akustische und vestibuläre effekte bei einer dehiszenz des oberen bogengangs; acoustic and...

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HNO 2013 · 61:743–751 DOI 10.1007/s00106-013-2747-7 Online publiziert: 17. August 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 J.-C. Luers · K.-B. Hüttenbrink Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universitätsklinik Köln Akustische und vestibuläre  Effekte bei einer Dehiszenz  des oberen Bogengangs Die Dehiszenz des oberen Bogen- gangs wurde vor etwa 15 Jahren erst- malig als Krankheitsbild beschrieben [1] und ist seitdem mit einer Vielzahl an Mittel- und Innenohrsymptomen assoziiert worden, u. a. mit Tinnitus, Ohrdruck, Autophonie, Hyperaku- sis, Tullio-Phänomen, Hennebert-Fis- telsymptom, menièriformen Krank- heitsbildern sowie einer teils erheb- lichen Schallleitungsschwerhörigkeit [2] und Oszillopsien [3]. Bis heute be- stehen einige ungeklärte Fragen hin- sichtlich der Pathophysiologie. Die Diagnostik beruht aktuell auf einer Kombination mehrerer Untersuchun- gen. Die Therapieoptionen reichen von rein symptomatischer Behand- lung bis zu hochinvasiven Innenohr- eingriffen. Pathophysiologie Die pathophysiologischen Mechanismen, die den äußerst variablen klinischen Er- scheinungsbildern der oberen Bogen- gangsdehiszenz („superior semicircular canal dehiscence“, SSCD) zugrunde lie- gen, sind bis heute trotz diverser wissen- schaftlicher Erklärungsversuche letztend- lich ungeklärt. Während bei intaktem Labyrinth die Netto-Volumenverschiebungen zwischen ovalem und rundem Fenster gleich null sind (. Abb. 1), wirkt der Theorie nach bei der SSCD die fehlende Knochenabde- ckung des oberen Bogengangs pathome- chanisch als sog. „3. Fenster“. Vereinfacht ausgedrückt soll bei akustischer Anregung durch Luftschall Schallenergie über diese Fistel aus dem Innenohr entweichen. Bei der Knochenleitung soll Schall aus dem Schädel in das Innenohr eintreten. Dies soll zu der Kombination einer Schalllei- tungsstörung und einer Knochenleitungs- hyperakusis führen ([4, 5, 6, 7], . Abb. 2). Schwindelerscheinungen werden dadurch erklärt, dass sich bei einer Schall- oder Druckanregung im Gehörgang das häu- tige Labyrinth aus der knöchernen Hülle des Innenohrs herauswölben könne [3, 8]. »   Bei intaktem Labyrinth  sind die Netto-Volumenver- schiebungen zwischen ovalem  und rundem Fenster gleich null Hinsichtlich des Entstehungsmechanis- mus einer SSCD, die in erster Linie bei erwachsenen Patienten diagnostiziert wird, wurde die Hypothese geäußert, dass die SSCD das Resultat einer fehlenden oder fehlerhaften postnatalen Knochen- entwicklung ist, bei welcher ein geringes Kopftrauma zu einer Zerstörung der dün- nen Knochenhaut führt. Diagnostik Zur Diagnosestellung einer SSCD wird derzeit die Kombination von klinischer Symptomatik und den Befunden der Computertomographie (CT), der Ton- audiometrie und von vestibulär evozier- ten myogenen Potenzialen (VEMP) her- angezogen. Computertomographie Auf die Erstbeschreibung des SSCD folg- te eine Vielzahl von Fallbeschreibungen, in denen die zuvor beschriebenen Sym- ptomkonstellationen in unterschiedli- cher Ausprägung, aber stets mit einer in der CT nachgewiesenen fehlenden knö- chernen Abdeckung des oberen Bogen- gangs vorhanden war [2, 5, 8, 9, 10, 11, 12, 13]. Diese Erstbeschreibung der SSCD be- ruhte allerdings noch auf CT-Bildern mit 1 mm Schichtdicke [1]. Problematisch ist hier jedoch, dass dünne Knochenabde- ckungen mit einer Dicke unter 50 μm, die der Ohroperateur als „blue line“ eines Bogengangs kennt, nicht darstellbar sind und als Dehiszenz fehlgedeutet werden können. Technisch gesehen unterdrückt hierbei das „partial volume averaging“ das Knochensignal, sobald der Knochen dün- ner ist als die Pixelgröße [14, 15]. So konn- te bei künstlich angelegter „blue line“ oder Fistelöffnung im Felsenbeinexperiment die in der „klinischen CT“ (Schichtdicke 100 μm) vermutete Dehiszenz in 7 von 8 Fällen in der „Mikro-CT“ (Schichtdicke 18 μm) als falsch-positiv widerlegt wer- den [16]. Je feiner die CT-Auflösung, des- to weniger SSCD-Fälle verbleiben [15, 16]. Diese Ungenauigkeit der radiologischen Diagnostik führte in der Vergangenheit bereits mehrfach zu Operationen bei Pa- tienten mit falsch-positivem SSCD [2, 17]. Sehr fragwürdig erscheint hierbei die int- raoperativ gefällte Entscheidung, eine un- erwartete knöcherne Bedeckung des obe- ren Bogengangs aufzubohren, um den Ka- nal anschließend zu okkludieren [2, 14]. Leitthema 743 HNO 9 · 2013|

