brennstoff 29 heimat.qxd:brennstoff · 2017. 4. 5. · bauer, bodo hell, eduardo galeano,...

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Ausgabe Nummer 29 · August 2012 · P.b.b. 05Z036270 M · Verlagspostamt 1080 Wien · www.gea-brennstoff.at Flohmarkt DO 23. August, 13 –19 Uhr Donnerstag Vormittag geschlossen! FR 24. August, 10 –18 Uhr SA 25. August, 10 –17 Uhr Deutschland-Termine siehe letzte Seite!

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  • Ausgabe Nummer 29 · August 2012 · P.b.b. 05Z036270 M · Verlagspostamt 1080 Wien · www.gea-brennstoff.at

    FlohmarktDO 23. August, 13 –19 Uhr

    Donnerstag Vormittag geschlossen!

    FR 24. August, 10 –18 Uhr

    SA 25. August, 10 –17 Uhr

    Deutschland-Termine

    siehe letzte Seite!

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    HEINI STAUDINGERHerausgeber

    EditorialInhalt

    s gibt keine Chance auf Heimat, ohne – wenig-stens halbwegs – in sich selber daheim zu sein.Wenn es halbwegs »normal« hergeht, bekommt

    man/frau das von daheim mit.Wenn man gar nicht (oder kaum) in sich selber daheim ist,dann ist man für Ablenkungen aller Art anfällig, verführ-bar zu allen möglichen Unsinnigkeiten. Schon die Kindersind Zielscheibe der Werbe-, der Computer- und der Kon -sum industrie und so überrascht es gar nicht, dass Kinderin Afrika, trotz minimaler materieller Möglichkeiten, vieleher in sich selber daheim sind und so meistens verträg-lichere Mitmenschen sind als unsere Kinder, die von tau-senden Ablenkungen zerfressen werden. Warum lassen wirdas zu? Daheim. Da denke ich zuallererst an mein Heimat-Nest, indem ich aufgewachsen bin. Unser Lebensmittelpunkt wardas Wohnzimmer. Es hatte drei Türen. Die eine Türe führ-te in die Küche, die zweite ins Schlafzimmer und durch diedritte Tür ging es direkt in unser kleines Geschäft. Es gabdort alles. Körbe, Sensen, Kuhketten und Nägel, Lebens -mittel, einfache Kleidung, Seifen, Zwirn und Knöpfe. Alles,was man braucht. Unser Geschäft war mehr als ein Ge -schäft. Es war Lebensraum für die Eltern, die Großmutter,die Kinder und die Kunden. Oft rede ich von dieser Greiß -lerei als meiner »University of Economics«. Denn dort habeich alles gelernt, was ich später brauchte. Grüßen, (be-)die-nen, Kopfrechnen. Auf der Wirtschaftsuniversität sagensie »Public Relations«, »Service« und ... ? Kopf rech nen ist heute »out«, obwohl es oft genug schnel-ler ist als je ein Computer. Außerdem habe ich daheim ge -lernt, dass das Auskommen wichtiger ist als das Einkom -men. Dieses Wissen beschützt mich. Denn, solange ichmein Auskom men habe, bin ich mit Geld ganz und garnicht verführbar.Heute wäre so ein kleines Geschäft wie das meiner Elternnicht mehr »lebensfähig«. Heute erwartet jede/r (?) in denGeschäften ein viel größeres Warenangebot, auch wennwir darin fast verrückt werden (oder werden wir systema-tisch verrückt gemacht?). Die tausend Angebote bietennichts anderes als ein Leben aus zweiter Hand, getrenntvom inneren Fluss, entfremdet im Konsum. Wenn wirirgendeine Chance auf innere Heimat wahrnehmen wollen,dann müssen wir dagegenhalten. Das wichtigste Werkzeugist dafür die Einfachheit. Sie hilft uns bei der Rücker obe -rung der Lebensräume, in denen sich der göttliche Funke,der uns (dir und mir) mit der Geburt ins Herz gelegt ist,entwickeln und entfalten kann. Und dort ist Heimat.

    Das meint im ErnstIhr /dein

    Ausgabe Nº 29 · August 2012

    Nº 29/12 3

    Medieninhaber und VerlegerGEA Verlag Lange Gasse 24 1080 [email protected]

    HerausgeberHeinrich Staudinger

    ChefredaktionMoreauHeinrich Staudinger

    RedaktionsadresseLange Gasse 24, 1080 [email protected]

    GEA [email protected]/76503-61

    Abos und [email protected]

    KorrektoratMonika Broggini Renate Gönner

    Satz/GestaltungMoreau, 8952 [email protected]

    AutorInnenUrsula Baatz, Wolfgang Bauer, Bodo Hell, Eduardo Galeano, Karl-Markus Gauß,Huhki, Ulrike Kammerhofer,Sylvia Kislinger,Susanne Scholl,Heini Staudinger

    In den Zitatentout le monde

    Erscheinungsweisevorerst 4 * im Jahrverbreitete Auflage: 126.101

    Brennstoff Nr. 29 wird ermöglicht durch die:FörderABOnnentInnen,Waldviertler Schuhwerkstatt, die GEA Möbelwerkstatt, die GEA Geschäfte und unsereInserenten. Danke!

    E

    Liebe Freundinnen, liebe Freunde!

    Susanne Scholl05 Heimat ist ...

    Bodo Hell07 Heimat/Heumahd (einige Schnitte)

    Karl-Markus Gauss08 Ach so

    Ursula Baatz09 Heimat ist kein Ort

    Huhki Henri Quelcun13 Europa – Frau mit Weitblick

    Huhki Henri Quelcun15 Der Heimatplanet

    Interview16 Heimat – die Sicherung der Sicherheit

    Wolfgang Bauer im Gespräch mitUlrike Kammerhofer

    Wolfgang Bauer18 Solar City

    Der Weg zur Energieautonomie

    Heini Staudinger | Sylvia Kislinger20 Afrika

    Oskarl für Improvisierer22 brennstoff-FörderABO

    GE GE GE23 Gelesen. Gehört. Gesehen.

    Von Zen-Meistern, Liedermachernund Zeitenwendern

    GEA Akademie26 Den Sinnen vertrauen, das Eigene

    entwickeln, neugierig bleiben oder:werden. Das neue Programm.

    In ausgewählten GEA-Geschäften, siehe Rückseite! | Solange der Vorrat reicht!

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    MINUS

    Wer nicht einer großen innerenFreiheit fähig ist, der verfälltdem Gesetz seiner Umwelt undist verloren. Pater Delp, SJ, hingerichtet am2.2.1945 in Berlin-Plötzensee

    Ist Ihnen schon aufgefallen, wiezwiespältig in den Medien mitden Worten »unmöglich« und»möglich« umgegangen wird?Einerseits gilt mehr und mehrdas Unmögliche als möglich. Wirwerden in den Weltraum reisen,wir werden ewig leben und zudiesem Zweck menschliche Or -gane züchten. Es wird möglich,zwei Penisse zu haben – dochwenn es darum geht, das Bud -get für Gesundheitsversorgungoder Arbeitslosenhilfe um zweiProzent anzuheben – dann heißtes plötzlich: das ist unmöglich!Slavoj Zizek

    Einfachheit soll nicht das Lebender Menschen reduzieren, son -dern es im Gegenteil befreien,für die Fülle des Wesentlichenöffnen.Martin Kämpchen

    IN ÖSTERREICH

    DONNERSTAG 23. August, 13 –19 h FREITAG 24. August, 10 –18 h

    SAMSTAG 25. August , 10 –17 h

    IN DEUTSCHLAND

    DONNERSTAG 30. August, 13 –19 h FREITAG 31. August, 10 –18 h

    SAMSTAG 1. September, 10 –17 h

    Heimat ist zunächst an den Ortder Herkunft gebunden, ande-

    rerseits hat für mich Heimat auch mit derbewussten Wahrnehmung des Ortes zutun, an dem ich mich gerade befinde. Ichkann im Prinzip an vielen Orten Heimat

    finden, wenn es mir gelingt, mich auf das Fremde ein-zulassen. Und das Fremde trage ich ja sowieso in mir.Das ist für mich auch eine der zentralsten Geschichten:das Fremde in mir zu entdecken.

    Othmar Schmiderer, Regisseur

    Stoff der Heimat

    Unser Titelbild stammt aus Stoff der Heimat, dem jüngsten Dokumen -tarfilm von Othmar Schmiderer. Stoff der Heimat zeigt den Umgangmit Traditionen im Spannungsfeld der Moderne und spürt der Kon-struktion von Identität und Heimat nach. Der Film erkundet die Trachtin all ihren Facetten und legt den Stoff der Heimat frei als vielfädiges,dichtes Gewebe, als Gewand, Geschäft, Mode, Ideologie, Symbol,Bekennt nis und Kampfmittel. Stoff der Heimat ist eine (welt-)offene,vergnügliche Doku geworden, frei von politisch korrekter, vordergrün-diger Polemik, aufschlussreich und schön anzusehen ...

    Stoff der Heimat. Ein Film von Othmar Schmiderer. A 2011, 94 min.Trailer, weitere Infos und Kino-Termine > www.stoffderheimat.at

    Seele der HeimatAlso, der Einheimische wird aufgrund zunehmender Katas -

    trophen oder Kriege immer seltener, aberauch Neuheimaten werden gegründetwie jetzt der Alpen raum. Der Alpenraum,früher Heimat der Dinarier, der Kelten,

    der Römer, der Helvetier, der Alemannen, der Baju -waren: jetzt die Heimat teutonischer Zahnärzte sowievon deren Steuer beratern und Rechtsbei ständen – ausder norddeutschen Tiefebene. Mobilität – als Heimat -gefühl. Immer mehr Men schen, die diesen Trend erken-nen, wollen ihre gemietete Heimat in ein Eigenheimumwandeln, deshalb ist der seelische Ausdruck moder-nen Hei matgefühls der Bauspar vertrag.

    Gerhard Polt, Kleine Heimatkunde

    Man kann im Leben nicht überall sein. Die Welt ist zugroß. Das Leben ist zu klein. Anna Benedikta, 7 Jahre alt

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  • 5Nº 29/124 Nº 29/12

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    TitelUntertitel

    Heimat ist ein Bild.Heimat ist ein Geruch.Heimat ist ein Geschmack.Heimat ist eine Sprache.Heimat ist eine Straße.Ein Garten, ein Baum, ein Haus.Heimat ist ein Gefühl.Heimat sind Menschen.

    Es war vor vielen Jahren. Ich studierte in Rom. Unter meinen Studienkolleginnen war auch einMädchen mit tschechischer Mutter. Als wir einmalbeim Mittagessen zusammensaßen, redeten wir überdie Kochkünste un serer Mütter. Wir beide schwärm-ten von Marillen knö deln und Buchteln – unsere italienischen Mitstudenten machten angeekelteGesichter. Da hab ich mich zu Hause gefühlt – beidiesem Mädchen, das ich kaum kannte und mit demmich neben den gemeinsamen Küchenvorliebenkaum etwas verband.

    Wenn ich in Wien spazieren gehe, erinnere ich mich.An den Geruch der Praterwiesen, auf denen ich alsKind gespielt habe. An das Gitter im Gartentor vormeinem Elternhaus.An einen Abend mit Eltern, Geschwistern, Tantenund Freunden meiner Eltern rund um den großenTisch in unserem Wohnzimmer.Wenn ich in Wien spazieren gehe, denke ich auch andie heißen Sommerabende in Rom, bei Pisa oder aufSardinien.An die eisigen Spaziergänge im Moskau des alles er starren lassenden Frostes.An New Yorks Museen und die kleine Wohnung meiner russischen Freunde in Queens.

    Heimat ist immer dort, wo man gerade nicht ist.Heimat ist auch eine immer gegenwärtige Sehnsuchtnach anderen Orten, Gerüchen, Geschmäckern.Und dem Gespräch mit denen, die man liebt.Heimat ist dort, wo Menschen sind, die einem nahestehen.

    Heimat hat viele Gesichter.Heimat hat viele Sprachen.Heimat hat viele Gerüche,Gefühle, Geschmäcker.Heimat ist bunt und warm und verwirrend.Und wer Heimat in der Enge sucht, ist arm.

