thyssenkrupp-aktionszeitung der ig metall – oktober 2017 ... · werden wir das gesamte konzept...

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Es geht um sehr viel mehr. Die Zukunft einer gan- zen Region steht auf dem Spiel. Ruhrgebiet ohne Stahl? Wir wollen uns das Elend gar nicht vorstel- len. Wenn wir nicht aufpassen, könnte am Ende die komplette tkAG den Bach runtergehen. Tausende von Arbeitsplätzen sind gefährdet – im gesamten Land. Wir wissen, was wir von großmundigen Versprechen zu halten haben. Stichwort Brasilien. Hier hat das Unternehmen mal eben fast seinen gesamten Bör- senwert verzockt. Das lassen wir kein zweites Mal mit uns machen. thyssenkrupp ist nun über beide Ohren verschuldet und will die Pleitemilliarden in die neue Stahlgesellschaft kippen. Das ist der Plan. Und der ist inakzeptabel. Stahl darf nicht zur „Bad Bank“ oder Glaubt man der Unternehmensleitung von thyssen- krupp, ist die Fusion mit Tata Steel der Grundstein ei- ner neuen Erfolgsgeschichte, und das „Joint Venture“ sichere die Zukunft des gesamten Konzerns. Einspruch. Wir, die IG Metall, sehen eine mögliche Fusion mit Tata kritisch. Sehr kritisch! Und deshalb werden wir das gesamte Konzept auf seine wirt- schaftliche, mitbestimmungsrechtliche und soziale Belastbarkeit hin prüfen, bevor wir in irgendwelche Verhandlungen mit dem Unternehmen treten. Es ist noch längst nichts unter Dach und Fach. Denn es geht bei den Plänen der Konzernleitung nicht allein um 2000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, die „irgendwie sozialverträglich von alleine wegfallen“ – und danach würde dann alles gut. anders ausgedrückt, zum „Schuldenklo“ der thyssen- krupp AG werden. Überall in den Belegschaften regt sich deshalb Wider- stand. Zuletzt in Bochum: 7000 haben dort demons- triert. Gemeinsam mit den Beschäftigten fordern wir verbindliche Garantien. Und wir fordern, dass die Anteilseigner ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Hallo, Villa Hügel, aufgewacht! Ja, ihr seid gemeint. Wenn wir nicht bald vernünftige Antworten erhalten, dann brennt hier die Hütte! thyssenkrupp-Aktionszeitung der IG Metall – Oktober 2017 – Ausgabe 1 ES GEHT UM UNS Wir fordern verbindliche Garantien. THYSSENKRUPP SPIELT MIT UNSERER ZUKUNFT! „thy-Tata“ heißt Brandgefahr: Standorte stehen auf dem Spiel, Arbeitsplätze sind in Gefahr. Die IG Metall fordert Klarheit. FUSIONS-FANTASIEN Ein Zusammenschluss mit Tata ist noch lange nicht beschlossene Sache. Seite 2 DIE STREICHLISTE Eine thysssenkrupp-Deutschlandkarte: wo es überall brennt. Seite 3 DAS SCHULDENMONOPOLY Wie thyssenkrupp Milliarden an Altlasten in das neue Unternehmen kippen will. Seite 4 STAHL-WILLI, WAS IST LOS? Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Willi Segerath im Interview. Seite 7

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Es geht um sehr viel mehr. Die Zukunft einer gan-

zen Region steht auf dem Spiel. Ruhrgebiet ohne

Stahl? Wir wollen uns das Elend gar nicht vorstel-

len. Wenn wir nicht aufpassen, könnte am Ende die

komplette tkAG den Bach runtergehen. Tausende von

Arbeitsplätzen sind gefährdet – im gesamten Land.

