, gegeben. Diese Art von vR-Systemen macht deutlich, da� weniger eine wirk-

lichkeitsgetreue oder wirklichkeitsanaloge Darstellung einer Umgebung n�otig ist, sondern

Handlungs- und Kommunikationsm�oglichkeiten ein wesentlicher Faktor f�ur das Entstehen

virtueller Welten sind.237

Die Verschmelzung beider Varianten, k�unstliches Erzeugen von Sinneseindr�ucken und

soziale Interaktion, ist zur Zeit allenfalls ansatzweise technisch realisiert.238

Am Beispiel virtueller Realit�aten wird aus meiner Sicht o�ensichtlichtlich, da� mit Com-

putern Welten gescha�en werden k�onnen. Menschen sind hier nicht Zuschauer oder

Leserinnen, sondern Handelnde in diesen Welten. Sie sind Handelnde in einer mittels

Programmen und bestimmten Ein- und Ausgabeger�aten erzeugten, sinnlich erlebbaren

Welt, und Handelnde in einer mittels Computern vermittelten und in Computern schrift-

lich repr�asentierten �ktiven sozialen Welt.

4.3.2 Informatische Artefakte

Nicht nur vR-Systeme sondern auch herk�ommliche Computersysteme und -programme

sind in dem Sinne interpretierbar, da� mit ihnen Welten erzeugt werden. Jedes Compu-

terprogramm de�niert Gegenst�ande, Zusammenh�ange und m�ogliche Aktivit�aten f�ur seine

Nutzerinnen. \Was auch immer sie zeigen m�ogen - Computerbildschirme pr�asentieren

virtuelle Realit�aten."239

237 Welche Rolle eine m�oglichst realit�atsnahe Darstellung in virtuellen Welten spielt, ist umstrit-

ten. Einige Autoren betonen, da� virtuelle Welten m�oglichst wirklichkeitsnah sein sollten, damit sich

Menschen auf eine m�oglichst `nat�urliche' Weise in ihnen bewegen k�onnen. (vgl. z.B. [ Sherman und

Judkins 1992 ] S. 140 und [ Rheingold 1991 ] S. 115) Andere stellen die F�ahigkeit von Menschen, Wahr-

nehmungsl�ucken zu schlie�en und so konsistente Wahrnehmungswelten zu konstruieren heraus. (vgl.

z.B. [ Bolz 1993 ] S. 899) Schlie�lich gibt es auch die Aufassung, da� der Reiz virtueller Welten gerade

darin liegt, neue, ganz andere Welten zu scha�en. (vgl. z.B. [ Lanier 1989 ] S. 72 und [ R�otzer 1991b ]

S. 65

238 Man sollte die technischen Einschr�ankungen nicht untersch�atzen. Insbesondere die Erzeugung

von Tastemp�ndungen ist ein ungel�ostes Problem. Was die Realisierung ununterscheidbarer k�unstlicher

Welten angeht, ist ebensogro�e Skepsis angebracht, wie gegen�uber dem Projekt menschen�ahnliche

Intelligenz mittels Computern zu erzeugen.

239 [ Bolz 1993 ] S. 900

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Betrachtet man etwa mit vernetzten Rechnern ausgestattete B�uroarbeitspl�atze, so be-

stimmen die Programme und Programmsysteme weitgehend die Handlungsm�oglichkeiten

ihrer Nutzerinnen. Kommunikation wird nicht nur durch Computer vermittelt,

sondern die von Computern bereitgestellten Kommunikationsmittel legen Kommu-

nikationsm�oglichkeiten und -regeln fest. Selbst soziale Rangordnungen und Kon-

trollm�oglichkeiten k�onnen sich, etwa durch die Festlegung von Zugri�srechten, im Com-

putersystem spiegeln oder durch dieses neu bestimmt werden.240

Selbst Fenstersysteme241, Textverarbeitungsprogramme oder sogar so einfache Systeme,

wie eine Editor, k�onnen als neue Realit�at mit eigenen Regeln, Handlungs- und Kommuni-

kationsm�oglichkeiten f�ur die Nutzerinnen angesehen werden, f�ur die es vor der Er�ndung

von Computern kein �Aquivalent gab.242

Es bestehen hier also einerseits neue M�oglichkeiten der Explizierung von

Kommunikations- und Sozialbeziehungen und andererseits zu deren expliziter De-

�nition oder, vorsichtiger formuliert, Gestaltung. \Damit w�are Software in die soziale

Sph�are der Normenbildung und Normenkorrektur sowie der Verhaltens- und Habitusbil-

dung einger�uckt."243

�Ahnlich wie wir Bacon und Tarski konstruktivistisch interpretiert hatten, kann

auch f�ur informatische Modellierung gesagt werden, da� hier Wirklichkeit nach dem Vor-

bild formaler Schriften konstruiert wird. Der Computer liefert zwar nicht grunds�atzlich

neue, aber deutlich erweiterte M�oglichkeiten, auch soziale Prozesse einer Formalisierung

und damit Automatisierung zug�anglich zu machen.244

Ist bei sozialen Prozessen die Unterscheidung von Konstruktion im Sinne von Inter-

pretation von Wirklichkeit, und Neukonstruktion im Sinne von Ver�anderung von so-

zialer Wirklichkeit schon problematisch, so stellen Computer sehr viel radikaler die