    Heimat

    SUSANNE SCHOLLJournalistin, Schriftstellerin undDoyenne der Auslandskorres -pondenten des ORF. Ab 1991 leitete sie das ORF Büro inMoskau. Aufsehen erregte ihrevorübergehende Festnahmedurch die russischen Behördenwährend der Berichterstattungaus Tschetschenien. SusanneScholl hat mehrere Sachbücher,Romane und Gedichte veröf-fent licht und zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten.Zuletzt erschien bei ecowin das Buch »Allein zu Hause«. www.susannescholl.at

    Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde, durchdrungen von einem Sonnenstrahl. Und plötzlich ist es Abend. Salvatore Quasimodo

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  • 76 Nº 29/12 Nº 29/12

    BODO HELL1943 Salzburg, Wien/Dachstein,Prosa, Radio, Theater, Schrift imöffentlichen Raum, Essais zur bildenden Kunst, Fotos, Film,Musik, Almwirtschaft, Bücherzuletzt: Nothelfer, Droschl 2010;Immergrün. Sudarium/Calen -darium (mit Linda Wolfsgruber)Folio Verlag 2011; Untersberg (mitSeitter, Wallnöfer, Kubelka),Pustet 2012 | www.bodohell.at

    Heimat/Heumahd (einige Schnitte)

    — und was würde dieser weiland Philosoph aus Rhein -land-Pfalz (nämlich dieser andere Ernst), und zwar ausdem industriellen Ludwigshafen (einem vormals bay-erischen Binnenhafen mit Atlantikanschluß) geant-wortet haben, wenn er von Tübinger Studierendennach seiner Herkunft gefragt worden wäre, vielleichtdies: Heimat sei so etwas wie der Bildwerfer, der allenMenschen in ihre Kindheit hereinscheine, worinnenaber noch nie jemand wirklich gewesen sei (so Bloch),von den äußerlich identifikablen sprachlichen Prä -gungen einmal ganz abgesehen— und was sagt diese reiche Amerikanerin in Parisdazu (ach in ihrer kurzen Wiener Kinderzeit im HauseStein hatte sie sogar eine Ziege zur Gespielin, und amObersalzberg sieht man sie auf einem Foto von 1945mit amerikanischen Soldaten im geborstenen Berg -hof Fenster sitzen), in deren französischem Salon diespäter so berühmte Kunstwelt (ohne sich viel um dieProsaschleifen so einer avantgardistischen Überseeau-torin zu kümmern) aus- und eingegangen ist, und wiehat diese andere Gertrude von ihrem Identitätsver -ständnis gesprochen, nämlich ganz ernsthaft undknapp auf solche Weise: ich bin ich, weil mein Hundmich kennt— ach ja zuhause bin ich und heimatlich fühle ichmich (und wir uns) auch dort (und diese Liste ist vonjedermann/frau zu modifizieren und erweiterbar), womich so und so viele Leute kennen (mögen und auchablehnen), wo sich halbwegs befriedigende Arbeits -möglichkeiten bieten, wo man in den Quartieren derStadt überraschend oft auf Bekannte trifft und sichZeit zum Reden nimmt, wo es den vorzüglichen thai-ländischen HOM MALI-Reis im Weltladen gibt, wo dieEingeparkthabenden nicht ohne Rücksicht auf dieRad fahrer ihre fahrerseitigen Autotüren aufstoßen, wodie Hofbäume in der Vegetationsperiode die Aus puff -Luft verbessern, wo sich Ansässige um den Erhalt derletzten autobahnlosen Tallandschaft kümmern (auchwenn wir alle anderswo bereits selbst über die Beton -pisten rasen), wo ein evangelischer Kurator daraufbesteht, daß die Haustüren (die Pfarrei nicht ausge-nommen) für jeden Unangemeldeten jederzeit offen-stehen, wo ein Dorfbürgermeister vor schwerwiegen-den Entscheidungen einen ganzen Tag lang auf denHochweiden nach den SommerSchafen schauen gehtund sich auf solchen SuchWegen also stellvertretendabarbeitet, das heißt zu einem Entschluß (und sei esdie Ablehnung eines MehrzweckZentrums im Ort )durch ringt, wo die wertschätzende Begrüßung unter

    Männern so klingt: naki deng suppei (das könnte hei-ßen: du siehst heute so gut aus wie eine junge Kuh ),wo die scheinbar unvermeidlichen Kartoffelkäfer jedenTag wieder als kleine rote Bestien aus den gelbenGelegen schlüpfen und schnell zerdrückt werden müs-sen, während die Vogelschwärme längst über die rei-fen Ribisel hergefallen sind, wo die Menschen ihreIdentität von anderswoher beziehen als 1. aus derDosenwerbung, 2. aus dem alle 3-Minuten-Lachsal -ven programm oder 3. von den mir-san-mir-Sonntags -reden und -Stammtischgesprächen ...

    — schau dort geht ein Rauchfangkehrer: ruft das Kind,ungeniert auf die enganliegende Kopfbedeckung einesPassanten deutend, ist wohl ein Bergknappe: wird esvom begleitenden Elternteil halb erstaunt/halb mißbil-ligend korrigiert— sind Sie wirklich unverheiratet: wagt eine Volks -kundeTouristin beim Sarntaler Hutträger (mit rotemHutband) nachzufragen, und bekommt vom BoarischGehenden ein vielsagendes Lächeln zur Antwort— meine Goldhaube will ich nicht mehr aufsetzen: ge-steht eine aus Niederösterreich nach Salzburg ausge-wanderte Traditionsträgerin freimütig, ich komme mirdamit wie verkleidet vor— wußten Sie das: unser schwarzes Plissee ist von derspanischen Hoftracht abgeschaut, erklärt die stolze Bre -genzerwälderin aus Hittisau und plättet nochmals überdie Falte hinweg— bei diesen Dörf lern im hintersten Tiroler Bergtal mitihren Hutscheiben sind die Blut-und-Boden-Filme ge -dreht worden: moniert ein Cineast, selbst mit dem›Stoff der Heimat‹ befaßt— für jede Asylwerberin in Österreich ein zünftiges Dirndlzum Einstand: schlägt die engagierte Autorin den Po -li tikerinnen halb ernsthaft/halb ironischerweise vor— schau, die sind ja total nackt, total nackt: ruft eineRadfahrtochter ihrem Radfahrpapa mehrmals zu unddreht sich nach dem Paar am anderen Ufer um, diewollen eben nahtlos braun werden: wird sie knapp auf-geklärt— Bundhose, Modelstutzen und Spielhahnhut, das istnicht mein Stil: konstatiert der Jungbauer (GenerationMotorsense), eher schon Schirmkappe und Funktions -kleidung aus moderner Mikrofaser— Kärnten könne er sich nicht mehr leisten, soll derangesehene Politiker damals gesagt haben, er sei aber(nach unbestätigten Meldungen) dort selbst im Kärnt -ner Anzug gesichtet wordenA

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    Wer nicht flexibel reagiert, stirbt aus. So der Steinadler. Im Alpen-raum ist er beheimatet,aber ausgestorben. WoHeimat aufgehört hat,Heimat zu sein, entstehtdas Heimat museum oder das Reservat.Gerhard PoltKleine Heimatkunde

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  • 8 Nº 29/12 9Nº 29/12

    URSULA BAATZPhilosophin, Ö1-Wissenschafts-und Religionsjournalistin, Lehr -beauftragte an der UniversitätWien, Qi Gong-Lehrerin, Zen-Praktikerin, Reisende undBuchautorin, zuletzt: Erleuch -tung trifft Auferstehung. Zen-Buddhismus und Christen tum.Eine Orientierung (Theseus2009). Mit-Her ausgeberin vonpolylog: zeitschrift für interkul-turelles philosophieren

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    Timbuktu, Mali, Afrika

    Ich war nie in Timbuktu. Vielleicht werdeich auch nie in diese Oasenstadt kommen.

    Die größte und älteste Bibliothek Afrikas befindet sichhier – mit hunderttausenden Handschriften, viele da -von mehr als ein halbes Jahrtausend alt. KunstvolleLehm bauten mit markanten hohen Türmen beherberg-ten durch Jahrhunderte die wichtigste Universität derislamischen Welt. Und dann die Gräber der Sufi-Hei -ligen, wichtige Orte der Verehrung und des Vertrauensfür afrikanische Muslime und Muslimas; zudem UNES-CO Weltkulturerbe – das war bis Anfang Juli so. Dannbe gannen mit Maschinengewehren bewaffnete »Kämp -fer für den wahren Islam« die Heiligengräber zu zerstö-ren. Nach Ansicht der Wahhabiten, einer islamischenSekte aus Saudiarabien, ist Heiligenverehrung Sün de,deswegen müssen die uralten Plätze islamischer Fröm -migkeit zerstört werden. Viele weinten in Timbuktu,als das geschah, berichteten Augenzeugen der franzö-sischen Presseagentur AFP. Mittlerweile sind zweiDrit tel der Bevölkerung aus der Stadt geflüchtet. Auf einem unscharfen, mit Handy aufgenommenenFilm sieht man, wie ein paar Männer uralte Lehm -mauern niederreißen. Mir kommen die Tränen, wäh-rend ich das sehe. Ein heller, scharfer Schmerz bohrtsich in mein Herz, ein Schmerz über den Verlust vonetwas sehr Nahem und Vertrautem, sehr Kostbarem.Mit den Menschen in Timbuktu teile ich weder Spra -che noch Religion noch Lebensgewohnheiten. Aber die

    Zerstörung ihrer Heimat, ihres Lebens zerstört auchetwas in mir – ein Stück meiner Seele? Ein StückHeimat?

    Heimat ist Erinnerung und Gewohnheit -zum Beispiel für mich manchmal der Ge -

    ruch von frischen Erdbeeren im Frühsommer, das leiseGeräusch reifer Getreideähren im Wind und der ganzspezielle Geruch der Sommerwiesen. Manchmal habenmir diese Gerüche und Geräusche gefehlt; einmal hatteich mitten in der Regenzeit in Japan beharrlich dieVision einer großen Schüssel mit frischem grünenSalat und Gartenkräutern. Ist das Heimat? Es ist etwasgerade nicht da, was einmal da war und gut war. Undvor allem mit Beziehungen verbunden ist – zu Groß -eltern, Kindheitsfreunden, zu der kleinen Katze ... zuBäumen oder Landschaften. Zum Apfelbaum im Gar -ten meiner Großmutter zum Beispiel, der schon längsteinem Feuchtbiotop Platz machen musste. War dasHei mat, als ich hoch oben im Apfelbaum sitzend imSeptember die sonnenwarmen reifen Äpfel gegessenhabe? Es war sehr schön, und die Erinnerung belebtmich heute noch; und zugleich ist da ein Schmerz,weil der Baum gefällt wurde. Vielleicht gibt mir die-ser Erwachsenenschmerz über den Verlust eines Ortes,an dem für Augenblicke das Paradies erlebbar war, denSchlüssel, den Schmerz der Menschen in Timbuktu zuverstehen. Was zerstört wurde, sind keine Baudenk -mäler, sondern Orte, an denen manchmal für Augen -blicke das Paradies aufgeleuchtet ist.

    Heimat ist dort, wo die Dinge Geschichtenhaben. Der alte VW rumpelte zuerst über

    Seitenstraßen nach Bozen und dann über die mehr-spurige Autostrada Richtung Brenner. Der Fahrer, einStudienkollege und Bergbauernsohn aus der Gegendoberhalb Bozens hörte nicht auf zu erzählen – überdiese Bäume und jene Steine, über die Brücke, dieBauernhöfe am Hang, tausend Geschichten über Ver -wandte und Bekannte aus dieser Landschaft, seinerHeimat. Je näher wir dem Brenner kamen, desto dün-ner flossen die Geschichten, und auf der anderen Seitedes Passes verstummten sie völlig. Hier war Fremde,keine Erinnerungen, keine Geschichten mehr – bisWien. Da kamen sie dann wieder – Geschichten überGeschichten aus den Bezirken, in denen er bishergelebt hatte. Hier war er wieder daheim und kanntesich aus. Heimat ist, wovon sich mit Zuneigung undvon Herzen erzählen lässt. Alles andere ist nicht Hei -

    Den Weg zu studierenheißt sich selbst zu studieren, sich selbst zu studieren heißt sichselbst vergessen. Sichselbst zu vergessenbedeutet von allen Wesen erleuchtet zu werden. Von allen Wesenerleuchtet zu werdenbedeutet, frei zu sein vom Anhaften an Körperund Geist von sich selbstund anderen.Zen-Meister Dogen