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Page 1: Akustische und vestibuläre Effekte bei einer Dehiszenz des oberen Bogengangs; Acoustic and vestibular effects of superior semicircular canal dehiscence;

HNO 2013 · 61:743–751DOI 10.1007/s00106-013-2747-7Online publiziert: 17. August 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

J.-C. Luers · K.-B. HüttenbrinkKlinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universitätsklinik Köln

Akustische und vestibuläre Effekte bei einer Dehiszenz des oberen Bogengangs

Die Dehiszenz des oberen Bogen-gangs wurde vor etwa 15 Jahren erst-malig als Krankheitsbild beschrieben [1] und ist seitdem mit einer Vielzahl an Mittel- und Innenohrsymptomen assoziiert worden, u. a. mit Tinnitus, Ohrdruck, Autophonie, Hyperaku-sis, Tullio-Phänomen, Hennebert-Fis-telsymptom, menièriformen Krank-heitsbildern sowie einer teils erheb-lichen Schallleitungsschwerhörigkeit [2] und Oszillopsien [3]. Bis heute be-stehen einige ungeklärte Fragen hin-sichtlich der Pathophysiologie. Die Diagnostik beruht aktuell auf einer Kombination mehrerer Untersuchun-gen. Die Therapieoptionen reichen von rein symptomatischer Behand-lung bis zu hochinvasiven Innenohr-eingriffen.

Pathophysiologie

Die pathophysiologischen Mechanismen, die den äußerst variablen klinischen Er-scheinungsbildern der oberen Bogen-gangsdehiszenz („superior semicircular canal dehiscence“, SSCD) zugrunde lie-gen, sind bis heute trotz diverser wissen-schaftlicher Erklärungsversuche letztend-lich ungeklärt.

Während bei intaktem Labyrinth die Netto-Volumenverschiebungen zwischen ovalem und rundem Fenster gleich null sind (. Abb. 1), wirkt der Theorie nach bei der SSCD die fehlende Knochenabde-ckung des oberen Bogengangs pathome-chanisch als sog. „3. Fenster“. Vereinfacht ausgedrückt soll bei akustischer Anregung

durch Luftschall Schallenergie über diese Fistel aus dem Innenohr entweichen. Bei der Knochenleitung soll Schall aus dem Schädel in das Innenohr eintreten. Dies soll zu der Kombination einer Schalllei-tungsstörung und einer Knochenleitungs-hyperakusis führen ([4, 5, 6, 7], . Abb. 2). Schwindelerscheinungen werden dadurch erklärt, dass sich bei einer Schall- oder Druckanregung im Gehörgang das häu-tige Labyrinth aus der knöchernen Hülle des Innenohrs herauswölben könne [3, 8].

»  Bei intaktem Labyrinth sind die Netto-Volumenver-schiebungen zwischen ovalem und rundem Fenster gleich null

Hinsichtlich des Entstehungsmechanis-mus einer SSCD, die in erster Linie bei erwachsenen Patienten diagnostiziert wird, wurde die Hypothese geäußert, dass die SSCD das Resultat einer fehlenden oder fehlerhaften postnatalen Knochen-entwicklung ist, bei welcher ein geringes Kopftrauma zu einer Zerstörung der dün-nen Knochenhaut führt.

Diagnostik

Zur Diagnosestellung einer SSCD wird derzeit die Kombination von klinischer Symptomatik und den Befunden der Computertomographie (CT), der Ton-audiometrie und von vestibulär evozier-ten myogenen Potenzialen (VEMP) her-angezogen.

Computertomographie

Auf die Erstbeschreibung des SSCD folg-te eine Vielzahl von Fallbeschreibungen, in denen die zuvor beschriebenen Sym-ptomkonstellationen in unterschiedli-cher Ausprägung, aber stets mit einer in der CT nachgewiesenen fehlenden knö-chernen Abdeckung des oberen Bogen-gangs vorhanden war [2, 5, 8, 9, 10, 11, 12, 13]. Diese Erstbeschreibung der SSCD be-ruhte allerdings noch auf CT-Bildern mit 1 mm Schichtdicke [1]. Problematisch ist hier jedoch, dass dünne Knochenabde-ckungen mit einer Dicke unter 50 μm, die der Ohroperateur als „blue line“ eines Bogengangs kennt, nicht darstellbar sind und als Dehiszenz fehlgedeutet werden können. Technisch gesehen unterdrückt hierbei das „partial volume averaging“ das Knochensignal, sobald der Knochen dün-ner ist als die Pixelgröße [14, 15]. So konn-te bei künstlich angelegter „blue line“ oder Fistelöffnung im Felsenbeinexperiment die in der „klinischen CT“ (Schichtdicke 100 μm) vermutete Dehiszenz in 7 von 8 Fällen in der „Mikro-CT“ (Schichtdicke 18 μm) als falsch-positiv widerlegt wer-den [16]. Je feiner die CT-Auflösung, des-to weniger SSCD-Fälle verbleiben [15, 16]. Diese Ungenauigkeit der radiologischen Diagnostik führte in der Vergangenheit bereits mehrfach zu Operationen bei Pa-tienten mit falsch-positivem SSCD [2, 17]. Sehr fragwürdig erscheint hierbei die int-raoperativ gefällte Entscheidung, eine un-erwartete knöcherne Bedeckung des obe-ren Bogengangs aufzubohren, um den Ka-nal anschließend zu okkludieren [2, 14].

