heft 42 03 - uni-graz.at

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Geographie heute - Alternativen sind gefragt? NEUES MASTERSTUDIUM Geo-Spatial Technologies BÜRGERBETEILIGUNG Planungswerkstatt Graz ALBANIEN Unbekanntes Land im Südosten GRAZER MITTEILUNGEN DER GEOGRAPHIE UND RAUMFORSCHUNG 42 2008 GEOGRAZ

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Page 1: Heft 42 03 - uni-graz.at

Geographie heute -Alternativen sind gefragt?

Neues MasterstudiuMGeo-Spatial Technologies

BÜrGerBeteiLiGuNGPlanungswerkstatt Graz

aLBaNieNUnbekanntes Land im Südosten

GRAZER MITTEILUNGEN DER GEOGRAPHIE UND RAUMFORSCHUNG

422008GeoGraz

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GeoGraz 42 - 2008 INHALT

schwerpuNkt Fachdidaktik

GerHArd K. LIeb UNd erICH ZUNeGGDas Regionale Fachdidaktikzentrum Geographie und Wirtschaftskunde. Kooperativ – qualitativ – praxisnah

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BeitrÄGe

WoLfGANG SULZerGeo-Spatial-Technologies – ein neues Masterstudium

frANZ brUNNerBürgerInnenbeteiligung im Rahmen der Werkstatt Graz (Planungswerkstatt . Zeit für Graz)

iM teLeskOp

dIeTer fLeCKAlbanien

ausserdeM(S 15) (ex)-GeoGrazer im Portrait: Andreas Kuchler(S 19) Studieren aktuell(S 25) Vortragsreihe Geo-Kolloquium SS 2008(S 26) Mario diethart: Hat jemand Fragen zu Sekem?(S 27) Timea Mareková: Schengen wo bist du?(S 29) Neuerscheinungen(S 31) frisch geprüft: AbsolventInnen des Wintersemesters 07/08

Inhalt

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s 20

Herausgeber: Österreichische Geographische Gesellschaft, Zweigstelle Graz

Präses: O.Univ.Prof. Dr. Herwig Wakonigg, Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz, Heinrichstraße 36, 8010 Graz

RedaktionAo.Univ.Prof. Mag. Dr. Gerhard Karl Lieb (Schriftleitung) ([email protected]), Mag. Sabine Schnepfleitner, Mag. Daniel Blažej

Satz/Layout:

Mag. Daniel Blažej ([email protected])

Institut für Geographie und Raumforschung der Karl-Franzens-Universität Graz, Heinrichstraße 36, A-8010 GrazTelefon: 0316/380/5135Fax: 0316/380/9886E-mail: [email protected]: http://www.uni-graz.at/geowww

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Für Form und Inhalt der Beiträge sowie die Wahl geschlechtsneutraler Formulierungen sind die Autorinnen und Autoren der Beiträge verantwortlich.

oSWALd KLAPPACHerGeografie heute – Alternativen sind gefragt? Didaktische Denkanstöße für einen zukunftsorientierten GW-Unterricht

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Editorial

Rechtzeitig mit dem Frühlingsbeginn, gibt es auch bei den Grazer Geographischen Mitteilungen ein deutliches Früh-lingserwachen. In der aktuellen Ausgabe präsentieren sie

sich Ihren Leserinnen und Lesern in einem völlig neuen Outfit. Erstmals unter dem „handlichen“ Namen „GEOGRAZ“ herausge-geben, finden Sie hier die aktuellsten Neuigkeiten aus Forschung und Lehre rund um die Geographie und das Institut für Geogra-phie und Raumforschung in Graz. Dies selbstverständlich mit gewohnt seriös wissenschaftlichem Charakter und wie gewohnt genauestens begutachtet von Schriftleiter Gerhard K. Lieb. Ein neuer Name ist nicht alles was GEOGRAZ zu bieten hat, au-genscheinlich ist auch die optische Umgestaltung. Die vom Zeit-geist geforderte äußerliche Adaption spricht eine noch breitere Leserschaft an, erleichtert es den Überblick zu bewahren und lässt den Spaß beim Lesen nicht zu kurz kommen. Neben den veränderten Äußerlichkeiten erwartet Sie aber auch im Innenleben von GEOGRAZ die eine oder endere Erneuerung. Neue Rubriken wurden ins Leben gerufen, Studierende, Absol-ventinnen und Absolventen und alle Interessierten werden über Forschung und Umstrukturierungen am Institut am Laufenden ge-halten und der Kreis der Autorinnen und Autoren wird auf zusätz-liche Zielgruppen ausgeweitet. Jedenfalls etwas zu sagen haben unsere Wissenschafterinnen und Wissenschafter von morgen und diesen wollen wir auch den nötigen Raum dafür geben. Zum ei-nen informiert die Studierendenvertretung über aktuelle Themen, zum anderen kommen Studierende selbst zu Wort und berichten über gegenwärtige Erfahrungen und Erkenntnisse in den diversen Fachbereichen der Geographie. Den Auftakt für den Studieren-denpart übernimmt in dieser Ausgabe die gebürtige Slowakin Ti-mea Mareková und teilt uns ihre Sicht zum Schengen-Abkommen mit. Eine nagelneue Rubrik bildet auch das Portrait unserer Absol-

ventinnen und Absolventen: In einem „Kamingespräch“ plaudern sie über die Studienzeit, den Karriereeinstieg und wie sie ihre erlernten geographischen Fähigkeiten und Erkenntnisse im Berufsalltag einset-zen können. Als Premierengast begrüßen wir Andreas Kuchler, beruf-lich tätig bei der Verbund Umwelttechnik GmbH.Mit der Gründung des Fachdidaktikzentrums steht das Unterrichts-fach Geographie und Wirtschaftskunde mit seiner praktischen Umset-zung im Blickpunkt dieser Ausgabe. Unsere Experten diskutieren, wie sich die „Geostunden“ in Zukunft gestalten und welchen Beitrag das Fachdidaktikzentrum Geographie und Wirtschaftskunde dafür leisten kann. Und auch der tertiäre Bildungssektor bleibt nicht ausgespart. Mit dem erst angelaufenen interuniversitären Masterstudium Geo-Spatial-Technologies öffnet sich allen Bildungsinteressierten eine neue Möglichkeit die Spezifikationen in den geographischen Technologien auszubauen. Neben dem Fokus Bildung ermöglichen wir Ihnen Einblicke in die praktische Umsetzung von BürgerInnenbeteiligung in Graz, stellen Ihnen einen Alternativnobelpreisträger und seine Vision vor und ent-führen sie in die Tiefen und Höhen Südosteuropas nach Albanien. Als Beteiligte des Relaunchs haben wir die Ehre diese ersten einlei-tenden Worte zu verfassen und auch die nächsten Ausgaben wird ein einleitendes Vorwort schmücken. Je nach Themenschwerpunkt we-cken zukünftig die jeweiligen Expertinnen und Experten Ihre Neugier und machen Lust, Einblicke in die Welt der Wissenschaft Geographie zu erhalten. Natürlich sind wir auch für jegliche Anregungen und Mit-arbeitswünsche seitens unserer LeserInnen offen. Und schlussendlich verbleiben wir damit, Ihnen ein interessantes Lesevergnügen zu wün-schen.

Daniel Blažej und Sabine Schnepfleitner

Liebe Leserinnen und Leser!

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GeoGraz 42 - 2008

Geografie heute – Alternativen sind gefragt?didaktische denkanstöße für einen zukunftsorientierten Gw-unterricht

einführung: worum es geht

Ich möchte am Beginn anmerken, dass knapp 50 Minuten Vortrag nicht darauf zielen können, didaktische Tiefen zu be-leuchten, nein, mir geht es viel mehr da-rum, didaktische Denkanstöße – pointiert vielleicht, auch teilweise bewusst über-zeichnet – zu präsentieren und die wesent-lichen didaktischen Herauforderungen, denen sich Schule, sich der Geographie und Wirtschaftskunde-Unterricht stellen muss, auf den Punkt zu bringen / begreif-bar zu machen! Bewusst spreche ich meist von Schule und nur dann vom Fachbereich GW, wenn es speziell ihn betrifft.Warum geht es also – hierzu einige Stich-worte:• Geographinnen, Geographen / Geogra-

phie• Schule• Zukunft / Veränderung• Bildung• Kinder und Lehrerinnen/Lehrer• Schlüsselqualifikationen• Standards• Didaktische LeitthesenAber keine Angst, es geht nicht um eine Anhäufung didaktischer Begriffe, um eine Flucht oder um ein Verstecken hin-ter didaktischen Mode-Wörtern! Nicht ersparen kann ich Ihnen aber mein Be-mühen, sie in die Überlegungen mit ein-zubeziehen. Seien sie also auf der Hut, jederzeit kann eine Frage lauern, die meist auch nicht so einfach – wie ich glaube – zu beantworten ist! Aber keine Angst – lassen sie sich einfach auf Didaktik ein!

der kleine prinz

Ich möchte mit einer so genannten Eisbre-cher-Frage beginnen. Sie kennen sicher-lich die Erzählung „Der kleine Prinz“ von

Welchen beitrag kann Geographie und Wirtschaftskunde für die österreichische bildungslandschaft leisten? Wie ist der explosion von Wissen konstruktiv zu begegnen? Wie der Herausforderung einer ständig sich verändernden Alltags- und berufswelt? Solchen und anderen fragen geht der Autor in diesem beitrag nach, der eine leicht verän-derte Version seines Vortrages bei der eröffnungsveranstaltung des regionalen fachdidaktikzentrums Geographie und Wirtschaftskunde am 1.2.2008 in Graz darstellt: ein facettenreiches Grundsatzpapier zu GW, das den Anstoß zu diskussionen um unser fach geben möge.

Saint-Exupery. Vielleicht können sie sich auch noch erinnern, dass der kleine Prinz am sechsten Planeten einem selt-samen Wesen, das sich als „Geograph“ vorstellt, begegnet. Der kleine Prinz stellt die Frage: „Was ist das, ein Geograph?“ Ich behaupte, nicht einmal diese auf den ersten Blick so simple Frage ist einfach zu beantworten. Ich bringe ihnen die Ant-wort des Geographen in Erinnerung. „Das ist ein Gelehrter, der weiß, wo sich die Meere, die Ströme, die Städte, die Berge und Wüsten befinden“, antwortet der Geo-graph (Saint-Exupery 1981, 40).In wie weit Sie mit dieser „Antwort“ einverstanden sind, oder – ich hoffe es – doch nicht, ist aber nicht Ausgangs-punkt meines didaktischen Exkurses. Viel wesentlicher ist für mich die Reaktion des kleinen Prinzen.

Denn der kleine Prinz ist, wie Sie wissen, schwer enttäuscht, weil sich der Geograph nicht für die Blume auf seinem Planeten interessiert, er nur die ewigen Dinge auf-schreibt.Für mich stellt sich nun die Frage: Ergeht es Ihnen auch manchmal so wie dem klei-nen Prinzen? Sind sie vielleicht auch mit den Entwicklungen unseres Schulsystems

oder dem Fachbereich GW unzufrieden? Haben sie andere Zielvorstellungen? Sollte sich etwas in unseren Schulen, im Fachbe-reich GW ändern? Das Eingangschild zu einem Konferenzzimmer (Abb. 1), bringt die gefährliche Situation, worin sich un-ser Bildungssystem, unsere Bildungs-landschaft, befindet, trefflich ins Bild!In einer Situation der Unzufriedenheit gibt es zwei Verhaltensmöglichkeiten: Sich damit abfinden oder einen Beitrag leisten, die Situation zu verändern. Ich meine, Schule, insbesondere der Fachbe-reich GW, kann sich Resignation nicht erlauben, Veränderungen sind gefragt. Visionen müssen entwickelt werden. Es darf ein „Das geht nicht“ nicht geben! E. Riegel 2004, ehemalige Direktorin der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, for-muliert zukunftsweisend: „Alle sagten, das geht an unserer Schule nicht. Dann kam eine, die das nicht wusste, und hat´s gemacht!“

was ist qualitative Bildung

Veränderung passiert mit oder ohne unser Zutun, denn unsere Lebenswelt unterliegt einem ständigen Wandel. Auffallend ist die Zunahme der Geschwindigkeit. Folgende Gedanken aus Shifthappens (2008) kön-nen Ihnen die Dimension und Geschwin-digkeit der Veränderung (im Bereich des Wissens) und die Unberechenbarkeit des

oSWALd KLAPPACHer

ZUM AUTorUniv. Doz. Mag. Dr. Oswald KLAPPACHER ist Professor an der Pädagogischen Hochschule Salzburg und seit 2002 Lehrbe-auftragter an unserem Institut. Er ist für Geographie-Didaktik habilitiert und hat sich beson-ders als Schulbuchautor auch über die Grenzen Österreichs hinaus einen Namen gemacht.

abb. 1: Chaos

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Zukünftigen vor Augen führen:„Did you know?• The top 10 in-demand jobs in 2010 did not

yet exist in 2004• We are currently preparing students for jobs

that don’t yet exist• There are about 540.000 words in the En-

glish language – about 5x as many as during Shakespeare’s time

• More than 3,000 new books are published every day …”

Eine Kernaussage davon ist: Wissen wird immer umfangreicher und gleichzeitig kurzlebiger. Schule muss deshalb – meine These – mehr sein als der Ort eines fremd gesteuerten Wissenstransfers. Schule ist Bildungsraum, wobei Bildung aber nicht, wie der Grazer Philosoph P. Strasser 2001 berechtigt kritisiert, vor-herrschend von ökonomischen oder poli-tischen Marktinteressen geleitet bzw. be-stimmt sein darf.Eine, ich glaube, die Kernfrage jedes Schulsystems ist: Was ist qualitative Bil-dung? Meine nächsten fiktive Fragen: Was verbinden Sie mit qualitativer Bildung? Wie lautet ihre Bildungs-Definition? Die Erziehungswissenschafter H. Meyer und W. Klafki definieren Bildung wie folgt:• „Fähigkeit eines Menschen kritisch,

sachkompetent, selbstbewusst und solidarisch zu denken und zu handeln.“ (Jank u. Meyer 1991)

• „Inhaltlich konzentriert sich Bildung auf die Auseinandersetzung mit zen-tralen Problemen der gemeinsamen Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft; das heißt mit konsensfähigen Schlüsselproblemen.“ (Klafki 1985)

Ich meine, Bildung muss als dynamischer Prozess gesehen werden, in dessen Zen-trum der selbstbewusst, solidarisch den-kende und handelnde Mensch steht, der es versteht, den gegenwärtigen und zukünf-

ZUM AUTor tigen Herausforderungen gerecht zu wer-den. Es stellt sich folglich die berechtige, ja Grundsatzfrage: Inwieweit kann GW einen Beitrag zu einer solchen Bildung lei-sten, eine tragende Rolle in der Schule der Zukunft einnehmen?Meine Antwort: Wenn es sich nur um eine Geographie der Informationen, wie sie im kleinen Prinzen mit Recht kritisiert wird, handelt, plädiere ich für den Wegfall von GW. Denn wir benötigen in unseren Schulen nicht „Ballast-Gegenstände“, Fachbereiche, die nur auf Inhaltsorientie-rung beruhen, die nur dafür sorgen, dass die Festplatte Hirn gefüllt wird und die Schülerinnen und Schüler Wissen vermit-telt bekommen, das in jedem Lexikon bes-ser aufgehoben und schneller und sicherer nachschlagbar ist.Verstehen Sie mich aber richtig: Ich weiß sehr wohl, wie wichtig Wissensvermitt-lung ist und dass Schule immer dieser Auf-gabe auch nachzukommen hat. Wie in der Medizin kommt es hier aber sehr wohl auf die Dosis an. Der enormen Wissensflut – richtiger gesagt – Informationsflut werden Schule und GW nicht dadurch gerechter, dass der Lernumfang erhöht wird, sondern nur durch überlegte Auswahl. Ich bin hier ein Anhänger des Philosphen L. Kohr 1995, der so treffend formuliert: „small is beautiful“ bzw. „slow is beautiful“ – oder reißerisch zeitgeistig in Saturnsprache for-muliert: „Weniger ist geil“ – ich tendierte zur standardsprachlichen Formulierung: „Weniger ist hilfreicher!“

schülerinnen und schüler im Mittelpunkt

Mit der Auswahl allein ist es aber noch nicht getan, wir müssen im Unterricht ver-stärkt die Adressatinnen und Adressaten im Auge haben. Es darf das Kind in seiner entwicklungspsychologischen Vielfalt und

seiner Subjektivität nicht verkannt, nicht übersehen werden. Aus der Sicht des Pä-dagogen R. Fatke 1983, 19 f., muss das Kind gesehen werden:• „als ein aktives Wesen, das sich entwickelt, indem es in eine Auseinandersetzung mit der Welt eintritt, diese Welt strukturiert und dabei sie und sich selbst verändert; • als ein kompetentes Wesen, das zunehmend über die Fähigkeiten zur Weltaneignung verfügt und im Vergleich zum Erwach-senen nicht als mangelhaft, sondern als qualitativ andersartig angesehen werden muss; • als Interaktionspartner, der nicht aus-schließlich nach den Vorstellungen des Erwachsenen geformt, gebildet, ‚sozia-lisiert‘ wird, sondern seinerseits auch auf den Erwachsenen einwirkt und somit Pro-zesse der Sozialisation und Erziehung ak-tiv mit gestaltet.“Der bekannte Pädagoge H. v. Hentig 2007 formuliert treffend in einem Satz, worauf es beim Umgang mit Jugendlichen ankommen muss: „Die nützliche Erfahrung wieder nützlich zu sein!“Die Schule der Zukunft muss dieser He-rausforderung vermehrt gerecht werden, muss sich verstärkt an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientie-ren. Damit Kinder und Jugendliche zum Mittelpunkt von Schule werden können, ist auch der Faktor Zeit kritisch zu hinter-fragen. Ich vertrete die Meinung, die sich durch eine Vielzahl von Studien belegen lässt, dass sich Unterricht nicht dem Dik-tat der Zeit unterwerfen darf. Nicht die Dauer, sondern die Sinnhaftigkeit und die Erforderlichkeit sind die didaktischen Prä-missen. Nicht die Uhr, sondern der Lern-fortschritt der Schülerinnen und Schüler ist der richtige didaktische Kompass. So fordert Meyer 2004, 111, berechtigt: „Es ist wichtiger, dass der Stoff beim Schüler an-

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GeoGraz 42 - 2008

kommt, als Sie mit dem Stoff durchkommen!“Neben der Zeitargumentation darf auch nicht übersehen werden, dass die An-schlussfähigkeit, die „Ankerfähigkeit des neu zu Erlernenden“, wie es Mühlhausen 2007 so treffend formuliert, gegeben sein muss. Die neue Hirnforschung (z. B. Deci u. Ryan 1993), belegt, dass Lernen umso erfolgreicher ist, je mehr Anknüpfungs-punkte (Assoziationen) an vorhandene Netze vorliegen.Es ist folglich auch zu begrüßen, dass In-dividualisierung, Differenzierung mehr denn je in politischen Bildungsdiskus-

sionen gefordert werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die In-formations-Broschüre des Unterrichtsmi-nisteriums zur Neuen Mittelschule ver-weisen (bm:uk 2007). Hier tauchen die Begriffe Individualisierung und Differen-zierung schon fast inflationär auf. Leider werden die ökonomischen Rahmenbedin-gungen, die vorhanden sein müssen, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, meist sträflich vernachlässigt. In-dividualisierung, Differenzierung setzen Kleingruppen voraus – Klassen-Schüler-höchstzahlen von 25 sind noch immer zu hoch! Es mag sehr wohl politische Kom-promisse geben, aber es gibt keine Didak-tik der Kompromisse.