Wir wissen, was wir von großmundigen Versprechen

zu halten haben. Stichwort Brasilien. Hier hat das

Unternehmen mal eben fast seinen gesamten Bör-

senwert verzockt. Das lassen wir kein zweites Mal mit

uns machen. thyssenkrupp ist nun über beide Ohren

verschuldet und will die Pleitemilliarden in die neue

Stahlgesellschaft kippen. Das ist der Plan. Und der

ist inakzeptabel. Stahl darf nicht zur „Bad Bank“ oder

Glaubt man der Unternehmensleitung von thyssen-

krupp, ist die Fusion mit Tata Steel der Grundstein ei-

ner neuen Erfolgsgeschichte, und das „Joint Venture“

sichere die Zukunft des gesamten Konzerns.

Einspruch. Wir, die IG Metall, sehen eine mögliche

Fusion mit Tata kritisch. Sehr kritisch! Und deshalb

werden wir das gesamte Konzept auf seine wirt-

schaftliche, mitbestimmungsrechtliche und soziale

Belastbarkeit hin prüfen, bevor wir in irgendwelche

Verhandlungen mit dem Unternehmen treten.

Es ist noch längst nichts unter Dach und Fach. Denn

es geht bei den Plänen der Konzernleitung nicht allein

um 2000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, die

„irgendwie sozialverträglich von alleine wegfallen“ –

und danach würde dann alles gut.

anders ausgedrückt, zum „Schuldenklo“ der thyssen-

krupp AG werden.

Überall in den Belegschaften regt sich deshalb Wider-

stand. Zuletzt in Bochum: 7000 haben dort demons-

triert. Gemeinsam mit den Beschäftigten fordern wir

verbindliche Garantien. Und wir fordern, dass die

Anteilseigner ihrer sozialen Verantwortung gerecht

werden. Hallo, Villa Hügel, aufgewacht! Ja, ihr seid

gemeint.

Wenn wir nicht bald vernünftige Antworten erhalten,

dann brennt hier die Hütte!

thyssenkrupp-Aktionszeitung der IG Metall – Oktober 2017 – Ausgabe 1

ES GEHT UM UNS

Wir fordern verbindliche Garantien.

THYSSENKRUPP SPIELT

MIT UNSERER ZUKUNFT!

„thy-Tata“ heißt Brandgefahr: Standorte stehen auf dem Spiel, Arbeitsplätze sind in Gefahr. Die IG Metall fordert Klarheit.

FUSIONS-FANTASIEN Ein Zusammenschluss mit Tata ist noch lange nicht beschlossene Sache. Seite 2

DIE STREICHLISTEEine thysssenkrupp-Deutschlandkarte: wo es überall brennt. Seite 3

DAS SCHULDENMONOPOLYWie thyssenkrupp Milliarden an Altlasten in das neue Unternehmen kippen will. Seite 4

STAHL-WILLI, WAS IST LOS?Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Willi Segerath im Interview. Seite 7

beste und richtige Weg für thyssenkrupp Steel Europe

ist“, sagt Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall

Nordrhein-Westfalen. Detlef Wetzel, stellvertretender

Aufsichtsratsvorsitzender von thyssenkrupp Steel

Europe und ehemaliger Erster Vorsitzender der

IG Metall, warnt vor Standortschließungen und Mas-

senentlassungen.

Als Reaktion auf den Widerstand und die Protest-

aktionen von IG Metall und Belegschaft hat die Kon-

zernleitung angeboten, eine Arbeitsgruppe einzu-

richten. Dort sollen entscheidende Fragen zwischen

der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite geklärt

werden. Verhandlungen über eine Fusion mit Tata

sind diese Gespräche aber nicht, betont die IG Metall.

„Wir gehen die Gespräche völlig ergebnisoffen an“,

sagt der IG Metall-Unternehmensbeauftragte Markus

Grolms, der die Interessen der Beschäftigten in der

Arbeitsgruppe vertritt. Nichts ist tabu, auch ein Nein

zur Fusion nicht.

Kein Zweifel, Stahl steht stark unter Druck. Von zwei

Seiten wird die Branche in die Zange genommen.