M�oglichkeiten bereit, neue, von widerst�andiger Wirklichkeit unabh�angige Welten tech-

nisch zu konstruieren.245

Was Tarski mit seiner Semantikkonzeption als theoretische M�oglichkeit er�o�net, n�amlich

240 John Walker vertritt die These, da� Computerprogramme nicht Dialogpartner darstellen, son-

dern da� Programmierer Welten f�ur den Gebrauch durch andere scha�en. Ein Programm nutzen hei�t,

eine Welt zu erforschen. (vgl. [Walker 90 ] S. 26)

241 H. Rheingold nennt Fenstersyteme mit Maus als Eingabeger�at eine \primitive virtuelle Welt".

(vgl. [ Rheingold 92 ] S.99f)

242 Die explizite M�oglichkeit zur De�nition von Regeln, Handlungen etc. kann man auch mit der

Kategorie des Spiels in Verbindung bringen. So vertreten Fa�ler und Halbach die These: \Software

jedweder Art, nicht nur die ausdr�ucklichen Spiele, erh�alt Spielcharakter." [ Fa�ler und Halbach 1994a ]

S. 16 (siehe auch Fu�note 224)

243 [ Fa�ler und Halbach 1994b ] S. 71

244 Peter Zec sieht hier \eine gro�e Gefahr der Gleichschaltung und Normierung von sozialen

Gebrauchsweisen und Denkweisen". [ Zec 1991 ] S. 104

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beliebigen logisch konsistenten formalen Ausdr�ucken Bedeutung zuzuordnen, wird mit

Computern praktisch gemacht. Beliebige formale Modelle k�onnen (in den Grenzen des

technisch realisierbaren) in erlebbare Welten transformiert werden, in denen Menschen

wie in wirklichen Welten handeln, kommunizieren, letztlich leben.

Interpretiert man informationstechnische Artefakte �uberhaupt als Mittel zur Konstruk-

tion von Welten, Handlungsr�aumen oder Lebensformen, so sind vR-Systeme lediglich

der Fluchtpunkt f�ur eine Entwicklung, die durch die immer st�arkere Losl�osung von wi-

derst�andiger Wirklichkeit gekennzeichnet ist.

4.4 Schriftliche Welten

Akzeptiert man die hier vorgestellte Sicht, da� erlebbare Welten aus schriftlichen Model-

len erzeugt werden, da� mittels Computern Realit�at technisch konstruiert wird, so stellt

sich die Frage, inwieweit diese so erzeugten Welten selbst Schriftcharakter haben.

Die These, da� der Computer alle Medien in sich aufnimmt, kann man so umformulie-

ren, da� alle Arten von Symbolsystemen repr�asentiert und pr�asentiert werden k�onnen.

Oben hatten wir bereits am Beispiel von Bildern und m�undlicher Rede gesehen, da� die

Verarbeitung beliebiger Symbolschemata mit Computern ihre Transformation in Schrift

erfordert und damit bei nichtschriftlichen Schemata eine Ver�anderung der Struktur des

Schemas erfolgt.

Diese Verschriftlichung l�a�t sich bei der Pr�asentation eines digitalisierten Schemas durch

Ausgabeger�ate nicht wieder r�uckg�angig machen. Ein im Computer gespeichertes Bild

wird in Form von einzelnen unterscheidbaren Elementen wieder sichtbar gemacht. Ob

Bildschirm oder Drucker, beide erzeugen Bilder bestehend aus einer endlichen Anzahl

einfarbiger Fl�achen, die jeweils nur endlich viel Farbnuancen aufweisen k�onnen. Betrach-

tet man Computerbilder als Ganzes, so kann man, sofern die Unterscheidungsf�ahigkeit

der Betrachterin mindestens so gro� ist wie die Genauigkeit (Granularit�at) der digitalen

Au �osung, immer entscheiden, zu welchem Zeichen eine Realisierung eines Bildes geh�ort.

Oder anders gesagt zwei Bilder k�onnen immer, zumindest im Prinzip, entweder als gleich

oder als verschieden identi�ziert werden.

Da die prinzipielle M�oglichkeit zur Unterscheidung besteht, ist das Schema endlich dif-

ferenzierbar. Fa�t man die als gleich identi�zierten Realisationen als jeweils ein Zeichen

auf, so sind die Zeichen auch disjunktiv. Es handelt sich bei digital pr�asentierten Bildern

also um ein schriftliches Schema.

