archaeology & politics: an example from bolivia

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Ein Datensatz – ein Dutzend Interpretationen. Die Kontroverse um archäologische Forschung und ihre Nutzung durch soziale, politische, wissenschaftliche Akteure in Tarija - Bolivien. Maria Beierlein de Gutierrez, M.A. Abt. für Altamerikanistik, Rhein. Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn. Email : [email protected] Academia : uni-bonn.academia.edu/MariaBeierlein

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Ein Datensatz – ein Dutzend Interpretationen.

Die Kontroverse um archäologische Forschung und ihre Nutzung durch soziale, politische,

wissenschaftliche Akteure in Tarija - Bolivien.

Maria Beierlein de Gutierrez, M.A. Abt. für Altamerikanistik, Rhein. Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Email: [email protected] Academia: uni-bonn.academia.edu/MariaBeierlein

Archäologische Forschung – Mittel zur Machtlegitimierung?

- Archäologische Daten als Legitimation politischer Diskurse

- Wer die Vergangenheit beherrscht, dominiert damit auch den zeitgenössischen Diskurs.

- Archäologische Daten haben wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz.

- Frage: Daten öffentlich zur Verfügung stellen und dann nicht mehr intervenieren?

- Oder auch Verantwortung für die öffentliche Wahrnehmung der gesammelten Datensätze übernehmen?

Proyecto Arqueológico Altiplano de Sama: die Ergebnisse der archäologischen Studie

• Untersuchung der Siedlungsgeschichte im Hochland von Tarija, an der Schnittstelle zwischen Hoch- und Tiefland.

• Ergebnisse: seit ca. 12.000 v.C. menschliche Besiedlung

• regionale Konstanz in materieller Kultur => zwischen 500 und 1535 n.C. durch klar abgrenzbare Kultur charakterisiert.

• Trotzdem: Einbindung in große Makroregion zwischen Nordwestargentinien, bolivianischem Hoch- und Tiefland und Nordchile => nachweisbare Austauschbeziehungen.

• Integration in inkaische Eroberungswelle im 15. Jh. • Daten wurden über Vorträge, Konferenzen,

Outreach, Blog verschiedenen politischen/gesellschaftlichen Akteuren zugänglich gemacht.

Studienregion: im Grenzgebiet Bolivien-Argentinien

• Südliches Bolivien – nahe der argentinischen Grenze

• Zwischen Hochland (Altiplano) und Tiefland (Valles und Chaco)

• Region erlangte 2008 departamentale Autonomie

• Landbevölkerung migriert regelmäßig temporär nach Nordwestargentinien

• Selbstverständnis der Bewohner:

• 1. eher spanisch-stämmig, „weiß“, den ökonomisch starken Tieflandregionen um Santa Cruz verbunden.

• Diskursive Absetzung von „indígenas“ des Hochlandes.

• 2. zwar indigen, aber nicht den „Hochland“-Nationen verbunden, sondern Selbstverständnis als eigene kulturell-historische Einheit mit Bezug zu Chile-Argentinien-Bolivien.

Archäologische Daten vs. Politische Interpretation

Variante 1: „Weiße Eliten“

Abgrenzbare materielle archäologische Kultur wird dargestellt als: • Beweis für „schon immer“ kulturelle Abgrenzung vom Hochland• Ethnische Abgrenzung (Ethnie = Kultur)• Beweis für Unabhängigkeit der Region schon vor Ankunft der

Spanier (angeblich keine Eroberung durch die Inka)• Anbindung an Nordwestargentinien = Verbindung in „weiter

entwickeltes“ Argentinien (Unterdiskurs: kaum indigene Bevölkerung)

• = Vergangenheit zeigt das was die mestizischen Eliten in der Politik heute wünschen: eine autonome Region Tarija OHNE Einflüsse aus dem Hochland, die sich eher nach Süden (Argentinien) orientiert als nach Westen (bolivianisches Hochland).

