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Arno Rolf / Arno Sagawe Des Googles Kern und andere Spinnennetze Die Architektur der digitalen Gesellschaft UVK Verlagsgesellschaft Konstanz · München

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Arno Rolf / Arno Sagawe

Des Googles Kern und andere Spinnennetze

Die Architektur der digitalen Gesellschaft

UVK Verlagsgesellschaft Konstanz · München

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Inhalt

Einstieg ........................................................................................................................................9 Worum es in diesem Buch geht ................................................................................... 12 Der Homo oeconomicus, unser Schattenmann ................................................... 16

Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt – die digitale Transformation der "alten" Ökonomie nimmt Fahrt auf ......... 17 

1. Eine mächtige Innovationswelle mit PC und Internet rollt auf die Lebenswelt zu ...................................................................................................................... 17 Wer hat die Kontrolle über die Werkzeuge? ∙ Die neue Unterneh‐

mens‐Architektur im Schatten von Outsourcing, Sozial‐ und

Künstlerkritik ∙ Ein Vergelt‘s Gott für das Abschöpfen von

Innovationen ∙ Von Cloudworking und Clickworkern ∙ Taylors

Fußabdruck lebt weiter

2. Smartphones und Apps, die neuen „Partner“ für alle Lebenslagen ........... 44Der Weg zum Smartphone als ständigem „Partner“ ∙ Apps als

Fenster zur Welt des Internets ∙ „Mobile work“ – ein weiterer

Arbeitsort im Angebot ∙ Informatisierung der „unnötigen Dinge“ ∙

Laptops und Smartphones im Kontor der vorindustriellen Zeit ‒

eine Träumerei

Teil II. Die „neue“ digitale Ökonomie – von Spinnennetzen und Über-lebensstrategien .................................................................................................................. 55 

Zum Beispiel Amazon ∙ Amazons Arbeitspolitik ∙ Es regt sich 

was im klassischen Buchhandel ∙ Die digitale Transformation im 

Einzelhandel ∙ Des Googles Kern ∙ Googles Arbeitspolitik ∙ Ist 

die Welt nun eine Google? ∙ Der vergiftete Trunk der Sharing 

Economy ∙ Auf der Warteliste der Spinnennetze: Banken und 

Sparkassen ∙ Appsichern mit „Versicherungen‐to‐go“ ∙ Ein 

Spinnennetz für Hotelbetten ∙ Das „Wesentliche“ der digitalen 

Ökonomie ∙ Das Wesen von digitalen Spinnennetzen ∙ 

„(Alb)traumhafte“ Wechselwirkungen erlauben Big Data ∙ Hat 

der Homo oeconomicus ausgedient? ∙ Werte und Diskurse ‒ der 

alteuropäische Kitsch von gestern ∙ Überlebensstrategien für die 

„alte“ Ökonomie 

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Inhalt

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Teil III. Die smarte Transformation ........................................................................... 129 

1. Mit dem Internet der Dinge zur Smart Factory ...................................................129Das Großprojekt „Internet der Dinge“ – Rechner sind allgegen‐

wärtig und unsichtbar ∙ Smart Factory, Industrie 4.0, Cyber‐

physische Produktionssysteme – Neue Leitbilder werden 

gepusht ∙ Die Nörgelei nimmt kein Ende ∙ Alte Träume werden 

wahr? ∙ Der Kampf gegen Silicon Valley und um neue 

Spinnennetze kann beginnen? ∙ Illusionen sterben zuletzt oder 

gar nicht ∙ Geht es auch überschaubar und sozialverträglich? ‒ 

das Beispiel Hamburger Bücherhallen 

2. Smartes Leben in der smarten City ..........................................................................149Das neue Leitbild Smart City rollt auf die Städte zu ∙ Die Smart‐

City‐Planer erweisen dem Homo oeconomicus ihre Referenz ∙  

Es geht auch anders: Kritik und Alternativen ∙ Smarter Alltag in 

der Kritik 

Teil IV. Digitale Transformation und stabile Gesellschaften – ist das vereinbar? ............................................................................................................................ 163 

1. Die Zukunft der Vermögenden, der Mittelschicht und der Habenichtse165Die Zukunft der Arbeit oder die Casting‐Show der IBM ∙

Digitale Arbeitsmärkte – welche Berufe verschwinden und wer

macht den Reibach?

2. Zukunftspfade und Sackgassen .................................................................................178Keynes Traum von 1929 ∙ Das bedingungslose Grundeinkom‐

men, ein Ausweg? ∙ Vom Fabrikjungen mit dem Bindfaden zur

Automatisierungsdividende ∙ Urban Manufacturing – der

Stadtteil ist unsere Fabrik? ∙ Der Trunk der Sharing Economy,

den man probieren sollte ∙ Die Vision von Jeremy Rifkin:

Entmachtung der Spinnennetze? ∙ Rauschende Feste im Pent‐

house? ∙ Zeitdiebe beschäftigen uns – ein denkbarer Lauf der

Dinge ∙ Wie lässt sich die Notwendigkeit der digitalen Trans‐

formation verankern? ∙ Orientierungspunkte zwischen

Pessimismus und Optimismus ∙ Nationale und europäische

Reaktionen ∙ Start‐ups, Querdenker und Weltverbesserer im

Schatten der Spinnennetze ∙ Und wo bleibt die Umwelt?

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Teil V. Orientierung in digitalen Welten ............................................................... 231 

1. Ökonomie 2.0, wo ist sie? ............................................................................................. 233Einige volkswirtschaftliche Binsenweisheiten und Thomas  

Pikettys Schlussfolgerungen ∙ Schachspielen im „grenzenlosen 

Netz der Freiheit“ ∙ Die internationale Ökonomie im Dschungel‐

camp 

2. „Nebenfolgen“ und Wechselwirkungen ................................................................ 2473. Ein Architekturmodell der digitalen Transformation ........................... 253

Die Grundmauern des Mikropolis‐Modells ∙ Die Plattform‐

Ökonomie der Spinnennetze ∙ Versprechen eingelöst? .................. 266 

Personen- und Sachverzeichnis................................................................................. 269

Anmerkungen .................................................................................................................... 275

Hinweis 

Die Abbildungen finden Sie auch als Download unter 

http://www.uvk‐lucius.de/kern 

Inhalt

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Einstieg

Wie konnte  sich aus kalifornischen Computerfreaks, Querdenkern 

und  Weltverbesserern  eine  informationstechnische  Macht  entwi‐

ckeln, die dabei  ist, die globale Ökonomie  für  sich  zu okkupieren 

und Grundrechte global außer Kraft zu  setzen? Unsere Bewunde‐

rung  für  Tüftler wie  Steve  Jobs  oder Marc Zuckerberg  ist  riesen‐

groß. Sie  tummelten sich einmal zwischen Garage und Universität 

und sind heute nah dran, die Herrscher einer „neuen“ Ökonomie zu 

werden. Sie sind das Leitbild für die jüngere Generation, aber auch 

Politiker träumen von Imitaten für ihre Staaten. Google & Co. bean‐

spruchen  für  sich, unsere Daten  sammeln und  nutzen  zu dürfen, 

ohne uns zu beteiligen oder offenzulegen, wie sie uns an die Leine 

legen,  damit wir  nach  ihren  ökonomischen  Bedürfnissen  tanzen. 

Selbst Regierungen, mit Ausnahme der NSA, sind nicht mehr in der 

Lage, sie zu domestizieren. Sie haben aus dem Netz mit  ihren Ge‐

schäftsmodellen  Spinnennetze  gemacht. Unser Aktionsradius wird 

zunehmend von  ihren Spinnennetzen bestimmt. Wettbewerb wird 

ausgeschaltet,  es  darf  nur  einen  Gewinner  geben.  Kompromisse 

sind  in  ihren Augen Demütigungen und Niederlagen. All das ge‐

schieht mit einer ungeheuren Geschwindigkeit. Weder notwendige 

gesellschaftliche  Debatten  noch  politische  Regulierungen  können 

damit Schritt halten.  

Mit dieser Gemengelage wird sich das vorliegende Buch beschäf‐

tigen und das Wesen und das Wesentliche der digitalen Transfor‐

mation verständlich machen. 

Die digitale Transformation ‒ der unaufhaltsame Übergang von der 

analogen  in  die  durch  Computer  und  Internet  geprägte Welt  ‒ 

zwingt viele ökonomische wie gesellschaftliche Bereiche dazu, sich 

anzupassen  oder  sich  ganz  neu  zu  erfinden,  sofern  sie  überleben 

wollen.  Auffällige  Erscheinung  dieser  Verschmelzung  von  realer 

und digitaler Welt: Nicht nur die Internetgeneration, auch die älte‐

ren  Semester  haben  ihre  Smartphones, Laptops, Tablets  oder PCs 

immer dabei,  sie  füllen  ihre Freizeit damit  aus und  schleppen  sie 

mit ins Büro, wo die digitalen Objekte Teil der Arbeitsplatzausstat‐

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Einstieg

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tung  geworden  sind.  Dabei  ist  die  Internetgeneration  oft  beides: 

Nutzer und Entwickler von Innovationen. 

