doberentz et al., unbehandeltes erysipel, 2011

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Rechtsmedizin 2011 · 21:308–312 DOI 10.1007/s00194-011-0743-3 Online publiziert: 13. März 2011 © Springer-Verlag 2011 E. Doberentz · Y. Albalooshi · C. Schyma · B. Madea Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Bonn Unbehandeltes Erysipel Ein seltener Todesfall Kasuistiken Jede Infektionserkrankung kann le- tal verlaufen. Vor allem bei nichtdia- gnostizierter oder nichtbehandelter Erkrankung können Komplikationen auftreten und Ursache eines plötzli- chen natürlichen Todes sein. Rechts- medizinische Obduktionen tragen zur Klärung dieser Todesfälle bei. Fallbeschreibung Vorgeschichte Eine 46 Jahre alte Frau wurde von ihrem Ehemann leblos auf dem Bett vorgefun- den, woraufhin er sofort einen Notarzt alarmierte. Dieser konnte jedoch nur noch den Tod feststellen. Dem Notarzt fielen Verdickungen und dunkle Flecken im Bereich des Halses und der rechten Brustseite auf, was zur Informierung der Ermittlungsbehörden führte. Der Ehemann gab an, dass sich seine Frau seit 15 Jahren geweigert habe, einen Arzt aufzusuchen. Sie habe sich bei Be- schwerden mit Kräutertee selbst behan- delt. Medikamente habe sie nicht regelmä- ßig eingenommen. Seit einigen Tagen ha- be sie über eine schmerzhafte Hautverän- derung am Hals geklagt. Die Familie habe sie zu einem Arztbesuch gedrängt, sie ha- be sich aber strikt geweigert. Sektionsbefunde Makroskopische Befunde Leichnam einer 97,2 kg schweren und 163 cm großen Frau. Die rechte Halssei- te, die Schulter und das Dekolleté waren grünlich fleckig verfärbt. Die rechte Ohr- muschel war entzündlich verändert. Über dem rechten Unterkieferast fanden sich 4 lochartige, bis zu 1 cm durchmessende Hautdefekte bei sehr ausgedünnter Haut (. Abb. 1), aus denen sich v. a. bei Druck auf das umgebende Gewebe rahmiges, übel riechendes Sekret entleerte. Nach Präparation des subkutanen Gewebes zeigte sich unter den Hautdefekten eine abgekapselte Abszesshöhle (. Abb. 2). Von hier aus erstreckte sich eine vom rechten Ohr über die Halsvorderseite entlang des rechten Kopfwendermuskels bis auf die vordere Brustwand verlaufen- de grünlich-graue, rahmig sulzig-breiige Durchtränkung v. a. des subkutanen Fett- gewebes mit Verteilung des eitrigen Se- krets zwischen sämtlichen Gewebsschich- ten (. Abb. 3). Das Gewebe war teils ver- backen und nekrotisch. Bei der inneren Besichtigung fanden sich eine Auswei- tung des rechten Herzvorhofs und ein al- ter Vorderwandinfarkt bei stenosierender Koronarsklerose. Es zeigte sich eine Hepa- tomegalie (Lebergewicht 4310 g) mit fein- knotig zirrhotischem Umbau. Die Milz war deutlich vergrößert (Gewicht 960 g) und das Gewebe verfestigt. Die Bauch- speicheldrüse war verfestigt und verfettet. Es stellten sich ein linksseitiger Nebennie- renrindenknoten und eine Aortensklero- se dar. Histologische Untersuchung Es zeigten sich eine entzündliche, teils nekrotisierende Infiltration der Dermis (. Abb. 4) und des subkutanen Gewebes sowie eine geringfügige Überschreitung der Entzündung über die Muskelfaszien hinaus in die quergestreifte Skelettmus- kulatur im Infektionsbereich (. Abb. 5). Die Herzmuskulatur wies kleine dissemi- nierte Infarktareale der linken Vorder- wand auf. Es stellte sich ein mäßiges inter- stitiell-alveoläres Lungenödem mit Blut- stauung der Gefäße dar. In der Leber war eine diffuse kleinknotige, portale Zirrho- se mit fein- bis mitteltropfiger Leberzell- verfettung und lymphomonozytärer In- filtration der bindegewebig transformier- ten Periportalregionen als Zeichen der in- flammatorischen Progredienz nachweis- bar (.  Abb. 6). Das Milzgewebe war blutgestaut mit Fibrose der roten Pulpa. Chemisch-toxikologische  Untersuchung Die Untersuchung verlief negativ. Die Blutalkoholkonzentration betrug 0,00‰. Laborchemisch wurde ein erhöhter Gly- kohämoglobin- (HbA 1c -)Wert im Blut von 7,1% ermittelt. Mikrobiologische Untersuchung An Abstrichen aus dem Infektionsgebiet ließen sich Enterokokken nachweisen. Todesursache Festgestellt wurde ein Endotoxinschock bei phlegmonös-abszedierendem Erysi- pel mit nekrotisierender Fasziitis. Diskussion Hautinfektionen werden v. a. durch Strep- tokokken und Staphylokokken hervorge- rufen. Neben dem Erysipel gehören zu den typischen bekannten Hautinfektio- nen: Ekthym, Impetigo, Follikulitis, Fu- runkulose sowie Phlegmone und nekro- tisierende Fasziitis. Beim Ekthym handelt es sich um eine Hauterkrankung überwiegend im Bereich der Beine, die v. a. durch Superinfektion kleinerer Hautverletzungen durch β-hä- molysierende Streptokokken entsteht. Es treten typischerweise linsen- bis mün- zengroße, scharfrandige, oberflächliche Hautgeschwüre auf. Die Impetigo ist eine hochinfektiöse bakterielle Infektion (Sta- phylococcus aureus, Streptococcus pyoge- 308 | Rechtsmedizin 4 · 2011

