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Dissoziative und Somatoforme Störungen
Ebene der Funktions-ausfälle
Dissoziation Somatoforme Symptome
Somatoforme Dissoziation/Konversion
Kognitiv-psychisch Somatisch
Dissoziative Störungen Somatoforme Störungen
Einordnung
DSM
ICD
Einordnung
ICD-10
• Somatoforme Störungen
„Schmerz und andere komplexe körperliche Empfindungen, die durch das
vegetative Nervensystem vermittelt werden“
• Dissoziative Störung/Konversion
„Störung der körperlichen Funktionen, die normalerweise unter willentlicher
Kontrolle stehen und Verlust der sinnlichen Wahrnehmung“
Generelle Kriterien
- nicht eindeutig auf organische Grunderkrankung zurückführbar
- Zeitlicher Zusammenhang zu belastenden Ereignissen
2 unterschiedliche Definitionen:
• ICD-10: …teilweiser oder völliger Verlust der normalen Integration von
Erinnerungen an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der
unmittelbaren Empfindungen, sowie der Kontrolle von
Körperbewegungen.
• DSM-IV: …Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktion
des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der
unmittelbaren Wahrnehmung von sich und der Umwelt.
Dissoziation
Dissoziative StörungenICD 10
Dissoziative Störungen
DSM-IVDissoziative Störungen
DSM 5Dissoziative Störungen
F44.0 dissoziative Amnesie Dissoziative Amnesie Dissoziative Amnesie
F44.1 dissoziative Fugue Dissoziative FugueDissoziative Amnesie mit dissoziativer Fugue (= Subtyp der dissoziativen Amnesie)
F44.2 dissoziativer Stupor Sonstige n. b. dissoziative Störungen
F44.3 Trance und Besessenheitszustände Sonstige n. b. dissoziative Störungen
F44.4 dissoziative Bewegungsstörungen
Konversionsstörung (Kategorie: Somatische Belastungsstörungen und verwandte Störungen)
F44.5 dissoziative Krampfanfälle
F44.6 dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen
F44.7 dissoziative Störungen, gemischt Sonstige n. b. dissoziative Störungen
F44.80 Ganser-Syndrom Sonstige n. b. dissoziative Störungen
F44.81 multiple Persönlichkeitsstörung Dissoziative Identitätsstörung (DIS) Dissoziative Identitätsstörung (DIS)
F44.88 sonstige näher bezeichnete dissoziative Störungen
F44.9 nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen
n. n. b. dissoziative Störungen (hier u.a. Trance, Stupor, Ganser)
n. n. b. dissoziative Störungen
F48.1 Depersonalisations-/Derealisationssyndrom (Kategorie:sonstige neurotische Störungen)
DepersonalisationsstörungDepersonalisations-/Derealisationsstörung
Dissoziative Symptome vs. Störungsbilder
• Depersonalisation
• Derealisation
• Amnesie
• Wahrnehmungsstö-rungen/Analgesie
• Pseudoneurologische Symptome
• Depersonalisations-/Derealisationsstörung
• Dissoziative Amnesie
• Dissoziative Fugue
• Dissoziative Identitätsstörung
• Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung
• Konversionsstörung
Klinisches Bild
Dissoziative Amnesie
Eine 28-jährige Patientin kann sich nur sehr lückenhaft an ihre Kindheit undJugend erinnern. Sie erinnert einige Episoden ihrer Schulzeit, kann jedoch kaumkonkrete Ereignisse in der Familie erinnern. Erst mit dem Auszug aus demelterlichen Haus mit 17 Jahren setzen die Erinnerungen ein. Auch aktuell leide sieunter Gedächtnislücken. Sie merke auf einmal, dass Stunden vergangen sind undwisse nicht, was sie gemacht habe.
� teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an vergangene belastende oder
traumatische Ereignisse zu erinnern
� ausgeprägter und anhaltender als normale Vergesslichkeit
Klinisches Bild
Dissoziative Fugue
Ein 43-jähriger Mann verschwindet plötzlich von seinem Arbeitsplatz. Nachdemseine Frau eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat, wird er zwei Tage später ineiner anderen Stadt von Polizisten gefunden. Nachuntersuchungen ergeben, dassder Mann mit dem Zug in die entfernt liegende Stadt gefahren ist und dort einZimmer in einer Pension gemietet hat. Er selbst habe weder dafür noch für dieübrigen Geschehnisse während dieser Zeit Erinnerungen
� unerwartete Entfernung von gewohnter Umgebung mit äußerlich unauffälliger
Wirkung
� Teilweise oder vollständige Amnesie für die Reise
Klinisches Bild
Dissoziative Stupor
Eine 29-jährige junge Frau sitzt seit mehrerer Stunden überwiegendbewegungslos auf einem Stuhl, reagiert nicht auf äußere Reize wie Berührungoder Ansprechen. Wird ein Arm angehoben und losgelassen, fällt dieser wieder inseine ursprüngliche Position zurück, ohne jedoch Schaden, z.B. durch Anschlagenan der Stuhllehne, zu nehmen. Der Zustand ist sehr plötzlich nach einerAuseinandersetzung mit dem Freund aufgetreten.
� Verringerung oder Fehlen willkürlicher Bewegung, Sprache und Reaktion auf
Licht, Geräusche und Berührung
� Normaler Muskeltonus, aufrechte Haltung und Atmung sind erhalten
Klinisches Bild
Dissoziative Bewegungsstörung
Eine 19-jährige Frau leidet seit Wochen unter Episoden, in denen sie ihre Beinenicht bewegen kann. Sie berichtet, dass die morgens im Bett liege und aufstehenwill, jedoch kein Gefühl und keine Kraft in den Beinen habe. Dies halte manchmalmehrere Stunden an, sodass sie nicht zur Berufsschule gehen könne.
� teilweiser oder vollständiger Verlust der Bewegungsfähigkeit oder
Koordinationsstörungen
Klinisches Bild
Dissoziative Krampfanfälle
Die 34-jährige Patientin berichtet von Anfällen, in denen sie zusammensacke undihre Arme und Beine mehrere Minuten zucken würden. Im Vorfeld eines Anfallserlebe sie ein starkes Druckgefühl auf der Brust. Es kam dabei bislang nicht zuVerletzungen, Zungenbiss oder Einnässen.
� plötzliche krampfartige Bewegungen, die an einen epileptischen Anfall erinnern
Klinisches Bild
Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen
Eine 35-jährige Patient schildert, unter hohen Anspannungszuständen nur nocheinen Ausschnitt seiner Umgebung visuell wahrnehmen zu können („Tunnelblick“).Vor allem seine Extremitäten würden sich taub anfühlen; in sehr starkenAnspannungszuständen könne es auch vorkommen, dass er gewisse Körperteilegar nicht mehr spüre.
� Teilweiser oder vollständiger Verlust von Hautempfindungen oder Seh-, Hör-
oder Riechverlust
Klinisches Bild
Dissoziative Identitätsstörung
Die 34-jährige Patientin zeigt während des Interviews mehrmals Wechsel imSprechverhalten und im Verhalten. Sie wirkt häufig abwesend und kann dieletztgestellten Fragen nicht erinnern. Von sich selbst spricht sie teilweise im Plural(wir), teilweise verwendet sie die 3. Person oder konkrete Namen. Auf Nachfrageberichtet sie, dass sie mehrere Personen in sich habe, die sich häufig in eineminneren Dialog befinden würden. Je nachdem, welche Person da sei, denke undfühle sie ganz anders. Sie sei unsicher darüber, wer sie eigentlich ist. Auch hättenihr Bekannte schon mehrmals gesagt, dass sie sich wie eine andere Personverhalte.
� Zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten mit eigenem Gedächtnis,
Vorlieben, Verhaltensweisen, die zu bestimmten Zeiten Kontrolle über das
Verhalten der Person haben
� Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern
Klinisches Bild
Depersonalisations-/Derealisationssyndrom
Ein 32-jähriger Patient berichtet von Episoden, die ihm große Angst machenwürden. Er komme sich dann stundenlang fremd und unwirklich vor. Irgendwiefühle es sich an, als ob nicht er, sondern ein anderer die Dinge erlebe und er nurzuschaue. Wenn es besonders schlimm sei, nehme er seinen Körper ganzverändert war. Insbesondere seine Arme und Beine würden ihm dann viel zu langund wie Gummi vorkommen.
