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Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung
Michael Retzar | 15.01.2014
Gliederung
Umgang mit Fehlern im Unterricht – ein Selbstversuch
Fehlerkultur – eine Frage der Perspektive
Fehlermanagement in 3 Schritten
Auswirkungen von Fehlerkultur auf Schüler
Probleme und Herausforderungen
Schulentwicklung
Warm-up: Ein Selbstversuch
Gesucht werden 2 Freiwillige für ein kurzes
Rollenspiel. Es soll eine kurze Unterrichtssequenz
inszeniert werden, bei der 2 Lehrpersonen
nacheinander eine (leichte) mathematische
Aufgabe mit einer Klasse behandeln.
Vorbereitungszeit draußen: ca. 10 Minuten
Vorbereitung der „Klasse“
Bitte versetzen Sie sich in die Rolle von
Schülern einer Mathematikklasse.
Sie kennen aus vorherigen Stunden bereits
den Rechenstrich als Rechenhilfe.
Stellen Sie sich auf eine Rechenaufgabe
der Lehrkraft ein. (Fehler sind erlaubt.)
Fehlerkultur (sachlich & allgemein)
In jeder sozialen Institution geschehen Fehler.
Fehlern wird eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben.
Der Umgang mit Fehlern ist geprägt von den Interessen und Zielen der Institution.
- Wirtschaft: Effizienz, Produktivität, Gewinnmaximierung
- medizinische Einrichtungen: Vermeidung von Behandlungsfehlern, Gesundheit
- Schule?
Fehlerkultur an Schulen (kritisch)
defizitorientierte Leistungsfeststellung
Effizienzgedanke im Zeitmanagement
Interesse an fehlerfreien Lösungsansätzen
Fehlersanktionierung
Fehlerkultur – eine Frage der Perspektive
Fehler „können eine geradezu unersetzliche Erfahrung darstellen: Der Nachvollzug des
Falschen ermöglicht das Lernen des Richtigen. Das jedoch bedeutet, dass nur aus Fehlern
lernen kann, wer die Chance bekommt, in der Rückschau nachzuvollziehen, worin
eigentlich der Fehler besteht und wie es zu ihm kam. In diesem Sinne lernen nur diejenigen,
Fehler zu vermeiden, denen erlaubt wird, auch Fehler zu begehen.“
(Althof 1999)
„Produktive“ Fehler
Fehler: von einer Norm abweichende Sachverhalte oder Prozesse
Fehler sollen für die Lernenden einen Nutzen (Erkenntnisgewinn) haben
Gelegenheiten zum Dazulernen
positive Begriffsprägung: „Fehlerkultur“
Recht der Lernenden auf Fehler und auf eine konstruktive Auseinandersetzung
(Koll-Stobbe 1993, Kobi 1994, Oser 1999)
Fehlermanagement in 3 Schritten:
1. Auffinden von Fehlern
Raum und Zeit lassen für das Begehen von Fehlern
aktive Suche nach potenziellen Fehlern und abweichenden Lösungen
Verzicht auf hohes Unterrichtstempo
(Oser 1999)
Fehlermanagement in 3 Schritten:
2. Ermittlung der Fehlerursachen
Deskription der Fehlerentstehung
Analyse der genauen Fehlerursache und der (fehlerhaften) Lösungsstrategien
reflektierte Fehlerforschung („negatives Wissen“: wissen, was falsch ist)
(Oser 1999)
Fehlermanagement in 3 Schritten:
3. Fehlerbehebung und Fehlerbewertung
Sensibilität für emotionale Schülerwahrnehmung
Praxis einer verurteilungsfreien Selbstverständlichkeit der Fehleraufklärung
konstruktives und wertschätzendes Feedback
(Oser 1999)
Beispiel: Folgefehler in der Mathematik
Auffinden eines Fehlers
Beschäftigung mit von den Schülern gewählten Lösungswegen
Nachvollzug von Gedankengängen der Schüler
Anerkennung von schlüssigen bzw. folgerichtigen Lösungsansätzen
klare Kennzeichnung einer Fehlerquelle
(leider keine Gelegenheit für eine Selbstkorrektur)
keine pauschale Sanktionierung, die die Schülerleistung als Ganzes infrage stellt
Positive Auswirkungen von Fehlerkultur auf Schüler (Cerny 2013)
Zuversicht und Vertrauen in eigenes Lernpotenzial
prägende Vorbildfunktion in der Reaktion auf Fehler anderer
Stärkung der Fähigkeit zur Metakognition
höhere Schülerbeteiligung am Unterrichtsgeschehen
Individualisierung des Lernens
Verringerung von Frustrationserlebnissen
bessere Ausschöpfung der Leistungspotenziale von Schülern
Probleme im Umgang mit Fehlern (Spychiger/Oser/Hascher/Mahler 1999)
ggf. mangelndes Fachwissen einer Lehrkraft bzw. keine Vertrautheit mit dem Gegenstand