In Forschung und Entwicklung werden vor allem  Informatiker, 

die als die „Ingenieure“ dieser Veränderungsprozesse gelten, durch 

großzügige nationale und  europaweite Forschungsprogramme ge‐

fördert, damit Deutschland und Europa im Wettbewerb mit Silicon 

Valley  nicht weiter  zurückfallen.  Im Gegensatz  dazu werden  die 

„Nebenfolgen“ der digitalen Transformation für Arbeitsmärkte, Kul‐

tur, Politik, Umwelt und Datenschutz eher als „Restposten“ in den 

Wissenschaften behandelt. 

So  haben  beispielsweise  die  deutschen  Informatikfakultäten 

sämtliche,  seit den  1980er  Jahren  bestehenden Lehrstühle  für  „In‐

formatik  &  Gesellschaft“  abgeschafft.  Bei  den  jüngeren  Kollegen 

dürfte  selbst  der  Name  Joseph  Weizenbaum,  einer  der  frühen 

deutsch‐amerikanischen  Pioniere  der  Künstlichen  Intelligenz  und 

spätere  differenzierte  Kritiker  einer  Gesellschaft,  die  Computer 

nutzt ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen „Nebenfolgen“, 

kaum noch bekannt sein.  

Und die anderen Disziplinen? Die Betriebswirtschaftslehre inter‐

essiert sich vor allem für E‐Commerce, Online‐Marketing und inter‐

aktive Wertschöpfung, was  vor  allem meint, wie  aus  der Masse 

der Nutzer  ‒  der  Crowd  ‒  kostenlos  Innovationen  abgeschöpft 

werden  können.  In  den  Sozialwissenschaften  und  in  der Volks‐

wirtschaftslehre nehmen nur wenige Wissenschaftler die Heraus‐

forderung  an,  ihre Modelle mit der digitalen Transformation  zu 

verknüpfen. 

Obwohl Wirtschaftswissenschaften  als  auch  Informatik  die  ge‐

sellschaftlichen „Nebenfolgen“ durch ihre Arbeiten zu einem guten 

Teil mitproduzieren, sehen sie keine Notwendigkeit, diese bei ihren 

Forschungen  und  Produktentwicklungen  zu  berücksichtigen;  ihr 

passives Verhalten signalisiert: wir sind nicht zuständig!  

Das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern, weil das Wis‐

senschaftssystem trotz Wilhelm von Humboldt generell darauf aus‐

gerichtet ist, disziplinäre wissenschaftliche Forschung zu belohnen. 

Begriffe und  Spezialwissen  sind  für Außenstehende  immer unzu‐

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Einstieg

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Hier ragte der jüngst verstorbene Heraus‐ 

geber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung  

Frank Schirrmacher heraus. 

gänglicher geworden und die Sprachlosigkeit zwischen den Diszip‐

linen ist heute offensichtlich1. Gleichwohl sind Appelle zu transdis‐

ziplinärer Zusammenarbeit verbreitet, wirken aber, wenn sie denn 

einmal zustande kommen, kaum auf den Kern der Disziplinen zu‐

rück. So konnte sich keine gemeinsame Sprache entwickeln, mit der 

eine Verständigung über die anstehenden Herausforderungen mög‐

lich  werden  konnte.  Unterbleibt  aber  ein  solcher  Austausch,  so 

werden die „Nebenfolgen“ heimatlos und bleiben ungelöst, was die 

augenblickliche  Situation  der  digitalen Welt  in  der Wissenschaft 

beschreibt. Es gibt keinen Blick fürs Ganze2. 

Und  die  Medien?  Inter‐

essanterweise  ist das Feuille‐

ton  einiger  deutscher  Print‐

medien in diese Lücke gesto‐

ßen. Frank Schirrmacher gab beispielsweise den Repräsentanten des 

Chaos Computer Clubs Constanze Kurz und Frank Rieger regelmä‐

ßig die Möglichkeit, kompetente Beiträge, u.a. zur NSA und zu Fol‐

gen der digitalen Transformation  für Privatheit und Arbeitsmarkt 

zu  veröffentlichen.  Auch  kritische  amerikanische  Stimmen  wie 

Jaron Lanier, Evgeny Morozow und Shoshana Zuboff fanden in der 

FAZ  ihren  Platz.  Ein  Lichtblick  sind  auch  die Wirtschafts‐  und 

Feuilleton‐Redaktionen der Süddeutschen Zeitung wie der Wochen‐

zeitung DIE ZEIT. Und last not least Sascha Lobo, der seine Kolum‐

nen für spiegel‐online schreibt.  

Wir haben uns bei einigen Unterstützern und Helfern dieses Bu‐

ches zu bedanken. Unser besonderer Dank gilt Christopher Elwart, 

der die Mühe auf sich genommen hat, die verschiedenen Versionen 

inhaltlich wie  stilistisch  zu prüfen und  zu korrigieren. Das hat  er 

mit großer Kompetenz und Geduld getan. Bedanken wollen wir uns 

auch bei den Studierenden des Seminars „Des Googles Kern“, ver‐

anstaltet im Wintersemester 2014/15 am Fachbereich Informatik der 

Universität Hamburg.  Sie hatten die Aufgabe,  zu  jeder Veranstal‐

tung ein Kapitel des Manuskriptes zu lesen und eine Rezension zu 

schreiben. Ihre Rückmeldungen waren sehr hilfreich. Aus dem gro‐

ßen Kreis der „Vorleser“ und Helfer möchten wir nur  einige her‐

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Worum es in diesem Buch geht

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ausgreifen:  Janis  Bullert,  Peter  Habit,  Thomas  Huggle,  Michael 

Kipp‐Thomas, Bernd Schröder und Sabine Schwörer. Und  last not 

least danken wir unseren Frauen Monika Rolf‐Schoderer und  Jas‐

min Taiebi, die in dieser Zeit sehr viel Geduld für uns aufgebracht 

haben. 

Sofern Sie Lust haben, mit uns zu diskutieren, vielleicht auch Kri‐

tik loswerden oder Lob aussprechen wollen, so können Sie das tun 

unter: 

http://www.mikropolis.org/ 

Worum es in diesem Buch geht

Das  vorliegende  Buch wird  das Wesentliche  und  das Wesen  der 

digitalen  Transformation  beschreiben.  Ohne  an  dieser  Stelle  auf 

diese beiden Merkmale genauer einzugehen, gibt es bei vielen Men‐

schen ein Empfinden  für das, was die digitale Transformation aus‐

macht: Es wurden unfassbar gebrauchstaugliche Bedürfnisse speziell 

von  kalifornischen  Internetkonzernen  geweckt,  von  ihnen  sogleich 

durch schnelle Umsetzung befriedigt, von denen der Nutzer vorher 

gar nicht wusste und  ahnte, dass diese  sein Leben bereichern und 

bequemer machen können. Denken Sie hier etwa an Googles Such‐

maschine, an Apps, soziale Netzwerke, Smartphones und Tablets. 

Die  Schattenseite  dieser  Entwicklung:  Wir  sehen  uns  einem 

Großangriff auf unsere Persönlichkeitsrechte ausgesetzt. Und über 

Jahrzehnte gewachsene und selbstverständlich gewordene Struktu‐

ren der „alten“ Ökonomie werden über Nacht durch digitale Alter‐

nativangebote  in  ihrer  Existenz  erschüttert  und  zum  Teil  abge‐

räumt, nicht zuletzt mit  einer Technologie, die unser Leben berei‐

chert und bequemer macht.  

Die  „alte“  Ökonomie mit  Industrie,  Einzelhandel,  Banken  etc. 

wurde über Jahrzehnte Schritt für Schritt mit vielen Arbeitsplätzen 

aufgebaut. Sie könnte durch die „neue“ digitale Ökonomie in kaum 

einem Jahrzehnt in großen Teilen verschwinden. 

Die  „alte“  Ökonomie  wird  geleitet  von  Prinzipien  wie  Effizi‐

enzsteigerung, Rationalisierung und Kapitalmaximierung. Das Leit‐

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Worum es in diesem Buch geht

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Die kalifornischen Garagentüftler entpuppen 

sich als die Internetgiganten einer „neuen“ 

Ökonomie. 

bild ist der Homo oeconomicus. Die „alte“ Ökonomie hat dafür ihre 

speziellen Techniken und Methoden entwickelt. Die Anfänge mach‐

ten Taylors wissenschaftliche Betriebsführung und Fords Fließband‐

arbeit.  In  der Mitte  des  letzten  Jahrhunderts  entdeckt  die  „alte“ 

Ökonomie  das  Potenzial  der  Elektronischen  Datenverarbeitung 

(EDV). Mit dem Computer bekommt der Homo oeconomicus einen 

Körper, mit den Algorithmen einen Geist. 