    Heimat ist kein OrtAch so

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    — im Ausseeerischen herrschen andere Gesetze: meintdie Zugereiste, da kommt einem das Tragen von Leder -hosen ganz selbstverständlich vor, und die Mädchenaus der Stadt drängen in Scharen zum Dirndlkirtag— was hätten wir sonst noch an sogenannter Identitätvorzuweisen: wagt jemand zu fragen, wenn wir unsnicht als jodelnde Älpler verkleideten— so etwas haben die Beinvögel gar nicht gern: erklärtder AlmrauschhonigImker, wenn jemand im dunklenLodengewand vor die Bienenstöcke tritt und gar nochdaran herumklopft— Tracht ist das, was wir tragen: meint der Altblas -bichlbauer aus der Ramsau am Dachstein ungerührt,und Brauch ist das, was wir brauchen

    zumindest alle heiligen Zeiten scheinen wir Zuspruchund Fürsprache zu benötigen/zu brauchen: fürs Im -mer-Wieder-Überstehen des Jahreslaufs im Zeichender Spirale (wie sie in der Federkielstickerei erscheint),mit dem Figuren- und AttributenWerk des Mandl/Weibl-Kalenders im Hintergrund (auf Elfenbein plätt -chen geritzt in der Ambras’schen Wunderkammer, pa -pieren dreifarbig aus dem steirischen Druckhaus Ley -kam importiert, bei Strafe 10 Mark lötigen Goldes kei-nen in Steiermark einzuführen ): mit dem von Mariadem Hohenpriester zur Beschneidung hingehaltenennackten Jesusknaben, mit blauem Saulus/Paulus aufscheuendem Pferd vor gelbem Sonnenviertel im linkenBildEck, mit überkreuzten brennenden BlasiusKerzen,mit spindelkletternden GertrudenMäusen, mit leeremKarfreitagKreuz, mit roter PankratiusMaiblume, mitkurioser FußabdruckHimmelfahrt mit hängendem Je -susUnterteil, mit AlexiusTreppe und MargaretenWurm,mit je einem roten Hund für Hundstag-Ein-und-Aus -gang (seitenverkehrt: der 1. Hund schaut hinein, der 2.zurück), mit rotem Felix und blauer Regula (wie sieihre abgeschlagenen Häupter vor sich hertragen), mitder Äbtissin Hildegard von Bingen, die ihr aufgeschla-genes Notizbuch in der Rechten und die gezückte Gän -sefeder gar in der Linken hält (also Linkshänderin! ),mit gelb lachendem HieronymusLöwen am Septem -berEnde, mit Holz tragendem GallusBären, mit rotemSimon (Säge) und blauem Judas Thaddäus (Keule) alsDoppelgespann, mit Othmar’schem unerschöpflichemWeinfaß und zackigem KatharinenRad, mit goldenenNikolausBällen und gestrichelten StephanusSteinen,und nicht zu vergessen knapp vorm Jahresende dasaufrecht mit rotem Schwert und Bauchschlitz auf denBetrachter zuschreitende nacktweiße Unschuldige Kind

    Heimat/Heumahd

    s war ein Symposion, gewidmetdem Thema »Hei mat«, und dageschah es, dass eine berühmteSchrift stellerin, berühmt auchfür die kritische Schärfe ihrerAuffassung, ans Podium tratund mir nichts, dir nichts demaufgewühlten Publikum sagte,Heimat sei überhaupt so etwasDummes, das ein aufgeklärterMensch nicht brauche und sie

    jedenfalls schon gar nicht. Da wurde es ganz ehrfürch-tig vor kritischer Zu stimmung im Saal, hast du’s ge -hört, sie braucht keine Heimat, auch wir wollen sienicht mehr brauchen müssen. Und so gingen die Leuteauseinander und erzählten es sich weiter, ach, war ichein Depp, die Heimat ist doch ein Försterfilm, und werschaut sich heute noch freiwillig Försterfilme an, dieHeimat ist ein Trachtenanzug, da habe ich weiß GottFlotteres im Kleiderkasten. Das er zählten sie auch demPendler und dann dem Arbeits emigranten und endlichdem Flüchtling. Bleibt keine reaktionären Finsterlinge,sagten sie ihnen, vergesst, woher ihr kommt und wasihr gewesen seid, das Dorf, die Straße in der Vorstadt,die Siedlung, das Licht am Morgen, den Blick aus demFenster, die Freunde abends beim Trinken, und ver-gesst auch eure Sprache, ihr braucht sie hier nicht, wirbrauchen ja nicht einmal unsere eigene Sprache. Dieso belehrt wurden, nickten, langsam verstehend, achso, endlich haben wir ihn begriffen, den Grund unse-res Unglücks, von hier nach dort kommandiert vonKonzernen, die da eine Firma eröffnen, sie dort wiederschließen. Wir müssen flexibel werden, wie uns gehei-ßen, nur wer flexibel ist, wird bestehen, wer an Erin -nerungen haftet, muss untergehen, und wir warendum me Untergeher, dabei könnten auch wir Besteherwerden, wenn wir uns nur darein fügten, menschli-ches Treibgut zu sein. Das ist das Gute an dem nahen, fernen Land: dass diekritischen Geister dort gerne rebellisch verkünden, wasdie Wirtschaft schon lange praktiziert. Kühn wagensie es, dem common sense Ausdruck zu verleihen, undmutig achten sie nicht der Gefahren, die sie eingehen,wenn sie als Avantgarde die Nachhut bilden. Hat dieÖkonomie die Menschen erst einmal heimatlos ge -macht, dann stellen sie sich bald mit einer avan ciertenTheorie ein, die aus der Entwurzelung von Millionenein Lob auf die Unbehaustheit und das Nomadentumdes Intellektuellen presst.

    Karl-Markus GaußVon nah, von fern. Ein Jahresbuch. Zsolnay Verlag, Wien 2003

    EKARL-MARKUS GAUSSgeboren 1954 in Salzburg, wo er heute als Autor und Heraus -geber der Zeitschrift Literaturund Kritik lebt. Seine Bücherwurden in viele Sprachen über-setzt und mit etlichen Preisenausgezeichnet. Bei Zsolnayerschienen zuletzt Im Wald derMetropolen (2011) und Ruhmam Nachmittag (2012).

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    Bodo HellLinda Wolfsgruberimmergrün. Sudarium. CalendariumFolio Verlag, Wien 2011

    Man muss Heimathaben, um sie nichtnötig zu haben. Jean Amery

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  • 10 Nº 29/12 11Nº 29/12

    mat. Das wissen die Heimat-Ideologen zu nützen, underfinden solche Geschichten als Waffen gegen »dieanderen«.

    Heimat ist, wo es einem gut geht. Langehab ich geglaubt, dass das schwermütige

    Renaissance-Lied »Innsbruck, ich muss dich lassen, ichfahr dahin mein Straßen, in fremde Land dahin« voneinem heimwehkranken Tiroler stammt. Schon des-wegen, weil der Dichter so sehr beklagt, dass er im»Ellend« ist, im Ausland also. Doch das Lied hat einzugewanderter niederländischer Komponist geschrie-ben: Heinrich Isaac, der bis zum Sturz der Medici 1493an ihrem Hof in Florenz lebte, musste dann nach ei -nem neuen Dienstgeber suchen. Er fand ihn in KaiserMaximilian I., der in Innsbruck residierte. Das Liedstammt vermutlich aus dem Jahr 1495; zwei Jahrespäter unterschrieb Heinrich Isaac den Dienstvertragals Hofkomponist Maximilians. Arrigo Tedesco, soIsaacs italienischer Name, hat sich in Innsbruck nurselten aufgehalten. Gestorben ist er 1517 in Florenz.Dort hatte er großen Grundbesitz, und dorthin zog ihnauch die Erinnerung an die Hochblüte der Künsteunter den Medici. Das Innsbruck-Lied stammt voneinem Arbeitsmigranten auf Jobsuche. Rund 200 Mil -lionen Menschen suchen heute nach Arbeit und bes-seren Verdienstmöglichkeiten außerhalb ihres Her -kunfts landes. Manche zieht es im Alter an den Ortihrer Jugend zurück, doch viele bleiben in der neuenHeimat, wo sie ihr soziales Netz gefunden haben undihr Auskommen. Manchmal gibt es auch im Her -kunfts land keine tragfähigen sozialen Bindungen mehr.Die Familie, aus der man stammt, ist in alle Windezerstreut; das Haus, in dem man aufwuchs, ist abgeris-sen und durch einen mehrstöckigen Neubau ersetzt.Heimat kann man das wohl nicht mehr nennen. Hei -mat, das sind auch Beziehungen.

    Das »Innsbruck-Lied« wurde binnen weni-ger Jahre von den Protestanten umgedich-

    tet und bekam eine metaphysische Pointe: »O Welt, ichmuss dich lassen«, so steht es bis heute im Gesangs -buch, und so hat es Johann Sebastian Bach als Choralgesetzt. Aus dem »Ellend«, dem Ausland, wird das»ewig Vaterland«, zu dem alle Straßen führen. »Vor -angegangen in die ewige Heimat«, heißt es oft aufGrabsteinen, evangelischen wie katholischen. Die»ewi ge Heimat« – das ist Hoffnung auf ein gutes Le -ben, ohne Krankheiten, Armut, Tod. Im Winter lagen

    da mals Knechte und Mägde in einem offenen Stallneben dem Feuer, zugedeckt mit Stroh und zerrissenenFetzen. Das kann man z.B. auf manchen Weih nachts -darstellungen sehen. In einer feudalen Gesellschaftgabs da keine Chancen – und so wurde die Heimat imHimmel zu einem Trost. Wir Heutigen, in den reichenLändern, sind geschützt durch Versicherungen, Zen -tralheizungen, Krankenhäuser. Da erübrigt sich fürviele die Hoffnung auf die Heimat im Himmel. Dochdie Sehnsucht nach Glück und Geborgenheit ist ge -blieben. Das Leben ist unbeständig und vergänglich,und es bleibt die Sehnsucht nach Momenten des Pa -radieses.

    Vielleicht stammt diese Sehnsucht ja ausder Zeit vor unserer Geburt, aus der nur

    kurzen Phase des Geborgenseins im Mutterbauch, sagtdie perinatale Psychologie und setzt hinzu, dass auchdiese frühe Phase störanfällig und keineswegs sicherist. Diese frühe Geborgenheit entspricht dem Sehn -suchtsbild Heimat: ein Raum ungestörter Beziehungenund ungestörter Entfaltungen, paradiesisch. Medita -tionspraktiken aller Art können diese Erinnerungenbeleben und darüber hinaus führen. Die Momente, indenen man – eingebettet in die Fülle der Beziehungendas eigene Leben als einen Aspekt davon erfährt – diefindet man auf keiner Landkarte.

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    6

    Heimat ist kein Ort

    Heute ist es unabweislich:

    Es war nicht der fröhliche Internationalismus, der die

    Heimat überflüssig gemacht hat, es ist der erzwungene

    Internationalismus der transnationalen Ökonomie, der

    sie schlichtweg aufhebt. Er ist es, der die Menschen aus

    ihrer Verwurzelung im Regionalen, Besonderen, in ihrer

    Sprache und ihren spezifischen Traditionen reißt, er ist

    es, der sie aus den Fesseln der Heimat befreit, um sie,

    wehr- und gedächtnislos Gewordene, von hier nach dort

    zu beordern. Der »Heimatlose« ist nicht der freie, der

    Enge entronnene Mensch, sondern die gänzlich fungibel

    und flexibel gewordene Arbeitskraft.

    Karl-Markus Gauss, Zu früh, zu spät

    Die Heimaterfahrungenwerden gemacht, wenndas, was Heimat jeweilsist, fehlt oder für etwassteht, das fehlt. DerGeburtsort steht für dieKindheit; der Wohnortwird Heimat, wenn man anderswo ist, aufGeschäfts- oder Ferien -reise; was man an derFamilie hat, weiß man,wenn man von ihr ge -trennt ist, und was an den Freunden, wenn mansie vermisst. Bernhard SchlinkHeimat als Utopie

    Was die Erde braucht, ist eine Menschheit, die sie nicht länger alsSupermarkt, sondern als Heimat betrachtet.Yann Arthus-Bertrand

    LANDKARTE DER ZEIT

    Vor ungefähr viereinhalb Milliarden Jah ren, ein paar mehr,ein paar weniger, spie ein winziger Stern einen Planeten aus,der heute auf den Namen Erde hört. Vor ungefähr vier Milliarden zweihundert Millionen Jahrentrank die erste Zelle von der Meeressuppe, und sie schmeck-te ihr, und sie teilte sich, damit sie jemanden hatte, mit demsie anstoßen konnte. Vor etwas mehr als vier Millionen Jahren richteten sich Frauund Mann, fast noch Affen, auf ihren Hin terbeinen auf undnahmen sich in den Arm, und zum ersten Mal spürten sie dieFreude und den Schreck, sich von Angesicht zu Angesicht zusehen, während sie dabei waren. Vor ungefähr vierhundertfünfzigtausend Jahren rieben Frauund Mann zwei Steine aneinander und entzündeten daserste Feuer, das ihnen half, die Angst und die Kälte zu be -kämpfen. Vor ungefähr dreihunderttausend Jahren sagten sich Frauund Mann die ersten Worte und glaubten, sie verstündensich. Und damit sind wir immer noch beschäftigt: wollen zweisein, kommen um dabei vor Angst und vor Kälte und suchennach Worten. Eduardo Galeano, Zeit die spricht

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    Europäisch denken, empfinden, handeln– das hieß seit jeher: über die eigenenGrenzen hinaus sein. Die Liebe zu Europaverträgt sich nicht mit engherzigem»Eurozentrismus«. Denn schließlichheißt Europe soviel wie: die Frau, dieüber den Horizont sieht!