245 Flusser fa�t den Unterschied zwischen traditioneller naturwissenschaftlicher Modellbildung und

der M�oglichkeit, mit Computern Welten zu generieren, in das (vielleicht nicht ganz gl�ucklich gew�ahlte)

Begri�spaar: `Kalkulieren', Gleichungen von Zahlen analysieren, die Welt in Partikel zersetzen, und

`Komputieren', Zahlen zu Gestalten zusammenfassen, die Welt wieder zusammensetzen. (vgl. [ Flusser

91 ] S.154)

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Betrachtet man Ausgabemodalit�aten, die kontinuierlich sind, wie etwa Bewegungen ei-

nes Roboters, so liegt trotzdem ein schriftliches Schema vor. Unterschiedliche digitale

Steuerungsbefehle f�uhren zu unterschiedlichem Verhalten, das bei gen�ugend genauer

Analyse auch als solches identi�zierbar ist. Da� Kontinuit�at allein kein Argument gegen

Disjuktivit�at ist, hatten wir bereits am Beispiel der Sch�onschrift gesehen. Auch bei kom-

plexen Ausgabemodalit�aten, wie sie bei vR-Systemen eingesetzt werden, gilt im Prinzip,

da� computergenerierte Bilder, taktile Reize, Bewegungen, Situationen, etc. schriftliche

Schemata bilden. Denn es gilt allgemein, da� sobald eine Granularit�at der Unter-

scheidung festgelegt ist, und das ist bei schriftlichen Modellen ebenso der Fall wie bei

deren Pr�asentation, ist ein Schema endlich di�erenzierbar. Disjunktivit�at l�a�t sich dann

�ublicherweise leicht herstellen, indem genau alle als gleich identi�zierten Realisierungen

zu einem Zeichen zusammengefa�t werden. Die Erscheinungsformen virtueller Welten

spiegeln also zwangsl�au�g die schriftliche Struktur der symbolischen Ausdr�ucke, durch

die sie erzeugt werden, wider.

Allerdings kann man hier die Frage stellen (auf die ich im Schlu�kapitel noch

zur�uckkommen werde) welche Relavanz diese prinzipielle Aussage hat, wenn die

Granularit�at, d.h. der Grad der Unterscheidbarkeit, des schriftlichen Modells und der

Pr�asentation des Modells die Unterscheidungsf�ahigkeit der menschlichen Wahrnehmung

unterschreitet. M�oglicherweise werden dann Ausgaben von Computern als Realisierun-

gen in einem analogen Schema behandelt.246

Zusammenfassend stellen sich die Ergebnisse dieses Kapitels wie folgt dar:

Erstens l�a�t sich festhalten, da� es eine neuzeitliche wissenschaftliche Tradition gibt,

Wirklichkeit durch mathematische Modelle zu beschreiben. Dabei wird gleichzeitig ex-

plizit oder implizit unterstellt, da� die Wirklichkeit analog zu mathematischen Strukturen

aufgebaut ist. Diese Tradition, in der Bacon und auch Tarski stehen, setzt sich in der

Disziplin Informatik fort, insofern sie sich als Wissenschaft versteht, deren Ziel es ist,

wirkliche Prozesse zu formalisieren und mittels Computern zu automatisieren.

Konstruktivistisch reformuliert hei�t das, da� Wirklichkeit nach dem Vorbild mathemati-

scher Objekte und Strukturen, also nach dem Vorbild schriftlicher Entit�aten konstruiert

wird. Aber solche Konstruktionen bleiben durch die Widerst�andigkeit der Wirklichkeit

begrenzt.

Am Beispiel von Systemen, die virtuelle Realit�aten erzeugen, hatten wir gesehen, da�

diese Sicht auf informatische Artefakte unzureichend, wenn nicht irref�uhrend ist. Hier

werden nicht mehr Modelle nach wirklichen Vorbildern konstruiert, sondern es werden

mittels Computersystemen neue Realit�aten, die Menschen erleben und in denen Men-

schen handeln, aus schriftlichen Modellen erzeugt. Diese Sicht ist auf andere informati-

246 siehe [ Goodman und Elgin 88 ] S. 169�

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sche Artefakte �ubertragbar, insofern sie neue Gegenst�ande, Kommunikationsformen und

Handlungsm�oglichkeiten erzeugen.

Tarski spielte hier eine entscheidende Rolle f�ur das Verst�andnis informatischer Modell-

bildung. Die von ihm konzipierte Semantiktheorie, die die Bedeutung objektsprachlicher

Ausdr�ucke in einer Metasprache erkl�art, wird in fast allen informatischen Semantiktheori-

en �ubernommen. Diese Konzeption stellt gerade die theoretischen Mittel zur Verf�ugung,

beliebigen formalen Ausdr�ucken Bedeutung in einem mathematischen, also schriftlichen,

Metaraum und damit unabh�angig von widerst�andiger Wirklichkeit zuzuordnen.

Der Computer als universale symbolische Maschine zusammen mit Ein- und Ausga-

beger�aten liefert die technischen Voraussetzungen, um beliebige Modelle in erfahrbare

Realit�aten zu transformieren. Da die Ausgabemodalit�aten von Computern die Struktur

der internen Repr�asentationen widerspiegeln, sind die mittels Computern pr�asentierten

Welten ebenfalls schriftlich strukturiert.

