sistermann robinson, das universum und die feiertage

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Rolf Sistermann Robinson, das Universum und die Feiertage der Religionen nach dem „Bonbon“-Modell Problemorientierte Unterrichtseinheiten in Praktischer Philosophie in den Klassen 5 und 6 In: ZDPE H.1/ 2011, 22-33 In seinem Artikel entwickelt der Verfasser sein didaktisch-methodisches „Bonbon“-Modell und vergleicht es mit ähnlichen Ansätzen von Heinrich Roth und Ekkehard Martens. Anschließend zeigt er an drei Unterrichtseinheiten, wie man das Modell konkret in der Planung und Durchführung von Unterricht der Jahrgänge 5 und 6 anwenden kann. 1. Ausgangssituation „Können wir nächste Stunde auch einmal selber etwas über das Weltall vortragen?“ Vor mir stehen Manjola und Iman, zwei türkische Mädchen aus der Klasse 5, die ich seit einem halben Jahr in Praktischer Philosophie unterrichte. Vor den Weihnachtsferien habe ich das Thema angekündigt. In der ersten Stunde nach den Weihnachtsferien haben sie ihre Fragen gestellt: „Warum fließt den Menschen auf der anderen Seite der Erde das Blut nicht in den Kopf?“, „Wieso dreht sich die Erde?“, „Wie ist das Weltall entstanden?“, „Warum kann man nur nachts die Sterne sehen?“, „Gibt es Aliens?“, „Warum gibt es Planeten?“, „Was ist am Ende des Weltalls?“, „Wer hat das Weltall geschaffen?“, „Ist es vielleicht von selbst entstanden?“ Das ging 1

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Rolf Sistermann

Robinson, das Universum und die Feiertage der Religionen nach dem „Bonbon“-ModellProblemorientierte Unterrichtseinheiten in Praktischer Philosophie in den Klassen 5 und 6In: ZDPE H.1/ 2011, 22-33

In seinem Artikel entwickelt der Verfasser sein didaktisch-methodisches „Bonbon“-Modell und vergleicht es mit ähnlichen Ansätzen von Heinrich Roth und Ekkehard Martens. Anschließend zeigt er an drei Unterrichtseinheiten, wie man das Modell konkret in der Planung und Durchführung von Unterricht der Jahrgänge 5 und 6 anwenden kann.

1. Ausgangssituation„Können wir nächste Stunde auch einmal selber etwas über das Weltall vortragen?“ Vor mir stehen Manjola und Iman, zwei türkische Mädchen aus der Klasse 5, die ich seit einem halben Jahr in Praktischer Philosophie unterrichte. Vor den Weihnachtsferien habe ich das Thema angekündigt. In der ersten Stunde nach den Weihnachtsferien haben sie ihre Fragen gestellt: „Warum fließt den Menschen auf der anderen Seite der Erde das Blut nicht in den Kopf?“, „Wieso dreht sich die Erde?“, „Wie ist das Weltall entstanden?“, „Warum kann man nur nachts die Sterne sehen?“, „Gibt es Aliens?“, „Warum gibt es Planeten?“, „Was ist am Ende des Weltalls?“, „Wer hat das Weltall geschaffen?“, „Ist es vielleicht von selbst entstanden?“ Das ging mit entsprechenden Nachfragen und Erläuterungen eine ganze Stunde so. Wir haben alle Fragen gesammelt, sie geordnet und die Liste in der Klasse aufgehängt. Einige Schüler (mitgemeint sind natürlich im Folgenden auch und, wie das Beispiel zeigt, in besonderem Maße die Schülerinnen) achteten dann genau darauf, dass auch alle im Laufe der Reihe zur Sprache kamen. Es waren sicher nicht nur philosophische Fragen. Viele hätte man auch im Erdkundeunterricht behandeln können. Nachfragen bei Kollegen ergaben allerdings, dass dies nur selten noch der Fall ist. Bei den meisten Fragen lassen sich, wie ich noch zeigen werde, durchaus elementare philosophische

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Gedanken anschließen. Auf jeden Fall zeugen sie von einem brennenden Interesse der Schüler an dem Thema. Wie sehr die Schüler das Thema beschäftigt, zeigt auch der Wunsch Manjolas und Imans, selbst etwas dazu vortragen zu dürfen. Ich bin natürlich damit einverstanden. In der nächsten Stunde kommen mir auf der Treppe Eren und Onur mit zwei wunderbaren OHP-Folien über die Planeten des Sonnensystems entgegen. „Die haben wir gemacht!“, behaupten die zwei Schlitzohren unter Protestgeschrei der beiden Mädchen, denen sie die Folien entwendet haben. Als ich die Jungen auffordere, dazu einen Vortrag zu halten, geben sie es kleinlaut zu. Die beiden Mädchen aber machen es mit Bravour. Sicher haben die Eltern ihnen beim Anfertigen der Folie mit verschiedenen Abbildungen aus dem Internet geholfen. Aber zu den Bildern auch sinnvolle Erklärungen geben zu können, ist für Schülerinnen einer Klasse 5 schon eine beachtliche Leistung.

Unterricht in Praktischer Philosophie gab es an dem Gymnasium in Köln-Mülheim, an dem ich unterrichtet habe, wie an vielen Schulen in NRW, lange Jahre nur in Klasse 9 und 10, dann nämlich, wenn die Schüler religionsmündig geworden und sich in größeren Zahlen vom Religionsunterricht abgemeldet hatten. Die Einrichtung eines verpflichtenden Ersatzunterrichts war nicht zuletzt auch im Interesse der Religionslehrer, denen es nicht weiter zuzumuten war, einen Unterricht durchzuführen, der in Konkurrenz zu Freistunden und/oder Skatspielen stand. Die relativ wenigen Schüler in den unteren Klassen, die nicht am Religionsunterricht teilnahmen, weil sie keiner christlichen Konfession angehörten, wurden mehr oder weniger sinnvoll von wechselnden Kollegen betreut, die von dieser Aufgabe nicht immer begeistert waren.

Nachdem ich als Fachseminarleiter an einigen wenigen anderen Kölner Schulen Praktische Philosophie in Klasse 5 und 6 gesehen hatte, drängte ich darauf, diesen Unterricht auch an unserer Schule einzuführen. Ich hatte Stunden erlebt, in denen die Schüler mit Eifer bei der Sache waren und ein erstaunliches primäres Interesse an den Tag legten, das nicht ungenutzt bleiben durfte. Köln-Mülheim ist neben Berlin- Kreuzberg sicher einer der Stadtteile mit dem höchsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Nachdem sich die Zahl der Neuanmelder, die keiner christlichen Konfession angehörten, plötzlich verdoppelt hatte, war es dann soweit. Es wurden zwei Gruppen mit je 18 Schüler und Schülerinnen eingerichtet, die ich dann in den letzten zwei Jahren meiner Tätigkeit an der

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Schule unterrichten konnte.