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Durch kleine Hautverletzungen, v. a. am Gesicht, an Armen oder Beinen, können Keime – in der Regel β-hämolysierende Streptokokken – eindringen und ein Erysipel hervorrufen. Diese Entzündung der Haut geht mit schweren klinischen Symptomen einher. Es wird über den Todesfall einer 46 Jahre alt gewordenen Frau berichtet, die schon seit vielen Jahren ärztliche Behandlungen abgelehnt und sich mit Hausmitteln selbst therapiert hatte. Trotz heftigster Schmerzen und entzündlichen Veränderungen am Hals hatte sie sich geweigert, einen Arzt aufzusuchen, und war zu Hause verstorben. Bei der rechtsmedizinischen Obduktion zeigte sich eine massive phlegmonös-abszedierende Entzündung, ausgehend von einem Areal über dem rechten Unterkieferast. Todesursache war ein Endotoxinschock bei phlegmonös-abszedierendem Erysipel mit nekrotisierender Fasziitis. Bei frühzeitiger ärztlicher Konsultation, richtiger Diagnosestellung und Therapie hätte der Tod vermieden werden können. Die Sektionsbefunde werden vorgestellt und diskutiert.

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Rechtsmedizin 2011 · 21:308–312DOI 10.1007/s00194-011-0743-3Online publiziert: 13. März 2011© Springer-Verlag 2011

E. Doberentz · Y. Albalooshi · C. Schyma · B. MadeaInstitut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Bonn

Unbehandeltes ErysipelEin seltener Todesfall

Kasuistiken

Jede Infektionserkrankung kann le-tal verlaufen. Vor allem bei nichtdia-gnostizierter oder nichtbehandelter Erkrankung können Komplikationen auftreten und Ursache eines plötzli-chen natürlichen Todes sein. Rechts-medizinische Obduktionen tragen zur Klärung dieser Todesfälle bei.

