Download - MA Anni 4 - unipub.uni-graz.at
Masterarbeit
Zum Abschluss des Studiums
MSc Betriebswirtschaftslehre
Neuromarketing - Eine Analyse aus Sicht der Marketingethik -
eingereicht bei
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Bernhard Ungericht
Institut für Unternehmensrechnung und Reporting
Karl-Franzens-Universität Graz
eingereicht von
Anne Mezger 01635677
Graz, im September 2019
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe
verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder
inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in
gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde
vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der einge-
reichten elektronischen Version.
30.09.2019
Anne Mezger
Gender-Erklärung
Zu Gunsten der besseren Lesbarkeit wird in dieser Masterarbeit die Schreibform des generi-
schen Maskulinums angewendet. Die Verwendung der männlichen Form ist ausnahmslos als
geschlechtsunabhängig zu verstehen.
I
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................... III
Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................... IV
1 Einleitung ...................................................................................................................... 1
1.1 Problemstellung und Relevanz des Themas .......................................................... 2
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen ....................................................................... 3
1.3 Methodik ............................................................................................................... 3
1.4 Aufbau ................................................................................................................... 5
2 Theoretische Grundlagen des Marketings ................................................................. 7
2.1 Die traditionelle Marktforschung .......................................................................... 8
2.2 Die traditionellen Marketinginstrumente ............................................................ 11
3 Neuromarketing in Abgrenzung zum traditionellen Marketing ............................ 14
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich . 17
4.1 Die Bedeutung des Aufbaus des Gehirns für das Neuromarketing .................... 19
4.1.1 Das Gehirn ............................................................................................... 19
4.1.2 Das limbische System ............................................................................. 19
4.2 Die Bedeutung der Funktionsweise des Gehirns für das Neuromarketing ......... 20
4.2.1 Die limitierte Kapazität zur Verarbeitung von Reizen ............................ 20
4.2.2 Das implizite und das explizite System ................................................... 22
4.2.3 Die Funktionsweise von Codes ............................................................... 24
4.2.4 Das Balance-, Dominanz- und Stimulanzsystem .................................... 25
4.3 Die Rolle von Emotionen .................................................................................... 27
4.3.1 Die Rolle der Emotionen bei der Markenbindung .................................. 29
4.4 Der Einfluss der Wahrnehmung auf die Entscheidungsfindung ......................... 31
5 Die Neuromarketing-Forschung ............................................................................... 34
5.1 Die Messung der elektrischen Gehirnaktivität .................................................... 34
5.1.1 Elektroenzephalographie (EEG) ............................................................. 35
5.1.2 Magnetenzephalographie (MEG) ............................................................ 35
5.2 Die Messung von Stoffwechselvorgängen im Gehirn ........................................ 36
II
5.2.1 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ............................................ 36
5.2.2 Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) ............................... 36
5.3 Marketingethische Reflexion .............................................................................. 37
5.3.1 Reflexion möglicher Forschungsziele ..................................................... 37
5.3.2 Reflexion des Einflusses auf die Konsumentensouveränität und das Wohl
der Konsumenten ................................................................................................ 42
5.3.2.1 Die Generierung „gläserner“ Konsumenten ............................ 43
5.3.2.2 Der Einfluss auf den freien Willen und die Würde des
Menschen ................................................................................................ 44
6 Die Neuromarketing-Methoden ................................................................................. 48
6.1 Ausgewählte Instrumente zur Anwendung von Neuromarketing ....................... 48
6.1.1 Limbic® .................................................................................................. 48
6.1.2 Brand-Code-Managementä .................................................................... 53
6.2 Marketingethische Reflexion .............................................................................. 58
6.2.1 Reflexion möglicher Ziele der Neuromarketing-Methoden und ihre
Auswirkung auf die Konsumentensouveränität .................................................. 59
6.2.1.1 Die gezielte Einflussnahme auf den freien Willen .................. 60
6.2.1.2 Die Generierung von Bedürfnissen ......................................... 61
6.2.1.3 Gezielte Manipulation ............................................................. 65
6.2.2 Reflexion der Umsetzbarkeit der Neuromarketing-Methoden ................ 67
6.2.2.1 Reflexion Limbic® ................................................................. 67
6.2.2.2 Reflexion Brand-Code-Management ...................................... 68
7 Reflexion der Vorteile von Neuromarketing gegenüber dem traditionellen
Marketing ........................................................................................................................... 71
8 Fazit und Ausblick ...................................................................................................... 75
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 77
III
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Marketing 1.0 bis 4.0 ..................................................................................... 10
Abbildung 2: Die Wirkung von Reizen im impliziten und expliziten System .................... 24
Abbildung 3: Limbic® Map ................................................................................................ 51
Abbildung 4: Verteilung der Limbic® Typen in Deutschland ............................................ 52
IV
Abkürzungsverzeichnis
1. bzw. beziehungsweise
2. EEG Elektroenzephalographie
3. fMRT funktionelle Magnetresonanztomographie
4. MEG Magnetenzephalographie
5. MRT Magnetresonanztomographie
6. PET Positronen-Emissions-Tomographie
7. s. siehe
8. sog. sogenannt/e/en
9. u.a. unter anderem
10. vgl. vergleiche
11. z.B. zum Beispiel
1 Einleitung
1
1 Einleitung
Im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung wird es für die Marketingtreibenden zur
immer größeren Herausforderung, die Aufmerksamkeit der Konsumenten für sich zu gewin-
nen: In Amerika werden jährlich rund 400 Millionen Dollar in Werbekampagnen investiert,
die zum Großteil jedoch nicht den gewünschten Erfolg bescheren (MORIN, 2011, S. 131).
Die globale Reichweite und die technologischen Möglichkeiten wachsen - die Wirksamkeit
der Werbebotschaften bei den Konsumenten jedoch laut dieser Messung nicht.
„Der Mensch ist nicht der, der er ist, sondern der, der er sein will. Wer ihn an seinen Wün-
schen packt, hat ihn“ (FORSCHELE, S. 227). Dieses Zitat von Martin Walser passt zu der
Perspektive der Unternehmen an ihrer Schnittstelle zu den Konsumenten: Durch Werbekam-
pagnen sollen die Wünsche bzw. Bedürfnisse der Konsumenten angesprochen werden und
die Konsumenten so an Unternehmen und ihre Marken und Produkte gebunden werden. Es
geht nicht mehr allein darum, die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken. Die Menschen
hoffen, durch den Konsum bestimmter Produkte ihre sozialen Bedürfnisse (z.B. Ansehen,
Macht, Abgrenzung, etc.) zu befriedigen. Welche Produkte die Erfüllung dieser Wünsche
vermuten lassen wird durch die Werbekampagnen der Unternehmen bestimmt.
Die traditionellen Marketingmethoden beruhen darauf, dass die Konsumenten ihre Bedürf-
nisse und Präferenzen beschreiben. Aufbauend auf diesen Beschreibungen werden Marke-
tingtechniken entwickelt. Zunehmend wird vermutet, dass die Beschreibungen der Konsu-
menten kein ganzheitliches Bild über ihre Entscheidungsfindung liefern (POP, DABIJA, I-
ORGA, 2014, S. 26). Darum wurden mit der Zeit die Untersuchungen des Konsumentenver-
haltens bezüglich der kognitiven Wirkung von Werbung intensiviert: Wissenschaftler spie-
len bei der Optimierung des Marketings zur gleichzeitigen Befriedigung von Konsumenten
und Steigerung der Profitabilität der Unternehmen eine immer größere Rolle (POP, DA-
BIJA, IORGA, 2014, S. 26). Ob der Einbezug der Neurowissenschaft tatsächlich Auswir-
kungen auf die Wirksamkeit von Marketing hat und, wenn ja, wie diese aussehen, wird im
Zuge dieser Arbeit kritisch reflektiert.
Seit den 1990er Jahren wird der Bereich Neuromarketing entwickelt (PESCH, 2010, S.9).
2002 wurde er durch Ales Smidts schließlich das erste Mal so betitelt (COUSON, VAYS-
SETTES, 2013, S.3). Der Bereich des Neuromarketings rückt zunehmend in den Fokus des
1 Einleitung
2
Interesses der Menschen: Führte eine Google-Suche nach dem Begriff „Neuromarketing“
im Jahre 2001 noch zu keinen nennenswerten Ergebnissen, erhält man heute (2019) schon
rund 3.930.000 Ergebnisse.1 Die Tendenz ist aufgrund intensiverer Forschung, dem wach-
senden Interesse an erfolgsversprechenden und innovativen Marketingstrategien und zuneh-
mender öffentlicher Kritik steigend.
Ziel der Neuromarketing-Forscher und -Anwender ist es zum einen, zu untersuchen, welche
Reize der Werbung besonders wirken und wie diese Reize eine Konsumentscheidung beein-
flussen. Zum anderen sollen darauf aufbauend Instrumente entwickelt werden, mit denen
das Angebot und die Werbestrategien entsprechend maßgeschneidert werden können.
1.1 Problemstellung und Relevanz des Themas
Mit dem Marketing gewinnt auch die Marketingethik an Bedeutung: Von Unternehmen wird
zunehmend gefordert, dass sie ihre Aktionen vor den Stakeholdern rechtfertigen und Ver-
antwortung für ihr Handeln übernehmen. Um aggressive Werbestrategien zu vermeiden, sol-
len moralische Standards für die Entscheidungen und Handlungen der Marketingmanager
eingeführt werden (MURPHY, BOWIE, KLEIN, 2005). Der Bedarf einer wirksamen Mar-
ketingethik ist wichtig, da das Marketing direkten Einfluss auf den Lebensstil der Konsu-
menten nimmt.
Im Fokus der Diskussionen um Neuromarketing steht die Nutzung der Wissenschaft zu öko-
nomischen Zwecken: Möglicherweise wird die Wissenschaft dazu genutzt, die Entschei-
dungsfindung der Konsumenten so zu beeinflussen, dass ihr Kaufverhalten den Profit der
Unternehmen erhöht. Im Zuge dessen sind die Auswirkungen von Neuromarketing auf die
Konsumentensouveränität und die Privatsphäre sowie Möglichkeiten zur Manipulation von
Interesse.
Die Forscher und Entwickler von Neuromarketing schreiben diesen Methoden die Möglich-
keit zu, zum einen exakt erkennen zu können, was in den Gehirnen der Konsumenten vor-
geht, und zum anderen entsprechende Instrumente zu entwickeln, die diese kognitiven Pro-
zesse gezielt ansprechen, um den Konsum zu erhöhen.
1 Nach eigener Google-Suche, Stand: 24.04.2019.
1 Einleitung
3
Aus ethischer Perspektive muss somit zum einen reflektiert werden, inwieweit die mit dem
Einsatz von Neuromarketing verbundenen Ziele legitim sind, und zum anderen, welche Aus-
wirkungen die Anwendung von Neuromarketing auf die Konsumenten bereits hat und in
Zukunft haben kann.
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen
Das Ziel der Masterarbeit ist es, ein kritisch reflektiertes Verständnis von Neuromarketing
aus der Perspektive der Marketingethik zu vermitteln. Hierbei werden sowohl Theorie und
Ziele als auch Methoden und die Umsetzung des Neuromarketings beleuchtet. Es wird dis-
kutiert, inwieweit Neuromarketing ethisch legitim ist und wie es sich auf die Konsumenten
auswirkt.
Um eine umfassende Reflexion zu bieten, stellen folgende Forschungsfragen den roten Fa-
den dar:
1. Was sind die Ziele der Theorie des Neuromarketings und sind diese aus Sicht der
Marketingethik moralisch legitim?
1.1 Ist die Erforschung des Gehirns zu Marketingzwecken moralisch legitim?
1.2 Wie wirkt sich die Verwendung der Forschungsergebnisse zur Entwicklung von
Marketinginstrumenten auf die Konsumenten aus?
2. Wie wirkt sich Neuromarketing aus Sicht der Marketingethik auf die Konsumen-
tensouveränität aus?
2.1 Werden die Konsumenten „gläsern“ gemacht?
2.2 Werden durch Neuromarketing Bedürfnisse geweckt?
2.3 Wird der freie Wille der Konsumenten eingeschränkt?
3. Stellt Neuromarketing eine Verbesserung gegenüber dem traditionellen Marketing
dar?
1.3 Methodik
Die Masterarbeit baut zum überwiegenden Teil auf einer Recherche der relevanten Literatur
im Bereich Neuromarketing auf. Ergänzend wird Literatur aus den Gebieten Marketingethik
und Neurowissenschaft herangezogen, um eine umfassende Analyse zu gewährleisten.
1 Einleitung
4
Anhand der Literaturanalyse soll dargestellt werden, welche Erkenntnisse bereits erzielt
wurden und in welchen Bereichen weitere Forschung nötig ist. Die Recherche setzt sich
folglich aus einer Analyse bzw. Sammlung und anschließenden Synthese zusammen. Die
durch argumentativ-deduktive Auswertung (vgl. WEBSTER, WATSON, 2002) erzielte
Synthese verschiedener Arbeiten soll ein umfassendes Bild zum Bereich des Neuromarke-
tings aus Sicht der Marketingethik liefern. Dies soll zum einen den Bereich der Forschung
und zum anderen den der Methoden berücksichtigen.
Das Vorgehen richtet sich nach der Methode von Webster (vgl. WEBSTER, WATSON,
2002). Die Literatur wird in einem mehrstufigen Verfahren bearbeitet: In der ersten Phase
werden die gängigsten Journale zu den Themen Neuromarketing, Marketingethik und zu
einem geringeren Anteil zur Neurowissenschaft identifiziert. Diese werden in einem Ran-
king für wissenschaftliche Journals ermittelt. Nach Sammlung dieser Journale werden rele-
vante Beiträge systematisch erschlossen und nach ihrem Inhalt analysiert. Hierbei wird die
Suche nach verschiedenen Suchwörtern (hier u.a.: „Konsumentensouveränität“, „Manipula-
tion“, „Emotionen“ etc.) systematisiert und die einzelnen Beiträge, in denen die Suchwörter
vorkommen, unter den Schlagwörtern kategorisch in einem Dokument gesammelt. So wer-
den relevante von nicht relevanten Beiträgen differenziert werden und der Umfang der zu
analysierenden Literatur reduziert. In der zweiten Phase werden die Quellen der als relevant
erachteten Beiträge analysiert. Diese werden nach Aktualität, also nach Veröffentlichungs-
datum, kategorisiert. So werden alle Quellen, die vor dem Jahr 1900 veröffentlicht wurden,
als irrelevant eingestuft. Insgesamt handelt es sich um eine qualitative Inhaltsanalyse ausge-
wählter Literatur.
Während dieser Inhaltsanalyse werden in einem weiteren Dokument Thesen und Argumente
aus der Literatur gesammelt, die zur Beantwortung der Forschungsfragen relevant sind.
Diese werden im nächsten Schritt inhaltsmäßig gruppiert. Herausgearbeitete Thesen sind
u.a. folgende: Neuromarketing bietet effektivere Methoden als das traditionelle Marketing,
Neuromarketing wirkt sich positiv auf die Konsumentensouveränität aus, Neurowissenschaf-
ten sind zur Entschlüsselung der Bedürfnisse von Konsumenten relevant, Neurowissenschaf-
ten sind zum Verständnis des Treffens einer Kaufentscheidung relevant, etc.
Die aus der Literatur gewonnenen Inhalte zu jeder These werden schließlich in Pro- und
Contra-Argumente aufgeteilt. Zudem werden eigene Thesen und Argumente gebildet und
1 Einleitung
5
den Rechercheergebnissen zugeordnet. Eigene Thesen sind u.a.: Die Umsetzbarkeit der Neu-
romarketing-Methoden ist nicht gegeben, Neuromarketing schränkt die Konsumentensouve-
ränität ein, Neurowissenschaften bieten keine relevanten Erkenntnisse für den Marketing-
bereich, etc.
Das Ergebnis dieses Schrittes stellt die Basis zur Reflexion der einzelnen Thesen dar. Neu-
romarketing wird anhand folgender Kriterien reflektiert:
1. Welche Auswirkungen haben Forschung und Methoden des Neuromarketings auf die
Konsumenten?
2. Wie sind die Ziele von Neuromarketing ethisch zu bewerten?
3. Inwiefern ist neurowissenschaftliche Forschung für den Marketingbereich relevant?
4. Ist die Umsetzbarkeit von Neuromarketing gegeben?
Die Reflexion findet zuerst stichpunktartig statt und wird nach Abschluss der Gliederung
entsprechend in einen Fließtext verfasst.
1.4 Aufbau
Zu Beginn werden die traditionellen Methoden der Marktforschung und des Marketings er-
läutert (s. Kapitel 2). Im nächsten Schritt wird der Bereich des Neuromarketings definiert
und vom traditionellen Marketing abgegrenzt (s. Kapitel 3). So werden die Unterschiede der
beiden Bereiche dargestellt.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Neuromarketing ist nur dann möglich, wenn man die
die Zielsetzungen, Instrumente und zentralen Erkenntnisse der Neurowissenschaft versteht.
Darum wird in Kapitel 4 erläutert, welche Erkenntnisse neurowissenschaftlicher Forschung
für den Marketingbereich relevant sind. Im Zuge dessen werden Aufbau und Funktionsweise
des Gehirns beschrieben. Des Weiteren werden die Rolle von Emotionen und der Einfluss
der Wahrnehmung auf die Entscheidungsfindung erläutert. Emotionen und Wahrnehmung
stellen beim Treffen von (Kauf-)Entscheidungen wichtige Variablen dar. Es ist somit rele-
vant, deren Wirkungsweise im Zusammenhang dieser Arbeit zu erläutern.
Vor dem Hintergrund der Marketingethik wird untersucht, inwieweit sowohl die Theorie
und Ziele als auch die Instrumente des Neuromarketings moralisch legitim sind. Dazu wird
1 Einleitung
6
zum einen auf die Perspektive der Wissenschaft und zum anderen auf die Perspektive der
praktizierenden Unternehmen eingegangen. Insgesamt handelt es sich bei der Arbeit um eine
Kombination aus wirtschafts- und forschungsethischen Gesichtspunkten bezüglich des Neu-
romarketings. Durch die kritisch reflektierte Auseinandersetzung mit den Forschungsfragen
wird ein Verständnis dafür geschaffen, inwieweit die Ziele der Neuromarketingforschung
moralisch vertretbar sind und in moralisch legitime Unternehmenspraktiken umgesetzt wer-
den.
In Kapitel 5 wird zunächst auf den Bereich der Forschung eingegangen. Bevor eine Refle-
xion dessen stattfindet, werden die Forschungsmethoden beschrieben. Es stellt sich die
Frage, ob die Ziele allein an der Generierung von Profit ausgerichtet sind und die Souverä-
nität und das Wohl der Konsumenten beeinflussen sollen und können.
Im 6. Kapitel wird die marketingethische Reflexion der Neuromarketing-Methoden vorge-
nommen. Zunächst werden die Methoden Limbic® und Brand Code Managementä erläu-
tert, um einen Einblick in die Funktionsweise solcher Instrumente zu geben. Darauf aufbau-
end wird reflektiert, welche Auswirkungen die Methoden auf die Konsumentensouveränität
haben können. Dabei wird im Speziellen auf Möglichkeiten zur Einschränkung des freien
Willens, der Generierung von Bedürfnissen und der Manipulation eingegangen. Anschlie-
ßend wird die Umsetzbarkeit der beiden erwähnten Methoden diskutiert, um zu reflektieren,
welchen Einfluss ihre Anwendung tatsächlich auf die Konsumenten hat.
Bevor im letzten Kapitel ein Fazit zum Neuromarketing aus Sicht der Marketingethik gezo-
gen wird, wird in Kapitel 7 auf die Vor- und Nachteile von Neuromarketing verglichen mit
den traditionellen Methoden eingegangen. Es wird analysiert, inwieweit die angestrebten
Ziele überhaupt erreicht werden können und ob es sich nicht eher um einen Neuromarketing-
Hype als um eine wirkliche Innovation handelt. Dies ist für die marketingethische Reflexion
relevant, da so deutlich wird, ob mögliche Gefahren tatsächlich bestehen oder ob es sich bei
der Wirksamkeit von Neuromarketing um Spekulation handelt.
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
7
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
„Marketing is an organizational function and a set of processes for creating, communication
and delivering value to customers and for managing customer relationships in ways that
benefit the organization and its stakeholders” (MEFFERT, BURMANN, KIRCHGEORG,
EISENBEIß, 2019, S. 11). Laut diesem Zitat wird Marketing zum einen also als Funktion
innerhalb eines Unternehmens verstanden, in der man sich im Wesentlichen „mit der effi-
zienten und bedürfnisgerechten Gestaltung von Austauschprozessen“ (MEFFERT, BUR-
MANN, KIRCHGEORG, EISENBEIß, 2019, S. 3) beschäftigt. Zum anderen gilt es als Leit-
bild der Unternehmensführung zur „marktorientierten Koordination aller betrieblichen
Funktionsbereiche“ (MEFFERT, BURMANN, KIRCHGEORG, EISENBEIß, 2019, S. 13).
Das bedeutet, dass sich ein Unternehmen sowohl auf die Generierung von Profit als auch auf
die Bedürfnisse bestehender und zukünftiger Kunden ausrichtet.
Die Aufgaben des Marketings umfassen alles, was mit der Generierung von Kundennutzen
zu tun hat. Darunter fallen u.a. die Marktforschung, die Gestaltung des Produktangebotes,
die Festlegung der Preise und Kommunikation und Vertrieb (MEFFERT, BURMANN,
KIRCHGEORG, EISENBEIß, 2019, S. 14). Darauf aufbauend wird die Marketingstrategie
formuliert, die die Mission und Ziele eines Unternehmens definiert. (KOTLER, ARM-
STRONG, HARRIS, 2016, S.38f.)
Marketing ist somit nicht auf die Funktion eines verkaufsfördernden Instrumentes und somit
auf eine rein operative Orientierung zu beschränken - Marketing wird im Unternehmen auch
strategisch verankert. Die strategische Komponente umfasst u.a. das Kunden-Beziehungs-
Management (CRM), das Stakeholder-Management und das Marken-Management.
Man kann das traditionelle Marketing in die Bereiche der Forschung und der Methoden un-
terteilen. Um seine (Marketing-)Ziele zu erreichen ist Voraussetzung für ein Unternehmen,
die Bedürfnisse und Präferenzen seiner bestehenden und der zu gewinnenden Neukunden zu
kennen. Zur Erzielung dieser Erkenntnisse wird die Forschung betrieben, um auf Basis die-
ses Wissens entsprechende Methoden in Form von Strategien und Instrumenten zu entwi-
ckeln (KREUTZER, 2010, S. 12 ff.).
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
8
Marketing gilt auch als „operative Beeinflussungstechnik“ (MEFFERT, BURMANN,
KIRCHGEORG, EISENBEIß, 2019, S. 13), was bedeutet, dass es nicht allein um die Iden-
tifikation und Befriedigung von Kundenbedürfnissen geht, sondern auch um die „systemati-
sche Bedarfs- bzw. Verhaltensbeeinflussung der Nachfrager“ ((MEFFERT, BURMANN,
KIRCHGEORG, EISENBEIß, 2019, S. 15). Dabei steht die Generierung von Profit mög-
licherweise mehr im Vordergrund, als die Generierung von Kundennutzen bzw. wird der
„Nutzen“ mit „Konsum“ gleichgesetzt. Die Ziele von Marketing (Generierung von Profit
und Generierung von Kundennutzen) können unter diesen Umständen in Konflikt geraten.
Um eine wirksame Marketingstrategie zu entwerfen, müssen laut Kollmann die Erwartungen
der Konsumenten „erfüllt oder übertroffen“ werden (KOLLMANN, 2009, S. 260). Je besser
ein Unternehmen seine Konsumenten kennt, desto leichter kann dieser Nutzen geschaffen
werden und desto besser ist das Verhalten der Konsumenten vorhersehbar. Dies bedeutet
Sicherheit für ein Unternehmen, da die Wirksamkeit verschiedener Strategien und Maßnah-
men besser prognostiziert werden kann. Zudem kann sich dies positiv auf seine ökonomische
Situation auswirken, da Verluste durch fehlgeschlagene Produkteinführungen, Werbekam-
pagnen, etc., vermieden werden können und ersichtlicher ist, welche Maßnahmen verkaufs-
fördernd wirken.
2.1 Die traditionelle Marktforschung
Mit Hilfe der Marktforschung wird die Effizienz2 von Marketingmaßnahmen ermittelt. Da-
für sind u.a. das Verhalten bzw. die Entscheidungen der Konsumenten von Bedeutung.3
Entscheidend für das Treffen einer Kaufentscheidung sind nach Schüller und Fuchs die Mo-
tive, Werte und Einstellungen der Konsumenten (SCHÜLLER, FUCHS, 2009, S. 34). Diese
sollen durch verschiedene Methoden der Marketingforschung entschlüsselt werden, um die
Entscheidungsfindung nachvollziehen und prognostizieren zu können. Die Forschungser-
gebnisse stellen zudem eine Basis zur Entwicklung entsprechender Methoden dar, mit denen
aktiv auf das Konsumentenverhalten eingewirkt werden kann.