2. Problemorientierte Planung nach dem „Bonbon“-ModellDie Planung des Unterrichts war vor allem durch zwei Prinzipien bestimmt: durch die Hinführung am Leitfaden eines Jugendbuches und durch die Ausrichtung des Lernprozesses an einem Modell, das man in Form eines Bonbons darstellen kann (siehe zum Bild des „Bonbons“ unten die Grafik).

Natürlich kann es im Unterricht in den Klassen 5 und 6 nicht primär um Kompetenz im Umgang mit Texten gehen. Vielmehr sollte der Unterricht den Schülerinnen und Schülern in erster Linie Mut zu machen, „sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen“ (Kant). Es ist schon viel erreicht, wenn die Schüler lernen, ihre eigenen Ansichten und die ihrer Mitschüler ernstzunehmen und aufeinander zu hören. Andererseits ist es auch für Schüler in der 5. und 6. Klasse auf die Dauer unbefriedigend, wenn es bei einem unverbindlichen Gespräch bleibt und sie nur ihre Meinungen über die angesprochenen Fragen austauschen. Schüler wollen gerade in diesem Alter auch etwas Neues kennenlernen. In der gemeinsamen Ausrichtung auf ein zu lösendes Problem lassen sich Schüler- und Inhaltsorientierung miteinander verbinden.1

Aus der Intention eines problemorientierten Philosophieunterrichts ist das Bonbonmodell entstanden, ein Lernprozessmodell, das sich im Wechsel zwischen enggeführten und breit gestreuten Unterrichtsbeiträgen in der Form eines Bonbons darstellen lässt. Wenn man Lernen als Problemlösen begreift, sind bestimmte Lernphasen zu beachten, deren Länge sehr unterschiedlich sein kann, deren Abfolge jedoch unabdingbar ist.

In der Hinführung sollte man möglichst breit etwas aufgreifen, das den Schülern unmittelbar zugänglich ist, von dem sie schon einmal gehört haben, von dem sie mehr wissen wollen und das sie mit ihrer Lebenswelt verbinden können. Es geht dabei nicht unbedingt um das Anknüpfen an Alltagserfahrung. Schüler erwarten vom Unterricht gerade auch Kontrasterfahrungen.2

1 „Ein Problem ist somit etwas, das uns wesentlich ist – das uns in unserem Begriff von uns selbst berührt. [...] Im Problem gelangen Welt und Selbst zur bewussten Entsprechung.“. Aus: Gerhardt, V.: Selbstbestimmung. Stuttgart 1999. S. 47.

2 „Schule muss Kontrasterfahrung durch hochspezifizierte Lern- und Erfahrungssituationen anbieten, gerade Abstand von Gewohntem statt der Verdoppelung des alltäglichen Situationsmix.“ Aus: Ziehe, Th.: Adieu 70er

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Ich spreche in dieser Phase bewusst nicht von Einstieg, sondern von Hinführung. Denn es geht nicht darum, sich wie ein Dieb in einem dunklen Hühnerstall langsam an das Problem heranzutasten, über dies und jenes zu reden und, wenn alle Fragen wie die Hühner durcheinander flattern, irgendwo zuzugreifen, sondern möglichst zügig zu einer eng begrenzten und von allen nachvollziehbaren Problemstellung zu kommen. Besonders in dieser Altersstufe, aber nicht nur dort, muss der Zugang zu anspruchsvolleren Texten oder anderen Arbeitsmedien dadurch erleichtert werden, dass diese jeweils an eine klare Problemstellung angebunden werden, mit der sich die Schüler beschäftigen können, bevor sie das betreffende Arbeitsmedium erhalten. Sie haben damit die Möglichkeit, in einer selbstgesteuert-intuitiven Problemlösungsphase eigene Antworten zu finden, die sie in der anschließenden angeleitet-kontrollierten Problemlösungsphase mit den Antworten des Arbeitstextes in Beziehung setzen können. Entscheidend ist es, eine qualifizierte Frage zu finden, die die Schüler dazu bringt, ein Bewusstsein für das zu behandelnde Problem zu entwickeln und mögliche Lösungen zu antizipieren. Sinnvollerweise hält man die intuitiven Lösungen an der Tafel fest, damit die Schüler sie in der Festigungsphase mit den in der kontrollierten Problemlösungsphase aus dem Arbeitstext gewonnenen Antworten vergleichen können. In der anschließenden Transferphase können die Schüler das Gelernte auf andere Situationen übertragen, erweitern, anwenden und problematisieren. In der eingangs geschilderten Unterrichtssituation fühlten sich die beiden Schülerinnen offensichtlich angeregt, das erworbene Wissen über das Weltall anzuwenden und zu erweitern.

Der Lehrer arrangiert also mit den Schülern zusammen einen Lernprozess nach dem Bonbonmodell, in dem die Schüler selbst feststellen können, welchen Fortschritt sie in der Beschäftigung mit den Medien in der kontrollierten Problemlösungsphase gemacht haben. Der Lernprozess braucht nicht mit dem Ablauf einer Unterrichtsstunde identisch zu sein, sondern kann sich auch schon einmal über mehrere Unterrichtstunden hinziehen oder kann in einer Stunde mehrmals stattfinden. Vor allem die selbstgesteuert-intuitive Problemlösungsphase kann unterschiedlich lang sein. Je nachdem, wie ausführlich die Schüler ihre Lösungen ausarbeiten und einbringen wollen, kann

Jahre! Jugendliche und Schule in der zweiten Modernisierung. In: Pädagogik, 7--8/1996. S. 35ff.

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sie zehn Minuten, eine ganze Stunde oder sogar mehrere Stunden umfassen. Wichtig ist nur, dass der Lehrende und möglichst auch der Lernende weiß, in welcher Lernphase er sich jeweils befindet.

Die Phasierung entspricht den in Deutschland zuerst von Heinrich Roth beschriebenen Lernphasen, die ich hier jedoch anders benenne und akzentuiere. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass man im „Bonbon“-Modell nicht wie bei Roth nur zwischen Entwerfen und Ausführen der Lösungen, sondern zwischen den selbständig-intuitiv und den angeleitet-kontrolliert gefundenen Lösungen unterscheidet. Beide Phasen sind in einem Unterricht, der ebenso schüler- wie inhaltsorientiert sein will, unabdingbar.

In den verschiedenen Lernphasen kommen wenigstens in Ansätzen auch die unterschiedlichen philosophischen Methoden zur Anwendung, die die Fachverbände Ethik und Philosophie in einem Diskussionspapier 2006 als besondere Standards herausgestellt haben. Systematischer und philosophisch fundiert hat sie Ekkehard Martens in seiner „Methodik des Philosophieunterrichts“ beschrieben worden.3 Man könnte die verschiedenen Methoden den einzelnen Lernphasen folgendermaßen zuordnen:

In der Hinführungsphase geht es darum, dass die Schüler mit phänomenologischen Methoden etwas wahrnehmen, das zur „Problemkonstituierung“ führt.