    Heimat ist, was in dir wohnt. Jede Heimat isteine geistige. Kein Naturgesetz gibt vor, dass Deutsch -land »von der Maas bis an die Memel, von der Etschbis an den Belt« zu reichen habe. Oder dass dieSteiermark sich »hoch vom Dachstein an (wo der Aarnoch haust) bis zum Wendenland am Bett der Sav«erstreckt. Dieses geographisch präzise daheim seinkennt man vor allem im deutschsprachigen Raum. Dass Heimat etwas nicht Objektivierbares darstellt, dasunsere Herzen und Köpfe – oft in widersprüchlicherWeise – bewohnt, wird deutlicher, wenn wir die jüdi-sche Sehnsucht nach dem Zuhause betrachten: seitJahrtausenden verzehrt sie sich nach dem verheiße-nen Land, wollen zurück aus Ägypten, aus Babylon,aus der Zerstreuung in alle Welt. So vergeistigt istdiese wesentlich künftige Rückkehr, dass viele frommeJuden immer noch vor der Klagemauer mitten inJerusalem vor Heimweh weinen. Schließlich kennen wir auch die urgriechische Heimat,die immer in der lockenden Ferne liegt. Nicht vonungefähr ist die Odyssee seit über 3000 Jahren das hel-lenische »Nationalepos« schlechthin: die Geschichteeines Mannes, an dessen Heimkehr nach Krieg undendlosen Irrfahrten nur noch zwei Wesen im ganzenKosmos glauben: er selbst und seine ihm zutiefst ver-bundene Schutzgöttin. Pallas Athene, die unsterblicheGöttin, bewundert einen Sterblichen. Odysseus’ durch-dringende Brillianz im Denken, seine pfeilschnell vo -ran eilende Intuition, sein unfassbares Improvisa tions -talent und schließlich der unverbrüchliche Glaube die-ses »herrlichen Dulders«, wie ihn Homer nennt, seinaussichtsloses Unterfangen doch noch zu vollenden –dieser unwiderstehlichen Melange charakterlicher Stär -ken zollt die Göttin der Weisheit mehr als Respekt:Hier wird ein einziges Mal Freundschaft auf gleicherAugenhöhe zwischen Himmlischem und Irdischemmöglich. Die griechische Heimat ist immer fern. Daher die un -stillbare Sehnsucht der hellenischen Pioniere über denHorizont hinaus, heiter wie die Bläue, in der Himmelund Meer ineinander übergehen.

    Unfassbar diesseitig. Das heißt nicht, dass Hei -mat in Wolkenkuckungsheim liegt. (Nephelokok kygiaaus der Komödie »Die Vögel« von Aristophanes. Wiesehr dieses Stück doch der tristen politischen Gegen -wart gerecht wird! Da wird politisch – trotz ständigerBeteuerung der Gleichheit – mit Blockaden gedroht,da singen professionelle Lobhudler jede Mi sere schönund Wahrsager verkaufen das beste »Rating« an denMeistbietenden.)Was wir mit Heimat übersetzen, bedeutet von Volk zuVolk etwas völlig verschiedenes. Ja sogar von Dorf zuDorf fanden sogenannte Ethnolinguisten, sprachorien-tierte Völkerkundler, charakteristische Unterschiede.Australische Ureinwohner, Aborigines, beispielsweiseknüpfen das Heimatliche nicht einfach an die Land -schaft. Sie singen das Land aus der Traumzeit ins Dies -seits herüber; nicht irgendwo, sondern indem sie ent-lang von »Songlines« ziehen, ungezählte Jahrtausendealte zugleich spirituelle und geographische Routen.Wir kennen also keinen globalen Heimatbegriff, son-dern eine Fülle einzigartiger Heimaten. Diese habensoviel oder sowenig gemeinsam wie alle möglichenSpiele in Wittgensteins Beispiel:Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir »Spiele«nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel,Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? —Sag nicht: »Es muss ihnen etwas gemeinsam sein,sonst hießen sie nicht ›Spiele‹« — sondern schau, obihnen allen etwas gemeinsam ist. — Denn, wenn du sieanschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allengemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Ver -wandtschaften sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wirsehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, dieeinander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten imGroßen und Kleinen. Ich kann diese Ähnlichkeitennicht besser charakterisieren als durch das Wort »Fa -milienähnlichkeiten«.

    Auch die Heimaten bilden so eine Begriffsfamilie.Wenn wir auch nicht ihren gemeinsamen Nenner fin-den können, so gibt es doch sozusagen einige univer-selle »Achsen«, um welche sich der Heimatbegriff — seier noch so exotisch — dreht: vereint arbeiten, zusammen kochen und essen, mitein-ander singen und tanzen, Erzählungen lauschen und —gemeinsam denken!Und die mehr oder weniger umgrenzte Landschaft gehtin die Arbeits- oder Lebensmittel ein, sie prägt, wasbesungen wird, sie schenkt die Metaphern des Den -

    Europa – Frau mit WeitblickUnser größeres Zuhause jenseits der EU

    HUHKI HENRI QUELCUNabsolvierte eine Laufbahn als Tierwärter (Schönbrunn),Liedermacher, Opernsänger( Wr. Kammeroper/operamobile Basel ), Gentechnik -referent (GLOBAL 2000) undWirtschaftsjournalist und istderzeit als Universal-Frei -schaf fender in der Hinterbrühltätig.

    Die edelste Nation unter allen Nationen ist die Resignation.Johann Nepomuk Nestroy

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    22 * IN ÖSTERREICH11 * IN DEUTSCHLAND1 * IN DER SCHWEIZ

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    kens. Sehen wir Heimat aus dieser Perspektive, sodreht sich um diese Achsen immer weniger — vor al -lem, was Europa betrifft!Die Betriebe, wo wirklich noch vereint — nicht neben-oder gegeneinander — gearbeitet wird, lassen sich,soweit es Österreich betrifft, vermutlich leserlich auffünf DIN A4-Seiten schreiben. Die erdrückende Mehr -heit besteht aus Zwangsgemeinschaften. Dass wirnicht mehr zusammen kochen und Mahlzeiten zele-brieren, fällt oft erst auf, wenn — wie vor geraumerZeit auf der Spanischen Treppe in Rom — ansässigeProtestierer aus Protest gegen ein Fast-Food-Restau -rant die ganze Straße in eine traditionelle Großkücheverwandeln. (Das war die Geburtsstunde von SlowFood International ). Selbst zu singen, noch dazu inder Öffentlichkeit, kommt kaum noch jemandem inden Sinn. Man fällt damit hierzulande fast schon soauf wie, sagen wir, ein Streikposten in Nordkorea.Tanzen ist auch im Gewühl der Diskothek zu einemeinsamen Geschäft geworden. (Als Kind habe ich nocherlebt, wie LandarbeiterInnen ihre Tätigkeit mit einemChorgesang koordiniert haben; die Arbeit hat dadurchetwas Tänzerisches bekommen. Wer kann sich da derEmpfindung verschließen, daheim zu sein?)

    Denkrhythmen. Bleibt das gemeinsame Denkenals heimatliche Achse. Jedes Volk hat für alle anderenein besonderes Geschenk mit auf diese Welt gebracht.Die Griechen haben das Denken natürlich nicht erfun-den. Aber ihre Errungenschaft besteht darin: Sie habendie Methode perfektioniert, wie man denkend tanztoder tanzend denkt. Für die erste Variante stehtSokrates; seine Denk-Tänze, deren Choreographie

    über liefert worden ist, hat man Dialektik genannt. Diezweite Möglichkeit verkörpert der Archetyp AlexisSorbas, der ohne ein Wort mit Mimik, Gestik und Be -wegung den ganzen Kosmos einfängt. Aus dem einenentsprang die Philosophie, aus dem anderen derBocksgesang, die Tragodia, die dramatische Kunst.Dieses Geschenk der Griechen hat Europa, die Frau mitWeitblick, dankbar angenommen und zwei Jahrtau -sende hindurch gepflegt und zur Blüte gebracht. Heuteliegt es achtlos beiseite geworfen auf der Müllkippeder EU. Der Bologna-Prozess, den zu ersinnen sogarfür Kafka zu grausig gewesen wäre, hat für die freieund weite universitas keine Verwendung mehr. Ausge -richtet auf Modularisierung und Creditpoints, be -zweckt die immer noch so genannte »Bildung« einzigdie Marktkonformität der Bewusstseinsflüsse. Gemein -sam zu denken, vielleicht sogar noch ohne bestimm-ten Zweck, aus reiner Freude? Da könnten wir jagleich wieder auch auf der Straße gemeinsam singen,statt konservierte Musik in die Ohrstöpseln zu leiten ...

    Noch ein Geschenk der Griechen, ein Stück kul-tureller Heimat in Europa, haben wir auf dem Weg indie Postmoderne verloren: die großen und kleinen Er -zäh lungen, wie beispielsweise die vierundzwanzig Ge -sänge, welche Homer dem Odysseus und seiner Freun -din Pallas Athene widmet. Wer sich den alten Epenberuflich oder in der Freizeit mit Hingabe widmet,wird bald zum Josef K. im allgegenwärtigen Bologna-Prozess. Dass Theologie, Philosophie und das Studiumder alten Sprachen noch ihren Platz behaupten, istdem schwindenden Einf luss der Kirchen geschuldet.Und dem zufälligen Umstand, dass hochrangige Wirt -schaftsfunktionäre und passionierte Wallfahrer immernoch manchmal in Personalunion auftreten.Es geht nicht nur um die großen Epen, die in Biblio -theken überdauern. Heimat muss weitererzählt wer-den. Unbemerkt sterben von Jahr zu Jahr hunderteGeschichten in allen Ecken Europas, solche, die keinVolkskundler aufgeschrieben hat, die nie verfilmt wor-den sind. Weil niemand mehr da ist, der sie weiterer-zählt. Jede Heimat ist eine geistige. Unsere mögliche größe-re Heimat Europa könnte uns verloren gehen, zusam-men mit der Freude am gemeinsamen Denken und denErzähltraditionen. Dann wird die einstige Heimat, wel-che zugleich ins Vergangene und Künftige weist, zurehemaligen. Aber so weit wird es die Frau, die weitblickt, mit unser aller Hilfe nicht kommen lassen ...

    Europa – Frau mit Weitblick

    Wichtige, deshalb kürzlich teilrenovierte Hinweistafel nahe Pürgg imEnnstal in der Steiermark, Österreich, Europa im August 2012

    Hoamatgsang

    1Hoamatland, Hoamatland,di han i so gernwiar a Kinderl sein Muader,a Hünderl sein Herrn,wiar a Kinderl sein Muader,a Hünderl sein Herrn.

    2Duri s’Tal bin i glafn,afn Hügl bin i glegnUnd dein Sunn hat mit trickert,wann mi gnetzt hat dein Regn.

    3Dahoam is dahoam,wannst net fort muaßt, so bleib,Denn die Hoamat is ehnterder zweit Muaderleib.

    Hoamatgsang ist ein Lied in oberösterreichischer Mundart. Am 29. November 1952 wurde es vom Landtag zur Landes-hymne Oberösterreichs erklärt und ist die einzige österreichi -sche Landeshymne in Mundart.Der Text wurde 1841 von Franz Stelzhamer geschrieben, die Weise 1884 von Hans Schnopf-hagen am Hansberg verfasst.