didaktik – theorie und praxis

Didaktik muss Strukturierungshilfe sein, auf Zusammenhänge aufmerksam ma-chen, Lehrerinnen und Lehrern Hinweise auf den erwartbaren Erfolg bestimmter Aktionen und Reaktionen geben. Die di-daktische Theorie muss unerlässliche Ori-entierungshilfe für die Praxis sein. „Als Theorie einer Praxis muss die Theorie pra-xisfähig sein und die Praxis theoriefähig“ (Wiater 1997, 70).Zu wissen, wie man lernt, ist (immer) wichtiger als jedes Detailwissen. Diese Fä-

higkeit den Kindern zu vermitteln, ist eine der Grundlagen der Schulkonzepte in An-lehnung an die Reformpädagogik. Es ist heute unerlässlich vom „Lehrer-Instruk-tions-Modell“, vom Planungsmonopol der Lehrerin/des Lehrers, vom Frontalunter-richt zum „Schüler-Selbstlern-Modell mit Mitverantwortung, Mitplanung, Wahl-möglichkeit, Individualisierung“ zu wech-seln (Schmidt-Wulffen) 2007).Ich wiederhole: … zu wechseln. Verstehen sie mich aber richtig, es geht hier nicht um ein richtig oder falsch, sondern um ein „didaktisches Ying und Yang“ – Ying (gelenkter Unterricht) und Yang (offener Unterricht) ergänzen und bedingen einan-der und lösen einander in rhythmischem Wechsel ab. Bei den meisten didaktischen Überlegungen, darf nicht das „Entweder/

Oder“ im Vordergrund stehen, sondern muss dem „Sowohl/Als auch“ Rechnung getragen werden. So darf nicht allein die Methode, das WIE, zum bestimmenden didaktischen Leitelement werden, sondern es kommt dem WAS eine nicht minder bedeutende Rolle zu.

schlüsselqualifikationen

Es ist sogar von höchster didaktischer Re-levanz zu wissen, WAS zu unterrichten ist. Ich komme somit wieder auf meine Grundsatzfrage zurück: Welche Beiträge kann GW zur Bildung leisten? Ich meine GW eröffnet eine breites Wissensfeld, ist unentbehrlich für ein erfolgreiches orga-nisiertes Handeln – zur Entwicklung von Kompetenzen im Sinne von W. Stangl (zit. nach Vielhaber 2007). Wobei – ich wiederhole mich – nicht das isolierte Fach-wissen, sondern das kompetente geogra-phisch-wirtschaftskundliche Handeln im Vordergrund stehen muss, denn „Wissen ohne Handeln ist nutzlos – Handeln ohne Wissen erfolglos!“ (Klinger 2005).Um dieser Forderung gerecht zu werden, sollte sich aus meiner Sicht ein sinnvoller GW-Unterricht an folgenden fachlichen Basis-, persönlichen und allgemeinen (Schlüssel-)Qualifikationen orientieren (Abb. 2).Das Nicht-Anführen der Dimension Wissen (von Inhalten) möchte ich damit begründen, dass Wissen nicht als iso-lierte Dimension betrachtet werden sollte, sondern als Grundvoraussetzung – Basis – für das Verstehen, die Anwendung von Fähigkeiten und Qualifikationen. Die Vernetzung der Teilbereiche soll durch die Rahmenpfeile ersichtlich werden. Die fachlichen Schlüsselqualifikationen sind wiederum eingebettet in die speziellen Schlüsselqualifikationen Lernbereitschaft, Kreativität, Kritikfähigkeit, Eigeninitia-tive, Teamfähigkeit und Flexibilität. Die Formulierung der geographisch-wirt-schaftskundlichen Schlüsselqualifikati-onen erscheint mir deshalb so wichtig, weil sie das Fundamentale der geographisch-wirtschaftkundlichen Bildung aufzeigen.Die Formulierung von Schlüsselqualifi-kationen soll Lehrerinnen und Lehrern Hilfestellung bei der Gewichtung der im Lehrplan vorgegebenen Lernziele sein – und zugleich Auftrag, den GW-Unterricht so zu gestalten, dass nach Schulabschluss diese geographisch-wirtschaftskundlichen

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abb. 2: Schlüsselqualifikationen in GW (Klappacher 2002)

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Schlüsselqualifikationen von den Schü-lerinnen und Schülern auch beherrscht werden. – Nicht die Zahl an umgesetzten Lernzielen ist entscheidend, sondern die Beherrschung geographisch-wirtschafts-kundlicher Schlüsselqualifikationen!Diese Auflistung der Schlüsselqualifi-kation macht auch ersichtlich, dass GW Anknüpfungspunkte zu fast allen Fach-bereichen bietet. GW ist ein sehr offenes Fach und das ist gut so. GW ist bereits Lernfeld, worin zwei ursprünglich ge-trennte Fachbereiche, Geographie und Wirtschaft, synergetisch (sinnvoll ergän-zend) zusammengeführt wurden. GW ist somit ein erfolgreiches Beispiel dafür, dass es nicht darum geht, neue Fachbereiche einzuführen, sondern verstärkt Lernfelder zu bilden. Erlauben sie mir in diesem Zu-sammenhang darauf zu verweisen, dass Ein-Stundenfächer didaktischer Unfug sind. Die Schule der Zukunft hat verstärkt der Vernetzung der Lerninhalte Rechung zu tragen und nicht den Stundenkanon noch zu erweitern.

standards

Das Lernen in Fachbereichen, in Lern-feldern noch viel mehr, muss aber auf defi-nierten Kompetenzen und Qualifikationen beruhen. Deren schulische Umsetzung ist zu überprüfen. Ich vertrete die Meinung, dass Standards und die systematische Überprüfung der Qualität von Schule in einem zukunftsorientierten Bildungssy-stem unerlässlich sind. Hierbei darf es sich aber nicht um inhaltliche, sondern um kompetenzorientierte Standards handeln. Inhaltliche Standards sind eine didak-tische Sackgasse – Schule verkümmert hier

zur Drill- oder reinen Trainingsstätte!Unterricht muss sich am Output, dem Können der Schülerinnen und Schüler (Handlungszielen) orientieren und nicht am Input (Inhalten). Mit Recht kritisch zu hinterfragen sind nationale oder in-ternationale Rankings. Ich lehne sie ab, denn es geht nicht darum, besser als z. B. Deutschland zu sein, sondern um eine Optimierung der Ausbildung. Bei al-len Standarddiskussionen darf aber nicht übersehen, werden, dass durch Standards noch lange nicht die Qualität von Bildung verbessert wird. Die Mühlviertler Bauern-weisheit „Vom Abwiegen wird die Sau nicht schwerer“ bringt das auf den Punkt!Nicht übersehen werden darf bei der Qua-litätsdiskussion, dass sich Qualität von Schule sehr wohl auch über die finanzi-ellen Rahmenbedingungen, die Schulaus-

stattung, die Bezahlung der Akteurinnen und Akteure, über den gesellschaftlichen Stellenwert des Lehrberufes, definiert. Die finanziellen Anforderungen für die Schule der Zukunft werden steigen müs-sen. In vielen Staaten wurde dies sehr wohl bereits erkannt, wie z. B. Abb. 3 verdeut-lichen soll.Die beiden Bilder aus Asien – sie zeigen ein Schulgebäude in Doha und ein Klas-senzimmer in Shanghai – sind Beweis für diese Entwicklung. Wir sollten un-sere pädagogischen Blicke also nicht nur nach Finnland richten, sondern verstärkt auch in den asiatischen Raum. Hier wer-den vorbildhafte Rahmenbedingungen für Bildung geschaffen. Bildung wird po-litisch stark forciert, modernste Schulen entstehen, führende Pädagoginnen und Pädagogen aus aller Welt werden ange-

abb. �a: Doha Aspire / Katar (Quelle: Archiv Klappacher) abb. �b: Schule in Shanghai (Quelle: Archiv Klappacher)

abb. 4: Didaktische Leitthesen (Klappacher 2002)

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GeoGraz 42 - 2008

bm:uk (Bundesminiserium für Unterricht und Kunst), 2007: Die Modellversuche Neue Mittelschule. – Informations-Broschüre, Wien

Deci, E.L., u. Ryan, R.M., 1993: Die Selbstbestimmungstheorie der Mo-tivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. – Zeitschrift für Pädagogik, Heft 2, 223 –238.

Fatke, R. (Hrsg.), 1983: Jean Piaget. Mei-ne Theorie der geistigen Entwicklung. –Frankfurt/Main

Hentig, H. v., 2007: Bewährung. Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein. – Wien

Jank, W., u. Meyer, H., 1991: Didak-tische Modelle. – Berlin

Klafki, W., 1985: Neue Studien zur Bil-dungstheorie der Didaktik. – Weinheim

Klappacher, O., 2002: Sinnvoll GW. – Linz

Klinger, U., 2005: Mit Bildungsstandards Unterrichts- und Schulqualität ent-wickeln. – Friedrich Jahresheft XXIII, 130-143.

Kohr, L., 1995: Small is beautiful. Ausge-wählte Schriften aus dem Gesamtwerk. – Wien

Liessmann, K. P., 2006: Theorie der Unbildung. – Wien

Liessmann, K. P., 2007: Zukunft kommt. – Wien

Meyer, H., 2004: Was ist guter Unter-richt? – Wien

Mühlhausen, U., 2007: Abenteuer Un-terricht. – Baltmannsweiler

Riegel, E., 2004: Schule kann gelingen! – Hamburg

Saint-Exupery, A. de, 1981: Le Petit Prince. – Berlin

Schmidt-Wulffen, W., 2007: Erfolg-reich lehren und lernen – aber wie? – GW-Unterricht 108, 1-9.

Shifthappens (2008): www.slideshare.net/tag/shifthappens

Strasser, P., 2001: Traditionsschmelze Markt – ist die Bildung nur noch Mittel zum Zweck? – Buko-Info Nr. 3/2001, Wien

Vielhaber, C., 2007: Standards und/oder Komeptenzen im GW-Unterricht – Ein Hand-out für Haiming 2007. Unpubl. Arbeitspapier, Wien.

Wiater W., 1997: Unterrichten und Ler-nen in der Schule. – Donauwörth

QUeLLeNVerZeICHNIS

heuert. Bildung wird als Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft gesehen. Leider muss ich immer wieder feststellen, dass in Österreich Bildung immer noch als Ko-stenfaktor und nicht als Investition gese-hen wird. Trotzdem würde es man sich zu leicht machen, würde man Schule nur über die materiellen Ressourcen bewerten.

hilfestellungen: Leitthesen der Gw-didaktik

Die Qualität von Schule in der Vergan-genheit und in Zukunft ist in erster Linie durch die Lehrerinnen und Lehrer, ihre di-daktischen und fachlichen Kompetenzen, die Lernbereitschaft der Akteurinnen und Akteure und das soziale Umfeld be-stimmt. Kompetenter Unterricht bedarf einer umfassenden fachlichen und didak-tischen Ausbildung, eines didaktischen Konzeptes. Sinnvoller GW-Unterricht sollte folgende didaktische Leitlinien be-achten (Abb. 4).• Nicht nur hören, sondern verstehen: Ich

meine/fordere damit den gekonnten Umgang mit Fachbegriffen!

• Nicht nur sehen, sondern erkennen: Ich meine damit Landschaft wieder bewusst wahrnehmen!

• Nicht nur alleine, sonder öfter gemein-sam: Ich meine damit sinnvoll zu zweit oder öfters im Team arbeiten!

• Nicht nur wissen, sondern können und eigenverantwortlich handeln: Ich meine damit geographisch-wirtschaftskund-liche Lösungskompetenz entwickeln!

• Nicht nur oberflächlich, sondern betrof-fen und kritisch reflektiert wahrnehmen: Ich meine damit Stellung beziehen, Sachverhalte kritisch hinterfragen!

Fazit: without geography you’re nowhere

Abschließend möchte ich anmerken: Ver-änderung passiert. Es wäre falsch auf die Zukunft zu warten – Zukunft, auch di-daktische Zukunft, kommt nicht; wir sind gefordert die Gegenwart aktiv zu gestalten! Eine qualitative fachliche und didaktische Ausbildung ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche didaktische Gegen-wart und Zukunft – für einen sinnvollen GW-Unterricht.Sinnvoller GW-Unterricht bedarf eines lebensbegleitenden Lernens. Fachdidak-tische Zentren, die didaktische Hilfestel-lung leisten, die Motivationshilfe sind, die neue methodische Wege aufzeigen, sind unumgänglich für einen sinnvollen GW-Unterricht. Denn nur so kann es gelingen, dass die Betroffenen Akteurinnen und Akteure (Lehrerinnen und Lehrer, Schü-lerinnen und Schüler) Sinn und Nutzen in GW finden – damit die Aussage, die ich auf einem Straßenstein in Ladakh foto-grafiert habe (Abb. 5), für den Fachbereich GW ihre Gültigkeit erhält!

abb. �: Without Geography you’re nowhere

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Kooperativ – qualitativ – praxisnahdas regionale Fachdidaktikzentrum Geographie und wirtschaftskunde

die hintergründe

Als am 15.12.2006 das erste Regionale Fachdidaktikzentrum Österreichs, jenes für Physik an der Universität Graz, ge-gründet wurde, arbeiteten wir bereits in einer informellen Arbeitsgruppe an der Vorbereitung eines solchen Zentrums für das Schulfach Geographie und Wirt-schaftskunde. Hintergrund dieser Initiati-ven ist die ministerielle Empfehlung, zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern einschlä-gige Kompetenzen auf regionaler Ebene zu bündeln: „Aufbauend auf bestehen-den Ressourcen und in enger Kooperation

zwischen den Lehrer/innenbildungsein-richtungen sollen in den Bundesländern regionale Zentren mit positiver Synergie-wirkung für Wissenschaft und Schulpraxis entstehen. Die regionalen Zentren sollen fächerübergreifend wirken und mit den – jeweils für eine Fachdidaktik zuständigen – nationalen Kompetenzzentren in enger Verbindung stehen …“ (BMBWK 2005, 10-11). In ähnlicher Weise formuliert auch die Bundeskonferenz der Arbeitsgemein-schaftsleiter Geographie und Wirtschafts-kunde an AHS (2007) die Forderung nach der Errichtung von Fachdidaktikzentren für alle Schulfächer, wobei „die Lehrer/in-nenbildung … inhaltlich wesentlich auch von den Erfahrungen der Praxis beeinflusst und von erfahrenen Praktikern/Praktike-rinnen mitgestaltet werden“ müsse.

bildung ist in letzter Zeit – nicht nur durch die PISA-Studie – wieder verstärkt in den blickwinkel der Öffent-lichkeit geraten. dabei ist auch eine diskussion um die zukünftige Gestaltung der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern entbrannt. dies wiederum veranlasste auch die Universität Graz in diesem bereich aktiv zu werden: Neuerungen im bereich der Curricula, Installierung von fachdidaktik-Stellen in den einzelnen fächern sowie Anbahnung von Kooperationen lassen universitäre Initiativen im Umfeld der Lehramtsausbildung erkennen. Zu diesen gehört auch die Gründung eines regionalen fachdidaktikzentrums für das Schulfach Geographie und Wirtschaftskunde (rfdZ-GW).

Die Grundidee ist also die Vernetzung zwischen bestehenden Institutionen, die für die Aus- und Weiterbildung von Leh-rerinnen und Lehrern zuständig sind. Da in der Steiermark – beispielsweise durch das bereits seit 2002 laufende Kooperati-onsprojekt Schulatlas Steiermark (Lieb et al. 2005) – auf operationeller und infor-meller Ebene schon gute Kontakte bestan-den, lag es nahe, diese zu verdichten und ihnen zwecks verbesserter Koordination einen organisatorischen Rahmen zu ge-ben. Dies schien auch insofern geboten, als die Einrichtung eines nationalen Fach-didaktikzentrums für Geographie und Wirtschaftskunde nicht erfolgte und wohl

noch längere Zeit auf sich warten lassen dürfte.Dabei konnten wir auf die Erfahrungen der Physik bei der Formulierung von Gründungserklärung und Kooperations-vereinbarung zwischen den beteiligten Institutionen zurückgreifen. Die Unter-stützung von Seiten der Universität war von Anfang an gegeben, war doch die Einrichtung solcher Zentren schon in den ersten Entwürfen des Entwicklungs-planes enthalten (Universität Graz 2006, 10). Darin werden als Ziel eine verbesserte Ausbildung der Studierenden „insbeson-dere durch die Möglichkeit intensiverer Betreuung“ sowie der Landesschulrat und die Pädagogischen Hochschulen als po-tenzielle Kooperationspartner genannt.

die Ziele

Aus den oben beschriebenen Hintergrün-den ergeben sich die grundlegenden Ziele des „Regionalen Fachdidaktikzentrums Geographie und Wirtschaftskunde an der Universität Graz“ (wie der offizielle Name im vollen Wortlaut etwas sperrig heißt), das als eigenständiger Leistungsbereich an der Umwelt-, Regional- und Bildungs-wissenschaftlichen Fakultät unserer Uni-versität eingerichtet ist (Universität Graz 2008): Es geht primär um die Sicherung bzw. Verbesserung der Ausbildung von Lehramtsstudierenden sowie der Weiter-bildung von Lehrerinnen und Lehrern in Geographie und Wirtschaftskunde. Da-hinter steht das übergeordnete Ziel, den Unterricht interessant zu gestalten und so Schülerinnen und Schülern den Erwerb für ihre persönliche Lebensgestaltung relevanter Kompetenzen zu erleichtern. Demnach kann man unsere Leitziele pla-kativ so formulieren:• Gemeinsam die Position des Schul-

faches GW durch intensive Zusammen-

GerHArd KArL LIeb UNd erICH ZUNeGG

ZU deN AUToreNGerhard K. Lieb ist als lang jäh-riger Mitarbeiter des Instituts für Geographie und Raumfor-schung u. a. für die Koordina-tion der Lehramtsausbildung zuständig. Er hat als Leiter des Regionalen Fachdidaktikzen-trums wesentlich zu dessen Realisierung beigetragen.

Erich Zunegg ist Lehrer für GW sowie Bewegung und Sport am Grazer Kepler-Gymnasium. Seit 2006 ist er zur Hälfte seiner Dienstverpflichtung an unserem Institut als Fachdidaktiker tätig und engagierte sich schon in der Planungsphase für das Fachdidaktikzentrum.