In der selbstgesteuert-intuitiven Problemlösungsphase sollen sie mit spekulativen Methoden weiterführenden Einfällen nachgehen.

In der angeleitet-kontrollierten Problemlösungsphase sollen sie mit hermeneutischen Methoden Texte verstehen lernen.

In der Festigungsphase geht es um die Klärung von Argumenten und Begriffen mit Hilfe analytischer Methoden.

In der Transferphase schließlich sollen sie mit Hilfe dialektischer Methoden „Auseinanderssetzungen führen können“.

Zusammengenommen ist damit ein natürlicher Lernprozess beschrieben, in dem offene und geschlossene Phasen, weitere und engere Fragestellungen miteinander wechseln. Daraus ergibt sich eine Synopse in der vergleichenden Benennung

3 Martens, E.: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik. Hannover: Siebert 52010; Zusammenfassung: Ders.: Ein integratives Methodenparadigma der Unterrichtsgestaltung. In: Steenblock, V. (Hrsg): Philosophiekurse. Münster: Lit 2004. S. 155ff.

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durch Roth, Martens, Sistermann und dem Diskussionspapier der Fachverbände.

1. Stufe der Motivation

2. Stufe der Schwierigkeiten

3. Stufe der Lösungen

4. Stufe des Tuns und Ausführens

5. Stufe des Behaltens und Einübens

6. Stufe des Bereitstellens, der Übertragung und der Integration des Gelernten

(Roth, H.: Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 121970. S. 208ff.)

1. Phänomenologische Methode: etwas wahrnehmen können

2. Probleme konstituieren

3. Spekulative Methode:

Einfälle haben können

4. Hermeneutische Methode: jemanden verstehen können

5. Analytische Methode: Argumente und Begriffe klären können

6. Dialektische Methode: Auseinandersetzungen führen können

(Martens, E.: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, 52010)

(Rolf Sistermann in: ZDPE, 1/2005 u. 4/2008)

Wahrnehmungen, Beobachtungen und Erfahrungen differenziert und systematisch beschreiben, verstehen und erklären

Konflikte bearbeiten Gespräche führen

Fantasie und Kreativität entwickeln, Texte verfassen

Texte und andere Medien auf ihren ethisch-philosophischen Gehalt hin erschließen

Fragen und erkunden

Begriffe erklären und angemessen verwenden

Werte klären; Argumentieren und Kritik üben; Handeln

(Methodenkompetenzen nach Diskussionspapier der Fachverbände Ethik und Philosophie zu Bildungsstandards für die Sek. S.44))

In dem systematischen Wechsel zwischen den Phasen subjektiver Aneignung und der Vermittlung von Expertenwissen entspricht das Bonbonmodell dem, was Diethelm Wahl als Sandwich-Prinzip bezeichnet. Das Sandwich-Prinzip schreibt vor, zwischen möglichst kurze und informative kollektive Lernphasen möglichst umfangreiche Phasen des aktiven und

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selbstgesteuerten Lernens einzuschieben.4 Allerdings betont Wahl zu wenig, dass ein kontrollierbarer Lernfortschritt auch bei selbstgesteuertem Lernen eine überschaubare und begrenzte Problemstellung voraussetzt, deren Lösung in einem ebenso überschaubaren Rahmen auf den Begriff gebracht und durch Wiederholung gefestigt werden sollte.

Ein ähnliches Schema des Lehr-/Lernprozesses hat Josef Leisen entworfen. Er unterscheidet folgende sechs Stufen: 1. Problemstellung entdecken, 2. Vorstellungen entwickeln, 3. Lernmaterial bearbeiten, 4. Lernprodukt diskutieren, 5. Lernzugewinn diskutieren und 6. Vernetzen und Transferieren. Dabei gibt er jedoch im Unterschied zum Bonbonmodell der Hinführung zur Problemstellung keinen besonderen Stellenwert. Außerdem wird nicht deutlich, dass die eigentliche Problemstellung enger sein muss als die breiter angelegte Hinführung.5

Schließlich entspricht der problemorientierte Unterricht nach dem „Bonbon“-Modell auch den fünf Kompetenzbereichen, die Anita Rösch zusammengestellt hat.6

In der Hinführungs- und Problemstellungsphase geht es tendenziell um Wahrnehmen und Verstehen,

in der selbstgesteuert-intuitiven Phase um Interagieren und Sich-Mitteilen,

in der angeleitet-kontrollierten Phase um Analysieren und Reflektieren,

in der Festigungsphase um Sich Orientieren und Handeln,in der Transferphasen um Argumentieren und Urteilen.

3. Hinführung durch literarische Texte, z. B. RobinsonBei der Hinführung zu einer mehr oder weniger ausformulierten Problemstellung setzen viele Unterrichtsmaterialien auf erfundene Personen im Alter der Schüler in einer konstruierten Alltagssituation. Da heißt es dann etwa: „Annika und Isabel sind Schülerinnen der sechsten Klasse im Hohenheim-Gymnasium. Auf dem Heimweg sehen sie plötzlich ...“ Manchmal tauchen die

4 Wahl, D.: Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. Bad Heilbrunn 2006. S. 95ff.

5 Leisen, Josef: Kompetenzorientiert unterrichten mit dem Lehr-Lern-Modell http://www.leisen.studienseminar-koblenz.de/uploads2/02%20Der%20Kompetenzfermenter%20-%20Ein%20Lehr-Lern-Modell/1%20Kompetenzorientiert%20unterrichten%20mit%20dem%20Lehr-Lern-Modell.pdf

6 Rösch, Anita: Wohin steuert der Ethikunterricht? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: E & U, 1/2010.

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Namen bei verschiedenen Fragen wiederholt auf, so dass die Schüler sie schon kennen. Trotzdem bleiben sie meist sehr blass und verwechselbar und geben wenig Anlass, sich mit ihren Problemen zu identifizieren. In einem Lehrbuch finden drei Elfjährige z. B. auf einem Dachboden alte Bücher mit Mythen und Sagen und lesen sich gegenseitig begeistert daraus vor. Auch jüngere Schüler merken bald, dass sie mit diesen Kunstfiguren geködert werden sollen und sind entsprechend verstimmt, also wenig motiviert, sich mit deren Fragen zu beschäftigen.