Fallbeschreibung

Vorgeschichte

Eine 46 Jahre alte Frau wurde von ihrem Ehemann leblos auf dem Bett vorgefun-den, woraufhin er sofort einen Notarzt alarmierte. Dieser konnte jedoch nur noch den Tod feststellen. Dem Notarzt fielen Verdickungen und dunkle Flecken im Bereich des Halses und der rechten Brustseite auf, was zur Informierung der Ermittlungsbehörden führte.

Der Ehemann gab an, dass sich seine Frau seit 15 Jahren geweigert habe, einen Arzt aufzusuchen. Sie habe sich bei Be-schwerden mit Kräutertee selbst behan-delt. Medikamente habe sie nicht regelmä-ßig eingenommen. Seit einigen Tagen ha-be sie über eine schmerzhafte Hautverän-derung am Hals geklagt. Die Familie habe sie zu einem Arztbesuch gedrängt, sie ha-be sich aber strikt geweigert.

Sektionsbefunde

Makroskopische BefundeLeichnam einer 97,2 kg schweren und 163 cm großen Frau. Die rechte Halssei-te, die Schulter und das Dekolleté waren grünlich fleckig verfärbt. Die rechte Ohr-muschel war entzündlich verändert. Über dem rechten Unterkieferast fanden sich 4 lochartige, bis zu 1 cm durchmessende Hautdefekte bei sehr ausgedünnter Haut

(. Abb. 1), aus denen sich v. a. bei Druck auf das umgebende Gewebe rahmiges, übel riechendes Sekret entleerte. Nach Präparation des subkutanen Gewebes zeigte sich unter den Hautdefekten eine abgekapselte Abszesshöhle (. Abb. 2).

Von hier aus erstreckte sich eine vom rechten Ohr über die Halsvorderseite entlang des rechten Kopfwendermuskels bis auf die vordere Brustwand verlaufen-de grünlich-graue, rahmig sulzig-breiige Durchtränkung v. a. des subkutanen Fett-gewebes mit Verteilung des eitrigen Se-krets zwischen sämtlichen Gewebsschich-ten (. Abb. 3). Das Gewebe war teils ver-backen und nekrotisch. Bei der inneren Besichtigung fanden sich eine Auswei-tung des rechten Herzvorhofs und ein al-ter Vorderwandinfarkt bei stenosierender Koronarsklerose. Es zeigte sich eine Hepa-tomegalie (Lebergewicht 4310 g) mit fein-knotig zirrhotischem Umbau. Die Milz war deutlich vergrößert (Gewicht 960 g) und das Gewebe verfestigt. Die Bauch-speicheldrüse war verfestigt und verfettet. Es stellten sich ein linksseitiger Nebennie-renrindenknoten und eine Aortensklero-se dar.

Histologische UntersuchungEs zeigten sich eine entzündliche, teils nekrotisierende Infiltration der Dermis (. Abb. 4) und des subkutanen Gewebes sowie eine geringfügige Überschreitung der Entzündung über die Muskelfaszien hinaus in die quergestreifte Skelettmus-kulatur im Infektionsbereich (. Abb. 5). Die Herzmuskulatur wies kleine dissemi-nierte Infarktareale der linken Vorder-wand auf. Es stellte sich ein mäßiges inter-stitiell-alveoläres Lungenödem mit Blut-stauung der Gefäße dar. In der Leber war eine diffuse kleinknotige, portale Zirrho-se mit fein- bis mitteltropfiger Leberzell-

verfettung und lymphomonozytärer In-filtration der bindegewebig transformier-ten Periportalregionen als Zeichen der in-flammatorischen Progredienz nachweis-bar (. Abb. 6). Das Milzgewebe war blutgestaut mit Fibrose der roten Pulpa.

Chemisch-toxikologische UntersuchungDie Untersuchung verlief negativ. Die Blutalkoholkonzentration betrug 0,00‰. Laborchemisch wurde ein erhöhter Gly-kohämoglobin- (HbA1c-)Wert im Blut von 7,1% ermittelt.