SCHWERPUNKT FACHDIDAKTIK

Das Logo des Fachdidaktikzentrums

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GeoGraz 42 - 2008

arbeit der steirischen Ausbildungsstätten stärken und die Wertigkeit des Faches erhöhen

• Qualitativ hochwertige Ausbildung von Schülerinnen/Schülern und Studieren-den sowie hochwertige Fortbildung für Lehrende sicher stellen

• Konkrete Produkte für die Unterrichts-arbeit durch Projekte entwickeln und best practise für den Unterricht zugäng-lich machen

• Fächerübergreifend mit anderen Schul-fächern zusammen arbeiten und wech-selseitig von den Ideen profitieren.

Etwas genauer konkretisiert haben die Ziele folgende Form:• Das RFDZ-GW soll fachdidaktisches

Kompetenzzentrum, Plattform zum Er-fahrungsaustausch und Servicestelle für alle Lehrenden des Faches Geographie und Wirtschaftskunde (sowie verwand-ter Fächer) sein.

• Das RFDZ-GW möchte zur Quali-tätsentwicklung und -sicherung des Unterrichts in der Sekundarstufe I und II sowie zur stärkeren Verankerung geo-graphischer und wirtschaftlicher Inhalte und Kompetenzen in der Primärstufe sowie in informellen Bildungseinrich-tungen beitragen.

• Das RFDZ-GW fördert die Qualitäts-entwicklung und -sicherung in der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern durch Kooperation der daran beteiligten steirischen Instituti-onen.

• Das RFDZ-GW gibt inhaltliche Im-pulse für eine Stärkung des regionalen Aspektes im GWK-Unterricht – die Steiermark soll ein Thema im Unterricht sein.

• Das RFDZ-GW initiiert und koor-diniert fachdidaktische Forschung ge-meinsam mit den Kooperationspartnern.

• Das RFDZ-GW bekennt sich nicht zuletzt auf Grund des integrativen Cha-rakters des Faches GWK zu Interdis-ziplinarität und fördert diese in seinem Wirkungsbereich.

die kooperation

Gemäß den geschilderten universitären Vorgaben bringen sich derzeit die fol-genden Institutionen ein – jeweils da-durch, dass Mitarbeiterinnen und/oder Mitarbeiter für einen Teil ihrer Dienstzeit dem RFDZ-GW zugewiesen sind:• Universität Graz (Uni)• Pädagogische Hochschule Steiermark

(PHSt)• Kirchliche Pädagogische Hochschule

Graz (KPH)• Landesschulrat für Steiermark (LSR).Diese Institutionen sind auch im Bei-rat, der dem Zentrum als beratendes und kontrollierendes Organ zur Seite steht, vertreten. Abgesehen von der genannten personellen Zuweisung finanziert sich das Zentrum schwerpunktmäßig über – meist auf Einzelprojekte bezogene – Drittmittel. Durch das Entgegenkommen von Seiten des Leiters des Instituts für Geographie und Raumforschung, Univ. Prof. Dr. F. Zimmermann, dem an dieser Stelle noch einmal aufrichtiger Dank ausgesprochen wird, kann das Zentrum einen Raum am Institut (Zimmer 224) benutzen sowie Ar-beitsleistungen und Infrastruktur des In-stituts-Sekretariats in Anspruch nehmen.Die anfallenden Arbeiten – bisher im We-sentlichen einige laufende oder beantragte

Projekte und die Vorbereitung der Eröff-nungsveranstaltung – erledigt eine Ar-beitsgruppe, der mit Stand vom 1.3.2008 die folgenden Personen angehören:• Fischer Wolfgang (Uni)• Fürnhammer Gerhard (LSR; BG

Rein)• Hiebler Silvia (PHSt)• Holzmann Inge (KPH)• Lieb Gerhard Karl (Leiter des RFDZ-

GW; Uni)• Logar Arno (PHSt, KPH)• Ninaus Heinz (Fachkoordinator GW

an AHS; BG Pestalozzi)• Pachatz Gunter (IMST; BG

Lichtenfels)• Peter Daniela (Uni)• Pietsch Marlies (PHSt)• Pötz Alois (Bundeskonferenz der Arge

GW an AHS; BG Kapfenberg)• Zunegg Erich (Uni)Diese Arbeitsgruppe ist für alle weiteren Interessentinnen und Interessenten offen, wobei jedoch unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen die Mitarbeit (mit Ausnahme der teilzugewiesenen Personen) auf ehrenamtlicher Basis erfolgt. Entspre-chende Bemühungen um eine finanzielle Besserstellung laufen, müssen jedoch zwi-schen den einzelnen Fachdidaktikzentren (neben den bestehenden zwei sind allein in Graz fünf weitere in Planung) sinnvoll ko-ordiniert werden.

die eröffnung

Nachdem sich die Arbeitsgruppe mit 1.10.2007 konstituiert hatte, war eine der ersten Aktivitäten die Planung ei-ner Eröffnungsveranstaltung. Diese fand schließlich am Nachmittag des 1.2.2008 im Hörsaal 11.03 am Institut für Geogra-phie und Raumforschung statt und um-fasste das folgende Programm:• Begrüßung und Eröffnung durch F.

Zimmermann (Uni), Vizerektor M. Polaschek (Uni), Vizerektorin R. Weitlaner (PHSt), Rektor S. Barones (KPH), Präsident W. Erlitz (LSR), LSI R. Dirnberger (LSR), A. Pötz (Bundeskonferenz der Arge GW an AHS) und L. Mathelitsch (Regio-nales Fachdidaktikzentrum Physik).

• Eröffnungsvortrag von O. Klappacher zum Thema „Geografie heute – Alterna-tiven sind gefragt? Didaktische Denk-anstöße für einen zukunftsorientierten GW-Unterricht“ (Klappacher 2008).

Die Eröffnungsveranstaltung am Institut für Geographie fand reges Interesse.

SCHWERPUNKT FACHDIDAKTIK

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QUeLLeNVerZeICHNIS

• Präsentation des nunmehr vom Regio-nalen Fachdidaktikzentrum Geographie und Wirtschaftskunde betreuten Koo-perationsprojektes Schulatlas Steiermark durch je einen Kurzvortrag von D. Pir-ker (Steiermärkische Landesregierung) und M. Pietsch (PHSt).

• Während der Kaffeepause und im Anschluss an die Veranstaltung zugäng-liche Posteraustellung mit ausgewählten Produkten aus dem Schulatlas Steier-mark im Foyer.

Die Bilder auf der Rückseite des Heftes zeigen ausgewählte „Szenen“ aus der Er-öffnungsveranstaltung. Gerade rechtzeitig zur Veranstaltung gelang es auch, von Sei-ten der Pädagogischen Hochschule Stei-ermark – herzlicher Dank hierfür gilt an erster Stelle A. Logar – eine proviso-rische Homepage in Betrieb zu nehmen. Ihre Ausgestaltung und Erweiterung ist eine unserer nächsten Aufgaben, doch sind bereits einige weiterführende Infor-mationen dort zugänglich bzw. besteht die Möglichkeit für alle Interessentinnen und Interessenten (selbstverständlich auch von außerhalb der Schulgeographie) sich in ei-nen Newsletter-Verteiler einzutragen. Die Adresse lautet:

Beispiel einer aktivität: Lehrerinnen- /Lehrerfortbildung

Auf Grund der neuen organisatorischen Rahmenbedingungen der Lehrerinnen-/Lehrerfortbildung, die nunmehr an den verschiedenen Instituten der Pä-dagogischen Hochschule Steiermark „angesiedelt“ ist, wurde das Regionale Fachdidaktikzentrum Geographie und Wirtschaftskunde sowohl in die Planung der Fortbildung für Hauptschulen und AHS eingebunden und generierte seiner-seits auch eine eigene Fortbildungsveran-staltung zum Thema Kartographie. Um dieser Aufgabe in Zukunft besser nach-kommen zu können, wurde (im Sinne des oben zitierten Wunsches der Bundeskon-ferenz der Arbeitsgemeinschaftsleiter Ge-ographie und Wirtschaftskunde an AHS 2007) eine Erhebung der Wünsche und Erwartungen der Lehrerinnen und Lehrer an das Fortbildungsprogramm durchge-führt.

Den Rahmen hierfür bot die Tagung der Geographie und Wirtschaftskunde-Fach-koordinatorinnen und -koordinatoren an steirischen AHS und BORG am 7.2.2008, worin als Teil einer Präsentation des Regi-onalen Fachdidaktikzentrum Geographie und Wirtschaftskunde eine einschlägige Befragung mittels Fragebogen durchge-führt wurde. Von den 42 steirischen Schu-len waren 38 Vertreterinnen und Vertreter anwesend und füllten den Fragebogen aus. Hierbei waren ausgewählte potenzielle Themen für Fortbildungen den Katego-rien wichtig, wenig wichtig und unwichtig zuzuweisen. Daraus können u. a. folgende orientierende Aussagen abgeleitet werden:

• Bezüglich der prinzipiellen Frage, ob Fortbildung mehr in fachwissenschaftliche oder in fachdidaktische Richtung gehen

solle, ergibt sich ein deutliches Signal in Richtung Fachwissenschaft (nur 2 Zuweisungen in die Kategorie wenig wichtig gegenüber 10 bei der Fachdi-daktik).

• Innerhalb der Fachwissenschaft war von 5 angebotenen Themenfeldern die Wirt-schaftskunde am stärksten nachgefragt: 34 Personen stuften sie als wichtig ein.

• Innerhalb der Fachdidaktik ist das Inte-resse breiter gestreut: von 6 auszuwäh-lenden Themenfeldern bekamen 4 mehr als 25 Zuweisungen in die Kategorie wichtig. Die meisten Nennungen finden sich bei der „Arbeit mit neuen Medien“ (34) und bei „Alternativen Lehr- und Lernformen“ (31).

• Interessant waren schließlich die mög-lichen freien Nennungen von Wün-schen, wobei zehnmal der Wunsch nach Exkursionen geäußert wurde.

Es ist an dieser Stelle nicht der Platz, genauer auf die Detailergebnisse der Be-fragung einzugehen bzw. diese in Einzel-heiten zu diskutieren, zumal diese auch

auf andere Schultypen ausgeweitet werden muss, ist es doch zu erwarten, dass Lehre-rinnen und Lehrer an Hauptschulen und BHS andere Bedarfslagen erkennen. Den-noch sind hiermit wichtige Signale sowohl für die Arbeit des RFDZ-GW als auch generell für die Planung der Lehrerinnen-/ Lehrerfortbildung ersichtlich. Die Er-gebnisse stellen damit eine wichtige Ent-scheidungsgrundlage bei der Planung und Gestaltung des Fortbildungsprogramms der PHSt dar, das damit näher an die Be-dürfnisse der „Praktikerinnen und Prakti-ker“ herangeführt werden kann.

BMBWK (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur), 2005: Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft 2006. Bildungspolitische Prioritäten. – Austrian Education News 44, Wien, 15 S.

Bundeskonferenz der Arbeitsgemein-schaftsleiter Geographie und Wirt-schaftskunde an AHS, 2007: Beiträge zur Bildungspolitik aus der Sicht von Praktikern und Praktikerinnen. Lösungs-vorschläge für aktuelle bildungspolitische Herausforderungen. – http://gw.eduhi.at/bundesarge/aktuell/bildungspolitik.doc

Klappacher, O., 2008: Geografie heute – Alternativen sind gefragt? Didaktische Denkanstöße für einen zukunftsorien-tierten GW-Unterricht. – Geo Graz (Grazer Mitteilungen der Geographie und Raumforschung) 42 (in diesem Heft).

Lieb, G. K., Pietsch, M., u. Pirker, D., 2005: Schulatlas Steiermark. Ein neues Kooperationsprojekt zur Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien für Schulen. – Grazer Mitteilunger der Geographie und Raumforschung 36, 17-19.

Regionales Fachdidaktikzentrum Geogra-phie und Wirtschaftskunde an der Uni-versität Graz: http://gw.didaktik-graz.at

Schulatlas Steiermark: www.schulatlas.at Universität Graz, 2006: Karl-Franzens-

Universität Graz. Entwicklungsplan Stufe II 2007-2009 mit strategischem Ausblick bis 2012. – Unpubl. Entwurf des Rektorats, Graz, 34 S.

Universität Graz 2008: Einrichtung eines fakultären Zentrums URBI: Fachdi-daktikzentrum Geographie. - Mittei-lungsblatt der Karl-Franzens-Universität Graz, 18 (Studienjahr 2007/08), vom 6.2.2008, 242: www.uni-graz.at/zvwww/miblatt.html

http://gw.didaktik-graz.at

Auch Vizerektor Polaschek war unter den anwesenden Gratulanten

SCHWERPUNKT FACHDIDAKTIK

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GeoGraz 42 - 2008

GEO-SPATIAL-TECHNOLOGIES - ein interuniversitäres MasterstudiumMit der Umsetzung des „bologna Prozesses“ werden in Österreich die traditionellen diplom- und Magisterstudien von bachelor- und Masterstudien abgelöst. das Institut für Geographie und raumforschung hat mit dem Winter-semester 2005 ein sechssemestriges bachelorstudium „Geographie“ und zwei vier semestrige Masterstudien-programme: „Klima- und Hochgebirgsgeographie“ und „Nachhaltige Stadt- und regionalentwicklung“ umgesetzt (siehe beitrag von H. Wakonigg in den Grazer Mitteilungen der Geographie und raumforschung, Heft 38, März 2006). Seit dem WS 2007/08 kann noch ein weiteres Masterstudium im Anschluss an das bachelorstudium gewählt werden. Mit Geo-Spatial-Technologies wird nun ein gemeinsames Studium mit der Technischen Universität

WoLfGANG SULZer

Nawi Graz – kompetenz hoch zwei

Im Rahmen von NAWI Graz bündeln die Karl-Franzens-Universität und die TU Graz ihre Kompetenzen in den Naturwis-senschaften: Gemeinsame Bachelor- und Masterstudien, eine gemeinsame Dok-toratsausbildung im Rahmen der „Graz Advanced School of Science“ (GASS) und gemeinsame Forschungsaktivitäten bilden die Hauptsäulen der österreichweit einzigartigen Kooperation. Für die Stu-dierenden bedeutet diese umfassende stra-tegische Kooperation in Forschung und Lehre vor allem eines: Profitieren von den Spitzenleistungen und den Kompetenzen zweier Universitäten! Die Kooperation er-streckt sich auf die Fachbereiche Chemie, Technische und Molekulare Biowissen-schaften, Mathematik, Physik und Geo-wissenschaften (www.nawigraz.at).

Von der idee bis zur umsetzung

An beiden Universitäten sind die Basisfä-cher GIS, Fernerkundung und Kartogra-phie sowohl in der Lehre als auch in der Forschung fest verankert. Dadurch ergaben sich schon in den letzten Jahren intensive Kontakte und Kooperationen, dutzende Studierende nützten das Angebot an bei-den Universitäten, um ihre Kompetenzen in den geographischen Technologien zu vertiefen. Mit dem Universitätslehrgang „Space Sciences“ wurde bereits 2003 mit im Bereich Fernerkundung (Remote Sensing) ein universitätsübergreifender Schwerpunkt angeboten. Gemeinsam or-

ganisierte Sommerschulen „Graz in Space“ haben die Kooperation vertieft.Durch die veränderten gesetzlichen Rah-menbedingen im UG 2002, die interuni-versitäre Studien ermöglichen, nahm man im Oktober 2005 die Umsetzung in ein gemeinsames Masterstudium in Angriff. Recht rasch konnte man sich auf den In-halt und auf die beteiligten Fachbereiche einigen. Nur die konkrete Ausformulie-rung des Studienplanes gestaltete sich als sehr aufwändig, da trotz NAWI Graz unterschiedliche Satzungen der Universi-täten vereint werden mussten. So dauerte es bis Juni 2006, bis das Curriculum von beiden Senaten genehmigt wurde und ab WS 07 in Kraft treten konnte.Folgende Institute sind am Studium betei-ligt: • Institut für Geographie und Raumfor-

schung • Institut für Geoinformatik• Institut für Photogrammetrie und Fer-

nerkundung• Institut für Navigation und Satelliten-

geodäsie

Geo-spatial-technologies

Als Bezeichnung für das Masterstudium wurde „Geo-Spatial-Technologies“ ge-wählt, um sich auch im Sinne einer In-ternationalisierung der Universität nach außen hin zu positionieren. Die Kombi-nation geographisch ausgerichteter Tech-nologien mit technischen Wissenschaften ist einzigartig in der europäischen Univer-sitätslandschaft. In Graz wird ein Weg in

Forschung und Lehre beschritten, worin sich die Vor- und Nachteile der beteiligten Studienrichtungen komplementär ergän-zen und somit ein einzigartiges Master-studium angeboten wird.Die „Erde“ und der „verortete Raum“ ste-hen im Zentrum des neuen Masterstu-diums Geo-Spatial-Technologies. Dabei geht es darum, die Welt zu beschreiben und zu analysieren, wobei in dieser Diszi-plin die Methoden der Geographie und der Geodäsie (Vermessung) in den Bereichen Geographischer Informationsverarbei-tung, Fernerkundung und Kartographie miteinander verbunden werden. Daraus gehen zahlreiche praktische Anwen-dungen hervor, die uns im täglichen Le-ben mit geographischen und geodätischen Informationen versorgen. Mit Geo-Spa-tial-Technologies lässt sich aber noch viel mehr erforschen: Veränderungen der Umwelt können damit ebenso beobachtet werden wie die räumliche Entwicklung von Städten und Ballungsräumen. Daraus lassen sich Prognosen für die Zukunft ab-leiten, die wiederum die Basis für künftige Maßnahmen zum Wohl der Umwelt und der Menschen sein werden.Voraussetzung für das Studium Geo-Spa-tial-Technologies ist ein abgeschlossenes Bachelor- und/oder Diplomstudium in den Studienrichtungen Geographie, Um-weltsystemwissenschaften (mit Schwer-punkt Geographie) oder Geomatics Engi-

ZUM AUTor

BEITRÄGE

Wolfgang Sulzer, Assistenzpro-fessor am Institut für Geogra-phie und Raumforschung der Universität Graz, war treibende Karft bei der Umsetzung dieses interuniversitären Masterstudi-ums. Seine Schwerpunkte liegen in der Fernerkundung und in der Physiogeographie.

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neering. Absolventinnen und Absolventen anderer Studienrichtungen können mit definierten Zusatzqualifikationen eben-falls auf Antrag „Geo-Spatial-Technolo-gies“ studieren.Folgende Kompetenzen werden im Ma-sterstudium vermittelt:• Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der erdgebundenen bzw. luft-/weltraum-gestützten Vermessung und Abbildung der Erdoberfläche, der Produktion kar-tographischer Grundlagen und Luft- und Satellitenbildkarten sowie der 3-D Daten-grundlagen;• Kenntnisse über Aufbau und Arbeits-

weise, Methoden und Algorithmen in den Bereichen GIS, Fernerkundung und digitale Kartographie;

• Kenntnisse über Aufbau und Arbeits-weise, Methoden und Algorithmen von Navigations- und Positionierungssy-stemen sowie ihrer Anwendung in der Datenakquisition;

• Kenntnisse über Datenakquisition, Datenmanagement, Datenprozessierung und Veredelung von Daten und Daten-diensten sowie zu Fragen der Qualitäts-sicherung;

• Kenntnis der relevanten Theorien, Me-thoden und Techniken der Human- und Physiogeographie;

• Förderung der Fähigkeit zur synop-tischen und differenzierten Betrachtung des Raumes und seiner Komponenten, zur visuellen und computergestützten Analyse und zur Modellierung räum-licher Sachverhalte und ihrer Zusam-menhänge.

