der funke der begeisterung muss überspringen!: ansprache des dpg-präsidenten

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Frühjahrstagung 47 Der scheidende DPG-Präsident Alexander M. Bradshaw appel- lierte an die Mit- glieder, das Jahr der Physik zum Er- folg zu führen. (Foto: Liebert) Prof. Dr. Alexander M. Bradshaw, Max- Planck-Institut für Plasmaphysik, 85748 Garching S ehr geehrter Herr Ministerprä- sident, sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Ihme, Magnifizenz, sehr geehrte Preisträ- ger, sehr geehrter Herr Professor Lebowitz, sehr geehrte Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Deutsche Physikalische Gesellschaft freut sich, zum ersten Mal mit ihrer Physikertagung in Dresden zu sein. Ihnen, Herr Bür- germeister möchte ich für die Gast- freundschaft in Ihrer Stadt danken, Ihnen, Herr Kollege Mehlhorn für die Bereitstellung der Räumlichkei- ten an der Technischen Universität und Ihnen, Herr Kollege Freiesle- ben, und Ihrer Mannschaft für die vorzügliche Organisation dieser Tagung. Diese Physikertagung ist sehr stark durch die Elementarteil- chen- und die Kernphysik geprägt, die eine gewisse Sonderstellung in der Dresdener Forschungsland- schaft genießen, weil abgesehen von der Humboldt-Universität diese Gebiete in den neuen Bundeslän- dern nicht so stark vertreten sind. Dresden ist bekanntlich eine Hoch- burg der Festkörperforschung und Materialwissenschaften, nicht nur wegen der Technischen Universität und mehrerer Institute der Max- Planck-Gesellschaft, der Leibniz- Gemeinschaft und der Fraunhofer- Gesellschaft, sondern auch wegen der Industrie. Dass Sie, Herr Minis- terpräsident, Herr Kollege Bieden- kopf, eine Ansprache auf unserer Festsitzung gehalten haben, freut uns besonders, da Sie als Politiker immer Ihre Verbindung zu Hoch- schule und Forschung aufrechter- halten haben. Sie sind heute zum dritten Mal ein sehr gern gesehener Gast auf einer Tagung unserer Gesellschaft. Die Entscheidung der Bundesmi- nisterin für Forschung und Techno- logie, Frau Edelgard Bulmahn, im Rahmen ihrer Initiative „Wissen- schaft im Dialog“ das Jahr 2000 zum Jahr der Physik zu erklären, hat der Physik in Deutschland eine einmalige Chance gegeben. Trotz knapper Ressourcen und der sehr kurzfristigen Zeitvorgabe hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft die Gelegenheit sofort wahrgenom- men. Nach der Auftaktveranstal- tung zum Thema Astrophysik und Astronomie in Berlin im Januar fol- gen nunmehr im Laufe dieses Jahres weitere Großveranstaltungen zur Elementarteilchen- und Kernphy- sik, zur Atom- und Molekülphysik, Quantenoptik und Plasmaphysik, sowie zur Physik der kondensierten Materie. Hinzu kommen derzeit über 150 Satellitenveranstaltungen, initiiert von Universitäten und an- deren Forschungseinrichtungen. Höhepunkt sind die Feierlichkeiten zu „100 Jahre Quantentheorie“ im Dezember in Berlin. Die Titel der Großveranstaltungen: Jenseits der Milchstraße, Reise zum Urknall, Gebändigtes Licht, Stein der Wei- sen sowie Entdeckung des Zufalls verraten, dass diese keine „norma- len“ Ereignisse wie Physikertagun- gen sind. Was wollen wir mit dem Jahr der Physik bezwecken? Im Sinne der britischen public understanding of science-Bewegung wollen wir in der Gesellschaft Ver- ständnis bzw. Akzeptanz für die Physik gewinnen sowie das Verste- hen der Physik fördern. Dies wird aber erst möglich sein, wenn wir demonstrieren können, dass die Physik eine aufregende und sehr le- bendige Sache ist. Den Funken der Begeisterung, die wir für die Physik empfinden, auch auf Menschen überspringen zu lassen, die sonst nichts mit Physik zu tun haben und ihr eventuell misstrauisch gegen- überstehen, ist eigentlich unsere Hauptaufgabe, zumal die aktuells- ten Gegenstände der physikalischen Forschung immer komplexer wer- den und die manchmal unvermeid- bare Spezialisierung rasant voran- schreitet. Erst nachdem wir unsere Bereitschaft gezeigt haben, mit al- len möglichen Mitteln die ersten Schritte in diesem Prozess zu unter- nehmen, ist eine Vertiefung des ge- wünschten Dialoges zwischen Wis- senschaft und Gesellschaft möglich. Die mehrjährige Initiative der Ministerin fängt mit der Physik an. Weitere Fachgebiete werden folgen; wir sind uns der Verantwortung be- wusst, dass wir hier die Richtung vorgeben. Liebe Mitglieder, ich bit- te Sie alles zu unternehmen, um das Jahr der Physik zu einem guten Er- folg zu machen. Ich möchte keinen Hehl daraus machen, dass uns beim Jahr der Physik die jungen Leute besonders am Herzen liegen. Bei den Anfän- gerzahlen im Fach Physik an den Universitäten scheint der drastische Rückgang der letzten Jahre zum Stillstand gekommen zu sein. Man hat also nunmehr die Talsohle er- reicht. Es gibt aber starke Unter- schiede von Universität zu Univer- sität: Gerade die Fachbereiche, die sich in den letzten Jahren viel Mühe gegeben haben, attraktive Veran- staltungen für junge Leute – satur- day morning physics ist ein gutes Beispiel – anzubieten, erfreuen sich zum Teil eines Zuwachs. In meiner letztjährigen Rede habe ich behaup- tet, dass der viel zitierte, Besorgnis erregende Rückgang der Studienan- fänger im Fach Physik hauptsäch- lich demographisch bestimmt ist: Die negative Entwicklung bei den Anfängerzahlen im vergangenen Jahrzehnt würde sich in etwa im Rückgang der Jahrgangszahlen der 20-Jährigen wiederspiegeln. Ich ha- be aber darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung eigentlich noch schlimmer hätte ausfallen können, wenn der Anteil der Studierenden eines Jahrgangs in den letzten Jah- ren nicht ständig gestiegen wäre, Der Funke der Begeisterung muss überspringen! Ansprache des DPG-Präsidenten Alexander M. Bradshaw Physikalische Blätter 56 (2000) Nr. 7/8 0031-9279/00/0707-47 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2000