    DerHeimatPlanetAuf dem Weg zu einem weltzentrischen Bewusstsein

    Heimatplanet« – so heißt das Programmund die »Bibel« der Association of Space

    Explorers: eine Grup pe ehemaliger Astronauten undKosmonauten, die sich in den früheren 80er Jahrengegen den Willen der mi litärischen und politischenMachthaber zusammenschlossen, um eine Botschaftzu verkünden: Wie der Anblick der leuchtend blauenErde in ihnen ein tausendfach stärkeres Heimatgefühlausgelöst hatte als alles, was sie vorher kannten. Die -ses Ur-Erlebnis überwältigte C. G. Jung schon Jahr -zehnte vorher. Auch die Tiefenökologie und die »Gaia-Hy po these« sind aus dem Anblick »unserer rätselhaf-ten lebendigen Heimat« hervorgegangen. »Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewun-dernswert, was für eine Schönheit«, so die Worte desPiloten Juri Gagarin, der am 12. April 1961 erstmalsmit einem Wostok-Raumfahrzeug die magische Höhevon 100 Kilometern über der Erdoberfläche überstieg.(Die Worte »Ich habe im Himmel keinen Gott gefun-den« wurden ihm nachträglich von der Propaganda inden Mund gelegt.) Gagarin war zwar der erste Raumfahrer, aber keines-wegs der erste Mensch, der die Erde aus einer »überir-dischen« Pers pektive beschrieb. C. G. Jung, Freuds ver-stoßener geistiger Ziehsohn, sah sich 1944 im Verlaufeines fast tödlichen Herzinfarkts hoch über unserenPlaneten versetzt. Später erinnerte er sich:»Es schien mir, als befände ich mich hoch oben imWelt raum. Weit unter mir sah ich die Erdkugel inherrlich blaues Licht getaucht. Ich sah das tiefblaueMeer und die Kontinente. Tief unter meinen Füßen lagCeylon und vor mir lag der Subkon ti nent von Indien.Mein Blickfeld umfasste nicht die ganze Erde, aber

    Moreau | Plakat für GEA | 2009

    ihre Kugelge stalt war deutlich erkennbarund ihre Kon turen schimmerten silberndurch das wunderbare blaue Licht. Anmanchen Stellen schien die Erdkugel far-big oder dunkelgrün gefleckt wie oxydier-tes Silber. »Links« lag in der Ferne eineweite Aus dehnung – die rotgelbe WüsteArabiens. Es war, als ob dort das Silberder Erde eine rotgelbe Tönung angenom-men hätte.« Jung konnte im Zuge seiner »Astral rei -se«, die er 1958 in seinen Erinnerungenbeschrieb, die Erde viel genauer be -schreiben als später Gagarin, der ja alskörperlich im Raumschiff präsenter Kos -monaut ständig sein Instrumentenpultim Auge behalten musste und zudem —im Gegensatz zu einem »Entrückten« —unseren Plane ten nur durch eine dickeScheibe sehen konnte. Die Perspektivedes Psychoanalytikers entspricht zudemeinem Abstand von rund 1500 km überder Erd oberfläche. C. G. Jung hatte sich immer wieder mitGaia, der Erdmutter, als Archetyp für dasHeimatliche — und auf der Nachtseite fürdas Unheimliche — beschäftigt. Jetzt saher Gaia leibhaft. Die Veröffentlichungseiner Vi sion bereitete seine »Gemeinde«auf die ökologische Herausforderungvor; so wie die Revolution der »Tie fen -ökologie« — die sich nicht mit der Repa -ratur von »Ökosystemen« begnügen will— ein Vierteljahrhundert später von denersten gelungenen Fotos der leuchtendblau schwebenden Erde ausgelöst wurde.Die Endlichkeit des bislang einzig be -kannten belebten Planeten drang abererst mit mit dem blue marble-Photo vonApollo12 ins kollektive (Un-)Bewusste.Es zeigt die Erde genauso wie Jung sieerlebt hatte, nur aus etwas größererDistanz, und verlieh der globalen Ökolo-giebewegung einen gewaltigen Schub.Die Astronauten berichteten von einerArt Schock über die Isoliertheit derLebens welt und zugleich von glühenderZuneigung zu ihrer so weit entferntenfragilen Heimat. Huhki

    Im Juni 1985 flog der saudi-arabische SultanBin Salman al-Saud als Gast mitder US-Raum fähre Discovery,Mission STS-51G, ins Weltall.Danach erzählte er:

    Am ersten Tag deutetejeder von uns auf seinLand.

    Am dritten oder vier-ten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent.

    Ab dem fünften Tag gab es für uns nur nocheine Erde.

    DER

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    Mit dem Begriff Heimat setzt sich die europäischeKulturgeschichte noch nicht sehr lange auseinander.Er hat jedoch trotz seiner jungen Geschichte eineüber aus bewegte Entwicklung durchgemacht, so die Leiterin des Salzburger Landesinstitutes fürVolks kunde, Dr. Ulrike Kammerhofer im Gesprächmit Wolfgang Bauer

    WOLFGANG BAUER Frau Kammerhofer, das ThemaHei mat bietet in einer Zeit der Internationalität undGlobalisierung viele Zugänge. Dem war nicht immerso.ULRIKE KAMMERHOFER Wenn man sich das 19. Jahr -hundert anschaut, dann meint Heimat im Wesent -lichen das Vaterhaus und das Vaterland. Das eine istder konkrete Geburtsort, wo man erfasst ist – waswichtig ist für die Amtsstuben. Das andere betrifft dieStaatszugehörigkeit, die wiederum für den Militär -dienst der Männer von Bedeutung ist. In diesem Hei -matbegriff gibt es nichts Sentimentales, es geht nurum die öffentliche Zugehörigkeit. Das ändert sich jedoch gegen Ende des 19. Jahr -hunderts. Da kommen romantische Sehnsüchte auf, esist die Zeit des Historismus, in der man nach einerVerwurzelung in der Vergangenheit sucht, in derKünst ler nach dem wahren Ursprung der Kunst su -chen, in der immer mehr naturmythologische Ideenaufkommen. Da entwickelt sich ein romantischer Hei -matbegriff, der eine persönliche Zugehörigkeit sucht,ein Angebundensein, ein Hineingeborensein. Das ist

    auch die Zeit, in der die vielen Heimatlieder entste-hen, die wiederum Vorbilder werden für Landes- undBundeshymnen. WOLFGANG BAUER Mit welchen Namen ist diese Epo -che verknüpft?ULRIKE KAMMERHOFER Zum Beispiel Brahms und dieslawische Romantik der »ungarischen Tänze«. Auch inSkandinavien ist dieses Phänomen zu beobachten, dortnehmen Künstler in der Volksmusik Anklänge undbauen sie in ihre Symphonien ein. Oder Schubert-Lieder wie am »Brunnen vor dem Tore«. Da werdenErinnerungen an Sehnsuchtsorte gesetzt, an Ver trau -tes. Die Landeshymnen nehmen das auf und zählendie Leistungen eines Landes auf, nominieren die Sehn -süchte und Wünsche der Verankerungen. Diese hei-matliche Orientierung wird jetzt sehr lokal. Davon aus-gehend beginnt gegen Ende des 19. Jahrhunderts unddann in den 1930er Jahren im Nationalsozialismus dieSuche nach einem biologistischen und rassistischen,auf das Territorium bezogenen Heimatbegriff, der vonGeburt an eine Zugehörigkeit und einen Auftrag ver-bindet, anderes nicht zulässt und anderes der Ver tei -digung willen ausgrenzt. Da entsteht dann ein Heimat -begriff, aus dem heraus Kriege entstehen und mit demwir dann in unserer Identität bis in die 1970er und1980er Jahre zu kämpfen haben. WOLFGANG BAUER Wie sieht es in dieser Zeit mit demHeimatbegriff aus?ULRIKE KAMMERHOFER Im Zuge der 68er-Bewegunggreift man auf sozialistische Zugehörigkeitsbegriffezurück, die die Internationalität beinhalten. Und eskommt noch die Frage dazu: was macht das Mensch -sein aus? — ist es nur der Geburtsort, oder eine staat-liche Zugehörigkeit, oder blonde Haarfarbe und blaueAugen? Was bedeutet Heimat überhaupt? Da kommenviele soziologische Überlegungen dazu. Heimat ent-wickelt sich zu einem Konzept der Lebensgestaltungund der persönlichen Absicherung. Der Heimatbegriffist eigentlich eine Strategie, mit sich selbst und derUmwelt fertig zu werden, und sich irgendwo in derWelt zu verankern, ein Kulturkonzept ...WOLFGANG BAUER ... mit dem sich viele wissenschaft-liche Disziplinen befassen ...ULRIKE KAMMERHOFER Ja, die Soziologen etwa, oderdie Kulturwissenschaftler und sogar die Psycho ana -lyse. Der Europäische Ethnologe Konrad Köstlin hateinmal gesagt: alles was wir an Normen und Ritualenhaben und an Lebenskonzepten setzen, ist im Grundeeine Sicherung der Sicherheit. Man will also absichern,

    dass man wichtig und am richtigen Platz ist und dasrichtige Konzept vor sich hat. In den 1970er und 1980er Jahren kommen auch immermehr Heimatvereinigungen und Volkskulturvereineda zu, man denke an die vielen Ortsjubiläen, also die600- oder 1000-Jahr-Feiern, die eine Verankerung amEigenen suchen. Es ist aber auch die Zeit, in der ge -gen wartsorientierte Kulturvereine in den Landge mein -den aufkommen, in denen die Debatte über den Hei -matbegriff beginnt. In der man wiederum nach einerVerankerung sucht, aber eben mit den Werten aus den1930er Jahren nicht mehr kann. Und in der man dieVerbindungen dieser Werte zum eigenen Leben ver-misst. Es geht also nicht mehr um Wohnorte und Vaterländer,sondern um Lebensplätze, wo der Mensch in einemnachhaltigen Konzept seine Vorstellungen vom eige-nen Leben oder seine Selbstverwirklichung leben undsich entfalten kann.WOLFGANG BAUER Und gegenwärtig – wie steht es umden Heimatbegriff in einer Zeit der Globalisierung?ULRIKE KAMMERHOFER Mit der Öffnung und Erwei -terung der EU sind viele Regionalkulturkonzepte ent-standen. Sie stellen eine Suche nach Identität der Re -gion dar, die notwendig ist. Denn wenn es viele gibt,will man sich auch abgrenzen, will Besonderes vor-zeigen, will aber auch zu einem Dialog kommen. Dagibt es meiner Ansicht zwei Gefahren: einerseits dieÜberschwemmung mit historisierenden Regionalkul -tur konzepten, zum anderen die Gefahr der gegenseiti-gen negativen Abgrenzung. Da ist es wichtig, dasssämtliche Gruppierungen in der Gesellschaft, die ver-schiedenen Religionsgemeinschaften, Kulturen usw.ein Selbstbewusstsein entwickeln, aber aus diesemSelbst bewusstsein heraus auch die Achtung und denRespekt vor den anderen, um sich gegenseitig in ihren

    Kulturkonzepten auszutauschen oder zu bereichern.Das ist, glaube ich, unsere heutige Aufgabe: den Hei -matbegriff mehrdimensional zu sehen und in einerGesellschaft der Diversität positive Dialoge zu suchen.WOLFGANG BAUER Es ist auffällig, dass Regionenimmer selbstbewusster werden. Hat das mit der Glo -balisierung zu tun? ULRIKE KAMMERHOFER Ich denke schon. Ich bin aberauch der Ansicht, dass es um Wirtschaftskonzeptegeht. Das sind Brandings, die notwendig sind, umBesonderheiten hervorzuheben, um unterschiedlicheWer te anzupreisen, die dann selbstverständlich irgend-wann einmal in das Bewusstsein der Menschen über-gehen und tatsächlich zu Identifikatoren werden undden Stolz auf die Region fördern.WOLFGANG BAUER Wie es Heimatmuseen zuhauf ma -chen ...ULRIKE KAMMERHOFER Heimatmuseen sind so etwaswie ein Stolz der Region. Dort hat man, so weit ichdas beurteilen kann, den besten Erfolg bei den Ein -heimischen, weil man wiedererkennbare Details bringt,weil man den eigenen Großvater in irgendeiner Formdrinnen finden kann oder auf eigene Kindheits er -innerungen stößt. Was Touristen in Heimatmuseenbetrifft: 1983 hat der Ethnologe Nils Arvid Bringeus ineiner viel beachteten Arbeit gezeigt, dass die verschie-densten Volkskulturen international zusammenhän-gen und daher die emaillierten Kaffeehäferl der 1920erJahre in Norddeutschland gleich ausschauen wie beiuns. Und dass solche Gegenstände kaum etwas übereine Region aussagen, sondern vielmehr in die eigeneKindheit zurückversetzen. So können sich Touristenüber solche Güter in ihre eigene Kindheit und in dieErzählungen der Großeltern zurückversetzen und einGefühl der Beheimatung oder der Traditionsanbindungerfahren.

    PROF. DR. ULRIKEKAMMERHOFER-AGGERMANN Geb. 1955, Studium Volks kun -de/Kunstgeschichte in Graz. Seit1987 Leiterin des SalzburgerLandesinstitutes für Volkskunde.Seit 2005 Mitglied im Fachbeiratfür das Immaterielle Kulturerbeder Österreichischen UNESCO-Kommission.

    Heimat – die Sicherung der SicherheitEin Gespräch mit Ulrike Kammerhofer über romantische Sehnsüchte, biologistische Heimatbilder und die Universalität von Kaffeehäferln

    WOLFGANG BAUERstudierte Religionspädagogik,Philosophie und Psychologie,arbeitet als Journalist bei ORFSalzburg und bei GEA in Schrems.Moderator von Veranstaltungenund Tagungen sowie Leiter vonLangsam-Lauf-Kursen.