Was man mitbringen sollte …Geo-Spatial-Technologies – der Studien-name zeigt bereits: Englisch ist eine abso-lute Notwendigkeit. Denn auch die Geo-wissenschaften werden zukünftig immer stärker international und interdisziplinär ausgerichtet sein. Die Arbeit in diesen Teams erfordert nicht nur eine hohe fach-liche Kompetenz, sondern auch die Fä-higkeit, in multidisziplinären Kontexten zu agieren. Als Voraussetzungen dafür sollten Weltoffenheit, Kommunikations-freude und Teamfähigkeit ins Studium mitgebracht werden. Durch die doch recht unterschiedlichen Vorstudien an der TU und an der KFU wird es notwendig sein, sich spezielles Wissen und Fertigkeiten des anderen Vorstudiums anzueignen (s.u.).... und was geboten wirdDas NAWI-Studium Geo-Spatial-Tech-nologies bietet eine ganze Menge an Vor-teilen:• ein fokussiertes Fachstudium• modern ausgestattete Laborplätze• ein hoch motiviertes Team an Leh-

renden• persönliche Betreuung• frühzeitige Einbindung in aktuelle

Forschungsgebiete• gute Aussichten am Arbeitsmarkt

der studienplan

Das naturwissenschaftliche Masterstu-dium Geo-Spatial-Technologies umfasst 4 Semester und besteht aus einem Studi-enabschnitt. Der Gesamtumfang beträgt 120 ECTS-Credits/Anrechnungspunkte

(ECTS-Cr/A). Absolventinnen und Ab-solventen wird der akademische Grad „Master of Science“, abgekürzt „MSc“, verliehen.Für das Masterstudium Geo-Spatial-Technologies sind gewisse fachliche Vor-kenntnisse dringend empfohlen: • Grundlagen der Fernerkundung und

Photogrammetrie • Grundlagen Geographischer Informati-

onssysteme • Geo-Mathematik • Datenbanken • Bezugssysteme • Satellitengestützte Positionierung • Grundlagen der Kartographie • Human- und Physiogeographische

Grundlagen.Es wird empfohlen, je nach abgeschlos-senem Bakkalaureats- bzw. Bachelorstu-dium im Rahmen der Wahlpflichtfächer/Gebundenen Wahlpflichtfächer bzw. der Freien Wahlfächer/Freien Wahllehrver-anstaltungen etwaige fachliche Defizi-te auszugleichen. Konkret sind folgende Lehrveranstaltungen empfohlen:• Satellitengestützte Positionierung; 2

KSt / 2,5 ECTS-Cr/A • Einführung Photogrammetrie; 2 KSt /

3 ECTS-Cr/A • Kartographie 1 (Kartengestaltung und

Geokommunikation) 2 KSt / 3 ECTS-Cr/A

• Kartographie 2 (Grundlagen der multimedialen Kartographie) 2 KSt / 3 ECTS-Cr/A

• Bezugssysteme; 2 KSt / 2,5 ECTS-Cr/A

ZUM AUTor

BEITRÄGE

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GeoGraz 42 - 2008

• Datenbanken; 2 KSt / 3 ECTS-Cr/A • Geo-Mathematik; 4 KSt / 5 ECTS-

Cr/A • Einführung in die Physiogeographie (1

und 2) 4 KSt / 6 ECTS-Cr/A • Einführung in die Humangeographie (1

und 2) 4 KSt / 6 ECTS-Cr/A.Die Prüfungsfächer für das Masterstudi-um gliedern sich in folgende Gruppen:• Datenakquisition und Management:

Hier werden wichtige Grundlagen und Vertiefungen der Akquisition und des Managements von Fernerkundungs- und GIS-Daten vermittelt.

• Analyse: Hier werden Methoden der Bildverarbeitung, Photogrammetrie, Fernerkundung und der Verarbeitung von Geoinformationen vermittelt, wobei besonderes Augenmerk auch auf anwen-dungsbezogene Aspekte dieser Techno-logien gelegt wird.

• Präsentation und Visualisierung: Hier findet eine besondere Vertiefung der Kenntnisse hinsichtlich der Präsenta-tion und Visualisierung von GIS- und Fernerkundungsdaten statt.

• Wahlpflichtfächer / Gebundenes Wahlpflichtfach: Wahlpflichtfächer vermitteln vertieftes Wissen in den gewählten Fachbereichen und den ihnen zu Grunde liegenden Theorien. Die Fächer sind thematisch eng an das Mas-terstudium Geo-Spatial-Technologies geknüpft.

• Projektpraktikum: Das Projektprak-tikum dient der Vertiefung der Fähig-keiten mit einem integrativen Ferner-kundungs- und GIS-Inhalt, wobei auf das Management in vernetzter Umge-bung besonders geachtet wird.

Fachgebiet Lehrveranstaltung TU Graz KFU Graz ECTSges.

Semester (ECTS)

KSt Typ ECTS KSt Typ ECTS I II III IV

A Datenakquisition und Management

A.1 Datengewinnung und Schnittstellen 2 2UE/PK 3 3

A.2 Navigationssysteme 2 2VO 4 4

A.3 Location Based Services 3 3VU 6 6

A.4 Metadaten 1 1VO 2 2

Zwischensumme 6 12 2 3 15 9 4 2

B Analyse

B.1 GIS – Analysetechniken 1 2 1VO/1UE 4 4

B.2 GIS – Analysetechniken 2 2 1VO/1UE 4 4

B.3 Fernerkundungsanalysetechniken 1 2 1VO/1KU 4 4

B.4 Fernerkundungsanalysetechniken 2 2 1VO/1UE 4 4

B.5 Anwendungen der Fernerkundung 1 2 2VO 4 4

B.6 Anwendungen der Fernerkundung 2 6 3VO/3UE 9 3 6

Zwischensumme 6 12 10 17 29 8 11 4 6

C Präsentation und Visualisierung

C.1 GIS und Internet 3 2VO/1UE 5 5

C.2 Kartograph. Informationssysteme (Kartographie 3) 2 2VU 3 3

C.3 3d-Visualisierung 2 1VO/1KU 3 3

Zwischensumme 2 3 5 8 11 6 5

D Projektpraktikum

D.1 Projektpraktikum 1 4 4VU 4 4 4

D.2 Projektpraktikum 2 4 4PK/UE 4 4 4

Zwischensumme 4 4 4 4 8 4 4

E Wahlpflichtfächer/Gebundenes Wahlpflichtfach 15 6 5 2 2

F Freie Wahllehrveranstaltungen 12 7 4 1

G Masterarbeit 30 15 15

Summen 18 31 21 31 120 30 30 30 30

Die abschließende kommissionelle Prüfung besteht aus • einer Präsentation der Masterarbeit (max. 20 Minuten) • der Prüfung aus dem Fach der Masterarbeit und • einer Prüfung über ein Fachgebiet, welches in einem unmittel-

baren fachlichen Zusammenhang mit der Masterarbeit steht.

Das Thema der Masterarbeit muss aus den Prüfungsfächern • Akquisition und Management • Analyse • Präsentation und Visualisierung gewählt werden.

Das Curriculum findet sich im Volltext unter: www.uni-graz.at/geowww

BEITRÄGE

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• Freie Wahlfächer (KFU GRAZ) / Freie Wahllehrveranstaltungen (TU Graz): Freie Wahlfächer sind jene Lehrveran-staltungen, die die Studierenden frei aus dem Lehrangebot aller in- und auslän-dischen Universitäten wählen können und über die Prüfungen abzulegen sind. Es können auch Lehrveranstaltungen gewählt werden, die die Pflichtlehrver-anstaltungen im Hinblick auf Wis-sensabrundung oder Schwerpunktset-zung sinnvoll ergänzen.

die arbeit im Bereich Geo-spatial-technologies

Der Abschluss des Masterstudiums Geo-Spatial-Technologies ermöglicht eine be-rufliche Laufbahn in unterschiedlichen Bereichen. In Verbindung mit einem wei-terführenden Doktoratsstudium steht der gesamte Sektor der Forschung und Leh-re offen. Viele Berufsfelder mit digitalem Raumbezug erschließen sich den Absol-ventinnen und Absolventen. Besonders nachgefragt sind darüber hinaus Geo-Spatial-Technologies-Expertinnen und -Experten bei zahlreichen nationalen und internationalen Unternehmen, die für ihre Produkte spezialisiertes geographisch-ge-odätisches sowie informatisches Wissen und Know-how benötigen.Die Absolventinnen und Absolventen sind auch zur Mitarbeit in einem multidiszipli-nären, computergestützt arbeitenden For-schungs- oder Beraterungsteam mit fol-genden Arbeitsschwerpunkten befähigt:• Entwicklung und Anwendung compu-

tergestützter Geographischer Informa-tionssysteme, Nutzung von GIS- und Fernerkundungswerkzeugen für die Analyse komplexer, raumbezogener/erd-bezogener Zusammenhänge;

• strategisches Management natürlicher und anthropogener Ressourcen;

• Problemidentifikation, Beitrag zur Ent-wicklung von Problemlösungen zur Un-terstützung von Planerinnen/Planern, politischen Entscheidungsträgerinnen/Entscheidungsträgern und NGO’s in Marketing und Demographie;

• Konzeption, Design und Implementie-rung von Visualisierungsmöglichkeiten mittels Karten und anderen multimedi-alen Kommunikationsmitteln (komplexe Kommunikationssysteme).

(eX)-GeOGraZer im Por trait

Die Leidenschaft für die Naturwissenschaft entdeckte Andreas Kuchler schon in frühen Kindheitstagen, als er gemeinsam mit sei-nem Vater ein Biotop anlegte und die erste Amphibienschutzaktion Österreichs startete. Und mit seinem Pioniergeist übernimmt er auch die Vorreiterrolle für unsere neue Rubrik „(Ex)-GeoGrazer“. Als Sohn eines der ersten Umweltjournalisten Südösterreichs wuchs Kuchler in der Kärnt-ner Gemeinde Wernberg auf, in einer Zeit, als das Thema Umwelt- und Naturschutz im Rahmen der Renaturierung der Drau hoch im Kurs stand, was ihn für die Thematik Natur sensibilisierte und sein ökologisches Grund-verständnis verankerte. Die eigentliche Entscheidung auch beruflich dort Fuß zu fassen, fiel erst in der Zeit zwi-schen Bundesheer und Studienbeginn. Ein Jahr, in dem er Obst und Gemüse transpor-tierte und als Journalist für die Kärntner Tages-zeitung arbeitete. In seiner medialen Tätigkeit erzählte er über Menschen, schrieb über gute und schlechte Geschichten. Der beobachten-de Part reichte ihm schlussendlich nicht aus, er wollte etwas Pro-Aktives machen. Im damals noch individuellen Studium Umweltsystem-wissenschaften Fachschwerpunkt Geographie an der Uni Graz sah er seine Chance dazu: „... ich würde mich jederzeit wieder für diese Ausbildung entscheiden.“ USW gab ihm die Möglichkeit, neben der Naturwissenschaft seine Kompetenzen auch in der italienischen Sprache und der Medien-kommunikation zu verstärken, womit er sich bereits während des Studiums ein zweites Standbein schuf. Sprungbrett von der Theorie in die Praxis war die Diplomarbeit, die er aufgrund des großen Interesses über 50mal an Gemeinden und Landesregierung verkaufte. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem UVP-Verfahren als eines der Kernthemen, war für die VER-BUND-Umwelttechnik ausschlaggebend, um ihn mit an Bord zu nehmen. „Ich mache jetzt in der Praxis eigentlich genau weiter wie im Studium – alles und nichts.“ Und das meint er im positivsten Sinne. „Bei meiner Bewerbung kam das Argument – ‚sie gehen ja nirgends

in die Tiefe’ – aber ich möchte auch nicht in die Tiefe gehen, weil ich mich als übergeord-neter Manager von unterschiedlichsten Sy-stemen wie z.B. UVPs sehe.“ Seine wissen-schaftliche Breite spiegelt sich auch in seinen Einsatzgebieten wieder, die weit über UVPs hinausgehen und vom Forschungsmanage-ment über PR bis hin zu Entsorgungswirt-schaft, Regionalentwicklung und Naturschutz reichen. Das Verständnis für verschiedene Teildisziplinen, zu wissen wie sie funktionie-ren und interagieren, ermöglicht es ihm zu koordinieren, den Überblick zu bewahren und vor allem zu vermitteln. „Und die not-wendige Spezialisierung passiert dann, wenn ich sie tatsächlich brauche.“ Wo sieht Kuchler die Zukunft der Geographie? „Sie ist eine le-bendige, zeitgemäße Wissenschaft, mit wich-tigen Anknüpfungspunkten in der Wirtschaft, die aktuell gebraucht wird.“ Es sind die vielen Teilaspekte, welche die Geographie auszeich-nen und auch vom Institut zunehmend als Kooperationsmöglichkeiten mit Gemeinden, Institutionen oder Firmen genutzt werden.Seine erworbenen Hard- und Softskills nutzt der engagierte Kärntner aber nicht nur im Beruflichen. Seit etwa 15 Jahren ist auch hu-manitär engagiert. Gemeinsam mit einer klei-nen Gruppe organisiert er Hilfslieferungen in die Region Transkarpatien (Westukraine) um dort besonders bedürftigen Mitmenschen und Sozialinstitutionen den Lebensalltag zu erleichtern. Visionen haben, Veränderungen annehmen und seine Umwelt aktiv mitgestalten bleibt eine wesentliche Grundeinstellung im beruf-lichen Werdegang: Mit 1. April 2008 wech-selt er in das Büro des Vorstandes der VER-BUND-Austrian Hydro Power AG. Kuchler übernimmt die übergeordnete Koordination aller Neubauprojekte im Bereich Wasserkraft und kann damit seine Managementqualitäten und seine Interdisziplinarität verstärkt einset-zen. Eine weitere Sprosse auf der Karriere-leiter? „Ich habe mir darüber Gedanken ge-macht, was Karriere für mich bedeutet: Es ist auf Dauer beständig und zuverlässig gute Qualität zu bringen.“

Studium: Individuelles Diplomstudium USW - Fachschwerpunkt GeographieDiplomarbeit: Ökologie und Ökonomie im Spannungsfeld – Der Standort Arnoldstein als Chance für grenzüberschreitende Impulse, 2002

Aktuelles Berufsfeld: VERBUND-Umwelttechnik GmbHLiteraturtipp: VESTERS, F., 2007: Die Kunst vernetzt zu denken – Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität.

MAG. ANdreAS KUCHLer

1�

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GeoGraz 42 - 2008

Planungswerkstatt. Zeit für Graz Bürgerinnenbeteiligung im rahmen der werkstatt Graz

frANZ brUNNer

1. einleitung

Die Stadt Graz hat eine lange Tradition in der BürgerInnenbeteiligung. Einen er-sten Meilenstein stellte die Gründung des Büros für Bürgerinitiativen (als Unterab-teilung des Stadtbauamtes) 1974 dar. Be-trachtet man die Entwicklung genauer, so lassen sich vier Phasen im Rahmen dieser Beteiligungsprozesse seit den 1970er Jah-ren feststellen, wobei in der ersten Phase nur sehr rudimentäre Beteiligungsansätze zu finden sind (vgl. Bramreiter 1994, Konrad 2007, S. 3-6):

1. Veto-Initiativen – Protest im Nachhi-nein

2. Einbeziehen der BürgerInnen von Vornherein – vom Gegeneinander zum Miteinander

3. Von den BürgerInneninitiativen zu den initiativen BürgerInnen

4. BürgerInnenmitbestimmung.

In diese vierte Phase, die etwa ab dem Jahr 2000 anzusetzen ist, fällt nun auch die Werkstatt Graz (Planungswerkstatt . Zeit für Graz), die nach dem Vorbild der Werkstadt Basel für Graz adaptiert wurde. In zwei Beteiligungsschritten, den Inno-vationswerkstätten und den Konsenskon-ferenzen, konnten BürgerInnen Themen für eine nachhaltige Stadtentwicklung erarbeiten. Dieser Generierungsprozess wurde mit Jahresende 2007 abgeschlos-sen und nun ist gleichsam die „Politik“ am Wort. Die Vorschläge der BürgerInnen harren einer Umsetzung.Diese zwei oben genannten Beteiligungs-formen (Innovationswerkstatt, Konsens-konferenz) werden nachfolgend genauer betrachtet und in gängige Beteiligungsmo-delle (Arnstein 1969, Lebensministeri-um 2005, Bischof et al. 2007, Selle 1996 und Trütken 2002) eingeordnet. Unter Beteiligung werden Prozesse der Kommu-nikation und Partizipation verstanden, die es BürgerInnen und VetreteterInnen von Interessensgruppen ermöglichen, sich bei Planungen und Entwicklungen im öf-fentlichen Bereich zu engagieren. Sie sind

auch wichtige Handlungsfelder der Nach-haltigen Entwicklung (Brunner 2007, S. 11). Entscheidend für die Beteiligung ist allerdings die Raumproduktion der Ak-teurInnen.

2. raumproduktion und kognitiver raum

Ich gehe davon aus, dass Raum sozial pro-duziert wird (Lefebvre 1991 und Wer-len 2000). Die alltägliche Raumproduk-tion der Individuen/AkteurInnen bedingt auch die Beteiligungsbereitschaft. Diese Raumproduktion beinhaltet nach Lefeb-vre (1991) drei Aspekte: Es ist dies der gelebte Raum, in dem unsere alltäglichen Handlungen verankert sind. Das sind die physisch-materiellen Gegebenheiten und die Bewegungen darin (Lebenswelt). Wir kennen uns „darin“ aus. Dazu kommt der repräsentierende Raum, das sind unsere Bedeutungszuschreibungen an den phy-sisch-materiellen Raum (Lebensstil). Da-raus folgt der dargestellte Raum als Re-präsentation des Raumes. Der Raum wird erst real, wenn er alle drei Aspekte der Raumproduktion umfasst (Jekel 2005, S. 45). Dieser dient damit als Grundlage für die Art und Weise der Beteiligung, sowohl was die Raumproduktion per se als auch das Handeln in Beteiligungsprozessen be-trifft.

�. Beteiligung

Wenn sich BürgerInnen als Einzelper-sonen oder BürgerInneninitiativen an einem (öffentlichen) Planungsvorhaben beteiligen, um ihre Interessen als Einzel-personen oder Gruppe wahrzunehmen, dann spricht man von BürgerInnenbeteili-gung. Öffentlichkeitsbeteiligung geht da-rüber hinaus und meint neben den Erstge-nannten auch VertreterInnen zusätzlicher Interessensgruppen (Umweltorganisati-onen, Vereine …), die stellvertretend die Anliegen ihrer Gruppe (als organisierte Öffentlichkeit) einbringen. Es sollen die Interessen aller Betroffenen eingebracht und vertreten werden (Lebensministeri-um 2005, S. 6).