Leitthema

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Zu beachten ist ferner, dass Patien-ten mit scheinbar typischen SSCD-Be-schwerden eine völlig normale CT des In-nenohrs ohne jeglichen Hinweis auf eine Dehiszenz aufweisen können [4, 8]. Um-gekehrt können Patienten, bei denen zu-fällig in der CT eine Dehiszenz festgestellt wird, völlig beschwerdefrei sein [9, 15]. Aktuell ist daher festzuhalten, dass eine in der CT sich nicht darstellende Knochen-abdeckung kein sicheres Kriterium für die Diagnose einer SSCD ist [13, 14, 18]. Umgekehrt ist bei einer klinisch verdäch-tigen Symptomatik eine hochauflösende kraniale CT des Felsenbeins (in Stenvers- oder Pöschl-Projektion, [18]) zu fordern, um überhaupt die namengebende Kno-chendehiszenz zu belegen.

»  Patienten mit SSCD-Beschwerden können eine völlig normale CT des Innenohrs aufweisen 

Vor diesem Hintergrund ist die Konst-ruktvalidität von Studien infrage zu stel-len, die auf eine intraoperative Absiche-rung der Diagnose verzichten und Stu-dien- und Kontrollgruppen allein durch die Ergebnisse der CT (ggf. nur mit 1-mm-Schichtdicken) kategorisieren. Kritisch ist anzumerken, dass die in einer derartigen Studie analysierten diagnostischen Tests nie über die Qualität der CT-Diagnos-tik hinauskommen können. Die Tatsa-

che, dass aktuelle Publikationen nach wie vor eine „Bestätigung“ der Diagnose al-lein durch die CT beschreiben [19, 20], ist ein Hinweis darauf, dass noch viel Grund-lagenforschung, Aufklärung und Diskus-sion notwendig sind, um eine evidenzba-sierte Diagnostik und Therapie für SSCD-Patienten zu erreichen.

Vestibulär evozierte myogene Potenziale

Mittlerweile stellen VEMP einen wesent-lichen Eckpfeiler bei der präoperativen Diagnostik eines SSCD dar, da die CT kei-ne ausreichend zuverlässigen Ergebnisse liefern kann. Während zunächst zervikale VEMP (cVEMP) für die Diagnostik eines SSCD herangezogen wurden, werden ak-tuell die wesentlich schneller erhebbaren okulären VEMP (oVEMP) auf ihre Eig-nung hin untersucht.

Die oVEMP beruhen auf der Sensi-tivität vestibulärer Neurone im Bereich des Sakkulus und werden als Produkt des sakkulookulären Reflexbogens gedeutet [21, 22]. Damit oVEMP ausgelöst wer-den können, muss ein intensiver akusti-scher Stimulus über die Luftleitung mit einem Schallpegel von bis zu >140 dB SPL und einer Frequenz von 500–1000 Hz ap-pliziert werden. Ungefähr 10–15 ms nach akustischer Stimulation treten im M. ob-liquus inferior biphasische Muskelpoten-ziale auf, die dann durch Oberflächen-elektroden elektromyographisch unter-halb des Auges abgeleitet werden kön-nen. Im Vergleich zu ohrgesunden Pa-tienten weist dieses Potenzial im Fall eines SSCD signifikant erhöhte Amplitu-den bei zudem signifikant verminderten Reizschwellen auf [21, 23]. Nach chirurgi-scher Therapie eines SSCD können sich die oVEMP normalisieren [24, 25]. Wäh-rend oVEMP eine sehr gute Reliabilität aufweisen [26], lassen sich hingegen keine definitiven Angaben zur Amplitudenhöhe und zu Normdaten machen, da diese stark vom diagnostischen Aufbau und den Sti-muluscharakteristika abhängen [27].

In 2 prospektiven kontrollierten Stu-dien (Gesamt-n =40) wurde vor Kurzem gezeigt, dass oVEMP eine Sensitivität und Spezifität von 90–100% für die SSCD ha-ben [24, 25], wobei die Bogengangsdehis-zenz bei allen Patienten später intraope-

Abb. 1 9 Bei intaktem Labyrinth ergibt sich kein Verlust von Schall-energie: Die Netto-Vo-lumenverschiebun-gen am ovalen und am runden Fenster sind gleich null.