    MStoff der Heimat. Szene aus dem Dokumentarfilm von Othmar Schmiderer | www.stoffderheimat.at

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    Die WeltreiseWir haben heuer mal eine Weltreise gemacht.Aber ich sag’s Ihnengleich, wie es ist: Dafahren wir nimmer hin.Gerhard Polt

    Die Wünsche und dasMögliche gehören zurRealität. Und der Anti -realismus des Gefühls:Dass ich mich weigere,eine Realität, die nichtauf mich eingeht, zuakzeptieren, sondernsage, ich setze meineeigene Realität dagegen,dieser Eigensinn istetwas, was für Menschenzum Realismus gehört.Realismus ist nicht Ab -bildung von Tatsachen.Alexander Kluge

    Brennstoff_29_HEIMAT.qxd:Brennstoff 20.08.12 08:46 Seite 16

  • Nº 29/12 1918 Nº 29/12

    Schrems und seine Umgebung sind ein guter Bodenfür Bürgerbeteiligung und ökologisches Engage -ment. Denn der Ausbau der Photovoltaik auf denhiesigen Dächern unter unserer Federführungwächst und wächst. Und das nur, weil Ihr durch denErwerb von Sonnen-Gutscheinen das Projekt sounglaublich un ter stützt, ja vorantreibt. Besonders indiesem Sommer erfährt es eine ganz wesentlicheweitere Ausbaustufe.

    Wolfgang Spazierer aus Schrems ist seit vielen Jahrenein Fan von Solarenergie. »Ich war der Zweite, der hierin Schrems das Warmwasser mit Sonnenstrom vomHausdach produziert hat«, sagt er. Für den Pensionis -ten ist klar, dass ihm auch am Ausbau der Photo vol -taik auf anderen Gebäuden in Schrems etwas liegt,was er durch den Erwerb unserer Sonnen-Gutscheinefördert. Roswitha Bors aus Wien, die sich in der Aus -bildung zur medizinischen und Heil-Masseurin befin-det, hat sich Anteilscheine zugelegt, weil sie das Pro -jekt für sinn voll und unterstützungswürdig hält und»gerade ein bisschen Geld übrig hatte«. Entdeckt hatsie unsere Solar-Beteiligung bei einem Aufenthalt inSchrems und durch den brennstoff.Das sind nur zwei jener Personen, die seit dem Jahr2003 mit mehr als 4300 Anteilen unser Sonnenstrom-Projekt unterstützen. Damals haben wir mit einer PV-Anlage auf dem Dach unserer Schuhproduktionshalle

    be gonnen, 300 Anteile haben den Start mit einer Leis -tung von 9,1 kWp ermöglicht. In vier weiteren Aus -baustufen haben wir Schritt für Schritt die Dächerunserer Werkstätten sowie der GEA-Akademie mit PV-Anlagen versehen und uns im Vorjahr auch auf einfremdes Dach begeben – auf jenes des UnterWas ser -Reichs. Auf einer Fläche von insgesamt 900 Quadrat -metern konnten wir so zuletzt eine Leistung von 116kWp erzielen und damit bereits fast so viel Strom er -zeugen, wie wir in unseren Werkstätten mit rund 120Mitar beitern benötigen. Nur durch eure Hilfe und Un -ter stüt zung sind wir sozusagen immer mehr auf dieSon nenseite geraten. Danke!Exakte Zahlen und Daten über die Entwicklung derSonnenstromproduktion auf den Dächern der Wald -viert ler Werkstätten, des Unterwasserreichs und ande-rer öffentlicher Gebäude, die durch eure Beteili gun-gen ermöglicht wurden, könnt Ihr auf www.gea.at/sonne einsehen.

    Dieser Sommer hat es in sich

    Der Ausbau unserer Sonnenstromanlagen schreitet zü -gig voran. In diesem Sommer gehen zahlreiche weite-re Anlagen ans Netz. Wir konnten geeignete Dächervon öf fentlichen Ge bäuden anmieten, um dort weite-re PV-An lagen zu er richten. So haben wir im Juli dieDächer der Feuer wehrhäuser von Schrems und dembenachbarten Klee dorf bestückt, auch der Bauhof derStadt gemeinde Schrems, das Moorbad, Schulen, dieBüche rei kamen und kommen noch dran ... unsereAus bau pläne könnt Ihr ebenfalls auf unserer Websiteeinsehen.

    Ein heißes Thema

    Die verwendeten Kompo nen ten stammen durchwegsaus Europa, die Wechsel rich ter, die den gewonnenenGleich strom in Wechselstrom »umrichten«, werden in

    Österreich erzeugt. Weil man die Dächer – etwa jenesdes Moorbades – weit hin sehen kann, kommt nie-mand an dem Thema vorbei, ist Fritz Peinschab, derunsere Solar-Aktivitäten koordiniert, überzeugt. »So -lar energie wird in dieser Region immer mehr zum The -ma, über das geredet wird. Auf diese Weise kommtunserem Projekt auch eine gewisse Vorbildfunktionzu«. Fritz zeigt sich auch erfreut über die fünf Raika-Filialen und die 12 Haushalte der Region, die mitunse rer Hilfe ebenfalls ihre Dächer mit PV-Anlagenausstatten, ohne sich um Planung und Umsetzungkümmern zu müssen.

    Nichts ist stärker

    Es tut sich also was in Schrems und Umgebung. DieBewohner dieser Region, aber auch Ihr – unsere För -derer und Anteilnehmer – alle zeigen durch die viel-fältige Unterstützung und das Engagement, dass mandie Energiewende will. Und zwar jetzt! Man wartetnicht auf eine Lösung von oben, sondern nimmt wich-

    DIE BEITEILIGUNG

    an unserem Solarprojekt funktioniert in bewährter Manier:Für eure Einlage von 200,– Euro zahlen wir insgesamt 330,–Euro (11 * 30,– Euro in Form von Warengutscheinen) zurück.Ein Warengutschein im Wert von 30,– sofort nach Einzah -lung, die weiteren 10 Gutscheine à 30,– Euro schicken wirjährlich im Jänner an eure Adresse. Sich an unserem Photovoltaik-Projekt zu beteiligen, ist nichtschwer. Einfach direkt an unsere Susi wenden: [email protected] Vertrag kann man bei Susi bestellen oder aus dem Inter -net downloaden: www.gea.at/ sonne

    Solar CityDas Photovoltaik-Projekt mit Bürgerbeteiligung

    W Fritz Peinschab koordiniert unsere Solar-Aktivitäten

    Die Dächer der Feuerwehr-häuser von Schrems (oben) und

    Kleedorf (Mitte), seit Juli 2012 mit PV-Anlagen bestückt. Gesamt-

    leis tung: mehr als 26 kWp.Darunter zeigt der Bauhof von

    Schrems seine Sonnenseite.

    Das Dach der GEA-Halle (unten), seit März 2011 mit einer

    68 kWp-Anlage ausgestattet

    tige Schritte auf dem Weg zum so drin-gend nötigen Ausbau von erneuerbarerEnergie selbst in die Hand. Die Unter -stützung dokumentiert ein ho hes Maßan Verantwortungs bewusst sein, vor al -lem im Hinblick auf die Le bensqualitätkünftiger Genera ti onen. Sie macht au -ßer dem eine Region, die oft als Krisen -re gion bezeichnet wird (zuletzt auf -grund der Abwanderung aus den grenz -nahen Städten), zu einer Modellregionin Sachen erneuerbarer Energie.Eine jener Personen, die sich in regio-nale Energie fragen einmischt, ist Hen -riette Kargl. Sie ist eine von drei Per -sonen aus der Waldviertler Biobauern-Familie Kargl, die Anteilscheine besit-zen. Henriette hat ein gutes Gewissen,Sonnenstrom zu fördern, und schätztauch den Nebeneffekt der Aktion. »DieGutscheine werden für den Kauf vonSchuhen verwendet«, sagt sie und ver-weist auch darauf, dass auf dem Dachdes elterlichen Bauernhofes ebenfallseine private PV-Anlage arbeitet. Wieschrieb bereits Victor Hugo im 19. Jahr -hundert: »Nichts ist stärker als eine Idee,deren Zeit gekommen ist«. Wolfgang Bauer

    22 * IN ÖSTERREICH11 * IN DEUTSCHLAND1 * IN DER SCHWEIZ

    ADRESSEN AUF DER RÜCKSEITE

    WWW.GEA.AT

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    ORIENT EXPRESS

    Das Montierender PV-Anlage auf dem Dach des Bauhofes in Schrems –eine der Ausbaustufen im Sommer 2012

    Der Wechsel zu erneuerbarenEnergien ist ein Wettlauf mit

    der Zeit – aus ökologischen, wirschaft-lichen und sozialen Gründen. Die Ab-lösung atomarer und fossiler Energienkann weder über die konventionelleEnergiewirtschaft noch über globaleVerträge kommen. Der archimedischePunkt ist »Energieautonomie« – alspolitisches, technologisches und wirtschaftliches Konzept, das eineweltweite Dynamik in Gang setzenkann. (...) Photovoltaik – die Um -wandlung von Sonnenlicht zu Strom –ist die wichtigste Zukunftstechnologie der Menschheit.Hermann Scheer, Energieautonomie

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  • Ich erzähle es immer wieder, dass ich meinLeben lang für meine Afrika-Erlebnisse dankbar seinwerde. Auf meiner Reise mit dem Moped von Schwa -nenstadt nach Tanzania, ich war damals 19, erlernteich in aller Deutlichkeit, dass es im Leben nichts Wich -tigeres gibt als das Leben. In Afrika ist das vielerorts(auch nicht überall) eine Selbstverständlichkeit. Beiuns hat man oft den Eindruck, das Wichtigste im Le -ben sei Geld. Verrückterweise zerstören wir, die rei-chen Länder, mit unserem vielen Geld das Klima derganzen Welt. Ungerrechterweise sind die Folgen desKlimawandels in Afrika am schlimmsten. An vielenOr ten kommt es durch die Dürre zu Hungersnöten. DerHunger löst oft Völkerwanderungen aus. Diese führenimmer zu Konflikten, nicht selten auch zu Kriegen.Heuer fand ich eines Tages in meiner Post ein starkesKuvert. Ich beachtete es anfänglich gar nicht. Erstnach einigen Tagen öffnete ich es. Im Kuvert war einBuch mit dem Titel »Leben ohne Armut. Wie Hilfewirklich helfen kann«. Ein kurzer Brief vom Autor lagdabei. Er schrieb, »als ich im brennstoff von IhrenProjekten und Zielen las, wusste ich: Ihnen möchte ichmein Buch schenken. Es bewegt sich in dieselbe Rich -tung. Ihr Martin Kämpchen«. Da ahnte ich noch nicht,wie wichtig mir dieses Buch werden würde. Es ist mirnicht nur zum wichtigsten Leitfaden für unser »Helfen«in Afrika geworden, es wurde mir auch ein wichtigerReiseleiter auf dem Weg zu meiner inneren Heimat. Martin Kämpchen schreibt über das Geben: »EchtesWirken unter den Armen ist nur durch einen Akt derSelbstlosigkeit möglich. Der Fokus liegt auf den Em -pfängern, nicht auf den Gebern. Das Geben soll dieArmen ermächtigen, nicht die Geber.« In Hinblick da-rauf wollen wir euch hier einige »Gesichter«, die hin-ter unseren Projekten in Afrika stehen und die seitJahren bedingungslos ihre Arbeit und ihren Fokus aufdie Empfänger legen, vorstellen:

    Anna Mollel. Diese nimmermüde Maasaifrau kämpfttagtäglich in ihrer Heimat Tanzania für die Schwächs -ten in ihrer Gesellschaft. Phantasievoll und mit unge-heurem Umsetzungswillen verfolgt sie ihr Ziel. Sie bautstep by step an ihrer Schule für die Ärmsten, lässt ineinem Bretterverschlag Tücher weben, deren Fransenim wahrsten Sinne des Wortes »Geschichten« erzäh-len. Die »Therapeutin« Anna knüpft jeden Mittwoch inihrem Garten mit einer Gruppe aidskranker, recht- undarbeitsloser Maasaimädchen Fransen an diese Tücher.Das ermöglicht den Mädchen ein wenig Lohn und ist

    zugleich aktive Beratungszeit für Probleme, auf die esin der tanzanischen Gesellschaft keine Antworten gibt.Die schönen Baumwolltücher aus Anna Mollels Werk -statt gibt es in den GEA-Läden zu kaufen. Das ist dieeine Geschichte. Die andere ist, dass wir mit eurenSpendengeldern Annas Schulbau effizient unterstüt-zen können. Danke!