� Depersonalisation: Entfremdung gegenüber eigener Person
� Derealisation: Unwirklichkeitsgefühl gegenüber Umgebung
Diagnostik und DifferenzialdiagnostikDiagnostik
• Gründliche somatische und neurologische Diagnostik
• Primäre dissoziative Störung vs. dissoziative Symptome im Verlauf einer anderen Störung
• Berücksichtigen: Scham, mangelnde Begriffe um Phänomene zu beschreiben
Differenzialdiagnostik
• Hirnorganische Störungen
• Affektive, Angst- und somatoforme Störungen
• Schizophrenien
• Artifizielle Störungen und Simulationstendenzen
Diagnostische Instrumente
• Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV Dissoziative Störungen (SKID-D; Gast et al. 2000)
• AMDP-Modul (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie) zu
Dissoziation und Konversion (Spitzer et al. 2004)
• Dimensionale Erfassung: Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS; Spitzer et al. 2005)
Epidemiologie
Punktprävalenz Dissoziative Amnesie: ca. 3-5%
Dissoziative Fugue: ca. 0,2%
Dissoziative Krampfanfälle: 2-33 von 100000
Konversionsstörungen insgesamt: ca. 0,3%
Dissoziative Identitätsstörung: ca. 1%
Depersonalisations-/Derealisationsstörung: ca. 1-1,5%
Dissoziative Bewegungsstörungen + Sensibilitäts- und
Empfindungsstörungen: unbekannt
Geschlechterverhältnis w > m, ca. 3:1
Erkrankungsalter Zwischen dem 17. und 32. Lebensjahr
Komorbiditäten Depression, Angststörungen, PTBS, Persönlichkeitsstörungen,
somatoforme Störungen
Beginn Plötzlich oder schleichend
Verlauf Episodenhaft/vorübergehend (Amnesie, Depersonalisations-
/Derealisationssyndrom) oder chronisch (DIS, Konversionsstörungen)
Ätiologie
Multifaktorielles Zusammenwirken von genetischen, neurobiologischen und
psychosozialen Faktoren
� Vulnerabilität-Stress-Modell
Starke Dissoziation
Erhöhte Dissoziationsneigung
BelastungssituationLernerfahrungen
Unspezifische Belastungen
Ätiologie
Erhöhte Dissoziationsneigung
Belastungssituation
Trait-Merkmal
- Starke genetische Komponente
- Suggestibilität, Mentale Absorption
und eine starke Phantasieneigung
- Alexithymie
State-Variable
- Schlechte körperlicher Zustand
- Schlafmangel
- Geringe Trinkmenge
- Hohes affektives Erregungsniveau
- Zusammenhang von Traumatisierungen und Dissoziation nachgewiesen (z.B. bei DIS 90%)
- Umstritten: Strategie zum Schutz vs. stressbedingt gestörte Informationsverarbeitung
Therapeutisches VorgehenPsychotherapie
- Insgesamt Mangel an kontrollierten Therapiestudien
- Psychotherapie gilt als die Methode der Wahl
- Phasenorientiertes Vorgehen:
1. Stabilisierung und Symptomreduktion
� Psychoedukation, Verbesserung der Gefühls- bzw. Spannungsregulation, Reduktion
emotionaler Verwundbarkeit, Frühwarnzeichen, Antidissoziative Fertigkeiten,
Reizdiskrimination
2. Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen
� Sicherheit, Gefühlsregulation, Unterbrechung akuter dissoziativer Zustände,
traumafokusierte Therapie (bei hoher Dissoziationsneigung graduiertes Vorgehen bei Exposition)
Medikamentös
- Keine eindeutige Behandlungsempfehlung
- SSRI (Paroxetin) oder Naltrexon
Somatoforme StörungenICD 10
Somatoforme Störungen
DSM-IVSomatoforme Störungen
DSM 5Somatische Belastungsstörung
und verwandte Störungen
F45.0 Somatisierungsstörung SomatisierungsstörungSomatische Belastungsstörung- Spezifikationen: Mit überwiegendem
Schmerz (ehemals Schmerzstörung)
F45.1 undifferenzierte Somatisierungsstörung
undifferenzierte Somatoforme Störung
Konversionsstörung (ICD-10 � F44)Konversionsstörung (Störung mit Funktionellen Neurologischen Symptomen)
F45.2 Hypochondrische Störung - Hypochondrische Störung im engeren
Sinne (F45.20)- Körperdysmorphe Störung (F45.21)
Hypochondrie
Körperdysmorphe Störung
Krankheitsangststörung
(Körperdysmorphe Störung �Zwangsspektrumsstörung)
F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung - Herz und Kreislaufsystem (F45.30) …
F45.4 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
Schmerzstörung
F45.8 Sonstige somatoforme StörungenAndere näher bezeichnete Somatische Belastungsstörung und verwandte Störungen
F45.9 Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung
Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung
n.n.b. Somatische Belastungsstörung und verwandte Störungen
3 Hauptgruppen somatoformer Störungen
Allgemeine Kriterien:- Nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht- Nicht durch andere psychische Störung erklärbar- Leiden/Beeinträchtigung in Funktionsniveau
Diagnose Somatisierungsstörung (DSM-IV)
(A) Eine Vorgeschichte mit vielen körperlichen Beschwerden, die vor dem 30.