Abb. 2 9 Im Fall einer knöchernen Dehis-zenz des oberen Bo-gengangs wird postu-liert, dass Schallener-gie über die Dehis-zenz entweicht und so-mit nicht mehr in der Cochlea zur Verfügung steht (Verlust von Schallenergie = Hör-verlust)

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rativ über einen transtemporalen Zugang bestätigt wurde.

Auch wenn hierdurch eine generelle Beziehung und Kausalität zwischen SSCD und oVEMP wahrscheinlich erscheint, ist die zugrunde liegende Pathophysiologie nach wie vor unklar. So sind VEMP Aus-druck spezifischer Rezeptoren im Bereich der Otolithenorgane [22], welche anderer-seits jedoch bei einer SSCD gar nicht di-rekt betroffen sind. Auch treten die beim SSCD beschriebenen vestibulären Sym-ptome nicht in erster Linie bei Linearbe-schleunigungen auf, wie es an sich zu er-warten wäre, wenn die Otolithenorgane hiervon betroffen wären. Interessant wä-re vor diesem Hintergrund eine prospek-tive Studie, die anhand eines großen Pa-tientenkollektivs oVEMP bei SSCD-Pati-enten im Vergleich zu Patienten mit chro-nischem Schwindel, aber mit radiolo-gisch gesicherter intakter Bogengangsab-deckung untersucht.

»  VEMP sind Ausdruck spezifischer Rezeptoren im Bereich der Otolithenorgane 

Generell stellen VEMP in der Beweisket-te für das Krankheitsbild des SSCD einen wichtigen Baustein dar, da sie das einzi-ge objektive Instrument bei der Diagnos-tik eines SSCD sind. Bedacht werden soll-te, dass VEMP selbst kein SSCD-Sym-ptom repräsentieren, sondern lediglich eine spezifische diagnostische Auffällig-keit abbilden, weswegen die Effektivität einer operativen SSCD-Behandlung nicht durch die Besserung der VEMP-Schwel-lenwerte beschrieben werden kann. Ähn-lich einer NNH-Op., bei der nicht die CT, sondern der Patient mit seinen Sympto-men im Fokus steht, kann die Norma-lisierung von VEMP-Amplituden und -Schwellenwerten daher nicht den End-punkt von klinischen Studien abbilden.

Intraoperative Diagnose

Die intraoperative (Blick-)Diagnose eines SSCD gilt in der Literatur als endgültiger Beweis einer SSCD. Beim transtempo-ralen Zugang sollte die direkte Blickdia-gnose möglich sein, sofern ausgeschlossen werden kann, dass durch das Abheben der

fest am Knochen anhaftenden Dura nicht akzidenziell eine dünne Knochenschicht über dem zuvor noch intakten Bogengang entfernt wurde, wie dies aus der infratem-poralen Vestibularisschwannomchirurgie bekannt ist. Beim transmastoidalen Vor-gehen ist die Diagnose einer SSCD ana-tomisch aufgrund des Blickwinkels nicht möglich.

Akustische Effekte

Akustische Effekte werden dem Ver-lust (bei Luftleitung) oder dem Gewinn (bei Knochenleitung) von Schallenergie über die Dehiszenz zugeschrieben, wo-durch es zu einer tieftonbetonten Schall-leitungsschwerhörigkeit von teils erhebli-chem Ausmaß mit gleichzeitig bestehen-der supranormaler Knochenleitung kom-men soll. Ein weiterer akustischer Effekt

Zusammenfassung · Abstract

HNO 2013 · 61:743–751   DOI 10.1007/s00106-013-2747-7© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

J.-C. Luers · K.-B. Hüttenbrink

Akustische und vestibuläre Effekte bei einer Dehiszenz des oberen Bogengangs

ZusammenfassungDie Dehiszenz des oberen Bogengangs wird mit einer Vielzahl an mehr oder weniger spe-zifischen Mittel- und Innenohrsymptomen assoziiert. Hinsichtlich der Pathophysiologie ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt, auf welche Weise die Symptome mit einer pos-tulierten fehlenden Knochenabdeckung des oberen Bogengangs zusammenhängen. Im Wesentlichen ungeklärt ist die Frage, warum eine knöcherne Dehiszenz des oberen Bo-gengangs überhaupt Symptome hervorrufen soll. Denn sie besitzt doch in vivo eine natür-liche Abdeckung durch Dura, Liquor und Ge-hirn, wodurch Impedanzänderungen verhin-dert werden, wie neue experimentelle Unter-suchungen zeigen konnten. Die Diagnos-tik der oberen Bogengangsdehiszenz beruht auf einer Kombination mehrerer Untersu-

chungen. Nachdem sich die kraniale Compu-tertomographie (mit ihrer begrenzten bild-lichen Auflösung) als weitestgehend unge-eignet für die Diagnose erwiesen hat, wer-den insbesondere okuläre vestibulär evozier-te myogene Potenziale als wesentlicher Bau-stein für die Diagnostik angesehen. Neben symptomatischer Therapie werden vereinzelt auch hochinvasive operative Eingriffe durch-geführt. Den publizierten Fallserien mit größ-tenteils positiven klinischen Verläufen ste-hen nicht unerhebliche perioperative Risiken gegenüber.