2 Mit Effizienz ist in dieser Arbeit gemeint, dass durch den effektiveren bzw. gezielteren Einsatz von Werbe-
mitteln mit geringerem Aufwand mehr Erfolg erzielt wird. 3 Das Verhalten der Konkurrenz und die Interaktion von Unternehmen am Markt wird in dieser Arbeit nicht
mit einbezogen, da es für die ethische Reflexion von Neuromarketing nicht relevant ist. Es soll allein um die Auswirkungen auf die Konsumenten gehen.
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
9
Zur Analyse des Konsumentenverhaltens bzw. ihrer Bedürfnisse und Präferenzen werden im
traditionellen Marketing u.a. Portfolio-Analysen, die Analyse der Positionierung von Mar-
ken, Untersuchungen zu Konsumenten-Panels und Kundenbefragungen durchgeführt.
(KREUTZER, 2010, S. 74 ff.)
Es wird deutlich, dass diese Forschungsmethoden vor allem auf Beobachtungen, Selbstbe-
obachtung und Befragungen beruhen. Es wird der Einfluss von wahrgenommenen Reizen,
bewussten Präferenzen und Bedürfnissen und die Bedeutung der Umgebung, des persönli-
chen Umfelds und der Kultur einer Person analysiert.4 Traditionelle Marketingmethoden be-
ruhen darauf, dass Menschen ihre Gefühle in Verbindung mit Werbung, Produkten und Mar-
ken beschreiben bzw. Marketingforscher diese aus dem beobachtbaren Verhalten einer Per-
son interpretieren.
Probleme bzw. Schwierigkeiten können sich hierbei ergeben, da Menschen nicht fähig sind,
zu beschreiben, welche kognitiven Prozesse in ihren Gehirnen ablaufen. Diese sind jedoch
in entscheidendem Anteil an Kaufentscheidungen beteiligt, weshalb Informationen darüber
für das Marketing interessant sind. Menschen können lediglich die physischen Reaktionen -
also z.B. vermehrtes Schwitzen durch einen angsteinflößenden Werbespot, die höhere At-
traktivität einer roten Produktverpackung verglichen mit einer blauen etc. - beschreiben, die
durch Marketingprozesse hervorgerufen werden (BURGOS-CAMPERO, VARGAS-HER-
NANDEZ, 2013, S. 518 f.). Wie diese physischen Reaktionen und kognitiven Prozesse ab-
laufen und was in welcher Weise Einfluss auf sie nimmt, kann nicht kommuniziert werden.
Emotionen und ihr Auftreten können mit Worten nicht umfassend und exakt beschrieben
werden, da sie zum Großteil im Unterbewusstsein entstehen. Kognitive Prozesse haben viele
unterbewusste Komponenten, welche bei der traditionellen Marktforschung nicht integriert
werden, da auch die Marktforscher mit den traditionellen Forschungsmethoden keine Mög-
lichkeit haben, diese kognitiven Prozesse zu analysieren.
Für den traditionellen Marktforschungsbereich bedeutet das, dass lediglich das Verhalten
und die Reaktionen untersucht werden, die von den Marketingforschern beobachtet und von
den Probanden beschrieben werden können. Somit können lediglich der Prozess des Treffens
4 Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen traditionellen Forschungsmethoden wird hier nicht vorgenom-
men, da sie für den Kontext der Darstellung nicht relevant ist. Beschrieben sind die einzelnen Methoden und Instrumente z.B. in KREUTZER, 2010.
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
10
einer Kaufentscheidung und die damit verbundenen sichtbaren Reaktionen untersucht wer-
den, nicht aber, was diese Entscheidung vor dem Bewusstwerden auslöst und beeinflusst.
Erkenntnisse darüber sind für den Marketingbereich jedoch relevant, da aufbauend darauf
das Konsumverhalten besser nachvollzogen und möglicherweise auch beeinflusst werden
kann. Schüller und Fuchs unterscheiden diesbezüglich in Bedürfnisse und Erwartungen: Er-
wartungen sind vernunftgebunden und somit an bewusste Prozesse geknüpft, während Be-
dürfnisse emotionsgebunden sind und im Unterbewusstsein entstehen (SCHÜLLER,
FUCHS, 2009, S. 33). Mit der traditionellen Marktforschung können Erwartungen beschrie-
ben werden. Es ist allerdings nicht möglich, (unterbewusste) Bedürfnisse zu entschlüsseln,
da keine Analyse kognitiver Prozesse stattfindet.
Das bedeutet jedoch nicht, dass in der traditionellen Markforschung keine Verbindung zwi-
schen dem Treffen einer Kaufentscheidung und unterbewussten bzw. kognitiven Prozessen
gesehen wird. Diese Prozesse können zwar mit den traditionellen Methoden nicht aus neu-
ronaler Perspektive untersucht werden, werden aber in Form von hypothetischen Erklärun-
gen mit der Entscheidungsfindung in Zusammenhang gebracht (SCHÜLLER, FUCHS,
2009, S. 33).
Mit der Zunahme der Digitalisierung hat sich der Marketingbereich in die Richtung von
Marketing 4.0 entwickelt (eigene Darstellung nach KOTLER, 2017, S. 47):
Marketing 1.0 Marketing 2.0 Marketing 3.0 Marketing 4.0
Ausrichtung Produkt Kunden Werte Verhalten
Kundensicht Bedürfnisse Mensch Herz, Geist, Seele
kundenzentriert
Fokus Produkte Differenzierung Kundenbin-dung
Vernetzung
Ziele Produktwer-bung
Kunden gewin-nen
Beziehungen Engagement
Abbildung 1: Marketing 1.0 bis 4.0
Marketing 4.0 wird von der Entwicklung der Industrie 4.0 abgeleitet und ist somit durch die
Möglichkeiten der Digitalisierung geprägt. Das bedeutet, dass beim Marketing 4.0 das In-
ternet und somit speziell soziale Netzwerke im Fokus stehen. Anhand der Sammlung und
statistischen Auswertungen von Klickzahlen, Empfehlungen bzw. Bewertungen von Kunden
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
11
an andere Kunden, Reaktionen auf Werbebanner, etc. kann ermittelt werden, auf welche Art
von Werbung und an welcher Stelle am besten reagiert wird und wo die Präferenzen und
Bedürfnisse von Konsumenten liegen (KOTLER, 2017, S. 47). Marketing 4.0 bietet somit
durch Big Data die Möglichkeit, neben der Sammlung und Auswertung zahlreicher von den
Kunden getroffenen Aussagen über deren Präferenzen und Bedürfnisse, auch eine große
Menge an Informationen über ihr tatsächliches Verhalten festzuhalten und auszuwerten
(Stichwort digitaler Fußabdruck). So können statistische Bedürfnis- und Kaufmuster erstellt
werden und die Treffsicherheit von Aussagen über zukünftiges Konsumverhalten erhöht
werden. Marketing 4.0 ist keine neuer Bereich von Marketing, sondern eine Optimierung
der herkömmlichen Forschungsmethoden.
Intensivere Marktforschung kann sich positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken, da
durch eine größere Wissensbasis bessere Marketingmethoden zur Erreichung der Unterneh-
mensziele entwickelt werden können. Der Kundennutzen kann so ebenfalls erhöht werden,
da besser auf die Konsumenten eingegangen wird. Aus ethischer Perspektive besteht jedoch
die Gefahr, dass die Marktforschungsziele ausschließlich am Unternehmenserfolg ausge-
richtet sind und negative Konsequenzen für das Wohl der Konsumenten haben können, was
in den folgenden Kapiteln näher erläutert wird.
2.2 Die traditionellen Marketinginstrumente
Die traditionellen Marketinginstrumente lassen sich in Form des Marketingmix‘ bzw. der 4
P’s darstellen. Der Marketingmix besteht aus der Produkt- und Programmpolitik, der Preis-
und Konditionenpolitik, der Distributionspolitik und der Kommunikationspolitik. (KOTLER,
ARMSTRONG, HARRIS, 2016, S.122)
Im Kontext dieser Arbeit ist vor allem die Kommunikationspolitik interessant, da durch sie
die Aufmerksamkeit der Konsumenten gelenkt und über die Produkte und Marken eines Un-
ternehmens informiert werden soll. Die Marktforschung stellt die Basis zur Entwicklung von
Marketingmethoden dar. Nach der Analyse des Konsumentenverhaltens und der -präferen-
zen soll nach Kollmann Einfluss auf das Kaufverhalten genommen werden (KOLLMANN,
2009, S. 260 f.). Kaufwünsche sollen geweckt und Kaufentscheidungen unterstützt werden.
Neben der Befriedigung der Konsumentenbedürfnisse werden so auch ökonomische Ziele
in Form der Verkaufsförderung und Absatzsteigerung verfolgt. Instrumente der
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
12
Kommunikationspolitik sind u.a. die Werbung, Kundenbindungssysteme und die Markenin-
szenierung.5
Die traditionellen Marketingmethoden werden aufbauend auf den Ergebnissen der unter 2.1
dargestellten traditionellen Marktforschung entwickelt und setzen somit am beobachtbaren
Verhalten bzw. an bereits getroffenen Entscheidungen an. Mit Hilfe der Instrumente versu-
chen Unternehmen, das Kaufverhalten der Konsumenten absatzfördernd zu beeinflussen.
Laut Kollmann sind diese Instrumente umso effizienter bzw. gewinnbringender, desto ziel-
gerichteter sie auf die Bedürfnisse und Eigenschaften einer Zielgruppe zugeschnitten sind
(KOLLMANN, 2009, S. 261 f.). Somit sollte es Ziel der Marketingbetreibenden sein, ihre
Zielgruppe bestmöglich zu kennen, um die Marketinginstrumente dementsprechend zu ge-
stalten. Da es mit den traditionellen Methoden der Marktforschung nicht möglich ist, die
Gedankenstrukturen der Konsumenten zu entschlüsseln (vgl. Kapitel 2.1), kann die Effekti-
vität und Effizienz der traditionellen Marketinginstrumente nur am sichtbaren Verhalten der
Konsumenten gemessen werden und auf dieses einwirken. Auf kognitive Prozesse kann in
diesem Fall kein gezielter Einfluss genommen werden. Da nicht beobachtbare Prozesse in
den Gehirnen der Konsumenten jedoch einen großen Einfluss auf das beobachtbare Treffen
einer Kaufentscheidung haben, können sich das Verständnis dieser und gegebenenfalls eine
entsprechende Einflussnahme auf diese Prozesse positiv auf die Erreichung der Marketing-
ziele auswirken.
Mit Marketing 4.0 (s. Kapitel 2.1) wurde es jedoch möglich, Instrumente zu entwickeln, die
nicht allein auf der Selbstreflexion und Artikulationsfähigkeit der Konsumenten aufbauen.
Ein Ziel von Marketing 4.0 ist es, Weiterempfehlungen von Kunden an andere Kunden zu
generieren. Durch die Forschung in diesem Bereich hat sich gezeigt, dass Kunden im Inter-
net weniger auf Marketingbotschaften und mehr auf den F-Faktor reagieren (KOTLER,
2017, S. 47). Das bedeutet, dass Meinungen von Freunden, Familie, anderen Followern, etc.
bedeutender für die Kaufentscheidung sind, als die Gestaltung einer Marketingbotschaft.
Anstatt also in teure Werbekampagnen zu investieren, ist es effektiver, die Kunden selbst zu
Markenbotschaftern zu machen, um bestehende Kunden zu binden und neue Kunden zu ge-
winnen. So setzt man zum Beispiel mit den neuen sozialen Medien unter dem Stichwort des
5 Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Instrumente wird hier nicht vorgenommen, da sie für den Kon-
text der Darstellung nicht relevant ist. Beschrieben sind die einzelnen Methoden und Instrumente z.B. in KREUTZER, 2010.
2 Theoretische Grundlagen des Marketings
13
Influencer Marketings an den unterbewussten Prozessen der Konsumenten an bzw. nimmt
zielgerichtet Einfluss auf diese: Die Influencer bewerben Produkte eines Unternehmens, in-
dem sie durch Videos oder Fotos zeigen, wie sie diese benutzen und (meist positiv) beurtei-
len. Oft vermitteln Influencer durch ihr Auftreten im Internet den Eindruck, dass sie ein
„perfektes“ Leben führen und die von ihnen beworbenen Produkte dazu verhelfen. Der
Follower entwickelt auf diesem Wege durch die Beeinflussung des Influencer unterbwusst
das Bedürfnis nach dem bestimmten Produkt, was die Wahrscheinlichkeit des Konsums die-
ses Produktes erhöht. Die Wirksamkeit dieser Methode ist nicht zuletzt bei einer Umfrage
des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) bestätigt: 61% der Befragten haben das
Budget für Influencer Marketing für das Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr erhöht
(BVDM, 2018, S. 16). 73% sehen die Authentizität von Influencer Markteting als entschei-
denden Vorteil (BVDM 2018, S.18).
Zudem kann das Verhalten der Kunden auch durch algorithmusbasierte benutzerspezifische
Werbung beeinflusst werden. Hierbei rechnet ein Algorithmus aufbauend auf getätigten On-
line-Käufen, Suchwörtern und Bewertungen aus, welche Produkte zum jeweiligen Benutzer
passen bzw. welche mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Bedürfnissen und Präferenzen ent-
sprechen und somit zum Kauf führen können.
Das zeigt, dass eine Optimierung bzw. Entwicklung des traditionellen Marketings möglich
ist und auch umgesetzt wird. Mit diesen Möglichkeiten ergeben sich aus ethischer und recht-
licher Perspektive jedoch auch Probleme. Seit 2019 besteht in sozialen Netzwerken die
Pflicht zur Kennzeichnung von Werbung. Das Bewerben von Produkten ohne diese Kenn-
zeichnung fällt unter Schleichwerbung und kann eine Manipulation von Konsumenten dar-
stellen. Eine Optimierung von Marketing (aus unternehmerischer Perspektive) geht in die-
sem Fall zu Lasten der Konsumenten.
3 Neuromarketing in Abgrenzung zum traditionellen Marketing
14
3 Neuromarketing in Abgrenzung zum traditionellen Mar-keting
Die Arbeit wird aufbauend auf folgender Definition des Neuromarketings von Kirichuk ver-
fasst, da diese die wichtigsten Komponenten abdeckt: Neuromarketing ist ein „interdiszip-
linäres Forschungsgebiet, bei dem neurowissenschaftliche Technologien eingesetzt werden
und psychologische und neurophysiologische Erkenntnisse interpretiert und integriert wer-
den, um ein besseres Verständnis über die Prozesse, welche die Entscheidungen eines po-
tenziellen Konsumenten für oder gegen ein Produkt bzw. eine Marke steuert, zu erlangen,
und die gewonnenen Ergebnisse für die Marketingpraxis einzusetzen“ (KIRICHUK, 2008,
S. 12).
Bei Neuromarketing handelt es sich um ein interdisziplinäres Forschungsfeld der Werbewir-
kungsforschung, welches die Bereiche Wirtschaft, Psychologie, Neurobiologie und Neuro-
wissenschaft miteinander verknüpft. Ökonomen und Neurobiologen sind an der Erarbeitung
von Methoden zum Verständnis menschlichen Verhaltens interessiert. Seit den 1990er Jah-
ren wird die Neurowissenschaft für den Marketingbereich genutzt, um Erklärungen über das
Verhalten von Konsumenten zu erhalten, die über die Erkenntnisse des traditionellen Mar-
ketings hinausgehen (BELDEN, 2008, S. 249).
Die Untersuchung des Konsumentenverhaltens auf traditionelle Weise wird im Neuromar-
keting also um die Analyse von neuronalen Prozessen im Gehirn erweitert (MORIN, 2011,
S. 132). Die Analysemethoden des Neuromarketing beziehen sich somit auf das Innere des
Menschen: zum einen auf den physischen Teil in Form des Gehirns und seiner kognitiven
Systeme und zum anderen auf den psychischen Teil in Form von Emotionen (CAMERER,
LOEWENSTEIN, PRELEC, 2005, S. 12 ff.). Durch die Erweiterung der traditionellen
Marktforschung um neurowissenschaftliche Untersuchungen des Gehirns können unbefrie-
digte und unterbewusste Bedürfnisse und Emotionen identifiziert werden. Zudem werden
Möglichkeiten zur Beeinflussung kognitiver Prozesse ermittelt, was neue Geschäftsmöglich-
keiten bieten kann (RAAB, GERNSHEIMER, SCHINDLER, 2009, S. 22f.).
Es ist zwar aufgrund der wichtigen Rolle von Emotionen nachvollziehbar, „in den Gehirnen“
bzw. am Unterbewusstsein der Konsumenten anzusetzen und dieses beeinflussen zu wollen,
allerdings könnte dies auch einen Umweg darstellen. Möglicherweise können (wie z.B. bei
3 Neuromarketing in Abgrenzung zum traditionellen Marketing
15
Marketing 4.) durch intensivere Beobachtung des Verhaltens genug Informationen über die
Bedürfnisse der Konsumenten gesammelt werden und auf diesem Wege neue Geschäfts-
möglichkeiten (z.B. Influencer Marketing, algorithmusbasierte Produktempfehlungen, Be-
wertungen von anderen Käufern) entstehen.
Diesbezüglich argumentieren die Entwickler von Neuromarketing so, dass die Bedeutung
von Emotionen und des Unterbewusstseins für eine Kaufentscheidung in der Tat auch in der
traditionellen Marktforschung anerkannt wird. Dort ist dies aber auf die Annahme be-
schränkt, dass Menschen ihre kognitiven Prozesse beschreiben können (MORIN, 2011, S.
133). Die Emotionen der Menschen sind ihnen jedoch nicht bewusst zugänglich und somit
nicht mit Hilfe der klassischen Marktforschungsmethoden messbar. Durch neuroökonomi-
sche Verfahren wurde es, wie Kenning beschreibt, erstmals möglich, aus organischer Per-
spektive Einblicke in Entscheidungs- und Wahrnehmungsprozesse zu erlangen, ohne inter-
personelle Zustände rekonstruieren zu müssen. Dies stellt einen entscheidenden Unterschied
zum traditionellen Marketing dar, wo Phänomene häufig an Interaktionssituationen unter-
sucht werden (RAAB, GERNSHEIMER, SCHINDLER, 2009, S. 22f.). Durch eine metho-
dische Erweiterung der Marktforschung um eine neurowissenschaftliche Perspektive können
auch kognitive Prozesse analysiert werden.
Es ist allerdings (weiterhin) fraglich, ob ein Einbezug der Neurowissenschaft überhaupt nö-
tig ist. Möglicherweise liefern die Methoden von z.B. Marketing 4.0 schon so umfangreiche
und informationsstarke Ergebnisse, dass Neuromarketing lediglich bestätigen würde, was
die Forschung um die traditionellen Methoden liefert. Mit Big Data ist es möglich, durch die
statistische Generierung von Mustern Annahmen über Bedürfnisse und Präferenzen von
Konsumenten zu treffen. Somit können die traditionellen Marketinginstrumente das momen-
tane Kaufverhalten besser erfassen und treffsichere Aussagen über das und zukünftige Kauf-
verhalten machen. Somit ist es kritisch zu hinterfragen, ob eine neurowissenschaftliche Un-
tersuchung des Konsumentenverhaltens für eine Optimierung des Marketings überhaupt not-
wendig ist. Entgegen dem, was die Entwickler und Befürworter von Neuromarketing kom-
munizieren, stellt dieses eventuell keine Revolution für den Marketingbereich dar.
Im Fokus des Neuromarketing stehen insgesamt, genau wie beim traditionellen Marketing,
ökonomische Fragestellungen z.B. nach dem Konsumverhalten, den
3 Neuromarketing in Abgrenzung zum traditionellen Marketing
16
Konsumentenpräferenzen, der Markenbindung, der Effizienz von Marketingstrategien und
der Möglichkeit zur Gewinnmaximierung. Gesundheitswissenschaftliche und medizinische
Problemstellungen stehen somit nicht im Fokus, obwohl medizinische Untersuchungen
durchgeführt werden (s. Kapitel 5). Falls das bedeutet, dass Neuromarketing das Wohl der
Konsumenten in den Hintergrund stellt und rein ökonomische Ziele verfolgt, muss dieses
Vorgehen aus ethischer Perspektive reflektiert werden.6
Insgesamt kann Neuromarketing den Marketingtreibenden gegenüber den traditionellen
Marketingmethoden den Vorteil bieten, Möglichkeiten zum Erkennen, Verstehen und Kon-
trollieren unterbewusster Entscheidungsprozesse auf Basis neurowissenschaftlicher Er-
kenntnisse zu liefern. So können die physiologischen Reaktionen des Gehirns auf Werbung
bzw. Produkte und Marken erforscht werden. Dadurch werden Prozesse der Entscheidungs-
findung sichtbar, die bisher nicht untersucht werden wurden. Kurz: Neuromarketing erwei-
tert das traditionelle Marketing um die Perspektive der Neurowissenschaften. Ob die Unter-
suchung des Gehirns jedoch tatsächlich relevant ist, um das Marketing effektiver zu gestal-
ten, ist fraglich und wird im Folgenden noch näher reflektiert. Möglicherweise bieten die
Entwicklungen der Digitalisierung genug Möglichkeiten, den Marketingbereich im Rahmen
der traditionellen Methoden, also ohne Hinzuziehen der Neurowissenschaft, hinsichtlich der
Vorhersagekraft und Beeinflussbarkeit von Konsumentenverhalten zu optimieren.
6 s. Kapitel 5.3, Kapitel 6.2. und Kapitel 7.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
17
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
Der Forschungsgegenstand der Neurobiologie ist das menschliche Gehirn. Dieses wird als
das komplexeste System des Körpers angesehen (MORIN, 2011, S. 131). Bei der Forschung
stehen nicht nur der Aufbau und die organischen Funktionsweisen im Blick, sondern auch,
wie verschiedene Prozesse im Gehirn bezüglich der Wahrnehmung und Empfindung ablau-
fen und miteinander verknüpft sind (MORIN, 2011, S. 132 ff.).
Die Erkenntnisse der Neurobiologie sind laut Häusel bedeutend für das Marketing bzw. die
Marktforschung, da durch sie deutlich wird, welche neuronalen Strukturen im Gehirn vor-
handen sind, wie diese zusammenwirken und ob diese verhaltenswirksam sind (HÄUSEL,
2012, S. 9ff). Es soll also gezeigt werden, ob und wie neuronale Strukturen im Gehirn das
Kaufverhalten beeinflussen. Neuromarketing kann somit die Basis von Modellen sein, die
erklären, warum ein Konsument ein bestimmtes Produkt kauft (MORIN, 2011, S. 132). Nach
Seßler konnte durch die Marktforschung herausgefunden werden, dass Kaufentscheidungen
sowohl aus rationalen als auch aus emotionalen Gründen stattfinden (SEßLER, 2013, S. 15
ff.). Für das Marketingmanagement bedeutet das, dass man neben der Demografie, Lebens-
situation, etc., auch die Emotionsstrukturen der Konsumenten erkennen und verstehen sollte,
um ihre Kaufentscheidungen besser prognostizieren und beeinflussen zu können.
Dies kann jedoch nicht allein durch Neuromarketing erklärt werden. Marketing 4.0 erhöht,
wie eingangs beschrieben (vgl. Kapitel 2.1), die Treffsicherheit des traditionellen Marke-
tings hinsichtlich der Beschreibung und Prognose des Kaufverhaltens der Konsumenten. Es
gilt also die Frage zu klären, ob die Untersuchung neuronaler Strukturen im Neuromarketing
diesbezüglich überhaupt in erheblichem Maße aussagekräftigere Informationen liefert, als
es die Optimierung der traditionellen Methoden möglich macht.
Durch neurowissenschaftliche Untersuchungen wurde herausgefunden, dass die neuromag-
netische Hirnaktivität in Abhängigkeit von der emotionalen Aufladung eines Warenbildes
variiert: Die Hirnaktivität verstärkt sich mit zunehmender emotionaler Aufladung. Marke-
tingmaßnahmen ohne emotionale Aufladung scheinen für das Gehirn weniger Bedeutung zu
haben als solche, durch die emotional wirkende Reize gesendet werden. Es wird folglich
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
18
angenommen, dass Emotionen die Basis des menschlichen Verhaltens darstellen. (z.B. SEß-
LER, 2013, S. 19f.)
Zu dieser Erkenntnis kam man jedoch auch schon vor der Entwicklung des Neuromarke-
tings. Im traditionellen Marketing fließt die Bedeutung von Emotionen in Form von Hypo-
thesen und Annahmen in die Erklärung von Verhalten ein. Durch die neurowissenschaftliche
Untersuchung wurde somit kein revolutionärer Wandel hervorgerufen, sondern lediglich be-
stätigt, wovon schon lange ausgegangen wurde.
Durch den Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden können in den Untersuchungen auf
die Probanden extrinsisch wirkende Faktoren wie die Beeinflussung durch dominante Grup-
pen, Stress, Belohnungsreize etc., herausgefiltert werden (PRADEEP, 2010, S. 11). Durch
die Untersuchung der kognitiven Prozesse kann z.B. die Wirkung verschiedener Verpa-
ckungsfarben auf die Kaufentscheidung analysiert werden, ohne dass der Proband aktiv eine
Antwort äußert, die eventuell davon beeinflusst ist, welche Farbe gerade modern ist. Es wird
sich somit allein auf seine persönliche Reizempfänglichkeit konzentriert. Dies bietet gegen-
über dem traditionellen Marketing die Möglichkeit einer detaillierteren Untersuchung ein-
zelner Entscheidungsfaktoren. Es ist allerdings fraglich, inwieweit eine isolierte Untersu-
chung einzelner Faktoren/ Variablen ein aussagekräftiges Bild über das Treffen einer Ent-
scheidung liefert, da Entscheidungen oft vom Zusammenspiel mehrerer Variablen abhängen
(vgl. Kapitel 7). Es kann somit sein, dass eine Person kognitiv zwar besser auf die Farbe
Blau reagiert, aber doch die rote Verpackung kaufen wird, weil ihr wichtig ist, „trendige“
Produkte zu kaufen.