China schwemmt den Markt mit Billigexporten, und

politische Vorgaben zum vermeintlichen Klimaschutz

bringen die Stahlhersteller in Europa zusätzlich in

Bedrängnis.

Die IG Metall fordert schon seit langem, in dieser

Situation ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell auf die

Schiene zu bringen, das da lautet: „Wir können nicht

so billig sein wie die anderen. Aber wir können besser

sein. Wir können Stahl auch klimafreundlich. Man

muss uns nur lassen.“

Die Zukunft liegt in Spezialstählen, in höchster Quali-

tät und in umweltfreundlichen Herstellungsmethoden.

DAMIT DAS KLAR IST: DIESE FUSION IST NOCH LANGE NICHT BESCHLOSSEN.

thyssenkrupp will eine Fusion mit Tata unbedingt

voranbringen. Beide Unternehmen haben ein soge-

nanntes „Memorandum of Unterstanding“ unter-

schrieben, also eine unverbindliche Absichtserklä-

rung. Solche Erklärungen kann die Konzernspitze

unterschreiben, ohne dass der Aufsichtsrat zustim-

men muss. Die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat

hätte das derzeit auch nicht getan, aber die Konzern-

leitung hat noch nicht einmal gefragt. Der Aufsichts-

rat nimmt dies zur Kenntnis. thyssenkrupp will den

Zusammenschluss mit aller Macht.

Die Absichtserklärung alleine bedeutet allerdings

nicht viel. Ob aus der Absicht Ernst werden kann,

muss sich aus Sicht der IG Metall erst noch erweisen.

„Wir verhandeln nicht, bevor wir nicht wissen, wo der

Zug hinfährt“, sagt Markus Grolms, der für die

IG Metall im Aufsichtsrat sitzt. Erst muss klar sein,

dass das Konzept wirtschaftlich trägt. Dann muss klar

sein, dass die Interessen der Beschäftigten gewahrt

sind und nicht wieder nur die der Banken, Aktionäre

und Finanzmarkt-Jongleure. Erst dann, und nur dann,

verhandeln wir!

Viele Fragen sind völlig ungeklärt. Hätte das neue Un-

ternehmen eine Chance auf dem Markt? Was wird aus

den Beschäftigten? Was aus den Stahl-Standorten?

Die Befürchtung, dass es nur darum geht, das Unter-

nehmen für eine Zerschlagung vorzubereiten, damit

sich Großaktionäre die Filetstücke herausschneiden

können, hat die Konzernleitung bislang nicht wider-

legt.

Deshalb überwiegt in den Reihen der Beschäftigten,

der Betriebsräte und der IG Metall die Skepsis. Zu oft

haben die Kolleginnen und Kollegen in der Vergan-

genheit falsche Versprechungen gehört. „Wir sind

nicht davon überzeugt, dass die Fusion mit Tata der

thyssenkrupp war hier zuletzt auf einem guten Weg.

Endlich ging es wieder aufwärts. Umso gefährlicher

ist es, jetzt das Steuer einfach herumzureißen und

den Kurs zu ändern.

Unsere Stahlindustrie hat Zukunft – wenn alle Betei-

ligten ihre Aufgaben erfüllen. Hier ist auch die Politik

gefragt. Brüssel muss Vorgaben machen, die den Weg

hin zu einer High-Tech-Industrie der Spitzenklasse

erleichtern und nicht versperren. Niemand hat etwas

davon, wenn Stahl künftig ausschließlich in China

hergestellt wird – das oft ins Feld geführte Klima

am allerwenigsten. Auch die Landesregierung sollte

das begreifen. Sie verspielt Zukunftschancen für die

gesamte Region an Rhein und Ruhr, wenn sie die

Stahlindustrie einfach preisgibt.