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Page 1: Der Funke der Begeisterung muss überspringen!: Ansprache des DPG-Präsidenten

Frühjahrstagung

47

Der scheidendeDPG-PräsidentAlexander M.Bradshaw appel-lierte an die Mit-glieder, das Jahrder Physik zum Er-folg zu führen.(Foto: Liebert)

Prof. Dr. AlexanderM. Bradshaw, Max-Planck-Institut fürPlasmaphysik, 85748Garching

Sehr geehrter Herr Ministerprä-sident, sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Ihme,

Magnifizenz, sehr geehrte Preisträ-ger, sehr geehrter Herr ProfessorLebowitz, sehr geehrte Gäste,meine sehr verehrten Damen undHerren, die Deutsche PhysikalischeGesellschaft freut sich, zum erstenMal mit ihrer Physikertagung inDresden zu sein. Ihnen, Herr Bür-germeister möchte ich für die Gast-freundschaft in Ihrer Stadt danken,Ihnen, Herr Kollege Mehlhorn fürdie Bereitstellung der Räumlichkei-ten an der Technischen Universitätund Ihnen, Herr Kollege Freiesle-ben, und Ihrer Mannschaft für dievorzügliche Organisation dieserTagung. Diese Physikertagung istsehr stark durch die Elementarteil-chen- und die Kernphysik geprägt,die eine gewisse Sonderstellung inder Dresdener Forschungsland-schaft genießen, weil abgesehenvon der Humboldt-Universität dieseGebiete in den neuen Bundeslän-dern nicht so stark vertreten sind.Dresden ist bekanntlich eine Hoch-burg der Festkörperforschung undMaterialwissenschaften, nicht nurwegen der Technischen Universitätund mehrerer Institute der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft, sondern auch wegender Industrie. Dass Sie, Herr Minis-terpräsident, Herr Kollege Bieden-kopf, eine Ansprache auf unsererFestsitzung gehalten haben, freutuns besonders, da Sie als Politikerimmer Ihre Verbindung zu Hoch-schule und Forschung aufrechter-halten haben. Sie sind heute zumdritten Mal ein sehr gern gesehenerGast auf einer Tagung unsererGesellschaft.