Das grundlegende und wegweisende Werk zur Begriffserklärung von Partizipation/Beteiligung wurde 1969 von der US-Ame-rikanerin Sherry Arnstein vorgelegt, worin sie eine sehr kritische Position ein-nimmt. Sie analysierte viele Stadtentwick-lungsprojekte unter der Fragestellung, wie die Beteiligung der betroffenen Bürge-rInnen darin realisiert wurde. Ihr Haupt-kriterium ist die Verteilung von Entschei-dungsmacht. Sie sagt etwa, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem reinen Durchlaufen des Partizipati-onsrituals und dem wirklichen Verfügen über Macht zur Prozessbeeinflussung gibt (Arnstein 1969, S. 216) und meint, dass dies (ohne Macht) ein frustrierender Pro-zess sei.Arnstein (1969, S. 216ff) verdeutlicht ihre Analyse im Modell der Partizipa-tionsleiter mit 8 (Leiter)-Stufen in drei Gruppen:

1. Nicht-Beteiligung (Nonparticipation): Manipulation (1), Therapie (2), Infor-mation (3)

2. Schein-Beteiligung/Quasi-Beteiligung (Tokenism): Konsultation (4), Be-schwichtigung (5)

3. Partizipation/richtige Beteiligung (Citizen Power): Partnerschaft (6), delegierte Macht (7), BürgerInnenkon-trolle (8).

Bischof et al. (2007, S. 10f) und Selle (1996, S. 68f) unterscheiden bei Kommu-nikation (als Sammelbegriff für Beteili-gung) drei bzw. vier Schichten:

1. Information (Erkunden, Anhören)2. Partizipation/Beteiligung (2a An-

gebotsbeteiligung, 2b aktivierende Beteiligung)

ZUM AUTorFranz Brunner, Assistenzprofes-sor am Institut für Geographie und Raumforschung der Univer-sität Graz, ist Leiter eines von der der Stadt Graz (über Kam-pus Consulting) beauftragten Projektes zur Evaluierung und wissenschaftlichen Begleitung der Werkstatt Graz.

BEITRÄGE

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3. Kooperation (gemeinsame Problembe-arbeitung).

Trütken (2002, S. 9) spricht von:1. Kommunikation2. dialogischer Planung3. Kooperation.„Findet die Kommunikation nicht nur zu Werbezwecken statt, so funktioniert sie nicht mehr als Einbahnstraße, son-dern führt wieder zurück zur erneuten Erkundung der Interessen des Kommunikationspartners, sie mündet im Dialog. Geht die Kommunikation in eine dialo-gische Planung über, so kommt es häufig zum Einsatz informeller Verfahren der Bürgerbeteiligung. Die größte Intensität erreicht sie, sobald es sich um eine kooperative Planung handelt, bei der die Ko-operationspartner nicht nur an der Planung sondern auch an der Um-setzung beteiligt sind“ (S. 9).

Im Handbuch Öffentlichkeitsbe-teiligung des Lebensministeriums (2005, S. 9) wird unterschieden zwi-schen:

1. Information (Aushang, Wurfsen-dung, Informationsveranstaltung, öffentliche Einsichtnahme etc.)

2. Konsultation (Öffentliche Dis-kussionsveranstaltung, Befragung, BürgerInnenversammlung, Stel-lungnahmen etc.)

3. Mitbestimmung (Arbeitsgruppe, Runder Tisch, Planungszelle, Um-weltmediation etc.).

Bei den drei jüngeren Modellen (Bischof et al. 2007, Trütken 2002 und Lebens-ministerium 2005) kristallisieren sich dreistufige – nicht zwangsweise hierar-chische – Beteiligungsmodelle, die gut vergleichbar sind, heraus.

4. die werkstatt Graz (planungswerkstatt. Zeit für Graz)

Die Werkstatt Graz, so viel sei vorweg-genommen, war/ist ein breit angelegter BürgerInnenbeteiligungsprozess. Ein Jahr lang (Herbst 2006 – Herbst 2007) wurde versucht, mittels verschiedener Metho-den wie Informationen verschiedener Art, Festen (Infotainment), Innovationswerk-stätten und Kon-

senskonferenzen „an die BürgerInnen heran zu kommen“. Ausgangspunkt des Prozesses war eine von der Stadt Graz beauftragte Studie der Schweizer Beratungsfirma ECOS (2005, S. 3f.), die das Ziel der Werkstatt Graz fol-gend formuliert: „…einen öffentlichen Ver-ständigungs- und Einigungsprozess…(zu) lancieren, in dem konkrete, konsensfähige Maßnahmen zur Stärkung der Lebens-qualität und der Attraktivität der Stadt als Lebens-, Wohn-, Arbeits- und Freizeitort

formuliert werden, um das lokale Wissen und die Fähigkeiten von Einwohner/innen als Ressourcen für die Stadtentwicklung zu nutzen, Akzeptanz, breite Unterstüt-zung und damit eine erhöhte Wirksamkeit von Maßnahmen zu erreichen…und die Entscheidungsfindung und -umsetzung zu beschleunigen.“ Gefolgt ist man dabei dem Beispiel Basel, wo eine „Werkstadt“ als „Beteiligungsmodell“ in den 1990er Jahren beginnend, stattgefunden hat.Auf Basis dieser Studie wurde nach einer internationalen Ausschreibung 2006 die Bietergemeinschaft Kampus, Freiland, Luser, Wilder Mohn mit der Pro-zessdurchführung beauftragt (Kampus Consulting 2006).Den Kern der Beteiligungsmethoden bildeten neben zahlreichen Informa-tionen (Internet, Postwurfsendungen, Informationsbus, Infotainment,…) die Innovationswerkstätten und die Kon-senskonferenzen. Diese werden auch nachfolgend einer tieferen Betrach-tung unterzogen.Schließlich wurde dieser Prozess (wie bei der Bietergemeinschaft Kampus et al. beauftragt) im November 2007 mit einem „Fest der Grazer Ideen“ abgeschlossen, wobei die von den BürgerInnen erarbeiteten Projekte und Maßnahmen (Konsenspapiere) noch einer „Machbarkeitsbeurtei-lung“ durch städtische Ämter und Referate unterzogen wurden. Das bisherige Endergebnis stellt ein Abschlussbericht, das „Aktions-programm“, verfasst von der Bie-tergemeinschaft, dar (http://www.

zeit-fuer-graz.at).Eine Projektumsetzung steht derzeit noch aus. Darüber und auch über die einzelnen von den BürgerInnen erarbeiteten Projekte soll hier auch gar nicht diskutiert werden. Primär soll die Wertigkeit des Beteili-gungsprozesses besprochen werden.

4.1. innovationswerkstätten

Die Innovationswerkstätten, zu denen alle GrazerInnen aufgerufen/eingeladen

ZUM AUTor

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waren und die in allen 17 Stadt-Bezirken stattfanden, sind eine Form der Zukunfts-werkstätten, wie sie von Robert Jungk (Jungk u. Müllert 1989) entwickelt wurden. Interessierte BürgerInnen sollen in die Entscheidungsfindung mit einbezo-gen werden, die sonst nur PolitikerInnen, PlanerInnen oder ExpertInnen vorbehal-ten ist. Sie sollen eine spontane oder ge-plante Zusammenkunft von BürgerInnen, die sich beteiligen möchten, sein. Wichtig ist dabei die Einteilung des Prozesses in drei Phasen (S.104):

1. Beschwerde- und Kritikphase2. Phantasie- und Utopiephase3. Verwirklichungs- und Praxisphase.

Daraus sollen neue Kontakte und Erfah-rungen, neues Wissen, ein Gruppenkon-sens und eine Veränderung der Persön-lichkeit der TeilnehmerInnen entstehen (Jungk u. Müllert, 1989, S. 144).

Der Ablauf der Innovationswerkstätten ist nach ECOS (2005, S. 52) etwa analog dazu gegliedert in:

1. Kritikphase (Beschwerde deponieren)2. Utopiephase (Utopien für die Zukunft

des Bezirkes)3. Innovations-/Projektphase (Erarbeiten

der ersten Schritte, welche die Umset-zung der Utopien ermöglichen)

4. Schlussrunde (Feedback der Teilneh-merInnen).

In Graz wurde vom Team Kampus (Kam-pus 2006) eine etwas adaptierte Form, nach der Methode Marktplatz, angewen-det. Jedenfalls ergaben sich aus den sehr offenen (niedrigschwelliger Zugang, offene Kommunikation) Beteiligungsprozessen im Rahmen der Innovationswerkstätten (inklusive Jugend- und MigrantInnen-prozesse) etwa 1700 Vorschläge/Ideen für Graz.

4.2. konsenskonferenzen

Die 11 Konsenskonferenzen bauten zeit-lich, thematisch und personell (etwa 15-20 TeilnehmerInnen je Konferenz) auf den Innovationswerkstätten und Begleit-prozessen auf. Sie sind auch in das Modell Zukunftswerkstatt „integrierbar“. Die 11 Themen wurden daraus generiert. Personell stammte etwa die eine Hälfte der Teilneh-

merInnen aus den Innovationswerkstätten und Begleitprozessen, die andere wurde von Interessensgruppen gestellt.Das Ziel der Konsenskonferenzen war, möglichst innovative und konkrete Pro-jekte zu entwickeln und durch konsensuelle Entscheidungsfindung zu verabschieden. Sie stützten sich auf die Projektskizzen der Innovationswerkstätten.Konsens ist weder eine Einstimmigkeit noch ein Kompromiss. Es werden bei dieser Entscheidungsfindung die besten Lösungen ausgelotet, welche die Haupt-bedürfnisse aller Beteiligten decken. Ziel ist, dass sich alle mit der Umsetzung des Entscheids identifizieren können (ECOS 2005, S. 58). Dies eröffnet jedoch auch Fragen der Macht, die bei solchen Parti-zipationsprozessen auftreten können und einen Konsens „erzwingen“. Darüber kann hier aber nicht gehandelt werden.Die Themen der 11 Konsenskonferenzen (http://www.zeit-fuer-graz.at) und somit auch die erarbeiteten Problem-/Lösungs-bereiche der BürgerInnen waren:

1. Verkehrsberuhigung und Verkehrsin-novation

2. Pendeln, Parken und Öffentlicher Verkehr

3. Rad- und FußgängerInnenstadt Graz4. Grünstadt Graz5. Mur-Potenziale6. Nutzungskonflikte und Sicherheit in

Parks und auf öffentlichen Plätzen7. Jugend, Sport und Spiel8. Miteinander in Graz9. Straßen und Plätze zum Leben10. Wir sind die Stadt11. Projekt Direkt.

Daraus entstanden themenspezifisch 11 Konsensberichte.

�. einordnungsversuch in die Beteiligungsmodelle (vgl. kap. �)

Nach Bischof et al. (2007, S. 132 u. 138ff) werden Zukunftswerkstätten (dazu zählen auch die Innovationswerkstätten) und die Konsenskonferenzen (Bügergut-achten, Planungszelle) als Beteiligungsin-strument angesehen. Sie zählen damit zur „2. Schicht“, was im Modell (vgl. Selle 1996, S. 68f) nicht hierarchisch als Stufe im Sinne von mehr oder weniger Beteili-gung aufzufassen ist.Nach Trütken (2002, S.15) zählt die Pla-nungswerkstatt zur dialogischen Planung, die auf gezielt einzelne PartnerInnen (BürgerInnen) ausgerichtet ist. Es wurde dabei wiederum die 2. Stufe des Beteili-gungsprozesses erreicht.Nach dem Handbuch Öffentlichkeitsbe-teiligung (Lebensministerium 2005, S. 58ff.) zählt die Konsenskonferenz zur Stufe der Konsultation (2), die Zukunfts-werkstätten und damit die Innovation-werkstätten zur Stufe der Mitbestimmung (3). Im gesamten kann damit die Planung-werkstatt einer hohen Stufe der Beteili-gung zugeordnet werden.Wir sehen also in allen drei Modellen eine fast übereinstimmende Zuordnung.Betrachtet man die Werkstatt nach der Partizipationsleiter von Arnstein (1969, S. 218ff.), so bewegte sich die Werkstatt auf den Stufen Konsultation (4) und Be-schwichtigung (5), also Formen der Scheinbeteiligung und nur geringfügig in der Stufe Partnerschaft (6), die schon zur „richtigen“ Beteiligung zählt. Es ist aber anzumerken, dass das Arnstein-Modell sehr stringent bezüglich der Machtüber-tragung wertet.Die Planungswerkstatt „Zeit für Graz“, die neben der „Planungszelle Neutorgasse“ (http://www.forumb.de) in Graz den fort-geschrittenen Beteiligungsformen (vgl. Kap. 1) zuzurechnen ist, kann somit als Schritt in eine nachhaltige, von Kommu-nikation und Partizipation gekennzeich-nete Stadtentwicklung gesehen werden. Dies betrifft aber einstweilen nur den Pro-zess der Beteiligung. Die Umsetzung von Projekten und Maßnahmen muss erst er-folgen und kann als Nagelprobe für obige Feststellungen dienen.

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QUeLLeNVerZeICHNIS

Arnstein, S., 1969: A Ladder of Citizen Participation. – Journal of American Institute of Planers, 35/4, S. 216-229.

Bischof, A., Selle, K., u. Sinning, H., 2007: Informieren Beteiligen Kooperie-ren. Kommunikation in Planungsprozes-sen (KIP 1). – Dortmund.

Bramreiter, S., 1994: Umweltpolitik im Großraum Graz. – Graz.

Brunner, F., 2007: Partizipation in der nachhaltigen Stadtentwicklung am Beispiel Graz. – Grazer Mitteilungen der Geographie und Raumforschung 40, S.10-13.

ECOS, 2005: Bürgerbeteiligungsprozess für eine vitale Stadtentwicklung. – Unpubli-zierte Studie im Auftrag der Stadt Graz. Basel.

Jekel, T., 2005: Dreimal Standort. Zum Verhältnis von Raumkonzeptionen und Vermittlungsinteressen im GW-Unter-richt. – GW-Unterricht 100, S. 45-54.

Jungk, R., u. Müllert, N. R., 1989: Zu-kunftswerkstätten: Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. – München.

Kampus Consulting et al., 2006: Werk-statt Graz. Konzept und Kalkulation. – Graz (unpubliziert).

Konrad, O., 2007: BürgerInnenbeteiligung und -information in der Stadt Graz. – Unpubl. Seminararbeit am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz.

Lebensministerium (Hrsg.), 2005: Die Zukunft gemeinsam gestalten. Das Handbuch Öffentlichkeitsbeteiligung. – Wien.

Lefebvre, H., 1991: The Production of Space. – Oxford.

Selle, K., 1996: Von der Bürgerbeteiligung zur Kooperation und zurück. – In: Selle, K., (Hrsg.): Planung und Kommunikati-on. Wiesbaden und Berlin, S. 61-78.

Trütken, B., 2002: Bürgerbeteiligung Urban Graz West. Ein Leitfaden. – Für-stenau.

Werlen, B., 2000: Sozialgeographie. Eine Einführung. – Bern.

Internethttp://www.zeit-fuer-graz.at (Februar 2008)http://www.forumb.de (Februar 2008)

STUDIEREN AKTUELL

Schlusslicht Geographie

Etwa 450 Studierende kommen auf eine Professorin bzw. einen Professor, gut 180

Studierende auf eine habilitierte Mitarbeite-rin bzw. einen habilitierten Mitarbeiter. Diese Zahlen, wie sie auch Dekan Lenz bei seiner Ansprache im Rahmen der Fakultätseröffnung nannte, stellen der Umwelt-, Regional- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Graz (URBI) kein sonderlich gutes Zeugnis aus.Wer nun denkt, die Geographie sei davon weniger betrof-fen, irrt gewaltig. Bei genauer Betrachtung der Zahlen stellt sich das Institut für Geographie und Raumforschung sogar als fakultätsinternes Schlusslicht heraus. Berechnet man die Betreuungsrelationen, so kommen auf einen Professor bei-nahe 550 Studierende, auf einen Habilitierten (habilitierte Frauen gibt es am Institut leider noch nicht) noch immer etwas mehr als 180 Studierende. Berücksichtigt man auch Assistenten- und Assistentinnenstellen, so errechnet sich ein Betreuungsverhältnis von 1 zu 68. Ein Umstand, der insbesondere in Anbetracht der ständig steigenden Studie-rendenzahlen und der zunehmenden Differenzierung des Studienangebots doch zu denken geben sollte.Der merkbare Mangel an Personalressourcen stellt aber nicht nur aus Studierendensicht ein Problem dar, sondern bringt zweifelsohne auch die Lehrenden in eine prekäre Lage. Schließlich sind sie es, die den Lehrbetrieb für ins-gesamt doch deutlich mehr als eintausend Studierende aufrecht erhalten müssen. Gleichzeitig sollten sie natürlich – neben der Abhaltung von Lehrveranstaltungen, der Ab-nahme unzähliger Prüfungen sowie der Betreuung zahl-loser wissenschaftlicher Arbeiten – auch auf hohem Niveau forschen und im Idealfall jede Menge Drittmittel lukrieren. Ein fast aussichtsloses Unterfangen.Eine rasche Lösung dieses, natürlich nicht auf die URBI und auch nicht auf die Geographie beschränkten Problems scheint nicht in Sicht, ist die budgetäre Lage der Universi-täten doch „ein wenig“ angespannt. Nichtsdestotrotz ist es an der Zeit, auch seitens der Geographie den Unmut über die steigende Belastung offen zu artikulieren und Ver-besserungen einzufordern. Zahlreiche andere Institute, wie etwa die Erziehungswissenschaften oder die Psychologie, haben in den letzten Jahren aufgezeigt, dass sich mit ge-eintem und hartnäckigem Auftreten aller Betroffenen doch spürbare Verbesserungen erzielen lassen.