STAHL HAT KEINE ZUKUNFT? DAS SEHEN WIR ANDERS!

thyssenkrupp tut so, als laufe die Fusion mit Tata bereits in geord-neten Bahnen. Doch die entschei-dende Frage, „Wie hoch ist das Risiko. Und ist es überhaupt be-herrschbar?“, ist noch nicht ein-mal im Ansatz beantwortet. Für die IG Metall ist klar: Wir verhan-deln erst, wenn wir wissen, dass es im Sinne der Beschäftigten ist.

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THYSSENKRUPP-BRANDHERDE

DAS VERLANGT DIE IG METALL:• TRAGFÄHIGE FINANZIERUNG: Wir wollen

ein seriös gerechnetes Finanzkonzept für die beabsichtigte Fusion sehen. Das ist die wichtigste Grundlage.

• SICHERE STANDORTE: Wir stimmen einem Plan nur zu, wenn die Standorte der thyssenkrupp AG gesichert sind.

• GARANTIEN FÜR ARBEITSPLÄTZE: Wir geben uns nicht für einen Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen her. Die Beschäftigten brauchen dauerhafte Sicherheit für ihre Existenz.

• ZUKUNFT FÜR STAHL: Wir fordern ein langfristig ausgerichtetes Konzept für Stahl. Das Unternehmen muss zukunftsfest gemacht werden.

• SICHERUNG DER MITBESTIMMUNG: Die Mitbestimmung muss auf allen Ebenen erhalten bleiben. Und zwar so, wie sie ist und sich seit Jahrzehnten bewährt hat.

LegendeUngewisse Zukunft:Stahlstandorte in Duisburg, Dortmund, Siegerland, Bochum, Finnentrop, Andernach, Hagen-Hohenlimburg, Gelsenkirchen

Werk- oder Standortschließung: Emden Marine Systems, Ennepetal Components Technology & TechCenter Carbon Composites, Dresden TechCen-ter Carbon Composites

Restrukturierung: Hamburg Fahrtreppenwerk, Neuhau-sen auf den Fildern Aufzugswerk, Dort-mund und Beckum Kernanlagenbau (thyssenkrupp Industrial Solutions)

Zukunftsfest sieht anders aus: An

jedem Standort brennt es. Betriebe

werden restrukturiert – was auch immer

das heißen wird – oder gleich ganz

geschlossen. Neben konkreten Plänen

für einzelne Werke und Standorte be-

drohen zwei konzernweite Programme

die Arbeitsplätze. Sie heißen „Global

Shared Services“ und „Benchmark of

Functions“. Auf deutsch: Der Konzern

sucht Einsparmöglichkeiten.

3

Hagen-Hohenlimburg

Gelsenkirchen ?tk AG: immer

für eineÜberrraschung gut

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ArbeitsplatzAbbau droht Steuerparadies

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ein Stahlwerk

in Brasilien

Gehen thyssenkrupp und Tata zusammen, dann wird

das kein leichtes Spiel. Sondern eher verzweifeltes

Zocken. Beide Konzerne schleppen schwere Lasten

mit sich. thyssenkrupp ist über beide Ohren ver-

schuldet – Folge der unverantwortlichen Abenteuer

in Brasilien und in Alabama. Tata beschäftigt rund

15.000 Stahlarbeiter in Großbritannien und trägt

hohe Pensionsverpflichtungen. Beide kämpfen sie

auf dem Stahlmarkt mit weltweiten Überkapazitäten,

insbesondere mit denen aus China. Beide wissen sie,

dass es so nicht weitergehen kann.

Aus Sicht von thyssenkrupp hätte eine Fusion mit Tata

einen besonderen Reiz. thyssenkrupp könnte elegant

einen Teil seiner Milliardenschulden in der neuen

Stahlgesellschaft entsorgen. Das ginge so: thyssen-

krupp ist größer als Tata Steel Europe, das Verhältnis

ist ungefähr 60:40. Deshalb bringt thyssenkrupp als

Ausgleich geschätzte vier Milliarden Euro Schulden

mit in die Ehe ein. Auf diese Weise würde auf dem Pa-

pier ein Verhältnis von 50:50 geschaffen – eine Heirat

unter Gleichen.