Die Entscheidung der Bundesmi-nisterin für Forschung und Techno-logie, Frau Edelgard Bulmahn, imRahmen ihrer Initiative „Wissen-schaft im Dialog“ das Jahr 2000zum Jahr der Physik zu erklären,hat der Physik in Deutschland eineeinmalige Chance gegeben. Trotzknapper Ressourcen und der sehrkurzfristigen Zeitvorgabe hat dieDeutsche Physikalische Gesellschaft

die Gelegenheit sofort wahrgenom-men. Nach der Auftaktveranstal-tung zum Thema Astrophysik undAstronomie in Berlin im Januar fol-gen nunmehr im Laufe dieses Jahresweitere Großveranstaltungen zurElementarteilchen- und Kernphy-sik, zur Atom- und Molekülphysik,Quantenoptik und Plasmaphysik,sowie zur Physik der kondensiertenMaterie. Hinzu kommen derzeitüber 150 Satellitenveranstaltungen,initiiert von Universitäten und an-deren Forschungseinrichtungen.Höhepunkt sind die Feierlichkeitenzu „100 Jahre Quantentheorie“ imDezember in Berlin. Die Titel derGroßveranstaltungen: Jenseits derMilchstraße, Reise zum Urknall,Gebändigtes Licht, Stein der Wei-sen sowie Entdeckung des Zufallsverraten, dass diese keine „norma-len“ Ereignisse wie Physikertagun-gen sind. Was wollen wir mit demJahr der Physik bezwecken?

Im Sinne der britischen publicunderstanding of science-Bewegungwollen wir in der Gesellschaft Ver-ständnis bzw. Akzeptanz für diePhysik gewinnen sowie das Verste-hen der Physik fördern. Dies wirdaber erst möglich sein, wenn wirdemonstrieren können, dass diePhysik eine aufregende und sehr le-bendige Sache ist. Den Funken derBegeisterung, die wir für die Physikempfinden, auch auf Menschenüberspringen zu lassen, die sonstnichts mit Physik zu tun haben undihr eventuell misstrauisch gegen-überstehen, ist eigentlich unsereHauptaufgabe, zumal die aktuells-ten Gegenstände der physikalischenForschung immer komplexer wer-den und die manchmal unvermeid-bare Spezialisierung rasant voran-schreitet. Erst nachdem wir unsereBereitschaft gezeigt haben, mit al-len möglichen Mitteln die erstenSchritte in diesem Prozess zu unter-nehmen, ist eine Vertiefung des ge-wünschten Dialoges zwischen Wis-senschaft und Gesellschaft möglich.

Die mehrjährige Initiative derMinisterin fängt mit der Physik an.Weitere Fachgebiete werden folgen;wir sind uns der Verantwortung be-wusst, dass wir hier die Richtung

vorgeben. Liebe Mitglieder, ich bit-te Sie alles zu unternehmen, um dasJahr der Physik zu einem guten Er-folg zu machen.

Ich möchte keinen Hehl darausmachen, dass uns beim Jahr derPhysik die jungen Leute besondersam Herzen liegen. Bei den Anfän-gerzahlen im Fach Physik an denUniversitäten scheint der drastische

Rückgang der letzten Jahre zumStillstand gekommen zu sein. Manhat also nunmehr die Talsohle er-reicht. Es gibt aber starke Unter-schiede von Universität zu Univer-sität: Gerade die Fachbereiche, diesich in den letzten Jahren viel Mühegegeben haben, attraktive Veran-staltungen für junge Leute – satur-day morning physics ist ein gutesBeispiel – anzubieten, erfreuen sichzum Teil eines Zuwachs. In meinerletztjährigen Rede habe ich behaup-tet, dass der viel zitierte, Besorgniserregende Rückgang der Studienan-fänger im Fach Physik hauptsäch-lich demographisch bestimmt ist:Die negative Entwicklung bei denAnfängerzahlen im vergangenenJahrzehnt würde sich in etwa imRückgang der Jahrgangszahlen der20-Jährigen wiederspiegeln. Ich ha-be aber darauf hingewiesen, dassdiese Entwicklung eigentlich nochschlimmer hätte ausfallen können,wenn der Anteil der Studierendeneines Jahrgangs in den letzten Jah-ren nicht ständig gestiegen wäre,

Der Funke der Begeisterung muss überspringen!

