Über die erregung des kalorischen nystagmus

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t~ber die Erregung des kalorischen Nystagraus. Von Prof. Dr. Martin Barrels, Direktor der 8tiidtischen Augenklinik Dortmund, Es is~ noch strittig, in welcher Weise kaltes oder warmes Wasser, in den Geh6rgang eingespritzt, wirken. Die Schule Bdrdnys nimmt an, da~ in den Endolymphr~umen der Bogeng~nge Str6mungen der Lymphe entst~nden, die einmal ampullopetM, das andere Mal ampullofugM wie beim Drehen gerichtet seien und durch Lage- (Kopflage-) Ver~nde- rungen des horizontalen Bogenganges umgekehrt werden k6nnten und so auch die bekannte Umkehr des Nystagmus bewirken. Diese physi- kalische Erkl~rung erschien mir bei den haarfeinen Bogengangsr6hrehen und dem komplizierten Bau des Labyrinthes stets h6chst unwahrschein- lich; zudera sprachen eine Anzahl yon Beobaehtungen im Tierexperi- merit dagegen. So stellte ich die Theorie auf, dab es sich bei tier thcr- mischen V~Tirkung um eine ~eizung bzw. Rerabsetzung des Nerven- endapparates unabh~ngig yon Lymphstr6mungen handele (s. Bartels, v. Graefes Arch. L Ophthalmol. 67, 46. 1910). Ieh m5chte fiir meine Gegner hier feststellen, dab ich damals schon betonte, dM~ die K~lte nicht so wirken kSnnte wie die AusschMtung eines Labyrinthes dutch Durchschneidung. Denn sonst k6nnte nach einseitiger Durchschneidung und K~lteeinwirkung des erhMtenen Labyrinthes gar kein Nyst~gmus mehr auftreten (siehe daselbst). Ich betonte aber damals schon, da/3 ich doch noch K~ltewirkung an so operierten Kaninchen sah, d. h. kS trat deutlicher Nystagmus auf. Ich hob hervor, dM~ auch meine Theorie reich nicht v611ig bdriedige. Seit der Zeit ist nun sehr viel fiir und dawider gesehrieben worden. Anfangs schien es, als ob meine Theorie besonders yon den Ohren~rzten g~nzlich abgelehnt wfirde; in neuerer Zeit mehren sieh aber die Beob~chtungen, die gegen die Endolymph- strSmungen sprechen. Zuerst ~ul~erte wohl Kobrak ZweifeÁan der ther- mischen Endolymphstr6mung und nahm Gef~l~wirkung an. Kiirzlich hat Eclcert (Zeitschr. f. Hals-, ~'asen- u. Ohrenheflkunde 2, 165. 1922) wieder fiir Bdrdnys An~chauung sich eingesetzt. In letzter Zeit haben nun besonders de Kleyn und Storm van Leewen experimentell in 2 Arbeiten in diesem Archly (Bd. 94 und Bd. 107) sieh mit meiner Theorie besch~f- tigt und sind zu dem Schlul~ gekommen, dM~ sie nicht bestehen k6nnte. Sie wiesen in sorgfi~ltigen Versuchen zun~ehst nach, da~ der kMo- rische Nystagmus bei Hunden und Katzen nicht mit dem Nystagmus iibereinstimmf, der naeh Exstirpation auftritt, denn nut der erstere schl~gt in Rfickenlage nach der Seite des ausgespritzten 01~es, auch

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Page 1: Über die Erregung des kalorischen Nystagmus

t~ber die Er regung des kalor ischen Nystagraus.