Mikrobiologische UntersuchungAn Abstrichen aus dem Infektionsgebiet ließen sich Enterokokken nachweisen.

Todesursache

Festgestellt wurde ein Endotoxinschock bei phlegmonös-abszedierendem Erysi-pel mit nekrotisierender Fasziitis.

Diskussion

Hautinfektionen werden v. a. durch Strep-tokokken und Staphylokokken hervorge-rufen. Neben dem Erysipel gehören zu den typischen bekannten Hautinfektio-nen: Ekthym, Impetigo, Follikulitis, Fu-runkulose sowie Phlegmone und nekro-tisierende Fasziitis.

Beim Ekthym handelt es sich um eine Hauterkrankung überwiegend im Bereich der Beine, die v. a. durch Superinfektion kleinerer Hautverletzungen durch β-hä-molysierende Streptokokken entsteht. Es treten typischerweise linsen- bis mün-zengroße, scharfrandige, oberflächliche Hautgeschwüre auf. Die Impetigo ist eine hochinfektiöse bakterielle Infektion (Sta-phylococcus aureus, Streptococcus pyoge-

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nes) der Epidermis, die v. a. bei Neuge-borenen und Kindern vorkommt und im Gesicht sowie an den Beinen lokali-siert ist [20, 21]. Es bildet sich ein Ekzem mit großen oder kleinen Blasen, die sich zu Pusteln entwickeln und beim Aufplat-zen verkrusten. Die Follikulitis ist durch eine schmerzhafte Entzündung des äuße-ren Anteils eines Haarfollikels in der Der-mis gekennzeichnet; sie kann am ganzen Körper auftreten und wird v. a. durch Sta-phylococcus aureus verursacht [20, 21]. Die Entzündung kann auf den gesamten Haar-balg, auf das umliegende Gewebe der Der-mis und in die Tiefe (subkutanes Fettge-webe) übergreifen und damit zur Ausbil-dung eines Furunkels führen [7]. Schmel-zen mehrere solcher Furunkel zusammen, entstehen großflächige Karbunkel [5]. Im englischsprachigen Raum werden Erysi-pele, Phlegmonen (diffus ausbreitende In-fektion des Bindegewebes) und auch die nekrotisierende Fasziitis (Ausbildung von ausgedehnten Nekrosen von Fettgewebe und Faszie) unter dem Begriff „cellulitis“ zusammengefasst [7].

Das Erysipel (Wundrose oder Rot-lauf) ist eine schnell fortschreitende Ent-zündung der Dermis. Klassische Erre-ger des Erysipels sind β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Streptococ-cus pyogenes; [16, 19, 20, 21]). Selten wer-den Erysipele durch andere Erreger, wie Staphylococcus aureus, Streptococcus pneu-moniae, Klebsiella pneumoniae, Yersi-nia enterocolitica und Haemophilus in-fluenzae hervorgerufen. Im vorgestellten Fall ergab die mikrobiologische Untersu-chung eines tiefen Wundabstrichs (nek-rotisches Unterhautfettgewebe) aus dem Infektionsgebiet das Vorhandensein von Enterokokken (Streptokokken der Grup-pe D). Es wurden keine weiteren Erreger festgestellt. In einer Untersuchung von Krasagiakis et al. [8] fand sich bei einem von 14 Patienten eine Kobesiedlung von Darmkeimen (Enterococcus faecalis), und bei einem anderen Patienten gelang sogar ein isolierter Nachweis von Escherichia co-li [15] ohne anderweitige Keimbesiedlung. Hinweise auf eine Gasbrandinfektion (zu 90% der Fälle durch Clostridium perfrin-gens) ergaben sich im vorgestellten Fall nicht. Typisch ist bei dieser Infektion das Auftreten eines Hautemphysems mit Bla-sen, livid-marmorierter Haut, gasdurch-