Ansprache des DPG-Präsidenten

Alexander M. Bradshaw

Physikalische Blätter56 (2000) Nr. 7/80031-9279/00/0707-47$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 2000

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1) vgl. Phys. Bl., Juni2000, S. 21

dass sich aber andere Fächer, wiez. B. Betriebswirtschaft und Juris-prudenz, trotz der ungünstigen Gesamtwetterlage eines erheblichhöheren und noch weiter ansteigen-den Zulaufs erfreuen. Die wahre Situation ist leider schlimmer: Diederzeit hohe Zahl von Physikstu-denten, die später gar nicht in derVordiplomstatistik auftauchen, lässtvermuten, dass das Fach Physik zu-nehmend als so genanntes Parkstu-dium ausgewählt wird. Der wahreRückgang der „echten“ Physikstu-denten ist also an der Zahl der Vor-diplomprüfungen zu messen, die inden 80er Jahren bei etwa 3500 proJahr lag, Anfang der 90er JahreSpitzenwerte von weit über 4000erreichte und jetzt weniger als 1500beträgt. Die weitere Entwicklung istvorauszusehen: Im Jahr 2002 wer-den wir nur noch 1300 Diplomab-solventen haben und 2006 wird esnur noch ca. 500 Promotionen – al-so nur noch ein Drittel des jetzigenStandes – geben.

Man könnte vielleicht halbernstdie Frage stellen, ob Physiker sogarnicht bald eine bedrohte Spezieswerden. Das bereits herausragendeAngebot für Physiker auf dem Stel-lenmarkt kann in den nächsten Jah-ren nur noch besser werden. Aberdie möglichen Folgen für das High-tech Industrieland Deutschlandsind nicht zu übersehen, zumal derBedarf an jungen Physikern nichtnur in der physikorientierten Indu-strie, sondern auch in anderenSparten wie Softwareentwicklung,Managementberatung und Finanz-wesen sehr stark ist. Der BundDeutscher Arbeitgeber (BDA) hatzum Beispiel vor kurzem festge-stellt: „Mehr denn je wird die Wirt-schaft der Zukunft in den hoch in-dustrialisierten Ländern der Welteine wissenschaftsgestützte Wirt-schaft sein. Daher kommt der Ma-thematik, der Naturwissenschaft,der Technik und Informatik eineherausragende Bedeutung zu.Tatsächlich aber verzeichnen dieseZukunftsbranchen in Deutschlandeinen Mangel an Fach- undFührungskräften und die Hoch-schulen zu geringe Studierenden-zahlen in den betreffendenFächern.“

Genau wie in der Erklärung derzehn Fachgesellschaften – darunterder DPG – vom Juli 1998 fordernnunmehr die Arbeitgeber die Kul-tusminister der Länder dringendauf, die Stärkung der mathema-tisch-naturwissenschaftlichen

Fächer zur gemeinsamen Sache zumachen. Zusätzlich wird vorge-schlagen, mathematisch-naturwis-senschaftliche Leistungszentren aneinzelnen Gymnasien einzurichten,die als „Leuchttürme“ mit weiterAusstrahlung dienen könnten. Wirkönnen nur hoffen, dass dieser Vor-stoß mehr Gehör findet als unsereAktion vor zwei Jahren.

Das Jahr der Physik soll ins-besondere auch junge Frauenansprechen.

Denn das Problem liegt bekannt-lich in der Schule. Da die Begeiste-rung für die Physik offensichtlichschwer zu vermitteln ist, bleibt dieZahl der Schüler, die Physik alsLeistungsfach wählen, relativ ge-ring. Der durchschnittliche Beliebt-heitswert der Leistungskurse Physikund Chemie in der Bundesrepublikliegt laut einer Studie des BDA bei10,7 % bzw. bei 9,2 % eines Alters-jahrganges, im Vergleich zum viel-leicht erwartungsgemäß höherenWert von 30 % bei der Mathematik.Allerdings liegt die Zahl für denLeistungskurs Biologie bei 33 %.Aber die Beliebtheit der Physik –zumindest gemessen an der Bele-gung von Leistungskursen – variiertsehr stark von Bundesland zu Bun-desland, wie eine Studie von HerrnProfessor Michael Vollmer vomDPG-Fachverband „Didaktik derPhysik“, zeigt1). Spitzenreiter istSachsen-Anhalt mit 25 %, die neuenBundesländer schneiden fast alleüberdurchschnittlich ab, ebenfallsRheinland-Pfalz, aber Schlusslich-ter sind Nordrhein-Westfalen undBremen mit peinlichen 7 %! DieseUnterschiede sind zu groß, umnicht fragen zu müssen, welcheGründe dafür vorliegen.