Variante 2: „Indigene Nationen“• Beweis für „schon immer“ eigenständige Ethnie, • Bezeichnet als „Nación Chichas“ (Chichas = Ethnie, obwohl historisch und

archäologische nie belegt)• Ethnische Abgrenzung (Ethnie = Kultur)• Archäologischer Nachweis von Yavi-Chicha-Keramik in Chile, Argentinien &

Bolivien = Beweis des Bestehens einer unabhängigen „Nation“ schon lange vor und auch nach Ankunft der Spanier => Weiterverfolgung bis in die heutige Zeit

• = Vergangenheit zeigt das was die indigenen/lokalen Gruppen heute wünschen: eine autonome Region Tarija die supranational funktioniert und trinational eine kulturelle „Nation“ abbildet, die sich aus ihren historischen und kulturellen Wurzeln speist

• => Wunsch nach Aufnahme als „indigene Gruppe Chichas“ in die plurinationale Verfassung Boliviens, Zensus etc.

Forschung-Daten-Verantwortung• Eingangsfrage: Daten öffentlich machen? Zugänglichkeit von Daten stärken?

• Daten öffentlich machen: ja, für verschiedene soziopolitische Akteure und auf verschiedenen Wegen um möglichst große Gruppenspektren zu erreichen.

• Aber: Verantwortung für Daten übernehmen! Archäologie forscht nicht im luftleeren Raum sondern in einem soziopolitischen Kontext: Wissenschaftler und Publikum haben „vorgefertigte“ Ideen zu Funden und Interpretationen.

• Daher bedeutet Eigenverantwortung: 1) Analyse der eigenen Forschungs- und Interpretationshintergründe 2) Verantwortung für Nutzung der Daten in anderen Kontexten, daher3) Vereinfachten, politisierten Darstellungen widersprechen und 4) eigene Darstellungen anbieten, die den komplexen Sachverhalten der

Forschung entsprechen aber gut verständlich sein sollten.

Weiterführende Literatur: • Bernhardson, 2005: Reclaiming a plundered past. • Boytner, R., L. Swartley & B. Parker (Hrsg.), 2010: Controlling the Past, Owning the Future. The political uses of

Archaeology in the Middle East. Tucson: University of Arizona Press. • Clack, T. & M. Brittain, 2007. Archaeology and the Media. Left Coast Press, Walnut Creek. • Derricourt, R.M., 2011. Inventing Africa: history, archaeology and ideas, London [u.a.]: Pluto Press.• Dodge, T., 2003. Inventing Iraq: the failure of nation building and a history denied, New York [u.a.]: Columbia

Univ. Press.• Hardt, M., Lübke, C. & Schorkowitz, D., 2003. Inventing the pasts in North Central Europe: the national perception

of early medieval history and archaeology, Frankfurt am Main [u.a.]: Lang.• Herrera SUR ANDES• Hobsbawm, E. & T. Ranger (Hrsg.), 1983. The Invention of Tradition. Cambridge: Cambridge University Press. • Holtorf, C., 2005. Archaeology is a brand! The meaning of archaeology in contemporary popular culture. Oxford:

Archaeopress.• McGuire, R.H., 2008. Archaeology as political action, Berkeley [u.a.]: Univ. of California Press.• Ojala, C.-G., 2009. Sámi prehistories: the politics of archaeology and identity in northernmost Europe, Uppsala:

Uppsala Univ.• Schachtmann, J., Strobel, M. & Widera, T., Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie:

Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien 1. Aufl., V&R. • Shennan, S.J. (Hrsg.), 1994: Archaeological approaches to cultural identity. Routledge.• Smiles, S. & Moser, S. eds., 2005. Envisioning the past: archaeology and the image, Malden, Mass. [u.a.]:

Blackwell.• Swartley, L. 2002. Inventing Indigenous Knowledge. Archaeology, Rural Development and the Raised Field

Rehabilitation Project in Bolivia. NY& London: Routledge.