Durch die wachsende Nachfrage nach Computern und Netzwer‐

ken  entstehen aus der „alten“ Ökonomie die Anfänge  einer „neu‐

en“, mit Weltkonzernen wie IBM, Siemens, Cisco etc. Wettbewerbs‐

druck und Marktzwänge führen zu einer weltweiten Nachfrage der 

„alten“ Ökonomie  nach  leistungsstarken Rechnern  und  Software‐

produkten.  

So stehen wir vor der Situation, dass die „neue“ Ökonomie sich 

durch  die Aufträge  der  „alten“ Ökonomie  sprunghaft  entwickeln 

konnte. Sie lieferte die Bauteile für eine globale IT‐Infrastruktur mit 

Großrechnern, Clients und Servern, PCs, Internettechnologien, ‐pro‐

tokollen und Software.  

Zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Business‐

welt tummeln sich seit den 1970er Jahren technisch versierte Tüftler 

mit großen Visionen – stellvertretend für viele seien hier Bill Gates, 

Steve Jobs genannt. Bald folgte eine zweite Generation der „neuen“ 

Ökonomie – u.a. Page, Brin, Zuckerberg –, die dabei  ist, die  Infra‐

struktur der „alten“ Ökonomie zu übernehmen. Eine neue digitale 

Infrastruktur mit neuen Geschäftsmodellen wächst heran.  

Daten,  mit  nicht  mehr 

sichtbaren Kleinstcompu‐

tern  und  Sensoren  er‐

stellt, sind nun selbst zum 

Rohstoff geworden. Mit der Metapher  „Big Data“ bündeln  sie  In‐

transparenz und die Ängste vieler Menschen. Big Data verspricht 

der „neuen“ Ökonomie, Vorhersagen zwecks effizienter Steuerung 

der  Infrastruktur und Trends  für die Entwicklung neuer Produkte 

liefern zu können. Die Daten bleiben allein  im Besitz der Eigentü‐

mer der „neuen“ Ökonomie. 

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Worum es in diesem Buch geht

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Einem „Spinnennetz“ gleich, legt sich das IT‐

System der „neuen“ Ökonomie über die „alte“ 

Ökonomie und die Lebenswelt. 

Auf dieser Datenbasis und aufgrund neuer digitaler Produkte wie  

Haustechnik,  Autoelektronik,  Drohnen,  digitale  Währungen  etc. 

dringt die „neue“ Ökonomie weiter  in die Domäne der „alten“ ein. 

Mit Google,  Facebook & 

Co. entstehen gigantische 

globale Monopole.  

Wir  werden  zeigen, 

was eigentlich das Wesen und das „Wesentliche“ der digitalen Öko‐

nomie ist. Die digitale Transformation wird Arbeitsbedingungen, die 

private Lebensführung und unser Demokratieverständnis gründlich 

verändern. Wir werden  exemplarisch  an Amazon und Google  be‐

schreiben, wie sie  im Netz agieren,  ihre globalen Spinnennetze we‐

ben,  sich  Branchen  der  „alten“ Ökonomie  zur  Beute machen  und 

unser Zusammenleben und unsere Kultur verändern werden. 

Im Zentrum des Buches steht, ob die digitale Transformation mit 

einer stabilen Gesellschaft überhaupt vereinbar  ist? Dazu wird die 

Zukunft  der Arbeit  analysiert,  u.a.  am  Beispiel  der Casting‐Show 

der  IBM.  Wir  suchen  Belege,  ob  Thomas  Pikettys  These  der 

zwangsläufigen  ökonomischen  Spaltung  in Vermögende und Ha‐

benichtse sich durch die digitale Transformation verschärfen wird. 

Wir  setzen  uns mit  der  Einschätzung  der Oxford‐Wissenschaftler 

Carl B. Frey und Michael A. Osborne auseinander, nach der 47 Pro‐

zent der heutigen Berufe wegfallen werden. Was ist angesichts der 

Forschungsergebnisse  der  amerikanischen  Harvard‐Ökonomen 

Brynjolfsson/ McAfee, die eine Automatisierungs‐ und Rationalisie‐

rungswelle  prognostizieren,  zu  tun, wenn  sie  denn  zutrifft? Oder 

werden sich ganz neue Beschäftigungsmöglichkeiten auftun, die der 

Mittelschicht keine adäquaten Jobs mehr bieten können?  

Was  sind  angemessene Reaktionen und Optionen  auf die Her‐

ausforderungen der digitalen Transformation, was Zukunftspfade, 

was  Sackgassen?  Jeremy  Rifkins  Null‐Grenzkosten‐Gesellschaft? 

Was sind Überlebensstrategien für die „alte“ Ökonomie? Wo bleibt 

die Umwelt bei all dem? Sind Ausstieg und Muße eine Alternative 

statt  Wettrennen  um  Effizienzsteigerungen?  Oder  Vergnügungs‐ 

und Event‐Ökonomie, also Brot und Spiele, die Arbeitsplatzverluste 

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Worum es in diesem Buch geht

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Am Ende  liefern wir  einen Modellrahmen  für  eine 

Architektur der digitalen Gesellschaft. 

wie  die  aufkommende  Langeweile  kompensieren?  Also  Muße 

„eventisieren“, um aus  ihr Profit zu  schlagen? Welche Vorschläge 

kommen von Politik und Wissenschaft?  

Wir werden uns auch mit den vielen Start‐ups, Quer‐ und Schnell‐

denkern, Eigenbrötlern und Weltverbesserern beschäftigen. Viele aus 

dieser Gruppe akzeptieren nicht mehr die mit dem Homo oeconomi‐

cus  und Homo  informaticus  verbundene  scheinbar  „sachlogische“ 

Entwicklung  und  die  daraus  resultierende  Chancenverteilung.  Sie 

fordern mehr Teilhabe und Autonomie und weniger zentrale Herr‐

schaft. Andere wollen eine nachhaltige Ökonomie der Entschleuni‐

gung und mehr Muße.  Sie  gründen  nichtkommerzielle  Initiativen: 

Maker‐Spaces, 3D‐FabLabs und Genossenschaften, die zum Teil mit 

Allmende‐Ideen sympathisieren. Sie alle entdecken mit den digitalen 

Medien  ganz  neue Möglichkeiten,  ihre  Ideen  umzusetzen.  Stärker 

politisch  Orientierte  fordern  angesichts  der  erwarteten  negativen 

Folgen für die Mittelschicht, die vielen Habenichtse und den Daten‐

schutz  gänzlich  neue  gesellschaftliche  Entwürfe,  wie  das  bedin‐

gungslose Grundeinkommen oder die Automatisierungsdividende. 

Wir werden immer wieder historische Rekurse einbauen. Indem 

wir  Vergangenes  berücksichtigen,  können  wir  Gegenwart  und 

Zukunft besser verstehen und erkennen, wie alles aufeinander auf‐

baut. Wir werden feststellen, dass wir auf den Schultern von Riesen 

stehen und alte  Ideen und Konzepte  in neuem Gewande heute oft 

lebendig bleiben. Das gilt vor  allem  für die beiden  „Platzhirsche“ 

der Industrialisierung Frederic W. Taylor und Henry Ford. 

Am Ende wollen wir einige Angebote zur Orientierung in digita‐

len Welten machen. Wir werden zeigen, dass ein Großteil der Wirt‐

schaftswissenschaften dabei ist, sowohl die mit der digitalen Trans‐

formation einhergehenden Verteilungsfragen von Einkommen, Ver‐

mögen und Beschäftigung als auch die Herausforderungen für eine 

Ökonomie 2.0 zu verschlafen. Es ist ein Kontrastprogramm zu den 

vielen  Beiträgen,  die 

dem  Homo  oecono‐

micus  oder  Homo 

informaticus ihre Referenz erweisen. 

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Der Homo oeconomicus, unser Schattenmann

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Der Homo oeconomicus, unser Schattenmann

Wir werden die zunehmende Verflechtung der realen Welt mit dem 

„Web“  als Geschichte der  fortschreitenden Ökonomisierung unter 

dem Leitbild des Homo  oeconomicus  erzählen. Die Grundannahme 

des Homo oeconomicus ist, dass der Mensch individuell und ratio‐

nal  ausschließlich  unter Kosten‐Nutzen‐Abwägungen  als Nutzen‐

maximierer handelt. Dieses  eigennützige Momentum  ist bis heute 

die Grundlage der Ökonomie.  