Die Frage steht also im Raum:Werden unsere Bemühungen imJahr der Physik und in den weiterenJahren der Initiative „Wissenschaftim Dialog“ zu dem Ergebnis führen,dass sich mehr junge Leute nichtnur für die Physik und die anderennaturwissenschaftlichen Fächer in-teressieren, sondern sie dann auchals Leistungskurs und schließlichals Studienfach wählen? Wir kön-nen es nur hoffen.

Das Jahr der Physik soll insbe-sondere aber auch junge Frauen an-sprechen. Wir wissen von derTIMS-Studie und von weiteren Un-tersuchungen, dass das Interesseder Mädchen für Physik im Laufeder Schulzeit rapide abnimmt, rapi-

der als bei den Jungen und beson-ders schnell im internationalen Ver-gleich. Das Ergebnis: Im Bundes-durchschnitt gibt es nur 13 % Studi-enanfängerinnen. Vor kurzem hatmich jedoch eine interessanteNachricht des Arbeitkreises Chan-cengleichheit der DPG erreicht. Ei-nen Aufwärtstrend gibt es aus derTechnischen Universität Darmstadtzu berichten. Hier ist die Anzahlder Frauen unter den Studienanfän-gern in den natur- und ingenieur-wissenschaftlichen Fächern deutlichangestiegen. Im Wintersemester1995/96 betrug der Anteil der Frau-en für das Studienfach Physik ander TU Darmstadt 15 %, in diesemWintersemester liegt er bei 25 %!Dies wird auf die vielfältigenBemühungen der Universität undder Fachbereiche zurückgeführt.Schnuppertage für Schülerinnen,Unterrichtsveranstaltungen vonStudentinnen der natur- und inge-nieurwissenschaftlichen Disziplinenin Darmstädter Schulen und natür-lich auch die preisgekrönte Darm-städter saturday morning physics-Veranstaltung zeigen offenbar ihreWirkung.

Mein zweites Thema ist die Ein-führung von Bachelor- and Master-graden. Anfang des Jahres hat derWissenschaftsrat sehr weitgehendeVorschläge für die Neuordnung derStudiengänge an deutschen Hoch-schulen unterbreitet. Ihnen istgroße Bedeutung beizumessen. InZukunft sollen Studiengänge zwei-stufig sein: Einem dreijährigen Ba-chelorstudium sollte ein zweijähri-ges Masterstudium folgen. Mankönnte fragen, worin denn der Un-terschied zwischen einem künftigenPhysik-Master und dem jetzigenPhysik-Diplom bestünde, wenn dieRegelstudienzeit nach wie vor fünfJahre beträgt und der Mastergradebenfalls eine einjährige „Diplom-arbeit“ beinhaltet. Der Unterschiedbesteht darin, dass nur Studenten,die ihr Bachelorstudium mit hohenPrädikaten abschließen, zum an-schließenden Masterstudium zuge-lassen werden sollen.

Die Befürworter dieser Studien-reform hoffen nicht nur auf einebessere Anpassung an das angel-sächsiche System, sondern auch aufeine deutliche Reduzierung derdurchschnittlichen Studiendauer.Angeblich wird das deutsche Di-plom in dem zweistufigen angel-sächsischen System häufig nur alserster Abschluss und damit nichthöher als der Bachelorgrad aner-