SchlüsselwörterBogengänge · Bogengangsdehiszenz ·  Vertigo · Schallleitungsschwerhörigkeit ·  Otosklerose

Acoustic and vestibular effects of superior semicircular canal dehiscence

AbstractA dehiscence of the superior semicircular ca-nal is associated with many middle and inner ear symptoms of varying specificity. Concern-ing the pathophysiology, the way in which these symptoms are connected to a postulat-ed missing bony layer of the superior semi-circular canal remains to be completely clar-ified. In particular, it is unclear why a bony dehiscence might induce symptoms at all; as shown by recent experimental investiga-tions, the natural in vivo coverage of the su-perior semicircular canal by dura, cerebrospi-nal fluid and brain prevents changes in inner ear impedance. Diagnosis of superior semicir-cular canal dehiscence is currently based on a combination of different tests. While crani-al computed tomography (with its limited vi-sual resolution) has proven to be largely un-

suitable, ocular vestibular-evoked myogen-ic potentials (oVEMP) are considered an im-portant component of diagnosis. In addition to symptomatic treatment, isolated cases also present the option of highly invasive surgical intervention. Although the majority of pub-lished case reports document positive clinical outcomes for operated patients, these proce-dures are associated with considerable peri-operative risks.

KeywordsSemicircular canals · Semicircular canal  dehiscence · Vertigo · Conductive hearing loss · Otosclerosis

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einer SSCD wird in der Autophonie gese-hen, die ebenfalls als Resultat der vermin-derten Impedanz beim Knochenleitungs-schall gedeutet wird [1].

Auch wenn beim SSCD-Syndrom der Stapediusreflex klassischerweise vorhan-den ist [9, 28, 29], wird dennoch in man-chen Publikationen als wichtige Differen-zialdiagnose regelmäßig die Otosklerose genannt [4, 5, 7, 10, 13, 29]. Der postulierte Pathomechanismus ist hörphysiologisch jedoch schwer nachvollziehbar. Kann eine zusätzliche Öffnung am oberen Bogen-gang, weit entfernt von der Cochlea, einen derartigen, gar Otosklerose imitierenden Schallverlust bewirken, wenn gleichzeitig über das runde Fenster ein nahegelegener Impedanzausgleich besteht? Tierversu-che [30, 31], Felsenbeinexperimente [32] und Modellrechnungen bestätigen diesen Einwand: Zwar kann mit einem künst-lich aufgebohrten Bogengang eine Trans-missionsänderung erzeugt werden, diese beträgt jedoch maximal 10–20 dB – und das auch nur in den tiefen Frequenzen bis 1 kHz [6, 30, 31, 32, 33] – und steht damit in keinem Verhältnis zu den audiometri-schen Charakteristika einer Otosklerose (. Tab. 1).

Bei der Frage nach der tatsächlichen Höhe des Schallenergieverlusts muss außerdem beachtet werden, dass anders als in den genannten Tier- und Felsen-beinversuchen in vivo eine Bogengangs-dehiszenz nie offen zur Luft des Mittel-ohrs liegt [32]. Stattdessen ist jede SSCD in der Realität mit Dura und zusätzlich der inkompressiblen Masse des intrakra-niellen Liquors und dem Gehirn über-deckt. Aus diesem Grund können die Er-

gebnisse aller experimentellen Versuche, bei denen die Bogengangsfistel gegen Luft angelegt wurde, nicht valide sein.

Aus hörphysiologischen Überlegun-gen ist anzunehmen, dass die Impedanz einer hypothetischen Fistel des oberen Bogengangs durch die natürlich Abde-ckung durch Dura und Gehirn unver-mindert ebenso hoch wie die intakte knö-cherne Bedeckung bleibt. Die Schallener-gie, die von der Fußplatte in das Innen-ohr einstrahlt, wird sich weiterhin zum runden Fenster, das an die Luft des Mit-telohres angekoppelt ist, ausbreiten und so auch die dazwischen liegende Basilar-membran normal in Schwingung verset-zen. Ein akustischer Effekt einer Bogen-gangsfistel mit einer höheren Impedanz als die des runden Fensters, noch dazu nicht im Schallfluss zwischen Fußplat-te und rundem Fenster gelegen, kann da-her, wenn überhaupt, nur minimal sein (. Abb. 3). Die Ergebnisse einer Meta-analyse der Hörbefunde beim SSCD sind daher vor diesem Hintergrund infrage zu stellen, unabhängig von dem Auswahlver-fahren der anfechtbaren CT-Befunde mit zu dicken Schichten [8].