Von Prof. Dr. Martin Barrels,

Direktor der 8tiidtischen Augenklinik Dor tmund,

Es is~ noch strittig, in welcher Weise kaltes oder warmes Wasser, in den Geh6rgang eingespritzt, wirken. Die Schule Bdrdnys nimmt an, da~ in den Endolymphr~umen der Bogeng~nge Str6mungen der Lymphe entst~nden, die einmal ampullopetM, das andere Mal ampullofugM wie beim Drehen gerichtet seien und durch Lage- (Kopflage-) Ver~nde- rungen des horizontalen Bogenganges umgekehrt werden k6nnten und so auch die bekannte Umkehr des Nystagmus bewirken. Diese physi- kalische Erkl~rung erschien mir bei den haarfeinen Bogengangsr6hrehen und dem komplizierten Bau des Labyrinthes stets h6chst unwahrschein- lich; zudera sprachen eine Anzahl yon Beobaehtungen im Tierexperi- merit dagegen. So stellte ich die Theorie auf, dab es sich bei tier thcr- mischen V~Tirkung um eine ~eizung bzw. Rerabsetzung des Nerven- endapparates unabh~ngig yon Lymphstr6mungen handele (s. Bartels, v. Graefes Arch. L Ophthalmol. 67, 46. 1910). Ieh m5chte fiir meine Gegner hier feststellen, dab ich damals schon betonte, dM~ die K~lte nicht so wirken kSnnte wie die AusschMtung eines Labyrinthes dutch Durchschneidung. Denn sonst k6nnte nach einseitiger Durchschneidung und K~lteeinwirkung des erhMtenen Labyrinthes gar kein Nyst~gmus mehr auftreten (siehe daselbst). Ich betonte aber damals schon, da/3 ich doch noch K~ltewirkung an so operierten Kaninchen sah, d. h. kS trat deutlicher Nystagmus auf. Ich hob hervor, dM~ auch meine Theorie reich nicht v611ig bdriedige. Seit der Zeit ist nun sehr viel fiir und dawider gesehrieben worden. Anfangs schien es, als ob meine Theorie besonders yon den Ohren~rzten g~nzlich abgelehnt wfirde; in neuerer Zeit mehren sieh aber die Beob~chtungen, die gegen die Endolymph- strSmungen sprechen. Zuerst ~ul~erte wohl Kobrak ZweifeÁ an der ther- mischen Endolymphstr6mung und nahm Gef~l~wirkung an. Kiirzlich hat Eclcert (Zeitschr. f. Hals-, ~'asen- u. Ohrenheflkunde 2, 165. 1922) wieder fiir Bdrdnys An~chauung sich eingesetzt. In letzter Zeit haben nun besonders de Kleyn und Storm van Leewen experimentell in 2 Arbeiten in diesem Archly (Bd. 94 und Bd. 107) sieh mit meiner Theorie besch~f- tigt und sind zu dem Schlul~ gekommen, dM~ sie nicht bestehen k6nnte.

Sie wiesen in sorgfi~ltigen Versuchen zun~ehst nach, da~ der kMo- rische Nystagmus bei Hunden und Katzen nicht mit dem Nystagmus iibereinstimmf, der naeh Exstirpation auftritt, denn nut der erstere schl~gt in Rfickenlage nach der Seite des ausgespritzten 01~es, auch

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h6rt nach Exstirpation einer Seite und Kaltausspritzung der anderen Seite der erste Nys~agnms nlcht auf, was der Fall sein mfiBte, wenn Kalte den Ohrapparat v611ig l~hmte. I)as letztere hube ich auch nicht behauptet, siehe oben. Auch die genannten Forscher fanden doch, dab da- bei derNystugmus sehr ubgeschw~cht is~ und in Bauchlage ganz aufh5rt.

Bei gleichzeitiger beiderseitiger Kalte~usspritzung mfiBten, wie die Forscher meinen, alle vestibula.ren Reflexe fehlen (siehe meine obige Bemerkung; ich sprach nur yon I~Iemmungen, nicht yon Ausschaltung nach Kglte). Das ist. nicht der Fall, die kompensgtorischen bleiben er- halten. Hierzu ist zu sagen, dab die kompensatorischen l~eflexe ganz anderer Art wie die Drehreflexe sind. Sie rufen keine Gegenbewegung, kein Zurtickschnellen der Augen hervor, wie es bei den Bogenreflexen der Fall ht, sondern bei den kompensatorischen Augenbeweg,mgen behalten die Augen die neue eingenommene Stelhng dauernd (siehe weiteres unten). Immerhin fehlten nuch de Kley~ und Storm van Lee'wens Untersuchungen doch bei beiderseitiger Kalteausapritzung die Dreh- reflexe ganz oder waren doch viel lungsumer Ms ohne Sioiilung, was doch eher ffir mindester~s eine teihveise Hemmnng beider Ohrappurute spr~ehe.

In einer weiteren Arbeit stellten die beiden Autoren lest, dug Rich- tungs~ndernngen bei Nystugmus nach einseitiger Exstirpation nieht auftreten; d. h. geringe Richtungs~inderungen beobach~eten sie doch aN Folge der kompensutorisehen Augenbewegungen. Sie hubert dann an genuu graduierten Drehappu/uten festgestellt, bei welcher Kopfst.et- lung der K~ltenystugmus bei Kaninchen umschl~tgt, n~mtich wenn die horizontalen Bogeng~nge am horizontalsten stehen. Die Verfasser setzen m. E. die ampnllofugule bzw. umpullopetule StrSmung mehr nach Bdrdnys Vorgang voraus, uls dub sie sie beweisen. Sie kSnnten hSchstens sugen, wenn eine derartige Str6mung besteht, so kSnnte sie sich beim Wenden des Kopfes umdrehen und den plStzlichen Wechsel erklgren. Unerkl~rlich bleibt bei ihrer Beweisfiihrung uber immer, weshulb sie keinen toten Punkt funden. Der EinfluB der kompensatorischen Augen- stellungen bleibt ebenfulls unklur.