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5 Der Computer, eine Radikalisierung von Schrift?

Ziel dieser Arbeit war es, die These, da� Computer zu einer Auf- oder Abl�osung von

Schrift f�uhren, kritisch zu untersuchen.

Dazu habe ich, orientiert an Nelson Goodmans Analyse von Symbolsystemen, Schrift so

charakterisiert, da� ihr nicht von vornherein ein abgeleiteter Status gegen�uber gespro-

chener Sprache unterstellt wird, aber der Begri� Schrift auch nicht so weit gefa�t wird,

da� praktisch alle Symbolsysteme unter ihn fallen.

Darauf aufbauend habe ich zwei Aspekte der Beziehung zwischen Schrift und Computer

untersucht. Zum einen habe ich analysiert, welche Symbolschemata von Computern

verarbeiten werden und verarbeitet werden k�onnen. Zum zweiten bin ich, gest�utzt auf

eine kritische Analyse der Semantiktheorie Tarskis, der Frage nachgegangen, welche Rolle

Schrift bei der Konstruktion neuer Realit�aten mit Computersystemen spielt.

Den in Kapitel zwei de�nierten Schriftbegri� vorausgesetzt, will ich im folgenden noch

einmal zusammenfassen, warum ich entgegen der obigen These eher von einer Radikali-

sierung von Schriftlichkeit durch Computer sprechen w�urde.

5.1 Sprachen und Artefakte

Computersprachen sind disjunktive und di�erenzierbare Schemata, also Schriften. Das

gilt o�ensichtlich f�ur Digitalcode, in den letztlich alles, was mit Computern verarbei-

tet werden soll, transformiert wird. Aber es gilt auch f�ur Programmiersprachen, Wis-

senrepr�asentationssprachen, Spezi�kationssprachen, etc. Computer verarbeiten formale

Sprachen nach syntaktischen Regeln, und formale Sprachen sind Schriften. Auch neue-

re Entwicklungen von Symbolsystemen zur Steuerung von Computern, wie Icons, sind,

auch wenn sie mit bildlichen Darstellungen arbeiten, schriftliche Schemata.

Umgekehrt k�onnen Computer alle schriftlichen Schemata verarbeiten, weil alle Schriften

isomorph in Digitalcode transformiert werden k�onnen, d.h. da� sie ohne Ver�anderung

wieder in das urspr�ungliche Schema zur�uckverwandelt werden k�onnen.

Wenn Computer genau schriftliche Schemata verarbeiten k�onnen, folgt daraus, da� Sym-

bolschemata wie Bilder oder m�undliche Rede, die wir als nicht schriftlich identi�ziert

hatten, genaugenommen nicht verarbeitet werden k�onnen.

Allerdings sind beliebige Symbolschemata digitalisierbar, sie k�onnen in Schrift transfor-

miert werden. Jede Realisierung eines Zeichens, im Grunde jeder Realit�atsausschnitt,

kann in Digitalcode transformiert werden. Das kann entweder technisch, etwa bei digita-

ler Aufzeichnung von Sprache oder Video�lmen, oder durch menschliche Modellierung,

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wie bei der Entwicklung von Software, erfolgen. Allerdings ist hier keine R�uck�ubersetzung

in das urspr�ungliche Schema mehr m�oglich, da Schriften automatisch immer nur wieder

in Schriften transformiert werden k�onnen. Jedes nicht schriftliche Schema wird bei sei-

ner Verarbeitung mit Computern in ein schriftliches Schema transformiert. (Auf diesen

Punkt gehe ich gleich noch genauer ein.)

Wesentliche Konsequenz dieser Verschriftlichung, die auch immer eine Formalisierung

ist, ist, da� Schriften, anders als etwa Bilder, nach rein syntaktischen Regeln verarbei-

tet werden k�onnen. Damit sind prinzipiell andere M�oglichkeiten der Ver�anderung und

Manipulation von Zeichen(-realisierungen) schon bei der �Ubertragung gegeben als bei

analogen Zeichensystemen.

Die schriftliche Modellierung von Wirklichkeit hatten wir bereits bei Bacon konstatiert,

sie ist typisch f�ur neuzeitliche Wissenschaft. Mit Computern werden mehr Bereiche

der Formalisierung und damit der Automatisierung zug�anglich, weil sehr viel komplexere

formale Modelle behandelt, zum Teil auch automatisch erzeugt werden k�onnen.247

Der Computer stellt insofern eine Radikalisierung von Schrift dar, als vorher nicht

schriftliche und nicht der Verschriftlichung zug�angliche Symbolschemata in Schrift

transformierbar und damit syntaktisch manipulierbar werden.

Der Computer wird auch als Wandler charakterisiert, der nicht nur Wirklichkeit

in Schrift sondern auch Schrift wieder in Wirklichkeit transformiert.248 Mittels Compu-

tern k�onnen digitale Realisierungen von Zeichen nicht nur gespeichert, �ubertragen und

verarbeitet werden, sie werden auch mittels Ausgabeger�aten wieder in der Wirklichkeit

wirksam.