Erst in Publikationen jüngeren Datums wurden die korrekten physiologischen Be-dingungen für eine SSCD im Felsenbein-experiment simuliert. Hier zeigte sich, dass die erneute Abdeckung (Patching) eines offenen oberen Bogengangs mit Dura zu einer Normalisierung der Transferfunk-tion des Felsenbeins führte [30]. Anders ausgedrückt: Werden die in vivo vorlie-genden Umstände mit einer durch Weich-teilgewebe abgedichteten oberen Bogen-gangsdehiszenz im Felsenbein simuliert,

ergibt sich ein weitestgehend norma-ler Schalltransfer. Eine in der Tonaudio- metrie mit ihrer Genauigkeit von ±5 dB festgestellte Schallleitungsschwerhörig-keit kann somit nicht mit einer fehlenden knöchernen Abdeckung des oberen Bo-gengangs in Verbindung gebracht werden. Dies erklärt auch das Misslingen der Ver-suche, die Größe der radiologisch ausge-messenen Dehiszenz mit dem Transmis-sionsverlust der audiometrischen Ergeb-nisse zu korrelieren [5, 32, 34]. Auf der an-deren Seite ist festzustellen, dass viele der publizierten Fallserien über eine teilwei-se deutliche Besserung von tonaudiome-trischen Auffälligkeiten nach operativer Therapie eines SSCD berichten, wenn-gleich auch immer wieder „Therapiever-sager“ mit persistierender Schallleitungs-schwerhörigkeit nach operativer Therapie in der Literatur auftauchen [28].

»  Patching eines offenen oberen Bogengangs mit Dura führte zur Normalisierung der Transferfunktion des Felsenbeins

In Anbetracht dieser Erkenntnisse ist da-her festzuhalten, dass aktuell kein patho-physiologisch korrektes Erklärungsmo-dell für die postulierte klinisch signifikan-te Schwerhörigkeit bei Patienten mit einer vermuteten SSCD existiert.

Vestibuläre Effekte

Die für SSCD-Patienten beschriebenen Schwindelerscheinungen sind äußerst heterogen, und die pathophysiologische Theorie konnte bis heute noch nicht plau-sibel erklärt werden. Prinzipiell gelten für die Erklärung von Schwindelbeschwer-den beim SSCD ähnliche Einwände, wie sie auch schon für die Entstehung etwai-ger akustischer Effekte angebracht wur-den (natürliche Abdeckung einer Bogen-gangsfistel in vivo durch Dura/Gehirn).

Da die meisten publizierten klinischen Fallserien retrospektiver Natur sind, meist von CT-Bildern mit zu großer Schicht- dicke ihre Diagnose ableiten und die vesti-bulären Symptome nicht spezifisch auflis-ten, lässt sich aktuell kaum eine Prozent-zahl dafür angeben, wie viele SSCD-Pa-tienten über welche Schwindelform kla-

Tab. 1  Übersicht über experimentelle Studien zur Auswirkung einer oberen Bogengangs-dehiszenz auf die Schallübertragung

Referenz Objekt Ergebnis

Rosowski et al. (2004) [6] Chinchilla +  Modell/Mensch

KL: 10 dB↑LL: >10 dB↓ (500 Hz), 0 dB oberhalb 1 kHz

Pisano et al. (2012) [30] Felsenbein LL: 16 dB↓ (100 Hz), <10 dB (500 Hz), 5 dB (1 kHz)

Mikulec et al. (2004) [29] Chinchilla KL: 10 dB↑ (300 Hz), 0 dB (1 kHz)LL: 2–5 dB↓ (500 Hz – 4 kHz)

Phillips et al. (2010) [28] Felsenbein LL: 10 dB↓ (600 Hz)

Songer et al. (2006) [31] Felsenbein LL: 10 dB↓Carey et al. (2007) [40] Felsenbein LL: 5–10 dB↓ (<1 kHz), 

0 dB (nach Patch)KL Knochenleitung, LL Luftleitung.

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gen. Auch über die Befunde der klassi-schen kalorischen Vestibularisdiagnostik bei SSCD-Patienten finden sich kaum ver-lässliche Daten in der Literatur. Als vesti-buläre Effekte einer SSCD werden vor al-lem Unsicherheitsgefühle mit Schwank-schwindel [1, 2, 11], und/oder lärm- oder druckinduzierter Schwindel (inklusi-ve Tullio-Phänomen, Hennebert-Fistel-symptom), aber auch Oszillopsien nach Schalleinwirkung genannt [2, 12, 13, 23].