Die Reduktion des Menschen  auf  einen  rationalen Agenten hat 

für Einige einige Vorteile: Für das Management werden die Beschäf‐

tigten  so  zu  ihren  emsigen  „Ameisen“,  die  jederzeit  einschätzbar 

und  lenkbar  und  nur  aufgrund  ihrer  Produktivität  zu  bewerten 

sind. Denn die Nutzenmaximierung schlägt in den Profiten der Un‐

ternehmen positiv zu Buche. Für die Wissenschaften  lässt sich das 

ökonomische Geschehen messen und in mathematische Berechnun‐

gen fassen. Die Ökonomie konnte so zu einer angewandten Mathe‐

matik und Statistik werden, ohne Werte und Diskurse jenseits öko‐

nomischer Kategorien berücksichtigen zu müssen.  

Es ist die übliche, scheinbar sachlogische Erzählung, an die wir uns 

gewöhnt haben und die deshalb alternativlos erscheint. Unüblich ist es 

dagegen, dies mit den auftretenden nicht‐ökonomischen „Nebenfolgen“ 

und Wechselwirkungen zu verbinden, was hier ins Zentrum rückt. 

Wir werden auch nach Beitrag und Verantwortung des Homo in‐

formaticus  in diesem Prozess  fragen.  Ihm geht es darum, den  infor‐

mationstechnischen  Fortschritt  voranzutreiben.  Er  übersieht  dabei 

gern, dass seine Arbeit von Unternehmen oder durch staatliche For‐

schungsprogramme  finanziert wird. Er  ist also Werkzeugbauer zur 

Erreichung ökonomischer oder militärischer Ziele. Einen hippokrati‐

schen Eid für Informatiker, aufgrund dessen sie sich bei „Nebenfol‐

gen“, die sie nicht vertreten möchten, aus der Affäre ziehen könnten, 

gibt es nicht. Ethische Regeln, wie wir es von der Schweigepflicht der 

Ärzte  kennen,  sind  nicht  Teil  der  Berufskultur  der  Informatiker. 

Googles Verhaltenskodex Don´t be evil, sei nicht böse, ist ähnlich un‐

verbindlich  und  lächerlich  wie  die  Aussage  Seid  nett  zueinander.

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt – die digitale Transformation der „alten“ Ökonomie nimmt Fahrt auf

Lange Zeit war die Entwicklung und Anwendung von  Informati‐

onstechnik ausschließlich ein Wechselspiel großer IT‐Hersteller wie 

IBM und SAP mit IT‐anwendenden Unternehmen. Dies änderte sich 

mit der Verbreitung der Personalcomputer (PC) und dem Aufkom‐

men des Internets. Der PC wurde nicht von großen IT‐Herstellern, 

sondern von jungen Tüftlern für ihre Alltagszwecke entwickelt. Das 

Internet  entstand  eher  „beiläufig“, Wissenschaftler  der  Schweizer 

Forschungseinrichtung CERN suchten nach einer Möglichkeit, den 

wissenschaftlichen  Austausch  zu  beschleunigen.  Sie  entwickelten 

zu  diesem Zweck  den Hypertext,  der  die  Basis  des World‐Wide‐

Web (WWW) wurde.  

1. Eine mächtige Innovationswelle mit PC und Inter-net rollt auf die Lebenswelt zu

Shoshana Zuboff, emeritierte Professorin für Betriebswirtschaftsleh‐

re der Harvard Business School, sah wie viele andere durch PC und 

Internet eine neue wunderbare Welt entstehen, schreibt sie in ihrem 

kritischen  Rückblick  auf  diese  Jahre. Hoffnungen  auf  einen  „de‐

zentralisierten Kapitalismus“ kommen auf, weil dieser endlich den 

Nutzer  außerhalb der hierarchisierten Arbeitswelt  als  sein wahres 

Kapital erkennt. Im Jahr 2013 schreibt sie, dass von ihren damaligen 

Hoffnungen wenig geblieben ist. 

Werkzeuge  und  Medien  der  Individualisierung  wie  E‐Mail, 

Desktop und Laptop  traten damals nach und nach auf die Bühne. 

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt

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Eine große Technikeuphorie 

verbreitet sich weltweit. 

Andere wie  iPad,  Suchmaschinen,  soziale Netzwerke  und  Smart‐

phones waren am Anfang dieser Epoche noch nicht auf den globa‐

len Märkten.  Sie  sind  aber wahrscheinlich  schon  in  den  Laboren 

und  Köpfen  der  Entwickler.  Hoffnung 

keimt  auf, dass die  Fußspuren der Riesen 

Taylor  und  Ford mit  ihrem  strengen  Ar‐

beitsregiment von Arbeitszerlegung, Standardisierung und  starren 

Hierarchien und sich darauf gründende Macht verschwinden wer‐

den. In PC und Internet werden Werkzeuge gesehen, die ein freies 

Arbeiten erlauben, vielleicht sogar notwendig machen. Die Nutzer 

können dann selber entscheiden, wann und mit wem sie kommuni‐

zieren, wo sie Automatisierungen  in  ihre Arbeit einbauen und wo 

sie Lücken belassen wollen, so die Hoffnungen. 

Alles begann damit, dass sich junge Technikfreaks in ihren Gara‐

gen  am  „Zusammenschrauben“  kleiner  Rechner  versuchten,  aus‐

probierten  und  den  Rechner  an  ihre  Bedürfnisse  anpassten, 

programmierten  und  immer  neue  Ideen  für die Verwendung der 

neuen Maschine entwickelten. So erzählt man sich  jedenfalls heute 

diese Zeit des Aufbruchs. Gleichzeitig wurde Software entwickelt, 

die ihren Siegeszug sowohl im privaten Umfeld antrat als auch vom 

unternehmerischen Umfeld übernommen wurde. Gerade die Los‐

lösung  von  ökonomischen  Zwecken  förderte  neue  Kreativitäts‐

potenziale. Der Computer  trat mit dem PC über die Schwelle zur 

Lebenswelt. Mit der Verbreitung des Internets schließlich wuchs die 

Bedeutung des Computers als Informations‐ und Kommunikations‐

medium. Wenige Jahre später sollten daraus IT‐Giganten entstehen, 

die  die  globalen Märkte  durcheinanderwirbeln  und  das  gesamte 

Innovationsgeschehen beherrschen sollten. Es sind die Erzählungen, 

die vor allem von Microsoft, Apple, Google und Facebook geschrie‐

ben wurden. 

Die im privaten Bereich neu entstehende Hard‐ und Software lie‐

ferte später auch immer wieder Anstöße für die Erschließung neuer 

Anwendungsfelder  in  der  Welt  der  Organisationen.  Vielfältige 

Kreuzungen  und  Übernahmen  von  der Welt  der  Organisationen 

und  der  Lebenswelt  prägen  bis  heute  ein  unübersichtliches  Bild. 

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1. Eine mächtige Innovationswelle rollt auf die Lebenswelt zu

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Innovationen verlaufen von jetzt an kaum noch kon‐

tinuierlich, sie sind langfristig kaum mehr planbar. 

Aus der Garagenfirma‐Entwicklung PC  ist längst ein globales öko‐

nomisches Cluster geworden, das Open Source‐Projekt Linux spielt 

in beiden Welten, Wikipedia scheint eine stabile Dienstleistung für 

die Lebenswelt geworden zu sein.  

 Sie  werden  zu‐

nehmend durch den 

Einfallsreichtum 

von Tüftlern mit hervorragenden Programmierkenntnissen vor Ort 

vorangetrieben,  sie bezeichnen  sich  in der deutschen Szene  selber 

gern als Frickler.  

In den Anfängen dieser Epoche in Kalifornien haben die Tüftler 

ihre Kenntnisse häufig an Universitäten erworben und dann auto‐

didaktisch weiterentwickelt. Sie versuchen  ihre technischen Vorha‐

ben mühsam und kleinteilig, oft auch in Internet‐Communities und 

in Open Source‐Projekten, mit großer Ausdauer und zuweilen auch 

großem ökonomischen Erfolg umzusetzen. Die Leitfiguren Bill Ga‐

tes, Steve Jobs, Linus Torvaldts oder Marc Zuckerberg stehen dafür, 

sie alle begannen einmal so.  

Die Tüftler sind bis heute wichtige Innovationsmotoren der digi‐

talen Gesellschaft. Viele der heutigen „Alltagstechnologien“ gehen 

auf einen einzelnen Tüftler‐ oder ein Tüftler‐Team zurück, vorwie‐

gend angesiedelt im Silicon Valley. Der Kontext, in welchem sie zu 

„basteln“ begannen, lag oft irgendwo zwischen Universität, Garage 

und Business. Sie wurden zunächst durch die Angebote  ihrer Uni‐

versitäten neugierig. Dort konnten sie rund um die Uhr üben. Das 

Business wurde  dann  oft  um  diese  Entwicklungen  herum  aufge‐

baut. Der Universitätsabschluss blieb dabei oft auf der Strecke. 