Anhand der Analyse der Tarskischen Semantikkonzeption hatten wir gesehen, wie belie-

bigen formalen Modellen in einem schriftlichen Metaraum Bedeutung zugewiesen wer-

den kann. Mit Computern k�onnen solche beliebigen formalen Beschreibungen in Rea-

lit�at transformiert werden. Die technischen Grenzen sind hier anderer Natur als bei

herk�ommlichen Maschinen.

Auch vor der Er�ndung des Computers war es m�oglich, mittels formaler Modelle neue

technische Artefakte zu konstruieren. Die Modelle mu�ten dabei aber immer an wi-

derst�andige Wirklichkeit r�uckgebunden bleiben, um wirksam zu werden. Ebenso war es

m�oglich, mittels Sprache �ktionale Welten in der Vorstellung der H�orer und Leserinnen

zu erzeugen.

Computer erzeugen dagegen Realit�aten, Welten, in denen weder Naturgesetze noch

soziale Regeln gelten m�ussen. In virtuellen Welten k�onnen Menschen iegen, Steine

247 Bettina Heintz stellt den Computer in `Die Herrschaft der Regel' in eine solche Tradition der

Formalisierung und Automatisierung. (siehe [ Heintz 1993 ])

248 vgl. [Burkhardt 1990 ] S. 1070

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nach oben fallen und simulierte Personen k�onnen sich au �osen, wenn man sie anspricht.

Ziel eine Spielers in einer Computerwelt, kann es sein, m�oglichst viele seiner Mitspieler

umzubringen.

Computer stellen nicht nur Realit�aten f�ur Zuschauerinnen und Zuh�orer vor, sondern sie

erzeugen Welten, in denen Menschen wahrnehmen, sich bewegen, kommunizieren und

handeln k�onnen.

Computer sind insofern eine Radikalisierung von Schrift, als bei der Transformation

von schriftlichen Modellen in Realit�at auf den R�uckgri� auf eine widerst�andige Wirk-

lichkeit verzichtet werden kann. Aus Schrift k�onnen erlebbare Welten konstruiert werden.

Die Realit�aten, die von Computern aus schriftlichen Modellen erzeugt werden,

haben selbst eine schriftf�ormige Struktur. Ausgabeger�ate pr�asentieren Welten, die

aus unterscheidbaren Einzelteilen zusammengesetzt sind und die die Struktur der

Modelle spiegeln, aus denen sie erzeugt wurden. Eine Transformation schriftlicher in

nichtschriftliche Schemata ist, wie oben bereits angedeutet, nicht m�oglich.

Allerdings stellt sich hier die Frage, inwieweit diese Schriftf�ormigkeit relevant ist, wenn

sie als solche nicht mehr erkennbar ist, wenn der Grad der Au �osung die F�ahigkeit von

Menschen unterschreitet, Unterscheidungen wahrzunehmen.

Ein Schema ist, Disjunktivit�at vorausgesetzt, auch endlich di�erenzierbar, also schriftlich,

wenn es prinzipiell irgendein Verfahren gibt, da� eine eindeutige Zuordnung von Reali-

sierungen zu Zeichen erm�oglicht. Die praktische Unterscheidbarkeit in einer bestimmten

Situation spielt bei der Klassi�zierung von Symbolschemata keine Rolle. Insofern sind

von Computern pr�asentierte Schemata immer als digitale interpretierbar.

Aus meiner Sicht ist diese prinzipielle Antwort aber unbefriedigend. Es scheint zumindest

nicht auf den ersten Blick klar zu sein, welche Relevanz die Frage, ob etwa ein Musikst�uck

analog oder digital �ubertragen oder gespeichert wird, f�ur eine H�orerin hat, wenn sie beides

nicht unterscheiden kann. Die vom Computer pr�asentierte Realisierungen werden dann

wie Realisierungen eines analogen Schemas behandelt.

Es gibt jedoch mindestens zwei Aspekte, die vor einer vorschnellen Verwischung der

Unterschiede zwischen schriftlichen und nicht schriftlichen Schemata beachtet werden

sollten.

Zum einen erlaubt Verschriftlichung, wie oben bereits erw�ahnt, eine rein syntaktische

Verarbeitung nach formalen Regeln. Desweiteren scheint es lediglich bei der Speicherung

und �Ubertragung bestimmter Symbolsysteme tats�achlich eine Ann�aherung an menschli-

ches Unterscheidungsverm�ogen zu geben. Digitales Radio und CDs sind hier Beispiele,

wo eine Ununterscheidbarkeit (fast) erreicht ist. F�ur die rein k�unstliche Erzeugung au-

ditiver Signale ist man von diesem Di�erenzierungsgrad jedoch deutlich entfernt. Es ist

zwar kein Problem, das Spiel eines Meistergeigers digital zu �ubertragen, einen solchen

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k�unstlich herzustellen, ist dagegen ungleich schwieriger.

