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1 Depressionen in der Lebensspanne von Frauen Anke Rohde Gynäkologische Psychosomatik Universitätsfrauenklinik Bonn Geschlechtsspezifische Besonderheiten bei psychischen Störungen Häufigkeit, Symptomatik und Verlauf von: Schizophrenie Depressionen Angststörungen Somatisierungsstörungen Essstörungen Suchterkrankungen etc.

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Depressionen in der Lebensspanne von Frauen

Anke Rohde

Gynäkologische Psychosomatik Universitätsfrauenklinik Bonn

Geschlechtsspezifische Besonderheiten bei psychischen Störungen

Häufigkeit, Symptomatik und Verlauf von:

� Schizophrenie� Depressionen� Angststörungen� Somatisierungsstörungen� Essstörungen� Suchterkrankungen

� etc.

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Depression: Lebenszeitprävalenznach Alter und Geschlecht (US NCS)

0,000

0,002

0,004

0,006

0,008

0,010

0,012

0,014

0,016

männlich weiblich

0-4 5-9 10-14 15-19 20-2425-29 30-34 35-3940-44 45-4950-54Alterskategorie

Haz

ard

Rat

e

Kessler, et al. J Affect Disord. 1993;29:85-96

Geschlechtsunterschiede bei psychischen Störungen

� Biologische Unterschiede (ZNS, Transmittersystem)

� Hormonelle Einflüsse (Zyklus, Schwangerschaft, Wechseljahre)

� Soziobiographische Faktoren

� Unterschiedliche Wahrnehmung von Symptomen

� Unterschiedliches Inanspruchnahmeverhalten fürmedizinische Dienste

� Unterschiedliche Wirksamkeit psychopharmakologischerBehandlungen / unterschiedlicher Metabolismus

� ??

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Häufigkeiten - Relevanz

� Depressionen in der Schwangerschaft (1) 10 %

� Fehlgeburten 15 % d. SS

� Schwangerschaftsabbrüche (> 12 SSW) 14 % d. SS

� Pränataldiagnostische Interventionen (2) 11 % d. SS(500 – 1500 SS-Abbrüche / Jahr)

(1) Johanson(2) Häussler, IGES (2002)

Häufigkeiten - Relevanz

� Totgeburten (1) 0,5 – 1 % d. SS

� Depressionen post partum (2) 13,5 % p.p.

� Psychosen post partum 0,1 – 0,2 % p.p.

� Traumatisch erlebte Entbindungen (3) 1,5 – 2 % (PTSD)

� Ungewollte Kinderlosigkeit (4) 5 – 10 % der Paare

(1) Ditz (2001)(2) O‘Hara & Swain (1996)(3) Wijma et al. (1997)(4) Stauber (2000)

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Menstruationszyklus und psychisches Befinden

� Zyklische Veränderungen bei bestehenden psychischen Störungen (z.B. Depression, Panikstörung, Zwangserkrankung, Psychosen)

� Psychopathologische Symptome nur in speziellenZyklusphasen (z.B. prämenstruell = schweres prämenstruelles Syndrom, PMDS)

Prämenstruelles Syndrom

prämenstruell erlebte Veränderungen(somatisch / psychisch) ohne Krankheitswert

Prämenstruelle Dysphorische Störung (DSM-IV)

Prämenstruelles Syndrom

ca. 75 %

25 - 50 %

3 - 5 %

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Prämenstruelle Dysphorische Störung (DSM-IV)

� Ängstlichkeit, Anspannung

� Depressive Verstimmung

� Affektlabilität

� Wut / Reizbarkeit

� Interessenverlust

� Konzentrationsschwierigkeiten

� Lethargie / Ermüdbarkeit / Energieverlust

� Appetitveränderungen (z.B. Kohlehydrat-Craving)

� Hypersomnie oder Insomnie

� Subjektes Gefühl des Kontrollverlustes

� Körperliche Beschwerden (Brustspannung, Gelenkbeschwerden,

Wassereinlagerung etc.)