Die zentrale Frage für die Tüftler war zu Anfang, wie Computer 

und Internet als Teil des zukünftigen „Mobiliars“ in die Lebenswelt 

integriert werden können, ohne dabei Handlungen einzuschränken, 

sie eher zu erweitern. Die Frage nach dem Nutzer der Innovationen 

stellt sich deshalb neu. Der Nutzer  ist nicht mehr primär das Ma‐

nagement  oder  der  Mitarbeiter  in  Organisationen,  sondern  der 

Mensch  in der Lebenswelt. Der PC wurde  in der Lebenswelt von 

den neuen Nutzern anfangs als eine Maschine der Muße willkom‐

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt

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men geheißen: eigene Urlaubsbilder archivieren, Spiele spielen,  im 

Word Wide Web surfen.  

Während die klassischen Informationstechniken für betriebswirt‐

schaftliche Zielsetzungen in der Unternehmenswelt eingesetzt wer‐

den, werden die Nutzer mit dem Aufkommen von PC und Internet 

in  ihrer Kommunikation  unabhängig  von Ort  und  Zeit,  und  das 

weltweit. Parallel dazu konnten diese Techniken auch in den Unter‐

nehmen  sinnvoll  genutzt werden. Hier  stießen  sie  schnellere  und 

produktivere Kommunikationsprozesse an. 

Als  alles  anfing, war  damals  in Kalifornien  die  Flower‐power‐

Zeit. Unter diesem Einfluss versuchten Softwareentwickler mit gro‐

ßem  Engagement,  Peer‐to‐peer‐Software  zur  Unterstützung  der 

Basisdemokratie  in  Betrieben  voranzubringen, Computer‐supported‐

cooperative‐work (cscw) genannt. Einer ihrer weitsichtigsten Vertreter 

war  Douglas  Engelbarth.  Er  schlug  drei  Klassen  von  Unterstüt‐

zungssoftware  vor,  an  denen  er mit  seiner  Forschungsgruppe  im 

CoLab‐Projekt  des  XEROX  Palo  Alto  Research  Center  arbeitete: 

Software zur Sitzungsunterstützung, Konferenzsysteme sowie Soft‐

ware  für  die  ortsungebundene  und  zeitunabhängige  Zusammen‐

arbeit. Wenn man so will, wird hier bereits der Charakter der späte‐

ren sozialen Netzwerke erkennbar.  

Es  ist wohl kein Zufall, dass  in der sogenannten „68er‐Zeit“ ein 

Boom der Tüftler und Technikfreaks  aufkam.  Sie wollten  für  ihre 

politischen  Vorstellungen  von  Partizipation  und  Kooperation  die 

passenden  „Werkzeuge“  entwickeln. Es war  ihr Anliegen, die  bis 

dahin  üblichen  Datenverarbeitungstechnologien  zu  überwinden, 

die darauf ausgelegt waren, Hierarchien und Herrschaft zu stabili‐

sieren, zu steuern und zu kontrollieren. Das  Internet wurde daher 

als  ein dezentrales, kaum  zu kontrollierendes Netz  entworfen.  Im 

Internet‐Design  finden sich die autonomen,  fast anarchischen Vor‐

stellungen der 68er‐Zeit wieder. 

Die Entwicklung von PC und Internet noch einmal auf den Punkt 

gebracht:  Die  Nutzer  begrüßten  euphorisch  die  Verbreitung  der 

Personal Computer am Ende der 1970er  Jahre als dezentralen Ge‐

genentwurf  zur  Welt  der  Großrechner  und  der  Management‐

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1. Eine mächtige Innovationswelle rollt auf die Lebenswelt zu

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Der informationstechnische Fortschritt generiert  

unaufhörlich Regulierungslücken, die den Gesetzgeber 

permanent unter Druck setzen. 

Informationssysteme (MIS). Sie hoffen darauf, dass die Nutzung der 

neuen  Technologien  in Unternehmen  ein  hohes Maß  an  Teilhabe 

bringen wird. Mit dem  Internet spannt sich seit den 1990er  Jahren 

ein  enges Netz  über  die  Rechner  und  bindet  die  Lebenswelt  der 

Nutzer an. Die Möglichkeiten der Nutzer können sich mit den neu‐

en „Werkzeugen“ enorm erweitern. Für Arbeit und Kultur  ist dies 

der Startpunkt für gigantische Veränderungen. In welche Richtung 

diese  gehen,  kann  zu diesem Zeitpunkt  allerdings  noch  kaum  je‐

mand in seiner Tragweite erahnen.  

Durch die rasante Entwicklung von Internet und IT spielen sich 

jetzt viele Zukunftsfragen außerhalb der Wissenschaften und auch 

der Unternehmen ab. Sie wirken aber permanent auf Politik, Ver‐

bände  und  Rechtsprechung  zurück.  So wird  heftig  über  Regulie‐

rungen  in  den  Feldern Datenschutz,  IT‐Sicherheit, Urheberrechte, 

Digital  Rights  Management  und  Netzpolitik  gestritten.  Diese 

Themen  bestim‐

men  die  digitale 

Gesellschaft  bis 

heute.  

Denn mit dem Tempo der Technikentwicklung kann die nationa‐

le Gesetzgebung  nicht mithalten,  zudem  begrenzt  die Globalisie‐

rung ihre Einflussmöglichkeiten. 

Wer hat die Kontrolle über die Werkzeuge? 

Mit PC und Internet keimen Hoffnungen auf nach „Demokratie am 

Arbeitsplatz“, da die Technik jetzt in den Händen der Vielen ist und 

theoretisch  viele  hierarchische Weisungssysteme  in Unternehmen 

abgebaut werden  könnten.  Shoshana Zuboff  nennt  dies  den  „de‐

zentralisierten Kapitalismus“. Mensch‐zu‐Mensch‐Kommunikation 

ist zu  jener Zeit das Leitbild vieler von dieser Entwicklung „ange‐

steckter“  IT‐Gestalter und  ‐Nutzer  in den Betrieben wie  in der  In‐

formatik. 

Für das Management ist diese Entwicklung hin zur „Werkzeug‐

Technologie“ mit Risiken verbunden. Warum sollten sie Herrschaft 

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt

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teilen? Gemeinsam mit den „auf Linie  laufenden“ Wirtschaftswis‐

senschaften  stehen  sie  vor  der  Herausforderung,  Abweichungen 

vom „rechten Herrschaftsweg“ einzufangen und neue Konzepte der 

Arbeitspolitik anzubieten.  

Zum technischen Boom durch PC und Internet kommt eine neue 

gesellschaftliche  Gemengelage  aus  kulturellen,  sozialen  und  öko‐

nomischen  Anforderungen  hinzu.  Diese  Zeit  ist  nicht mehr  ver‐

gleichbar mit den  in der  Industriegesellschaft  geltenden Anforde‐

rungen.  Viele  Beschäftigte  haben  jetzt  eine  bessere  Ausbildung. 

Auch deshalb haben sie weitergehende Ansprüche. Sie müssen vom 

Management  in „verträgliche“ Bahnen gelenkt werden, damit wei‐

terhin  stabile  Herrschaftsverhältnisse  bestehen  bleiben,  die  auch 

von den Beschäftigten akzeptiert werden können.  

Die beiden bekannten französischen Sozial‐ und Wirtschaftswis‐

senschaftler Luc Boltanski und Eve Chiapello geben für die Reakti‐

onen  des Managements  auf  diese Herausforderungen  eine  nach‐

vollziehbare  Interpretation.  Sie  unterscheiden  zwei  grundlegende 

Formen,  die  Künstlerkritik  und  die  Sozialkritik. Mit  der Metapher 

Sozialkritik kritisieren sie die Ungleichheit, die Ausbeutung der Be‐

schäftigten  und  den  Individualismus,  der  zulasten  der  Gemein‐

schaft  geht.  Die  Künstlerkritik  hingegen  prangert  die  Unterdrü‐

ckung, Fabrikdisziplin, Standardisierung und Uniformierung in der 

Arbeitswelt und Massengesellschaft an.  