Noch ungleich schwieriger wird es, wenn das komplette Wahrnehmungsrepertoire in einer

virtuellen Welt angesprochen werden soll und obendrein noch Handlungen von eventuell

mehreren Nutzer/innen direkt, in Echtzeit, in Ver�anderungen dieser Welt umgesetzt

werden sollen. Das Erreichen einer perfekten wirklichkeitsanalogen Simulation erscheint

hier zumindest in absehbarer Zeit, wenn nicht sogar prinzipiell, unrealistisch.

Die Beispiele von Mehrpersonenspielen in Computernetzen, die rein auf dem Austausch

schriftsprachlicher �Au�erungen basieren, zeigen jedoch, da� es auf eine wirklichkeitsnahe

Darstellung weit weniger ankommt als auf die direkte Interaktion, wenn es darum geht,

einen Handlungsraum f�ur Menschen zu erzeugen. F�ur das Gef�uhl, sich in einer Welt

zu be�nden, scheint die schriftf�ormige Pr�asentation virtueller Welten jedoch kaum eine

Rolle zu spielen.

Die schriftf�ormige Pr�asentation liefert allerdings die Voraussetzung f�ur eine vollst�andige

Kontrolle der E�ekte von Handlungen in virtuellen Welten. (Dieser Punkt soll im

n�achsten Abschnitt noch ausf�uhrlicher erl�autert werden.)

Computer sind insofern eine Radikalisierung von Schrift, als mit ihnen schriftf�ormige

Welten erzeugt werden, die unter den derzeitigen technischen Rahmenbedingungen auch

als schriftlich erkennbar sind.

5.2 Computernutzung

An die Frage nach der Schriftf�ormigkeit der Ausgaben von Computern schlie�t sich die

Frage nach den Eingabemodalit�aten an. Gerade hier scheint die These von der Abl�osung

der Schrift als Eingabemedium vieles f�ur sich zu haben.

Die Entwicklung von Eingabem�oglichkeiten (Interfaces, Ober �achen) zeigt eine zuneh-

mende Abl�osung alphabetschriftlicher Eingaben. VR-Systeme gelten als Zielpunkt einer

Entwicklung, die Interaktion mit Computersystemen mit nat�urlichen Gesten, nat�urlicher

Sprache, nat�urlichen Bewegungen, also wie in wirklichen Kommunikations- und Hand-

lungssituationen zu bewerkstelligen.

Ich hatte diesen Punkt, der die Nutzung von Computersystemen betri�t, bisher

zur�uckgestellt. Ich will diese Frage auch nicht im Detail diskutieren, sondern nur ei-

nige Beispiele und Thesen anf�uhren, die als Indizien daf�ur gelten sollen, da� auch hier

eher von einer Radikalisierung, denn von einer Abl�osung von Schrift, in dem hier verstan-

denen Sinne, gesprochen werden kann. Ich will mich hier auf die Betrachtung von Gesten

beschr�anken. Die Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von gesprochener Sprache hatte

ich bereits in Kapitel 2 angedeutet. Die folgenden Bemerkungen sind jedoch auf andere

Interaktionsformen �ubertragbar.

Bevor Bewegungen f�ur die Computerinteraktion genutzt werden k�onnen, mu� erstens in

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einer formalen Beschreibung festgelegt sein, welche Gesten unterschieden werden sollen

und wie verschiedene Gesten identi�ziert werden k�onnen. Es mu� also ein di�erentielles

Schema aus di�erenzierbaren Gesten erstellt werden. Weiter wird festgelegt, welche

Wirkungen verschiedene Gesten f�ur den Systemzustand und f�ur die Pr�asentation f�ur den

Nutzer haben sollen. F�ur die Gesten, die benutzt werden sollen, mu� also ein formales

Modell vorliegen, das in der Regel explizit, bei lernenden Systemen auch manchmal

implizit, vorliegt.

Zum zweiten mu� ein Eingabeger�at zur Verf�ugung stehen, das Bewegungen in Digital-

code transformiert. Jedem Bewegungszustand von z.B. Hand und Arm wird durch das

Eingabeger�at (Datenhandschuh, Joystick, Maus, etc.) genau ein Bitmuster zugeordnet

und an den Rechner �ubertragen. Dadurch entsteht auf elementarer Ebene ein Schema,

das disjunktiv und endlich di�erenzierbar ist.

Tats�achlich setzt sich diese Disjunktivit�at und Di�erenzierbarkeit aber auf h�oheren Ebe-

nen fort. Etwa bei einem Fenstersystem ist jede Position der Maus genau einem Zeichen

zugeordnet, n�amlich einem von endlich vielen Fenstern oder dem Hintergrund auf dem

Bildschirm. Da es keine Zwischenpositionen gibt, ist auch dieses Schema disjunktiv und

di�erenzierbar. Obwohl also die Bewegung der Hand kontinuierlich ist, bewegt sich die

Maus in einem schriftlichen Schema. Vergleichbar ist das mit einer Digitalwaage, die

ebenfalls ein digitales Schema f�ur eine kontinuierlichen Bereich de�niert.