Insgesamt können durch die Erkenntnisse neurowissenschaftlicher Forschung die Annah-
men und hypothetischen Erklärungen der traditionellen Marktforschung bestätigt werden.
Zudem können die neuronalen Prozesse genau abgebildet werden, was das Verständnis der
Beschaffenheit von Reizen, Emotionen und Co erhöht. Neuromarketing bietet somit die
Möglichkeit, mehr Informationen über die Wirkung von Marketing zu generieren. Ob diese
Informationen allerdings tatsächlich neue Erkenntnisse und die Möglichkeit für Innovatio-
nen im Marketingbereich liefern oder tatsächlich eher bestätigen, was man schon lange an-
genommen hat, ist fraglich.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
19
4.1 Die Bedeutung des Aufbaus des Gehirns für das Neuromarke-ting
Da es im Neuromarketing u.a. darum geht, herauszufinden, an welchen Stellen im Gehirn
marketingrelevante Prozesse ablaufen und wie diese Prozesse aussehen, ist ein kurzer (gro-
ber) Überblick über den Aufbau des Gehirns relevant.
4.1.1 Das Gehirn
Das Gehirn kann im Wesentlichen in den Thalamus und den Hypothalamus unterteilt wer-
den. In beiden Regionen findet die Verarbeitung von Informationen statt. Informationen sind
in diesem Kontext als kognitive Reize zu verstehen, die verschiedene physische Reaktionen
hervorrufen.
Im Thalamus werden die Informationen, die von den Augen, den Ohren, der Haut, den in-
neren Organen und den Gelenken und Muskeln gesendet werden, sortiert und gefiltert. Da-
nach werden die Signale an höhere Gehirnregionen weitergeleitet. Der Thalamus ist außer-
dem für das Steuern der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins zuständig. (RAAB, GERNS-
HEIMER, SCHINDLER, 2014, S. 169)
Interessanter für das Neuromarketing ist nach Häusel jedoch der Hypothalamus (HÄUSEL,
2014, S. 252). Dieser ist als Bestandteil des limbischen Systems (Kapitel 3.1.2) an der Steu-
erung von Emotionen beteiligt. Im Hypothalamus werden emotionale Prozesse mit bewuss-
ten physischen Abläufen (z.B. Fluchtreflexen nach Empfangen eines Reizes, der die Emo-
tion Angst auslöst) verknüpft. Anhand von Kenntnissen über die Funktionsweise und den
Aufbau des Hypothalamus können somit die kognitiven Prozesse einer (emotionsgesteuer-
ten) Kaufentscheidung analysiert werden (HÄUSEL, 2014, S. 252).
4.1.2 Das limbische System
Unter der Bezeichnung des limbischen Systems sind nach Häusel alle Gehirnstrukturen zu-
sammengefasst, die mit der Entstehung und Verarbeitung von Reizen zu tun haben. Es
nimmt Einfluss auf das Gedächtnis, das Lernen und die Motivation und zentriert Gefühle,
wie z.B. Angst, Ekel, Freude oder Wut. (HÄUSEL, 2014, S. 50)
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
20
Laut Seßler werden in diesem Teil des Gehirns die Emotionen verarbeitet (SEßLER, 2013,
S. 30 ff.). Sie werden in „Motive“ (SEßLER, 2013, S. 30) umgesetzt, was bedeutet, dass sie
konkreter auf ein Objekt, die Zeit und den Raum ausgerichtet werden. So wird ein innerer
Erregungszustand in ein spezifisches Verhalten bzw. eine physische Reaktion entwickelt.
Das limbische System ist für das Marketing insofern relevant, als es sich hierbei um den Ort
handelt, an dem eine emotionale Erregung beim Treffen einer Kaufentscheidung beteiligt
ist. Durch die Untersuchung des limbischen Systems kann ermittelt werden, welche Reize
eine bestimmte Emotion auslösen, aus der der Konsum eines Produktes resultiert. Das Wis-
sen darüber kann die Effektivität und Effizienz von Marketingmaßnahmen steigern, da er-
kenntlich wäre, welche Reize man senden müsste, um eine Kaufentscheidung zu beeinflus-
sen.
4.2 Die Bedeutung der Funktionsweise des Gehirns für das Neu-romarketing
Um zu verstehen, wie man sich kognitive Prozesse aus marketingtechnischer Sicht zu Nutze
machen kann, wird die Funktionsweise des Gehirns nun kurz erläutert.
4.2.1 Die limitierte Kapazität zur Verarbeitung von Reizen
Relevant für den Marketingbereich ist laut Hein und Henning die neurowissenschaftliche
Erkenntnis, dass die Kapazität des menschlichen Gehirns zur gleichzeitigen perzeptuellen
Verarbeitung7 verschiedener Reize limitiert ist (HEIN, HENNING, 2007, S. 112 ff.). Das
bedeutet im ökonomischen Kontext, dass die Konsumenten marketingrelevante Informatio-
nen, z.B. mittels Werbung, nur begrenzt aufnehmen, verarbeiten und in Reaktionen (Kauf-
entscheidungen) umsetzen können.
Hein und Henning erklären diese Limitationen damit, dass eine unbegrenzte Verarbeitung
von Informationen nicht möglich ist (HEIN, HENNING, 2007, S. 112 ff.). Je kürzer die
Zeitspanne zwischen dem Eintreffen von zwei Reizen im Gehirn ist, desto mehr
7 Unter perzeptueller Verarbeitung versteht man das Wahrnehmen und gegebenenfalls Wiedererkennen von Objekten und/ oder Ereignissen aus der Umgebung einer Person.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
21
verschwimmen die Informationen der beiden Reize. Es können also weniger Informationen
unabhängig voneinander verarbeitet werden, was zu Fehlern in der Informationsaufnahme
führt.8
Mit der neurowissenschaftlichen Kenntnis darüber, welche Reize eine Kaufentscheidung (in
gewünschter Weise) beeinflussen und welche Informationen dazu nicht relevant sind, kön-
nen die Marketingmethoden bezüglich ihres Informationsgehaltes entsprechend angepasst
werden. Die Hirnforschung trägt aus ökonomischer Sicht somit dazu bei, die Marketingme-
thoden wirksamer zu gestalten, indem irrelevante Reize bzw. Informationen ermittelt und
nicht mehr gesendet werden. Marketingmaßnahmen können dadurch insofern effizienter
werden, dass (wirksame) Reize nur in der reizempfänglichen Zeitspanne gesendet werden,
um die Aufmerksamkeit der Konsumenten für die Informationsaufnahme zu optimieren. So
kann durch das Senden wirksamer Reize Einfluss auf das Kaufverhalten einer Person ge-
nommen werden.
An dieser Stelle ist die Umsetzbarkeit des Sendens rein relevanter Reize in der reizempfäng-
lichen Phase von 800ms jedoch anzuzweifeln. Es ist nicht nachgewiesen, wie hoch die An-
zahl der Reize ist, die wirksam auf das Treffen einer Kaufentscheidung sind. Somit ist auch
nicht gesagt, dass diese Anzahl innerhalb einer Zeitspanne von 800ms, was 0,8s und somit
ca. 0.0133min entspricht, überhaupt gesendet werden kann. Zwar kann ein effizienteres Sen-
den von Reizen, was nach den Befürwortern von Neuromarketing eine Reizreduktion impli-
ziert, einen positiven Effekt auf die Konsumenten haben, allerdings ist fraglich, ob es über-
haupt auf dem beschriebenen Wege möglich ist, die Informationsaufnahme der Konsumen-
ten zu beeinflussen.
8 Die limitierte Gehirnkapazität ist neurowissenschaftlich dem Unterschied zwischen der psychologischen
Refrektärperiode und der neuronalen Refrektärzeit geschuldet. Die psychologische Refrektärperiode be-zeichnet in der Aufmerksamkeitsforschung nach Welford ein Zeitintervall, in dem ein Reiz verarbeitet wer-den kann. Die neuronale Refrektärzeit bezeichnet die Phase nach einer Aktivierung des Gehirns, in der keine Reize geleitet werden können. Die Refrektärzeit folgt nach einer Periode und ist um einiges länger. Vergehen zwischen dem Eintreffen zweier Reize weniger als 800ms, können die Informationen nicht un-abhängig voneinander verarbeitet werden. Die zweite Periode würde in diesem Fall beginnen, bevor die Refrektärzeit abgelaufen ist. Es kommt zu Fehlern in der Verarbeitung, da das Gehirn noch nicht bereit ist, neue Reize zu verarbeiten. (HEIN, HENNING, 2007)
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
22
Aufgrund der Komplexität des Gehirns kann durch neurowissenschaftliche Erkenntnisse
zwar kein direkter Einfluss auf die perzeptuelle Verarbeitung bzw. neuronale Kapazität ge-
nommen werden, aber die Art und Weise optimiert werden, wie aufmerksamkeitswirksame
Informationen übertragen werden.
4.2.2 Das implizite und das explizite System
Das Gehirn besteht, wie im Folgenden noch näher erläutert wird, physisch aus verschiedenen
Hirnteilen. Diese sind bezüglich ihrer Funktionsweise jedoch nicht komplett unabhängig
voneinander zu betrachten, da sie alle emotional strukturiert und vernetzt sind. Das Gehirn
lässt sich in ein implizites und ein explizites System unterteilen:
Im impliziten System laufen automatische und unbewusste Prozesse ab. Es handelt sich um
eine Art „Autopilot“ (HÄUSEL, 2007, S. 94), der Sinneseindrücke entschlüsselt, analysiert
und bewertet. Der Autopilot umfasst das Gedächtnis, die Wahrnehmung, Emotionen, Ein-
stellungen und Assoziationen. Darauf aufbauend werden intuitive Entscheidungen getroffen.
Das Treffen dieser Entscheidungen geschieht automatisch und ohne die Lenkung durch die
jeweilige Person. Diese ist sich dem Prozess der Entscheidungsfindung nicht bewusst und
nimmt diese erst in physischer Form wahr, wenn sie bereits automatisch bzw. unbewusst
getroffen wurde. Insgesamt werden laut Häusel ungefähr 95% aller Entscheidungen auf
diese Weise getroffen. Somit ist das implizite System maßgeblich an Konsumentscheidungs-
prozessen beteiligt.
Das implizite System leitet das Lernen, die nonverbale Kommunikation und die Speicherung
von Markenbotschaften. Dabei werden Sinneseindrücke danach bewertet, welche Assozia-
tionen sie hervorrufen (SCHEIER, HELD, 2007, S. 127 ff.). Das Senden verschiedener
Reize kann positive oder negative Assoziationen wecken. Positive Assoziationen wirken be-
lohnend, weshalb Marketingbotschaften Reize senden sollten, die positive Assoziationen
hervorrufen. Der Konsument assoziiert mit dem Kauf des beworbenen Produkts eine Beloh-
nung, was den Kauf wahrscheinlicher macht. Je höher das durch den Reiz assoziierte Beloh-
nungsgefühl ist, desto eher wird eine Markenbotschaft gespeichert und desto wahrscheinli-
cher wird der Kauf eines Produkts.
Dass das Unterbewusstsein einen wichtigen Einfluss auf das Treffen von Entscheidungen
hat und, dass verschiedene Reize entweder positive oder negative Emotionen bzw.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
23
Assoziationen wecken, wird auch im traditionellen Marketing angenommen. Die Neurowis-
senschaft liefert diesbezüglich somit keine grundlegend neuen Erkenntnisse, sondern bestä-
tigt die bestehenden Annahmen und beschreibt, wie diese Prozesse ablaufen. Es handelt sich
bei Neuromarketing somit weniger um eine Innovation, als eher um die Möglichkeit der
Informationsbeschaffung in einem bisher im Zusammenhang mit Marketing nicht untersuch-
tem Gebiet (dem Gehirn).
Aufgrund des entscheidenden Einflusses des impliziten Systems auf Konsumentscheidungen
ist es für Marketingstrategen sinnvoll, seine Funktionsweise aus neurowissenschaftlicher
Perspektive zu entschlüsseln. So lässt sich erkennen, welche Reize Assoziationen in Form
von Belohnungen auslösen. Die Werbebotschaften können dann mit eben diesen Reizen be-
stückt werden und so in ihrer Wirksamkeit erhöht werden. Neuromarketing kann das tradi-
tionelle Marketing auf diese Weise erweitern, stellt aber, wie schon erwähnt, in diesem Fall-
keine Innovation dar.
Im expliziten System laufen laut Häusel alle bewussten und steuerbaren kognitiven und emo-
tionalen Vorgänge ab. Es wird als „Pilot“ (HÄUSEL, 2007, S. 94). bezeichnet, der die Er-
gebnisse des Autopiloten hinterfragt, Entscheidungen im Notfall korrigiert und bei Störun-
gen eingreift. Der Pilot umfasst das Denken, die Vernunft, die Sprache und Fakten. In diesem
System kommt es zum Überdenken einer Konsumentscheidung bzw. zu ihrer Rationalisie-
rung, Reflexion und Rechtfertigung. Da in dieses System nur einen geringen Anteil aller
Kaufentscheidungen einer Person beeinflusst, sollte man sich bei der Analyse von Kaufent-
scheidungen eher auf das implizite System konzentrieren (KREUTZER, MERKLE, 2008,
S. 308 ff.). Die Analyse des expliziten Systems kann zwar, einfacher als die Analyse des
impliziten Systems, durch Befragung oder Beobachtung stattfinden, bietet jedoch keinen
Zugang zum Unterbewusstsein.
Für die Untersuchung des expliziten Systems ist somit keine neurowissenschaftliche For-
schung nötig.
Bezüglich der Wirkung eines Reizes sind die beiden Systeme jedoch nicht getrennt vonei-
nander zu betrachten. Ein Reiz trifft zuerst auf das implizite System, wo er sofort entschlüs-
selt, analysiert und bewertet wird (sofortige Antwort). Innerhalb von 5 Sekunden wird eine
dem Reiz entsprechende Assoziation gebildet, die der Person nach 5 Sekunden entweder im
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
24
Treffen einer Entscheidung oder der Weiterleitung des Reizes ins explizite System bewusst-
wird. Somit gelangt jeder Reiz zuerst ins implizite System und nur ein geringer Anteil der
Reize ins explizite System. Entscheidungen im impliziten System werden somit schneller,
intuitiv bzw. automatisch getroffen, während der Entscheidungsprozess im expliziten Sys-
tem länger dauert und bewusst (durch Reflektieren, Vergleichen etc.) stattfindet.
Abbildung 2: Die Wirkung von Reizen im impliziten und expliziten System9
Es wird also kommuniziert, dass eine Beobachtung des expliziten Systems (durch traditio-
nelles Marketing) nicht ausreicht und die Untersuchung des impliziten Systems (durch Neu-
romarketing) nötig ist, um das Kaufverhalten einer Person umfangreich verstehen und prog-
nostizieren zu können. Wie in Kapitel 2.2 beschrieben kann durch traditionelles Marketing
tatsächlich nicht direkt untersucht werden, was im Gehirn der Konsumenten passiert. Es ist
jedoch auch fraglich, ob dies überhaupt notwendig ist, oder ob die Wirksamkeit von Marke-
ting und Prognostizierbarkeit des Konsumentenverhaltens nicht auch durch die Optimierung
der traditionellen Methoden (durch Big Data, nutzerspezifisches Online-Marketing, etc.) in
ausreichendem Maße erhöht werden kann.
4.2.3 Die Funktionsweise von Codes
Produkte können anhand ihrer physischen Eigenschaften, z.B. ihres Geruchs oder ihrer
Farbe, eine mentale Ebene im Gehirn aktivieren und so die Einstellung zu einem Produkt
beeinflussen bzw. die Entscheidung zum Kauf erleichtern (RAAB, GERNSHEIMER, 2009,
S. 214 ff.).
9 Eigene Darstellung, aufbauend auf SCHEIER, HELD, 2009
sofortige Antwort
< 5 Sekunden
ca. 5 Sekunden
> 5 Sekunden
(unendlich)
Implizites System/
Autopilot
Explizites System/
Pilot Reiz
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
25
In der Neurobiologie wird in diesem Zusammenhang von sog. Codes gesprochen (SCHEI-
ER, HELD, 2012, S. 62). Diese können symbolisch, sensorisch, episodisch und/ oder sprach-
lich sein und lösen eine bestimmte Reaktion aus (SCHEIER, HELD, 2012, S. 62). Codes im
Neuromarketing sind Reize, die aktiv gesendet werden, um ein bestimmtes Verhalten her-
vorzurufen. Hier ist besonders der Priming-Code von Bedeutung (SCHEIER, HELD, 2012,
S. 62). Priming heißt ins Deutsche übersetzt „Bahnung“. Darunter wird die Beeinflussung
der Verarbeitung eines Reizes verstanden, indem durch implizite subtile Signale gewisse
Assoziationen im Gehirn aktiviert werden. Es werden so - zum Großteil unbewusst - einem
(Werbe-)Reiz gewisse Assoziationen, Vorerfahrungen und Gedächtnisinhalte zugeordnet,
indem das Gehirn vorher durch einen Code (in Form eines Reizes) dafür empfänglich ge-
macht wurde. Es besteht auf diese Weise die Möglichkeit, gezielt gewisse Assoziationen zu
einem Produkt hervorzurufen und so manipulierend auf das Verhalten - also auf das Treffen
einer Kaufentscheidung - einzuwirken.
Die gesendeten Codes wirken durch die Bildung von Assoziationen im impliziten System
und rufen somit intuitive Entscheidungen hervor, ohne dass diese im expliziten System re-
flektiert bzw. hinterfragt werden. Aus der Sicht des Marketings kann auf diese Weise wirk-
sam auf das Konsumentenverhalten eingewirkt werden.
Bei dieser Annahme wird jedoch ignoriert, dass neben den beschriebenen Codes auch extrin-
sische Einflüsse bei der Entscheidung zum oder gegen den Konsum eines Produktes wirken.
So kann es z.B. sein, dass jemand durch einen Code und die damit verbundenen Assoziatio-
nen ein starkes Bedürfnis nach einem Produkt bekommt, es jedoch nicht kauft, da sein
Budget nicht reicht. Selbst wenn durch Neuromarketing möglich ist, Bedürfnisse zu wecken,
gibt dies keine Sicherheit, dass der Konsum stattfindet. Es muss somit zusätzlich (mit her-
kömmlichen Methoden) untersucht werden, in welcher Situation sich der Konsument befin-
det, welches Budget er zur Verfügung hat, etc. Möglicherweise haben die extrinsischen Fak-
toren einen derart großen Einfluss auf das Kaufverhalten, dass der Fokus auf die Beeinflus-
sung des Unterbewusstseins nicht der Schlüssel zur Optimierung des Marketings ist.
4.2.4 Das Balance-, Dominanz- und Stimulanzsystem
Ein Ergebnis der Neurobiologieforschung, welches sich die Neuroökonomen zu Nutze ma-
chen, ist die neurobiologische Zielgruppensegmentierung nach Häusel. Durch diese lassen
sich Emotionen in zwei Segmente unterteilen (HÄUSEL, 2012, S. 85):
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
26
1. Trait: In diesem Segment befinden sich alle dauerhaft bestehenden und stabilen Per-
sönlichkeitsmerkmale.
2. State: Dieses Segment beinhaltet momentabhängige und vorübergehende Stimmun-
gen, die von der jeweiligen Situation, Tageszeit, Verfassung und den Erlebnissen
einer bestimmten Person beeinflusst werden.
Für das Marketing sind die State-Emotionen von größerer Bedeutung, da diese veränderbar
sind und nur sie durch Marketingmaßnahmen beeinflusst werden können.
Zudem lassen sich Handlungsempfehlungen für Marketingstrategen aussprechen, die auf der
Zuordnung von Emotionen in verschiedene Motivsysteme aufbauen:
• Das Balance-System beinhaltet Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, nach einem geord-
neten Leben, der Vermeidung von Risiko, nach Ruhe und Harmonie. Werden diese
Bedürfnisse angesprochen und befriedigt, entsteht bei der jeweiligen Person ein Ge-
fühl von Sicherheit und Geborgenheit. (HÄUSEL, 2014, S. 43 f.)
• Dem Dominanz-System werden Wünsche nach Macht, Durchsetzung, Anerken-
nung, Status und Autonomie sowie nach der Vermeidung von Fremdbestimmung
zugeordnet. Um dieses System zu aktivieren, müssen beim Kunden Gefühle wie
Stolz und Überlegenheit in Aussicht gestellt werden. (HÄUSEL, 2014, S. 78 f.)
• Zudem wurde noch das Stimulanz-System definiert, unter das Bedürfnisse nach Ab-
wechslung, Neuem und Individualität fallen. Langweile und Reizarmut sollen ver-
mieden werden und das Erleben von Spaß und Abenteuer suggeriert werden, um die-
ses System zu aktivieren. (HÄUSEL, 2016, 43 f.)
Diese Systeme wirken nicht bei jedem Menschen gleich, d.h., dass bei jeder Person ein an-
deres Motivsystem dominiert und reizempfänglicher als die anderen Motivsysteme ist.
Durch Hirnforschung kann ermittelt werden, welches System bei einer Person mit welchen
Reizen am besten zu erreichen ist. Das kann sich das Marketing zu Nutze machen, indem
man entsprechende Reiz-Zielgruppen bildet, die ihrer Empfänglichkeit nach mit verschiede-
nen Reizen angesprochen werden. So können Marketingstrategien individueller und wirksa-
mer gestaltet werden.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
27
Die Grundbedürfnisse (Sexualität, Schlaf, Nahrung, Bindung und Fürsorge) sind dagegen
bei prinzipiell jedem Menschen vorhanden.10 Diese sichern das Überleben und tragen zur
Weiterentwicklung bzw. Fortpflanzung bei. Die Grundbedürfnisse sind somit leichter zu
entschlüsseln als die Motivsysteme einer Person. Aus der Perspektive des Marketings ist es
dennoch sinnvoller, die Motivsysteme zu analysieren und auf sie Einfluss zu nehmen, da es
bei dem Großteil der angebotenen bzw. umworbenen Produkte am Markt nicht um die Si-
cherung der Grundbedürfnisse geht. Mit der Analyse der Motivsysteme können somit Be-
dürfnisse ermittelt werden, die über die Grundbedürfnisse hinausgehen. Durch die Kenntnis
des einflussreichsten Motivsystems kann erkannt werden, wie diese Bedürfnisse am besten
bewusst gemacht bzw. geweckt werden können.
Auch an dieser Stelle handelt es sich im Endeffekt (anders als von u.a. Häusel kommuniziert)
nicht um neue Erkenntnisse, sondern um die Verknüpfung von bestehenden psychologischen
Konzepten mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaft. Zudem stellt sich die Frage nach
der Umsetzbarkeit bzw. Anwendbarkeit dieser Erkenntnisse. Jede Person müsste sich den
neurowissenschaftlichen Untersuchungen aussetzen und zudem müsste dem Unternehmen,
welches die Forschung in Auftrag gegeben hat, im Nachhinein dauerhaft erkenntlich ge-
macht werden, welcher Reiz-Zielgruppe diese Person zugeordnet wurde. Das erscheint nicht
praktikabel.
4.3 Die Rolle von Emotionen
Emotionen sind innere Empfindungen, die positiv oder negativ wahrgenommen werden kön-
nen. Beispiele sind u.a. Freude, Trauer, Überraschung oder Angst. Sie werden durch neuro-
nale Prozesse gebildet und werden dem Menschen durch ein Zusammenspiel verschiedener
physischer Reaktionen (z.B. Schweißausbruch, Lachen, Weinen, etc.) und Gedanken (z.B.
Interpretationen, Erinnerungen, etc.) bewusst. Emotionen setzen sich aus dem Empfangen
eines Reizes und der sich daraus entwickelnden kognitiven Komponente zusammen. Diese
kognitive Komponente kann eine Erfahrung, Erinnerung, Interpretation oder Bewertung
sein. Die kognitive Komponente wird dadurch beeinflusst, welche Stimmung durch den Reiz
10 Ausgenommen sind Menschen mit gesundheitlichen Störungen.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
28
ausgelöst wird: Positiv empfundene Emotionen unterstützen meist eine positive Bewertung
einer Sache, negatives Empfinden eher negative Bewertungen.11
Das Empfangen eines Reizes geschieht unbewusst im impliziten System. Die kognitive
Komponente liegt im expliziten System. Laut Scheier und Held korrelieren implizite und
explizite Aktivierung nur gering (r=19) miteinander (KREUTZER, 2008, S. 307 f.). Somit
muss eine unbewusste (implizite) Aktivierung nicht ins Bewusstsein gelangen.