Im Fall des Hennebert-Fistelsyndroms wird postuliert, dass bei einer Drucker-höhung im Gehörgang über Trommelfell und Ossikelkette der Druck im Innenohr ansteigt und durch die Fistel nach oben ausweichend die Innenohrflüssigkeit aus-beulend verschiebt und dadurch zu einer Kupulaablenkung führt [1]. Allerdings ist diese Vorstellung nicht mit der Funktions-weise des Mittelohrs in Einklang zu brin-gen. Denn bei der gesunden Gehörknö-chelchenkette fängt die typische Gleitbe-wegung der Ossikelgelenke die Druckän-derungen im Gehörgang auf, sodass der Steigbügel – und damit das Innenohr – fast vollständig von den atmosphärisch bedingten Druckschwankungen abgekop-pelt ist [35]. Wenn zudem über der knö-chernen Fistel die feste Dura mit ihrer Li-quor-Hirn-Masse liegt, sind durch Druck-änderung im Gehörgang hervorgerufene signifikante kupulaerregende Volumen-schwankungen schwer vorstellbar. Klassi-

scherweise wird das Hennebert-Zeichen (Schwindel und Nystagmus während einer Druckausübung auf den äußeren Gehörgang) als typisches Zeichen eines Innenohrhydrops (M. Menière, Syphilis) gedeutet. Pathomechanisch wird hierbei eine durch den Innenohrhydrops verur-sachte Ausdehnung der Otolithenorgane nach lateral angenommen, wodurch der Utrikulus/Sakkulus direkt der Stapesfuß-platte anliegt und bei Bewegungen der-selben stimuliert wird [36]. Mit einer der-artigen pathomechanischen Vorstellung ist auch die Auslösung von VEMP grund-sätzlich vereinbar.

Allerdings wird in den bisherigen Pub- likationen, die das Hennebert-Zeichen mit einer SSCD in Verbindung bringen, auf die genannten klassischen Differen-zialdiagnosen nicht eingegangen, und auch die Assoziation zwischen vermute-tem SSCD und der Reizung von Sakku-lus/Utrikulus wird nicht schlüssig disku-tiert. Gleiches gilt für die Differenzialdia-gnostik, die beim Tullio-Phänomen dis-kutiert werden müsste, wo es ebenfalls zu einer Utrikulus-Sakkulus-Stimulation bei großen akustischen Vibrationsamplituden (1–10 μm) eines evtl. hypermobilen Steig-bügels kommen kann.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die aktuell verfügbare Literatur einen Zusammenhang zwischen Hennebert-Fistelsymptom und Tullio-Phänomen auf

der einen und SSCD auf der anderen Sei-te lediglich beschreibt, diesen jedoch nicht schlüssig erklären kann. Es bleibt also un-klar, wie diese Symptome, die klassischer-weise durch einen Innenohrhydrops bzw. einen hypermobilen Steigbügel ausgelöst werden, nun durch eine SSCD verursacht werden sollen.

Bedacht werden sollte zudem, dass bei vielen Schwindelpatienten eine deut-liche psychische Begleitkomponente be-steht [37], die auch bei einigen SSCD-Pa-tienten eine Erklärung für die Besserung ihrer unspezifischen Beschwerden nach einem operativen Eingriff sein könnte, analog zum Placeboeffekt, den eine ein-fache Mastoidektomie bei Menière-Pati-enten haben kann [38].

»  Bei vielen Schwindelpatienten besteht eine deutliche psychische Begleitkomponente

Diese Einflüsse sollten bei den vielen kli-nischen Fallserien bedacht werden, die von einer deutlichen Besserung bzw. einem völligen Sistieren von vestibulären Symptomen nach chirurgischer Therapie eines SSCD berichten [3, 17, 20, 28]. Prin-zipieller Nachteil dieser Studien ist, dass sie keine objektiven Befunde als End-punkte untersuchen, sondern unspezifi-sche, subjektive vestibuläre Symptome, zu denen auch Beschwerden wie Kopfdruck, Völlegefühl im Ohr, Autophonie usw. ge-hören [3].

Therapie

Die Entscheidung, ob ein Patient mit einer vermuteten SSCD einer Thera-pie zugeführt werden sollte, ist in Ab-hängigkeit von der Symptomstärke und dem Allgemeinzustand des Patienten zu treffen. In vielen Fällen ist eine Therapie nicht notwendig bzw. kann rein sympto-matisch erfolgen [9, 39]. Als chirurgische Therapie sind mehrere teils sehr unter-schiedliche Techniken beschrieben wor-den. Während sich die Einlage von Pau-kendrainagen wiederholt als nicht wirk-sam erwies [3, 28], beschreiben mehrere Fallserien die Effektivität einer einfachen Abdeckung (Resurfacing/Sealing) oder eines Ausstopfens (Obliteration/Plugging/

Abb. 3 9 Bei der Dar-stellung der Pathophy-siologie wird oft über-sehen, dass eine Bo-gengangsdehiszenz in vivo mit Dura und Gehirn überdeckt ist. Durch diesen natürli-chen „Patch“ einer De-hiszenz sollte es zu keinem Verlust von Schallenergie mehr kommen, wie experi-mentelle Studien be-stätigen

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Occluding) des Bogengangs, wobei beide Methoden auch kombiniert angewendet werden können. Die Rate residueller und rezidivierender Symptome scheint nach Okklusion des Bogengangslumens ge-ringer zu sein als nach reiner Abdeckung [3, 8, 40]. Zur Abdeckung oder Oblitera-tion werden Knochenmehl, Knochenstü-cke, Knorpel, Hydroxyapatit, Fibrinkleber und Faszie in verschiedenen Kombinatio-nen verwendet, wobei die Wahl des Ma-terials keinen Einfluss auf den Therapie-erfolg zu haben scheint [41].