Zusammenfassung · Abstract

Rechtsmedizin 2011 · 21:308–312   DOI 10.1007/s00194-011-0743-3© Springer-Verlag 2011

E. Doberentz · Y. Albalooshi · C. Schyma · B. Madea

Unbehandeltes Erysipel. Ein seltener Todesfall

ZusammenfassungDurch kleine Hautverletzungen, v. a. am Ge-sicht, an Armen oder Beinen, können Kei-me – in der Regel β-hämolysierende Strepto-kokken – eindringen und ein Erysipel hervor-rufen. Diese Entzündung der Haut geht mit schweren klinischen Symptomen einher. Es wird über den Todesfall einer 46 Jahre alt ge-wordenen Frau berichtet, die schon seit vie-len Jahren ärztliche Behandlungen abgelehnt und sich mit Hausmitteln selbst therapiert hatte. Trotz heftigster Schmerzen und ent-zündlichen Veränderungen am Hals hatte sie sich geweigert, einen Arzt aufzusuchen, und war zu Hause verstorben. Bei der rechtsmedi-zinischen Obduktion zeigte sich eine massi-

ve phlegmonös-abszedierende Entzündung, ausgehend von einem Areal über dem rech-ten Unterkieferast. Todesursache war ein En-dotoxinschock bei phlegmonös-abszedieren-dem Erysipel mit nekrotisierender Fasziitis. Bei frühzeitiger ärztlicher Konsultation, richti-ger Diagnosestellung und Therapie hätte der Tod vermieden werden können. Die Sektions-befunde werden vorgestellt und diskutiert.

SchlüsselwörterErysipel · Phlegmone · Abszess · Schock,  toxischer

Untreated erysipelas. A rare cause of death

AbstractPathogens, usually beta-hemolytic strepto-cocci can penetrate through small skin le-sions, especially on the face, arms or legs and promote the development of erysipelas. This inflammation of the skin normally is normal-ly accompanied by severe clinical symptoms. The death of a 46-year-old woman who had refused medical treatment for many years is reported. In the case of any illness she had treated herself with home remedies. Des-pite intense pain and inflammatory chang-es in the neck, she refused to seek medical 

care and died at home. At forensic autopsy there was a massive cellulitis originating from an area above the right mandible. The cause of death was endotoxic shock caused by a phlegmonous erysipelas and probably nec-rotizing fasciitis. With early medical consulta-tion death could have been avoided. The au-topsy findings are presented and discussed.

KeywordsErysipelas · Phlegmon · Abscess · Shock, toxic

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Abb. 1 8 Grünverfärbung der Haut über dem rechten Unterkieferast mit  lochartigen Hautdefekten, aus denen sich putrides Sekret entleert Abb. 2 8 Abszessbedingte, subkutane, perimandibuläre Taschenbildung 

unter den Hautdefekten des rechten Unterkiefers

Abb. 3 8 Phlegmonös-abszedierende Ausbreitung der Entzündung in   das subkutane Gewebe des rechten Dekolletés. A Blick in die rechte Brust-höhle, B Hals

Abb. 4 8 Haut aus dem Infektionsgebiet (rechte Halsseite) mit zahlreichen entzündlichen Infiltrationsherden in Dermis und subkutanem Fettgewebe (HE-Färbung, Vergr. 40:1). Unten rechts: granulozytär-phlegmonös-abszedie-rende Entzündung im sukutanen Fettgewebe (HE-Färbung, Vergr. 100:1)

Abb. 6 8 Leberzellverfettung bei kleinknotiger Leberzirrhose und entzünd-licher Infiltration der Periportalfelder (HE-Färbung, Vergr. 100:1)

Abb. 5 8 Entzündliche Infiltration des subfaszialen Gewebes der Brustmus-kulatur. (HE-Färbung, Vergr. 40:1)

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Kasuistiken

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setztem Gewebe, grau-rot verfärbter, ge-kocht imponierender Muskulatur und schwärzlich schaumigem Sekret [11].