Im impliziten System kann ein Vielfaches mehr an Informationen verarbeitet werden, als es
im expliziten System der Fall ist: Vor allem, wenn eine Person unter Zeitdruck steht, von
Reizen überflutet wird, wenig Interesse an einer Sache hat oder sich bezüglich einer Ent-
scheidung (z.B. aufgrund starker Ähnlichkeit zweier Produkte) unsicher ist, übernimmt das
implizite System die „Entscheidungsmacht“ (SCHEIER, 2008, S. 309 ff.). Da im impliziten
System mehr Informationen (in Form von Emotionen) verarbeitet werden und nur wenige
von ihnen ins Bewusstsein gelangen, spielen Emotionen bei der Entscheidungsfindung einer
Person eine größere Rolle als kognitive, bewusste Prozesse.
Für den einzelnen Menschen ist nicht bewusst nachvollziehbar, welcher Reiz eine bestimmte
Emotion im impliziten System und die darauffolgende physische Reaktion (und gegebenen-
falls eine Entscheidung) auslöst. Er kann die Emotion lediglich mit einem Auslöser12 in Ver-
bindung bringen, ist sich aber überwiegend nicht darüber bewusst, dass bereits eine implizite
Aktivierung zur Entscheidungsfindung stattgefunden hat.
Emotionen sind somit stark entscheidungsrelevante Variablen. Ökonomisches Handeln rich-
tet sich also nicht nur an der Rationalität, sondern auch an den Emotionen und Motivfeldern
der Konsumenten aus. Der Wunsch nach dem Kauf eines Produktes kann durch ein Unter-
nehmen besser ausgelöst bzw. verstärkt werden, wenn die Emotionen eines Menschen ange-
sprochen werden: Der Mensch assoziiert durch die gesendeten Reize einen bestimmten Ge-
fühlszustand, der scheinbar durch den Kauf des Produktes erreicht werden kann. Vor allem
Marketingmethoden, die negative Emotionen verringern und positive Emotionen wecken
11 Eine allgemeingültige, wissenschaftliche Definition von Emotionen gibt es (bisher) nicht. Die vorliegende
Umschreibung des Begriffs wurde aufbauend auf verschiedenen Quellen selbst verfasst: SCHERER, 1997; MERKLE, KREUTZER, 2008; BOSCH, SCHIEL, WINDER, 2006
12 Mit Auslöser ist hier z.B. ein Gegenstand, eine Farbe, ein Geruch, ein Geräusch setc. gemeint.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
29
(z.B. das Zeigen eines Werbespots mit einer glücklich wirkenden Familie) , sind gegenüber
dem Senden von informativen Daten ohne emotionale Komponente (z.B. technische Daten)
wirksam.
Da dem Menschen dies oft erst anhand seiner physischen Reaktion bewusstwird, kann er
laut Diplompsychologe Bischof nicht antizipieren, ob der Reiz gezielt durch die Marketing-
kampagne eines Unternehmens gesendet wurde, oder ob die Emotion tatsächlich durch das
Produkt bzw. seine Eigenschaften ausgelöst wurde (BISCHOF, 2001). Aus ethischer Per-
spektive kann sich hier das Problem der Manipulation ergeben.13
Um die emotionalen Strukturen des Gehirns eines Menschen darzustellen und analysieren
zu können, wird die Technik des Neuroimaging angewendet. Dies wird von Gruber folgen-
dermaßen erläutert: Durch Neuroimaging kann die Hirnregionen-übergreifende Steuerung
durch neuronale Netzwerke abgebildet werden. Die Netzwerkkonstellation ist variabel, was
bedeutet, dass Individuen für identische kognitive Aufgaben unterschiedliche Lösungsstra-
tegien entwickeln. Man kann die Netzwerkkonstellationen und ihre wechselseitigen Bezie-
hungen entschlüsseln und darstellen. Dies beschränkt sich jedoch auf rein physiologische
Vorgänge und keine kausalen Zusammenhänge. (GRUBER, 2016, S. 5 ff.)
Es ist also (bisher) nicht möglich, mittels Neuroimaging festzustellen, warum das Gehirn
eines Individuums eine bestimmte Netzwerkkonstellation aufweist und was diese beein-
flusst. An dieser Stelle können die Lösungsfindung bzw. Entscheidungsfindung nicht beein-
flusst werden. Es kann jedoch dargestellt werden, wie diese Konstellationen aussehen und
wie und wo bestimmte Reize auf die kognitiven Systeme wirken.
4.3.1 Die Rolle der Emotionen bei der Markenbindung
Neuromarketing kann die Bindung der Kunden an eine Marke effektiver gestalten, da die
Marketingtreibenden neurowissenschaftliche Erkenntnisse darüber erhalten, welche Kom-
ponenten der Darstellung einer Marke die kognitiven Prozesse der Entscheidungsfindung
einer Person besonders beeinflussen. Das bedeutet, dass erkennbar wird, was ein Konsument
besonders an einer Marke schätzt und wie das Marketing aussehen muss, um die Bindung
an die Marke zu sichern.
13 Das ethische Problem der Möglichkeit zur Manipulation wird in den folgenden Kapiteln diskutiert.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
30
Ob dazu jedoch Erkenntnisse über und die Einflussnahme auf die neuronalen Strukturen im
Gehirn einer Person wichtig sind, ist fraglich. Wie schon erläutert (vgl. Kapitel 2.1) kann
Markenbindung z.B. auch durch Empfehlungen von Freunden oder Familienmitgliedern ent-
stehen. Die Wirkung dieser Empfehlung basiert zwar auf der emotionalen Verbundenheit
mit und dem Vertrauen zu diesen Personen, bedarf aber keiner Untersuchung und direkten
Einwirkung auf neuronale Prozesse durch die Marketingtreibenden.
Die emotionale Bindung eines Konsumenten an eine Marke stellt für ein Unternehmen einen
bedeutenden Wettbewerbsvorteil dar. Meffert und Buhmann definieren eine Marke als ein
Bild von einem Produkt oder einer Dienstleistung in der Psyche eines Konsumenten, mit
dem bestimmte Eigenschaften und Werte verbunden werden (MEFFERT, BUHMANN,
1998, S. 82). Durch fMRT-Untersuchungen (vgl. Kapitel 5.2.2) wurde der sog. „Lieblings-
markeneffekt“ entdeckt (KENNING, LEHMANN-WAFFENSCHMIDT, HUBERT, 2008,
S. 4). Darunter versteht man die Tatsache, dass die Lieblingsmarke eines Konsumenten seine
Entscheidungsfindung in erheblichem Umfang beeinflusst. Im Gehirn werden durch die
Markenreize Assoziationen aktiviert, die die Konsumentscheidung emotionalisieren und so-
mit erleichtern.
Der „Lieblingsmarkeneffekt“ nach Scheier ist mit dem Prinzip der „kortikalen Entlastung“14
zu begründen (SCHEIER, 2008, S. 305): Das Wahrnehmen der Lieblingsmarke reduziert im
Gehirn die Aktivität des expliziten Systems, also der Hirnareale, die zum Nachdenken die-
nen. Gleichzeitig wird die Aktivität des impliziten Systems erhöht, also der Hirnareale, in
denen intuitive und emotionale Prozesse ablaufen. Starke Marken unterstützen somit intui-
tive und unreflektierte Entscheidungen. Emotional bedeutsame Informationen können sogar
signifikant besser gespeichert werden, da sie durch die kortikale Entlastung Assoziationen
im Gehirn schaffen. Diese Assoziationen wirken wie Erinnerungen an einen emotionalen
Zustand, den die Person mit den Reizen in Verbindung bringt, die ein Produkt oder eine
Marke senden. Die Person erwartet also, dass durch den Konsum des Produktes oder der
Marke ein bekannter Gefühlszustand erreicht werden kann. Es werden Gefühle von Bekannt-
heit und Vertrauen zu dem Produkt oder der Marke vermittelt, was die Bindung an diese
erhöhen kann.
14 Der Kortex ist der vordere Teil des Gehirns, die Hirnrinde. Eine Entlastung dieses bedeutet, dass die senso-
rischen Areale dort weniger aktiviert werden bzw. die Reize direkt ins implizite System gelangen.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
31
Unterstützend wirkt die Erkenntnis, dass intuitive Entscheidungen nur 2% der gesamten
Körperenergie benötigen (MORIN, 2011, S. 134). Nachdenken verbraucht 20% (MORIN,
2011, S. 134) und ist somit 10mal „anstrengender“. Es wird also eher auf intuitive Entschei-
dungsregeln zurückgegriffen. Intuitive Entscheidungen machen zufriedener, da beim Nach-
denken kritischer reflektiert wird und somit mehr negative Aspekte ins Bewusstsein gelan-
gen können (DIJKSTERBUIS, MAARTEN, NORDIREN, VAN HAAREN, 2006, S. 1006).
Durch die emotionale Bindung der Kunden an eine Marke müssen diese Maßnahmen nicht
für jedes einzelne Produkt eines Unternehmens in großem Umfang stattfinden, da die Kun-
den durch die emotionale Bindung an die Marke schon in ihrer Konsumentscheidung für die
Produkte beeinflusst sind. Marketingmethoden können aufbauend auf den neurowissen-
schaftlichen Forschungsergebnissen direkt an den einzelnen Konsumenten bzw. bestimmte
Konsumentengruppen angepasst und entsprechend deren emotionaler Empfänglichkeit für
gewisse Inhalte entwickelt werden (SCHEIER, 2008, S. 305 ff.).
Die Theorie hinter diesen Methoden wird deutlich, allerdings gibt es keine konkreten Bei-
spiele dazu, wie eine direkte Anpassung des Marketings an den einzelnen Konsumenten in
der Praxis aussieht. Dass eine emotionale Markenbindung besteht, ist schon durch traditio-
nelle Marktforschung ermittelt worden. Neuromarketing bestätigt dies durch neurowissen-
schaftliche Erkenntnisse. Dafür, wie genau diese Erkenntnisse verwendet werden können,
um die emotionale Markenbindung von Konsumenten durch Einflussnahme auf die neuro-
nalen Prozesse zu optimieren, gibt es allerdings keine Beispiele. Somit stellt sich die Frage,
ob Neuromarketing nicht schlicht bestätigt, was im traditionellen Marketing schon ange-
nommen wurde, und somit keinen komplett neuen Beitrag leistet.
4.4 Der Einfluss der Wahrnehmung auf die Entscheidungsfindung
Der Einbezug der Neurowissenschaft ergänzt den Bereich des Marketings um Erkenntnisse
über die Funktion und Bedeutung unbewusster und automatischer Prozesse im menschlichen
Gehirn (CAMERER, LOEWENSTEIN, PRELEC, 2005, S. 9). Mit Hilfe von fMRT-Daten
können laut Grosenick, Greer und Knutson ca. 75% der für das Konsumentenverhalten be-
deutenden Prozesse erklärt werden (GROSENICK, GREER, KNUTSON, 2008, S. 36). Bei
der klassischen Befragung fällt dieser Prozentsatz weitaus niedriger aus.
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
32
Hierbei geht es um deren Informationsgehalt. Die im Gehirn zu verarbeitenden Informatio-
nen werden von den Neurowissenschaftlern in Bits gemessen. Als „vor“- oder „unbewusst“
gelten Informationen, die die Kapazitätsgrenzen eines Systems (implizites oder explizites
System, Kapitel 4.2.2) überschreiten. Im Gehirn sieht das folgendermaßen aus: Im impliziten
System „Autopilot“ werden 11 Millionen Bits pro Sekunde verarbeitet. Dieses System ist
hocheffizient und enthält viele unbewusste Informationen. Im expliziten System werden 40
Bits pro Sekunde verarbeitet, also weitaus weniger. In diesem System findet zum Großteil
das Nachdenken statt. (KREUTZER, MERKLE, 2008, S. 307)
Entscheidungen werden sowohl von der Wahrnehmung als auch von Vorstellungen beein-
flusst. Die Wahrnehmung findet im impliziten, die Vorstellung im expliziten System statt
(ROTH, 2005, S. 139 ff.). Da im impliziten System Emotionen verarbeitet werden, wird die
Wahrnehmung maßgeblich von diesen gestaltet. Die Wahrnehmung geht ab einem gewissen
Punkt ins Bewusstsein über und verknüpft sich so mit Vorstellungen und Erwartungen. Im
expliziten System nimmt der Mensch das Treffen einer Entscheidung wahr, welche tatsäch-
lich jedoch bereits unterbewusst getroffen worden zu sein scheint.
Für das Marketing ist eine Unterscheidung in das „Aufmerksamkeitsbewusstsein“ und das
„Hintergrundbewusstsein“ sinnvoll (HEIN, HENNING, 2007, S. 115). Das Hintergrundbe-
wusstsein verarbeitet implizite Informationen und sollte somit angesprochen werden, um die
Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Bei einer Reizung des Aufmerksamkeitsbewusst-
seins kann es schneller zu einer Reizüberflutung kommen, da dort weniger Informationen
verarbeitet werden können. An dieser Stelle können Entscheidungen weniger gut durch
Reize beeinflusst werden.
Kontrollierte Prozesse (im expliziten System) sind laut Hein und Henning flexibel, brauchen
aber limitierte Aufmerksamkeitsressourcen (HEIN, HENNING, 2007, S. 115). Automati-
sche Prozesse (im impliziten System) sind unflexibel, benötigen dafür jedoch keine Auf-
merksamkeitsressourcen. Für das Marketingmanagement bedeutet das, dass ein Produkt,
welches die kontrollierte Verarbeitung von Informationen anregt, so konstruiert werden soll,
dass automatische Prozesse im Gehirn in Gang gesetzt werden: Das bedeutet konkret, dass
z.B. Elemente gezeigt werden, die dem Konsumenten Sicherheit vermitteln, ohne dass seine
Aufmerksamkeit auf diese Elemente gerichtet wird. Im Gehirn sollen Assoziationen geweckt
werden, die eine Vertrautheit mit dem Produkt erzeugen. Durch diese (scheinbare)
4 Die Relevanz neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für den Marketingbereich
33
Vertrautheit werden die Grenzen der Wahrnehmungskapazität umgangen, da durch Wieder-
erkennungseffekte weniger Aufmerksamkeit zur Verarbeitung der Information nötig ist und
der Konsument frei nach dem Motto „Ich kaufe, weil ich es kenne“ reagiert (HEIN, HEN-
NING, 2007, S. 115).
Die Erkenntnisse der Neurowissenschaft bereichern den Bereich des (Neuro-)Marketings
um die Möglichkeit und Kenntnis, dass und auf welche Weise Vertrauen und Bekanntheit in
den Gehirnen der Konsumenten konstruiert werden kann: Durch die Bildung von Assozia-
tionen mit Hilfe des Sendens von Codes (vgl. Kapitel 4.2.3) könnten die Aufmerksamkeits-
ressourcen des Gehirns durch Wiedererkennungseffekte entlastet werden und Kaufentschei-
dungen auf diese Weise automatisiert werden. Der Großteil der empfangenen Informationen
würde im impliziten System - also unbewusst - verarbeitet werden.
Zwar wird durch diese Erkenntnisse deutlich, auf welche Weise eine Kaufentscheidung ge-
troffen wird und wie man (theoretisch) auf sie Einfluss nehmen kann, jedoch gibt es keine
Beispiele dafür, wie dies in der Praxis umgesetzt wird. Grundlegend neu sind die beschrie-
benen Erkenntnisse nicht. Lediglich die Verknüpfung dieser mit dem Marketingbereich gab
es in der Form bisher nicht.
5 Die Neuromarketing-Forschung
34
5 Die Neuromarketing-Forschung
Die neurowissenschaftlichen Methoden wurden und werden laut Gruber mit dem vorrangi-
gen Ziel entwickelt, das menschliche Denken, Fühlen und Handeln zu verstehen (GRUBER,
2016, S. 5). Beim Neuromarketing geschieht die Analyse des Verhaltens in Beziehung zum
Markt und zu Marketinginstrumenten (BURGOS-CAMPERO, VARGAS-HERNANDEZ,
2013, S. 517).
Die Untersuchungsmethoden des Neuromarketings lassen sich in die morphologische Bild-
gebung und die funktionelle Bildgebung unterteilen (GRUBER, 2016, S. 2). Bei der mor-
phologischen Bildgebung werden Strukturen und Formen dargestellt. Bei der funktionellen
Bildgebung werden zusätzlich physiologische, sprich, sich im Zeitverlauf verändernde In-
formationen, dargestellt. Unter anderem lassen sich so auch Stoffwechselvorgänge und der
Blutfluss im Gehirn darstellen.
Unter Neuroimaging versteht man die Darstellung des zentralen Nervensystems des Men-
schen (GRUBER, 2016, S. 2). In den folgenden Kapiteln werden vier Methoden der Hirn-
forschung erläutert, denen sich im Neuromarketings bedient wird. So wird ein Einblick in
den Versuchsaufbau und -ablauf und die Funktionsweisen der Verfahren geboten.
5.1 Die Messung der elektrischen Gehirnaktivität
Die Vorteile der hier aufgeführten Methoden sehen Stoll, Kenning und Ahlert in der guten
zeitlichen Auflösung (STOLL, KENNING, AHLERT, 2008, S. 59). So können neuronale
Aktivitäten direkt bzw. zeitgleich mit ihrem Auftreten untersucht werden. Die Versuche sind
gut wiederholbar und in der Durchführung vergleichsweise kostengünstig. Es sind keine gif-
tigen oder anderweitig schädlichen Substanzen nötig, was sie für den Probanden körperlich
ungefährlich macht. Außerdem sind verglichen mit anderen Methoden weniger statistisch
komplexe Analysen der Ergebnisse nötig.
Nachteile ergeben sich bei der Messung elektrischer Aktivitäten laut Stoll, Kenning und Ah-
lert jedoch aus der relativ schlechten räumlichen Auflösung und Lokalisierung der Aktivitä-
ten (STOLL, KENNING, AHLERT, 2008, S. 36 f.). Die Aktivitäten können zwar gemessen
werden, jedoch geben die Methoden keine Auskunft darüber, welcher Reiz an welcher Stelle
eine Aktivität hervorruft. Es kann nur ein aktivierter Bereich dargestellt werden. Zudem sind
5 Die Neuromarketing-Forschung
35
Spannungsschwankungen schwer zu interpretieren und es ist eine hohe Anzahl von Ver-
suchsdurchläufen nötig, um z.B. Hintergrundgeräusche herauszufiltern.
5.1.1 Elektroenzephalographie (EEG)
Ziel einer EEG ist es, hirnelektrische Vorgänge an der Schädeldecke aufzuzeichnen, indem
man am Kopf des Versuchsteilnehmers Oberflächenelektroden befestigt. Durch gleichzei-
tige Präsentation verschiedener Stimuli kann gemessen werden, inwieweit sich ein bestimm-
ter Reiz auf die Spannung der Nervenzellen auswirkt. Diese Spannungsveränderungen wer-
den durch Summierung der Aktionspotenziale von Nervenzellen ermittelt. Diese Aktionspo-
tenziale werden als Event Related Potentials - kurz ERPs - bezeichnet. Auf diese Weise kann
die elektrische Gehirnaktivität fast ohne zeitliche Verzögerung dargestellt werden. Mittels
EEG kann vor allem untersucht werden, wie neuronale Prozesse aus zeitlicher Perspektive
miteinander verknüpft sind. Diese Methode gibt jedoch keine Aussage darüber, an welcher
Stelle es im Gehirn zu einer Aktivierung durch einen speziellen Reiz kommt. (SCHANDRY,
2011, S. 518 ff.; GEGENFURTNER, 2011, S. 25)
Laut Schandry wurde diese Methode aus Perspektive des Marketings vor allem zur Klärung
der Frage, ob man die Erinnerung an einen Werbespot mit der neuronalen Aktivität belegen
kann, eingesetzt (SCHANDRY, 2011, S. 530). Das Verfahren ist allerdings teuer und auf-
wändig.
5.1.2 Magnetenzephalographie (MEG)
Pritzel, Brand und Markowitsch beschreiben, wie mit Hilfe der MEG herausgefunden wird,
an welcher Stelle im Gehirn eine Aktivität, die durch bestimmte Stimuli hervorgerufen
wurde, stattfindet (PRITZEL, BRAND, MARKOWITSCH, 2003, S. 116): Dies passiert
durch das Messen elektromagnetischer Felder an der Schädeldecke unter der Einwirkung
verschiedener Stimuli: Mittels Magnetfelddetektoren (Superconducting Quantum Interfe-
rence Device bzw. supraleitende Quanteninterferenzeinheiten) werden die durch elektrische
Ströme der Gehirnaktivität induzierten Magnetfelder gemessen. Dies muss in einem gut ab-
geschirmten Raum geschehen, da diese magnetischen Felder sehr schwach sind und gegen
Störungen abgeschirmt werden müssen
Die MEG wird laut Kenning, Plassmann und Ahlert vor allem zur Untersuchung von Kauf-
entscheidungsprozessen eingesetzt (KENNING, PLASSMANN, AHLERT, 2007, S. 59).
5 Die Neuromarketing-Forschung
36
Man kann z.B. den Zusammenhang der Bekanntheit einer Marke und der Zeit, die zur Ent-
scheidungsfindung aufgebracht wird, untersuchen.
Der Vorteil gegenüber der EEG ist nach Schandry, dass die aktivierten Hirnbereiche dreidi-
mensional lokalisiert werden können (SCHANDRY, 2011, S. 513). Es kann allerdings keine
konkrete, aktivierte Stelle abgebildet werden.
5.2 Die Messung von Stoffwechselvorgängen im Gehirn
5.2.1 Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
Bei der PET wird dem Versuchsteilnehmer intravenös oder über die Atemwege ein Radio-
pharmakon, ein schwach radioaktives Kontrastmittel, verabreicht. Dieses wird über den
Blutstrom ins Gehirn geleitet, wo es besonders aktive Gehirnregionen so anreichert, dass
man diese an einem Computer räumlich darstellen kann, nachdem sie mittels PET-Scanner
erfasst wurden. (RAAB, UNGER, 2005, S. 252)
Durch die Darstellung der Verteilung des Mittels kann u.a. der Blutfluss und der Sauerstoff-
verbrauch verfolgt werden. Aktive Gehirnregionen haben einen höheren Sauerstoff- und
Glukoseverbrauch. Der Sauerstoff wird benötigt, um die Glukose, welche einen Energieträ-
ger darstellt, abzubauen. Das bedeutet, dass aktiven Gehirnregionen vor einer neuronalen
Aktivität Sauerstoff entzogen wird. Mittels der PET kann die gesteigerte Radioaktivität
durch einen erhöhten Sauerstoffverbrauch gemessen werden (STOLL, KENNING, AH-
LERT, 2008, S. 35). So wird deutlich, in welchen Regionen des Gehirns die neuronale Ak-
tivität nach Induzieren eines Reizes gesteigert wird.
Der Vorteil der Methode liegt in der Möglichkeit zur Lokalisierung von neuronaler Aktivität.
Durch die Verabreichung radioaktiver Mittel kann sie für den Versuchsteilnehmer jedoch
gesundheitsschädlich sein. Außerdem ist die Durchführung dieser PET sehr umständlich und
kostenintensiv. Es kann keine zeitliche Aktualität der Aufzeichnungen gewährleistet wer-
den. (RAAB, GERNSHEIMER, SCHINDLER, 2009, S. 22f.)
5.2.2 Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)
Bei der fMRT handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Magnetresonanztomographie
(MRT), bei der die Resonanz eines magnetischen Moments gemessen wird, wodurch
5 Die Neuromarketing-Forschung
37
Querschnittsbilder der Gehirnstrukturen entstehen (SCHANDRY, 2011, S. 533). Dieses
magnetische Moment wird durch den Kernspin bzw. Eigendrehimpuls der Atome im Gehirn
erzeugt. Die Querschnittsbilder zeigen die Strukturen der Anatomie des Gehirns, die beim
Denken oder durch Emotionen entstehen.
Ergänzend dazu macht die fMRT auch funktionelle Stoffwechselvorgänge sichtbar. Es wird
gemessen, inwieweit sich die neuronale Aktivität verändert, wenn gewisse Reize auf den
Versuchsteilnehmer wirken (HÄUSEL, 2007, S. 211 ff.). Hierfür muss der Versuchsteilneh-
mer verschiedene Aufgaben lösen, die verschiedene Gehirnareale in unterschiedlicher Höhe
aktivieren. Ähnlich der PET werden Veränderungen des Sauerstoffgehaltes im Blut gemes-
sen. Dies wird als BOLD-Effekt (blood-oxygenation-level-dependent-effct) bezeichnet. Eine
starke Aktivität hat einen erhöhten Sauerstoffverbrauch zur Folge, was ein starkes Magnet-
feld entstehen lässt.
Die Methode ist sehr bewegungssensibel, weshalb der Versuchsteilnehmer 60-90 Minuten
in einem Hirnscanner ausharren muss, ohne sich bewegen zu dürfen. Bewegungen können
die Aktivitätsaufzeichnungen verfälschen oder nicht verwertbar machen. Der Vorteil dieses
Verfahrens ist jedoch, dass sowohl in zeitlicher als auch räumlicher Perspektive, bewusste
und unbewusste Aktivierungen verschiedener Hirnareale identifiziert werden können.
(RAAB, GERNSHEIMER, 2009, S. 185)
5.3 Marketingethische Reflexion
Durch die Reflexion der neurowissenschaftlichen Marktforschung aus ethischer Perspektive
wird erörtert, ob die Generierung von Kundennutzen im Vordergrund steht und/oder inwie-
weit die Ziele der Forschung rein kommerziell und unternehmenserfolgsbezogen sind. Im
Zuge dessen wird diskutiert, ob sich die Forschung in diesem Bereich negativ auf die Kon-
sumenten auswirken kann.