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kannt. Überhaupt seien deutscheStudiengänge im internationalenVergleich viel zu lang. Es käme hin-zu, dass das angelsächsische Systemim Vormarsch ist: In den neuen De-mokratien in Mittel- und Osteuro-pa, zum Beispiel, wählt man nichtdas deutsche Vorbild. Die Konfe-renz der Fachbereiche Physik (KFP)hat in ihrer ersten Stellungnahmezu Master- und Bachelor-Studien-gängen zu Recht betont, dass sichdas Diplom im Fach Physik bewährthat und dass die Absolventen vonder Industrie, Wirtschaft und For-schung gerne aufgenommen wer-den. Um den internationalen Ver-gleich zu ermöglichen, empfahl dieKFP, zusammen mit dem deutschenDiplomzeugnis ein englischsprachi-ges Diplomzeugnis auszustellen, indem die Dauer des Studiums unddie Inhalte im Detail dokumentiertwerden. Andererseits hielt es dieKFP nicht für sinnvoll, für das FachPhysik einen berufsqualifizierendenAbschluss Bachelor nach sechs odersieben Semestern an Universitäteneinzuführen und damit eventuelldie sehr bewährte Vordiplom-Prüf-ling abzuschaffen, obwohl sie zurKenntnis nahm, dass in Modellver-suchen der Bachlor bereits angebo-ten wird. Die Deutsche Physikali-sche Gesellschaft ist nach wie vorder Meinung, dass das deutschePhysik-Diplom mit fünfjähriger Re-gelstudienzeit einschließlich ein-jähriger Diplomarbeit der berufs-qualifizierende Abschluss bleibensoll. Allerdings können wir – someine ich – etwas Flexibilität zei-gen, indem das Diplom in Zukunftals Mastergrad bezeichnet wird,nachdem die notwendige Auf-klärungsarbeit über diese Na-mensänderung vorausgegangen ist.

Das Diplom sollte in Zukunftals Mastergrad bezeichnetwerden.

Das Thema Bachelor ist sowohlfür die DPG als auch für die KFPetwas schwieriger. Das Studium biszum Diplom/Masters erfordertzehn Semester Regelstudienzeit.Für das Fach Physik wurde dieseStudiendauer sorgfältig und in Ab-sprache mit der Industrie ermittelt.Ob die Industrie Bachelor in derPhysik verlangt oder wünscht, musssie uns verlässlich mitteilen. Es wä-re eine fatale Situation, wenn nachder Einführung eines solchen zwei-stufigen Systems viele Bachelor-Absolventen anschließend keine

Stellen finden und aufgrund derNotenhürde die Zulassung zum Ma-sterstudium dann auch nicht schaf-fen. Aber auch hier könnte manvielleicht etwas Flexibilität zeigen,indem man die Latte für die Fort-setzung des Studiums nicht allzuhoch legt, zumindest nicht am An-fang. Einen Bachelor-Grad rundumabzulehnen bzw. ihn nur als Be-scheinigung für ein eventuelles Aus-landsstudium zu benutzen, ent-spricht nicht – so meine ich – demZeitgeist: Nach so vielen JahrenDiskussion um kürzere Studienzei-ten verlangt die Politik nunmehrTaten, zumal das steigende Durch-schnittsalter der Bevölkerung undder immer noch steigende Prozent-satz der Studierenden eines Jahr-ganges nicht genug Arbeitspotenzialhervorbringen und damit eine Kür-zung der Studienzeiten verlangen.Ich erinnere mich an die Worte desVorsitzenden des Wissenschaftrates,Herrn Professor Winfried Schulze,anlässlich eines Pressegesprächesim Januar, ein Studium für 30 % ei-nes Jahrganges könne nicht so ge-staltet werden wie früher für 5 %.

Es gibt auch noch einen weiterenGrund, warum wir über die Ein-führung solcher anglo-amerikani-scher akademischer Grade, ja sogarüber die Benutzung von Englischals Unterrichtssprache nachdenkensollten. Mein Kollege ProfessorMax Huber aus Bonn, Vizepräsi-dent des DAAD und Bundesbeauf-tragter für das internationale Hoch-schulmarketing, hat vor kurzemdarauf aufmerksam gemacht, dasssich in den letzten Jahren ein globa-ler Bildungsmarkt mit etwa 1,5 Mil-lionen mobilen Studierenden ent-wickelt hat und dass es sich dabeium einen wissenschaftlich, ökono-misch und vor allem politisch be-deutsamen Dienstleistungsmarkthandelt. Hier kommt etwas zurSprache, was manche Leute im Zu-sammenhang mit den Begriffen Bil-dung und Ausbildung gar nichthören wollen. So Huber weiter:„Gegenwärtig wird dieser Marktvon den angelsächsischen Länderndominiert ... Die BundesrepublikDeutschland spielt dabei eine eherbescheidene Rolle. In wenigen Jah-ren werden die im Ausland geschul-ten Führungskräfte der meistenEntwicklungs- und Schwellenländerweitgehend durch eine Ausbildungin den angelsächsischen Länderngeprägt sein. Auf diese Weise entge-hen unserem Land wichtige außen-politische, kulturpolitische und