Die Infektionserreger gelangen über kleine Eintrittspforten, wie z. B. kleine Hautwunden, Insektenstiche, Herpes-sim-plex-Infektionen, Geschwüre, Punktions-male, kleine Kratzer oder Rhagaden in das Gewebe und können innerhalb weniger Stunden typischerweise eine scharf be-grenzte, überwärmte Rötung, Schwellung und Spannung der Haut hervorrufen, die sich unbehandelt schnell flammenförmig ausbreitet [21]. Die Infektion tritt v. a. an den Beinen, aber auch im Gesicht und an den Armen sowie selten an der Nabel-schnur bei Neugeborenen auf [2, 10, 15, 16, 19]. Typisch sind schwere Krankheits-symptome mit starken Schmerzen, Kopf-schmerzen, Fieber und Schüttelfrost, auch Schwindel [13, 21]. In einer Untersuchung von Chong u. Thirumoorthy [6] gaben 40% von 20 erkrankten Patienten jedoch keine signifikanten Schmerzen an.

Das Erysipel spricht auf eine antibio-tische Therapie gut an. Bei adäquater, schneller Therapie beträgt die Mortali-tätsrate weniger als 1% [2]. In einer retro-spektiven Untersuchung von Smolle et al. [15] an insgesamt 766 Patienten mit Ery-sipel gab es keinen Todesfall. Das Erysi-pel heilte auch unbehandelt oftmals von selbst aus. Im hier vorgestellten Fall war anmanestisch bekannt, dass die Infektion wenige Tage bestanden und die Frau über Schmerzen geklagt hatte. Aufgrund des ausgeprägten Befunds ist jedoch eine län-gere Krankheitsdauer, auch mit afrebrilem Verlauf bei abgekapseltem Abszess, in Be-tracht zu ziehen. Zu den schwerwiegen-den Komplikation des Erysipels zählt die Entwicklung eines bullösen, hämorrhagi-schen, phlegmonös-abszedierenden oder nekrotischen Erysipels [16, 19]. Komplika-tionen kommen bei Erysipelen im Gesicht wesentlich seltener vor als an den Beinen [15]. In der Untersuchung von Smolle et al. [15] entwickelten sich in 20% der Fäl-le (766 Patienten) lokale Komplikationen; hierbei war die bullöse Erysipelform (an den Beinen) die häufigste Komplikation.

Im vorgestellten Fall imponierte die perimandibuläre Taschenbildung als Abs-zesskapsel. Das Gewebe war in diesem Be-reich weitreichend zerstört. In diesem Be-reich ist der Ursprung der Entzündung

gelegen. Abszessbildungen treten bei der schweren Verlaufsform des Erysipels auf. Die veränderte Ohrmuschelform weist auf eine Entzündung des Ohrmuschelgewe-bes und der Knorpelhaut (Perichondritis) hin, die bei Erysipelen vorkommt [9]. Die Präparation des periaurikulären Gewe-bes zeigte eine entzündlich-eitrige Infilt-ration. Bei einem abszedierenden Erysipel können eine phlegmonöse Ausbreitung in tiefere Gewebsschichten mit schneller Ausbreitung ins subkutane Gewebe und die Ausbildung von ausgedehnten Nekro-sen von Fettgewebe und Faszie resultieren (nekrotisierende Fasziitis; [8, 9]). Makro-skopisch konnten Nekrosen des Fettge-webes und histologisch eine entzündliche Überschreitung der Muskelfaszien fest-gestellt werden. Die Erkrankung nimmt einen so foudroyanten Verlauf, dass eine chirurgische Intervention dringend not-wendig wird. Die Mortalität der nekroti-sierenden Fasziitis beträgt 50–70% [8, 9]. Bei massiver Ausbreitung der Entzündung können sich eine Meningitis sowie Endo-karditis entwickeln, und es kann ein En-dotoxinschock auftreten; bei fulminanten Weichteilinfektionen kommt es zur Sep-sis mit konsekutivem Multiorganversagen und zum septischen Schock [12, 18]. Sep-tikämien sind jedoch selten. In nur weni-ger als 5% der betroffenen Patienten kön-nen Blutkulturen angezüchtet werden [3].