Die Schulden-Mitgift hätte beträchtliche Schattensei-

ten, vor allem für die Beschäftigten. Denn das neue

Unternehmen würde mit einer schweren Hypothek star-

ten. Und darüber, ob der neue Stahlkonzern zukunfts-

fähig ist, sagen die Fusions-Rechenspiele überhaupt

nichts aus. Markus Grolms formuliert es so: „Das ist

gefährliche Bilanzakrobatik. So geht das nicht.“

Während thyssenkrupp von der wundersamen Schul-

denverringerung träumt, lauert ein aktivistischer

Investor auf seine Chance. Die schwedische Inves-

torengesellschaft Cevian Capital spekuliert auf die

Zerschlagung des Unternehmens. Schritt für Schritt

hat Cevian seine Anteile an thyssenkrupp erhöht.

Die Schuldenlast des Konzerns hat hierfür den Weg

bereitet: Weil thyssenkrupp Geld brauchte, wurden

mehrere Kapitalaufstockungen nötig – Cevian hat

mitgemacht und dadurch seine Anteile erhöht. Mitt-

lerweile besitzt der Großaktionär rund 18 Prozent von

thyssenkrupp.

Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung

hingegen hat Anteile verloren – und damit auch enor-

men Einfluss. Sie hatte mal 25 Prozent für die soge-

nannte Sperrminorität. Jetzt kommt sie nur noch

auf knapp 21 Prozent – und schweigt. Welch ein

Trauerspiel.

SO FUNKTIONIERT DAS SCHULDEN-MONOPOLY

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Bilanztricksereien statt Zukunftskonzept: wie thyssenkrupp seine Milliarden-Verpflichtungen in das neue Unternehmen kippen will

DIE MITSPIELER – WER HAT WELCHE INTERESSEN?

Wir alle mögen Holland und die Niederländer. Was

den Fußball angeht, gilt das zwar beidseitig nur

bedingt, doch wir schätzen die Offenheit und Liebens-

würdigkeit in diesem Land und haben immer das

Gefühl, zu Besuch bei guten Nachbarn zu sein.

Aber bei Konzernverlagerungen hört der Spaß für

uns auf. Es kann doch nicht sein, dass thyssenkrupp

mit einer Holding in den Niederlanden der deutschen

Montanmitbestimmung entgehen will!

thyssenkrupp gibt vor, dass die Holding geografisch

in der Mitte zwischen England und Deutschland liegen

soll. Die Mitbestimmung wandert dann irgendwo auf

der A3 in die Tonne, und am Reiseziel gäbe es nur

noch einen Aufsichtsrat ohne Arbeitnehmervertretung.

Nein, so nicht! Wir fordern die Mitbestimmung dort,

wo die Entscheidungen getroffen werden. In der Hol-

ding. 100 % Aufsichtsrat. 50 % Arbeitnehmervertreter.

100 % montan.

Spielt aggressiv. Die Investorengesellschaft von

Gründer Christer Gardell (Foto) ist darauf spezi-

alisiert, Unternehmen zu zerschlagen. Die Logik

dahinter: Vertickt man die Einzelteile, bringen

sie in der Summe deutlich mehr Geld ein, als

der gesamte Konzern heute wert ist – ungefähr

das Doppelte. Cevian nennt sich „aktivistischer

Investor“. Heuschrecke würde es besser tref-

fen. Erhöht seinen Anteil an thyssenkrupp, will

dafür Rendite sehen und übt massiv Druck aus.

Kein Zweifel, Heinrich Hiesinger ist ein integrer

Mann. Sein Krisenmanagement hat durchaus

Gutes für den Konzern und die Beschäftigten

bewirkt. Wobei längst nicht alles zu Gold wur-

de, was Hiesinger anpackte, es sei da an das

eine oder andere Konzernprogramm erinnert.

Wir haben jedenfalls erhebliche Zweifel, dass

der Deal mit Tata zu wuppen ist. Ganz egal, wie

gut Hiesingers Absichten sein mögen.