Auf der Basis dieses Konzeptes weisen Luc Boltanski und Eve 

Chiapello den Ereignissen in Frankreich im Mai 1968 in ihren empi‐

rischen  Studien  eine  wegweisende  Bedeutung  zu.  Sie  sind  auf 

Deutschland  und  andere westliche  Staaten  übertragbar. Künstler, 

Intellektuelle und Studierende protestierten damals zusammen mit 

Arbeitern  gegen  Entfremdung  und  „Fabrikdisziplin“,  für  mehr 

Freiheit, Autonomie, Wertschätzung und Eigenverantwortung auch 

in der Arbeit. Das Künstlerleben war von jeher für viele Angestellte 

ein  attraktives Modell  der  Lebensführung, was  ihnen  aber  uner‐

reichbar  erschien. Künstler  führen,  so  sagt man,  ein  freies  Leben 

und  arbeiten  selbstbestimmt.  Es war  schon  immer  Sehnsuchtsort 

und Alternative zum entfremdeten Leben. Boltanski und Chiapello 

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1. Eine mächtige Innovationswelle rollt auf die Lebenswelt zu

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Es war  die Zeit,  als Methoden wie Management‐by‐

Objectves ins Kraut schossen. 

nennen diese Sehnsucht deshalb Künstlerkritik. Mit PC und Internet 

waren  jetzt Techniken  vorhanden, mit denen diese  Sehnsucht  ein 

Stück weit  in  der Arbeitswelt  umgesetzt werden  konnte,  so  eine 

Hoffnung der Beschäftigten. 

Die Managementlehre habe diese Kritik und Sehnsüchte aufge‐

nommen, weil sie sich  im Zugzwang sah, die sinkende Motivation 

vieler  Beschäftigter  durch  ein  Konzept  von  mehr  Freiheit  ohne 

Herrschaftsabgabe auffangen zu müssen. Und sie musste auch eine 

Vorstellung  haben,  wie  die  partizipativen  Technologien  PC  und 

Internet in Unternehmen nicht „aus dem Ruder laufen“. Das Ange‐

bot  war  mehr  Vernetzung,  Kreativitätsförderung,  Projekt‐  und 

Teamarbeit,  Flexibilität  und  Selbstorganisation  für  einen  Teil  der 

Beschäftigten. Diese  Strategien  haben  zum Überleben  des Kapita‐

lismus  beigetragen,  so  die Autoren. Die  Forderungen  nach mehr 

Autonomie  im Sinne des Managements wurden häufig durch Un‐

ternehmensberater in die Betriebe getragen.  

Zugleich  konnte  so  ein  Bedeutungsverlust  der  Sozialkritik  ein‐

schließlich der Gewerkschaften erreicht werden. Die Strategie war, 

mehr  Autonomie  und  Selbstorganisation  zuzulassen,  dafür  aber 

lockere  Arbeitsverhältnisse  durchzusetzen,  beispielsweise  Fest‐

anstellungen zu reduzieren und mehr Leiharbeit und Werkverträge 

anzubieten.  Es war  der Handel mehr  Freiheit  gegen weniger Ar‐

beitsplatzsicherheit, der sich später noch sehr deutlich zum Nachteil 

der Beschäftigten bemerkbar machen sollte. Daraus  folgten Verän‐

derungen  in  der  Organisation  wie  in  der  Personalführung.  Das 

Leitbild des hierarchischen, alles integrierenden Großunternehmens 

wurde schwächer.  

In  der  Folge 

wurden  mit  den 

Beschäftigten  sogenannte  Zielvereinbarungen  abgeschlossen.  Damit 

konnte sich das Management von der mühsamen, alltäglichen Steu‐

erung und Kontrolle entlasten und Selbststeuerung bei den Beschäf‐

tigten  implementieren. Parallel dazu wurden die zentralen Daten‐

verarbeitungssysteme  in  den  Unternehmen  weiterentwickelt.  So 

konnten die Beschäftigten,  trotz  erhöhter Freiräume  in der Arbeit, 

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt

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weiterhin  durch  Informationssysteme  gesteuert  und  kontrollieren 

werden. Dem Management gelang es, die Künstlerkritik erfolgreich 

zu vereinnahmen und  seine  Interessen zu stärken. Die Motivation 

der Beschäftigten wurde durch mehr Projekt‐ und Teamarbeit und 

Selbstorganisation verbessert.  

Welche Strategien das Management, angesichts der Verbreitung 

von  PC  und  Internet,  darüber  hinaus  konkret  realisierte,  um  den 

Homo  oeconomicus  voranzubringen  und  die  betriebliche  Herr‐

schaft durch  IT zu sichern und dabei versuchte, die Künstlerkritik 

im Auge zu behalten, ist eine neue interessante Erzählung.  

Die  neue Unternehmens‐Architektur  im  Schatten  von Outsour‐

cing, Sozial‐ und Künstlerkritik 

Zunächst  einmal  verschwinden  mit  der  Verbreitung  der  PC  die 

„unintelligenten“  Bildschirmterminals  aus  den Unternehmen. Die 

Beschäftigten  können  den  PC  im  Rahmen  der  ihnen  zugeteilten 

Aufgabenstellungen  ungeplant  und  selbstorganisiert  für  ihre 

Aufgaben nutzen. Die sich dafür verbreitende Werkzeug‐Metapher 

ruft sofort Sympathie hervor. Sie steht für den PC, seine Icons wie 

für  die  überschaubaren  Textverarbeitungs‐,  Tabellenkalkulations‐, 

Präsentationssoftware‐Programme.  Durch  Assoziation  mit  den 

Werkzeugen der Handwerkerzunft entsteht schnell Zutrauen, man 

will sie ausprobieren und beherrschen können. Zugleich ist der PC 

über  Server  in  das  Netzwerk  eingebunden.  Kommunikation  mit 

Dritten wird möglich. 

Mit PC und Internet können jetzt auch die Privathaushalte an die 

Unternehmen angedockt werden. Die Geschäftsprozesse der Unter‐

nehmen werden zu den Kunden verlängert, was Kunden wie Ma‐

nagement  Vorteile  bringt:  Der  Konsument  kann  sich  über  ein 

Webportal über das Waren‐ und Dienstleistungsangebot  informie‐

ren und direkt bestellen (E‐Commerce). Das Management kann Rou‐

tineaufgaben auslagern und auf Konsumenten überwälzen  („Über‐

wälzung  auf  die Quelle  des Geschehens“). Wir  kennen  das  alles  bei‐

spielsweise durch Online‐Käufe oder durch Geld‐ und Fahrkarten‐

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1. Eine mächtige Innovationswelle rollt auf die Lebenswelt zu

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automaten, die uns mittlerweile selbstverständlich geworden sind. 

Der Kunde  ist  jetzt direkt an die Geschäftsprozesse der Unterneh‐

men  angebunden. Der  Komfortgewinn  durch  schnellere Abwick‐

lung  ist  für manche Kunden kein Äquivalent  für den  lästigen Be‐

dienungsaufwand. Das Unternehmen spart Kosten, die Produktivi‐

tät erhöht sich, mit der „Nebenfolge“, dass der ein oder andere Ar‐

beitsplatz überflüssig wird. 

Die  Sozialwissenschaftler Voß  und Rieger  sehen  in der Anbin‐

dung der Nutzer durch PC und  Internet die  gelungene Überwäl‐

zung von Arbeit auf den Konsumenten und damit eine neue Quali‐

tät der Rationalisierung. Erstmals werde nicht mehr nur auf die be‐

triebsinternen Strukturen, sondern auch auf die externen Aktivitä‐

ten der Kunden zugegriffen. Für sie ist der arbeitende Kunde geboren, 

was sie eher kritisch sehen: 

„Inzwischen müssen die Kunden  fast überall systematisch den Be‐

trieben zuarbeiten – sie machen immer häufiger den Job, den bisher 

betriebliche Mitarbeiter hatten: Man kauft an unberechenbaren Au‐

tomaten  seine  Fahrkarten  und  sucht  mühsam  nach  Auskünften, 

man  bucht  im  Internet  die  Flugtickets  und  die Übernachtung  im 

Hotel,  erledigt  seine  Bankgeschäfte  online  allein  zu Hause,  infor‐

miert sich über alles oder jedes im www. (weil man eine kompeten‐

te  Beratung  kaum mehr  bekommt),  die  Steuererklärung  geht  nur 

noch online per  ‚Elster‘, und demnächst konsultiert man den Arzt 

erst  einmal online, bevor man  eine wirkliche Praxis  aufsucht. Der 

Kunde ist heute einerseits selbstbestimmter, informierter, aktiver, er 

ist stärker Subjekt als vorher. Zugleich unterliegt er aber einer ganz 

neuen Qualität von Entfremdung und Ausbeutung. Er hat gar keine 

Wahl,  selbst wenn  es  ihn  überfordert  oder  er  keine  Lust  hat,  er 

muss  ‚mitarbeiten‘, Beratung entfällt. Kein Wunder, wenn die ein‐

schlägige Managementliteratur den Kunden  inzwischen zum  ‚par‐

tial employee‘ erklärt, von einer ‚Auslagerung von Arbeitsaufgaben 

auf  den Kunden‘  spricht,  den Konsumenten  als  ‚Teil  der  betrieb‐

lichen Wertschöpfungskette‘  sieht,  dessen  ‚Kundenleistung‘  es  zu 

optimieren  gelte  ...  und  das  oft  auch  noch  ‚Kundenorientierung‘ 

nennt“ (Voß/Rieger 2005). 