Phantasievoller und spannender sind dagegen Ausgangstexte, die aus der klassischen oder modernen Kinder- und Jugendliteratur stammen. Die vorgestellten Protagonisten sind den Schülern zwar nicht so vertraut wie die Kinder von nebenan, aber dafür lebendiger und interessanter, wenn sie sich einmal in deren Situation versetzt haben. Viele Lehrbücher greifen sie deshalb auf, lassen sie aber meist nur einmal mit einer halben Seite zur Sprache kommen, um zu einer bestimmten Frage hinzuführen. Damit sind Chancen verschenkt, und der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. Ein Lehrbuch7 z. B. geht auf den Klassiker „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe ein, beschränkt sich aber darauf, die Bilanz vorzustellen, die Robinson auf seiner einsamen Insel über die Vorteile und Nachteile seiner Situation zieht. Didaktisch sinnvoller wäre es, bei möglichst vielen Fragen eines Fragenkreises auf sein Schicksal zurückzukommen, so dass die Schüler schon dadurch immer wieder einen Anknüpfungspunkt finden. Eines der Grundprobleme des Unterrichts in Praktischer Philosophie und Ethik ist, dass dem Lehrer nach einem mehr oder weniger intensiven Studium die Zusammenhänge der verschiedenen Fragen eines Fragenkreises8 selbstverständlich sind, den Schüler aber sollen sie ja gerade erst nach und nach vermittelt werden. Solange ihnen die inhaltlichen Zusammenhänge noch nicht vertraut sind, kann das Schicksal einer interessanten Figur als roter Faden dienen.

7 Abenteuer Menschsein, 5/6. Berlin: Cornelsen/Volk und Wissen 2006. S. 28f.

8 Nach dem Kernlehrplan für Praktische Philosophie Sek. I in NRW sollen folgende Fragenkreise behandelt werden: 1. Die Frage nach dem Selbst; 2. Die Frage nach dem anderen; 3. Die Frage nach dem guten Handeln; 4. Die Frage nach Recht, Staat und Wirtschaft; 5. Die Frage nach Natur, Kultur und Technik; 6. Die Fragen nach Wahrheit, Wirklichkeit und Medien; 7. Die Frage nach Ursprung, Zukunft und Sinn.

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Ich habe deshalb am Anfang meines Unterrichts in der Klasse 5 bei der Frage nach dem Ich, dem ersten Fragenkreis des Kernlehrplans NRW von 2007, verschiedene Situationen aus dem Leben Robinsons Crusoes herangezogen, den Schülern dazu gekürzte Textausschnitte gegeben9 und mit Problemstellungen verbunden. Anschließend erhielten sie eine Übersicht über den gesamten Inhalt des Buches, die sie als Grundlage für einen Quiz nutzen konnten.1. Die Entscheidung über Robinsons künftiges Leben im Gespräch mit dem alten Vater (S. 1): „Er fragte mich, welche anderen Gründe als meine Sucht nach Abenteuern mich be-stimmen könnten, Vaterhaus und Heimat preiszugeben, wo ich die besten Aussichten hätte, mein Glück zu machen, und bei Fleiß und Beharrlichkeit ein ruhiges, sorgenfreies Leben führen könnte.“Problemstellung: Was soll aus mir werden?Aufgabe: Gib ihm einen Rat als Freund.2. Nachdem das Schiff, auf dem Robinson von Brasilien nach Afrika reisen wollte, an einer einsamen Insel im Sturm gestrandet ist und alle Gefährten ertrunken sind, hat er noch einmal Gelegenheit, auf einem kleinen Floß eine Anzahl von Gegenständen zu bergen, bevor das Schiff mit der nächsten Flut endgültig verschwindet (31).Problemstellung: Was brauche ich wirklich zum Leben?Aufgabe: Welche 10 Gegenstände würdest du mitnehmen?3. Robinsons Bilanz, nachdem ihm endgültig klar geworden ist, dass er für unabsehbare Zeit allein auf der Insel bleiben muss (S. 37):

Das Böse: Das Gute:

Ich bin auf ein wüstes, trostloses Eiland [Insel] ohne alle Hoffnung auf Befreiung verschlagen.

Aber ich lebe und bin nicht, wie alle meine Gefährten, ertrunken.

Ich bin vereinsamt und von aller Welt geschieden, dazu verurteilt, ein elendes Dasein zu führen.

Jedoch bin ich auch erlesen aus der ganzen Schiffsmannschaft, vom Tode verschont zu bleiben, und der, welcher mir das Leben wunderbar erhalten hat, kann mich auch aus dieser elenden Lage wieder erlösen.

9 Die im folgenden aufgeführten Seitenzahlen beziehen sich auf die Übersetzung von K. Altmüller, die man vom Internet herunterladen kann: http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=404&kapitel=1#gb_found

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Das Böse: Das Gute:

Ich bin von der Menschheit getrennt, ein Einsiedler, verbannt vom Menschengeschlechte.

Trotzdem bin ich auf diesem öden Orte nicht Hungers gestorben.

Ich habe keine Kleider, um meine Blöße zu bedecken.

Aber ich befinde mich in einem heißen Klima, wo ich Kleider, hätte ich sie, schwerlich tragen könnte.

Ich bin ohne Verteidigungsmittel gegen irgend einen gewaltsamen Angriff von Menschen oder Tieren.

Allein ich bin an eine Insel verschlagen, wo ich keine wilden Tiere zu sehen bekomme, wie ich sie an der afrikanischen Küste sah. Was wäre aus mir geworden, hätte ich dort Schiffbruch gelitten?

Problemstellung: Wie fühle ich mich alleingelassen als einzelner Mensch?Aufgabe: Wie sieht meine Lebensbilanz zurzeit aus? Was ist gut? Was ist schlecht an meiner Situation?4. Ergänzung der Lebensbilanz (S. 31):

Ich habe keine [Menschen-] Seele, um mit ihr zu reden oder mich von ihr trösten zu lassen.

Aber Gott schickte durch wunderbare Fügung das Schiff so nahe ans Land, dass ich so viele Dinge daraus holen konnte, die zur Befriedigung meiner Notdurft selbst dienen oder mir die Mittel zur Befriedigung derselben an die Hand geben werden, so lange ich lebe.

Problemstellung: Woher bekomme ich meine Zuversicht?Aufgabe: Welche Bedeutung hat der Gedanke an Gott für Robinsons Bilanz? Könnte man sein Schicksal auch anders sehen? Wie zum Beispiel? Was hältst du von Robinsons Glauben an Gott?

Auch den Fragenkreis 2 des Kernlehrplans Praktische Philosophie/NRW, in dem des um die Frage nach dem anderen geht, könnte man in Anknüpfung an die Erzählungen von Robinson und seinem Gefährten Freitag behandeln. Unterschiede im Verhältnis von Herr und Diener, Schüler und Lehrer und dem unter Freunden könnte man hier genauer beleuchten (S. 115ff.).

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Schließlich könnte man auch Fragen des Fragenkreises 7, die Fragen nach Ursprung, Zukunft und Sinn, im Anschluss an Texte aus „Robinson Crusoe“ behandeln. Der Versuch Robinsons, Freitag „in der Erkenntnis des wahrhaftigen Gottes zu unterweisen“, nimmt in dem Buch einen breiten Raum ein. Allerdings überfordern die dort gestellten Fragen, wie z. B. „Aber, wenn Gott ist so viel mächtiger als der Teufel, warum nicht todt ihn macht er, so dass er nicht kann schaden mehr?“ (S. 122), nicht nur den selbsternannten Missionar („Diese Frage verdutzte mich ungemein.“), sondern wahrscheinlich auch das Verständnis der Schüler in der 5. und 6. Klasse. Im Kernlehrplan sind sie deshalb den 9. und 10 Klassen vorbehalten. In der 5. und 6. Klasse empfiehlt der Kernlehrplan, sich im Fragenkreis 7 auf die Themen „Vom Anfang der Welt“ und „Leben und Feste in unterschiedlichen Religionen“ zu konzentrieren.