Verhält sich still und undurchsichtig. Kein Wort

dringt aus der Villa Hügel nach draußen. Die

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung

kommentiert die geplante Fusion nicht. Das

passt so gar nicht zum Auftrag der Stiftung.

Deren Zweck ist es nämlich, „die Einheit des

Unternehmens Fried. Krupp dem Willen seiner

Vorfahren entsprechend auch für die fernere

Zukunft zu wahren.“ So steht es in der Satzung.

Düsseldorf zeigt sich ahnungslos bis des-

orientiert. Wirtschaftsminister Andreas Pink-

wart (Foto) begrüßte die Fusionspläne mit Tata

sogar. Sie seien eine „Chance“. Nimmt der

FDP-Politiker einfach so hin, dass ein wichtiges

Unternehmen in NRW künftig aus Amsterdam

gesteuert wird? Arbeitsminister Karl-Josef Lau-

mann (CDU) sagt: „thyssenkrupp gehört nach

Nordrhein-Westfalen, auch was den Firmensitz

angeht.“ Herr Laschet, übernehmen Sie!

Die Zerschlager – Cevian Capital

Der gute Mensch von Essen – Heinrich Hiesinger

Villa Sprachlos – die Stiftung

Blind, taub, stumm – die Landesregierung

THY-TATA – DER SCHULDENTRICKDer Plan: Zwei Ungleiche gehen zusammen, um am Ende halbe-halbe zu machen. Weil thyssenkrupp größer ist als Tata, darf das deutsche Unternehmen mehr Schuldenmilliarden in dem Joint Venture entsorgen.

OHNE HOLLAND BLEIBEN WIR MONTAN...

5

THYSSENKRUPPAG

THYSSENKRUPPSTEEL EUROPE

2,5 MrdSchulden

THYSSE NKRUPP

TATA STEEL

50 50

TATA STEEL

EUROPE

21.500Beschäftigte

27.000Beschäftigte

ELD €€ 4,0 MrdSchulden

Mai 2011

Umformtechnik 5.700

Beschäftigte

Heinrich Hiesinger muss Stellung beziehen. Er hat

sich zu der Fusion geäußert und bekennt sich zum

Stahl. Jedenfalls vordergründig. Wir werden ihn an

seine Worte erinnern, wenn es nötig sein sollte.

Stahl braucht Zukunft. Bei thyssenkrupp.

Wir hören genau hin, denn wir haben unsere Erfah-

rungen gemacht. So manches Versprechen erwies

sich im Nachhinein als falsch.

Wir erinnern die Eigentümer an ihre Verantwortung.

Eigentum verpflichtet, so heißt es schon im Grund-

gesetz. Jetzt ist die Zeit, dieser Verantwortung

gerecht zu werden.

WIR NEHMEN SIE BEIM WORT, HERR HIESINGER!

VERKAUFT FÜR DIE SCHULDEN DER CHEFETAGE

Wir fordern Verbindlichkeit und Verantwortung. Keine halbgaren Versprechen, bitte! Und keine faulen Ausreden.

August 2009

Blohm + Voss 1.700

Beschäftigte

Oktober 2009

Nordseewerke 1.200

Beschäftigte

Industrieservices 12.500

Beschäftigte

Dezember 2011

Xervon 9.000

Beschäftigte

Dezember 2012

Nirosta 11.000

Beschäftigte

6

2009 2010 2011 2012 2013

Juli 2013

Tailored Blanks 930

Beschäftigte

Willi, der thyssenkrupp-Vorstand behauptet, die Stahl-fusion mit Tata sei der richtige Weg. Du, die Betriebs-räte und die IG Metall bezweifeln das? Warum?

Die Stahlfusion mit Tata löst kein bestehendes Prob-lem, zum Beispiel nicht das Problem der Überkapa-zitäten in Deutschland, Europa und China. Auch die Verschuldung des Konzerns löst sich dadurch nicht in Luft auf. Wir befürchten, dass der Stahlbereich lang-sam aber sicher aus dem Konzern verschwinden soll.