Sprechstunden im SS08Mo 12:00 - 14:00Do 11:30 - 12:30Jeweils im Zimmer der FV URBiim Erdgeschoss des ÖH-Gebäudes (Schubertstrasse 6a)Email: [email protected]: http://oeh-stv-geo.uni-graz.at

GerHArd SCHALCHerStudeinrichtungs-vertretung Geographie

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Albanien unbekanntes Land im südostenobwohl über Albanien relativ viele Vorurteile und Klischees herrschen, zählt das Land wohl zu den am wenigsten bekannten Ländern europas. der vorliegende Aufsatz soll einen kleinen geographischen und historischen Überblick über diesen südosteuropäischen Staat vermitteln. Zusätzlich wird dieses Teleskop mit erläuterungen über die be-deutung der religion, über die albanische Sprache sowie über die wirtschaftlichen Probleme des Landes ergänzt.

dIeTer fLeCK

ZUM AUTor1. „durch das Land der skipetaren“: klischees über albanien

Es wird wohl kaum ein Land in Europa geben, das so unbekannt ist und über das gleichzeitig so viele Stereotype und Vorur-teile herrschen wie über Albanien. Die Pa-lette reicht dabei vom Klischee des wilden,

kriegerischen, stolzen, gastfreundlichen und patriotischen Albaners bis zum vor-urteilsbeladenen Bild des blutrünstigen, rachsüchtigen, hasserfüllten, schießwü-tigen, unzivilisierten und primitiven Bal-kanbewohners. Diese Vorurteile entstanden hauptsächlich durch Reiseberichte west- bzw. mitteleu-ropäischer Reisender und Besucher Süd-osteuropas im 19. Jh. und wurden durch literarische Betrachtungen verstärkt (ver-gleiche dazu Arapi 2005). Als bestes Bei-spiel der literarisch verzerrten Darstellung können wohl Karl Mays Romane „Durch das Land der Skipetaren“ oder „Der Schut“ dienen, die das deutschsprachige Albani-enbild stark geformt haben. Darin skizziert

der Autor, obwohl er nie in Albanien war, die Albaner als feindselige Bergbewohner, deren „Inneres von tiefen Spalten und Ris-sen durchzogen (ist), in deren Gründen die Wasser des Hasses, der Rache und des un-versöhnlichen Zornes schäumen“ (zitiert nach Schmidt-Neke 1994).Bis heute hat sich nichts Grundsätzliches

an diesem primär im 19. Jh. entstan-denen Albanien-bild geändert (Abb. 1). In der jüngeren Ve r g a n g e n h e i t wurde es lediglich durch spärliche Be-richte in den Me-dien ergänzt, die von Schlagwörtern wie Drogen- bzw. Menschenhandel, Korruption, Ar-mut, Gesetzlosig-keit oder Blutrache (Essler 2004) cha-rakterisiert sind.All diesen Berich-

ten, Beschreibungen und Schilderungen ist es eigen, dass sie eine Außensicht darstellen, also dass das Albanienbild im Westen konstruiert und gesteuert wurde (Arapi 2005). Dies gilt übrigens nicht nur für Albanien, sondern für ganz Südosteu-ropa oder eben den „Balkan“, dessen Name die meisten der bereits genannten Vorur-teile gleichsam inkludiert. Dieses vom Westen geprägte Albanien- bzw. Balkanbild dient bis heute als kon-struiertes Gegenstück zum zivilisierten Europa, als barbarischer Hort der Unver-nunft, des Hasses und der Stammesfeh-den. Südosteuropa wird als böser Wider-part Europas hoch stilisiert, in dem alles rückständig und barbarisch ist, um eben

andererseits das Bild des demokratischen, humanen und fortschrittlichen (West- und Mittel-) Europa besser darstellen zu können (Detrez 2001).Dabei wird die simple geographische Tat-sache der Zugehörigkeit Albaniens zu Eu-ropa sehr oft ignoriert – immerhin wurde im Jahre 1995 die Lage Albaniens in Eu-ropa „bestätigt“, indem es als 35. Mitglied im Europarat aufgenommen wurde (zur Verdeutlichung: von Graz liegt die Grenze Albaniens ca. 900 Straßenkilometer ent-fernt; Hamburg oder Brüssel jeweils rund 1.100 km).

2. Zwischen Meer und Gebirge: ein geographischer Überblick

Wie bereits dem vorangegangenen Kapitel zu entnehmen ist, liegt Albanien im west-lichen Teil Südosteuropas (häufig wird von Politikern und Journalisten auch die irreführende Bezeichnung „Westbalkan“ genannt) und grenzt im Norden an Mon-tenegro, im Nordosten an den Kosovo, im Osten an Makedonien und im Südosten an Griechenland. Im Westen erstreckt sich das Land bis zum Adriatischen bzw. im Südwesten bis zum Ionischen Meer.Dem Klischee der „wilden Bergbewohner“ entspricht die Tatsache, dass Albanien zum überwiegenden Teil von Bergländern geprägt wird: Der Norden, Osten (zen-traler Teil) und Süden, in Summe rund

abb. 1: Der Tragesel bestätigt wohl für viele das Bild des armen, rückständigen „Balkanlandes“. In Wirklichkeit werden die Straßen Albaniens jedoch – um ein ganz junges Klischee über Albanien zu bedienen – von Automobilen der Marke Mercedes dominiert.

Dieter Fleck, Absolvent unseres Instituts und vielfacher Autor für GeoGraz, ist als Regionalplaner im Büro Regi-onalentwicklung ZT Tischler tätig. Ostmittel-, Südost- und Osteuropa sind seine bevor-zugten Reiseziele.

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ZUM AUTordrei Viertel der Landesfläche, ist überwie-gend gebirgig. Albanien lässt sich somit in 4 Großlandschaften gliedern (Berxholi 1996 und Abb. 2).Im Norden setzen sich die Dinariden in den so genannten Albanischen Alpen (Al-banisch: Alpet; serbisch: Prokletije) fort, die im Berg Jezercës (2694 m) kulminie-ren und überwiegend aus karbonatischen Gesteinen aufgebaut sind.Der Osten bzw. zentrale Teil Albaniens besteht primär aus Nord-Süd gerichteten Gebirgsketten, die teils durch Längstal-furchen (z.B. das Tal des Schwarzen Drin) und teils durch Ost-West gerichtete Quer-täler (z.B. das Tal des Shkumbin) in zahl-reiche Bergstöcke (charakterisiert durch eine bunte Gesteinsvielfalt) gegliedert ist. Der Grenzberg Golemi Korab, 2753 m, ist der höchste Berg Albaniens und Makedo-niens.Im Süden hat Albanien Anteil am Südost-Nordwest streichenden Epirus-Gebirge (Abb. 3), dessen Hochgebirgscharakter durch die Dominanz von karbonatischen Gesteinen unterstrichen wird, und dessen höchste Erhebung auf albanischem Boden der 2486 m hohe Dritës ist. Da das Epi-rus-Gebirge im Westen bis zum Ionischen Meer reicht, befindet sich dort die einzige Steilküste Albaniens („Albanische Rivie-ra“).Im Westen, am Adriatischen Meer gele-gen, liegt das Tiefland Albaniens (Abb. 4), ein unterschiedlich breites Schwemm-land, das knapp ein Viertel der Landesflä-che einnimmt und den Zentralraum des Landes beherbergt. Alle Großstädte haben sich dort entwickelt: Shkodër im Norden, Tirana im Osten am Übergang zum ge-birgigen Teil Albaniens, Durrës und Vlorë im Süden, beide an der Adria gelegen.

�. Zwischen illyrien und eu-annäherung: historischer Überblick

Beim Studieren der (spärlichen) Infor-mationen über Albanien fällt auf, dass im ganzen Land zahlreiche archäologische Fundstellen als die großen Sehenswürdig-keiten des Landes touristisch inszeniert werden. Von den rund 200 Ausgrabungen (von Kohl 1998, 38) mögen Butrint

(bedeutende Reste der illyrischen Stadt Buthrotum im Süden von Albanien, seit 1992 UNESCO-Weltkulturerbe), Byl-lis (eine einst riesige illyrische Festung), Apollonia (bedeutende antike Stadt an der ehemaligen Mündung des Vjosa in die Adria) oder das römische Amphitheater der Stadt Dyrrachium in Durrës (Abb. 5) genannt werden. Das besondere alba-nische Interesse an der Archäologie wurde von den kommunistischen Machthabern

abb. 2: Landschaftsgliederung Albaniens. (Entwurf: FlecK, in Anlehnung an Berxholi 1996)

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unter Enver Hoxha besonders gefördert und sollte beweisen, dass die Albaner von den Illyrern abstammen (von Kohl 1998: 38).Die Abstammung der Albaner von den Il-lyrern gilt zwar als wahrscheinlich (womit die Albaner zu Recht behaupten, eines der ältesten autochthonen Völker Europas zu sein), sonst ist aber nur wenig über weite Teile der Geschichte der Albaner und Al-baniens bekannt.Eine der bedeutendsten historischen Fi-

guren Albaniens, die bis zum National-helden hoch stilisiert wird, ist Gjergj Ka-strioti, besser bekannt unter den Namen Skanderbeg bzw. Skënderbeu (Abb. 6). Er verstand es, in der ersten Hälfte des 15. Jhs. die zahlreichen rivalisierenden albanischen Clans im Kampf gegen die Türken zu einen. Über 20 Jahre konnte er den Türken Paroli bieten und ihnen einige empfindliche Niederlagen zufügen. Der Siegeszug der Osmanen in Südosteuropa wurde durch Skanderbeg zwar nicht ver-

hindert, aber er schaffte es immerhin ihn zeitlich zu verzögern. Aufgrund seiner militärischen und diplomatischen Fähig-keiten wurde er in der christlich-europä-ischen Welt bewundert und verehrt; für die Albaner stellt er den Helden schlechthin dar; sein Banner wählten die Staatsgrün-der auch zur offiziellen Fahne Albaniens.Nach dem Tod Skanderbegs brach der Wi-derstand gegen die Türken rasch zusammen und das Territorium Albaniens wurde für knapp 6 Jahrhunderte osmanisch. Im 19.

Jh. entstand – dem europäischen Zeitgeist entsprechend – auch unter der albanischen Elite eine Bewegung der kulturellen und nationalen Erneuerung, die „Rilindija“ genannt wurde („ri“ bedeutet neu, wieder, jung; „lindija“ Geburt). Der Schwerpunkt der Rilindija-Bewegung lag vorerst bei der Bildung und Kultur; insbesondere bei der Schaffung einer Schriftsprache.Gegen Ende des 19. Jhs. rückte immer mehr der politische Kampf um die staat-liche Unabhängigkeit in den Mittelpunkt,

wobei die Albaner dabei nicht nur gegen das Osmanische Reich ankämpfen muss-ten, sondern auch gegen die benachbarten politischen Kräfte in Montenegro, Serbien und vor allem Griechenland. Nach diplomatischen Besuchen des alba-nischen Führers Ismail Qemali in Wien und Budapest war es im Jahre 1912 so weit: In der Küstenstadt Vlorë wurde der Staat Albanien gegründet (Zeitgenossen bezeichneten den neuen europäischen Staat als „das uneheliche Kind Österreich-

Ungarns mit Italien als Hebamme“).Noch vor dem Ersten Weltkrieg mar-schierten serbische und griechische Trup-pen in Albanien ein; während des Krieges wurde das Land von den kriegsführenden Mächten besetzt und damit Kriegschau-platz – ohne am Krieg teilgenommen zu haben.Während der Zwischenkriegszeit – die staatliche Unabhängigkeit wurde 1919 im Vertrag von Tirana bestätigt – gelangte allmählich Ahmet Zogu an die Macht,

abb. �: Das bis zu 2013m hohe Çikes-Gebirge, ein Teil des Epirus, dessen Südwesthänge die Steilküste zum Ionischen Meer hin bilden; von der Südzufahrt des Logarase-Passes aus gesehen.

abb. 4: Blick von der Festung Berat auf das Tal des Osum und ins Albanische Tiefland. Gut erkennt man auf diesem Foto die planlose Zersiedlung bzw. rege Bautätigkeit.

abb. �: Die Ausgrabungsstätte des römerzeitlichen Amphitheaters in Durrës.

abb. 6: Das Skanderbeg-Denkmal in Krujë. abb. �: Zwar wurden nach der Wende die Denkmäler an Enver Hoxha rasch entfernt, die Partisanendenkmäler erinnern aber weiterhin an den Abwehrkampf und die kommunistische Ära – in diesem Fall in Tirana.

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und zwar vorerst als Ministerpräsident (1922 bis 1924). Nachdem er nach blutigen Aufständen vertrieben worden war, konn-te er im Jahr 1925 mit militärischer Hilfe Jugoslawiens nach Albanien zurückkeh-ren, um sich vorerst zum Prä-sidenten der Republik und ab 1928 zum König des Landes zu küren. König Zogu I lehnte sich wirtschaftlich sehr stark an das faschistische Italien an, das jedoch in Albanien nur seinen kolonialen Hinterhof sah und daher nach einem provokativen Ultimatum im Jahr 1939 das Land okku-pierte.Im Zweiten Weltkrieg nah-men albanische Partisanen (Abb. 7) den Kampf vorerst gegen die italienischen Besat-zer und – nach der Kapitula-tion des faschistischen Italien – gegen die nachrückende deutsche Wehrmacht auf. Gleichzeitig kooperierte ein Teil der Albaner (vor allem bürgerliche, intellektuelle und christliche Kreise) mit den Italienern und Deutschen, zumal zu diesem Zeitpunkt das Kosovo mit dem albanischen „Mutterland“ poli-

tisch vereint war.Nach dem Sieg der kommunistischen Par-tisanen wurde im Jahr 1944 in Berat (Abb. 8) die erste kommunistische Regierung unter dem Partisanenführer Enver Hoxha gebildet. Die paranoide Ära des Diktators Enver Hoxha kann man in 4 Abschnitte gliedern: Vorerst bestand eine enge Bin-dung mit Tito-Jugoslawien (bis 1948); nach dem Bruch Titos mit Stalin wurde eng mit der Sowjetunion kooperiert (bis 1961); aufgrund der Abrechnung inner-

halb der Sowjetunion mit der Stalin-Ära beendete Enver Hoxha die Beziehungen zu den Warschauer Pakt-Staaten und nä-herte sich dem kommunistischen China an; und schließlich wurden Mitte der 70er

Jahre auch die Beziehungen zu China ab-gebrochen, nachdem die chinesische Füh-rung sich wieder der Sowjetunion annä-herte und mit Jugoslawien diplomatische Beziehungen aufnahm.Als Enver Hoxha im Jahr 1985 starb,

war das Land völlig isoliert; der Nachfol-ger Ramiz Alia leitete allmählich einige Kurskorrekturen ein. Als im Jahr 1991 die erste Massenflucht eingesetzt hatte und es in Tirana zu Ausschreitungen gekom-men war, wurden die ersten freien Wahlen abgehalten, womit die historische Wende auch in Albanien vollzogen wurde. Das Land bekam eine neue demokratische Verfassung, die die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte garantieren soll.Trotz zahlreicher politischer und wirt-

schaftlicher Probleme seit der Wende (be-sonders dramatisch waren die Ausschrei-tungen im Jahr 1997, als aufgrund des so genannten Pyramidenskandals viele Al-baner ihr Erspartes verloren hatten und in

Folge die staatlichen Struk-turen zusammenbrachen), strebt Albanien den EU-Beitritt an. Im Jahr 2006 ist diesbezüglich schon ein wichtiger Schritt erfolgt, indem mit der Europäischen Union ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen unterzeichnet wurde.

4. Bevölkerung: religion und sprache

Das Motto der Vertreter der albanischen Nationalbe-wegung im Kampf um die Selbständigkeit Albaniens (der zugleich ein Entge-genwirken gegen die Auf-

splitterung der Albaner zwischen den Re-ligionen war) „die Religion des Albaners ist das Albanertum“ umschreibt gut das Verhältnis der Albaner zu den Religionen. Diese Einstellung mag auch ein Grund sein, dass die Albaner im Zweiten Welt-

krieg ihre jüdischen Mitbürger nicht den deutschen Besatzern auslieferten und sie damit vor dem Holocaust bewahrten.Die albanische Bevölkerung ist zwischen drei Religionen aufgeteilt: Aufgrund des byzantinischen Einflusses im Süden des Landes etablierte sich dort die orthodoxe Kirche, während im Norden die römisch katholische Kirche dominierte (Abb. 10 und 11). Dazu gesellte sich als Folge der Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich der Islam, zu dem zahlreiche Albaner,

abb. �: Berat zählt wohl zu den schönsten Städten Albaniens. Dass sie von der Zerstörungswut der kommunistischen Stadtplanung verschont blieb, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass sich dort 1944 die erste kommunistische Regierung Albaniens gebildet hatte.

abb. 9: Nach der Wende entstanden zahlreiche neue Gotteshäuser; das Bild zeigt die neue Moschee im Zentrum von Durrës.

abb. 10: Die griechisch-orthodoxe Dreifaltigkeitskirche in der Festung von Berat.

abb. 11: Einer der positiven Identifikationsfiguren der Albaner: die römisch-katholische Ordensfrau albanischer Herkunft (geboren in Skopje), Mutter Theresa, Trägerin des Friedensnobelpreises. Das Denkmal steht vor der Universität in Tirana.

IM TELESKOP

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oft aus pragmatischen Gründen, konver-tierten. Vor dem Zweiten Weltkrieg be-kannten sich rund 70% der Bevölkerung zum sunnitischen Islam, rund 20% waren orthodoxe Christen und ca. 10% Katho-liken (genaue Zahlen für die Zeit nach der Wende liegen nicht vor, da in Albanien bei den Volkszählungen die Religionszugehö-rigkeit nicht erhoben wurde).Im Regime unter Enver Hoxha wurde der Kampf gegen die Religionen forciert, nicht nur aus kommunistisch-ideologischen son-dern eben auch aus den oben angeführten nationalistischen Gründen. Dies gipfelte im Jahr 1967 in der Ausrufung des ersten atheistischen Staates der Welt, in dem jede Religion und religiöse Betätigung verbo-ten war.Zwar nahmen nach der Wende allen drei Religionen ihre (Remissionierungs-) Tätigkeit wieder auf, aber die albanische Bevölkerung behielt sich ihre religiöse Indifferenz und Toleranz, die von gegen-seitiger Akzeptanz geprägt ist: Zum Teil werden religiöse Feste gemeinsam ge-feiert, ja selbst religiöse Stätten anderer Gemeinschaften aufgesucht. Selbst Ehen zwischen Christen und Muslimen stellen in Albanien kein Problem dar und stehen auf der Tagesordnung.

�. wirtschaftlicher Überblick

Die politische Wende zu Beginn der 1990er Jahre löste – wohl aufgrund der radikalen Hinwendung zur freien Marktwirtschaft – in Albanien ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Chaos aus, von dem sich das Land erst allmählich erholt. Zwar ha-ben sich die rechtlichen Rahmenbedingen deutlich verbessert und die Privatisierung schreitet voran, es bestehen aber wei-terhin gravierende strukturelle Pro-bleme: Das Wirt-schaftswachstum beruht zum gro-ßen Teil auf Über-weisungen der internat iona len Geber und der im Ausland lebenden Albaner (die Zahl der Wirtschaftse-migranten wird in Summe auf rund

500.000 geschätzt, das sind etwa 40% der albanischen Arbeitskraft, Herscht 2007) sowie auf Bautätigkeit zwecks Geldwäsche aus illegalen Einkommen (Wikipedia). Die Arbeitslosigkeit ist noch immer sehr groß und liegt wohl deutlich über den offi-ziell angegebenen 14% (siehe Tab. 1).