In zwei ausführlichen Unterrichtsreihen bin ich dem nachgekommen. Aus den dabei gemachten Erfahrungen sind zwei Kapitel des Unterrichtswerks „Weiterdenken“ Bd. A entstanden, das 2009 im Schroedel Verlag erschienen ist. Das Unterrichtswerk liegt nun abgeschlossen für die Sek. I in zwei Bänden mit Lehrerhandbüchern vor. Band A für die Klassen 5 bis 7, Band B für die Klassen 8 bis 10. Der Band C für die Sek. II wird 2012 erscheinen. Alle haben zwei besondere Merkmale. Einmal haben wir uns bemüht, möglichst viele Textausschnitte aus einem zu dem jeweiligen Fragekreis passenden Jugendbuch in das entsprechende Kapitel aufzunehmen und diese als Hinführung für die jeweiligen Lernprozesse zu nutzen. Zum anderen sind die einzelnen Unterthemen konsequent nach dem „Bonbon“-Modell aufgebaut. Die Aufgaben und Materialien sind den Phasen dieses Lernprozessmodells zugewiesen. Die Zuordnung wird in den zugehörigen Lehrerhandbüchern durch folgende Icons markiert:

a) Hinführungsphase ßb) Problemstellungsphase ?c) intuitive Problemlösungsphase Ùd) kontrollierte Problemlösungsphase Úe) Festigungsphase !f) Transferphase Û

Im Folgenden werde ich die beiden Unterrichtsreihen zum Universum und den Festen der Religionen vorstellen, aus denen

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die genannten beiden Kapitel Band A hervorgegangen sind, dabei exemplarisch auf die Möglichkeiten der Arbeit mit dem „Bonbon“-Modell eingehen und die in den Lehrerhandbüchern benutzten Icons verwenden.

4. Vom Universum und vom Staunen über das LebenEine Unterrichtsreihe, die sich nach den Vorgaben des Kernlehrplans nur mit dem Universum beschäftigt, steht in der Gefahr, sich in der Vermittlung naturwissenschaftlichen, speziell astronomischen Wissens zu erschöpfen. Ich habe deshalb einen zweiten Schwerpunkt hinzugenommen und die Reihe „Vom Universum und vom Staunen über das Leben“ genannt. Als Hinführung zur Beschäftigung mit diesem zweiten Schwerpunkt erwiesen sich Textausschnitte aus Jostein Gaarders Buch von 1996 „Hallo, ist da jemand?“ als besonders geeignet. In dem Buch erzählt ein norwegischer Astronom von einer traumhaften Begegnung in seiner Kindheit mit einem Jungen von einem fernen Planeten. Dabei tauschen die beiden Jungen in kindgemäßer, aber informativer und anregender Weise ihr Wissen über die Entstehung des Lebens und den Aufbau des Weltalls aus. Ergänzend habe ich als roten Faden einen seit langem vergriffenen Jugendroman hinzugezogen, den ich selbst als Zehnjähriger immer wieder gelesen habe und der, wie ich feststellen konnte, auch die heutigen Schüler noch fesseln kann, „Auf unbekanntem Stern“ von A. Kolnberger. Das Buch erzählt eine abenteuerliche Science-Fiction-Geschichte von der gescheiterten Landung eines Raumschiffs auf einem unbekannten Planeten in einem früheren Stadium der Entwicklung. Wie Robinson ist Peter Bergen der einzige Überlebende in einer fremden Welt mit unheimlichen Lebewesen. Er erlebt die Verlorenheit im Weltall, trifft auf Urzeittiere und schließlich auch auf menschenähnliche Wesen, durch die er mit der Frage nach seiner Bestimmung konfrontiert wird.

Menschen von zwei SternenVor ihm stand der Mensch. War es ein Mensch? Ein Wesen stand ihm gegenüber, so bizarr und seltsam, dass er nicht wusste, sollte er den Anblick grässlich oder schön empfinden. Ein Lebe-wesen, das aufrecht stand und an dessen Armen und Beinen sich grünliche, fischflossenartige Hautlappen vibrierend bewegten. [...]Das war also ein Mensch dieses Planeten; dieses echsenhaft gebildete und doch wieder so schön anzusehende Wesen.

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[...] Bergen trat auf es zu, die beiden Hände vorgestreckt: „Ich komme von der Erde“, sprachen seine Lippen, aber vor Erregung kam nur ein verschlucktes, hilfloses Krächzen aus seinem Mund.

Seine Stimme oder die Bewegung seiner Hände musste das Menschenwesen erschreckt haben. Die Hautlappen spannten sich plötzlich, es warf die Arme hoch, und wie ein grotesker Vogel schnellte es sich in die Luft. Mit großen fliegenden Sprüngen hetzte es davon. [...]

In dieser Nacht schlief Peter Bergen nicht, so ungestüm war alles in ihm aufgewühlt. Immer und immer wieder ließ er die einzelnen Phasen des Geschehens dieser Minuten an seinem Geist vorüberziehen, sah diesen Menschen vor sich mit seinem Schuppenleib und den vibrierenden Flug-flossen. Wie geschmeidig dieser Körper war, dieses glatte, faltenlose Gesicht: Das war eine Menschenfrau gewesen!

[...] Ob dieses Mädchen ihn für ein Tier, einen anderen Menschen oder einen Gott gehalten hatte: Diese Menschen würden wissen wollen, wer dieses Wesen war, das einem von ihnen im großen Wald begegnete. [...]

Peter Bergen brauchte nicht lange zu warten. Er sah, als er am nächsten Tage wieder am Rande des Waldes stand und in das Tal hinabschaute, dort etwas Unbestimmtes sich bewegen. Später unterschied er zehn bis zwölf dunkle Punkte, die sich der Höhe näherten. Er beobachtete die eigenartige Weise ihrer Fortbewegung. Sie schienen weder richtig zu laufen, noch eigentlich zu fliegen, sondern machten große Sprünge, wobei ihre Flughäute gespannt waren. [...] Sie schienen ihn gesehen zu haben, denn sie blieben stehen. Er erkannte das Mädchen unter ihnen. Die anderen waren vermutlich Männer, denn sie waren größer und kräftiger gebaut und hielten in den Händen verschiedene Dinge, große Steine, Keulen, bogenartige Hölzer und Speere.

[...] Sie redeten nicht, sie bewegten sich nicht. Welch großer Augenblick! Keine Furcht, keine Unsicherheit hemmte Bergens Denken, und er empfand [...] die Einmaligkeit und Größe dieser Stunde.