Lebensjahr begannen, über mehrere Jahre auftraten und zum Aufsuchen einer
Behandlung oder zu deutlichen Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder
anderen wichtigen Funktionsbereichen führten.
(B) Jedes der folgenden einzelnen Kriterien muss erfüllt gewesen sein, wobei die
einzelnen Symptome irgendwann im Verlauf der Störung aufgetreten sein müssen:
vier Schmerzsymptome: eine Vorgeschichte von Schmerzsymptomen, die mindestens vier verschiedene
Körperbereiche oder Funktionen betreffen, (z. B. Kopf, Abdomen, Rücken, Gelenke, Extremitäten, Brust, Rektum,
während der Menstruation, während des Geschlechtsverkehrs oder während des Wasserlassens);
zwei gastrointestinale Symptome: (z. B. Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen außer während der Schwangerschaft,
Durchfall, Unverträglichkeit von verschiedenen Speisen);
ein sexuelles Symptom: eine Vorgeschichte von mindestens einem sexuellen Symptom außer Schmerzen (z.B.
sexuelle Gleichgültigkeit, Erektions- oder Ejakulationsstörungen, unregelmäßige Menstruationen, sehr starke
Menstruationsblutungen, Erbrechen während der gesamten Schwangerschaft);
ein pseudoneurologisches Symptom: eine Vorgeschichte von mindestens einem Symptom oder Defizit (nicht
begrenzt auf Schmerz), das einen neurologischen KF nahe legt (Konversionssymptome, dissoziative Symptome)
Diagnose Somatisierungsstörung (DSM-IV)
(C) Entweder (1) oder (2)
(1) Nach adäquater Untersuchung kann keines der Symptome vollständig durch einen bekannten
medizinischen Krankheitsfaktor (MKF) oder durch die direkte Wirkung einer Substanz erklärt
werden
(2) Falls das Symptom mit einem MKF in Verbindung steht, so gehen die körperlichen
Beschwerden oder die daraus resultierende soziale oder berufliche Beeinträchtigung über das
hinaus, was aufgrund von Anamnese, körperlicher Untersuchung oder den Laborbefunden zu
erwarten wäre.