    Steve Friberg. Unser amerikanischer Freund SteveFriberg ist in Tanzania aufgewachsen. Seit fast 20 Jah -ren lebt er als Arzt im Busch. Mit Leidenschaft denkter darüber nach, wie man die Lebensumstände in einerWeise verändern kann, dass man in Hinkunft wenigerbzw. keine Medikamente mehr braucht. Seine genialeIdee war es, Kamele zu den Maasai nach Tanzania zubringen, um – in den Zeiten der Dürre – durch dienicht versiegende und nahrhafte Kamelmilch die Hun -gersnot zu verhindern. Mit einfachen Tipps zur Au -gen hygiene hat er in seiner Region 95 % der Augen -krankheiten im wahrsten Sinne des Wortes »wegge-waschen«. Und noch eine beeindruckende Zahl: Deraktuelle Stand der GEA-Karawane beträgt unglaubli-che 52 Kamele. Danke! Video: www.gea.at/video

    Symon Ntaiyia. Father Symon wurde als Korrup -tionsbekämpfer mit Morddrohungen übersät. Er hattekeine Wahl, er musste sein Heimatland Kenya verlas-sen. Dennoch wollte er sein Volk in der Heimat nichtim Stich lassen. So gründete er aus seinem Exil inAmerika die »School for Nomades« in Narok/Kenya.Er, der als Maasai selbst in einer Nomadenfamilie auf-gewachsen ist, weiß, wie not-wendig Bildung für seinVolk ist. Der Klimawandel und die Rücksichts losigkeitder modernen Gesellschaft, zum Beispiel auch derWildlife-Tourismus, bedrohen massiv den Lebens raumder Maasai. Und wieder sind es eure Spenden gelderund der »Vater« dieses Projektes, Symon Ntai yia, diedieses Projekt wachsen und gedeihen lassen. Der Baueines weiteren Internatstrakts ermöglicht ab Herbst dieAufnahme weiterer Maasai-SchülerInnen. Danke!

    Walking Safari. Sanfter kann Tourismus gar nichtsein. Emmanuel Killel, ein junger Maasai, begleitet mitseinen Freunden brennstoff-LeserInnen durch seineHeimat, das nördliche Maasailand. Es gibt kaum eineandere Möglichkeit, Afrika so hautnah zu erleben.Interesse? [email protected]

    21Nº 29/1220 Nº 29/12

    Heimat AfrikaHeini Staudinger und Sylvia Kislinger aus Afrika

    SPENDENKONTO lautend auf Heinrich Stau dinger für Af ri kaKennwort: HeimatKonto-Nr. 1.370, Raika 32415IBAN: AT183241500000001370BIC: RLNWATWWOWS

    die Afar-Region im Nor denÄthiopiens erlebt hat, fragt

    sich, wie Menschen in dieser unglaublichheißen Gegend über leben können. ValerieBrowning hat vor 25 Jahren einen Afargeheiratet, hat in die Armut eingeheira-tet, wie sie sagt. Damals berieten die Altenund Weisen der Afar in einem zwei Wo -chen dauernden Meeting, was für ihr Volkwichtig sei. Bildung? Ja. Aber nicht dieBildung nach französischem oder engli-schem Vorbild – sie wollten selber ent-scheiden, was an Bildung für ihr Wüsten -leben sinnvoll ist. Gesundheit? Ja. Da sieaber sowieso keine Chance auf westlicheMedizin hatten, entschieden sie, die Ver -

    besserung ihrer Lebensumstände in denVordergrund zu stellen. Valerie wurde zurzentralen Figur dieser Reform. Sie syste-matisierte das naturheilkundliche Wissenund bildete eine ganze »Armee« von Ge -

    sund heitsarbeiterInnen aus. Die Abschaf -fung der Mädchenbeschneidung ist einesihrer Hauptanliegen. Hierbei sucht sie dieUnterstützung der religiösen Führer, mitderen Gutachten sie nachweisen kann,dass der Koran – wie viele fälschlich glau-ben – kein einziges Mal von der Mäd chen -beschneidung spricht, geschweige dennsie als religiöses Gesetz fordert. ValeriesVorgangsweise ist direkt. »Ich bin nichtdiplomatisch«, sagt sie von sich selbst.Stimmt. Dafür aber höchst effizient. Es istuns eine große Ehre, die Gruppe APDA(Afar Pastoralist Development Associa -tion) mit euren Spendengeldern unterstüt-zen zu dürfen. Danke!

    Der Engel der Wüste

    WER

    Einfachheit soll nicht das Leben der Menschen reduzieren, son dern es im Gegenteil befreien, für die Fülle des Wesentlichen öffnen.

    Martin Kämpchen

    GEA-, brennstoff- undAfrika-Videoswww.gea.at/video

    Steve Friberg und Maasai (oben),Anna Mollel (Mitte), Heini mitSymon Ntaiyia (unten)

    Brennstoff_29_HEIMAT.qxd:Brennstoff 20.08.12 08:46 Seite 20

  • Der »Oskarl fürImprovisiererInnen« ist inzwischen eine

    fixe Einrichtung im brennstoff.

    Schicken Sie uns bitte geglückte

    Beispiele aus Ihrem All tag!

    An: [email protected]

    Nº 29/12Nº 29/12 2322

    Oskarlfür Improvisierer und Innen

    Der brennstoff ist gratis, aber nicht umsonst. Darum bitten wir Sieum Hilfe. Mit einem Ja h res-FörderABO > um 15,— > um 25,— > um35,— oder > um .......... Euro können Sie den brennstoff leben und

    unsere Möglich keiten wachsen lassen. Willkommen im Club der brennstoff-Freundinnen und -Freunde!

    Wir schicken Ihnen 4 mal im Jahr den brennstoff.

    ˇ

    GE GE GEGelesen. Gehört. Gesehen.

    brennstoff FörderABO PSK-Konto-Nr. 9.647.574 · BLZ 60000 · Kontolautend auf »Heinrich Staudinger GmbH« · BIC: OPSKATWW · IBAN:

    AT81600000000964 7574 · Kennwort: brennstoffBitte geben Sie Ihren Namen, Ihre Adresse und Ihre Kundennummeraus dem Adressfeld an (diese Nummer hilft uns, Doppel adressen zu

    vermeiden); schreiben Sie an: [email protected]

    Unter allen neuenbrennstoff FörderABOnnentInnen

    verlosen wir 10 *

    Fahrradanhänger-Bauprojekt. Betteln verboten!

    Mai 2011 gilt in Graz das Bettelverbot.Keine deutlich sichtbaren Zeichen sozi-

    aler Not trüben seither das Straßenbild der Murmetro -pole. Problem gelöst! Zumindest für die PolitikerInnender Landeshauptstadt. Keine Lösungen oder Alterna -tiven für die betroffenen Roma aus Hostice in der Slo -wakei. Es waren nicht die BetreuerInnen vom AMS,sondern die Leute vom Armendienst in der Vinzenz -gemeinschaft in Graz, die Verantwortung übernah-men und sich alle nur erdenklichen Arbeitsmög lich -keiten für die verbannten BettlerInnen überlegten. DasErgebnis, die Idee eines kleinen Fahrrad-Lastenan hän -ger-Bauprojekts, hat uns total begeistert und verdientden brennstoff-Oskarl. Mit der Unterstützung vieler (nicht aber der GrazerBanken mit ihrem »Förderbudget für soziale Aktivi -täten«) konnten im Sommer 2011 die ersten 24 Fahr -rad anhänger produziert und ausgeliefert werden. Indiesem Sommer startet der nächste Bauworkshop undes werden noch gerne Bestellungen angenommen.Diese Anhänger sind richtig solide gebaut und prak-tisch. Du kannst damit (fast) alles transportieren. Deinganzes Büro, wenn du willst. Bücher einpacken, Ho -cker drauf und einfach losradeln ins Freiluftbüro. FixePreise haben die Anhänger übrigens nicht; du musstmit dir selbst ausmachen, was sie dir wert sind. Bettelnverboten! Sylvia Kislinger

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    Bernard Glassmans

    Anweisungen für den KochLebensentwurf eines Zen-Meisters

    Konstantin Wecker meint, dass »dieses Buch Pflicht -lektüre für alle noch nicht ganz korrumpierten Unter -nehmer, Bänker und Konzernchefs werden soll.« Dadachte ich mir »wie recht hat er!« und bestellte sofort100 Exemplare für GEA und die Waldviertler Werk -stätten. Und 10 dieser Pflichtlektüren wollen wir nunan unsere neuen brennstoff FörderABOnnentInnenverschenken. Die Glücklichen werden wir durch eineZiehung aus allen neuen brennstoff FördererInnen er -mitteln. Fördere und gewinne — oder fast genau so gut— kaufe und sinne. Mehr über die »Anweisungen fürden Koch« gleich nebenan auf Seite 23. Heini

    So können Sie uns helfen

    Bernard GlassmanAnweisungen für den KochLebensentwurf eines Zen-Meisters

    koche ich erst seiteinigen Jahren. Das

    kam so: Ich war bei Moreau in der Steiermark zum»brennstoff-machen«. Ich mache diese Arbeit gern.Den noch strapaziert sie mich jedes Mal durch unddurch. Mitten in dieser Arbeit bekam ich plötzlichfurcht bares Bauchweh. Doktor. Spital. Ultraschall. Gal -lensteine. Gallenblasenentfernung. Wieder daheim, fingich, ohne dass ich es mir vornahm, zu kochen an.Heuer war es – wieder einmal – Moreau, der mich aufdieses Buch von Bernard Glassman aufmerksam mach - te. Ein wunderbares Buch. Konstantin Wecker ( ja, esist wirklich der Liedermacher und Sänger) schreibt imGeleitwort zu diesem Buch: »Dieser schlich te Bandgehört für mich zu den eher seltenen Ex emplaren vonWeisheitsbüchern, die das eigene Leben verwandelnkönnen. Immer schon hatte ich das Ge fühl, dass Er -leuchtung (was immer wir auch darunter verstehenmögen) sich nicht in weisen Sprüchen zeigt, sondernin Güte.« Und wirklich! In den Rezepten dieses Meisters stecktdie Kraft zur Verwandlung, sie weisen den Weg zurGüte. Bernard Glassman versteht uns (dich und mich),dass es uns schmerzt, »wenn die Kluft zwischen dem,was wir tun und dem, was wir tun möchten« groß ist.Dann »nimmt einen dieser Zen-Meister«, so Wecker,»so zärtlich und ohne Eitelkeit bei der Hand, dass manihm schon bald wie einem gütigen Vater vertraut.« Indiesem Vertrauen bin ich ab jetzt mit diesem väter-lichen Meister »per du«, und nun sagt Bernie: »Wennes uns gelingt, die Kluft zwischen unseren Erwar -tungen und dem, was wir tatsächlich tun, zu beseiti-gen, fließt unsere gesamte Energie in unser Tun imAugenblick.« Ja, ja, ja. Wenn nur das Wörtchen »wenn«nicht wäre. Aber Bernie kennt uns. Er kann sich indich und mich hineindenken. Auch für diese Situationhat unser Koch ein Rezept. Nun? Was kocht ein Zen-Meister, wenn er zum großenMahl lädt? Sein Menu ist das Leben. Und für dieses(dein/mein/unser) Leben bietet er eine Fülle von Re -zepten an. Bernie lässt uns (dich und mich) nicht blödim Regen stehen. Er gibt praktische Tipps, die mangleich einmal ausprobieren und dann einüben kann.Schon beim Lesen ist mir der Appetit gekommen, seineRezepte in meinem Leben, aber auch im Alltag unse-

    rer Firma, auszuprobieren. Ich bin sicher, dass mir/unsseine Rezepte helfen werden, so manches Bauchweh zuvermeiden. HeiniP.S.: Ihr werdet es nicht glauben (wir glauben es sel-ber kaum), dass der oben erwähnte Konstantin Weckernoch diesen Herbst zu uns ins Waldviertel kommt.