schlechter Unterrichtsaufbau und schlechte Planung
Missverständnisse
Komplikationen durch typische Interaktionsmuster in Fehlersituationen
- „Bermuda-Dreieck“
- Lachen
- Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen
Interesse an Fehlervermeidung
Herausforderungen im Umgang mit Fehlern (Spychiger/Oser/Hascher/Mahler 1999)
Emotionskontrolle
fachdidaktische Kompetenz
Schaffung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre
Selbstüberprüfung der Körpersprache
sachbezogene, hilfreiche, konstruktive, aufbauende Rückmeldungen an Schüler
sozio-emotionale Rahmenbedingungen in der Klasse und in bestimmten Arbeitsformen
Schulentwicklung durch Arbeit an Fehlerkultur (Spychiger/Oser/Hascher/Mahler 1999)
konzeptionelle Fehlerkultur-Entwicklung im kleinen Team
Verständigung auf erstrebenswerte Praktiken in Fehlersituationen
Übung alternativer Reaktionen in Fehlersituationen
kollegiale Hospitationen und gemeinsame Auswertung
Evaluation eigener Maßnahmen, auch durch Schülerbefragungen
Zusammenfassung
Fehler kommen in jedem System vor. Der Umgang mit Ihnen erfolgt systemspezifisch.
In Fehlern lassen sich Probleme erkennen, die sich durch Lernzuwachs beheben lassen.
Im Unterricht kommt es auf das Zulassen, Ergründen und Thematisieren von Fehlern an.
Eine Fehlerkultur kommt dem Unterricht und den Schülern persönlich zugute.
Lehrer benötigen sensible Fehlermanagementstrategien.
Eine schulweite Fehlerkultur ist möglich. Sie benötigt Zusammenarbeit und Trainings.
Aufgabe für die Diskussion an Ihrer Tischgruppe
Nehmen Sie sich 15 Minuten Zeit, um sich jeweils ein bis zwei Unterrichtssituationen ins
Gedächtnis zu rufen, bei denen Sie persönlich ein Mal besonders ausführlich oder ein
anderes Mal eher kurz angebunden oder vielleicht unbeholfen mit Schülerfehlern
verfahren sind. Wählen Sie als Gruppe für das Plenum ein bis zwei prägnante
Tischbeispiele aus, die im Hinblick auf Fehlerkultur interessant zu analysieren sind.
Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung
Michael Retzar | 15.01.2014
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Literatur Althof, Wolfgang (Hrsg.) (1999): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich.
Cerny, Martina (2013): Fehler als Lernchance? Krems: Donau-Universität.
Edelstein, Wolfgang (1999): Aus Fehlern wird man klug. Zur Ontologie von Fehlertypen. In: In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 111-128.
Kahl, Reinhard (2000): Lob des Fehlers. Textbuch zur Sendereihe. Hamburg: Pädagogische Beiträge Verlag.
Kobi, Emil E. (1994): Fehler. Die neue Schulpraxis 64(2), S. 5-10.
Koll-Stobbe, Amei (1993): Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht aus der Sicht der Sprachgebrauchslinguistik. Fremdsprachen lehren und lernen 22, S. 175-188.
Oser, Fritz (1997): Lernen aus Fehlern. Zur Psychologie „negativen“ Wissens. Fribourg: Pädagogisches Institut.
Oser, Fritz/Hascher, Tina/Spychiger, Maria (1999): Lernen aus Fehlern. Zur Psychologie des „negativen“ Wissens. In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 11-42.
Reiss, Kristina/Hammer, Christoph (2013): Grundlagen der Mathematikdidaktik. Eine Einführung für den Unterricht in der Sekundarstufe. Basel: Birkhäuser.
Reusser, Kurt (1999): Schülerfehler – die Rückseite des Spiegels. In: In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 203-232.
Spychiger, Maria (1998): Fehlerkultur aus Sicht von Schülerinnen und Schülern. Fribourg: Pädagogisches Institut.
Spychiger, Maria/Oser, Fritz/Hascher, Tina/Mahler, Fabienne (1999): Entwicklung einer Fehlerkultur in der Schule. In: In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 43-70.
Weingardt, Martin (2004): Fehler zeichnen uns aus. Transdisziplinäre Grundlagen zur Theorie und Produktivität des Fehlers in Schule und Arbeitswelt. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
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