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wirtschaftspolitische Einflussmög-lichkeiten. Es liegt darum in unse-rem Interesse, die Position der Bun-desrepublik auf dem globalen Bil-dungsmarkt zu stärken.“ „Qualifiedin Germany – eine Initiative für das21. Jahrhundert“ wurde von demBundesbeauftragten gestartet, umPolitik, Wissenschaft und Wirt-schaft zu animieren, gemeinsam aufdieses Ziel hinzuarbeiten. Ich glau-be, dass dies auch die Unterstüzungder Deutschen Physikalischen Ge-sellschaft verdient.

„Physical Review Letters“braucht dringend Konkurrenz.

Ich komme nun zu meinem drit-ten und letzten Thema: zum Publi-kationswesen in der Physik.Zunächst möchte ich berichten,dass die gemeinsam von der Deut-schen Physikalischen Gesellschaftund der britischen Schwestergesell-schaft Institute of Physics herausge-gebene voll elektronische Zeit-schrift „New Journal of Physics“nunmehr seit 15 Monaten zugäng-lich ist. Sie gilt als Erfolg: Bis jetztsind 27 Artikel erschienen und dieAblehnungsquote liegt – wie es sichfür ein Prestige-Journal gehört – bei61 %. Inzwischen wird das Journalvon weiteren nationalen Physikali-schen Gesellschaften durch ihrenBeitritt als Associates unterstützt.Jedoch sind wir nicht ganz zufrie-den, da die Zahl der bis jetzt einge-reichten Manuskripte noch etwashinter den Erwartungen zurück-liegt. Ich möchte an alle meineanwesenden Kollgen appellieren,ihre besten Arbeiten in Zukunft an„New Journal of Physics“ zuschicken. „Physical Review Letters“braucht dringend Konkurrenz, nuram Anfang ist es schwierig, den ge-wohnten Kreislauf zu durchbre-chen: Viele klagen über die Hege-monie dieser Zeitschrift, sind aberschwer dazu zu bewegen, ihre her-ausragenden Arbeiten woanderseinzureichen. Manche jungen Kolle-gen sagen mir, sie können in „NewJournal of Physics“ nicht publizie-ren, weil der Artikel angeblich vonder Konkurrenz nicht wahrgenom-men und damit auch nicht zitiertwird. Mit gegenwärtig 176 Zugriffenauf Artikel und 260 auf die Table ofContents sowie 161 Down-loadskompletter Artikel pro Tag sehe ichdies nicht unbedingt ein, habe je-doch Verständnis für diese Sorgen.

Nach wie vor gibt es leider einenormes Gefälle bei den Preisen für

wissenschaftliche Zeitschriften. ImJahr 1999 hat die Bibliothek derUniversität Wisconsin-Madison eineStudie zum Kosten-Nutzen-Verhält-nis (cost-effectiveness) von Physik-zeitschriften durchgeführt. Sie be-ruhte auf einer früheren Studie desinzwischen verstorbenen Madison-Physikprofessors Henry Barschall.Barschall hatte 1988 die Ergebnisseseiner Studie in „Physics today“ ver-öffentlicht, die dann vom AmericanInstitute of Physics sowie von derAmerican Physical Society für Wer-bezwecke benutzt wurden. Derkommerzielle Verlag Gordon &Breach ist daraufhin gegen das AIPund die APS in den USA und indrei europäischen Ländern gericht-lich vorgegangen. Allerdings weitge-hend ohne Erfolg, nur in Frankreichhat Gordon & Breach in erster In-stanz Recht bekommen. Wie Bar-schall benutzt auch die neue Studiezwei Indikatoren für das Kosten-Nutzen-Verhältnis, nämlich denPreis pro 1000 Schriftzeichen sowieden Preis normiert durch den Im-pact-Faktor der Zeitschrift. Der er-ste Indikator, also der Preis per1000 Schriftzeichen, variierte imJahr 1998 auf der Grundlage von 93Physikzeitschriften um den Faktor36! Der zweite Indikator – der Preisnormiert durch Impact-Faktor – va-riierte um den Faktor 910!! Dabeisind die nicht auf Gewinn ausgeleg-ten Zeitschriften der Fachgesell-schaften wesentlich kosteneffektiverals die kommerziellen Zeitschriften.Barschall hatte zehn Jahre früherähnliche Ergebnisse herausgefun-den. Bewusst ziehe ich aus diesenZahlen keine weiteren Schlussfolge-rungen, die über diejenigen der Ma-dison-Studie selbst hinausgehen, ummögliche gerichtliche Verwicklun-gen für die DPG zu vermeiden!