Zusammenfassend:
� Multiple körperliche Beschwerden
� Über mehrere Jahre persistierend (ICD-10: mind. 2 Jahre)
� Vor dem 30. Lebensjahr beginnend
Andere somatoforme StörungenUndifferenzierte somatoforme Störung
- (A) Ein oder mehrere körperliche Beschwerden (z.B. Müdigkeit, Appetitlosigkeit,
gastrointestinal oder urologisch)
- (B) Keine (vollständige) Erklärung durch medizinischen Faktor
- Mind. 6 Monate
Schmerzstörung
- (A) Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen � Schmerzen im
Vordergrund des klinischen Bildes
- Codierbar:
• in Verbindung mit psychischem (vs. und medizinischem) Krankheitsfaktor
• akut (weniger als 6 Monate) vs. chronisch (mehr als 6 Monate)
Andere somatoforme StörungenHypochondrie
- (A) Übermäßige Beschäftigung mit der Angst oder der Überzeugung, eine ernsthafte
Krankheit zu haben, was auf eine Fehlinterpretation körperlicher Symptome durch die
betroffene Person beruht
- (B) Die Beschäftigung mit den Krankheitsängsten bleibt trotz angemessener medizinischer
Abklärung und Rückversicherung durch den Arzt bestehen
- (C) Überzeugung ist
• nicht von wahnhaftem Ausmaß � wahnhafte Störung
• nicht auf äußere Erscheinung beschränkt � körperdysmorphe Störung
Körperdysmorphe Störung
- Übermäßige Beschäftigung mit einem eingebildeten Mangel oder einer Entstellung in der
äußeren Erscheinung. Wenn eine leichte körperliche Anomalie vorliegt, so ist die Besorgnis
der betroffenen Person stark übertrieben
Andere somatoforme StörungenKonversionsstörung
- (A) Ein oder mehrere Symptome oder Ausfälle der willkürlichen motorischer oder
sensorischen Funktionen, die einen neurologischen oder sonstigen medizinischen
Krankheitsfaktor nahelegen
Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung
- Wenn Kriterien für spezifische somatoforme Störung nicht erfüllt sind (z.B.
Scheinschwangerschaft, körperliche Beschwerden dauern weniger als 6 Monate…)
Differenzialdiagnostische Abgrenzung
• Organmedizinische Differenzialdiagnostik
• Depressive Störungen: abgrenzbar anhand Stimmungsänderung
• Psychotische Störungen: Glgtl. Halluzinationen und Wahnvorstellungen bezogen auf
Körper(funktionen), insbesondere coenästhetische Halluzinationen
• Persönlichkeitsstörungen: längerer Verlauf, Komorbidität wichtig
• Simulation/Vorgetäuschte Störung: absichtliches Hervorrufen oder Vortäuschen von
körperlichen oder psychischen Symptomen oder Behinderungen (z.B.: Speichelinjektion
in die Haut, Abszesse)
– Simulation: mit offensichtlicher Motivation (ICD-10, Z76.5);
– Artifizielle Störung/Münchhausen-Syndrom (ICD-10; F68.1): Motivation unklar (Einnahme der
Krankenrolle)
– Hinweise: Forensischer Kontext, große Diskrepanz zwischen subj. Belastungen und objekt.
Befunden, Mangel an Kooperation bei Diagnostik und Behandlung, Antisoziale PS.
DSM 5
Kritisch an der bisherigen diagnostischen Einordnung:
− Angemessenheit fraglich psychische Diagnose zu vergeben, nur weil keine medizinische Ursache
ausgemacht werden kann
− medizinische Diagnose wiederrum schließt nicht Vorhandensein einer komorbiden psychischen
Erkrankung aus
− Impliziert, dass die physischen Symptome „nicht real“ sind
Kriterien nach DSM 5
- Ein oder mehrer somatische Symptome die als belastend erleben werden oder eine signifikante
Beeinträchtigung im Alltag erzeugen
- Exzessive Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen in Bezug auf die Symptome oder die Gesundheit
- Einzelne Symptome müssen nicht durchgehend gegeben sein, generelle Symptomatik ist aber
persistierend (typtischweise mind. 6 Monate)
Zwei wesentliche Veränderungen
- Nicht mehr gefordert, dass Körperbeschwerden „organisch nicht ausreichend erklärt“ sind
- Positive psychobehaviorale Kriterien (Gesundheitsangst, anhaltende Beschäftigung…)
Epidemiologie
Häufigkeiten in der