5.3.1 Reflexion möglicher Forschungsziele
Eines der Ziele der Marktforschung ist es, die Bedürfnisse der Menschen zu entschlüsseln.
Durch die Eingliederung von neurowissenschaftlicher Forschung soll diese Möglichkeit op-
timiert werden (vgl. Kapitel 3).
5 Die Neuromarketing-Forschung
38
Im Zuge dessen wird als eines der Ziele von Neuromarketing z.B. von Vlåsceanu formuliert,
die Bedürfnisse der Konsumenten besser identifizieren zu können, da man durch neurowis-
senschaftliche Untersuchungen der Konsumentengehirne mehr über die Bedürfnisse der
Konsumenten herausfinden kann als durch die traditionelle Marktforschung
(VLÅSCEANU, 2014, S. 764 f.; vgl. Kapitel 4).
Es wird somit angenommen, dass die Konsumenten ihre Bedürfnisse nicht kennen bzw. sie
diese nicht formulieren können und die neurowissenschaftliche Marktforschung diese Wis-
senslücke schließen kann. Selbst wenn sich die Konsumenten ihren Bedürfnissen nicht voll-
ständig bewusst sind, heißt das jedoch nicht, dass sie deshalb unglücklicher, unbefriedigter
etc. sind. Wer ein Bedürfnis nicht wahrnimmt, nimmt gleichzeitig auch die fehlende Befrie-
digung dessen nicht wahr. Die Erkenntnis von unbewussten Bedürfnissen kann für Unter-
nehmen von größerem Wert sein, als für den Konsumenten selbst. Neurowissenschaftliche
Marktforschung stellt in diesem Fall die Basis dafür dar, ein Bewusstsein für Produkte zu
schaffen, deren Notwendigkeit dem Konsumenten bisher nicht bekannt war. Es wird also die
Identifikation von Bedürfnissen angestrebt, die für den Konsumenten bisher „irrelevant“
sind bzw. keinen Einfluss auf sein Verhalten und sein Wohl haben.
Die Identifikation dieser Bedürfnisse schließt vor allen Dingen die Wissenslücke bei den
Unternehmen, da diese die neurowissenschaftliche Marktforschung in Auftrag geben (und
nicht die Konsumenten, um mehr über sich zu erfahren). Die Forschung bietet somit erstmal
für die Unternehmen einen Wert. Selbst, wenn die Forschungsergebnisse den Konsumenten
zugänglich gemacht werden, muss das nicht bedeuten, dass sie einen Nutzen daraus ziehen
können: Die Identifikation unbewusster Bedürfnisse kann insofern mit einer Generierung
von Bedürfnissen gleichgesetzt werden, da diese Bedürfnisse für den Konsumenten quasi
neu sind. Das Wissen kann eher eine Verschlechterung, als eine Verbesserung für das Wohl
der Konsumenten darstellen, da sie sich nun (noch) mehr Bedürfnissen bewusst sind, als
ohne die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse.
In diesem Kontext äußern sich Satel und Lilienfeld: „Aufgrund des kommerziellen Charak-
ters der Studien befürchten viele Menschen unethische Verwendung der erhobenen Daten
und sprechen sich für Regulation von Neuromarketing aus“ (SATEL, LILIENFELD, 2013,
S. 43). Es kann angezweifelt werden, ob die Unternehmen die Forschungsergebnisse und
Informationen bezüglich deren Verwendung überhaupt preisgeben, da sie für den
5 Die Neuromarketing-Forschung
39
Forschungsaufwand bezahlt haben und die Ergebnisse als Basis zur Entwicklung entspre-
chender Marketingmethoden verwenden wollen. Gelangen die Ergebnisse an die Öffentlich-
keit und somit an andere Unternehmen, stellen sie keine individuelle Erfolgsvariable für das
beauftragende Unternehmen mehr dar, da sie nicht nur von diesem genutzt werden können.
Das Argument, dass für die Konsumenten durch neurowissenschaftliche Forschung ein
Mehrwert durch das Bewusstwerden bisher unbekannter Bedürfnisse entstehe, ist an dieser
Stelle widerlegt und die neurowissenschaftliche Marktforschung in diesem Kontext als
ethisch problematisch einzuordnen.
Da die Forschung nicht zu rein wissenschaftlichen Zwecken betrieben wird, sondern von
marktwirtschaftlichen Akteuren in Auftrag gegeben wird, kann vermutet werden, dass auch
die Ziele kommerzieller, also gewinnbezogener, Natur sind. Es kann also die Erhöhung des
Unternehmenserfolgs, anstatt die Erhöhung des Kundennutzens im Vordergrund stehen. So-
mit dient das Argument einer optimierten Bedürfnisbefriedigung mehr der Legitimation neu-
rowissenschaftlicher Marktforschung, als der Begründung dieser.
Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass es sich bisher lediglich um ein Versprechen der Neuro-
marketingentwickler handelt, dass Neuromarketing eine Wissenslücke schließen kann, die
traditionelle Marktforschung nicht beseitigen könne. Der Marketingbereich stand schon vor
Auftreten des Neuromarketings in der Kritik, das Ziel der Generierung von Bedürfnissen zu
verfolgen. Da es keine Beispiele für die Generierung von Bedürfnissen speziell durch Neu-
romarketing gibt, ist fraglich, ob dieses dazu überhaupt bessere Möglichkeiten bietet, als
traditionelle Marktforschung ohne Einbezug der Neurowissenschaft. Somit ist anzuzweifeln,
ob Forschung im Neuromarketingbereich in dem gleichen Maße ethisch problematisch bzw.
problematischer ist, als traditionelle Marktforschung.
Laut Wählert ist es Ziel der neurowissenschaftlichen Marktforschung, Instrumente bzw.
Strategien für die Neuromarketingpraxis zu entwickeln, mit denen das Konsumverhalten der
Gesellschaft beeinflusst werden soll (WÄHLERT, 2008, S. 10). Diese Beeinflussung kann
in zwei Richtungen gehen:
Zum einen sollen neben der Identifikation unbewusster Bedürfnisse auch besonders wirk-
same bzw. verkaufsfördernde Reize ermittelt werden: Neurowissenschaftliche
5 Die Neuromarketing-Forschung
40
Marktforschung wird laut Häusel mit dem Ziel verfolgt, die Basis zur Entwicklung von Mar-
ketingmethoden effizienter zu gestalten (HÄUSEL, 2012). In diesem Fall wird angestrebt,
den „Kauf-Knopf“ der Konsumenten zu entschlüsseln. Es wird somit nicht erzielt, die Be-
dürfnisse der Konsumenten zu entschlüsseln, um ihren Nutzen durch die Erhöhung ihrer
Zufriedenheit zu steigern. Ziel der Forschung ist es in diesem Fall, Unternehmen eine bes-
sere Basis zur Entwicklung von Marketingmethoden zu liefern, als es durch die traditionelle
Marktforschung möglich ist: Durch die Entschlüsselung des „Kauf-Knopfs“ wissen die Mar-
ketingtreibenden welche Reize gesendet werden müssten, um eine gewünschte Kaufent-
scheidung zu beeinflussen. Es geht somit darum, den Nutzen der Unternehmen in Form von
Gewinn zu maximieren. Eine Verbesserung des Wohls der Konsumenten könnte lediglich
ein Nebenprodukt sein, würde jedoch nicht unbedingt angestrebt werden.
Dass Neuromarketing-Forschung aber tatsächlich eine bessere Grundlage zur Gestaltung
von Marketingmethoden bildet, als es traditionelle Marktforschung kann, ist nicht nachge-
wiesen. Es werden mehr Informationen darüber geliefert, wie Reize im Gehirn verarbeitet
werden und wie Marketing auf die Prozesse im Gehirn wirkt. Allerdings gibt es keine Bei-
spiele dafür, wie und ob dieses Wissen dazu beiträgt, den „Kauf-Knopf“ zu entschlüsseln
und Marketing effektiver zu machen.
Dass Ziel, den „Kauf-Knopf“ der Konsumenten zu entschlüsseln und den Fokus auf den
Unternehmensgewinn, anstatt auf das Wohl der Konsumenten zu legen, ist aus ethischer
Perspektive als verwerflich einzustufen. Diese Kritik bezieht sich auf den gesamten Marke-
tingbereich. Da nicht nachgewiesen ist, ob und inwiefern Neuromarketing diese Möglichkeit
bietet, erhöht Neuromarketing diese Gefahr bisher nicht.
Zum anderen muss neurowissenschaftliche Marktforschung nicht mit den Interessen von
Konsumenten inkompatibel sein. Mit dem Finden des „Kauf“-Knopfs kann laut Farah auch
das Ziel verfolgt werden, die Entstehung von schädlichem Konsum, wie z.B. von Alkohol
oder Zigaretten, zu entschlüsseln. Somit soll in diesem Fall ermittelt werden, wie man auf
die Emotionen der Konsumenten einwirken kann, um diesen Konsum zu reduzieren (FA-
RAH, 2014). Das kann sich für das Wohl der Gesellschaft zwar insgesamt positiv auswirken,
ist ethisch aber dennoch als problematisch zu bewerten, da die Bedürfnisse bzw. das Verhal-
ten des Einzelnen „von Innen“ beleuchtet werden sollen, um Beeinflussungsmöglichkeiten
zu entschlüsseln.
5 Die Neuromarketing-Forschung
41
Dieses Motiv ist unabhängig von der ethischen Bewertung in zweierlei Hinsicht fragwürdig:
Zum einen strebt Marketing die Vermarktung von Gütern und somit die Generierung von
Umsatz an. Durch eine Reduktion von Konsum würde genau dagegen vorgegangen werden,
was für die Konsumenten und aus ethischer Perspektive zwar positiv wäre, aber die Errei-
chung des Ziels der Unternehmen behindern würde und somit unrealistisch ist. Zum anderen
werden Suchtverhalten und Suchtanfälligkeit im medizinischen Bereich schon früher mittels
Hirnforschung untersucht. Eine Untersuchung im Marketingbereich würde somit zu keinen
neuen Erkenntnissen führen und wäre dementsprechend überflüssig. Das Versprechen,
schädlichen Konsum reduzieren zu wollen, ist somit hinfällig. Zudem gibt es bisher (wie
gesagt) keine Beispiele dafür, dass eine Beeinflussung des Verhaltens und der Bedürfnisse
durch Neuromarketing-Forschung möglich wird.
Ziel kann es laut Vlåsceanu sein, die wirksamen Reize zu ermitteln, um die unwirksamen
Reize aus der Werbung zu eliminieren. Die Forschung stellt in diesem Fall eine Basis zur
Reduktion der Informationsflut auf den Konsumenten dar. Das Angebot kann so besser auf
seine Bedürfnisse ausgerichtet sein. (VLÅSCEANU, 2014). Dieses Ziel ist ethisch zwar le-
gitim, aus ökonomischer Sicht jedoch zweifelhaft, da es keine positiven Auswirkungen auf
den Unternehmenserfolg hätte. Da es sich bei den Auftraggebern von neurowissenschaftli-
cher Marktforschung um wirtschaftliche Akteure handelt, ist nicht davon auszugehen, dass
die Ziele auf das Wohl der Konsumenten ausgerichtet sind, sondern eher auf eine Erhöhung
des Unternehmenserfolgs, weshalb dieses Argument widerlegt werden kann.
Die Eingliederung neurowissenschaftlicher Forschung ins Marketing kann zudem als Legi-
timation der Wirksamkeit von Neuromarketing dienen. Der neurowissenschaftliche Hinter-
grund kann den Eindruck vermitteln, dass die entsprechende Marktforschung eine bessere
Basis zur Entwicklung von Marketingmethoden darstellt, als es bei der traditionellen Markt-
forschung der Fall ist. Dies ist bisher jedoch nicht nachgewiesen. Die neurowissenschaftli-
che Marktforschung kann somit selbst ein Marketingwerkzeug zum Vertrieb von Neuromar-
ketingmethoden wie Limbic® (s. Kapitel 6.1.1) oder Brand Code Managementä (s. Kapitel
6.1.2) sein.
Ziel von wissenschaftlichen Untersuchungen sollte die Verbesserung der Gesundheit und
des Lebens sein und nicht eine Steigerung der Kosteneffizienz von Marketingmaßnahmen
durch die Entdeckung von Möglichkeiten zur Beeinflussung von Entscheidungen und
5 Die Neuromarketing-Forschung
42
Verhalten. Da die Ziele überwiegend gewinnbezogen zu sein scheinen, können sie somit
ethisch problematisch sein, falls keine Rücksicht auf das Wohl der Konsumenten genommen
wird.
5.3.2 Reflexion des Einflusses auf die Konsumentensouveränität und das Wohl der Konsumenten
Als Konsumentensouveränität definiert Kerber die Fähigkeit der Konsumenten, frei am
Markt zu wählen und durch ihr Nachfrageverhalten Kontrolle über die knappen Produkti-
onsmittel bzw. das Angebot auszuüben: „Allein die Präferenzen der Konsumenten sollen
darüber entscheiden, welche Güter und Dienstleistungen in welchen Mengen hergestellt wer-
den“ (KERBER, 2004, S. 274 ff.). Der Markt kann als eine „Veranstaltung zum Wohl der
Allgemeinheit, der Konsumenten“ angesehen werden (HOMANN, BLOME-DRESS, 1992).
Unternehmen bzw. Produzenten sollen erkennen und bereitstellen, was die Konsumenten
wollen, um zum Allgemeinwohl beizutragen. Die Güterproduktion stellt hier eine Funktion
des Konsums dar.
Neurowissenschaftliche Marktforschung liefert einen positiven Beitrag zur Konsumenten-
souveränität, wenn die Forschungsergebnisse dazu genutzt werden, die Präferenzen der Kon-
sumenten besser zu entschlüsseln, um das Angebot besser auf sie bzw. ihre Bedürfnisse ab-
zustimmen. Die Konsumenten nehmen so zwar nicht über ihr Nachfrageverhalten direkten
Einfluss auf das Angebot, jedoch sind ihre Präferenzen in diesem Fall der lenkende Faktor,
da die Produzenten ihre Handlungen an den aus der neurowissenschaftlichen Marktfor-
schung entschlüsselten Bedürfnissen ausrichten.
Fraglich ist, ob durch Neuromarketing nicht eher darauf abgezielt wird, die Souveränität der
Konsumenten zu schwächen bzw. die Souveränität der Produzenten zu stärken. Es geht bei
der Forschung in diesem Fall nicht um die Schaffung von Kundennutzen durch die optimale
Befriedigung von Bedürfnissen, sondern mehr um die Offenlegung des „Kauf-Knopfes“, um
den Konsum durch Werbemaßnahmen gezielt zu beeinflussen. Die Souveränität wird den
Konsumenten somit genommen und den Produzenten zuteil, da diese das Marktgeschehen
beeinflussen. Da es im Kontext von Neuromarketing besonders um unbewusste Bedürfnis-
und Entscheidungsstrukturen geht, kann für Unternehmen die Möglichkeit bestehen, den
Handlungsspielraum der Konsumenten einzuschränken, ohne dass diese es merken. Neuro-
wissenschaftliche Forschung kann zudem das Ziel haben, die erfolgsbezogene Unsicherheit
5 Die Neuromarketing-Forschung
43
von Marketingmethoden zu verringern, da die Bedürfnisse und die Reaktionen der Konsu-
menten besser prognostiziert werden können.
Die Verfolgung des Ziels der Einschränkung der Autonomie der Konsumenten ist in jedem
Fall ethisch problematisch. Es ist jedoch auch an dieser Stelle fraglich, ob neurowissen-
schaftliche Forschung tatsächlich zur Einschränkung der Konsumentensouveränität durch
die Offenlegung des „Kauf-Knopfes“, also der Generierung „gläserner“ Konsumenten und
einer Einschränkung ihrer Autonomie und persönlichen Rechte, führen kann, oder ob dieses
Versprechen nicht eine bloße Legitimation der kommerziellen Forschung zur Vermarktung
von Neuromarketing ist. Die von den Neuromarketingentwicklern propagierten Ziele sind
im Grunde die gleichen Ziele, die der (traditionelle) Marketingbereich verfolgt. Durch den
Einbezug der Neurowissenschaft wird das Bild einer wissenschaftlichen Marktforschung
vermittelt, die dadurch effektiver als die traditionelle Marktforschung wirkt. Die Untersu-
chung von Emotionen und kognitiven Prozessen mit neurowissenschaftlichen Methoden
wird als Qualitätsmerkmal dieser Forschung dargestellt. Möglicherweise handelt es sich
hierbei jedoch selbst um Marketing (also Vermarktung von Neuromarketing), da es keine
Beispiele für die verbesserte Wirksamkeit durch Einsatz neurowissenschaftlicher Forschung
im Marketingbereich gibt. Emotionen und Bedürfnisse spielen im Marketing schon lange
eine Rolle - nicht erst in Zusammenhang mit dem Begriff des Neuromarketings.
5.3.2.1 Die Generierung „gläserner“ Konsumenten
Nach Morin kann Neuroimaging bedeutende Erkenntnisse darüber liefern, was in den Ge-
hirnen der Konsumenten abläuft (MORIN, 2011, S. 132). Neuromarketing bietet somit die
Möglichkeit für Unternehmen, die Konsumenten durchschaubar zu machen, was oft mit dem
Bild des „gläsernen Konsumenten“ beschrieben wird.
Im Fokus neurowissenschaftlicher Untersuchungen steht laut Ulman, Cakar und Yildiz nicht
das sichtbare und beschreibbare Verhalten der Konsumenten, sondern vor allem die Ent-
schlüsselung ihrer kognitiven Prozesse und Emotionen (ULMAN, CAKAR, YILDIZ, 2015,
S. 1273 f.). Neurowissenschaftliche Untersuchungen nehmen direkten Bezug auf die Psyche,
das Unterbewusstsein und die Emotionen der Menschen. Sie setzen folglich an seinem un-
mittelbaren persönlichen Lebensbereich an: Die Forschenden wollen Einblicke in das In-
nerste der Konsumenten erhalten und mehr über sie erfahren, als diese selbst kommunizieren
5 Die Neuromarketing-Forschung
44
können bzw. mehr als das, was ihnen bewusst ist. In diesem Fall können die Unternehmen
sozusagen über einen Teil der Konsumentengehirne verfügen.
Sollen die Forschungsergebnisse dazu genutzt werden, den Gewinn eines Unternehmens zu
erhöhen, werden die Erkenntnisse über die kognitiven Strukturen einer Person, also über ihr
Inneres, zu einer erfolgsrelevanten Größe, die die Marketingtreibenden von den Neurowis-
senschaftlern erwerben. Es handelt sich in dem Fall sozusagen um einen Handel mit neuro-
nalen Erkenntnissen, deren Besitz den Gewinn eines Unternehmens positiv beeinflussen
soll. Da es sich um Informationen über den direkten persönlichen Lebensbereich einer Per-
son handelt, können ihre Persönlichkeitsrechte auf diese Weise eingeschränkt werden, was
ethisch problematisch ist. Bei einer Verletzung der Rechte anderer sollte die Wettbewerbs-
freiheit zu Gunsten des Gemeinwohls eingeschränkt werden. Somit ist in diesem Fall auch
die neurowissenschaftliche Marktforschung einzuschränken.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse beschreiben also das Innere eines Menschen - sie ma-
chen die in ihm ablaufenden Prozesse sichtbar und ihn dahingehend „gläsern“. Ob diese
Erkenntnisse den Marketingbereich diesbezüglich effektiver machen, als traditionelle
Marktforschung, ist bisher nicht bewiesen. Zwar kann z.B. die Wirkungsweise eines Reizes
besser nachvollzogen werden, allerdings gibt es kein Beispiel dafür, dass alle Bedürfnisse
und Emotionen eines Menschen auf diese Weise offengelegt und beeinflussbar gemacht wer-
den können und sein Entscheidungsverhalten somit gläsern wird.
5.3.2.2 Der Einfluss auf den freien Willen und die Würde des Menschen
Die Würde des Menschen steht im Grundgesetz an erster Stelle und ist das höchste Recht,
auf das sich ein Mensch berufen kann (Art. 1 Abs.1 GG). Einem Individuum wird die Men-
schenwürde allein durch seine Existenz zu eigen: Sie ist unabhängig vom Geschlecht, Alter,
der Herkunft und dem geistigen Zustand gegeben. Somit kann sie dem Menschen nicht ge-
nommen werden und unterliegt einer Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG). Die Würde des
Menschen kann jedoch durch Nichtachtung verletzt werden, weshalb es wichtig ist, diese zu
schützen und Nichtachtung zu unterbinden. Die Wahrung des Achtungsanspruches und der
Schutz der Menschenwürde gilt sowohl für den Staat als auch für jeden Menschen.
Die Präambel der Grundrechtcharta der Europäischen Union beruft sich ebenfalls auf die
Menschenwürde. Sie bezeichnet sie zusammen mit der Freiheit, Gleichheit und der
5 Die Neuromarketing-Forschung
45
Solidarität als einen unteilbaren und universellen Wert (CHARTA DER GRUNDG-
RECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION, 2012/C 326/02). Somit gilt die Menschenwürde
in sämtlichen Lebensbereichen einer Person.
Aus dem Grundrecht der Menschenwürde lassen sich die Menschenrechte ableiten. Im Kon-
text des Neuromarketings sind aus ethischer Perspektive, z.B. laut Nordensfeldt, v.a. die
Wirkungen auf das Recht auf Freiheit, auf die Freiheit vor willkürlichen Eingriffen in die
Privatsphäre und auf das Recht auf Selbstbestimmung zu beachten. Diese Freiheitsrechte
beziehen sich sowohl auf den Körper als auch den Geist der Menschen ULMAN, CAKAR,
YILDIZ, 2015, S. 1275). Im Neuromarketing sollten diese Rechte ebenso gelten, wie bei
allen anderen den Menschen betreffenden Handlungen, Methoden, etc. Besonders deshalb,
weil es bei neurowissenschaftlicher Forschung um den engsten, persönlichen Lebensbereich
einer Person geht, muss die Integrität von Moral und die Wahrung der Freiheitsrechte und
der Menschenwürde gewährleistet werden.
Laut Ulman, Cakar und Yildiz führt neurowissenschaftliche Marktforschung zu Entpersona-
lisierung und Stigmatisierung, da der Mensch während der Untersuchung als Objekt bzw.
als eine Variable des Konsums betrachtet wird (ULMAN, CAKAR, YILDIZ, 2015, S. 1274
f.). Obwohl es um die Untersuchung seiner Emotionen und Bedürfnisse geht, steht nicht sein
Wohl, sondern seine Funktion als gewinnbringendes Objekt im Fokus. Dieser „Wissenshan-
del“ kann sich auch insofern negativ auf die Konsumentensouveränität auswirken, als die
Unternehmen mehr über die Konsumenten wissen als diese selbst - sie sind somit zwar für
die Unternehmen „gläsern“, erfahren selbst jedoch keinen Wissenszuwachs bzw. Mehrwert
aus den Untersuchungen. Diese selbstfinanzierten Wissensvorsprünge können den Unter-
nehmen dazu verhelfen, die Souveränität der Konsumenten einzuschränken und ihr Verhal-
ten zu lenken, ohne dass diese eine Chance haben, sich dagegen zu wehren.
Es ist allerdings fraglich, welche Auswirkungen die Erzielung der Erkenntnisse auf die ein-
zelne Person haben können. Zwar können Erkenntnisse über die kognitiven Strukturen ein-
zelner Personen erzielt werden, jedoch bietet neurowissenschaftliche Forschung momentan
noch keine Möglichkeit der Bildung einer umfassenderen Basis zur Entwicklung personali-
sierter Werbung, als es gängige Methoden (z.B. personalisiertes Online-Marketing durch
Analyse der Suchverläufe etc.) tun. Es kann sich also (noch) um leere Versprechen handeln,
den Gewinn eines Unternehmens durch neurowissenschaftliche Forschung steigern zu
5 Die Neuromarketing-Forschung
46
können. Das Ziel, der Generierung „gläserner“ Konsumenten und Eingriffe in ihr Inneres -
fern von medizinischen Zwecken - zur Einschränkung ihrer Souveränität ist allerdings un-
abhängig von der Möglichkeit zur Umsetzung ethisch problematisch.
Besonders dann, wenn die Erforschung des Gehirns, der Lebensgewohnheiten und des Ver-
haltens mit dem Ziel stattfindet, die Gewinne eines Unternehmens zu erhöhen, kann es laut
Wähnert dazu kommen, dass die Probanden nicht als Personen, sondern als berechenbare
(Konsum-) Größen betrachtet werden, die es zu verstehen und zu überwältigen bzw. zu be-
einflussen gilt (WÄHNERT, 2008, S. 7). Es stehen somit nicht ihre persönlichen Bedürf-
nisse, sondern ihre Funktion als Konsument im Fokus. Laut Henning bedeutet das, dass die
Menschen nicht als Bürger, sondern als Variablen des Konsums behandelt und somit entper-
sonalisiert werden würden (HENNING, 2007, S. 115 ff.). Ziel der Forschung ist es, mehr zu
verkaufen, indem persönliche Vorlieben durch Gehirn-Scans ermittelt werden (BELDEN,
2013, S. 150). In diesem Fall sind nicht die Bedürfnisse, Rechte und das Wohl des Menschen
bei neurowissenschaftlicher Forschung von Bedeutung, sondern allein Kenntnisse zur Ent-
schlüsselung ihres Konsumverhaltens. Das bedeutet gleichzeitig, dass es um die Erzielung
von Erkenntnissen zur Einschränkung bzw. Lenkung des freien Willens und der Autonomie
einer Person geht, was eine Verletzung der Menschenwürde zur Folge hat.