Zu der Erkenntnis, dass das wis-senschaftliche Publikationswesen inerster Linie eine Sache der Fachge-sellschaften sein soll, kam die Deut-sche Physikalische Gesellschaft be-reits vor einiger Zeit. Wie Sie imletzten Jahr in den PhysikalischenBlättern lesen konnten, haben wirdies in einer gemeinsamen Er-klärung mit unseren britischen undfranzösischen Kollegen betont. Ichfreue mich besonders, dass wir indiesem Punkt nunmehr mit derfranzösischen Gesellschaft einigsind und dass wir mit ihr über eineMitwirkung bei „New Journal ofPhysics“ reden.

Die Physikalischen Blätter bildengewiss den Mittelpunkt im Leben

unserer Gesellschaft. Daher ist esangebracht, hier nunmehr anzukün-digen, dass sich wichtige Änderun-gen abzeichnen. Die PhysikalischenBlätter werden vom Physik-Verlag –einer gemeinsamen Tochtergesell-schaft der Deutschen Physikali-schen Gesellschaft mit 48 % unddem hauptsächlich auf dem Gebietder Chemie tätigen amerikanischenVerlag Wiley-VCH mit 52 % desStammkapitals – verlegt. Die Impli-kationen sind eindeutig: Die DPG,mit 31 000 Mitgliedern die größteGesellschaft für Physik in Europa,ist nicht einmal im Besitz ihrereigenen Mitgliederzeitschrift! Eskommt hinzu, dass aus der Sichtder DPG die bestehenden finanziel-len Regelungen über die Herstel-lung der Zeitschrift nicht geradegünstig sind. Die DPG hat daherEnde 1999 die Verträge mit Wiley-VCH gekündigt und bereits frühereine Ausschreibung über eine neueMitgliederzeitschrift mit dem Na-men „Physik aktuell“ in die Wegegeleitet. Da die Titelrechte an denPhysikalischen Blättern effektivWiley-VCH gehören, ist eine Na-mensänderung unumgänglich. Ent-sprechende Verlagsverhandlungenstehen kurz vor dem Abschluss.Viele Mitglieder werden sicherlichdem alten Namen nachtrauern.Trotzdem bin ich sicher, dass sichnach wenigen Monaten der neueName gut eingeführt haben wird,zumal in letzter Zeit mehrere jünge-re Mitglieder den ausdrücklichenWunsch nach einem etwas zeit-gemäßeren Namen für ihre Mitglie-derzeitschrift geäußert haben.

Die neue Zeitschrift soll ab Janu-ar 2002 die Physikalischen Blätterersetzen. Ich möchte allen danken,die an dieser schweren Geburt –oder besser Wiedergeburt – beteiligtwaren, aber vor allem unseremHauptgeschäftsführer Herrn Dr.Volker Häselbarth, der die Haupt-last der verschiedenen Krisen indieser Angelegenheit getragen hat.

Meine Amtszeit als Präsidentgeht in wenigen Tagen zu Ende. Ichmöchte mich bei dieser Gelegenheitbei allen Kollegen, beim Vorstandund beim Vorstandsrat sowie beiden Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern der Geschäftsstelle für ihreUnterstützung und Nachsicht be-danken. Ich wünsche meinemNachfolger Herrn Basting allesGute zu seinem Amtsantritt undeine erfolgreiche Präsidentschaft.Uns allen wünsche ich ein erfolgrei-ches Jahr der Physik.