AllgemeinbevölkerungSchmerzen: 20-30%
Kardiovaskulär und gastrointestinal: 10-20%
Ca. 20% aller Arztbesuche sind auf somatoforme Symptome
zurückzuführbar
Lebenszeitprävalenz Somatisierungsstörung: deutlich unter 1%
Multiple somatoforme Symptomatik: 11%
Punktprävalenz 6-11%
Geschlechterverhältnis w > m, ca. 2:1
Erkrankungsalter Erste Symptome meist in der 2. Lebensdekade (12-20 LJ)
Komorbiditäten Depression (50%, in klinischen Stichproben mehr, schlechteres
ansprechen auf antidepressive Behandlung)
Angststörungen (25-40%)
� Hohe direkte Behandlungskosten, Arbeitsunfähigkeitszeiten, Frühberentungen
Risikofaktoren und StörungsmodellGenetische Prädisposition:
Konkordanzraten EZ 29% vs. ZZ 10%
Soziale
Faktoren:
operante Verstärker,
Krankenrolle in der
Gesellschaft
Kognitive Fehlbewertungen: unrealistischer Gesundheitsbegriff, falsche Annahmen über physiologische Zusammenhänge,
übertriebene Ansprüche an die heutige Medizin
Soziodemographische Risikofaktoren:
weiblich, niedriges Bildungsniveau, niedrige soziale Schicht, Immigration
Kindheitserlebnisse:
Häufung von Verlusterlebnissen, Vernachlässigung, elterliche Modellfunktionen, Missbrauch
Biologische Auffälligkeiten:
erhöhte psychophysiologische Erregbarkeit, gestörte Prozesse der Aufmerksamkeit und interozeptiven Wahrnehmung, kortikale und psychoneuro-immunologische Auffälligkeiten Negatives
Selbstkonzept
(wenig belastbar)
Interozeptiver Wahrnehmungsstil:
„somatosensorische Verstärkung“ (Barsky, 1992), d. h. die Neigung körperliche Empfindungen als intensiv, beeinträchtigend und schädlich zu erleben
Auslöser oder
Trigger
Körperliche Veränderungen Missempfindung Körperreaktion
Wahrnehmung
Fehlinterpretation als (bedrohliche) Krankheitszeichen
Symptomverstärkung (Aufmerksamkeitslenkung auf eigenen Körper; physiologische Erregung)
Krankheits-verhaltensweisen(aufrechterhaltende Funktion)Checking, doctor-shopping etc.
Störungsmodell
Somatoforme Störungen als neuronale Filterstörung = Signal-Filter-Modell (Rief & Barsky, 2005)
Behandlung
Medizinisches Management
• Organmedizinische Seite
kompetent abdecken
• Konstruktiver Umgang
• Empfehlungen
• Reduzierung der
Inanspruchnahme
medizinischer Leistungen
durch Schulungsprogramme
für Hausärzte
Behandlung
Psychotherapie
• Psychodynamische Ansätze
– wenig Studien
– Kurzzeittherapien mit psychoedukativen Anteilen mit Ähnlichkeit zu
Verhaltenstherapie (VT)
• Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
– für Hypochondrie und körperdysmorphe Störung VT Behandlungsprogramme
� hohe Effektstärken
– Multiple somatoforme Beschwerden und Schmerzsyndrom � kleine bis mittlere
Effektstärken
– Gruppentherapeutisches KVT-Programm (Rief & Hiller, 2011)
• Weitere Verfahren: emotionales Schreiben, Biofeedback
Bausteine
1) Diagnostik, therapeutische Beziehung, Motivation, evtl. zeitliche
Befristung vereinbaren
1) Zusammenhang von Stress und körperlichen Beschwerden /
Wohlbefinden
� Interventionsrational: z.B. Entspannungsmethoden, Stressbewältigungstraining
3) Aufschaukelungsprozess zwischen Aufmerksamkeitsfokussierung und
Körperempfindungen
� Interventionsrational: Aufmerksamkeitslenkung auf externen sensorischen Input
4)Kognitive Ansätze
� Entkatastrophisierung, kognitive Umstrukturierung…
Behandlung – Ansatz nach Rief & Hiller
Bausteine
5) Reduktion von Vermeidungs- und Schonverhalten
� Aufbau adäquaten Belastungsverhaltens
6) Aufbau eines adäquaten Inanspruchnahmeverhaltens
7) Erstellung eines Gesamtmodells zur Erklärung von Einflussfaktoren auf
körperliche Missempfindungen
8) Behandlung weiterer therapierelevanter Themen
Behandlung – Ansatz nach Rief & Hiller
Behandlung
Psychopharmakologische Behandlung
• Geringe Studienanzahl
• TZA: Opipramol
• SSRIs (z.B. Citalopram) v.a. bei Schmerzstörung, körperdysmorpher
Störung, Hypochondrie