    Bernard GlassmanAnweisungen für den Koch. Lebens entwurf eines Zen-Meisters. Edition Steinrich, ISBN 978-3942085052

    27. Oktober 2012, Konstantin Wecker: Wut und ZärtlichkeitKonzert in der Stadthalle Schrems, Beginn: 19.30 UhrVorverkauf: [email protected] oder telefonisch: +43 (0) 2853/76276-76Eintritts preise von 35,— bis 55,— Euro

    EIGENTLICH

    Bernard Glassman, Zen-Meister

    Denk ich an HeimatEin Straßenbuch von APROPOS

    Schlimmste hinter Gittern war, dass iches mit meinem Freiheitsdrang fast nicht

    aushielt, und vor allem, dass ich die Heimat nichtsehen konnte. Dass ich so lange keine richtige Heimathatte.« Georg Aigner, der Verfasser dieser Zeilen, hatnicht nur sieben Jahre in der Karlau, dem Grazer Ge -fängnis, verbracht. Er ist auch einer von 15 Auto rin -nen und Au toren, die sich als Verkäuferinnen undVerkäufer der Salzburger Straßenzeitung APROPOS andas Thema Heimat heran gewagt haben. Herausge -kommen ist ein berührendes, offenes, kritisches undselbstkritisches Sammelsurium über Lebenserfah run -gen, Schicksale, Träume und »über das Schöne unddas Hässliche im Leben«, wie der Schriftsteller WalterMüller im Vorwort festhält. Er hat die APROPOS-Leutein Schreibwerk stätten und Gesprächen in ihrem Schrei -ben unterstützt und ermuntert. »Ich habe viel gelerntin dieser Zeit«, so Müller, »nicht nur über Heimat, mehrnoch über Men schenwürde, Ehrlichkeit, die zärtlicheKraft von Men schen, die nicht nur Schö nes erlebthaben«. Wolfgang Bauer

    Straßenzeitung APROPOS (Hg.): Denk ich an Heimat, Salzburg 2010. ISBN 978-3-200-02043-6Zu beziehen ist das APROPOS-Heimatbuch über: [email protected]

    DAS

    Glücklicherweise oderunglücklicherweise, auch wenn wir es nichtmögen, müssen wir aufsKlo gehen, das stinkigeKlo. Tut mir leid, aber ich denke, wir müssenaufs Klo gehen, solangewir leben.

    Shunryu Suzuki, Seid wie reine Seide und scharfer Stahl

    In jedem Lande klingt die Frage Hamlets anders.Stanislaw Jerzy Lec

    Kommt alle nach Schrems

    SEITBestellungen und weitereInformationen zum Fahrrad- anhänger-Bauprojekt unterwww.bergarbeiten.at/anhaengerbauprojekt oder bei:Roman Fasching, Vinzihaus, Lilienthalgasse 20, 8020 Graz,[email protected] 0316/585800

    Konstantin Wecker, Liedermach

    er

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  • 24 25Nº 29/12Nº 29/12

    GE GE GE

    Last Exit – WENDEZEIT! Systemisch denken, systemisch handeln für eine nachhaltige WeltFritjof Capra auf Schloss Goldegg

    ist jetzt 30 Jahre her, da konstatierte der Phy -siker und Systemtheoretiker Fritjof Capra in

    seinem Bestseller »Wendezeit«, dass sich die Mensch -heit in einer epochalen Krise befinde. »Die ganze Ge -sellschaft ist falsch programmiert. Unaufhörlich ge -schehen Dinge, die nach menschlicher Vernunft ausge-schlossen sein sollten«, schrieb er und forderte einrasches Umdenken, eine Abkehr vom mechanistischen,die Natur ausbeutenden Weltbild. Hin zu einer ganz-heitlichen Weltsicht mit vernetztem Denken, da diegroßen Probleme nicht einzeln gelöst werden könn-ten, sondern zusammenhängen und als System begrif-fen werden müssen. 30 Jahre später erkennt Caprazwei Entwicklungen, die sich entscheidend auf dasWohlergehen und die Lebensweisen der Menschheitauswirken werden: das Aufkommen des globalen Ka -pi talismus und die Erschaffung nachhaltiger Gemein -schaften aus der Praxis des Ökodesigns. Die beidenEntwicklungen befinden sich heute auf einer Kol li -sionsschiene. In seinem Vortrag in Goldegg wird Frit jof Capra eineinheitliches systemisches Verständnis des Lebens vor-stellen, das auf der Konzeption von lebenden Netz -werken beruht. Er wird außerdem zur Diskussion stel-len, wie die neue Systemsicht des Le bens dazu verwen -det werden kann, die ökonomische Globalisierung soumzugestalten, dass sie mit den Grundwerten derMen schenwürde und der ökologischen Nachhaltigkeitin Einklang gebracht werden kann.

    Fritjof Capra, geboren 1939 inWien, Physiker und Systemtheo -retiker, lehrt an der University ofCalifornia in Berkeley, Kalifornien,und forscht an dem von ihm ge -gründeten Center for Ecoliteracy,einer Organisa tion, die sich dieSynthese und Vermittlung desökologisch-systemischen Den -kens zur Aufgabe macht. CaprasBücher zum Thema (»Wen de -zeit«, »Lebensnetz«, »Verbor-gene Zusammenhänge«, u.a.)erregten weltweites Aufsehen.

    ES

    Hubert Reeves HEIMAT oder Wo ist das Weltall zu Ende?Das Universum meinen Enkeln erklärt

    Beifügung »HEIMAT oder ... « stammt vonmir. Denn der richtige Titel heißt einfach

    »Wo ist das Weltall zu Ende?« Ich habe das WortHEIMAT oben draufgesetzt, denn mich berührt der Ge -danke, dass dieses unendliche, unfassbare Weltall mei -ne/unsere HEIMAT ist. Die Formulierung »es berührtmich« ist eher eine Untertreibung, denn, wenn ich an»das Ende des Weltalls« und an seine unvorstellbareGrenzenlosigkeit denke, wird mir fast schwindlig.

    DIE

    gemüt-licher käfig

    heimat ist dort wo man sich auskenntheimat ist was man kenntmeine kaffeehäusermeine tandlerein paar straßenzügein wien und anderswomeine freunde und feindezwischen den kastanienbäumen meiner kindheitsteht der flakturm meiner kindheitimmer nur dieses wiedererkennenwollen

    des einmal gekanntendas zusammenglucken im gewohnten stallgeruchheimat ist käfig mit gitterstäben aus gefühlenwie die familiein die man nur zurückkehrtin einem anfall von schwäche

    Elfriede Gerstl

    Nun nimmt Hubert Reeves, einer der renommiertestenAstrophysiker der Welt, dieses fassungslose Staunenernst und er erklärt seiner Enkelin das Universum ineiner Sprache, die zum immer Weiterfragen einlädt.Sympathisch bescheiden bleibt er auch in all jenenFragen, wo die Wissenschaft keine Antwort hat. Dafragt ihn seine Enkelin, wer denn diese universalenGesetze beschlossen habe? Da sagt er ihr den Ge -danken von Voltaire, der da meinte: »Ich kann mirnicht denken, dass es diese Uhr nur gibt und dazukeinen Uhrmacher.« Er erklärt ihr die Gesetze desWeltalls und die erstaunlichsten Erkenntnisse derAstro nomie in einer liebevollen und verständlichenSpra che. Die Antwort Voltaires findet er unbefriedi-gend. Er hofft auf weitere Erkenntnisse der Wissen -schaft und zum Schluss verneigt er sich vor den tie-fen Geheimnissen des Universums.Ein Buch zum Staunen. Für Er wach sene genauso wie

    für Kinder. Eine Einladung zum ge -meinsamen Stau nen, denn Ge mein -samkeit hilft — fast — immer, wennman sich in diesem irren Weltallmanchmal verloren und einsam vor-kommt. Heini

    Hubert Reeves: Wo ist das Weltall zu Ende?Das Universum meinen Enkeln erklärt. VerlagC. H. Beck, ISBN 978-3406630217

    Montag, 3. September 2012, 20 Uhr, Schloss GoldeggMichael Kerbler (Ö1) imGespräch mit Fritjof Capra: Sind die Chancen der Wendezeitvertan? (Nachzuhören auf Ö1 amDonnerstag, 6. 9. um 21 Uhr undam Freitag, 7. 9. um 16 Uhr)

    Dienstag, 4. September, 2012, 20 Uhr, Schloss GoldeggFritjof Capra, Festvortrag:Systemisch denken, systemisch handeln für eine nachhaltige Welt

    Info: www.schlossgoldegg.at

    Vortrag von Bernd Senf in SchremsFließprozesse der Lebensenergie und des Geldes –Störungen und Heilungen. Gemeinsamkeiten zwischen Wilhelm Reich und Silvio Gesell

    gibt Zusammenhänge zwischen dem Fließenvon Lebensenergie im Organismus eines Men -

    schen und dem Fließen des Geldes im Organismuseiner Wirtschaft, behauptet der streitbare Wirtschafts -wissenschaftler Bernd Senf. In seiner Lebensenergie-Forschung bezieht sich BerndSenf auf Wilhelm Reich (1897—1957). Der Facharztfür Neurologie und Psychiatrie war ein Schüler Sig -mund Freuds und gilt als Vater der Körper psycho the -rapie. Reich war es auch, der eine bis dahin nichtbeschriebene Energieform entdeckte, die Lebens- oderOrgonenergie, die ursprüngliche Energie der Natur.Kann diese Energie durch negative Einflüsse, Frustra -tionen, emotionale Kälte und dergleichen nicht freifließen, kommt es zu Blockaden, die an verschiedenenSeg menten des Körpers chronisch werden können.Reich spricht von Körperpanzerung.Ähnlich funktioniert Bernd Senf zufolge der Geld -kreislauf und bezieht sich dabei auf Silvio Gesell. NachAnsicht des Finanztheoretikers und SozialreformersGesell (1862—1930) erkrankt auch ein Wirtschafts -system, wenn der Geldfluss ins Stocken gerät, blockiertwird. Dies geschieht vor allem dann, wenn das Geldzurückgehalten und dem Kreislauf entnommen wird.Was zum Beispiel geschieht, weil man es hortet und es

    ES

    Freitag, 2. November 2012, 19 Uhr, Kultur haus Schrems, Vortrag vonBernd Senf: Fließprozesse der Lebensenergie und des Geldes –Störungen und Heilungen. Am Samstag, 3. und am Sonntag, 4. No -vem ber 2012 leitet Bernd Senf zwei Seminare in der GEA Aka demie.Informationen dazu finden Sie auf Seite 29.

    erst dann wieder in den Umlauf bringt, weil man Zin -sen erwarten kann. Sind also Zinsen des Rätsels Lö -sung, um den blockierten Kreislauf wieder in den Flusszu bringen? Nein, sagt Senf, das sei so, als ob manden Teufel mit dem Beelzebub austreiben wolle. DasZins system führe in einen Teufelskreis und in krebsar-tig wachsende Probleme von Wirtschaft, Gesellschaft,Um welt und der Dritten Welt. Die Lösung dieser Probleme sieht Senf in einer Lösungder Blockaden der Lebensenergie und des Geldflusses.Nicht schlagartig und schon gar nicht gewaltsam, son-dern behutsam, um die verschütteten Funktionen dernatürlichen Selbstregulierung durch Auflockern desPanzers wieder freizulegen. Wolfgang Bauer

    BERG HEIL! Alpenverein und Bergsteigen 1918 – 1945

    Berge mehr sind als ein alpinistischesZiel, sondern auch ideologisch über-

    höht werden können, beweist die Geschichte des Al -pen vereins zwischen den beiden Weltkriegen. In die-ser Zeit waren Teile der alpinen Organisation natio-nalistisch, antisemitisch und ausgrenzend geprägt, waszum Beispiel dazu führte, dass jüdische Bergsteigerausgeschlossen wurden. Auch das Verhältnis zu ande-ren alpinen Vereinen wie den Naturfreunden wurdefür Jahrzehnte belastet. Aus Anlass des 150-Jahr-Jubi -läums des Österreichischen Alpenvereins (gegründet1862) widmet sich ein mehr als 600 Seiten umfassen-des Buch diesem dunklen Kapitel der Vereinsge schich -te. Das Jubiläum war ein willkommener Anlass, sichdiesen Dingen zu stellen, so Martin Achrainer, Histo -riker im Dienste des Alpenvereins sowie Mitheraus ge -ber und Autor des Werkes. »Wir haben mit dem Buchdie Vergangenheit offen gelegt. Es war wichtig zusagen, dass es keine Geheimnisse gibt, dass wir nichtsverstecken müssen, dass es Dinge gibt, die passiert sindund die wir aufgeklärt haben wollen.« Heute ist derÖsterreichische Alpenverein nicht nur der älteste, son-dern mit mehr als 400.000 Mitgliedern auch der größ-te Alpinverein Österreichs und eine wichtige Stimme,wenn es um den Naturschutz in den Bergen geht.

    BERG HEIL! Alpenverein undBergsteigen 1918 – 1945Herausge ge ben vom Deutschen Alpenverein, vomÖsterreichischen Alpenverein und vom Alpenverein Südtirol,Böhlau Verlag 2011

    DASS

    Am Anfang wurde dasUniversum erschaffen.Das machte viele Leutesehr wütend und wurdeallenthalben als Schrittin die falsche Richtungangesehen.

    Gesell, Reich, Senf

    Wenn man als jungerMensch so aussah wieein Hippie und sich einigermaßen selbst treugeblieben ist, sieht ma