Laut Ulmann, Cakar und Yildiz kann Neuromarketing die Persönlichkeitsrechte einer Person
auch insofern einschränken, als die Forschenden durch eine Entschlüsselung der inneren
Entscheidungssysteme und emotionalen Strukturen einer Person mehr über eine Person her-
ausfinden, als diese selbst über sich weiß (ULMANN, CAKAR, YILDIZ, 2015, S. 1277).
Das bedeutet, dass Neuromarketing die Privatsphäre einer Person missachten kann. Die Un-
tersuchten haben somit keinen Einfluss darauf, was sie über sich preisgeben, da sie selbst
nicht wissen, was in ihrem Unterbewusstsein abläuft. Shanton, Sinnott-Armstrong und Huet-
tel argumentieren zwar so, dass niemand ohne Einwilligung an diesen Untersuchungen teil-
nimmt und der freie Wille somit während der Untersuchung nicht eingeschränkt wird
(SHANTON, SINNOTT-ARMSTRONG, HUETTEL, 2016, S. 4 ff.). Dies trifft allerdings
nur zu, wenn die Probanden vollkommen über die Ziele und möglichen Ergebnisse der For-
schung aufgeklärt sind. Es ist allerdings fraglich, ob sie trotz umfangreicher Informationen
in der Lage sind, diese richtig zu verstehen. Solange nicht gewährleistet ist, dass die Ver-
suchsteilnehmer die Ziele und Tragweite der Forschung und ihre Ergebnisse verstehen,
könnte die Forschung als ethisch nicht legitim angesehen werden, da die Unwissenheit der
5 Die Neuromarketing-Forschung
47
Teilnehmer ausgenutzt werden könnte. Ihr Wille würde somit nicht direkt eingeschränkt
werden, jedoch hätten die Konsumenten auch gar keine Chance, zu erkennen, ob ihre Ein-
stellung und ihre Vorstellungen mit der Untersuchung konform sind.
Laut Ulman, Cakar und Yildiz sollte die Würde des Menschen und die Wahrung seines freien
Willens als fundamentale Richtlinie für wissenschaftliche Forschung bezüglich des mensch-
lichen Körpers und der Psyche gelten (ULMANN, CAKAR, YILDIZ, 2015, S. 1275). Selbst
dann, wenn die Forschung an sich als ethisch legitim eingestuft wird, da die Probanden frei-
willig an den Untersuchungen teilnehmen, können die Ziele der Forschung ethisch proble-
matisch sein. Das Wohl einer Person kann durch die Ausrichtung der Forschung am Gewinn
eines Unternehmens in den Hintergrund geraten.
6 Die Neuromarketing-Methoden
48
6 Die Neuromarketing-Methoden
Aufbauend auf den Erkenntnissen der neurowissenschaftlichen Marktforschung werden
Marketinginstrumente entwickelt, mit denen die Anwendung des Marketings optimiert wer-
den kann: Die Bedürfnisse der Konsumenten sollen besser entschlüsselt werden können, um
die Werbung so wirksamer zu gestalten. Außerdem kann die Möglichkeit bestehen, gezielt
Einfluss auf das Konsumverhalten der Konsumenten zu nehmen.
6.1 Ausgewählte Instrumente zur Anwendung von Neuromarke-ting
Die momentan fortschrittlichsten Modelle zur Anwendung von Neuromarketing sind das
Limbic® - System von Häusel und das Brand-Code-Managementä von Schleier und Held.
Diese Modelle integrieren die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse der Marktforschung ins
Marketing und unterstützen diesen Bereich vor allem bezüglich der Zielgruppensegmentie-
rung und der Bindung der Konsumenten an Marken. In beiden Modellen spielen das neuro-
nale Emotionssystem und die Wahrnehmung und Reizempfänglichkeit der Konsumenten
eine bedeutende Rolle.
6.1.1 Limbic®
Das Limbic® - System wurde von dem deutschen Diplom-Psychologen Hans-Georg-Häusel
in Zusammenarbeit mit der Gruppe Nymphenburg Consult AG entwickelt, in der er dem
Vorstand angehört. Das System soll Marketingmanagern dabei helfen, Kaufentscheidungen
besser zu verstehen und das Marketing auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Konsumenten
auszurichten bzw. diese langfristig als Kunden zu gewinnen.
Aufbauend auf den emotionalen Strukturen der Gehirne der Konsumenten lassen sich, wie
es von Häusel beschrieben wird, verschiedene Konsumententypen auf einer Karte zu Grup-
pen segmentieren. So können Empfehlungen zur emotionalen Ansprache der verschiedenen
Typen ausgesprochen werden. Das Limbic® - System soll es möglich machen, unterbe-
wusste Kaufentscheidungen darzustellen und diese Erkenntnisse im Marketing umzusetzen.
In der sog. Limbic® Map lassen sich Emotionssysteme und ihre innere Dynamik darstellen.
In jedem Emotionssystem werden neurofunktionale Prozesse visualisiert. Die Prozesse sol-
len hierbei den Anspruch der Komplexität wahren, jedoch so einfach wie möglich dargestellt
6 Die Neuromarketing-Methoden
49
werden, um sie für eine Übersetzung in die Praxis instrumentalisierbar zu machen. Es soll-
möglich sein, den kompletten Emotionsraum des Menschen übersichtlich abzubilden. In der
Karte sollen die Emotionen mit menschlichen Werten verknüpft werden. Werte sind hier als
Maßstäbe zur Bewertung von eigenem Verhalten und dem Verhalten anderer Menschen de-
finiert. Die Werte werden durch Expertenbefragungen und durch eine spontane Zuordnung
durch Versuchsteilnehmer verknüpft. Somit verbindet die Karte laut Häusel die unbewusste
Ebene der Emotionen mit der bewusst wahrgenommenen Ebene der Werte: Sowohl aus den
Emotionen und Bedürfnissen (vgl. Kapitel 2.1) als auch aus den Erwartungen (vgl. Kapitel
2.1) der Konsumenten wird eine Schnittstelle gebildet (HÄUSEL, 2014, S. 62 ff.). Limbic®
stellt also weniger eine Alternative als eine Ergänzung der traditionellen Zielgruppenseg-
mentierung um eine neurowissenschaftliche Komponente dar.
Fraglich ist, inwiefern dieses Modell tatsächlich mehr kann, als die traditionelle Zielgrup-
pensegmentierung. Es wird damit argumentiert, dass die Konsumenten (anders als beim tra-
ditionellen Marketing) aufbauend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der jeweiligen Ziel-
gruppe zugeordnet werden. Das sagt aus, dass diese Zuordnung treffsicherer ist, als die tra-
ditionelle Zielgruppensegmentierung, da sie wissenschaftlich bewiesen ist. Problematisch ist
an dieser Aussage jedoch, dass die Umsetzbarkeit in der Realität nicht gegeben ist: Zur voll-
kommenen Sicherheit bezüglich der Zuordnung der Konsumenten müsste man von jedem
einzelnen die Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Untersuchung besitzen. Dies ist inso-
fern unrealistisch, dass ein Unternehmen die Konsumenten dazu nicht zwingen kann und
somit nicht gewährleistet ist, dass es alle notwendigen neurowissenschaftlichen Daten bei
der Zielgruppensegmentierung vorliegen hat. Die Karte stellt somit eher eine Veranschauli-
chung dessen dar, wie sich verschiedene Emotionen im Gehirn darstellen, welche Reize dort
in welchem Umfang wirksam sind und welchem Konsumententyp das entspricht. Eine Er-
leichterung der Zuordnung, welcher Konsument welcher Zielgruppe entspricht, liegt in der
Praxis nicht vor.
Laut der Gruppe Nymphenburg ist die Karte kultur- und länderübergreifend stabil, was be-
deutet, dass bestimmte Werte unabhängig von der Kultur der Versuchspersonen an der glei-
chen Stelle auf der Karte zu finden sind (HÄUSEL, 2012, S. 58). Dies impliziert, dass diese
Werte auch kulturunabhängig an der gleichen Stelle im Gehirn wirken.
6 Die Neuromarketing-Methoden
50
Aufbauend auf der neurowissenschaftlichen Untersuchung der Konsumenten dient die Lim-
bic® Map laut Häusel in der Praxis zum einen zur Markenpositionierung, dem Limbic®
Branding, und zum anderen zur Positionierung der emotionalen Bedeutung bestimmter
Reize, dem Limbic® Cue Management (HÄUSEL, 2012, S. 155 ff.).
Das bedeutet konkret, dass man sich von Limbic® verspricht, erkennbar zu machen, wie
man einen Reiz (z.B. eine Farbe) in einer Werbebotschaft positionieren muss, um eine Marke
so zu bewerben, dass der Reiz bei einem Konsumenten emotional so wirkt, dass er sich an
die Marke bindet bzw. ein Produkt kauft. Da fraglich ist, inwieweit eine Einteilung der Kon-
sumenten auf der Limbic® Map einen Vorteil gegenüber der traditionellen Zielgruppenseg-
mentierung darstellt, ist ebenso fraglich, ob die Markenpositionierung und Werbegestaltung
überhaupt von Limbic® profitiert. Möglicherweise ist auch durch die neurowissenschaftli-
che Komponente nicht mehr möglich als im traditionellen Marketing.
Die Persönlichkeit eines Konsumenten lässt sich laut Häusel anhand dessen ausdrücken, wie
die verschiedenen Emotionssysteme ausgeprägt sind (HÄUSEL, 2012, S. 113 ff). Die emo-
tionalen Strukturen eines Menschen sind zum Großteil angeboren, können jedoch auch durch
das Umfeld, Erziehung und Bildung geprägt werden. In Abhängigkeit der individuellen emo-
tionalen Ausprägungen ergibt sich bei einem Menschen jedem ein Emotionsschwerpunkt
(HÄUSEL, 2012, S. 113 ff.; SCHLEIER, HELD, 2012, S. 114 ff.). Dieser kann z.B. im
Balance-System liegen (vgl. Kapitel 4.2.4).
6 Die Neuromarketing-Methoden
51
Abbildung 3: Limbic® Map
Die Limbic® Map besteht aus drei verschiedenen Systemen. Das Hauptsystem („Big 3“)
besteht aus dem Dominanz-, dem Balance- und dem Stimulanz-System. Auf dem äußeren
Rand befindet sich das Subsytem, welches aus Mischformen bzw. Kombinationen der „Big
3“ besteht: Abenteuer/ Thrill, Disziplin/ Kontrolle, Fantasie/ Genuss. Innerhalb der Systeme
sind die verschiedenen Werte bzw. Motive dargestellt. Die grau hinterlegten Kreise und El-
lipsen stellen Zusammenfassungen von Werten zu einer Wertgruppe dar.
Anhand dieses Schwerpunktes können sich verschiedene Konsumententypen identifizieren
lassen. Diese kann man als Subgruppen der drei Hauptemotionssysteme bezeichnen. Laut
Häusel erfolgt die Bestimmung verschiedener Konsumententypen anhand der Untersuchung
von neurofunktionalen Prozessen verschiedener Personen mittels fMRT s. Kapitel 5.5.2).
Insgesamt wurden bisher sieben verschiedene Typen von Konsumenten mittels ihrer Emoti-
onsschwerpunkte ermittelt:
6 Die Neuromarketing-Methoden
52
Abbildung 4: Verteilung der Limbic® Typen in Deutschland15
• Traditionalisten streben nach Sicherheit und Tradition. Bei ihnen kann der Bereich
zwischen Balance- und Dominanz-System, also Disziplin- und Kontrollreize beson-
ders gut aktiviert werden.
• Harmoniser sind besonders für Harmonie und Fürsorge empfänglich. Der Schwer-
punkt der Reize liegt bei Balance, Bindung und Fürsorge.
• Genießer streben nach Offenheit und Genuss. Ihre Schwerpunkte liegen im Balance-
und Stimulanz-System.
• Hedonisten können vor allem durch Spaß und Kreativität erreicht werden. Ihr Emo-
tionsschwerpunkt liegt im Stimulanz-System.
• Abenteurer präferieren Abenteuer und Risiko, da ihre Schwerpunkte im Stimulanz-
und Dominanz-System liegen.
• Performer streben nach Erfolg und Status. Ihr Schwerpunkt ist im Dominanz-System
zu finden.
• Disziplinierte bevorzugen Disziplin und Kontrolle. Ihre Emotionen liegen schwer-
punktmäßig im Balance- und Dominanz-System.
15 Eigene Darstellung, aufbauend auf SCHEIER, 2012
Harmoniser32%
Genießer13%Hedonisten
11%Abenteurer
3%
Performer6%
Disziplinierte11%
Traditionalisten24%
6 Die Neuromarketing-Methoden
53
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass es sich bei der Einteilung in diese Konsumententypen
um keine Erkenntnis von Limbic® oder des Neuromarketings handelt. Es wird so dargestellt,
als wäre erst durch neurowissenschaftliche Forschung möglich, Konsumenten verschiede-
nen Typen und somit Zielgruppen zuzuordnen. Durch Einbezug der Neurowissenschaft kann
die Möglichkeit bestehen, die Treffsicherheit der Zuordnung zu erhöhen. Es gibt bisher je-
doch keinen Vergleich, der beweist, dass mit Limbic® im Vergleich zu traditionellen Mar-
ketingmethoden eine genauere Zuordnung stattfindet.
Für Marketingmanager kann sich die Möglichkeit ergeben, die Zielgruppe neu zu definieren,
da man Konsumenten mit dem gleichen Typ zu einer Zielgruppe zusammenfassen kann bzw.
die Möglichkeit besteht, Konsumenten mit anderen Typen durch Konsumenten des Haupt-
zielgruppentyps zu ersetzen. Fraglich ist jedoch, ob diese angeblich neue Art der Zielgrup-
pensegmentierung überhaupt eine Veränderung für die bisherige Segmentierung der Konsu-
menten bedeuten würde. Es ist zudem nicht bewiesen, dass Marketing mit Limbic® wirksa-
mer wird bzw., dass mit einer Optimierung der traditionellen Marketingmethoden (Stichwort
Marketing 4.0) nicht ähnliche oder sogar bessere Ergebnisse ohne den Einbezug der Neuro-
wissenschaften möglich sind.
Es gilt laut Häusel auch zu beachten, dass es sich nur um eine vereinfachte Möglichkeit zur
neuronalen Segmentierung von Konsumententypen handelt (HÄUSEL, 2016, S. 53). S
6.1.2 Brand-Code-Managementä
Das Brand-Code-Managementä wurde von Scheier und Held entwickelt und stellt einen
Ansatz zur Markenführung dar. Ziel ist die Steuerung der impliziten Bedeutung von Marken,
um die Bindung der Konsumenten an eine Marke zu verstärken. Marken bzw. ihre Wirkung
werden in dynamische Neuronen-Gehirnnetzwerke eingeordnet. Das bedeutet, dass man z.B.
durch fMRT (s. Kapitel 5.5.2) abbilden kann, an welcher Stelle im Gehirn eine Marke eine
Wirkung auslöst. Das wird durch außerdem die Eingliederung der neurowissenschaftlichen
Erkenntnisse möglich, die bereits in Kapitel 2.4.1 und 2.4.2 näher erläutert worden sind.
Das Brand-Code-Managementä funktioniert laut Scheier und Held auf zwei Ebenen (SCH-
EIER, HELD, 2012, S. 42 ff.): Die erste Ebene stellt die Ebene der Motive dar. Sie setzt im
limbischen System, also an den emotionalen Strukturen des Gehirns, an. Diese Ebene ist
wichtig für die Differenzierung und Relevanz der Markenpositionierung. Die zweite Ebene
6 Die Neuromarketing-Methoden
54
ist die Ebene der Markenkontaktpunkte. Diese Punkte können z.B. die Verpackung oder
Größe eines Produktes sein. Durch das Senden von Markensignalen (Codes) wird durch ihre
implizite Bedeutung eine Brücke zu den Motiven eines Konsumenten gebildet.
Dabei gibt es drei Anforderungen:
1. Durch die Markenkommunikation muss für den Konsumenten erkennbar werden,
welche Bedürfnisse mit einem bestimmten Produkt befriedigt werden können bzw.
welchen Nutzen er aus dem Konsum ziehen kann.
2. Die Positionierung über Codes dient als Brücke zwischen der Implementierung der
Positionierung und den Motiven der Konsumenten.
3. Mit impliziten Messverfahren soll kontrolliert werden, ob die Positionierung mit der
Implementierung übereinstimmt. (SCHEIER, HELD, 2012)
Die Methode von Scheier und Held setzt bei der Markenkommunikation an. Es wird davon
ausgegangen, dass ein Sender, z.B. ein Unternehmen, bestimmte Botschaften, z.B. bezüglich
bestimmter Produkteigenschaften, an einen Empfänger, den Konsumenten, sendet. Die Bot-
schaften werden über Codes, z.B. Farben oder Symbole, verschlüsselt, die der Konsument
entschlüsselt. Damit gewährleistet ist, dass die Codes genauso entschlüsselt werden, wie der
Werbesender es wünscht, ist es wichtig, zu ermitteln, wie bestimmte Codes im Gehirn des
Konsumenten wirken und wie die Konsumenten sie entschlüsseln (SCHEIER, HELD, 2012,
S. 42).
Diesbezüglich ist jedoch fraglich, ob die Hirnforschung diesen Beitrag überhaupt leisten
kann. Wie eingangs erwähnt kann durch neurowissenschaftliche Forschung ermittelt wer-
den, wo ein bestimmter Reiz wirkt bzw. welche Gehirnareale dabei aktiviert werden (vgl.
Kapitel 5.1 und 5.). Wie ein Mensch diesen Reiz entschlüsselt und welche Reaktion durch
diesen Reiz ausgelöst wird, kann nicht dargestellt werden. Man kann durch Hirnforschung
also nachweisen, ob ein Reiz ein Gehirnareal aktiviert, jedoch nicht, welche Codes man sen-
den muss, um eine bestimmte Reaktion hervorzurufen.
Es wird davon ausgegangen, dass im Gehirn bestimmte Produkteigenschaften, wie z.B. die
Farbe, eine mentale Ebene aktivieren. Die physischen Produkteigenschaften können also mit
Reizen gleichgesetzt werden. Der Konsum beruht also nicht allein auf den tatsächlichen Ei-
genschaften eines Produktes, sondern vielmehr auf der Vorstellung eines Zustandes, der
6 Die Neuromarketing-Methoden
55
durch das Produkt erreicht werden kann. Laut Scheier und Held ist es mittels Brand-Code-
Managementä möglich, diese Vorstellung bei den Konsumenten, aufbauend auf der Kennt-
nis ihrer emotionalen Reizempfänglichkeit, hervorzurufen und so ihren Konsum zu lenken
(SCHEIER, HELD, BAYAS-LINKE, 2012, S. 18 und 91 ff.).
Hierbei handelt es sich allerdings um keine neue Annahme. Auch im traditionellen Marke-
ting wird davon ausgegangen, dass Reize bei den Konsumenten auf einer mentale Eben wir-
ken. Die Neurowissenschaft bestätigt diese Annahme, liefert diesbezüglich aber keine neue
Information. Es ist fraglich, ob es mittels Brand-Code-Managementä durch den Einbezug
der Neurowissenschaft wirklich möglich ist, den Konsum einer Person zu lenken. Durch die
Neurowissenschaft kann lediglich ermittelt werden, an welcher Stelle im Gehirn ein Reiz
wirkt, nicht aber, durch welchen Reiz man letztendlich welche Reaktion (also z.B. den Kon-
sum) hervorrufen kann. Das spricht dafür, dass es sich lediglich um ein Marketing-Verspre-
chen, den Konsum einer Person durch Brand-Code-Managementä lenken zu können.
Scheier und Held verstehen unter Codes sensorische Stichwörter, die das Erinnern bzw. das
Hervorrufen von Assoziationen stark fördern. Es sind Signale, die durch ihre kulturelle Auf-
ladung im Gehirn bekannte Bilder und Vertrauen konstruieren und so bestimmte Emotionen
hervorrufen. Diese Codes werden durch die Amygdala emotional eingefärbt und so bei Wie-
derauftreten eines Reizes reproduzierbar gemacht. Die Codes können explizit (in sprachli-
cher Form) oder implizit (z.B. in visueller Form) vorliegen und stimulieren eine lebendige
Erinnerung. Ihre Bedeutung kann auch durch kulturelles Lernen entstehen. (SCHEIER,
HELD, 2012, S. 63 ff.; RAAB, GERNSHEIMER, SCHINDLER, 2009, S. 235; ZALTMAN,
2003S. 177)
Diese Codes sollen den Marketingentwicklern dabei helfen, eine Verbindung zwischen ei-
nem Produkt und den Motiven der Konsumenten herzustellen (SCHEIER, HELD, 2012, S.
63). Diese Motive können z.B. Sicherheit, Autonomie oder Schönheit sein. Jeder dieser vier
„Zugänge zum Konsumentenhirn“ trägt für den jeweiligen Konsumenten eine unterschied-
liche Bedeutung. Die Bedeutungen variieren kulturell, was es möglich macht, die Konsu-
menten anhand der Bedeutungskraft des einzelnen Codes in verschiedene Gruppen einzutei-
len. Daraus ergeben sich verschiedene Zielgruppen, die jeweils für unterschiedliche Codes
zugänglicher sind. Es wird somit möglich, aufbauend auf den jeweiligen
6 Die Neuromarketing-Methoden
56
Zielgruppenpräferenzen entsprechende Codes zu senden und so die Konsumentscheidung zu
beeinflussen. Produkte und Marken sollen mit impliziten Codes aufgeladen werden, um eine
gewünschte Botschaft zu transportieren. Das Produkt bzw. die Marke werden somit selbst
zu einem Code.
Konkret heißt das, dass Codes als Schlüssel zu den Emotionen angesehen werden, die be-
stimmte Gefühlszustände hervorrufen. Ein Produkt wird aufbauend auf den neurowissen-
schaftlich ermittelten Motiven der Konsumenten mit bestimmten Codes aufgeladen. Diese
Codes wecken im Gehirn Assoziationen, welche auf den Motiven der Konsumenten beru-
hen. Auf diese Weise entsteht eine emotionale Bindung zu dem Produkt, da es dem Konsu-
menten bekannt vorkommt, Vertrauen erzeugt und Belohnungsreize aktiviert. Diese Reize
werden dem Konsumenten durch physische Reaktionen bewusst und können ihn emotional
an das Produkt binden, ein Bedürfnis danach bewusst machen und die Kaufentscheidung
unterstützen.
Die Umsetzbarkeit dieses Vorgehens ist aber hinsichtlich dessen anzuzweifeln, dass durch
neurowissenschaftliche Forschung nicht herausgefunden werden kann, wie Codes zielge-
richtet gesendet werden können. Das bedeutet, dass anhand des Verfahrens lediglich getestet
werden kann, ob ein bestimmter Code bei einem Konsumenten eine neuronale Aktivierung
auslöst. Dazu müssen die zu sendenden Codes jedoch im Voraus bestimmt werden. Die Ver-
bindung vom Produkt und den beschriebenen Motiven (die keine Erkenntnisse von Brand-
Code-Managementä / Neuromarketing, sondern von traditioneller Marktforschung sind)
kann also nicht - wie versprochen - hergestellt, sondern durch neurowissenschaftliche Tests
lediglich überprüft werden. Fraglich ist, ob die Neurowissenschaft dazu überhaupt nötig ist.
Durch die statistische Auswertung von z.B. Online-Käufen ist es möglich, herauszufinden,
welche Produkte und Marken von welcher Konsumentengruppe am meisten gekauft wird
und welche Gestaltung der Werbung den Konsum fördert. Die aufwändigen und teuren Me-
thoden der Neurowissenschaft sind dafür somit nicht nötig. Brand-Code-Managementä
stellt diesbezüglich keinen Vorteil gegenüber traditionellen Marketingmethoden dar.
Laut Scheier und Held überträgt die Methode des Brand-Code-Managementsä die Theorie
des Neuromarketings in die Marketingpraxis. Insgesamt besteht der Prozess aus drei Schrit-
ten, die als „Audits“ bezeichnet werden (SCHEIER, HELD, 2012, S. 178 - 190 ff.). In jedem
6 Die Neuromarketing-Methoden
57
Audit wird eine bestimmte Marketingkomponente aus neurowissenschaftlicher Perspektive
analysiert. Durch das gezielte In-Verbindung-Setzen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse
und traditionellen Marketingmethoden können die traditionellen Methoden entsprechend
(z.B. um emotional wirksamere Techniken) erweitert und optimiert werden. Die Audits kön-
nen auch unabhängig voneinander durchgeführt werden:
• Produkt-Audit: Dieser Schritt besteht aus einer Analyse der neuronalen Konsumen-
tenmotive, des Produktes bzw. der Produkte eines Unternehmens und des Wettbe-
werbs. Die Konsumentenmotive werden durch fMRT-Tests und Befragungen ermit-
telt. Anhand einer Marktanalyse wird untersucht, welche Produkte von welcher Kon-
sumentengruppe gekauft werden und welche Produkte anderer Unternehmen eine
Konkurrenz darstellen. Die Analyse bezieht sich allein auf das Produkt. Ergebnis soll
die Definition der mit einem Produkt verbundenen Motive, die Kenntnis über die
Motive der Wettbewerbsprodukte und die Bestimmung der Anschlussfähigkeit des
Produktes zu diesen Motiven sein.