Apropos Schulden: Wie viele sollen denn dem Gemein-schaftsunternehmen aufgebürdet werden?

Beide Seiten, thyssenkrupp und Tata, bringen Schul-den ein. Wir leiden ja immer noch unter den Fehlinves-titionen in Brasilien und USA/Alabama; diese Manage-mentfehler haben uns acht Milliarden Euro gekostet. Das hat uns zudem gehindert, ausreichend zu investie-ren. Kurzum: thy-Tata – das Joint Venture soll thyssen-krupp-Tata Steel heißen – wird so etwas wie eine „Bad Bank“, ein Sammelbecken aller Risiken.

Was bedeutet das konkret?

Wir haben Zweifel an der Lebensfähigkeit des Gemein-schaftsunternehmens!

Und was heißt das für den Konzern?

Dank Stahl bilden wir noch die komplette Wertschöp-fungskette unserer Produkte ab. Wenn sie reißt, zieht das den ganzen Konzern in Mitleidenschaft.

Die Holding des Joint Venture soll ihren Sitz in Amster-dam haben. Um Steuern zu sparen und die Mitbestim-mung zu unterlaufen?

Ob Steuerflucht begangen würde, müssen andere

beurteilen. Aber ja, es geht um die Flucht aus der Mitbestimmung. Wenn in Amsterdam die wesentlichen Entscheidungen gefällt werden, sprich ohne Mitbe-stimmung, werden wir das nicht akzeptieren.

Der thyssenkrupp-Gesellschafter Cevian Capital gilt als aktivistischer Investor. Was will er eigentlich?

Das einzige Ziel von Cevian ist, den Profit der Aktionäre zu maximieren. Das meiste Geld verspricht man sich von der vollständigen Zerschlagung von thyssenkrupp. Die Nöte der Beschäftigten spielen da keine Rolle.

Muss denn bei thyssenkrupp nichts passieren, ist alles in Butter?

Das Stahlgeschäft ist viel profitabler, als Vorstand und Presse es darstellen. Wir schreiben schwarze Zahlen. Unsere Gewinnmarge ist die zweitgrößte in der europäischen Stahlindustrie. Unsere Produkte und die Leistungen der Beschäftigten sind Weltspitze. Die Verschuldung ist das Problem.

Wie kann das gelöst werden?

Das ist die entscheidende Frage. Erst einmal müssen alle Fakten der geplanten Stahlfusion auf den Tisch. Dann wird Tacheles geredet. Eine faire Lösung kann es nur mit uns geben, eine Lösung ohne die Beschäftigten und die IG Metall ist keine. Gut, dass wir endlich mit- einander reden statt übereinander.

Und wie geht’s weiter?

Wir ringen um Standort- und Arbeitsplatzgarantien. Das wird ein hartes Stück Arbeit, bis ins nächste Jahr. Und die ganze Zeit müssen wir wachsam und kampf- bereit sein.

STAHL-WILLI, WAS IST

HIER LOS?

Willi Segerath, Konzernbetriebsratsvorsitzender der thyssenkrupp AG

April 2015

VDM Metals 2.000

Beschäftigte

September 2017

CSA 3.700

Beschäftigte

Durch die Geschichte von thyssenkrupp zieht sich eine Spur von Missmanagement. Die Folge: Ein Unternehmens-

teil nach dem anderen wurde verkauft. Die Zahl der Arbeitsplätze, die der Konzern auf diese Art zu Geld machte,

summiert sich seit 2009 auf weltweit fast 50.000.

Juli 2013

Tailored Blanks 930

Beschäftigte

7

20172014 2015 2016

8

Rückblick: Die Mannesmannstraße in Duisburg-Hüt-

tenheim ist von Bussen gesäumt, auf einer Länge von

mehreren hundert Metern. Vor dem Stahlwerk stehen

7500 Menschen. Es ist der 3. Mai, hier findet gerade

eine Protestkundgebung gegen die Pläne des Kon-

zernvorstands statt – die größte seit Jahrzehnten.