Ein weiteres Problem, unter dem die Wirtschaft des Landes leidet, ist die man-gelhafte Infrastruktur. Viele Straßen, vor allem abseits des Zentralraumes und der Hauptstrecken, sind in einem schlechten Zustand; das Bahnnetz ist nur rudimen-tär ausgebaut und bedarf einer dringenden Sanierung; die Wasserversorgung ist im-mer wieder auf wenige Stunden pro Tag beschränkt, und Stromausfälle sind insbe-sondere in den Wintermonaten nicht aus-zuschließen. Die unsicheren rechtlichen Rahmenbe-dingungen sowie die angeführten Mängel in der Infrastruktur sind Gründe, warum bisher relativ wenige ausländische Inve-storen im Land Fuß gefasst haben. Das

fällt auch im Straßenbild auf: Im Gegen-satz zu anderen Haupt- und Großstädten Südost- und Mitteleuropas wurden bisher die suburbanen Bereiche von Tirana oder Durrës nur im untergeordneten Ausmaß von Betrieben bzw. Einkaufszentren west-licher Firmen und Konzerne überformt. In diesem Zusammenhang ist es besonders bemerkenswert, dass die sonst in allen Winkeln dieser Welt anzutreffenden ame-rikanischen Fastfood-Ketten Albanien mit ihrem Angebot bisher verschont haben.Traditionellerweise ist in Albanien die Landwirtschaft besonders dominant. Im-mer noch sind mehr als die Hälfte der Er-werbstätigen in der Landwirtschaft tätig, die rund ein Viertel zum Bruttoinland-produkt beiträgt (Tab. 1). Es verwundert nicht, dass die zeitweiligen Verbündeten des sozialistischen Albanien (Jugoslawien und Sowjetunion) die Landwirtschaft for-cieren wollten, da mit dem fruchtbaren, klimatisch begünstigten Tiefland an der Adria (Kap. 2) ideale Voraussetzungen da-für gegeben sind.Diese Ziele der Bündnispartner standen aber im Gegensatz zu jenen der kommu-nistischen Machthaber in Tirana, die den Aufbau der Industrie forcieren wollten und dies dann auch vor allem mit chinesischer Hilfe taten (Kap. 3). Nach der Wende kol-labierte aber praktisch die gesamte Indus-trie Albaniens, was sich auch in den aktu-ellen Wirtschaftszahlen widerspiegelt: der sekundäre Sektor ist ausgesprochen unbe-deutend (siehe Tab. 1).Der Tourismus spielt bisher ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Dies unter-streicht auch die geringe Zahl an aktu-eller Reiseliteratur: Derzeit gibt es im (österreichischen) Buchhandel nur einen

deutsch- (Ndaru-rinze 2006) und einen englischspra-chigen (Gloyer 2006) Reiseführer über Albanien. Er-ste Anzeichen der touristischen Nut-zung sind jedoch in Küstenstädten wie Durrës, Vlorë oder Sarandë deutlich erkennbar (Abb. 12 und 13), wo entlang der Küsten zahlreiche

AlbanienFläche 28.748 km2

Einwohner (2004) 3.112.000

HDI-Rang (2005): 72

Arbeitslosigkeit (2005) 14,2%; inoffiziell ca. 30%

BNE je EW (2004) 2.120 $

BNE je EW in Kaufkraftstan-dards (2004)

5.072 $

Realer Zuwachs des BIP 2003 - 2004

5,90%

BIP 2004 nach Sektoren (in %) I: 25%, II: 19%, III: 56%

Erwerbstätigkeit 2003 nach Sektoren (in %)

I: 58%, II: 13%, III: 29%

tab. 1: Wirtschaftsdaten Albaniena

abb. 12: Der Adria-Strand bei Vlorë mit zahlreichen Neubauten; sehr viele davon weisen eine touristische Nutzung auf.

abb. 1�: Die Stadt Sarandë am Ionischen Meer (gegenüber von Korfu gelegen) gilt schon heute als einer der bedeutendsten Tourismusorte Albaniens.

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Hotels und andere touristischen Einrich-tungen neu entstehen. Die weitgehend unberührten Gebirgslandschaften und vor allem die 362 km langen Küste am Adri-atischen und Ionischen Meer stellen die größten Potentiale des Landes dar. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, wann sich die bisher unberührten Strände Albani-ens bei den sonnenhungrigen West- und Mitteleuropäern als Ferienziel etablieren werden.

QUeLLeNVerZeICHNIS

Arapi, L.; 2005: Wie Albanien albanisch wurde, Rekonstruktion eines Albanien-bildes. – Tectum Verlag, Marburg a. d. L., 218 S.

Berxholi, A.; 1996: Atlas Gjeografik i Shqipërisë. – Mjete Mësimore Kulturore e Sportive, Tiranë, 24 S.

Fischer Weltalmanach 2007 – Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M., 831 S.

Detrez, R.; 2001: Die Sündenböcke Europas. – Kakanienrevisited, 10 S. http://www.kakanien.ac.at/beitr/fallstu-die/RDetrez1.pdf (Zugriff: Jänner 2008)

Essler, M.; 2004: Welche Bilder steigen in uns auf, woran denken wir, wenn wir das Wort Albanien hören? http://www.dorf-zeitung.com/archiv/zeitgeschehen/2004/zeitgeschehen_02.htm (Zugriff: Jänner 2008)

Gloyer, G.; 2006: Albania, the Bradt Travel Guide. – Bradt Travel Guides Ltd, Chalfont St. Peter, 264 S.

Herscht, I.; 2007: Albanische Identitäten in Veränderung. – Kakanienrevisited, 15 S. http://www.kakanien.ac.at/beitr/emerg/IHerscht1.pdf (Zugriff: Jänner 2008)

Ndarurinze, R.; 2006: Albanien ent-decken, Auf den Spuren Skanderbegs. – Trescher-Reihe Reisen. Trescher Verlag, Berlin, 334 S.

Schmidt-Neke, M.; 1994: Von Arnauten und Skipetaren, Albanien und die Albaner bei Karl May. – In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1994, Karl-May-Gesellschaft e. V., Hamburg, S. 247 – 283 http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1994/247.htm

von Kohl, C.; 1998: Albanien. – Beck´sche Reihe Länder. Verlag C. H. Beck, München, 208 S.

Wikipedia: www.wikipedia.org (Zugriff Jänner 2008)

Geo-Kolloquiumdo. 10. April

Geomorphologie und globaler WandelUNIV.-Prof. dr. THoMAS GLAde (WIeN)

do. 17. April

Globaler Wandel - regionale Nachhaltigkeit. Der „Innsbrucker Weg“ zur „Dritten Säule“ - ein pragmatischer Umsetzungsversuch in geographischer Forschung und LehreUNIV.-Prof. dr. MArTIN CoY, UNIV.-Prof. dr. HANS STÖTTer (INNSbrUCK)

do. 8. Mai

Vorstellung der prämierten Bilder des Lawinenwarndienst-Schitourenforums 2007/08mit fachvortrag von MAG. dr. LISbeTH ZeCHNer

Wintertourismus und Besucherlenkung im Nationalpark Gesäuse

Mo. 19. Mai, 17.00 h, Unterrichtsraum 11.04

The Cryosphere, the Landscape,and Global Environmental ChangeUNIV. Prof. dr. dr. H.C. oLAV SLAYMAKer (VANCoUVer)

Alle Vorträge finden, wenn nicht anders angegeben, um 18.00 h im Hörsaal 11.03 am Institut für Geographie und Raumforschung, Heinrichstraße 36, bei freiem Eintritt statt.

GEO-KOLLOQUIUM

Eventuelle Änderungen und Ergänzungen in unserem Programm entnehmen Sie bitte unserer Website: www.uni-graz.at/geowww/

Weiters weisen wir darauf hin, dass zu einem noch nicht fixierten Termin voraussichtlich Ende Mai 2008 die

Berufungsvorträge der Kandidatinnen und Kandidaten für die Nachfolge Prof. Wakoniggs auf dem Lehrstuhl für Physische Geographie stattfinden werden.Näheres unter www.uni-graz.at/geowww/

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GeoGraz 42 - 2008

haben auch die Felder besucht. Dann blieb dem Minister unter diesem Druck der Öf-fentlichkeit nichts anderes übrig, als die Pestizidspritzungen einzustellen. Seither gibt es in Ägypten diese Katastrophe mit den großflächigen Flugzeugspritzungen von 35.000 t Pestiziden nicht mehr. Frage: Wie stehen Sie zu Gentechnik? Abouleish: Zum Glück ist Österreich gegen Gentechnik und ich bin auch dage-gen. Ich finde es ist etwas, das wir nicht bekämpfen sollen, sondern vielmehr auf-zeigen, welche Alternativen es gibt, die

besser sind als die Gentechnik. Und ich glaube, dass die biolog isch-dy na-mische Landwirt-schaft, so wie wir es über die 30 Jahre in Sekem erlebt haben, eine viel bessere Lö-sung ist als die Gen-technik, denn da-hinter steht bloß ein Wirtschaftsinteresse und nicht eigentlich

Menscheninteresse.Frage: Es ist nicht unbedingt selbstver-ständlich, dass eine Initiative, die sich so hohen Ansprüchen an Qualität und Um-welt verschrieben hat, auch wirtschaftlich so erfolgreich ist. War das immer schon so?Abouleish: Das ist ein Vorurteil! Ei-gentlich kann es nur so gehen. Wenn ein Betrieb erfolgreich wirtschaftet, muss er sehr ethisch wirtschaften. Wenn man in Europa untersucht, welche Betriebe viele Jahre erfolgreich wirtschaften, dann sind das jene, die ethisch-menschliche Prin-zipien berücksichtigt haben. Man sagt im-mer Nachhaltigkeit sei nicht wirtschaft-lich. Ich sage: ganz im Gegenteil! Es ist nicht so, dass man nur für den Ei-genbedarf produziert, sondern man muss den Marktbedarf in aller Welt studieren

Die Geschichte von Sekem ist eine erfolgreiche und von Anfang an mit dem Namen Ibrahim Abou-

leish verknüpft. 1977 begann dieser seine Vision, eine Oase des Neuen in der Wüste von Ägypten zu errichten, zu verwirkli-chen. Diese (physische) Wüste existiert je-doch nicht nur nordöstlich von Kairo, son-dern kann vielmehr bildhaft auch für die Austrocknung von Existenz im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Europa stehen. Der 2004 in Graz gegründete „Verein zur Förderung des Sekem-Impulses in Ägyp-ten und Österreich“ betrachtet Wüste da-her auch als einen Ort der Klarheit und des Neubeginns für Zukünftiges. In die-sem Sinne will die Initiative zur gesunden Entwicklung des Wirtschafts-, Kultur- und Soziallebens beitragen und Orient und Okzident näher zueinander führen, denn auch Goethe stellte schon fest:

„Wer sich selbst und andre kennt,wird auch hier erkennen:

Orient und Okzidentsind nicht mehr zu trennen.“

Dieses Zitat stand auch am Beginn des Abends mit Prof. Dr. Abouleish, dessen Antworten auf die Fragen des Publikums nachfolgend in Auszügen zusammenge-fasst sind.

Frage: Was bedeutet „Sekem“ und was ist das Ziel der Heliopolis-Universität?Abouleish: Sekem heißt ungefähr soviel wie „Vitalität“, „die Kraft, die von oben herunterkommt“. Wir gründen die Helio-polis-Universität um die Werte, die früher verehrt wurden, wiederzubeleben und zu erhalten: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Balance. Unser Streben mit der Helio-polis-Universität ist es, den Austausch mit Europa herzustellen und neue Werte und neue Menschlichkeit nach Ägypten zu bringen. Eigentlich ist die Heliopolis-

Universität dafür gemacht, dass es junge Menschen gibt, die diese Ideen aufnehmen und hinaustragen, nicht nur nach Ägypten sondern überall.Frage: Wie haben Sie die Widerstände überwunden, bis die gesamte ägyptische Baumwollindustrie auf biologisch-dyna-misch umgestellt hat?Abouleish: Es war 1991, als wir Pestizide auf den von uns angebauten Heilpflanzen feststellten. Durch die großflächigen Pe-stizidspritzungen auf Baumwollfeldern mit Flugzeugen wurden auch unsere Feld-er tangiert. Dann haben wir mit der F o r s c h u n g nach neuen Methoden der Insektenkon-trolle begonnen und wir konn-ten tatsächlich eine Alternati-ve entwickeln. Es gelang, die B a u m w o l l e durch biologischen Insektenschutz ohne Pestizide anzubauen. Es gelang, indem wir die Symbiose und das Gleichgewicht der verschiedenen Insekten auf den Feld-ern mitten im Delta untersucht und durch biologische Kontrollmethoden wieder her-gestellt haben. Wir haben eine Faser be-kommen, die qualitativ viel besser war und auch mehr Ertrag brachte als die konventi-onell angebaute Baumwolle und trotzdem nicht kostspieliger war. Aber dann sahen wir auch den Druck der Industrie kommen und so haben wir zur ersten internationalen organischen Baum-wollkonferenz der Welt gerufen, gemein-sam mit IFOAM (International Federati-on of Organic Agriculture Movements). Es kamen Bauern, Produzenten, Händler und Fachkräfte aus aller Welt und diese haben mit den Wissenschaftlern gesprochen und

Hat jemand Fragen an Sekem? alternativnobelpreisträger ibrahim abouleish am Geographie-institut

MArIo dIeTHArT

Nachhaltig nobel: Prof. Dr. Ibrahim Abouleish bei seinem Vortrag

AUSSERDEM

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21. dezember 200�

Ein vorweihnachtlicher Tag wie jeder andere, wie einige Jahre vorher. Ich fahre mit dem Zug wieder einmal

nach Hause in den „nahen Osten“, „ehe-maligen Ostblock“, ins Land wo die Fahrt von 60 km zwischen den nächstgelegenen Hauptstädten in Europa (wahrscheinlich auch in der Welt) noch immer so elendig lange mit dem Zug dauert. Es ist die Rede von dem nordöstlichen Nachbarland Ös-terreichs – der Slowakei. Keine Zöllner mehr an der Grenze, die flüchtig in den Reisepass schauen würden. Die Holzbalken sind um Mitternacht von Premierministern beider Staaten durchge-sägt worden. Seitdem die Slowakei der EU beigetreten ist, hat die Grenzpolizei ohne-hin nicht mehr so viel kontrolliert wie frü-her. An das „früher“ kann ich mich, aber auch etliche Gleichaltrige, nicht mehr so sehr erinnern. Andererseits habe ich the-oretisch schon in 3 Staaten gelebt, obwohl ich 18 Jahre lang in der gleichen Stadt - in Poprad - gewohnt habe. Zufälligerweise treffe ich an diesem Tag einen Professor, der sich noch zu gut an Grenzen erinnert. Grenzen eines politischen Systems, die im Jahre 1968 so weit gegangen sind, dass er die Grenzen selber durchbrechen musste und in die Schweiz emigrierte, um Wis-senschaft beruflich weiter betreiben zu können, ohne „in der Partei“ Mitglied zu sein. Immerhin, erzählt er, haben die da-gebliebenen Wissenschaftler auch weiter-hin publiziert, nur haben sie die Türe in die Welt ein wenig geschlossen gehabt. Der Beitritt der neuen EU-Länder zum Schengen-Abkommen bedeutet für mich nur so viel, dass jetzt ungefähr 400 Millio-nen Europäer von Norden nach Süden eine Strecke von ca. 4000 km (ugf. die Länge von Chile) über zahlreiche Staatsgrenzen ohne Kontrolle durchreisen können. Freier Personenverkehr – schöne Tatsache. Ir-gendwie ist es für mich keine sehr große

Veränderung. Aber ich bin langsam zu einem global citizen geworden. Schließ-lich bin ich nur so alt wie das Abkommen selber. Für andere Generationen ist das et-was, was man nicht glauben kann, solange man sich nicht selber davon überzeugen konnte. So wie mir mein Großvater be-geistert erzählte, dass er sogar an dem Tag beim Queren der slowakisch-ungarischen Grenze zwei Mal ein Glas Champagner bekam und feststellen musste, dass es mit Schengen wirklich funktioniert. Früher trennte Europa der „Eiserne Vorhang“, die Grenzen wurden bewaffnet bewacht und waren mit Stacheldraht und Minenfeldern umgeben. Früher starben Menschen an den Grenzen. Früher musste man schon froh sein, wenn man überhaupt die Er-laubnis gekriegt hatte, sie durchqueren zu dürfen und in der Bank eine gewisse Men-ge an Valuten abzuholen. In der Geogra-phie sind Grenzen immer kompliziert. In einer Wissenschaft, in der so oft Kontinua vorkommen, sind Grenzen nicht wirklich gewollt. Europa schafft es derzeit sie lang-sam abzubauen. Man kann schon überall (innerhalb der EU) studieren, wohnen, leben, und hoffentlich bald auch arbeiten. Einen Haken gibt es aber noch. Die neue Außengrenze von Schengen wurde jetzt zur Ukraine verschoben. Jetzt wird diese noch mehr kontrolliert. Jetzt wird es hier noch komplizierter von dem östlichen Nachbarland in den Schengen-Raum ein-zureisen. Mir kommt es langsam so vor, dass es in der Geschichte einfach nur um den ständigen Prozess der Verschiebung des Westens in den Osten und der darauf folgenden Bil-dung neuer Grenzen geht. In ganz zu-kunftsorientierten Gedanken könnte man so weit kommen, dass meine Enkelkinder nur mehr Russland als Osteuropa bezeich-nen werden ...Die größten Grenzen sind aber die Gren-zen in den Köpfen der Menschen. Und es wird noch viel mehr Zeit benötigen, diese

Schengen wo bist du? ein Bericht aus der sicht der autorin

TIMeA MAreKoVÁ

Sogar der damalige französische Präsident françois Mitterrand bezeichnete einst in peinlicher geographischer Unkenntnis Schengen als „charmantes dörfchen in den Niederlanden“, von wo er rasch geharnischte briefe, abge-stempelt im Großherzogtum Luxemburg, bekam. Was bedeutet also in der Praxis das Abkommen aus diesem 500 Seelen-Örtchen an der Mosel für jemanden aus den jüngst beigetretenen Ländern?

und für den Markt produzieren. In Sekem haben wir nie produziert, weil wir es selber können. Wir haben uns nach dem gerich-tet, was die Menschen wirklich brauchen. Wichtig ist immer die Qualität, denn es heißt Lebensmittel – ein Mittel für das Leben. Und es erfordert sehr viel ethisches Handeln, damit das Lebensmittel auch wirklich Leben fördert. Wie ein sehr of-fenes Geheimnis ist es, dass man materiell reicher wird, wenn man anderen dient und dass man mit diesem materiellen Reich-tum nicht für sich etwas tut, sondern für die Umwelt. Ein Teil des Profites wird ge-spendet an die Sekem Development Foun-dation für Erziehung, Ausbildung, Kunst, Forschung und medizinische Versorgung der Menschen. In Sekem werden 600 Schüler ausgebildet und 36.000 Patienten werden im Medical Center jedes Jahr ver-sorgt. Dieser Kreislauf hat etwas geheim-nisvolles, etwas Segensreiches in sich.

Eine schriftliche Aufzeichnung des gesamten Vortrags ist auf www.rce-graz.at abrufbar. Mario Diethart, oikos [email protected]

AUSSERDEM

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GeoGraz 42 - 2008

zu überwinden. Die sägt nur das Bewusst-sein durch und dieses entsteht nicht so schnell wie die Holzstück-Souvenirs, die jetzt an verschiedene wichtige politische Besuche und Prominente verschenkt wer-den. Schnell entstehen nur interessante Geschichten, wie z.B. die, die ich nach meinen ersten Monaten des Studiums in Graz von jemandem über mich gehört habe: dass ich angeblich zwar aus der Slo-wakei komme, aber meine Eltern aus der reichen russischen Öl-Mafia wären, sonst wäre ich doch nicht nach Graz studieren gekommen. Jedenfalls amüsierte sich die ganze Familie! Als ob die Menschen aus dem Osten einfach nicht „Otto Normal-verbraucher, freut mich Sie kennenzuler-nen,“ sein könnten. Oder, ich stehe eines Tages bei einem Schalter in der Studien-abteilung auf eine Bestätigung wartend, und die liebe Frau dort murmelt so vor sich hin: „Hmm, ist die Slowakei überhaupt in der EU?“ und da antwortet prompt ihr Kollege vom Nebentisch: „Oh, keine Ah-nung, ich schau‘ g‘schwind im Internet nach!“ Da kommt man sich ein wenig fehl am Platz vor.