Jedenfalls seheint es mir verfriiht, wenn beide Autoren sehrelben, dab dureh ihre experimentellen Befunde die Theorie yon Bdrdny be- st~tigt wird und dab die Theorie yon Barrels in entschiedenem Gegen- sa.tz zu diesen Befunden stehe. Auf den Einwund, dub nach ZerstSrung eines Lubyrinthes noch thermiseher Nystugmus nach beiden t~ichtungen auszulSsen sei, bin ich in einer frtiheren Arbeit uusfiihrlieh eingegungen (s. Barrels, Klin. Monutsbl. f. Augenheilk. 50, 200). Es tritt ja auch wieder Nystagmus nueh ZerstSrung des letzten Lubyrinthes anf. Gewig ist meine Theorie nit!at befriedigend, aber die yon Bdrdny noch weniger, sie scheint mir durch Experimente, die den beiden Autoren unseheinend ganz entgungen sind, direkt unm6giich weiter haltbar. Zungehst mSchte

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ieh wieder, wie sehon vor vielen Jahren, betonen, dal~ iiberhaupt die Theorie, dab wirMieh Str6mungen der Endolymphe die Augenbewegun- gen hervorrufen, noah nicht bewiesen ist. Damit, dab fiberhaupt Str6- mungsm6gliehkeit bewiesen ist, ist doch noeh nieht diese als adgquater tleiz bewiesen. Es liegen nun einige experimentelle Befunde vor, die geeignet sind, die kalorisehe Str6mungstheorie schwer zu ersehiittern.

Borries (Studies on normal Caloric Nystagmus. Aeta oto-laryngo- logiea Vol. IV Fuse. 1, S. 8. 1922) land im Gegensatz zu K~bo, dab bei Tauben naeh Zerst6rung der Bogeng~nge mit ihren Ampullen und den Cristae aeustieae die Drehreaktion ffir immer verloren war, dagegen der kalorisehe Nystagmus erhalten. Vor allem aber sind anseheinend die Versuche yon Popp (Zeitsehr. f. Sinnesphysiologie 47, 352. 1912) ganz vergessen oder fibersehen. Diese Versuehe, unter Ewalds Leitung mit einer wunderbaren Teehnik ausgeffihrt, sind anseheinend kaum beaehtet worden, Sonst kSnnten die genannten hollgndisehen Forseher nieht meinen, es wgren gar keine Experimente fiber die Endolymph- bewegung beim kalorisehen Nystagmus ver6ffentlieht worden. Popps Versuche sind deshalb wohl wert, ans Tageslieht gebraeht zu werden. Sie beweisen, kuiz gesagt, dab lediglich dureh Erwa.rmen bzw. Abkfib~n nut der Ampulle eines Bogenganges bei der Taube ka~riseher Nystag- nms im Sinne der bekannten Kglte- und W~rmerichtung heIvorgerufen werden kann, ohne dab StrSmung in Betraeht kommt. Popp braehte einen ~uGe~st feinen Gummiballon an einer Ampulle an. B{it dem Gummi- ballon konnte er mittels Doppelkaniile Wasser bestimmter Tempe~atur an die Ampulle heranbringen. Es genfigte 1/40 eines Wassertropfens, um K~ltenystagmus hervorzurufen! Ebenso lieB sieh dureh Erwgrmung des Gummiballons mit eigens konstruiertem Galvanokauter, dessen Er- wgrmung mit dem Amperemesser bestimmt wurde, prompter Wgrme- nystagmus, d. h. naeh der erw~rmten Seite erzielen. Eine Endolymph- bewegung konnte dabei gar nieht in Frage kommen, zum UberfluB hatte Popp noeh den Bogengang abplombiert. Diese Versuehe zeigen wieder, wie roh eigentlieh aueh die klinisch kalorisehe PIfifung ist. Diese augerst exakten minutiSsen Versuehe haben m. E. ffir die Taube wenigstens endgtil~ig die Theorie der Endolymphbewegung bei kMoriseher I~eizung widerlegt und spreehen eher ffir meine Ansehauung, dab Kglte hemmt, W~rme reizt. Es ist Saehe der Anhgnger der StrSmung~theorie, beim kalorisehen Nystagmus ihre Ergebnisse hiermit in Einklang zu bringen. Aueh Borries hat diese Versuehe augenseheinlieh nieht gekannt. Um so wertvoller ist die Folgerung aus seinen Versuehen (s. d.), dab beim kalorisehen Nystagmus GefgBreflexe den EinfluB von W~rme und Kglte erkl~ren. Er hat abet, die Richtigkeit seiner Versuche vorausgesetzt, bewiesen, dab andererseits die Ampullen bzw. Cristae aeustieae gar nieht n6tig sind, um kalorisehen Nystagmus zu erzeugen, da er ihn ja