• Marken-Audit: Die in diesem Schritt vorgenommenen Analysen beziehen sich auf
eine Marke eines Unternehmens. Sie umfassen eine neuronale Motivanalyse und eine
Codeanalyse, welche als Ergebnis ein Motivprofil der Marke und die Möglichkeit,
durch Codes gezielte Kontraste zu setzen, bieten soll. Darauf aufbauend sollen Mo-
tive differenziert und mit Kontrastpunkten versehen werden.
• Wettbewerbs-Audit: Hier geht es darum, die Codes der Wettbewerber zu identifizie-
ren und aufbauend darauf an ihren Schwächen anzusetzen, um Lücken auf dem
Markt zu schließen bzw. für sich zu nutzen.
Das Brand-Code-Managementä bietet somit die Möglichkeit, Codes zu entwickeln, mit
denen noch kein Konkurrenzunternehmen seine Marken oder Produkte aufgeladen hat. Man
kann die Konsumenten auf einer neuen Ebene - gezielt emotional - ansprechen und für die
eigenen Marken bzw. Produkte implizit empfänglich machen. Die Bedeutung von und Bin-
dung an Marken kann also implizit gesteuert werden.
Auch hier ist die Wirksamkeit von Brand-Code-Managementä anzuzweifeln. Die beschrie-
benen Audits scheinen im Vergleich zu traditioneller Marktforschung keine neuen Erkennt-
nisse zu liefern, da der Einbezug der Neurowissenschaft nur dazu genutzt werden kann, zu
6 Die Neuromarketing-Methoden
58
bestätigen, ob ein Code eine neuronale Aktivierung auslöst. Welche Motive ein Konsument
verfolgt, welche Motive die eigenen Marken und die der Konkurrenz ansprechen, kann nur
durch klassische Marktforschung herausgefunden werden. Vor allem Marken- und Wettbe-
werbsaudit stellen diesbezüglich keine Innovation dar. Zudem ist genau wie bei Limbic®
fraglich, wie eine umfassende Untersuchung der Kunden eines Unternehmens mit neurowis-
senschaftlichen Methoden aussehen soll. Möglicherweise wird die Verbindung der Neuro-
wissenschaft mit Marketing im Brand-Code-Managementä lediglich als Merkmal zur Ver-
marktung dieser Methode genutzt.
6.2 Marketingethische Reflexion
Laut der Wirtschaftstheorie zählt es zu den Aufgaben der Marktakteure, Informationen be-
reitzustellen und die Konsumenten so in ihrer rationalen Entscheidungsfindung bezüglich
des Konsums verschiedener Güter zu unterstützen. Das kann im Marketing u.a. durch Wer-
bung, Marken, Produktverpackung und -präsentation, den Preis und Produktdifferenzierung
geschehen (vgl. Kapitel 2.2). So sollen die Konsumenten in ihrer Souveränität bestärkt wer-
den, da sie Kaufentscheidungen besser treffen und somit den Markt bewusster lenken kön-
nen. Besonders Werbung in Form von TV- oder Radio-Spots, Plakaten etc. ist omnipräsent.
Sie leistet somit einen signifikanten Beitrag dazu, wie das moderne Leben wahrgenommen
wird.
Da Neuromarketing jedoch gezielt am Unterbewusstsein und irrationalen Entscheidungssi-
tuationen ansetzt, ist fraglich, ob die Bereitstellung von Informationen und Aufklärung von
Konsumenten tatsächlich ein Ziel von den Neuromarketingmethoden ist. Eine Reflexion der
mit Neuromarketing verbundenen Ziele ist somit aus ethischer Perspektive relevant.
Darüber hinaus ist fraglich, ob und inwieweit diese Ziele überhaupt umsetzbar sind und ei-
nen Vorteil gegenüber dem traditionellen Marketing bieten. Die Verfechter von Neuromar-
keting, wie z.B. Häusel oder Scheier und Held, versprechen, dass man durch die Eingliede-
rung der Neurowissenschaft in den Marketingbereich die Vermarktung von Produkten effi-
zienter gestalten und den „Kauf-Knopf“ der Konsumenten finden und betätigen kann. Dies
soll sich durch die Möglichkeit genauerer Zielgruppensegmentierung und einer zielgerich-
teten Lenkung des Konsums positiver auf den Unternehmensgewinn auswirken als die tra-
ditionellen Marketingmethoden. Bei den mit Neuromarketingtools verbundenen Verspre-
chen kann es sich aber auch selbst um Marketingwerkzeuge zur Vermarktung und
6 Die Neuromarketing-Methoden
59
Legitimation der Neuromarketing-Methoden handeln, da die Entwickler, z.B. von Limbic®
und Brand-Code-Managementä, ihre Modelle selbst bewerben müssen, um sie gewinnbrin-
gend zu verkaufen. Dafür spricht, dass es keine Beispiele dafür gibt, dass der Einbezug von
Neuromarketing die Zielgruppensegmentierung sicherer macht bzw. überhaupt verändert.
Zudem kann eine neurowissenschaftliche Untersuchung von jedem einzelnen Konsumenten
nicht realisiert werden, da dafür neben dem Einverständnis jeder einzelnen Person auch ein
erheblicher finanzieller und zeitlicher Aufwand entstehen würde. Die Beschreibung und Er-
läuterungen der Neuromarketing-Methoden sind somit selbst ein Werbetool, weshalb die
Umsetzungsmöglichkeiten und Realisierbarkeit der Zielerreichung diskutiert werden.
6.2.1 Reflexion möglicher Ziele der Neuromarketing-Methoden und ihre Aus-wirkung auf die Konsumentensouveränität
Laut Brandt wird mit der Anwendung von Neuromarketing darauf abgezielt, sowohl die
Werbung als auch Produkte und Dienstleistungen an sich, den aus der neurowissenschaftli-
chen Marktforschung erzielten Erkenntnissen anzupassen (BRANDT, 2011, S. 1 f.). Pro-
dukte und Dienstleistungen sollen durch den Einbezug der Neurowissenschaft somit besser
den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen. Damit kann eine Erhöhung der Zufrieden-
heit der Konsumenten angestrebt werden, wobei es sich um ein ethisch legitimes Ziel han-
delt.
Durch die Anpassung der Werbemethoden entsprechend den neurowissenschaftlichen Er-
kenntnissen wird das Ziel verfolgt, den Werbeprozess durch noch gezieltere Ansprache der
Emotionen, Bedürfnisse und Reizempfänglichkeit der Konsumenten effektiver zu gestalten.
Dies ist zunächst kein ethisch problematisches Ziel. Da es bei Effektivitätsfragen immer
auch um Kosten geht, kann das Wohl der Konsumenten verglichen mit den Profitzielen der
Unternehmen aber in den Hintergrund geraten: Neuromarketing-Methoden zur Verbesse-
rung des Profits können sich negativ auf das Wohl der Konsumenten auswirken.
Möglicherweise zielen die Methoden nicht auf eine Stärkung der Konsumentensouveränität,
sondern auf eine Schwächung dieser durch die Lenkung der Bedürfnisse und des Verhaltens
der Konsumenten ab: Mit der Anwendung von Neuromarketing kann durch die Einbindung
der Emotionen das Ziel verfolgt werden, keine rationalen, sondern im impliziten System
erzeugte Entscheidungen hervorzurufen. Durch Neuromarketing ist es (verglichen mit den
traditionellen Marketing-Methoden) möglich, die Entscheidungsfindung einer Person zu
6 Die Neuromarketing-Methoden
60
unterstützen, da durch die bloße Übermittlung von Informationen nur das explizite System
angesprochen wird. Da nach den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen die Entscheidungs-
findung zum Großteil aber im impliziten System stattfindet, sind die Methoden des Neuro-
marketings nötig, um dieses anzusprechen. Dies kann insofern eine Schwächung der Kon-
sumentensouveränität bedeuten, als die Konsumenten durch das Werben der Unternehmen
mit emotionalisierten Botschaften unbewusst zu einem bestimmten Verhalten getrieben wer-
den. Ihre Entscheidungsmacht kann so reduziert werden und sie haben keine Chance, die
Produzentenseite zu beeinflussen, wie es beim Vorhandensein von Konsumentensouveräni-
tät ist.
Ethisch relevant ist die Frage, inwieweit es die Neuromarketing-Methoden den Produzenten
ermöglichen, die Bedürfnisstrukturen und allgemeinen gesellschaftlichen Wertmuster zu be-
einflussen, indem sie Assoziationen in den Gehirnen der Konsumenten konstruieren, die zei-
gen, was z.B. Status ist. Somit könnten die Unternehmen durch Neuromarketing soziale
Kontrolle ausüben und zu Gunsten der Generierung von Gewinnen die Konsumentensouve-
ränität einschränken. Inwiefern die Ziele in einer Einschränkung des freien Willens, der Ge-
nerierung von Bedürfnissen und der Manipulation der Konsumenten liegen, wird im Folgen-
den diskutiert.
6.2.1.1 Die gezielte Einflussnahme auf den freien Willen
Der Wille eines Menschen wird durch neuronale Eigenschaften seines Gehirns bestimmt.
Urteilsvermögen, Rationalität und moralisches Verständnis sind von den emotionalen Rah-
menbedingungen abhängig, denen ein Individuum ausgesetzt ist. Durch eine Beeinflussung
der emotionalen (neuronalen) Prozesse einer Person kann somit die Möglichkeit bestehen,
den Willen dieser Person zu lenken. Da die Neuromarketing-Methoden genau an dieser
Stelle ansetzen, wie z.B. Häusel und Scheier und Held ihre Modelle beschreiben (vgl. Kapi-
tel 6.1), kann Neuromarketing mit dem Ziel der Beeinflussung des freien Willens einer Per-
son angewendet werden. Hierbei geht es vor allem um den „Konsum-Willen“.
Die Verfolgung dieses Ziels bedeutet insofern gleichzeitig eine Einschränkung der Konsu-
mentensouveränität, als der (Konsum-)Wille einer Person zu ökonomischen Zwecken instru-
mentalisiert wird: Der Mensch hat kein bewusstes Verlangen nach einem Produkt und ist in
seinem Wohlbefinden durch den Nicht-Konsum nicht bewusst eingeschränkt. Das Verlan-
gen wird durch die Neuromarketing-Methoden geweckt und ist somit nicht natürlich ins
6 Die Neuromarketing-Methoden
61
Bewusstsein geraten, sondern von den Marketingtreibenden erzeugt und/ oder bewusst ge-
macht worden. Es wird so ein Zustand hervorgerufen, der vom Konsumenten nicht (bewusst)
erwünscht war, was eine Einschränkung des freien Willens und eine Bevormundung bedeu-
ten kann.
Mit der Einflussnahme auf den freien Willen können jedoch auch gemeinwohlfördernde
Ziele verfolgt werden: Die Anwendung von Neuromarketing kann darauf abzielen, schädli-
chen Konsum (z.B. von Alkohol, Waffen etc.) zu mindern oder den Konsum von z.B. ge-
sundheitsförderlichen Produkten zu erhöhen, indem entsprechend auf die neuronalen Struk-
turen eingewirkt wird.
Auch bei der Absicht, das Wohlbefinden der Gesellschaft zu erhöhen, handelt es sich aber
um eine Einschränkung des freien Willens. Es ist ethisch nicht legitim, jemandem aufzu-
zwingen, „glücklicher“, „zufriedener“, „gesünder“ etc., zu leben. Auch mit Maßnahmen, die
ein „gutes Leben“ fördern können, wird die Freiheit der selbstbestimmten Entscheidungen
und somit die Konsumentensouveränität durch Neuromarketing eingeschränkt.
Die gemeinwohlfördernden Ziele können außerdem als moralische Legitimation zur Anwen-
dung der Methoden gedeutet werden. Zum einen gibt es keine allgemeingültige Definition
des „guten Lebens“, die für jeden Menschen gleichermaßen gilt, an der sich die Anwender
von Neuromarketing orientieren können. Zum anderen bedeutet eine Einschränkung des
freien Willens immer eine Verletzung der Grundrechte und ist somit nicht legitim. Wird mit
der Anwendung von Neuromarketing das Ziel der Beeinflussung des freien Willens verfolgt,
ist es als ethisch verwerflich einzuordnen.
6.2.1.2 Die Generierung von Bedürfnissen
Mit der Anwendung von Neuromarketing kann u.a. das Ziel verfolgt werden, das Verhalten
der Konsumenten zu beeinflussen. Durch den Einbezug der Neurowissenschaft kann besser
ermittelt werden, wie sie zu Käufern gemacht werden können - durch die Methoden soll dies
in die Tat umsetzbar gemacht werden. Anders als im Falle der Anpassung von Produkten
und Dienstleistungen wird laut Henning mit der Anpassung der Werbemethoden das Ziel
verfolgt, den Konsum zu erhöhen, um den Unternehmensgewinn zu steigern (HENNING,
2006, S. 120). Die Werbemaßnahmen sollen effektiver werden, indem die Emotionen der
Konsumenten instrumentalisiert werden. Die Emotionen sind in diesem Fall ein Mittel der
6 Die Neuromarketing-Methoden
62
Neuromarketing-Methoden dazu, das Konsumverhalten zu beeinflussen. Die Methoden set-
zen nicht an den (bewussten) Erwartungen (vgl. Kapitel 2.1), sondern am impliziten System
der Konsumenten an. Sie greifen somit in deren unmittelbaren, persönlichen Lebensbereich
ein, ohne, dass die Konsumenten etwas davon merken sollen. Es geht in diesem Fall nicht
um die Bereitstellung von Informationen zur Unterstützung einer rationaler Entscheidungs-
findung, sondern um einen gezielten Eingriff in die Autonomie der Konsumenten, was somit
aus ethischer Perspektive problematisch ist.
Ethisch verwerflich kann die Ausrichtung der Neuromarketing-Methoden am Unterneh-
mensgewinn laut Brandt sein, da sie zu Konsumzwang bzw. übermäßigem Konsum führen
können (BRANDT, 2011, S. 3). Es wird in diesem Fall darauf abgezielt, den „Kauf-Knopf“
der Konsumenten zugunsten der Unternehmen zu drücken: Die Anbieter reden den Verbrau-
chern die Wichtigkeit immer neuer Produkte durch psychologische Tricks ein. Es geht in
diesem Fall nicht mehr um die Deckung der Grundbedürfnisse, sondern rein um die Ver-
mehrung des Konsums zu Gewinnzwecken. Die Unternehmen haben somit Verkaufsabsich-
ten, obwohl der Markt bereits (nahezu) gesättigt ist. Das bedeutet, dass die Konsumenten
eigentlich kein Verlangen nach neuen Produkten und Dienstleistungen haben und diese Be-
dürfnisse erst erzeugt werden müssen, damit sie zu einer Konsumentscheidung führen. Neu-
romarketing kann insofern mit dem Ziel der Vermehrung des Konsums verfolgt werden.
Man verspricht sich durch den Einbezug der Neurowissenschaft bessere Möglichkeiten zum
Wecken von Bedürfnissen, als es mit traditionellen Marketingmethoden möglich ist.
Von der Anwendung von Neuromarketing erwarten Unternehmen sich also, dass ihnen der
„Kauf-Knopf“ der Konsumenten zugänglich ist und sie diesen betätigen, ohne dass die Kon-
sumenten es merken bzw. etwas dagegen tun könnten - die Souveränität liegt in diesem Fall
bei den Produzenten und die Konsumenten haben keine Macht, die Produzentenseite zu be-
einflussen.
Auch an der Stelle ist hinzuzufügen, dass es keine Beispiele und somit keinen Beweis dafür
gibt, dass durch Neuromarketing der Kauf-Knopf gefunden und betätigt werden kann. Das
damit verfolgte Ziel in Form der Herbeiführung von (übermäßigem) Konsum ist ethisch ver-
werflich. Allerdings scheint es sich hierbei eher um ein Versprechen der Neuromarketing-
Entwickler an die Unternehmen, als um ein bestehendes Tool zu handeln. In diesem Fall
handelt es sich also einen Marketing-Trick der Neuromarketing-Entwickler, der den
6 Die Neuromarketing-Methoden
63
Unternehmen mehr verspricht, als tatsächlich möglich ist. Die Wirksamkeit wird durch den
Eindruck vermittelt, dass es sich um eine wissenschaftlich begründete Methode handelt. Dies
entspricht jedoch nicht der Realität, da in Wirklichkeit nur einzelne neurowissenschaftliche
Erkenntnisse zur Legitimation der Methoden einfließen.
Im Neuromarketing wird die Marktfunktion der Information durch die Konstruktion von As-
soziationen ersetzt. Die Konsumenten können so den Nutzen der Produkte nicht richtig ein-
schätzen und handeln allein auf Basis emotional beeinflusster Strukturen. Die Entwickler
der Neuromarketing-Methoden, z.B. Häusel und Scheier und Held, versprechen, dass die
Konsumenten durch die Bildung von Assoziation einen bestimmten emotionalen Zustand
mit einem bestimmten Produkt verbinden: Die Konsumenten bekommen vermittelt, durch
den Konsum eines Produktes eine bestimmte (positive) Gefühlslage erreichen zu können.
Laut Scheier und Held kann Konsum ein Ungleichgewicht in den Gehirnsystemen von Kon-
sumenten ausgleichen. Ist z.B. das Dominanz-System (vgl. Kapitel 2.2) eines Menschen
stark aktiv, kann dies durch den Kauf eines Statussymbols, der das Dominanz-System be-
friedigt, ausgeglichen werden (SCHEIER, 2008, S. 314). Das bedeutet, dass Unternehmen
gezielt Reize in die verschiedenen Systeme im Gehirn senden können, die diese aktivieren
und die Konsumenten so zum Handeln, also zum Konsumieren, bringen können, um das
entstandene (durch die Unternehmen erzeugte) Ungleichgewicht auszugleichen. Dieses Un-
gleichgewicht bzw. eher die Beseitigung des Ungleichgewichts kann mit einem Bedürfnis
gleichgesetzt werden. Das bedeutet, dass Unternehmen auf diese Weise gezielt Bedürfnisse
wecken können, ohne dass diese „natürlich“ entstanden sind. Diese Bedürfnisse kann man
also als Konstruktionen der Unternehmen in den Köpfen der Konsumenten verstehen.
Ethisch problematisch ist dies, da es eine gezielte Täuschung der Konsumenten bedeutet.
Neuromarketing wird in diesem Fall angewendet, um die Emotionen und Reizempfänglich-
keit der Konsumenten mit dem Ziel auszunutzen, Bedürfnisse zu wecken, die per se nicht
vorhanden sind. Diese Bedürfnisse existieren zwar möglicherweise im Unterbewusstsein,
können aber aus Konsumentensicht mit einem nicht vorhandenen Bedürfnis gleichgesetzt
werden, da sie unbewusst sind. Erst durch die Neuromarketing-Methoden sollen sie ins Be-
wusstsein gelangen und auf diese Weise geweckt werden. Das schränkt die Souveränität der
Konsumenten ein, da sie das Marktgeschehen nicht durch ihre eigenen (bewussten) Bedürf-
nisse und Präferenzen steuern, sondern durch die, die von den Unternehmen erzeugt wurden.
Somit tragen die Produzenten die Souveränität.
6 Die Neuromarketing-Methoden
64
Ethisch problematisch ist dies, abgesehen von dem Täuschungscharakter auch deshalb, da
sich dieses Ziel negativ auf das bewusste Wohl des Konsumenten auswirken kann. Der Kon-
sum hat in diesem Fall einen Belohnungscharakter, was bedeutet, dass durch Neuromarke-
ting vermittelt wird, dass dieser Zustand bei Nicht-Konsum nicht erreicht werden kann. Das
kann das Wohl von Menschen schmälern, bei denen Bedürfnisse geweckt werden, deren
Befriedigung mittels Konsums sie sich nicht leisten können. Sowohl ihre Unzufriedenheit
als auch soziale Ungleichheit kann so steigen.16 Neuromarketing kann in diesem Fall unter-
stützen, das Glückempfinden einer Person vom Konsum abhängig zu machen.
Dazu muss allerdings gesagt werden, dass das Senden von Reizen an bestimmte Gehirnare-
ale nicht möglich ist. Es kann lediglich gemessen werden, wo ein Reiz eine Aktivierung im
Gehirn hervorruft. Somit können sie durch Neuromarketing auch nicht in einen bestimmten
emotionalen Zustand versetzt werden, der ein Bedürfnis nach einem spezifischen Produkt
auslöst. Somit ist es auch nicht möglich, durch Neuromarketing das Unterbewusstsein be-
wusst werden zu lassen, wie es von Häusel und Co. versprochen wird. Das mit dem Verspre-
chen verfolgte Ziel und die Anwendung der Neuromarketing-Methoden aus diesen Zwecken
ist aus den genannten Gründen ethisch verwerflich, allerdings stellt die Anwendung von
Neuromarketing diesbezüglich keine größere Gefahr dar, als die herkömmlichen Marketing-
Methoden.
Neuromarketing kann auch den Konsum gefährlicher Produkte wie Waffen oder Drogen an-
treiben. Der Anteil der adipösen Bevölkerung steigt, was mit der Schaffung von Bedürfnis-
sen nach (ungesunden) Lebensmitteln zusammenhänge (ULMANN, CAKAR, YILDIZ,
2015, S. 1278). Inwieweit dies nun tatsächlich mit den Neuromarketing-Methoden zusam-
menhängt wurde bisher nicht nachgewiesen, allerdings ist das Ziel, durch die Anwendung
von Neuromarketing schädlichen Konsum zu generieren, als ethisch verwerflich einzustu-
fen.
Neuromarketing könnte in diesem Kontext die ethische Problematik der traditionellen Mar-
ketingmethoden vergrößern, da die Transparenz der Werbung durch Neuromarketing
16 Auf die detaillierte Beschreibung der Folgen der Weckung von Bedürfnissen bzw. der Generierung von
erhöhtem Konsum wird hier verzichtet, da diese nicht allein durch Neuromarketing entstehen. Neuromar-keting kann lediglich eine Möglichkeit darstellen, einen Beitrag zur Generierung von Bedürfnissen zu leis-ten.
6 Die Neuromarketing-Methoden
65
geringer sein soll bzw. ist. Die Konsumenten können noch weniger unterscheiden und re-
flektieren, welches Bedürfnis bzw. welcher Konsumwunsch eine emotionale Konstruktion
der Unternehmen ist und was von ihnen selbst kommt. Bei einer Ausrichtung des Neuromar-
ketings am Unternehmensgewinn kann genau das das Ziel sein: die Souveränität und Auto-
nomie der Konsumenten und die Transparenz am Markt einzuschränken, um „blinden“ Kon-
sum voranzutreiben.
Insgesamt kann jedoch der soziale Charakter des Konsums nicht außer Acht gelassen wer-
den. Die Präferenzen eines Menschen entstehen zwar individuell im Gehirn, können jedoch
durch äußere Umstände, die Kultur, die Familie etc. stark beeinflusst werden. Die Orientie-
rung am Umfeld ist somit ein entscheidender Faktor für den Konsum. Das bestätigt wie be-
reits erwähnt die Tatsache, Kunden im Internet weniger auf Marketingbotschaften und mehr
auf den F-Faktor reagieren (KOTLER, 2017, S. 47). Es gibt bisher keine Beispiele dafür,
dass ein „Eindringen“ ins Gehirn den Konsum besser beeinflusst, als der F-Faktor.
6.2.1.3 Gezielte Manipulation
Die auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Gestaltung der Werbung kann
laut Henning auch zum Ziel haben, die Reizüberflutung zu mindern und Fehlkäufe der Kon-
sumenten zu vermeiden. In der Werbung werden nur noch wirksame Reize gesendet und den
wahren Bedürfnissen der Konsumenten entsprechende Produkte umworben. (HENNING,
2006) Da es sich beim Neuromarketing um kein neutrales Tool handelt, sondern um eine
Möglichkeit, die auf die Erhöhung des Konsums zur Steigerung des Unternehmensgewinns
abzielt, erscheint dieses Ziel im ökonomischen Kontext weniger realistisch. Im Gegenteil
kann Neuromarketing eher dazu genutzt werden, das Verhalten der Konsumenten zu steuern,
ohne dass diese sich dessen bewusst sind. Das Ziel ist aus diesem Gesichtspunkt die Mani-
pulation der Konsumenten.
Allerdings ist fraglich, wie diese Manipulation in die Tat umgesetzt werden soll. Um Neu-
romarketing wirksam zu machen, muss der Konsument am point of sale identifiziert und
einer Zielgruppe zugeordnet werden, um dann entsprechende Reize gesendet bekommen.