Es werden saisonale Tendenzen der Auftretenswahrscheinlichkeiten von Ery-sipelen beobachtet. Häufig entwickeln sich Erysipele der Kopfregion aufgrund der höheren Rate an Atemwegsinfektio-nen in den Wintermonaten [4, 10, 14] und Erysipele der Beine in den Sommermona-ten [10]. Pavlotsky et al. [10] beschrieben, dass Frauen signifikant häufiger Erysipe-le der Kopfregion aufwiesen, Männer hin-gegen häufiger an den Beinen.

Erysipelen werden v. a. bei Frauen in den mittleren Lebensjahren beobachtet [8, 15]. Des Weiteren sollen Kinder (ins-besondere Neugeborene) und alte Men-schen häufig betroffen sein [5, 16]. Pav-lotsky et al. [10] stellten hingegen fest, dass der Altersdurchschnitt von 574 Pa-tienten mit Erysipel 58 Jahre betrug; hier-bei waren nur 7 Patienten unter 18 Jahre und die Mehrzahl der Betroffenen unter 75 Jahre alt.

Zu den Risikofaktoren der Entwick-lung eines Erysipels gehören Alkoholis-mus, Immunsupression („Human-im-munodeficiency-virus“-Erkrankung, Kortisontherapie und Zustand nach Che-motherapie) Lymphödem, venöse Insuf-fizienz sowie periphere arterielle Ver-schlusskrankheit, Übergewicht, Schwan-gerschaft, Diabetes mellitus und chroni-sche Fußpilzinfektionen, Infektionen der oberen Atemwege sowie Leber- und Nie-renerkrankungen [1, 2, 15]. Im vorgestell-ten Fall lagen mehrere Risikofaktoren vor. Es fanden sich eine Leberzirrhose, eine Störung des Blutzuckerhaushalts mit prä-mortal erhöhten Glykohämoglobinwer-ten (HbA1c-Wert von 7,1%) und erhebli-ches Übergewicht mit einem Body-Mass-Index von 36,6 kg/m2.

Fazit

Das Erysipel ist eine schwere Erkran-kung, die aufgrund einer bakteriellen In-vasion der Haut über kleine Eintrittspfor-ten, insbesondere bei Patienten mit ent-sprechenden Risikofaktoren, auftritt. To-desfälle sind selten, da in der Regel ärzt-liche Hilfe in Anspruch genommen wird. Bei ausbleibender ärztlicher Behand-lung – in der heutigen Gesellschaft si-cher ungewöhnlich – kann das Erysipel von selbst ausheilen. Bei Vorliegen von Risikofaktoren, wie einer alkoholbeding-ten Leberzirrhose, Diabetes mellitus und Adipositas, ist das Risiko der Entwick-lung einer phlegmenös-abszedierenden Entzündung und einer sich von subku-tan ausbreitenden Entzündung [mit lo-kal begrenzter Entzündung des Unter-hautfettgewebes (Pannikulitis), Fasziitis, Myositis] erhöht. Diese Patienten bedür-fen einer besonderen ärztlichen Über-wachung. Kommt es zu Komplikationen, kann eine Ausbreitung der Entzündung zum Tod führen.