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erzeugen konnte, wenn lediglieh die Maculae aeusticae erhalten blieben. Er ist vorsichtig in seinen Folgerungen und meint, man k6nne aus seinen Versuehen nur sehlieBen, dab die Cristae nieht n6tig seien zum Erzeugen des kalorisehen Nystagmus, abet nieht, da, B die Cristae, wenn vorhanden, nur eine passive Rolle spielten. Dem m6chte ich mieh im Zusammenhang mit Popps Versuehen durehaus ansehlieBen. Unsere Kenntnisse fiber die Wirkung der Maculae stehen noeh in den ersten Anfi~ngen. Es seheint mir noeh immer nicht genfigend berfieksiehtigt, dab diese Stel- lungsreflexe der Maeulae einen grunds~tzliehen Untersehied im Ver- gleieh mit den Bewegungsreflexen der Bogeng~nge aufweisen, weil erstere eben keine Gegenbewegung, keinen I~iieksehlag ausl6sen. Wit k6nnen uns zur Zeit keine Vorstellung fiber die nerv6sen Vorg~nge maehen. Es ist auch unntitz, dartiber zu reflektieren; diese Frage mug experimentell gel6st werden. Popps Versuehe seheinen auszusehlieBen, dal~ es sieh beim kaiorisehen Nystagmus um Gef~greflexe handelt, da die Tempe- ratur ja direkt auf die Ampulle wirkte. Andererseits k6nnten klinisehe Beobaehtungen yon Griessman.n darauf hinweisen, dag doeh auell solehe geflexe wohl in Frage kommen. C~'ie~ssmctn.ft (Miineh. reed. %Vocllensehr. 1921, S. 1648) konnte lediglieh (lurch EinIegen eines mit kaltem oder warmem Wasser angefeuehteten Wattebausehes in den Geh6rgang N~stagmus erzeugen, ja dutch Au~legen soleher Lappen auf die Hals- muskulatur unterhalb des Ohres. Ieh babe allerdings ebensowenig wie Eckert diese letztere Beobaehtung Griessmanns bestatigen k6nnen. Naeh allem vorher Gesagten seheint es mir doeh, dab die TierexI0erimente folgendes wahrscheinlieh maehen: K~lte wirkt in noeh unbekannter Weise hemmend auf den Vestibularapparat, und Wi~rme reizend, aber diese hemmende Wirkung der Ki£1te kommt nieht einer Aussehaltung des Labyrinthes gleich. Sie wirkt vielleieht nut auf einzelne Teile des Labya'inthes bzw. auf einzelne Teile versehieden. M6glieherweise miiBten wit besondere Temperaturnervenendigungen bzw. -fasern im Labyrinth annehmen, die allein gehemmt bzw. gereizt werden (Popps Versuehe k6nnte man m. E. so deuten), w~hrend andere Nervenendigungen bzw. -fasern noeh fiir andere t~ize erregbar bleiben. Ob es m6glieh ist, dab bei Umkehr des Kopfes tatsaehlieh in dem Capillarrohr der Bogeng~nge die k~ltere Lymphe sinkt und die warmere atffsteigt, ist eine zweite Frage; beja, ht man sie, so ~4irde aber die kalte bzw. warme Lymphe nich?G (lurch ihre St¢6mung als mechan{scher P~eiz wirken, wie man es beim Drehen annimrnt, sondern im Einklang mit Polops Versuehen als direkter Warme- bzw. J~i~ltereiz auf die Cristae. Jedenfa.lls seheint mir naeh dem heutigen Stand der Frage mehr fiir meine Ansehauung, wie ieh sie wirklieh seinerzsig niederlegte, nieht wie sie mir zugesehoben wird, zu spreehen, als fiir die Theorie Bdrdays. Meine Auffassung seheing mir m6glich, die yon B&rdny nieht halgbar zu sein.