Sie standen sich noch immer gegenüber, die Menschen von zwei Sternen, und sahen sich unverwandt, unbeweglich an. Warum kamen sie nicht näher? Sollte er sie anrufen, sie auffordern herzukommen? Nein, das war sinnlos. Wie sollten sie begreifen, was er sagte, und was hätte er sprechen sollen? Vielleicht: „Hallo, boys“, oder sollte er vielleicht „Grüß Gott“ sagen oder „Guten Tag“. [...] Und von einem glücklichen Instinkt getrieben, hob er den Arm und riss einen Zweig von dem Baum, unter dem er stand. Dann ging er ruhig und ohne Hast den halben Weg auf die anderen zu und legte mit deutlich sichtbarer Geste diesen auf den Boden. „Komm“, wollte er sagen, „komm mir auf halbem Wege entgegen, du Mensch, wenn du eine Seele hast wie ich, die dich und mich über die Tiere erhebt und uns zu Brüdern macht. So anders auch die Hülle ist, in der diese lebt, lass uns die Hände reichen.“ Und der Mensch des fremden Sternes verstand diesen Akt der Freundschaft.

An eigenartigen Lauten, die die Männer von sich gaben, erkannte er, dass sie miteinander sprachen. Jetzt gingen sie auf die Stelle zu, wo der Zweig lag und legten – ein Glücksgefühl stieg in ihm auf, als er es sah – ihre Waffen vor ihm zu Boden. (Kolnberger, A.: Auf unbekanntem Stern. S. 104--108)

ß Die spannend erzählte Begegnung Peter Bergens mit den Flügelmenschen machte den Schülern deutlich, wie schwierig die Verständigung mit Lebewesen sein kann, die immerhin noch

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menschenähnlich sind.? Aus den vorangegangenen Lerneinheiten wussten die

Schüler, dass es innerhalb unseres Sonnensystems keine bewohnbaren Planeten gibt, dass ein Raumschiff bis zur nächsten Sonne Alpha Centauri mehr als 40 000 Jahre brauchen würde und dass es also nie zu solch einer Face-to-Face-Begegnung kommen wird. Wohl aber ist es möglich, eine Botschaft mit einer unbemannten Rakete ins All zu schicken, die in fernen Zeiten von völlig unbekannten intelligenten Lebewesen empfangen und entziffert werden könnte. Daraus ergab sich die Aufgabe: Wie müsste eine solche Botschaft aussehen, in der die Menschen sich anderen Lebewesen im All vorstellen, die sich in einer unbekannten, vielleicht völlig anders geartete Sprache verständigen?Ù In der selbstgesteuert intuitiven Problemlösung haben die

Schüler phantasievolle schriftliche oder bildliche Botschaften entworfen und dabei überlegt, was den Menschen in besonderer Weise auszeichnet. Viele haben einen Menschen gezeichnet oder einfache Zahlenverhältnisse aufgeschrieben. Wenn sie die Größe des Menschen im Verhältnis zu Tieren oder Häusern dargestellt haben, haben andere sie daran erinnert, dass den anderen Lebewesen diese sicher auch unbekannt sind. Einige wussten, dass es in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Arten gibt, Zahlen darzustellen, z. B. die römischen Ziffern.Ú Als sie hörten, dass die Astronomen Sagan und Drake 1972

tatsächlich eine solche Botschaft ins All gesandt haben, waren sie gespannt, wie diese das Problem gelöst haben. Sie erhielten in der kontrollierten Problemlösung folgende Materialien:

Grüße ins AllDie kosmischen Grußbotschaften auf den 1972 gestarteten Jupiter-Sonden Pioneer 10 und 11 [...] werden mit Sicherheit nicht in den nächsten 44 000 Jahren gelesen werden – so lange dauert es nämlich, bis die Raumroboter den nächsten Fixstern passieren.

Das menschliche Paar [...] steht vor der Raumsonde Pioneer 10, um so die Körpergröße des Menschen darzustellen. Links von ihnen befindet sich die „Pulsarkarte“, die sich Frank Drake ausdachte, um den Bestimmungsort unseres Sonnensystems anhand der Entfernungen zu 14 verschiedenen Pulsaren [Sterne mit starker

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pulsierender Strahlung] zu identifizieren.Die [...] Länge der jeweiligen Linien steht für ihre Entfernung von dem

zentralen Punkt, der Sonne. [...] Auf dem unteren Rand der Karte fügte Carl Sagan die Sonne und die Planeten hinzu, deren Durchmesser in dem Vielfachen von Wasserstoffwellenlängen angegeben wurden. Auf der Flugbahn, die vom dritten Planeten ausgeht, befindet sich die schematische Darstellung von Pioneer 10. Man sieht, wie sich die Raumsonde zwischen dem größten und dem geringelten Planeten emporhebt.

Mit Hilfe des Textes „Grüße ins All“ konnten die Schüler die Nachrichtenplatte entschlüsseln. Besonders interessierte Schüler konnten eine ausführlichere Erklärung im Internet unter http://www.science-at-home.de/platte.php finden. ! Der Vergleich der Nachrichtenplatte der beiden Astronomen

mit den eigenen Entwürfen diente der Festigung.Û In der Transferphase diskutierten die Schüler darüber,

wieweit eine solche Botschaft überhaupt sinnvoll ist. Einige, die Filme wie „Independence Day“ (Roland Emmerich, 1996) gesehen oder von unheimlichen Invasionen von Aliens gehört hatten, brachten dementsprechende Bedenken ein, die von anderen als unrealistisch bestritten wurden. Um den distanziert reflektierenden Blick „from nowhere“ (Th. Nagel) auf unsere Lebenswelt zu vertiefen, lautete die Hausaufgabe folgendermaßen:

Stell dir vor, dass heute Nacht ein Raumschiff von einem anderen Planeten in der Nähe deiner Schule gelandet sei. Die Aliens können sich unsichtbar machen und schwärmen aus, unsere Erde zu erkunden. Einer von ihnen sitzt unsichtbar in deiner Klasse. Schreibe auf, welchen Bericht er möglicherweise an seine Zentrale senden könnte.

5. Schöpfungserzählungen und Feiertage der Religionen Der zweite Schwerpunkt, unter dem der Fragenkreis 7 (Die Frage nach Ursprung, Zukunft und Sinn) nach dem Kernlehrplan NRW in Klasse 5 und 6 behandelt werden soll, heißt „Leben und Feste in unterschiedlichen Religionen“. Eine problemorientierte Unterrichtsreihe über die Feste unterschiedlicher Religionen zu entwerfen, ist jedoch nicht einfach. Einerseits kann es nicht damit getan sein, möglichst viele hintereinander zu reihen, die die Schüler dann mit oberflächlich folkloristischem Interesse unter dem Gesichtspunkt „Fremde Länder – fremde Sitten“ als Kuriositäten wahrnehmen. Andererseits kann man schon auf Grund der Pluralität der Religionen und dem in den Richtlinien

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vorgeschriebenen Überwältigungsverbot nicht dem Absolutheitsanspruch der jeweiligen Religionen folgen. Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Religionen im Philosophie- und Ethikunterricht muss vielmehr zum Ziel haben, Respekt und Toleranz gegenüber fremden Traditionen zu fördern. Dazu ist es sinnvoll, einerseits das Gemeinsame und Verbindende zwischen den Religionen herauszustellen, aber andererseits auch ein Verständnis der Besonderheiten aus einem Wissen über die Ursprünge zu entwickeln. Um dem gerechtzuwerden, habe ich mich bei der Behandlung der drei großen abrahamitischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sabbat, Sonntag und Freitagsgebet und deren Zusammenhang mit den Schöpfungsvorstellungen konzentriert.