Europa ist jetzt auf dem Weg, wo es hof-fentlich im Leben egal sein wird, von wo man herkommt, aber zugleich wird die na-tionale und kulturelle Identität jedes Ein-zelnen wichtig bleiben. Man kann sich frei bewegen. Man kann auch die Gedanken frei bewegen und sich dessen bewusster werden, dass gerade das Jahr 2008 zum europäischen Jahr des interkulturellen Di-alogs ausgerufen worden ist. Ich bin froh, dass ich schon Zeiten erleben durfte, wo die Staatspolizei meine Eltern nicht ausgefragt hat, „ob ich dort nur hin-gefahren bin, oder ob ich dort bleibe“, wo-bei es damals egal war, wo sich das Dort befand, wichtig war, dass derjenige hinter den stark bewachten geschlossenen Gren-zen war - und dementsprechend unange-nehme Konsequenzen hatte alles nachher für seine Verwandten.Also denken wir auch lieber in Kontinua und nicht in Grenzen, Klassen, Werten ... außer, in der thematischen Kartographie.

AUSSERDEM

Denkmal zur Unterzeichnung des Schengener Abkommens an der Anlegestelle in Schengen (Quelle: Wikipedia.org)

Mitglieder

unterzeichnet, aber (noch) keine Ausführung

Nicht-EU-Staaten, die ausschließlich an einer Schengen-Mitgliedschaft interessiert sind

Der Schengenraum

Quelle: wikipedia.org

Das Schengener AbkommenAm 15. Juni 1985 unterzeichneten die Vertreter der fünf EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Belgien, Nie-derlande und Luxemburg im deutsch-französisch-luxemburgischen Dreilän-dereck bei Schengen (Luxemburg) an der Obermosel auf dem Fahrgastschiff Princesse Marie-Astrid das Schengener Übereinkommen (mittlerweile informell auch oft als Schengen I bezeichnet). Für dieses historische Ereignis wurde Schengen ausgewählt, da es gemein-sam mit seinen Nachbargemeinden Perl (Deutschland) und Apach (Frankreich) einen Knotenpunkt in der Mitte Euro-pas bildet. Es handelt sich hierbei um das „Dreiländereck“ zwischen den Be-neluxstaaten (zwischen denen bereits seit 1969 keine Grenzkontrollen mehr bestanden), Frankreich und Deutsch-land, mithin in gewissem Sinne zwi-schen allen Erstunterzeichnern. An der Übereinkunft waren nur fünf der da-mals elf EG-Staaten beteiligt; sie stellt daher ein frühes Beispiel der verstärk-ten Zusammenarbeit dar.

Quelle: wikipedia.orgTímea Mareková studiert seit 2005 am In-stitut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz

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Neuerscheinungen

NEUERSCHEINUNGEN

- High Mountain Cartography and 3D Relief Depiction

- Hybrid Solutions of GIS and Remote Sensing

- Methodological Improvements Concer-ning HMRSC

- Education- Field GuideDie Symposien fi nden seit 1990 jedes zweite Jahr statt. Tagungsorte waren in Asien (Nepal/Tibet), Nord- und Südame-rika (USA/Argentinien/Chile), in Europa (2xÖsterreich/Schweden/Norwegen), je-weils einmal in Zentralasien (Kirgisien) und in Afrika (Äthiopien). Das 10. Sym-posium wird im September 2008 in Kath-mandu/Nepal stattfi nden.Auf der Homepage von High Mountain Remote Sensing Cartography (http://www.uni-graz.at/geowww/hmrsc/) kön-nen die Symposiumsbände heruntergela-den und neueste Informationen über die Symposiumsreihe erhalten werden.

Die Proceedings können online auf der Geo-graphie-Website unter www.uni-graz.at/ge-owww (12 € + Versandkosten) bestellt wer-den.

LoTHAr beCKeL (HrSG.), 2007

The European Space Agency (ESA) Schulatlas – Geographie aus dem Weltraum

Geospace Verlag, Salzburg, 289 Seiten (große Ausgabe).

V. KAUfMANN u. W. SULZer (HrSG.), 2007:

Proceedings of the 9th International Symposium on High Mountain Remote Sensing Cartography (HMRSC-IX)

Grazer Schriften der Geographie und raumforschung, band 43, 292 Seiten.

Die Tagung mit fast 100 internationalen TeilnehmerInnen fand vom 14.-15. Sep-tember 2006 am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz in Zusammenarbeit mit dem Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung der Technischen Universität Graz statt. Eine anschließend an die Tagung statt-fi ndende Exkursion (16.-22. September) führte rund 20 TagungsteilnehmerInnen und -teilnehmer quer durch die Ostalpen zum Dachstein, zur Rudolfshütte am Stu-bacher Sonnblickkees, zur Pasterze (Glo-cknergruppe), in das Dösener Tal (An-kogelgruppe) und in die Nockberge. Ein ausführlicher Exkursionsführer (verfasst von Gerhard K. Lieb) wurde dem Band angefügt.34 Beiträge von ForscherInnen aus 17 Na-tionen geben einen aktuellen Überblick über den Einsatz der Satellitenbildferner-kundung in den Hochgebirgen mit fol-genden Schwerpunkthemen:- Remote Sensing Techniques- Morphological Mapping- Monitoring of Environment- Permafrost Studies and Rock Glacier

Monitoring

Geospace unter der Leitung von Lothar Beckel hat in Zusammenarbeit mit der ESA (Europäische Weltraumorganisati-on) einen Schulatlas herausgegeben. Ne-ben dem im Titel genannten (und im Foto gezeigten) Satellitenbild-Atlas gibt es wei-tere Produkte, die unter dem Motto „Die Welt im Wandel“ laut Werbetext den An-spruch erheben zu einer „neuen Dimension im Geographie-Unterricht“ vorzudringen. Im Einzelnen umfasst die Produktpalette („Lehrmittelreihe“) folgende Komponen-ten:

- Schulatlas in Buchform (als Standar-dausgabe mit 176 Seiten und als große, auch in Englisch oder Französisch lieferbare Ausgabe mit 289 Seiten sowie ein gesondert lieferbarer „Länderteil Österreich“)

- Digitaler Schulatlas (2 DVD-ROMs)- Lehrerbegleitband (mit 203 Seiten)- „EDUSPACE“ (Webseite der ESA:

www.eduspace.esa.int)

Der Schulatlas in Buchform beinhaltet in verschiedenen Maßstäben (lokal bis global) unterschiedlichste Darstellungen unserer Erde. Die Th emen reichen von der „sozi-alen, wirtschaftlichen und ökologischen Grenzen unserer Erde“ über die „Verschie-denheit und Einheit – das Neue Europa“ bis hin zu „Zusammenhänge – Wahrneh-mung – Konfl ikte“. In zahlreichen Satel-litenbildkarten und thematischen Karten sollen den Schülerinnen und Schülern bestimmte methodische und thematische Kompetenzen vermittelt werden, die über eine verbale Interpretation der Bildinhalte hinausgehen. Der Atlas erzählt bewusst „Geschichten“, anstatt Einzelfakten zu vermitteln und ermöglicht nicht nur, son-dern erfordert sogar inhaltliche Ergän-zungen (Medien) durch die Lehrerinnen und Lehrer. Auf diese Weise können Schülerinnen und Schüler zu eigenstän-digem Auffi nden von Problemkreisen und von Lösungsansätzen motiviert werden. Der Digitale Schulatlas auf DVD bein-haltet nicht nur den gesamten Inhalt des analogen Schulatlas, sondern zusätzlich auch eine große Anzahl von Satelliten-bildern und Karten, die als Basisdatensatz (Satelliten- und GIS-Daten) eine weitere

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selbständige Bearbeitung und Analyse ermöglichen. Hier wird der wachsenden Bedeutung der Informationstechnologie innerhalb der Geographie Rechnung ge-tragen. Einfache (Software) Werkzeuge wie LEOWorks und ArcExplorer werden hier eingesetzt.Der Lehrerbegleitband informiert über die Zielsetzungen und didaktischen Grundsät-ze des ESA-Schulatlas, gibt einen kurzen Einblick in die Fernerkundung und die In-itiative der ESA mit EDUSPACE. Dieser allgemeinen Beschreibung folgen Einzel-darstellungen der im Atlas abgebildeten Karten mit technischen und inhaltlichen Informationen. Arbeitsvorschläge und Übungsfragen (nicht jedoch Lösungen) sowie Anleitungen für die digitale Bear-beitung schließen die Beschreibung ab. Die Internetplattform EDUSPACE der ESA wurde geschaff en, um Lehrerinnen und Lehrern die Integration der Erdbeo-bachtung aus dem Weltraum in den Unter-richt zu erleichtern und den Schülerinnen und Schülern den interaktiven Umgang mit Satellitenbilddaten zu ermöglichen. Die Webseite bietet neben allgemeinen Informationen zur Fernerkundung und Satellitenbildverarbeitung eine Reihe von Fallstudien, zahlreiche Originaldaten und detaillierte Anleitungen für die Bearbei-tung unterschiedlicher Fragestellungen. Eine eigens entwickelte Bildverarbei-tungssoftware LEOWorks wird dafür zur Verfügung gestellt. Für einen der vielen angebotenen Th emenbereiche „Himalaya aus dem Weltraum“ wurden am Institut für Geographie und Raumforschung Fall-beispiele in Zusammenarbeit mit der ESA aufbereitet. Diese Software wird auch in der Lehramtsausbildung an unserem Insti-tut eingesetzt. Insgesamt handelt es sich unzweifelhaft um ein bahnbrechendes Werk, dessen Nutzung keineswegs nur für Lehrerinnen und Lehrer als Hauptzielgruppe einen Sinn macht. Aus der Sicht der Schulpraxis ist jedoch anzumerken, dass alle Produkte im Umfeld des ESA-Schulatlas außer-ordentlich hohe Ansprüche an die Nut-zerinnen und Nutzer stellen: Allein die Analogversionen des Atlas besitzen eine Dichte an Information, die Schülerinnen und Schüler jedenfalls, Lehrerinnen und Lehrer wahrscheinlich – zumindest im ersten Ansehen – abschreckt. Auch die

Texte im Lehrerbegleitheft sind alles an-dere als „leichte Kost“, weshalb sich der Atlas wohl nur bei jenen Lehrerinnen und Lehrern durchsetzen dürfte, die ein spezi-elles Interesse und Knowhow in Bezug auf Fernerkundung haben. In diesem Zusam-menhang muss es verwundern, dass der Atlas auch für den Unterrichtsgebrauch an der Sekundarstufe I zugelassen ist. Wie auch immer: Wenn man als GW-Leh-rerin oder -Lehrer die Schülerinnen und Schüler so weit bringt, dass sie mit diesen innovativen Produkten wirklich effi zient arbeiten, könnte ein Vordringen in die eingangs angesprochenen neuen Dimensi-onen vielleicht wirklich möglich werden. Man darf auf erste Erfahrungsberichte aus den Schulen gespannt sein.

Wolfgang Sulzer, Gerhard K. Lieb

Der Schulatlas ist im Buchhandel oder bei der Fa. GEOSPACE GmbH, Jakob Haringer-Str. 1, 5020 Salzburg (offi [email protected]), erhältlich. Die große Ausgabe kostet € 29,90, die Standardausgabe € 24,80 – für die ande-ren Produkte werden verschiedene günstige Pakete angeboten.

GeoGraz 42 - 2008 NEUERSCHEINUNGEN

bÖHM, r., SCHÖNer, W., AUer, I., HYNeK, b., KroISLeIT-Ner, C., U. WeYSS, G., 2007:

Gletscher im Klimawandel. Vom Eis der Polargebiete zum Goldbergkees in den Hohen Tauern.

eigenverlag der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien, 111 Seiten.

Dieses bemerkenswerte Buch ist nicht leicht einzuordnen: Th ematischer Aus-gangspunkt der Betrachtungen ist der Klimawandel und seine Auswirkungen mit speziellem Fokus auf die Gletscher. Räumlich werden globale Prozesse auf die regionale Ebene der Hohen Tauern – besonders auf das Umfeld des Sonnblick, aber auch der Pasterze – gleichsam herun-ter gebrochen. Eigentlicher Anlass für die Publikation war jedoch die Neugestaltung des Gletscherlehrpfades durch das Vorfeld des Goldbergkeeses an der Salzburger Sei-

te des Sonnblicks. Und schließlich erfüllt das Buch mit seiner reichen graphischen Ausgestaltung samt brillanten Fotos auch noch Kriterien eines Bildbandes.

Das erste Hauptkapitel befasst sich mit den Klimaschwankungen in verschiedenen Zeitskalen und gibt auch – beruhend auf den gängigen IPCC-Szenarien – einen Ausblick auf das zukünftige Klima. Die Darlegung der Beziehungen zwischen At-mosphäre, Hydrosphäre und Kryosphäre schaff t die Grundlagen für das dritte Ka-pitel, worin erklärt wird, wie ein Gletscher „funktioniert“. Unter dem provokanten Titel „Die Alpen ohne Gletscher“ schließt der Textteil u. a. mit interessanten Model-lierungsergebnisse über den im Lauf des 21. Jahrhunderts zu erwartenden Glet-scherrückgang. Zuletzt folgen noch drei Anhänge, deren erster eine Abfolge von 13 Bildern des Goldbergkeeses zwischen 1829 und 2007 zeigt, deren zweiter Re-produktionen der 15 Tafeln des Gletscher-lehrpfades wiedergibt und deren dritter das Buch mit interessanten historischen und stimmungsvollen modernen Fotos des Sonnblick-Observatoriums abrundet.Da die Autorinnen und Autoren hinsicht-lich Fachkompetenz und Gebietskenntnis über jeden Zweifel erhaben sind, ist eigent-lich nur die Frage zu stellen, ob das Buch im Sinne des Klappentextes „zu einem gelungenen populärwissenschaftlichen Werk, das sowohl die Sinne als auch den Geist anspricht“ geworden ist. Man kann diese Frage ohne Zweifel mit Ja beantwor-ten, zumindest wenn man die Wissensba-sis ausgebildeter Geographinnen und Ge-

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ographen zu Grunde legt. Für „normale“ Touristinnen und Touristen jedoch liegt die Latte im Buchtext, besonders aber auf den Tafeln hoch: Eine Formulierung wie „Die Messungen an dieser Stelle dienen als Input für Modellrechnungen des Was-serhaushalts von alpinen Flusssystemen…“ als Beginn eines 4 Absätze umfassenden Textblockes auf Tafel 12 garantiert, dass nur Fachleute weiterlesen und alle an-deren, sofern sie überhaupt bis zu dieser Tafel vorgedrungen sind, zum nahen Na-turfreundehaus flüchten. Die Didaktik des betont wissensorientierten Lehrpfades ändert indes nichts am hohen Wert des Buches: Inhaltlich seriös und sehr anspre-chend aufbereitet eignet es sich als vertie-fende (und sich doch nicht in wissenschaft-lichen Details verlierende) Lektüre sowohl allgemein zu den Themen Klimawandel und Gletscherschwund als auch regions-spezifisch zum Hohen Sonnblick.

Gerhard K. Lieb

Das Buch ist zum (in Hinblick auf die Aus-stattung sensationell niederen) Preis von € 14,90 im gut sortierten Buchhandel erhält-lich.

ist als innovative Produktpalette für den Schulunterricht – nicht nur im Fach GW – immer noch zu wenig bekannt. Aus die-sem Grund wurde vom Schulatlas-Team eine Freecard erstellt, die darauf aufmerk-sam machen soll, dass alle Karten, Texte und Unterrichtsmaterialien frei unter www.schulatlas.at abgerufen werden kön-nen. Die Freecard zeigt eine Naturland-schaftsgliederung der Steiermark und liegt dieser Ausgabe von GeoGraz bei. Weitere Freecards können bei den Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern des Schulatlas-Teams angefordert werden.

Das Quartett kann zum Preis von € 2,50 (inkl. Versand) beim UBZ – Umwelt-Bil-dungs-Zentrum Steiermark, Brockmanngasse 53, 8010 Graz ([email protected] oder über das Bestellformular auf www.ubz-stmk.at), bestellt werden.

Frisch geprüft: AbsolventInnen des Wintersemesters 07/08und ihre Abschlussarbeiten

NeUIGKeITeN AUS deM SCHULATLAS STeIerMArK

Steiermark-Quartett und Freecard

Im Rahmen des vom Regionalen Fach-didaktikzentrum Geographie und Wirt-schaftskunde betreuten Kooperations-projekt Schulatlas Steiermark wurde ein Quartett mit 32 Motiven zu kulturellen Sehenswürdigkeiten der Steiermark hergestellt. Neben Fotos dieser Objekte findet man jeweils 7 ausgewählte statistische Angaben zu den betref-fenden Gemeinden, so dass das Spiel als klassisches oder K.O.-Quartett sowie als Quiz genutzt werden kann. Es eignet sich in gleicher Weise für den Schulunterricht wie auch als privates Freizeit-Vergnügen – keineswegs nur für Kinder!Der Schulatlas Steiermark

Umweltsystemwissenschaften GeographieRINDER Thomas Versinterung von Tunneldrainagen - Ursa-

chen und Risikoabschätzung

STÖFFLER Robert Die Eignung des Niederschlag-Abfluss-moduls ZEMOKOST zur Abschätzung von hochwasserwerten anhand von Beispielen in der Steiermark

WEBER Klaus Das touristische Potenzial der Halbinsel Pelješac in Kroatien

JÖBSTL Cornelia Eisstoßproblematik an Krems und Thaya - Grundlagenstudie

MANNINGER Kathrin Projektorientierter Masterplan für eine nachhaltige Tourismusentwicklung in São Miguel / Kap Verde

ROSZKOPF Jakob-Ernest Ökologische Mobilität am Beispiel Pflanzen-öltechnologie

STRACKE-LASSMANN Marina, Bakk.rer.nat.

Strategies of Organic Producers in Thailand

Unterrichtsfach Geographie und WirtschaftskundeGOLLOB Hannes Der Wirtschaftsstandort Steiermark

NEUBAUER Julia Geographie und Wirtschaftskunde , Biologie und Umweltkunde. Möglichkeiten des fä-cherübergreifenden Unterrichts im Hinblick auf Lehrplananforderungen

GeographieWENINGER Beate Deconstructing the Map. A Critical

Cartography

MAGNET Astrid Der Tourismus im Bezirk Völkermarkt

DissertationenMag. Mag. rer. nat. Andreas KELLERER-PIRKLBAUER

Aspects of glacial, paraglacial and perigla-cial processes and landforms of the Tauern Range, Austria.

Mag. rer. nat. Reingard PEYRL

Bioklimatische Auswirkungen der Wetterlagen auf die Verkehrsunfallstatistik in Oberösterreich

QuelleDissertationen: Dekanat der Naturwissenschaftlichen Fakultät Diplomarbeiten: Prüfungsreferat für Naturwissenschaften/STPA

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Schnappschüsse von der eröffnung des rfdz GWK