• >= 5 Symptome, mind. 1 Kernsymptom

• 2 Monate prospektive Selbstbeoachtung

• Soziale Beeinträchtigung

Zyklustagebuch

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PMS / PMDS - Therapie

Aufklärung / Psychoedukation

unspezifische Maßnahmen(Lebensweise, Sport, Ernährung etc.)

symptomatische Therapie(somatische Symptome)

antidepressive Therapie(z.B. SSRI)

Hormonelle Therapie

EinzelneSymptome

PMS

PMDS

Problem: PMDS Bisher keine anerkannte Diagnose (ICD-10)

Schwangerschaft

� Depression (unterschiedlicher Schweregrad, ca. 10 %)

� Wiederauftreten bzw. Verschlechterung einer vorbestehenden psychischen Störung (z.B. bipolare Störung oder Psychose, Angststörung, Zwangsstörung)

am ehesten nach Absetzen der vorbeugenden Medikation wegen der Schwangerschaft

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Schwangerschaft und Depressionen

� Ungewollte Schwangerschaften da keine ausreichende Kontrazeption

� Einsatz von Psychopharmaka in der Schwangerschaft und Stillzeit nach wie vor oftmals „verteufelt“, obwohl es mittlerweile differenzierte Leitlinien der Fachgesellschaften gibt.

� Mit der Folge abrupten Absetzens der vorbeugenden Medikation und Krankheitsrezidiv mit oft schweren Folgen für die betroffene Frau (z.B. mehrmonatige stationäre Aufenthalte)

Schwangerschaft und Depressionen

� Absetzen / Umstellung im Falle einer Schwangerschaft nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung

� Betreuung der Schwangerschaft als Risiko-Schwangerschaft

� Peripartales Management (Vorbereitung der Geburt, Rückfallprophylaxe)

Problem: Unsicherheit der Behandler, wenig qualifizi erte Anlaufstellen für betroffene Frauen

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� Baby blues

� Postpartale Depressionen

� Postpartale Psychosen

� Depressive Reaktionen bei Totgeburt

� Posttraumatische Belastungsstörung

� Zwangsstörung / Paniksstörung

Postpartale psychische Störungen

„klassische“ postpartale psychische Störungen

Postpartale psychische Störungen

Baby blues

� (postnatal blues, Heultage, Postpartum Reactivity 1))

� Affektive Labilität, grundloses Weinen, erhöhte Empfindlichkeit

� nach 50 - 70 % aller Entbindungen

� etwa 3.-5 Tag

� nicht pathologisch

� Folge der abrupten Hormonumstellung 2)

� nicht behandlungsbedürftig

1) z.B. Pitt 1973, Coix et al. 1986

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Postpartale psychische Störungen

Postpartale Depression

� Breites Spektrum depressiver Symptome

� Beginn: Wochen und Monate p.p.

� nach 10 - 15 % aller Entbindungen

� Depressive Verstimmung

� Schuldgefühle (z.B. wegen mangelnder Mutter-Kind-Gefühle)

� Minderwertigkeitsgefühle (“Versagen als Mutter”)� Ängstlichkeit / Panikattacken� Zwangsgedanken / -impulse (“Obsession of infanticide”)� Konzentrationsstörungen� Antriebsminderung� Innere Unruhe� Schlafstörungen� Appetitminderung� Körperliche Symptome� Suizidalität

Postpartale Depression

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Depressive Spirale

Suizidalität (cave: erweiterer Suizid)

Störung der Mutter-Kind-Bindung

Chronifizierung der Depression

Postpartale Depression

Problem: Frauen kommen oft erst spät oder gar nicht in Behandlung, da die Depression spät erkannt wird.

Posttraumatische Belastungsstörung

� nach 1 - 2 % der Entbindungen (10 x so häufig wie Psychosen)

� Vollbild einer PTSD

� Mit Intrusionen, Flashbacks, Vermeidungsverhalten, Reizbarkeit, Rückzug, Depressvität etc.