»  Die intraoperative Absicherung der Diagnose ist nur beim transtemporalen Zugang möglich

Wenn Patienten mit dem hochgradigen Verdacht einer SSCD einer chirurgischen Therapie zugeführt werden, so sollte aus-schließlich der transtemporale Zugang erfolgen. Nur hiermit ist intraoperativ die Absicherung der Diagnose möglich [9]. Ein transmastoidales Vorgehen mit iatro-gener Eröffnung eines intakten geschlos-senen oberen Bogengangs ignoriert die Überinterpretation falsch-positiver CT-Befunde. Lediglich in solchen Fällen, bei denen der obere Bogengang noch von pneumatisierten Mastoidzellen bedeckt ist und also nicht mit dem Tegmen tympa-ni oder der Dura verbunden ist, wäre eine intraoperative Diagnose über einen trans-mastoidalen Zugang denkbar, doch auch hierbei ist der gegebene Sichtwinkel pro-blematisch (Blick seitlich, Öffnung oben).

Bedacht werden sollte zudem, dass chi-rurgische Manipulationen am offenen In-nenohr mit Komplikationen und einem potenziellen Ertaubungsrisiko belastet sind. In einer Metaanalyse [8] wurden in bis zu 50% der operierten SSCD-Patienten postoperative Probleme mitgeteilt (inklu-sive Ertaubung des operierten Ohrs), und auch aktuelle Berichte beschreiben das Risiko profunder sensorineuraler Hör-verluste [20, 41]. Perioperativ kann es zu teilweise starken Schwindelbeschwerden [8, 39, 41], Erstmanifestation oder Ver-stärkung eines Tinnitus [2, 17], neu auf-getretenen Oszillopsien [17] und (tempo-rärer oder persistierender) sensorineura-ler Schwerhörigkeit kommen [2, 8, 17, 20,

28, 41]. Eine aktuelle große retrospektive Analyse von 43 SSCD-Patienten, die ope-rativ über einen transtemporalen Zugang operiert wurden, beschreibt einen tem-porären postoperativen sensorineuralen Hörverlust bei über 50% der Patienten und einen persistierenden bei immerhin noch 25% [41], was zu der ohnehin mit einem transtemporalen Zugang einher-gehenden nicht unerheblichen Morbidi-tät noch hinzuzurechnen ist.

Diesen prinzipiellen Einwänden steht eine zunehmende Datendichte von Fall-darstellungen [10, 12], prospektiven [4] und retrospektiven Studien [2, 3, 5, 9, 11, 13, 14, 28, 29, 41] operierter Patienten bis hin zu einer Metaanalyse [8] mit größten-teils positiven postoperativen Verläufen gegenüber. Wenngleich prinzipiell einge-wendet werden muss, dass viele der be-klagten Beschwerden subjektiver Natur sind und nicht objektiviert werden kön-nen, werden „Erfolgsraten“ von bis zu 95% für die operative Abdeckung oder das Ausstopfen des Bogengangs beschrie-ben [20]. Da das Gros der Studien retro-spektiver Natur ist, ist unklar ist, welchen Beitrag die parallel über teilweise mehre-re Monate applizierte orale Kortisonme-dikation zu diesem Therapieerfolg leistet [41]. Bedacht werden sollte, dass das kom-plette Verschwinden aller Symptome sich teilweise erst mehrere Wochen bis Monate nach der Therapie einstellt, wobei zu dis-kutieren ist, ob dies einen tatsächlichen direkten Op.-Effekt oder aber eine Form der individuellen zentralen Kompensa-tion darstellt [17, 41].

Fazit für die Praxis

F  Aktuell bestehen für das Syndrom der Dehiszenz des oberen Bogengangs noch viele offene Fragen hinsichtlich der Pathophysiologie, der Diagnostik und der bestmöglichen Therapie. 

F  Gleichzeitig zeugen viele klinische Fallserien zumindest von einer Teil-effektivität, die eine operative Thera-pie für symptomatische Patienten ha-ben kann, bei allerdings nicht negier-barem Risiko für eine mitunter erheb-liche perioperative Morbidität.

Korrespondenzadresse

PD Dr. J.-C. LuersKlinik und Poliklinik für  Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie,  Universitätsklinik Köln50924 Kölnjan-christoffer.lueers@ uk-koeln.de

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  J.C. Luers und K.-B. Hüttenbrink geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Alle nationalen Richtlinien zur Haltung und zum Um-gang mit Labortieren (hier Felsenbeine) wurden ein-gehalten und die notwendigen Zustimmungen der zu-ständigen Behörden liegen vor.

Literatur

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Leitthema

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Buchbesprechung

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