Wichtiger als die computerinterne, schriftliche Struktur, die auch auf die Eingabe

�ubertragen werden kann, scheint mir zu sein, so zumindest die These, da� Menschen

etwa Gesten im Umgang mit Computern als schriftliches Schema benutzen. Menschen

lernen die Maus in einem Fenstersystem mit der Hand so zu steuern, da� sie eindeu-

tig einem bestimmten Zeichen, hier dem Fenster, auf das sie zeigen wollen, zugeordnet

werden kann. Man lernt hier sozusagen ein Sprachspiel, wobei der Computer den Lehrer

oder die soziale Gruppe ersetzt, die erfolgreiches Handeln kontrolliert.

Ein extremes Beispiel f�ur solch eine Anpassung an ein vom System vorgegebenes Sym-

bolschema sind bestimmte durch Bewegungen gesteuerte Computerspiele, in denen die

Spieler lernen, kleinste Bewegungsnuancen kontrolliert einzusetzen, um berechenbare

E�ekte zu erzielen.249

Andere Beispiele, die die Anpassung an die von Computersystemen geforderte

schriftf�ormige Eingabe zeigen, sind Systeme, die Handschrift oder gesprochene Sprache

erkennen. Bei Handschrift erkennenden Systemen scheint es keineswegs abwegig anzu-

nehmen, da� bei der expliziten oder impliziten Trainingsphase, bei der eigentlich das

System die individuellen Eigenschaften der Nutzereingabe lernen soll, auch eine Anpas-

sung der Schreiberin an die Anforderung des Systems nach unterscheidbaren Eingaben

249 G�unter Anders beschreibt bereits sehr plastisch die Anpassung der Spieler an von mechanischen

Spielautomaten vorgegebenen Bewegungsabl�aufe. (vgl. [ Anders 1980 ] S. 75 - 78)

75

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erfolgt. Verwendet man einen Computer, wie etwa ein Fahrplanauskunftsystem, der

gesprochene Sprache als Eingabe benutzt, so ist es ebenfalls naheliegend, leicht iden-

ti�zierbare und leicht unterscheidbare �Au�erungen zu liefern, um �uberhaupt sein Ziel,

eine Auskunft zu erhalten, zu erreichen. Diese Anpassung erfolgen meist implizit bei der

Nutzung von Systemen, um in dem vom System de�nierten Rahmen erfolgreich handeln

zu k�onnen.

Unterscheiden sollte man auch hier, �ahnlich wie bei den Ausgabemodalit�aten, zwischen

kontinuierlichen Schemata, die beliebig angen�ahert werden k�onnen, und di�erentiellen

Schemata, die eine meist kleine Anzahl zu unterscheidender Bewegungsmuster enthalten.

Der Verarbeitung von Drehbewegungen des Kopfes, die in eine Ver�anderung des Ge-

sichtsfeldes umgesetzt werden, unterliegt zwar auch ein schriftliches Schema, das aber

an die kontinuierliche Drehung im Prinzip beliebig angen�ahert werden kann. Dem ge-

gen�uber mu� man bei der Verwendung verschiedener Gesten, wie Zeigegeste, Greifgeste

usw. verschiedene Gesten eindeutig unterscheiden k�onnen.

Als These formuliert, hei�t das, da� auch bei der Nutzung von Computersystemen eine

Radikalisierung von Schrift statt�ndet, insofern vorher nicht schriftliche Symbolsche-

mata, wie Gesten, gesprochene Sprache oder Handschrift, nicht nur explizit schriftlich

modelliert werden m�ussen sondern auch von den Nutzerinnen bei der Anpassung an ein

Computersystem in Schrift transformiert, als Schrift gebraucht werden.

5.3 Ausblick

An die vorgestellten �Uberlegungen zu einer medialen Charakterisierung von Schrift und

ihren Konzequenzen f�ur die Interpretation von Computern und informationstechnischen

Artefakten schlie�en sich weitergehende Fragen an.

Es gilt zu untersuchen, welche Konsequenzen die Charakterisierung des Compu-

ters als schriftgebundenes technisches Artefakt f�ur die Frage der Einordnung von

computergest�utzter Kommunikation im Spannungsfeld zwischen konzeptioneller

Schriftlichkeit und M�undlichkeit hat.

Mit dem Computer entstehen neue Kommunikationsm�oglichkeiten, die im Kontinuum

zwischen konzeptioneller Schriftlichkeit und M�undlichkeit an anderen Stellen verortet

sind als andere traditionelle Medien. Eventuell stellen solche neuen Kommunikationsfor-

men, sofern sie massenhaft Verbreitung �nden, die A�nit�at von medialer Schriftlichkeit

und kommunikativer Distanz in Frage. Elektonische Mail oder auch die beschriebenen

schriftbasierten virtuellen Welten weisen in diese Richtung. Andererseits k�onnte es aber

auch sein, da� sich gerade bei diesen Medien der Eindruck kommunikativer N�ahe als

ein Trug erweist. Die Unterscheidung schriftlich - m�undlich k�onnte angesichts neuer

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Interaktionsformen, wie Gesten, �uberhaupt obsolet werden.