� Viel mehr “Subsyndrome”

Wijma et al. 1997Ayers & Pickering 2001

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Posttraumatische Belastungsstörung

� Auch ohne “objektiv” katastrophales Trauma

� Prädiktoren: Vortraumatisierung, bestimmtePersönlichkeitseigenschaften (hohes Kontrollbedürfnis), Wahrnehmung, Kaiserschnitt nach versuchter vaginaler Geburt

� Vermeidung nachfolgender Schwangerschaften, Reaktualisierung

� Therapie: Psychotherapie und / oder Antidepressiva

Wijma et al. 1997Ayers & Pickering 2001

Problem: Erkennung und Behandlung (wenig bekannt und in den Folgen oft nicht ernstgenommen)

Reaktive Depressionen (Anpassungsstörung)

Nach belastenden Lebensereignissen / Krisensituationen

� Fehlgeburt, Totgeburt, Frühgeburt

� Akuten Erkrankungen, Unfällen

� Diagnosemitteilung

� Verlusterfahrungen

� Gewalterfahrungen

Problem: In der Bedeutung für die zukünftige psychis che Stabilität oft nicht wahrgenommen,

kaum Behandlungsangebote

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Postpartale psychische Störungen

Therapie:

� Psychotherapie

(z.B. Supportive Therapie, Verhaltenstherapie)

� Psychopharmakotherapie

(Antidepressiva, ggf. auch Tranquilizer, Neuroleptika

� Austausch mit Betroffenen / Selbsthilfegruppe

(z.B. www.schatten-und-licht.de)

Problem: Kaum Mutter-Kind-Behandlungsplätze

Lebenserwartung und Menopause

(nach Lauritzen und Strecker 1989)

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Psychische SymptomeReizbarkeit

Depressive VerstimmungÄngstlichkeitAffektlabilität

InsuffizienzgefühleKonzentrationsstörungen

VergesslichkeitLibidoverlust

etc.

VegetativumHerzrasen

SchweißausbrücheSchlaflosigkeitKopfschmerzen

SchwindelMattigkeit

Energieverlustetc.

Organische VeränderungenAtrophie Urogenitalbereich

Veränderter HaarwuchsGewichtszunahme

Osteoporoseetc.

Spannungsfeld Menopause

� Erwartungen der Frau� Soziale Erwartungen� Individuelle Lebensumstände

� Sexualität� Abschied von der Fertilität� „Empty Nest“-Syndrom� Beziehungssituation / Partnerschaft� Beruf / Familie, Berufliche Neuorientierung� Rollenwechsel / Generationswechsel� Generationskonflikte� Jugendkultur� Kulturelle Besonderheiten� Enttäuschungen / nicht erfüllte Erwartungen / Resignation� Entscheidungen (z.B. Hormone ja/ nein)� ......

Adaptiert, nach Stotland (2002) Arch Womens Ment Health 5:5-8

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Perimenopause

� Depressive Verstimmung� Reizbarkeit� Ängstlichkeit� Stimmungslabilität� “Nervosität” / innere Unruhe � Energiemangel / Ermüdbarkeit� Schlafstörungen� Vergesslichkeit� Libidoverlust� Körperliche Symptome (z.B. Herzrasen,

Kopfschmerzen, Schwindel)

� Panikattacken (auch nachts, aus dem Schlaf heraus)

Depressionen in der Perimenopause

Einzelne depressive Symptome

Perimenopausales depressives Syndrom

Depressive Episode

Einige depressive Symptome (Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Affektlabilität, Energieverlust, Libidoverlust)

Depressive Episode mit typischen Symptomen (bis zur schweren melancholischen Depression)

Einzelne depressive Symptome

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Depressionen in der Perimenopause

Einzelne depressive Symptome

Perimenopausalesdepressives Syndrom

Depressive Episode

Hormontherapie (bei vasomotor. S.)

AntidepressivaPsychotherapie

Keine spezifische Therapie

Antidepressiva

Psychotherapie(+ ggf. Hormontherapie)

Problem: Wer ist der Behandler? Gynäkologe / Psycho loge / Psychiater? Unsicherheit bezüglich Hormonsubstitutio n

Fazit� Frauen sind vulnerabler für Depression verschiedenster Art

in unterschiedlichen Zusammenhängen

� Sind häufiger “live events” ausgesetzt, die den Beginn einerdepressiven Störung triggern können (“biopsychosozialesModell”)

� Die Behandlung einer Depression ist im Prinzip leicht, allerdings stehen in fast allen Zusammenhängen nurunzureichenden Behandlungskapazitäten bzw. –konzepte zurVerfügung, wie etwa: - problemfokussierte

- niedrigschwellig- Ultra-Kurzzeittherapien (z.B. ca. 5 Interventionen)- Spezialambulanzen