KorrespondenzadresseDr. E. DoberentzInstitut für Rechtsmedizin,  Universitätsklinikum BonnStiftsplatz 12, 53111 [email protected]

Interessenkonflikt.  Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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miguelpereira
Realce
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19.  Vinh DC, Embil JM (2005) Rapidly progressive soft tissue infections. Lancet Infect Dis 5:501–513

20.  Wickboldt LG, Fenske NA (1986) Streptococcal and staphylococcal infections of the skin. Hosp Pract 30:41–47

21.  Witkowski JA, Parish LC (1982) Bacterial skin infec-tions. Management of common streptococcal and staphylococcal lesions. Postgrad Med 72:166–185, 171–173, 176–178

Vogeler, MarcusEthik-Kommissionen – Grundla-gen, Haftung und StandardsHeidelberg: Springer 2011, 639 S.,   (ISBN 978-3642179495), 119.95 EUR

Die vorliegende 

Arbeit wurde 2010 

als juristische 

Promotionsarbeit 

in Göttingen ver-

fasst und gibt den 

juristischen Wis-

sensstand bis 2009 

wieder, zum Teil ist 

auch Literatur und 

Rechtssprechung bis 2010 berücksichtigt. 

Der Autor konnte sich dabei auch auf prak-

tische Erfahrungen durch Mitarbeit in der 

Ethik-Kommission der MH Hannover stützen. 

Nach einem einleitenden Kapitel über die 

historische Entwicklung der Medizinischen 

Forschung, beschäftigt sich Vogeler einge-

hend mit Regelungswerken, die in Deutsch-

land noch vor dem 3. Reich existierten, dann 

mit dem Nürnberger Kodex von 1947 und 

der Deklaration von Helsinki in ihren unter-

schiedlichen Fassungen. Er gibt dann einen 

Überblick über Medizinische Forschungs-

standards, unter anderem zum Thema 

Studiendesigns und Biostatistik. Es folgt eine 

Darstellung der historischen Entwicklung der 

Etablierung von Ethikkommissionen in den 

USA und Deutschland und der Rechtsstellung 

und Funktion der öffentlich rechtlichen und 

privaten EK‘s. Schließlich werden Urteile zu 

deren Haftung aus dem Ausland und zwei 

einschlägige Urteile aus Deutschland vor-

gestellt. Der Hauptteil der Arbeit befasst sich 

mit Haftungsfragen unter deutschen Rechts-

verhältnissen, je nach der Art des Inhalts der 

Forschungsanträge, also nach AMG, MPG, 

im Rahmen der Beratungsfunktion nach der 

Berufsordnung und nach der Strahlenschutz- 

und Röntgenverordnung. Die Darlegungen 

sind sehr detailliert und verlangen zum Ver-

ständnis juristische Spezialkenntnisse zum 

Haftungs- und Verwaltungsrecht. Abgehan-

delt werden Regressverhältnisse und persön-

liche Haftung der Kommissionsmitglieder 

bei Schädigung von Versuchsteilnehmern, 

von Sponsoren und Prüfern. Genannt seien 

beispielhaft Kapitel zur Amtshaftung, zur ge-

samtschuldnerischen Haftung, zur Fürsorge-

pflicht des Dienstherrn bei der Einschränkung 

der persönlichen Haftung der Kommissions-

mitglieder durch Versicherung. Abschließend 

folgen ein Kapitel zur Teilrechtsfähigkeit 

öffentlich-rechtlicher Ethikkommissionen 

und eine Zusammenfassung der wesent-

lichen Ergebnisse in 53 Einzelthesen. Für 

jeden Rechtsmediziner, der selbst in einer 

Ethikkommission mitwirkt oder sie leitet, ist 

das Werk von großer Wichtigkeit. Auch wenn 

in Deutschland bisher nur zwei einschlägige 

Urteile - davon eines mit Abweisung der 

Klage - zur Haftung von EK‘s ergangen sind, 

wird einem beim Studium dieser Arbeit klar, 

wie komplex die Rechtsfragen bei einer mög-

lichen Haftung sind, wenn es bei der Kom-

missionsarbeit zu Sorgfaltspflichtverstößen 

kommt.

W. Eisenmenger (München)

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312 |  Rechtsmedizin 4 · 2011