Mit den im achten Kapitel von „Weiterdenken“, Bd. A, zusammengestellten Materialien und Aufgaben können die Schüler lernen,1. wie der Sabbat in der babylonischen Gefangenschaft der Juden entstanden ist und als Ersatz für den verlorengegangenen Tempel zum Zentrum ihres Glaubens wurde;2. dass dies in bewusster Absetzung gegen die babylonische Gestirnsreligion geschah;3. dass diese in der Verehrung des Himmelsgottes Marduk, der die Welt aus dem getöteten Drachen Tiamat erschuf und allen andern Göttern ihren Platz am Himmel gab, die unumschränkte Herrschaft Nebukadnezars als Stellvertreter Marduks legitimierte;4. dass die in dieser Zeit entstandene erste Schöpfungserzählung der Bibel die sieben Tage nicht etwa wie im Kreationismus als wörtliche Zeitangabe verstand, sondern als Hymnus auf den Sabbat als Krone der Schöpfung;5. dass das Christentum dieses Verständnis übernommen hat, aber nun nicht den letzten, sondern den ersten Tag der Woche als Tag der Auferstehung Christi feiert;6. dass auch Mohammed die Rede von den sechs Tagen der Schöpfung übernommen hat, aber, weil nach seinem Glauben Gottes Schöpfungskraft nie ermüdet, nicht der siebte, sondern der Abend des sechsten Tages durch besondere Gebete gefeiert wird;7. da besonders die Behandlung islamischer Traditionen in einer Klasse mit überwiegend muslimischer Schülerschaft auf großes Interesse stößt, aber auch hoch emotionalisiert ist, hat es sich als sinnvoll erwiesen, eine kurze Reihe über hinduistische

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Opferfeste vorzuschalten, um erst einmal aus der Distanz über Religion reden zu können.

Ein Jugendbuch zu finden, das in angemessener Weise zur Hinführung in alle vier Religionen dienen könnte, erwies sich als unmöglich. Der anspruchsvolle Aufbau der Reihe verlangte jedoch, einen altersgemäßen, unverfänglichen Anfang zu finden, bei dem möglichst alle Schüler sich angesprochen fühlen und mitreden können. Da die babylonische Gestirnsreligion als Ursprung der Astrologie gilt, bot sich ein Buch an, in dem es um Mädchenfreundschaften, erste Klassenparties, Verliebtheiten und vor allem um immer neue Diskussionen geht, inwieweit man sich von den Sternzeichen leiten lassen soll: „Astro-Girls“ von Anita van Saan. Es hat zwar erst einmal nichts mit Schöpfungserzählungen und den Feiertagen der Religionen zu tun, kann aber zur Hinführung in die gesamte Reihe dienen. Es thematisiert auf eine altergemäße Weise die Frage, welchen Einfluss die Sterne auf unser Leben haben und wieweit dieses von kosmischen Mächten gelenkt wird. Die Schüler können im Anschluss daran lernen, dass die sieben symbolischen Tage der ersten biblischen Schöpfungserzählung in direkter Auseinandersetzung mit diesem Sternglauben entstanden sind. Zum Abschluss also hier die in das Religionskapitel einführende erste Unterrichtseinheit mit den Icons für die Unterrichtsphasen aus dem Lehrerhandbuch:

Nora und Lily sprechen über ihre Klassenkameradin Lenna.Interesse an Horoskopen„Vor allem Lenna mit ihrer Astrologie. Wie ist das mit dir? Richtest du dein Leben auch nach dem Tageshoroskop aus?“

„Vielleicht sollte ich das.“ Lily fuhr sich mit der Bürste durch ihre Haare und zwang sich zu einem Lächeln. „Vielleicht hätte ich dann bessere Noten.“

„Das wage ich zu bezweifeln“, lachte Nora. „Außerdem steht ja bekanntlich in jeder Zeitschrift ein anderes Horoskop. Findest du nicht? Weißt du überhaupt, woher das Wort Horoskop kommt?“

Lily schüttelte den Kopf.„Vom griechischen horoskopion, übersetzt heißt es Stundenschauer. Das war

ein Werkzeug, mit dem man die Stellung der Planeten bei der Geburt bestimmt hat, und aus der Planetenkonstellation hat man dann das Schicksal gedeutet.“

„Echt?“„Ja. Und ich versteh nicht, wie man auch heute noch an diesen Quark

glauben kann. Also ich lese das Horoskop höchstens mal zur Unterhaltung. Und du? Nimmst du die Astrologie wirklich ernst?“

„Na ja, manchmal steht im Horoskop schon was drin, was passt ...“„Also, ich bin Sternzeichen Jungfrau. Einmal habe ich versehentlich im

Horoskop beim Skorpion gelesen und habe das nicht gleich gemerkt. Passt ja echt toll, fand ich. Dann habe ich den Fehler bemerkt und bei Jungfrau nachgeschaut. Das hat auch auf mich gepasst, obwohl da was ganz anderes

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stand. Man kann das alles irgendwie so interpretieren und im Grunde das herauslesen, was man will. Und deshalb kannst du das Ganze auch nicht ernstnehmen.“

„Die Horoskope in den Zeitschriften vielleicht, ja, die sind auch viel zu allgemein. Lenna hat mir gesagt, dass jeder sowieso ein ganz persönliches Horoskop brauchte. So eines, bei dem Geburtsort und Geburtszeit und so berücksichtigt sind.“

„Trotzdem“, sagte Nora und tippte sich an die Stirn, „wie sollen die Planeten denn mein Leben beeinflussen? Denk doch mal nach! [...]“

„Versteh mich nicht falsch, ich mag [Lenna]. Aber zurzeit kommt sie mir einfach ein bisschen gaga vor.“

„Sie will Ben und Flo miteinander verkuppeln, weil die beiden vom Tierkreiszeichen her so gut harmonieren. Hast du das gewusst?“[S. 45--47]

? 1 Nora, Lily und Lenna haben unterschiedliche Meinungen zu Horoskopen. Wie unterscheiden sie sich?

Ù 2 Liest du Horoskope? Glaubst du an den Einfluss der Sternzeichen?