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt

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Abbildung 1 / Der arbeitende Kunde 

 Die Grafik  stellt  ein Unternehmen dar, das  erste Versuche unter‐

nimmt, PC und Internet zu nutzen. Die neuen Technologien stellen 

die Unternehmen vor neue Herausforderungen, da alte Hierarchien 

zum  Teil  aufgebrochen  werden.  Zusammen  mit  der  „Künstler‐

kritik“ führen sie zu mehr Projekt‐ und Teamarbeit, Flexibilität und 

Selbstorganisation für einen Teil der Beschäftigten. Eine klare Tren‐

nung  der  Beschäftigten  in  innovative  Projektarbeit  einerseits  und 

Arbeitsgruppen  für  Routine‐  und Abwicklungsaufgaben  anderer‐

seits wird erkennbar. Der Konsument ist durch PC oder Automaten, 

z.B.  Geldautomaten  an  die  Geschäftsprozesse  des  Unternehmens 

angebunden. Auf diese Weise kann Routinearbeit auf die Kunden 

überwälzt werden. 

Was Sozialwissenschaftler skeptisch einschätzen, muss das Mana‐

gement  nicht  unbedingt  traurig  stimmen. Denn die Überwälzung 

auf  den  Kunden  bringt  den  Unternehmen  viele  Vorteile:  Neben 

Kostensenkungen  profitieren  sie  von  der  Beschleunigung  der 

Transaktionen, den Zugriff auf Kundendaten und Kundenwünsche 

sowie von  einer  stärkeren Kundenbindung. Für die Konsumenten 

ist damit, nach Einarbeitung, oft ein Zugewinn an Bequemlichkeit 

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1. Eine mächtige Innovationswelle rollt auf die Lebenswelt zu

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Für viele wird es bequemer, für andere mühseliger. 

verbunden, weil die Eingabe nur wenig Zeit  in Anspruch nimmt. 

Für  alle,  die  noch  ein  persönliches  Gespräch  erwarten  oder  sich 

nicht auf die Technik einlassen wollen oder können, geht damit ein 

Verlust an Dienstleistungsqualität einher. Möglicherweise muss die 

gewohnte  Beratung  auch  bezahlt  oder  durch Wartezeiten  erkauft 

werden.  

Die Ziele Rationali‐

sierung  und  Automa‐

tisierung sowie die Integration der Vielen  in die Routinen des Sys‐

tems wurden erreicht. 

Die Überwälzung von Routinearbeit auf Konsumenten durch Ein‐

zug von PC und Internet in die privaten Haushalte, ist  jedoch nicht 

die einzige arbeitsorganisatorische Offerte. Die Verbreitung von PC 

und  Internet  hat  den  Unternehmen  neue Möglichkeiten  eröffnet, 

feste Arbeitsverhältnisse unsicherer zu machen und den Beschäftig‐

ten gleichzeitig mehr Freiheit und Selbstorganisation  in der Arbeit 

zu geben, ohne dass dadurch der Herrschaftsanspruch aufgegeben 

werden muss. Das jetzt zu beschreibende Outsourcing macht die von 

Boltanski und Chiapelllo aufgezeigte Ambivalenz der Entwicklung 

von Sozial‐ und Künstlerkritik noch einmal deutlich. 

Die durch Projekt‐ und Arbeitsgruppen geschaffene arbeitsorga‐

nisatorische  Teilautonomie macht  es möglich,  da  überall  PC  und 

Internet  vorhanden  sind, Routine‐ wie  innovative Tätigkeiten  aus 

der Organisation auszulagern  (siehe Abbildung 2). Für Mitarbeiter 

und Arbeitsgruppen mit einer gefragten Expertise kann es auch eine 

Chance sein, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Sie grün‐

den Start‐ups oder sind als Freelancer tätig. Auf externe Mitarbeiter 

kann die Geschäftsführung auf Honorarbasis nach Bedarf zurück‐

zugreifen.  Internet  und  komfortables  IT‐Equipment  können  die 

Einbindung  in  die Arbeitsorganisation  jetzt  relativ  unkompliziert 

herstellen,  so  die  Erwartungen;  vorausgesetzt  es  funktioniert  so 

ideal wie es im Lehrbuch der Managementlehre steht. 

Kundenkontakte und andere Dienstleistungen werden nicht nur 

bei Versicherungen  und  Banken  oft  in  Callcenter  ausgelagert. Die 

Callcenter‐Mitarbeiter  übernehmen  mehr  oder  minder  stark  be‐

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Teil I. Kalifornische Tüftler verändern den Computer und die Welt

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grenzte,  taylorisierte  Servicefunktionen wie  Kundenanfragen,  Re‐

klamationen, Bestellungen und Routineberatungen. Sie sind häufig 

schlecht  bezahlt.  Ein  vernünftiger  Lebensunterhalt  ist  nicht  gesi‐

chert,  in manchen Fällen handelt es sich um Arbeitszeiten auf Ab‐

ruf.  Callcenter‐Tätigkeiten  unterliegen  außerdem  permanent  dem 

Risiko, ausgedünnt und durch technische Innovationen auf Kunden 

überwälzt zu werden.  

Callcenter haben sich, trotz endloser Warteschleifen zulasten der 

Kunden, zu einer blühenden Branche entwickelt. 2013 gab es 6900 

Callcenter mit mehr als einer halben Million Beschäftigter, die vor 

allem von Finanzinvestoren als  lohnende Branche entdeckt wurde. 

Es ist eines der kaum diskutierten Phänomene, wie diese Firmen es 

schaffen, dass Millionen Anrufer immer wieder ihren Frust in minu‐

tenlangen  Warteschlangen  herunterschlucken  und  das  Konzept 

dennoch stabil bleibt. 

Eine weitere Form des Outsourcings  ist Teleheimarbeit. Für viele 

Beschäftigte  ist  mit  PC  und  Internet  die  Hoffnung  verbunden, 

Arbeit  bequem  von  Zuhause  aus  erledigen  zu  können. Die  Tele‐

heimarbeit ist seit Jahrzehnten das Lieblingsthema vieler Trendfor‐

scher, die traumhafte oder traumatische Arbeitssituationen entwer‐

fen. Da überrascht  es, dass  sich die Teleheimarbeit,  trotz PC und 

Internet, nicht so stark verbreitete, wie die Diskussionen dies erwar‐

ten  ließen. Die Unternehmen  bevorzugen, wie wir  sehen werden, 

preiswertere Modelle.  

Die  amerikanischen  Sozialwissenschaftlerinnen Orlikowski und 

Barley  haben  in  empirischen Untersuchungen mit  dem  oft  publi‐

zierten Traum der bequemen Teleheimarbeit aufgeräumt. Das Vor‐

handensein von PC und Internet in Privathaushalten habe nicht im 

erwarteten Maß dazu geführt, Büroarbeit durch Teleheimarbeit zu 

ersetzen  (substitute).  Vielmehr  verstärke  sich  der  Trend,  „Office 

work“  über  die Arbeitszeit  hinaus  auszuweiten. Arbeit wird mit 

nach Hause genommen und auf die vorhandenen Schultern drauf‐

gesattelt (supplement). PC und Internet schaffen dafür die notwendi‐

gen Voraussetzungen. Sie  tragen dazu bei, die Arbeitszeit zu ver‐

längern. 

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So wird die drastische Einschätzung unter dem Titel „Ode an das 

Büro“ von Thomas Tuma verständlich: „Home Office ist eine Schi‐

märe.  Sie  gaukelte  uns  Selbständigkeit  vor  und  Unabhängigkeit, 

verschärfte  dabei  aber  Isolation,  Druck  und  Selbstausbeutung  in 

einem Maß,  das  besorgniserregend  geworden  ist.  Zugunsten  der 

Arbeitgeber haben sich die Grenzen zwischen  Job und Privatleben 

komplett  aufgelöst. Wir  sind permanent  auf Empfang. Und dabei 

gaukeln wir uns auch noch vor, diese Art einer durchökonomisier‐

ten Ich‐Gesellschaft sei ein Indiz für Modernität oder gar Freiheit“.3 

Die  „Werkzeuge“ PC und  Internet  ermöglichen  somit den Un‐

ternehmen die Outsourcing‐Strategie. Mit der freiwilligen Entschei‐

dung mancher  Beschäftigter  zur  Selbstständigkeit,  vielleicht  auch 

mit der Gründung eines Start‐ups, realisiert sich der Tausch, weni‐

ger Arbeitsplatz‐Sicherheit  gegen mehr  Freiheit und  Selbstbestim‐

mung, wie es Boltanski und Chiapello mit  ihrer Künstlerkritik be‐

schrieben  haben. Das Management  fährt  hier  eine doppelte Ernte 

ein: Produktivitätssteigerungen durch mehr Autonomie und Selbst‐

organisation bei gleichzeitiger Reduzierung der Sicherheit der ehe‐

mals Festbeschäftigten durch Outsourcing. 