Anlass: Der Vorstand will 500 Millionen Euro einspa-

ren – durch Arbeitsplatzabbau und Schließung von

Anlagen. Betriebsrat und IG Metall befürchten den

Verlust von 4000 Arbeitsplätzen. Soll thyssenkrupp

Steel Europe (tkSE) aufgehübscht werden für die Fu-

sion mit Tata Steel? Das befürchten viele Redner.

Auch der Betriebsrat hatte auf Info-Veranstaltungen in

Duisburg, Bochum und Dortmund diese Befürchtung

bereits geäußert. Am Tag der Arbeit informieren Stahl-

beschäftigte im Ruhrgebiet vielerorts die Öffentlich-

keit. Mitte Mai protestieren sie im thyssenkrupp-Quar-

tier Essen; im Juni pflanzen sie dort ein Beet aus roten

Nelken in Herzform, zeigen ihr „Herz für Stahl“.

Im August finden Sprühaktionen statt, beispielsweise

PROTESTE IM GANZEN LAND

Protest und Kunst: In Duisburg demonstrierten Metallerinnen und Metaller auf der begehbaren Achterbahn-Skulptur „Tiger and Turtle“, die auf einer alten Halde steht.

MACH MIT!WEBSEITE Auf www.es-geht-um-uns.de

informieren wir über Aktionen vor Ort. Auf der

Webseite kannst du dich auch für die aktuellen

Infokanäle anmelden:

E-MAIL-NEWSLETTER Wie ist der

aktuelle Stand der Gespräche, wo ist welche

Aktion, wann wirst du gebraucht? Ab jetzt nichts

mehr verpassen!

WHATSAPP-NEWSLETTER Die Infos lieber direkt auf ,s Smartphone? Das

geht hier.

FACEBOOK Der Facebook-Kanal des

Bezirks: www.facebook.com/igmetallnordrhein-

westfalen - teilt und gebt die Botschaft weiter:

Stahl ist Zukunft!

Günter Back, Gesamtbetriebsratsvorsitzender thyssenkrupp Steel Europe

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„ICH FÜHLE MICH BETROGEN, BIN ENTTÄUSCHT, ABER

TROTZDEM KÄMPFERISCH.“

in Duisburg-Hamborn. Der Slogan „Stahl ist Zukunft“

prangt auf Mauern und dem Straßenasphalt, daneben

das IG Metall-Logo. Am 20. September macht der Vor-

stand dann seine Fusionspläne publik, an mehreren

Standorten finden Mahnwachen statt.

Am 22. September protestieren 7000 Menschen in

Bochum gegen den Zusammenschluss der Stahlspar-

ten von thyssenkrupp und Tata. Detlef Wetzel, der

stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von tkSE

und ehemalige IG Metall-Chef, warnt vor Standort-

schließungen und Massenentlassungen. Er fordert

„Garantien für alle Beschäftigten und Standorte“.

Die Proteste gehen weit über die Stahlsparte hinaus.

In Emden kämpfen die Kolleginnen und Kollegen von

Marine Systems für den Erhalt ihres Werkes. Es soll

geschlossen werden, aus Komplexitätsgründen, wie

das Unternehmen erklärte. „Ihr wollt uns zumachen“,

sagt Betriebsratsvorsitzende Amke Wilts-Heuse. „Das

ist eine Kompetenzreduzierung, die ihr vornehmt, und

keine Komplexitätsreduzierung.“Amke Wilts-Heuse ist empört. „Die wollen uns zumachen.“

Die Unternehmenspolitik von thyssenkrupp treibt die Betroffe-nen auf die Straße – ob in Emden, Andernach oder Bochum. Denn dass man für seine Zukunft kämp-fen muss, das wissen sie bei thyssenkrupp.

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