Alles Zufall oder Schicksal? – ein TestSchicksal und Horoskope – glaubst du daran? Oder hältst du das alles für Hokuspokus? Mach den Test und finde heraus, wie deine Einstellung deine Beziehung zu Jungs oder Mädchen beeinflusst. Lies die Fragen durch und kreuze jeweils die Antwort an, für die du dich entscheidest.

1. Du denkst an deine(n) beste(n) Freund(in). Im selben Moment klingelt das Telefon. Sie ist dran ...

(MA) Witzig, dass wir gleichzeitig aneinander denken.(MY) Das passiert uns öfter. Wir haben einfach einen magischen Draht zueinander.(MO) Reiner Zufall. Das hat nichts mit übersinnlichen Fähigkeiten zu tun.2. Hast du deinen Glücksbringer immer dabei?(MY) Klar! Ohne meinen Talisman gehe ich nie aus dem Haus. Und er hat mir auch

schon oft Glück gebracht.(MA) Zu wichtigen Dates oder Klassenarbeiten nehme ich meinen Glücksbringer schon

mit. Schaden kann er ja nicht.(MO) Eigentlich habe ich gar keinen Talisman. Ich trage die Kette mit meinem Glücks-

stein, weil sie mir gefällt.3. Liest du dein Horoskop?(MA) Ja, oft. Ich glaube aber nur daran, wenn was Gutes drinsteht.(MO) Ab und zu. Aber hinterher ärgere ich mich meistens darüber, weil es fast nie

stimmt.(MY) Immer! Schließlich möchte ich wissen, wie meine Sterne stehen.4. Zu euch nach Hause kommt der Schornsteinfeger. Als er geht, schüttelt er dir die

Hand.(MY) Super, das bringt Glück! Die Hand wasche ich heute nicht mehr.(MO) Na toll. Ich bin sowieso schon spät dran. Jetzt muss ich mir auch noch mal die

Hände waschen.(MA) Ob das wirklich Glück bringt? Mal schauen, wie der Tag heute läuft.5. In letzter Zeit scheinst du vom Pech verfolgt zu sein. Was unternimmst du dagegen?(MA) Ich bleibe entspannt. Manchmal läuft es eben besser, manchmal schlechter.(MY) Zeit für einen neuen Talisman! Mein alter scheint ausgedient zu haben.(MO) Ich versuche, positiv zu denken. Die nächste Glückssträhne kommt bestimmt.Schreibe in dein Heft die Zahlen 1--5 untereinander und daneben die Buchstaben vor der

Antwort, die am meisten auf dich zutrifft. Die Buchstaben, für die du dich am häufigsten

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entschieden hast, stehen für deinen Typ:(MY): Mystic Girl/boy: Ob es Magie und das Übersinnliche gibt? Aber klar! Du glaubst an

Schicksal und Horoskope [...]. Überlass nicht alles der Vorsehung. Letztendlich hängt dein Glück nicht von übernatürlichen Kräften, sondern von dir ab! (...)

(MA): Magic girl/boy: Mit Horoskopen und Co. gehst du spielerisch um. Ein bisschen glaubst du schon an Magie und Schicksal, auch wenn du es vielleicht nicht so nennst. Du weißt genau, wann du mit deinem Kopf und wann du mit deinem Gefühl entscheiden sollst. (...)

(MO): Modern girl/boy: Mit Magie hast du nicht viel am Hut. Okay, ab und zu liest auch du dein Horoskop – du würdest dich aber nie davon beeinflussen lassen. Du bist jemand, der mit beiden Beinen auf der Erde steht und sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. (...)

(Quelle: Zeitschrift GZSZ nach: van Saan, Anita: Astro Girls. München: arsEdition 2006. S. 50ff.)

3 Im Lauf des Jahres steht die Sonne von der Erde aus gesehen vor zwölf verschiedenen Sternzeichen. In welchem Sternzeichen ist jemand bei der Konstellation [der Stellung der Sterne zueinander] auf dem obenstehenden Bild geboren?! 4 Wie beurteilen die Psychologen Eysenck und Nias im folgenden Text die Glaubwürdigkeit der Astrologie? Schreibe die wichtigste Aussage ins Heft. Û 5 Was hat sich ihrer Ansicht nach heute gegenüber den alten Zeiten geändert?

Über die Glaubwürdigkeit der Astrologie.Wer an die Astrologie glauben möchte, sollte sich vor Augen halten, dass es für ihre Lehren keine wissenschaftliche Grundlage gibt. In alten Zeiten glaubten die Menschen an die Vorhersagen und Ratschläge [...], weil die Astrologie ein selbstverständlicher Bestandteil ihres magischen Weltverständnisses war. Himmelskörper galten als Wohnsitz oder Zeichen der Götter, die in direkter Beziehung zu Ereignissen auf der Erde standen. Von den

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riesigen Entfernungen zwischen der Erde und den Planeten und Fixsternen hatte man keinerlei Vorstellung. Jetzt, da man diese Entfernungen berechnen kann und auch berechnet hat, können wir erkennen, wie unendlich klein die Gravitations [Schwerkraft-]- und anderen Kräfte sind, die von den fernen Planeten und den unabsehbar weiter entfernten Fixsternen ausgehen. Es ist einfach ein Irrtum sich vorzustellen, dass die im Augenblick der Geburt von Sternen und Planeten ausgeübten Kräfte in irgendeiner Weise unsere Zukunft formen könnten. Auch ist es nicht richtig, dass die Positionen entfernter Him-melskörper gewisse Tage oder Zeitabschnitte für ein bestimmtes Handeln geeigneter machen oder dass das Sternzeichen, unter dem jemand geboren wurde, darüber entscheidet, wie sehr oder wie wenig er mit anderen Menschen zusammenpasst. [...] In unsicheren Zeitläufen sehnen sich viele nach der Bequemlichkeit, sich bei ihren Entscheidungen leiten und lenken zu lassen. Sie glauben nur zu gern an ein Schicksal, das von Kräften außerhalb ihrer eigenen Kontrolle vorherbestimmt ist. Wir müssen jedoch alle [...] erkennen, dass unsere Zukunft bei uns selber liegt und nicht in den Sternen.(Eysenck, Hans Jürgen/Nias, David: 1984)

Û 6 Sucht aus verschiedenen Zeitschriften Horoskope zu einem bestimmten Sternzeichen. Untersucht, wieweit sie übereinstimmen.

Besonders der Test „Alles Zufall oder Schicksal?“ in der intuitiven Phase hat den Schülern gefallen. Sie waren mit Begeisterung dabei und haben weitere mögliche Testfragen zu Aberglauben und Magie vorgeschlagen. Am Schluss der Unterrichtsreihen haben wir die im Lehrerhandbuch abgedruckten Multiple-Choice-Tests zu den zehn wichtigsten Begriffen des jeweiligen Kapitels durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass die meisten Schüler, vor allem die Mädchen, die angestrebten Wissensstandards erreicht hatten. Allerdings hatten auch einige Jungen demnach vieles nicht mitbekommen. Meine beiden „Schlitzohren“ Eren und Onur gehörten natürlich auch dazu.

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