Weniger  soziale Sicherheit bedeutet vor allem, keine Zuschüsse 

zur  Sozial‐ und Krankenversicherung und  keine dreißig Tage  be‐

zahlten Urlaub. Chiapello vermutet, dass die Arbeit heute weniger 

entfremdet  ist als vor dreißig  Jahren. Damals war Entfremdung ein 

zentrales Thema. Die fremdbestimmte Arbeit konnte allerdings mit 

viel größerer innerer Distanz erledigt werden. Nach dem Achtstun‐

dentag begann das Leben  jenseits des Berufes, das nicht unbedingt 

entfremdet war. Heute tauchen viele mit „intrinsischer Motivation“, 

d.h. mit Haut und Haaren in ihre Arbeit und in einen „Feierabend“ 

ein, den es nicht mehr gibt. Ist das eine neue Form der Entfremdung 

oder gibt es dafür eine treffendere Metapher? 

Man mag einwenden: Für viele selbstständige Berufe wie Ärzte, 

Anwälte  oder Notare  gilt  seit  langem Vergleichbares. Also weitet 

sich die Menge der Freiberufler doch lediglich aus. Allerdings sind 

diese Tätigkeiten seit Jahrzehnten  in Kammern und Verbänden or‐

ganisiert,  die  soziale  Absicherung  ist  über  Gebührenordnungen 

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Für die junge Start‐up‐Generation sind soziale 

Bedrohungen noch sehr weit entfernt. 

garantiert. Diese Struktur fehlt den Freelancern und Start‐ups. Auch 

der Einwand, Handwerker kennzeichne eine vergleichbar unsichere 

Auftragslage, stimmt nicht. Sie müssen sich zwar um Aufträge be‐

werben.  Sie  konkurrieren  aber  nicht  weltweit,  sondern  allenfalls 

regional und müssen deshalb  auch  nicht  indische  oder  pakistani‐

sche Löhne akzeptieren. 

Wenn man  frisch von der 

Uni  kommt,  ist  man  mit 

einem  Sack  voller  Ideen 

und ohne familiäre Verpflichtungen unterwegs. Viele verstehen sich 

auch  als  Avantgarde  einer  gesellschaftlichen  Entwicklung.  Das 

macht alles leicht.  

Die kleine Fallstudie Virtuell  alles  im Griff  soll  exemplarisch das 

Thema Outsourcing  etwas  lebendiger machen. Einer der Autoren 

hat den Fall so erlebt. Die Fallstudie macht auch deutlich, wie die 

Strategie Outsourcing im Widerspruch zu allen Werbesprüchen von 

Kundenfreundlichkeit steht, heute „Customer‐Relationship‐Manage‐

ment (CRM)“ genannt. 

Virtuell alles im Griff 

Am  Bahnhof  Aschaffenburg  endete  unsere Main‐Radtour. Meine 

beiden Mitfahrer  und  ich wollten mit  der  Deutschen  Bahn  nach 

Hamburg zurück,  in der Hoffnung, dass unsere Räder mitgenom‐

men werden.  Ende  September,  so  unsere  Erwartung,  ist  ja  keine 

Hochsaison.  In  den  Zügen,  die  am  Samstag  und  nachfolgenden 

Sonntag in Frage kommen, sind die Fahrradplätze ausgebucht. Dar‐

aus ergibt sich folgender Dialog mit dem Schalterbeschäftigten der 

Deutschen Bahn: 

„Können wir denn die Räder aufgeben?“ 

„Natürlich  bietet  die  Bahn  diesen  Service  an.  Wir  haben  diese 

Dienstleistung allerdings outgesourct. Der Transport wird von un‐

serem Partner, Humus Logistics, durchgeführt. Sagen Sie mir  Ihre 

Adresse hier am Ort, wo Sie ihre Räder deponieren, damit der Fah‐

rer sie abholen kann.“ 

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„Wir haben keine Adresse hier und wollen doch heute nach Ham‐

burg zurück.“ 

„Ja, aber Humus Logistics muss die Räder doch  irgendwo abholen 

können.“ 

„Na, hier am Bahnhof, Sie haben doch ein Lager.“ 

„Die  Zeiten  sind  vorbei,  wo  Sie  am  Bahnhof  Räder  deponieren 

konnten. Bleiben Sie über Nacht, genießen Sie unsere schöne Stadt 

und lassen Sie die Räder im Hotel.“ 

„Wir möchten aber heute fahren.“  

„Fragen Sie im Hotel Adler dort drüben; die nehmen die Räder viel‐

leicht auch so.“ 

Wir gehen rüber zum Hotel Adler. Tatsächlich, gegen ein Trinkgeld 

ist die Dienst habende Rezeptionsdame bereit, die Räder  für zwei 

Tage zu deponieren bis sie von der Humus Logistics abgeholt wer‐

den.  Ich  kehre mit  den  beiden  Begleitern mit  unserem  schweren 

Radgepäck in der Hand zum Bahnhof zurück. Der Beamte tippt die 

notwendigen Informationen in seinen Computer ein, dabei erhält er 

gleichzeitig einige Abwicklungsinformationen aus dem Rechner. 

„Am Montag  werden  die  Räder  abgeholt  und  am Mittwoch  bei 

ihnen Zuhause  in Hamburg  abgeliefert; das  ist unser  Service. Pro 

Rad kostet das 20 Euro.“ 

„Und zu welcher Uhrzeit am Mittwoch bitte?“ 

„Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, so zwischen 10 und 18 Uhr. 

Humus Logistics übergibt die Räder  einem  lokalen Spediteur, der 

die  Route  nach  seinen Aufträgen  festlegt;  das werden  Sie  verste‐

hen.“  

„Dann muss ich ja einen ganzen Tag Urlaub nehmen.“ 

„Das tut mir leid. Vielleicht ist ja ihr Nachbar da?“ 

– Als am Mittwoch um 6 Uhr abends die Räder nicht  in Hamburg

angekommen sind, rufe ich bei Humus Logistics an. Ich lande in ei‐

nem Call‐Center. 

„Da schau  ich mal gleich  in meine Datenbank“, sagt eine  freundli‐

che Frauenstimme.  „Tut mir  leid. Die Räder  sind noch  in Aschaf‐

fenburg; der Fahrer war zweimal im Hotel Adler und keiner wusste 

Bescheid.“ 

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„Das kann nicht wahr sein. Dann soll er gleich noch einmal fahren.“  

„Das geht  leider nicht. Nach zwei Fehlversuchen wird ein Auftrag 

storniert.“ 

„Aber ich habe doch bezahlt.“ „Nun rufen Sie erst einmal im Hotel 

an und stellen Sie sicher, dass die Rezeptionskraft da ist. Dann wol‐

len wir sehen, was sich machen lässt.“ 

Ich  frage  die  Dame  im  Call‐Center  sicherheitshalber  nach  ihrem 

Namen – Frau Klein – und rufe  im Hotel Adler an,  informiere die 

Rezeption über das Gespräch mit Frau Klein, mache eine Zeit aus 

und rufe wieder bei Humus Logistics an und lande wieder im Call‐

Center. Es meldet sich eine Männerstimme. 

„Geben  Sie mir  bitte  Frau Klein.  Sie weiß  über  den Vorgang  Be‐

scheid.“ 

„Frau Klein? Wir sitzen hier mit 200 Leuten!  Ich kenne keine Frau 

Klein.“ 

Schließlich erklärt sich der Mitarbeiter bereit, Frau Klein zu suchen.  

„Ich renn mal durch den Saal und rufe ihren Namen, vielleicht ha‐

ben Sie ja Glück und Frau Klein ist nicht gerade zu Tisch. Sie ruinie‐

ren meine Jobrate für heute.“ 

Ich warte,  denke  an meine Handyrechnung  und  habe  nach  etwa 

zehn Minuten die freundliche Frau Klein am Telefon. 

„Ja,  ich erinnere mich. Dann nehme  ich den Vorgang neu auf. Aus 

Kulanzgründen  müssen  Sie  nicht  neu  bezahlen.  Die  Fahrräder 

kommen am Freitag, ganz bestimmt.“  

Sie kommen wirklich. Als  ich den Mann mit dem Kleintransporter 

nach dem Spediteur frage, sagt er:  

„Ich arbeite für einen, von Humus Logistics beauftragten Kleinspe‐

diteur, bin aber selber selbständig. Muss hart arbeiten, um auf 7 Eu‐

ro brutto zu kommen. Heute sourcen doch alle allesaus. Das muss 

der Kunde doch verstehen, wenn nicht alles sofort klappt. Aber der 

Computer hat doch alles im Griff.“ 

(eine Animation dieser Erzählung finden Sie unter mikropolis.org).