Desweiteren stellt sich die Frage nach den Folgerungen, die sich aus den �Uberlegungen

dieser Arbeit in bezug auf Oralit�at und Literalit�at, d.h. in bezug auf die Auswirkungen

des Computereinsatzes auf Kultur und Gesellschaft, ergeben.

Ich ho�e mit dieser Arbeit deutlich gemacht zu haben, da� die vorschnelle Rede von

einer neuen M�undlichkeit im Sinne einer neuen oralen Kultur im Gegensatz zur vom

Buchdruck bestimmten literalen Kultur zumindest kritisch hinterfragt werden mu�.

Der Computer verh�alt sich hier durchaus ambivalent. Einerseits f�ordert er Tenden-

zen zur Explizierung und Formalisierung, also zur Verschriftlichung von Wissen, wie sie

schon bei der Einf�uhrung des Buchdrucks deutlich zutage treten. Gleiches gilt f�ur

die Steuerung, Kontrolle und Mechanisierung von Arbeitsabl�aufen, von menschlichen

Handlungsm�oglichkeiten allgemein.

Andererseits entlastet die Einf�uhrung etwa von Robotern Menschen von automatenhaften

T�atigkeiten, wie Flie�bandarbeit. Die Entwicklung neuartiger Computerober �achen, d.h.

neuartiger Interaktionm�oglichkeiten mit Computern, scheint dar�uber hinaus zum Beispiel

taktiles, also nichtschriftliches, Wissen zu rehabilitieren.

Auch hier k�onnte sich erweisen, da� die Kategorien Literalit�at und Oralit�at f�ur ein

Verst�andnis der Konsequenzen des Computers f�ur menschliche Kultur im allgemeinsten

Sinne nicht hinreichen, da� kulturelle Ver�anderungen insbesondere mit dem Begri�

`neue Oralit�at' nur unzureichend erfa�t werden.

Wenn es richtig ist, da� weite Teile der Informatik die Tarskische Semantikauf-

fassung teilen, dann ist f�ur sie jener Zwiespalt zwischen korrespondenztheoretischem

Selbstverst�andnis und der Losl�osung semantischer Begri�e von widerst�andiger Wirklich-

keit charakteristisch. Ersteres betri�t das Verh�altnis von Metasprache und dem, auf das

sie sich bezieht, das auch bei Tarski ungekl�art bleibt. Zweiteres betri�t die Konzeption

von Objekt- und Metasprache, die sich f�ur die abstrakte Betrachtung formaler Sprachen

als ebenso n�utzlich erweist wie f�ur die Konstruktion neuer Realit�aten.

Der Informatik stehen hier mit dem Computer lediglich zus�atzlich die technischen und

nicht nur theoretischen M�oglichkeiten zur Verf�ugung neue Realit�aten zu konstruieren.

Hier stellt sich die Frage, welche anderen philosophischen Herangehensweisen zu einem

m�oglicherweise besseren Verst�andnis der Disziplin Informatik und der Artefakte, die sie

herstellt, beitragen kann.

Interessant ist immerhin, da� in j�ungerer Zeit zunehmend versucht wird, konstrukti-

vistische Ans�atze heranzuziehen, um informatische Modellierung und die Wirkungen

informatischer Artefakte zu verstehen.250

250 Erste Ans�atze �nden sich in [ Floyd et al. 92 ]. Siehe auch [ Fischer et al.1995. ]

77

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Letztlich ber�uhrt die M�oglichkeit, technisch Welten herzustellen, in denen Menschen

wie in wirklichen Welten handeln, erkenntnistheoretische, wie auch sprachphilosophische

Fragen.

Allerdings scheinen mir Thesen, wie sie Norbert Bolz formuliert, da� virtuelle Rea-

lit�atssysteme das technische Pendant zur Perspektive des radikalen Konstruktivismus

darstellen251 und sich klassischen Fragen nach Bedeutung, Repr�asentation, Intentiona-

lit�at und Wahrheit als nicht mehr relevant erweisen252, zumindest einer �Uberpr�ufung zu

bed�urfen.

Der Computer reiht sich zwar in eine Tradition ein, die durch eine zunehmende Abl�osung

von widerst�andiger Wirklichkeit gekennzeichnet werden kann. Aber auch in virtuellen

Welten leben nach wie vor Menschen, die kommunizieren, Symbole verwenden, handeln,

sich auf etwas beziehen, l�ugen oder die Wahrheit schreiben.

Welche sozialen, politischen und philosophischen Auswirkungen die M�oglichkeit

hat, neue individuell erlebbare und gemeinsam bewohnbare Welten technisch zu

scha�en, bleibt eine ebenso o�ene wie interessante und brisante Frage.

251 vgl. [Bolz 1993 ] S. 901

252 vgl. [Bolz 1994 ] S. 10

78

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