Das ist allein deshalb nicht umsetzbar, da nicht jeder Konsument mit neurobiologischen Me-
thoden untersucht werden kann - schon gar nicht am point of sale direkt, da dafür Messungen
direkt am Gehirn nötig wäre. Somit kann die Werbung zwar im Vorfeld auf die Mehrheit
der untersuchten Konsumenten ausgerichtet werden, indem anhand der Untersuchung dieser
6 Die Neuromarketing-Methoden
66
statistisch ermittelt wird, welche Reize am besten wirken. Damit werden jedoch nicht die
„wahren Bedürfnisse“ der Konsumenten ermittelt, sondern (genauso wie bei den herkömm-
lichen Marketing-Methoden) Heuristiken bezüglich der Bedürfnisse und Präferenzen gebil-
det.
Neuromarketing kann die Gefahr mit sich bringen, Manipulationsmöglichkeiten in unvor-
hersehbarem Ausmaß zu fördern: Es kann die Möglichkeit bestehen, bestimmte Stimuli zu
senden, die zu bestimmten Reaktionen (Käufen) führen (McDOWELL, DICK, 2013, S. 27).
Neuromarketing wirkt in diesem Fall manipulierend statt informierend - und zwar in größe-
rem Ausmaß als traditionelle Methoden. Ziel der Unternehmen ist in diesem Fall somit, nicht
über die Produktmerkmale und -eigenschaften „von außen“ auf das Verhalten der Konsu-
menten einzuwirken, indem man sie selbst entscheiden lässt, welches Produkt am besten
ihren Präferenzen entspricht (Information). Neuromarketing soll in diesem Fall die Chance
bieten, direkten und vor allem unbemerkten Einfluss auf den Entscheidungsprozess zu neh-
men, um ihn den eigenen Zielen nach zu beeinflussen (Manipulation).
Hierbei handelt es sich vorranging jedoch mehr um ein Ziel, als um eine realistische Mög-
lichkeit, da das Senden von bestimmten Stimuli nicht dazu genutzt werden kann, eine vorher
festgelegte Stelle im Gehirn zu treffen und dadurch eine gewünschte Reaktion hervorzuru-
fen. Neuromarketing werden somit größere Wirkungsfähigkeit zugesprochen, als tatsächlich
vorliegt. Gezielte Manipulation ist nichtsdestotrotz ein ethisch verwerfliches Ziel.
Wie von Lee und Butler beschrieben, wird die Entscheidungsfindung durch Überlebens- und
Belohnungsmechanismen beeinflusst (LEE, BUTLER, 2010, S. 130 f.). Unternehmen kön-
nen sich dies zu Nutze machen, indem sie in der Werbung darstellen, was als Belohnung
wahrgenommen wird bzw. was den Konsumenten suggeriert, zum Überleben „nötig“ zu
sein. Neuromarketing kann dies möglich machen: Reize, mit denen Konsumenten Beloh-
nung assoziieren, aktivieren Hirnareale stärker, was die Werbeanzeige attraktiver erscheinen
lässt. Durch die Kenntnis darüber, welche Areale im Gehirn auf welche Reize reagieren,
können Emotionen abgebildet werden. Darauf aufbauend können die Werbebotschaften laut
Lee und Butler gezielt mit gewissen Reizen aufgeladen werden, die im Gehirn die gewünsch-
ten Emotionen wecken (LEE, BUTLER, 2010, S. 130).
6 Die Neuromarketing-Methoden
67
Die Methoden des Neuromarketings werden in diesem Fall dazu genutzt, eine Kaufentschei-
dung bei den Konsumenten hervorzurufen, ohne dass diese etwas davon mitbekommen sol-
len. Wer nicht bewusst kaufen will, kann kaufbereit gemacht werden. Sie sollen in ihrer
Konsumentensouveränität also bewusst eingeschränkt werden. Der Konsum soll auf Auto-
piloten gestellt werden - bzw. die Unternehmen zu Piloten gemacht werden.
6.2.2 Reflexion der Umsetzbarkeit der Neuromarketing-Methoden
Anhand der zwei ausgewählten Methoden (Limbic® und Brand-Code-Managementä) wird
nun diskutiert, wie die jeweils verfolgten Ziele in der Praxis aussehen, welche Konsequenzen
sie auf die Konsumenten und ihre Souveränität haben können und wie die Umsetzung der
Methoden aus ethischer Perspektive bewerten werden kann.
6.2.2.1 Reflexion Limbic®
Die Forschung hinter Limbic® hat zum Ziel, unterbewusste Entscheidungsstrukturen zu ent-
schlüsseln (vgl. Kapitel 6.1.1). Dies kann dazu beitragen, die Konsumenten „gläsern“ zu
machen, da sie anhand ihrer emotionalen Strukturen auf einer Karte abgebildet und je nach
Reizempfänglichkeit verschiedenen Emotionstypen zugeordnet werden. So kann eine Über-
sicht erstellt werden, welcher Konsumententyp mit welchen Reizen angesprochen werden
sollte, um den Konsum eines bestimmten Produktes wahrscheinlicher zu machen. Das be-
deutet für den Einzelnen, dass er bezüglich seiner Reizempfänglichkeit durchschaubar, also
gläsern, ist. Außerdem kann Limbic® in diesem Fall negative Konsequenzen für seine Sou-
veränität darstellen, da es eine Einschränkung seiner Privatsphäre und Handlungsfähigkeit
bedeutet und der „Kauf-Knopf“ zugänglich gemacht werden kann. Voraussetzung dafür ist
jedoch, dass Limbic® tatsächlich das leistet, was es verspricht.
Sollte es auch den Versuchsteilnehmern möglich sein, die Ergebnisse der Untersuchungen
einzusehen, können sie somit auch etwas über sich selbst und ihre Emotionsstrukturen er-
fahren. Ob das jedoch zu ihrer Souveränität beiträgt, ist fraglich, da sie sich in diesem Fall
ihrem Konsumtyp zwar bewusst sind, ihre Entscheidungen letztendlich trotzdem implizit
und nicht zwangsläufig bewusster getroffen werden. Für die Unternehmen sind die Erkennt-
nisse somit besser verwertbar und können ihnen mehr Souveränität verschaffen, da die Kon-
sumenten mit den Erkenntnissen weniger anfangen können, als sie. Sie wissen mehr über die
Emotionen und Entscheidungsprozesse der Konsumenten als diese selbst.
6 Die Neuromarketing-Methoden
68
Allerdings ist es nicht möglich, personenbezogene Daten in den Karten abzubilden. Sie stel-
len somit nur einen Querschnitt der Versuchsstichprobe dar und können zum jetzigen Zeit-
punkt auch noch nicht auf die Allgemeinheit übertragen werden. Es ist möglich, durch den
Einbezug von Emotionen die Konsumenten spezifischer in verschiedene Gruppen einzuord-
nen und darauf aufbauend gezieltere Marketinginstrumente zu entwickeln. Damit sich dies
negativ auf den Einzelnen auswirkt, müssen die Unternehmen aber entsprechende Daten
über ihre Konsumenten besitzen. Die Konsumenten müssen dem zustimmen, was bedeutet,
dass sie selbst für ihr „Durchschaubarsein“ verantwortlich sind.
Diese Neuromarketing-Methode bzw. ihre Anwendung kann ethisch verwerflich sein, wenn
das Ziel ist, die Privatsphäre des einzelnen Konsumenten einzuschränken. Seine emotionalen
Strukturen könnten auf den Karten abgebildet werden, um sichtbar zu machen, wie sein
Kaufverhalten beeinflusst werden kann. Ziel wäre somit die Einschränkung seiner Autono-
mie und Souveränität, um die Gewinne des Unternehmens zu maximieren.
Die Anwendung von Limbic® bietet laut Häuser momentan (noch) keine Möglichkeit, die
Konsumenten durchschaubar zu machen und ihre „Kauf-Knöpfe“ zu entschlüsseln (HÄU-
SER, 2012). Es wurden zwar einige Erkenntnisse bezüglich der neuronalen Emotions- und
Bedürfnisstrukturen der Konsumenten erzielt, allerdings konnten diese bisher nicht in wirk-
same Marketing-Tools umgesetzt werden. Das kann bedeuten, dass die Entwickler und Ver-
treiber von Limbic® mehr versprechen, als durch die Methode überhaupt möglich ist, und
der Einbezug der Neurowissenschaft als Verkaufsargument und Legitimation der Methode
gesehen werden kann.
Die Methode an sich stellt in diesem Fall zwar keine Gefahr negativer Konsequenzen für die
Konsumenten dar, allerdings kann es zur Täuschung der Verwender von Limbic® aufgrund
fehlender Wirksamkeit kommen. Unabhängig davon sind die mit der Methode verfolgten
Ziele als ethisch verwerflich einzustufen.
6.2.2.2 Reflexion Brand-Code-Management
Bezüglich des Brand-Code-Managementäs kann ähnlich argumentiert werden:
Das Brand-Code-Managementä (vgl. Kapitel 6.1.2) kann die Konsumenten gläsern ma-
chen, wenn ihre emotionalen Motive offengelegt werden. Das bedeutet, dass, ähnlich wie
bei Limbic®, Erkenntnisse über die Funktionsweise ihrer Emotionen und ihr
6 Die Neuromarketing-Methoden
69
Unterbewusstsein erlangt werden. Durch die Ermittlung der emotionalen Motive wird deut-
lich, welche Codes besonders gut in den kognitiven Strukturen verarbeitet bzw. entschlüsselt
werden können. Diese Informationen haben die Konsumenten selbst nicht über sich, da sie
im unbewussten Teil ihrer Gehirne vorliegen. Sie können durch die entsprechende For-
schung zwar etwas darüber erfahren, allerdings finden die Untersuchungen zu kommerziel-
len Zwecken statt und gelangen somit an die Unternehmen. Diese erhalten so einen Einblick
in den direkten persönlichen Lebensbereich der Konsumenten und haben zum Ziel, deren
„Kauf-Knopf“ durch die Ermittlung wirksamer Codes zu finden.
„Nachhaltige“ Verhaltenssteuerung bedeutet, dass Unternehmen mit neurowissenschaftli-
chen Methoden ihre Marken so positionieren, dass diese die Dominanz- oder Stimulanz-
Systeme der Konsumenten aktivieren, um einen Konsumwunsch zu erzeugen, durch den die
Aussicht auf „Belohnung“ (in Form von z.B. größerer Autonomie) suggeriert wird. (SCH-
EIER, HELD, 2012, 178 ff.)
Es ist jedoch auch bezüglich des Brand-Code-Managementäs momentan noch der Fall, dass
die gewonnenen Daten bisher keine Auswirkungen auf die Konsumentensouveränität haben.
Es konnten zwar verschiedene Motivgruppen und entsprechende Codes ermittelt werden,
allerdings hat dies bisher keine Auswirkungen auf das Wohl und die Souveränität des ein-
zelnen Konsumenten.
Da die Umsetzbarkeit nicht gegeben ist und auch nicht absehbar ist, inwieweit es zu einer
Durchleuchtung und Beeinflussung von Konsumenten kommen kann, kann es sich beim
Brand-Code-Managementä statt um eine realisierbare Neuromarketing-Methode auch um
ein mehr oder weniger wirkungsloses Produkt handeln: Der Einbezug der Neurowissen-
schaft kann als Legitimation und Vermarktungswerkzeug für das Brand-Code-Manage-
mentsä bewertet werden. In diesem Fall können die kommunizierten Ziele als Werbemittel
gesehen werden, deren Darstellung Unternehmen zur Anwendung des Neuromarketing-
Tools bringen soll. Neuromarketing ist dann an sich weniger als Marketing-Methode, son-
dern eher als Verkaufsargument für das Brand-Code-Managementä anzusehen.
Unabhängig von der tatsächlichen Umsetzbarkeit sind die Ziele, die mit der Methode erzielt
werden sollen, als ethisch problematisch einzustufen. Forschung mit dem Ziel,
6 Die Neuromarketing-Methoden
70
Konsumenten „gläsern“ zu machen und ihren „Kauf-Knopf“ zu finden und diesen in der
Praxis (ohne ihr Bewusstsein dessen) zu betätigen, kann, wie schon beschrieben, negative
Konsequenzen für das Wohl der Betroffenen bedeuten (vgl. Kapitel 6.2).
Auch das Brand-Code-Managementä ist somit noch nicht ausgereift genug, um eine Gefahr
für die Konsumenten darzustellen - die damit verfolgten Ziele sind jedoch teilweise ethisch
verwerflich.
7 Reflexion der Vorteile von Neuromarketing gegenüber dem traditionellen Marketing
71
7 Reflexion der Vorteile von Neuromarketing gegenüber dem traditionellen Marketing
Abgesehen von der Reflexion der Ziele und der möglichen Auswirkungen von Neuromar-
keting auf die Konsumentensouveränität ist auch eine Reflexion dessen sinnvoll, inwieweit
die erläuterten neuen Methoden einen Vorteil gegenüber den traditionellen Methoden dar-
stellen bzw. ob sie überhaupt (in der dargestellten Form) umsetzbar sind.
Bisher gibt es nicht genügend aussagekräftige Studien, anhand derer man die Wirksamkeit
von Neuromarketing auswerten kann. Laut Morin befindet sich die Forschung bezüglich der
Effektivität von Neuromarketing in einem „embryonic state“ (MORIN, 2011, S. 134), also
in einem noch nicht ausgereiften Stadium.
Durch die Einbehaltung bzw. das Fehlen von Forschungserkenntnissen bzw. von Aussagen
über die Verwendung von und Nützlichkeit dieser im Marketing, kann deren Tragweite für
den Marketingbereich von der Öffentlichkeit nicht abgeschätzt werden. Die Meinung der
Gesellschaft bildet sich auf Grundlage dessen, was die Neuromarketing-Betreiber der Ge-
sellschaft zugänglich machen, und zusätzlich auf den Meinungen von Kritikern. Das kann
eine fundierte ethische Diskussion eindämmen und sogar verhindern.
Der Einbezug der Neurowissenschaft kann eine Legitimation für das Verfolgen ethisch und
moralisch fragwürdiger Marketingpraktiken darstellen. Der neurowissenschaftliche Hinter-
grund gilt in diesem Fall bei der Gesellschaft als inoffizielle Garantie für die Rechtmäßigkeit
der Methoden, weshalb die tatsächliche Legitimität erst gar nicht hinterfragt wird. Die neu-
rowissenschaftliche Forschung stellt in diesem Fall einen Deckmantel für (auch illegitime)
Marketingpraktiken dar. Neuromarketingforschung ist in dem Fall eine Antwort auf die Le-
gitimationskrise bezüglich Unternehmen als verantwortungslose, manipulierende und kon-
sumanheizende Marktakteure.
Es ist allerdings nicht belegt, dass der Einbezug der Neurowissenschaft überhaupt nennens-
werten Einfluss auf die Wirksamkeit von Marketing und somit auf die Konsumenten hat
bzw. ob Neuromarketing sowohl in Forschung als auch Anwendung effektiver ist als das
traditionelle Marketing. Wie in den voranstehenden Kapiteln erläutert sind die Methoden
des Neuromarketing bisher nicht genug ausgereift, um traditionelle Marketinginstrumente
7 Reflexion der Vorteile von Neuromarketing gegenüber dem traditionellen Marketing
72
zu ersetzen. Laut Conejo, Khoo, Tanakinjal und Yang handelt es sich momentan eher um
eine Spekulation, dass Neuromarketing-Methoden wirksamer seien als das traditionelle Mar-
keting (CONEJO, KHOO, TANAKINJAL, YANG, 2007, S.75).
Was durch Neuromarketing in Zukunft jedoch noch ermöglicht werden kann ist nicht vor-
herzusehen. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaft beziehen sich bisher darauf, dass her-
ausgefunden wurde, dass Reize durch Produkte und durch Werbung aufgrund des Netzwerk-
charakters an keinem bestimmten Ort im Gehirn wirken. Es kann im Nachhinein zwar nach-
vollzogen werden, an welcher Stelle im Gehirn ein bestimmter Reiz gewirkt hat, allerdings
ist im Vorhinein nicht prognostizierbar, welche Region einen Werbereiz aktivieren wird.
Der „Neuro-Hype“ (CONEJO, KHOO, TANAKINJAL, YANG, 2007, S.74) sorgt somit
momentan noch nicht dafür, dass der „Kaufknopf“ gefunden werden kann, da bisher nur
Prozesse im Gehirn abgebildet werden können (BELDEN, 2008, S. 250). Dafür spricht auch,
dass die Untersuchungen in Laboren stattfinden und Einflüsse auf die Konsumenten, wie
u.a. den sozialen Kontext, die Kultur, den externen Markt etc., nicht in die Untersuchungen
mit einfließen lassen. Diese Variablen sind jedoch an einer Entscheidungsfindung beteiligt
und es ist bisher nicht bestätigt, dass neurologische Prozesse in höherem Maße wirken als
diese äußeren Einflüsse. Es ist somit nicht belegt, dass neurologische Prozesse bei der Ent-
scheidungsfindung tatsächlich einen stärkeren Einfluss haben als andere Faktoren.
Insgesamt liefert die neurowissenschaftliche Marktforschung ein besseres Verständnis zur
Wirkungsweise von Marketing. Die Bedeutung von Emotionen und Marken im Entschei-
dungsprozess wird aus neurowissenschaftlicher Perspektive bestätigt. Die Forschung ist mo-
mentan noch nicht ausgereift genug, um eine versprochene Vereinfachung bzgl. des Erken-
nens von Konsumentenbedürfnissen offenzulegen.17 Das Unterbewusstsein eines jeden Kon-
sumenten ist laut Conejo, Khoo, Tanakinjal und Yang einzigartig, eventuell sogar individu-
eller als das Bewusstsein (CONEJO, KHOO, TANAKINJAL, YANG, 2007, S.74). Identi-
sche Stimuli rufen bei verschiedenen Konsumenten unterschiedliche Gehirnaktivitäten her-
vor. Da die Gehirnreaktionen bisher nicht vorhergesagt werden können, kann nicht für alle
Konsumenten oder Konsumentengruppen generalisiert werden, welche Reize welche Reak-
tionen hervorrufen. Dies kann mit den traditionellen Forschungsmethoden durch Einbezug
von Kultur, sozialer Situation etc., momentan besser prognostiziert werden. Es werden
17 Zudem ist es diskussionswürdig, ob dieses Ziel überhaupt ethisch legitim ist.
7 Reflexion der Vorteile von Neuromarketing gegenüber dem traditionellen Marketing
73
bessere Möglichkeiten zur Marktsegmentierung versprochen, jedoch sind dies bisher tat-
sächlich nur Möglichkeiten und keine Tatsachen.
Skeptiker betiteln Neuromarketing als „pseudo-wissenschaftliche Masche“ (BELDEN,
2008, S. 250). Damit ist gemeint, dass Neuromarketing als Wissenschaft kommuniziert wird,
obwohl es an sich eher als Marketingtool zu bewerten ist. Die Neurowissenschaft steht zwar
hinter diesem Tool, allerdings ist es schwierig, diese Erkenntnisse ins Marketing zu imple-
mentieren. Es bedarf umfangreicher Untersuchungen und statistischer Auswertungen, was
insgesamt sehr teuer und zeitintensiv ist. Möglicherweise sind die traditionellen Recher-
chemethoden durch ihre Einfachheit im Endeffekt effektiver. Bisher existieren nur Annah-
men, keine Umsetzungen zur Implementierung der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse
ins Marketing (BELDEN, 2008, S. 250). Der Einbezug der Neurowissenschaft ist in diesem
Fall keine Garantie und kein Fundament für Wirksamkeit. Eine wirkliche Innovation der
Marketingforschung liegt nicht vor.
In diesem Kontext kann der Einbezug der Neurowissenschaft ins Marketing als Verkaufsar-
gument für das Produkt „Neuromarketing“ gewertet werden: Die Forschung in diesem Be-
reich suggeriert die Wirksamkeit von Neuromarketing, ohne, dass es genügend Studien gibt,
die die Innovationskraft und Effektivität gegenüber traditionellem Marketing belegen. Die
neurowissenschaftliche Marktforschung ist in diesem Fall selbst mehr als Marketingtool
bzw. Qualitätsargument von Neuromarketing und weniger als Wissenschaft zu sehen. Dafür
spricht auch, dass die Begründer, wie z.B. Häusel, selbst Ökonomen sind und möglicher-
weise das Ziel verfolgen, ihr Produkt „Neuromarketing“ mit einem neurowissenschaftlichen
Argument zu vertreiben.
Es wird das Vorhandensein eines Business Case kommuniziert: Ein Argument ist, dass die
Integration der Neurowissenschaft den Erfolg eines Unternehmens steigere. Dieses Argu-
ment konnte aufgrund der unausgereiften Methoden bisher nicht bestätigt werden. Das
zweite Argument ist, dass durch die Anwendung von Neuromarketing Wettbewerbsvorteile
erzielt werden können. Dazu ist jedoch nötig, dass die Methoden zur Anwendung umsetzbar
sind und die Anwender von Neuromarketing in Nischen tätig sind oder bessere Möglichkei-
ten zur Durchführung von Forschung und Entwicklung von Instrumenten besitzen. Diese
Argumente stellen jedoch eine rein ökonomische Legitimation des Vorhandenseins von
Neuromarketing ohne moralische Perspektive dar.
7 Reflexion der Vorteile von Neuromarketing gegenüber dem traditionellen Marketing
74
Aufgrund der nicht nachgewiesenen Wirksamkeit von Neuromarketing ist fraglich, ob der
Einbezug der Neurowissenschaft im Marketing überhaupt nötig ist. Es sieht danach aus, als
bringe die Optimierung der herkömmlichen Methoden (z.B. in Form von Marketing 4.0)
eine Steigerung der Effizienz mit sich, ohne den Umweg „durch die Gehirne“ der Konsu-
menten zu gehen. Durch Marketing 4.0 kann das Konsumentenverhalten direkt nachvollzo-
gen und dokumentiert werden und z.B. durch personalisierte Werbung direkt am point of
sale beeinflusst werden. Hierbei ist keine Beobachtung neuronaler Strukturen nötig.
Die Entwicklung von Neuromarketing ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar. Mo-
mentan handelt es sich eher um Techniken zur Kontrolle und Funktionsweise der Wirkung
bestimmter Reize. Es stellt also momentan eher eine Ergänzung der traditionellen Marktfor-
schung dar als einen Ersatz traditioneller Techniken. Mögliche Konsequenzen für die Ge-
sellschaft durch den Einbezug neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in die Marktforschung
sind nicht vorhersehbar. Da es sich bei der Neurowissenschaft um invasive Techniken han-
delt ist die Reflexion aus ethischer Perspektive aber auch dann zu integrieren, wenn sie bis-
her scheinbar keine moralisch fragwürdigen Konsequenzen für die Konsumenten hat.
8 Fazit und Ausblick
75
8 Fazit und Ausblick
Bei der marketingethischen Reflexion von Neuromarketing wird deutlich, dass es große Un-
terschiede bezüglich der Bewertung der mit dem Bereich verfolgten Ziele und den Konse-
quenzen gibt, die durch die Anwendung von Neuromarketing entstehen.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Forschung und Entwicklung rund um Neuromarketing nicht
fortgeschritten genug, um eine Gefahr darzustellen. Es werden zwar viele Möglichkeiten
und Vorteile durch den Einbezug der (Neuro-)Wissenschaft in den Marketingbereich kom-
muniziert. Bisher ist die Wirksamkeit der Methoden aber nicht bestätigt. Es handelt sich bei
Neuromarketing folglich mehr um einen Hype bzw. ein neues Produkt, welches mit der Wis-
senschaft als Qualitätsmerkmal versehen am Markt als innovative Technik verkauft wird -
eine Verbesserung gegenüber den traditionellen Methoden liegt also zum jetzigen Zeitpunkt
nicht vor.
Somit besteht momentan nicht die Gefahr, dass Konsumenten durch Neuromarketing mani-
puliert werden, Bedürfnisse geweckt werden oder sie für Unternehmen „gläsern“ gemacht
werden.
Die Entwicklung von Forschung und Methoden ist jedoch nicht vorhersehbar, weshalb vor
allem die ethische Legitimität der damit verbundenen Ziele kritisch reflektiert werden muss.
Neurowissenschaftliche Methoden müssen von unmoralischen Zielen getrennt werden, um
das Wohl der Konsumenten zu schützen. Die Kosteneffizienz als Ziel von Untersuchungen
des Gehirns ist insofern moralisch kritisch, da eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf den Be-
reich der Emotionen und Bedürfnisse der Menschen angewandt wird.
Ethisch verwerflich sind zum jetzigen Zeitpunkt somit nicht die tatsächliche Anwendung
von Neuromarketing und ihre Konsequenzen, sondern die damit verfolgten Ziele der Mani-
pulation und Generierung von Bedürfnissen. Das unterscheidet Neuromarketing zwar nicht
vom traditionellen Marketing, kann aber schwerwiegendere Konsequenzen mit sich bringen,
falls die Methoden eines Tages das leisten können, was ihre Entwickler versprechen.
Um autonomes Handeln und die Privatsphäre zu schützen, muss die Öffentlichkeit über die
Erkenntnisse der Neuromarketing-Forschung und die Entwicklung entsprechender
8 Fazit und Ausblick
76
Instrumente informiert werden. Zudem müssen auch rechtliche Grenzen gesetzt werden,
falls die technischen Schwierigkeiten der Umsetzung von Neuromarketing irgendwann über-
wunden sind.
Man darf nicht warten, bis (negative) Konsequenzen für die Konsumenten entstehen - die
Ziele an sich müssen ethisch legitimiert sein, bevor entsprechende Methoden wirksam wer-
den.
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